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Telliamed registrierter User
Anmeldungsdatum: 05.03.2007 Beiträge: 5125
Wohnort: Wanderer zwischen den Welten
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(#1373698) Verfasst am: 07.10.2009, 15:07 Titel: 60 Jahre DDR |
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Im vereinten Deutschland nahezu unbemerkt, ist heute, am 7. Oktober 2009, an den 60. Jahrestag der Gründung der DDR zu denken.
Auf der 9. Tagung des "Deutschen Volksrates", der aus dem 3. Volkskongress hervorgegangen war, konstitutierten sich seine 330 Mitglieder am 7. Oktober 1949 zur "Provisorischen Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik", womit nach 1945 der zweite deutsche Staat "aus der Taufe" gehoben wurde. Nachdem absehbar geworden war, dass sich die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges in der deutschen Frage nicht einigen würden, war auf Initiative der 1946 gegründeten SED der "Deutsche Volkskongress für Einheit und gerechten Frieden" aus allen Besatzungszonen ins Leben gerufen worden, wobei die Sowjetische Besatzungszone und Berlin die meisten Abgeordneten des "Deutschen Volkskongresses" stellten, doch trafen auch, trotz Verbots durch die Westalliierten, Vertreter aus den Westzonen zu den Tagungen in Berlin ein.
Die Gründung der DDR war die Antwort auf die Verkündung des Grundgesetzes der BRD am 23. Mai 1949, die Wahlen zum Deutschen Bundestag am 14. August und die Wahl Konrad Adenauers zum Bundeskanzler am 15. Sepember 1949. Die Teilung Deutschlands vertiefte sich. Beide deutsche Staaten fanden sich in feindlich gegenüberstehenden Blöcken wieder. Damit teilte Deutschland das Schicksal Vietnams und Koreas. Der Zusammenhalt der Familien wurde vollends durch den Bau der Mauer am 13. August 1961 auf unbestimmte Zeit zerrissen. In beiden deutschen Saaten wuchsen neue Generationen heran, die kaum Vorstellungen vom Leben im jeweils anderen Teil Deutschlands hatten. Feindbilder wurden in den Schulen und Armeen gepflegt.
Erster Ministerpräsident der DDR war Otto Grotewohl, in der Weimarer Republik Minister für Volksbildung, Justiz und Inneres hier im nahen Braunschweig. Von den 18 Ministern stellte die SED acht, die 1945 gegründete CDU vier und die Liberal-Demokratische Partei Deutschlands (LDPD) drei. 1948 waren noch zwei weitere Parteien geschaffen worden, die vor allem der Integration von Wehrmachtsangehörigen, Angehörigen des Mittelstandes und der Bauernschaft dienen sollten. Erster Vorsitz der National-Demokratischen Partei Deutschlands (NDPD) war der Jurist Dr. Lothar Bolz. 1990 sollten LDPD und NDPD in der FDP aufgehen, die damit zahlenmäßig gestärkt wurde.
Am 15. Oktober 1949 erkannte die Sowjetunion die DDR diplomatisch an, bis zum Ende der DDR sollten es mehr als 160 Staaten werden. Am 5. November 1949 ertönte erstmals die von Johannes R. Becher (später Kulturminister, drogenabhängig) gedichtete Nationalhymne "Auferstanden aus Ruinen", die nach 1972 nicht mehr gesungen werden durfte, weil es in ihr hieß "Deutschland, einig Vaterland".
"Wenn man in einem Haus aufgewachsen ist, womöglich in ihm auch noch geboren wurde, so glaubt man, seine Geheimnisse zu kennen. Selbst bei Dunkelheit bereitet die Orientierung keine Schwierigkeit. Wenn nun aber dieses Haus plötzlich einstürzt, so sind gut ausgebildete Sachverständige zur Stelle, die die Ursachen für eine derartige Katastrophe zu ermitteln suchen, die da meistens lauten: unzureichendes Fundament, falsche Statik, Materialmüdigkeit, schlampig ausgeführte Arbeiten." L. Kölm: "Auferstanden aus Ruinen". In: 100 Denkwürdige Tage der deutschen Geschichte. Bd. 10. Köln 2006, S. 29.
Das sowjetische Gesellschaftsmodell hat sich auf deutschem Boden nicht als tragfähig erwiesen.
Es wurde lange Zeit angenommen, dass Stalin von Anfang an die Gründung eines ostdeutschen Staates und seine "Sowjetisierung" im Auge gehabt hätte. Er musste jedoch den "revolutionären Eifer" von Walter Ulbricht bremsen. Stalin hielt bis zuletzt an einer gesamtdeutschen Regierung fest, ein ostdeutscher Staat hätte erst entstehen können, wenn sich auch im Westen entsprechende Veränderungen vollzogen hätten. Vgl. u.a.
Bernd Bonwetsch/Gennadij Bordjugow: Stalin und die SBZ. Ein Besuch der SED-Führung in Moskau vom 30. Januar bis 7. Februar 1947. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 2 (1994), S. 279-303;
Jürgen Kocka/Martin Sabrow (Hrsg.): Die DDR als Geschichte. Fragen - Hypothesen - Perspektiven (Zeithistorische Studien. 2). Berlin 1994;
Horst Möller (Hrsg.): Die Politik der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) Kultur, Wissenschaft und Bildung 1945-1949: Ziele, Methoden, Ergebnisse. Dokumente aus russischen Archiven. München 2005.
Erst nachfolgende Generationen, die nicht mehr in die Vorgänge um die Herstellung der Einheit direkt involviert waren, werden aus gehörigem historischem Abstand und hoffentlich aus gesamteuropäischer Perspektive, die Russland und Polen einschließt, zu einer angemesseneren Beurteilung der Vorgänge 1949-1990 kommen, als sie heutzutage in den Schulen gelehrt wird. Den Lehrenden ist da kaum ein Vorwurf zu machen. Eine wichtige Aufgabe derer, die über ihre Rolle in der DDR nachgedacht haben, ist es, ihre Erinnerungen zu Papier zu bringen, wie das der Brecht-Forscher Werner Mittenzwei oder der Historiker Fritz Klein taten, der seine Erinnerungen mit dem bezeiuchnenden Titel versah: "Drinnen und Draußen." (Frankfurt am Main 2000). Innen sah vieles anders aus, als von außen betrachtet.
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Skeptiker "I can't breathe!"
Anmeldungsdatum: 14.01.2005 Beiträge: 16834
Wohnort: 129 Goosebumpsville
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Nordseekrabbe linker Autist
Anmeldungsdatum: 16.07.2003 Beiträge: 31152
Wohnort: Dresden
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(#1374092) Verfasst am: 07.10.2009, 23:17 Titel: Re: 60 Jahre DDR |
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Telliamed hat folgendes geschrieben: | Im vereinten Deutschland nahezu unbemerkt, ist heute, am 7. Oktober 2009, an den 60. Jahrestag der Gründung der DDR zu denken. |
In Dresden wurde am Abend am Außengelände des Hauptbahnhofes eine open air Kino Show installiert, in der mit historischen Bilderaufnahmen an die Ereignisse von vor 20 Jahren in Dresden
erinnert wurde (den letzten gefeierten Jahrestag der DDR-Gründung).
_________________ Autismus macht kein Urlaub.
"Seid unbequem. Seid Sand, nicht Öl im Getriebe der Welt." (Günter Eich)
"Sei Du selbst die Veränderung, die Du Dir für die Welt wünschst." (Mahatma Gandhi)
"Soldaten sind Mörder." (Kurt Tucholsky)
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DeHerg nun schon länger Ranglos
Anmeldungsdatum: 28.04.2007 Beiträge: 6525
Wohnort: Rostock
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(#1374174) Verfasst am: 08.10.2009, 03:52 Titel: Re: 60 Jahre DDR |
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Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Zu den Wendehälsen ein kleines Nachtgedicht:
Zitat: | Das sind die Praktiker dieser Welt,
die über Nacht sich umgestellt,
die sich zu jedem Staat bekennen,
man könnte sie auch Lumpen nennen. |
Skeptiker | ach bitte
diese Parteistruktur war doch geradezu prädestiniert rückgratlosen Kriechern die schnellsten Aufstiegsmöglichkeiten zu gewähren.
Das sich solche Persönlichkeiten bei einem Systemwechsel sofort ihren neuen Herren zu Füßen werfen ist doch echt kein Wunder.
Edit:Rechtschreibung
_________________ Haare spalten ist was für Grobmotoriker
"Leistung muss sich wieder lohnen"<--purer Sozialismus
Zuletzt bearbeitet von DeHerg am 08.10.2009, 11:54, insgesamt einmal bearbeitet |
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Skeptiker "I can't breathe!"
Anmeldungsdatum: 14.01.2005 Beiträge: 16834
Wohnort: 129 Goosebumpsville
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(#1374252) Verfasst am: 08.10.2009, 10:36 Titel: Re: 60 Jahre DDR |
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DeHerg hat folgendes geschrieben: | Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Zu den Wendehälsen ein kleines Nachtgedicht:
Zitat: | Das sind die Praktiker dieser Welt,
die über Nacht sich umgestellt,
die sich zu jedem Staat bekennen,
man könnte sie auch Lumpen nennen. |
Skeptiker | ach bitte
diese Parteistruktur war doch geradezu prädestiniert rückradlosen Kriechern die schnellsten Aufstiegsmöglichkeiten zu gewähren.
Das sich solche Persönlichkeiten bei einem Systemwechsel sofort ihren neuen Herren zu Füßen werfen ist doch echt kein Wunder. |
Ach, das sehe ich nicht so. Das, was Adorno als den autoritären Charakter bezeichnet hat, ist und bleibt die Domäne des Westens und zwar trotz der antiautoritären 68er-Bewegung. Das hat im Westen seine Gründe einfach im insgesamt asozialen Charakter von "Wirtschaft" und Politik. Diese Bereiche bleiben eben autoritär strukturiert, viel autoritärer als es die SED je war.
Willst Du das bestreiten?
Skeptiker
_________________ °
K.I.Z - Frieden
Das ist Postmoderne Ideologie! Psychologe und Philosoph analysieren RASSISMUS-Video
Informationsstelle Militarisierung e.V.
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L.E.N. im falschen Film
Anmeldungsdatum: 25.05.2004 Beiträge: 27745
Wohnort: Hamburg
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(#1374269) Verfasst am: 08.10.2009, 11:28 Titel: |
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_________________ Ich will Gott lästern dürfen! Weg mit §166 StGB!
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DeHerg nun schon länger Ranglos
Anmeldungsdatum: 28.04.2007 Beiträge: 6525
Wohnort: Rostock
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(#1374277) Verfasst am: 08.10.2009, 11:47 Titel: Re: 60 Jahre DDR |
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Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Willst Du das bestreiten? | es war ja nicht nur die Hierarchieordnung allein(in dem Bereich dürften beide sich nicht allzu viel nehmen) die solche Persönlichkeiten begünstigte. Sondern die Kombination aus Hierarchie und absoluter Monopolstellung der selben.
H. die sich in Konkurrenz miteinander befinden können es sich nicht leisten einem Übermaß an Kriechern den Vorzug vor echten Experten zu geben(da sie sonst ausgebootet werden), fällt diese Konkurrenz weg, nunja man hat ja gesehen was für ein selbstgerechter Haufen daraus geworden ist (zB an den Feiern zum 40.Jahrestag der DDR oder am Lied der Partei).
_________________ Haare spalten ist was für Grobmotoriker
"Leistung muss sich wieder lohnen"<--purer Sozialismus
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Skeptiker "I can't breathe!"
Anmeldungsdatum: 14.01.2005 Beiträge: 16834
Wohnort: 129 Goosebumpsville
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(#1374902) Verfasst am: 09.10.2009, 20:02 Titel: Re: 60 Jahre DDR |
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DeHerg hat folgendes geschrieben: | Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Willst Du das bestreiten? | es war ja nicht nur die Hierarchieordnung allein(in dem Bereich dürften beide sich nicht allzu viel nehmen) die solche Persönlichkeiten begünstigte. Sondern die Kombination aus Hierarchie und absoluter Monopolstellung der selben.
H. die sich in Konkurrenz miteinander befinden können es sich nicht leisten einem Übermaß an Kriechern den Vorzug vor echten Experten zu geben(da sie sonst ausgebootet werden), fällt diese Konkurrenz weg, nunja man hat ja gesehen was für ein selbstgerechter Haufen daraus geworden ist (zB an den Feiern zum 40.Jahrestag der DDR oder am Lied der Partei). |
In der BRD stehen auch Parteien in Konkurrenz zueinander. Trotzdem ist in jeder der großen Parteien die Arschkriecherei extrem. Es wird ja auch gar keine echte Kompetenz gebraucht, wenn sich die Politik sowieso von "der Wirtschaft" sagen lässt, was sie gefälligst zu tun und zu lassen hat.
Die SED wiederum war abhängig von den Weisungen aus Moskau. Und die Tüten dort hatten wiederum Angst vor der Mitbestimmung der Bevölkerung, so wie hier im Westen.
Ich sehe den Ausweg aus dem Radfahrer- und Arschkriecher-Phänomen im Bereich der Politik deshalb einzig in einer radikalen Demokratie unter Einbeziehung der ganzen Bevölkerung. Und ich nenne es Sozialismus, nenn' Du es, wie Du willst.
Hier noch ein bezeichnendes Zitat einer Kirchenfigur zur sogenannten "Revolution" in der ehemaligen DDR:
Zitat: | "Wenn je etwas das Wort Wunder verdient, dann ist es diese friedliche Revolution, die aus der Kirche kam, ein Wunder biblischen Ausmaßes."
Der Leipziger Pfarrer Christian Führer am Freitag im Deutschlandfunk über den Herbst 1989 in der DDR |
Aus der Reihe: "Sprüche, die die Welt nicht braucht" ...-!
Skeptiker
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K.I.Z - Frieden
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Antidogmatiker registrierter User
Anmeldungsdatum: 29.02.2008 Beiträge: 330
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(#1374923) Verfasst am: 09.10.2009, 20:50 Titel: Re: 60 Jahre DDR |
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Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Ach, das sehe ich nicht so. Das, was Adorno als den autoritären Charakter bezeichnet hat, ist und bleibt die Domäne des Westens und zwar trotz der antiautoritären 68er-Bewegung. |
Das zaristische Russland, das kaiserliche China, das römische Reich, das Hethiterreich und die ganzen anderen Hochkulturen, der Iran, das Afghanistan der Taliban usw. waren/sind ja gaaaar nicht autoritär...
Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Das hat im Westen seine Gründe einfach im insgesamt asozialen Charakter von "Wirtschaft" und Politik. Diese Bereiche bleiben eben autoritär strukturiert, viel autoritärer als es die SED je war.
Skeptiker |
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hainer frustrierter User
Anmeldungsdatum: 24.08.2006 Beiträge: 2539
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I.R auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 08.10.2006 Beiträge: 9142
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(#1375139) Verfasst am: 10.10.2009, 12:43 Titel: |
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"Wissen schützt vor Verklärung", so Köhler. Und dann in derselben Rede dieser Quark.
In 60 Jahren werden unsere Enkel lesen, dass Auslöser der Montagsdemos die öffentliche Enthauptung mehrerer Ausreisewilliger gewesen sei.
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Telliamed registrierter User
Anmeldungsdatum: 05.03.2007 Beiträge: 5125
Wohnort: Wanderer zwischen den Welten
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(#1389141) Verfasst am: 08.11.2009, 21:21 Titel: |
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In unhistorischer Weise wird häufig mit dem heutigen Wissen über den Ausgang der damaligen Ereignisse bei den Akteuren von 1989 ein viel höheres Maß an Informiertheit und Bewusstheit vorausgesetzt, als es damals tatsächlich vorhanden war.
Auf der großen, von den Künstlern organisierten Demonstration in Berlin am 4. November, die sich bei mir für immer als das herausragende Ereignis der Wendezeit eingeprägt hat, war bei den Teilnehmern und den Millionen Zuschauern an den Bildschirmen die Bundesrepublik überhaupt nicht präsent. Wenn heutige Kommentatoren, etwa im "Spiegel", Politiker des Jahres 1989 am 4. November einen "Sturm auf die Mauer" befürchten ließen, so lag ein solcher außerhalb der Denkweise der Demonstranten des 4. November. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die Berliner Stasi so etwas in ihren Lageberichten festhielt.
Der am 6. November veröffentlichte Entwurf eines Reisegesetzes wurde allgemein als unbefriedigend empfunden. Angesichts der Flut an Ausreisenden und Ausreisewilligen machte man sich zwar in der SED-Führung Gedanken über eine Organisation dieser ständigen Ausreise, um nicht völlig von dem Ansturm überrannt zu werden.
Etwas anderes aber war die Tatsache, dass seit etwa 1984 immer mehr DDR-Bürger zu Verwandtenbesuchen und zu Arbeitszwecken in die BRD reisen konnten - 1989 mochten es bereits 1 Million gewesen sein - die nach ihrer Rückkehr von den Zuständen dort berichteten. Noch im November 1989 wäre doch die überwiegende Mehrzahl der Kurzreisenden in den Westen wieder zurückgekehrt, sie hatten in der DDR ihren Arbeitsplatz, ihre Familien.
Das Problem war, dass für die DDR-Touristen, die ebenfalls einmal für kürzere Zeit in den Westen reisen wollten, einfach keine Valuta-Mittel vorhanden waren. Darüber verhandelte man noch, als der nichtsahnende Schabowski von seinem Zettel ablas: "Ab sofort".
Während also die DDR-Führung lediglich an die Flut der Flüchtlinge und der ständig Ausreisenden dachte, darunter sehr viele jüngere, aktive Menschen, dachte niemand daran, dass sich auch für die übrigen schlagartig die Möglichkeit eröffnen würden, einmal in den Westen zu gelangen.
Nichts war vorbereitet. Weder Schabowski selbst noch Krenz, weder Kohl in Warschau, noch Gorbatschow, Bush sen., Mitterrand oder Thatcher ahnten, welche Folgen die chaotischen Aktionen an den Grenzübergängen in jener Nacht für Folgen haben würden.
Als am 9. November erstmals die perfide "Ventillösung" der Stasi greifen sollte
- all die, die ungeordnet nach der erzwungenen Öffnung der Grenzübergänge besuchsweise in den Westen strömten, sollten eine Stempel in den Paß gedrückt bekommen, der ihre Rückkehr als unerwünscht erscheinen ließ, also kollektive "Ausbürgerung" -
wurde sie bereits noch in dieser Nacht zum 10. November für unpraktikabel angesehen und nicht mehr praktiziert. Die Leute, die nicht einmal eine Zahnbürste mitgenommen hatten, durften wieder durch die Grenzübergänge nach Hause in Ostberlin zurückkehren.
Die meisten, die kurz einmal in den Westen geschaut hatten, kehrten wieder zurück.
Doch nun, seit dem 9. November, war die unnatürliche Teilungssituation wieder allgemein ins Bewußtsein gerückt, in Sachsen und Thüringen eher als in Berlin. Noch einmal schwoll die Flüchtlingswelle an, weil viele nicht wussten, ob Krenz und Konsorten nach der Nacht vom 9. zum 10. November wieder eine Rückkehr zu ihrer "Normalität" herbeiführen würden. Niemand wusste, wie sich die Sowjetunion verhalten würde, ihre maßgeblichen Repräsentanten wussten es selbst nicht.
Wieder hätte man sich in die Schlange der Wartenden auf ein Visum einreihen müssen, wo man doch einmal - am 9. November und in den Tagen danach - völlig ungehindert hinüberspazieren konnte.
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Telliamed registrierter User
Anmeldungsdatum: 05.03.2007 Beiträge: 5125
Wohnort: Wanderer zwischen den Welten
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(#1389146) Verfasst am: 08.11.2009, 21:54 Titel: |
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Am 9. November besuchten wir einen Kollegen in seiner Wohnung in Berlin-Pankow, der dort seinen 65. Geburtstag beging und zugleich den Übergang in den Ruhestand vorbereitete. Morgen begeht er bei guter Gesundheit seinen 85. Geburtstag, doch bereits außerhalb Berlins.
Er konnte nicht ahnen, daß wenige Zeit später Eigentümer aus dem Westen ihre Rückübertragungsansprüche anmelden würden und er in ein Dorf nördlich von Berlin umziehen müsste. Die meisten von uns ahnten nicht einmal - so auch ich -, dass wir Mietwohnungen bewohnten, deren Eigentümer im Westen saßen und 40 Jahre gewartet hatten. Auch meine Eltern mussten ihre Wohnung verlassen, in der sie seit Jahrzehnten gewohnt hatten. Doch das war einige Jahre später. Dabei waren viele der Alteigentümer schon einmal entschädigt worden. Prinzip "Rückübertragung vor Entschädigung".
An jenem Abend des 9. November 1989 gingen wir nach besagter Geburtstagsfeier nach Hause und sahen die Nachrichten. Schon als Krenz am 18. Oktober der Nachfolger Honeckers geworden war, wurden mit ihm keinerlei Hoffnungen verbunden. Wir sahen immer den grinsenden FDJ-Häuptling, selbst wenn er persönlich nicht das Zeug zu einem gewaltsam regierenden Diktator gehabt hatte und sich nur aus sturer Gewohnheit, Merkbefreitheit und Dussligkeit positiv zum Vorgehen auf dem Platz des Himmlischen Friedens geäußert hatte.
Es gibt die Filmübertragung, die zeigt, wie Egon nach der stundenlangen ZK-Tagung vor das ZK-Gebäude tritt und sich dort einer wartenden Masse gegenübersieht. An der Tür mochten noch seine Anhänger, ehemalige FDJ-Funktionäre, auf ihn gewartet haben, eine Frau hält ihr Parteidokument in die Kamera und ruft: "Egon kommt!" Niemand hat ihm jedoch gesagt, dass er bereits nicht mehr als erwünscht angesehen wurde. Auf den Plakaten war zu lesen "Hans Modrow nach vorn!" Pfiffe gellten, Krenz blickte völlig verstört, das hatte er nicht erwartet ...
Es gab immer noch keinen Aufstand im Zentralkomitee gegen die bisherige Führung, obwohl jetzt bekannt wurde, dass sich der Staat ökonomisch in einer außerordentlich ernsten Situation befand, wenn auch nicht pleite war, wie Staatsbank-Direktor Ewald Most noch einmal in seinen gedruckten Erinnerungen (2009) festhielt, gestützt auf Experten wie Rohwedder.
Allein der Arzt Moritz Mebel http://de.wikipedia.org/wiki/Moritz_Mebel
formulierte auf der ZK-Tagung den anwachsenden Protest, gerade das Gesundheitswesen stand vor dem Abgrund, so dass mir zum Beispiel eine Frauenärztin eine Mandelvereiterung behandelte und im Sozialversicherungsausweis attestierte, weil keine anderen Ärzte mehr in der Klinik anwesend waren.
Schabowski redet und redet. Der entscheidenden Stelle - mit dem Zettel - haben wir gar keine Bedeutung beigemessen. Auf der Straße, in der wir wohnten - etwa 200 Meter von der Mauer entfernt - schwoll indes der Lärm an. Ich konnte nicht schlafen und hörte im Radio die Übertragung aus dem Deutschen Theater, wo der Prozeß gegen Walter Janka 1957 rekonstruiert wurde. Dann ertönte die Stimme meiner Thüringer Landsmännin Veronika Fischer - die war doch 1981 in den Westen gegangen, und wer dort geblieben war, durfte sich nicht mehr im Radio vernehmen.
Ich weckte meine Frau mit den Worten: "Die Mauer ist geöffnet worden!"
Als wir das erste Mal zu Fuß nach Westberlin zogen, staunten wir über die vielen in Privatbesitz befindlichen Kameras. Wenn wir jetzt gefilmt würden und das alles bald wieder zu Ende wäre, die Grenze wieder geschlossen würde?
Ich wollte mir einen jahrzehntelang gehegten Wunsch erfüllen und das Schloß Wilhelm von Humboldts in Berlin-Tegel sowie sein Grab im dortigen Park besichtigen. Dort angelangt, empfingen mich eine Sperrkette und ein Schild: "Privatbesitz! Betreten verboten". Dann begann die "Ankunft im Westen", wo ich null Verwandtschaft hatte und kaum eine Menschenseele persönlich kannte.
Und nun schreibe ich in einem Internet-Forum, in dem man sogar aus Kanada oder dem Nahen Osten mitlesen kann. Diese Geschichten schon einmal gepostet? Senil oder wat, ist mir jetzt aber egal. Morgen ist das Jubiläum.
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Bravopunk Sugoi Dekai :D
Anmeldungsdatum: 08.03.2008 Beiträge: 32509
Wohnort: Woanders
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Critic oberflächlich
Anmeldungsdatum: 22.07.2003 Beiträge: 16338
Wohnort: Arena of Air
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(#1389193) Verfasst am: 08.11.2009, 23:12 Titel: |
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I.R hat folgendes geschrieben: | "Wissen schützt vor Verklärung", so Köhler. Und dann in derselben Rede dieser Quark.
In 60 Jahren werden unsere Enkel lesen, dass Auslöser der Montagsdemos die öffentliche Enthauptung mehrerer Ausreisewilliger gewesen sei. |
Anläßlich einer Kundgebung in Erinnerung des Mauerbaus sagte ein Mitglied der Linken, daß die "Utopie einer besseren Gesellschaft" damit zugrunde gegangen sei. Nun, eh es jetzt heißt, das seien ja doch nur die alten SED-Betonköpfe, das ist doch etwas Selbstkritik. Allerdings würde ich das Datum was früher ansetzen, öffentlich wirksam sicher der 17.Juni 1953, als anders als 1989 das Regime die Demonstranten mit Panzern auseinandertreiben ließ, aber wohl schon der Moment, als im Geheimen der Verfasser des ersten kritischen Flugblattes nach Sibirien geschickt wurde (oder Schlimmeres)...
Und andererseits, so mahnen heute die Zeitzeugen, sei die DDR ja auch nicht nur Diktatur und Mangelwirtschaft gewesen, sondern es hätten dort auch Menschen gelebt und sich ihre Freiräume geschaffen. Die Gefahr bestehe, daß das Eine so sehr stark in den Vordergrund gerückt, das Andere aber vergessen werde. Die Frage sei, werde die Stasi dadurch relativiert, daß Millionen Menschen in der DDR auch ihre Kinder aufgezogen haben...
_________________ "Die Pentagon-Gang wird in der Liste der Terrorgruppen geführt"
Dann bin ich halt bekloppt.
"Wahrheit läßt sich nicht zeigen, nur erfinden." (Max Frisch)
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1389228) Verfasst am: 08.11.2009, 23:27 Titel: |
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Ich war in den 70ern in der damaligen DDR, bei Verwandten meiner damaligen Frau (man sieht, vieles ist vergänglich). Eine Satz werde ich nie vergessen: "Weißt du, warum die Russen hier nie einmarschieren werden, wie in die Tschechoslowakei ein paar Jahre vorher? Sie sind schon da!" Ein ganz befremdliches Gefühl, der Kontakt mit den Grenzern. Es waren Deutsche, aber auf eine Art, die ich nicht kannte. Und die Waffe, die sie nur ganz leicht neben einen richteten, machte die Sache auch nicht besser. Ich war froh, als ich wieder zu Hause war. Heute geht meine Tochter in der Nähe von Dresden zur Schule und wir sind öfter bei ihr zu Besuch und fühlen uns in Dresden und Umgebung sehr wohl - der Landschaft wie der Leute wegen. Vieles mag in den letzten 20 Jahren nicht gut gelaufen sein, und doch: ich finde, endlich ein 9.11. in der deutschen Geschichte, den wir feiern können.
_________________ "Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."
Friedrich Nietzsche
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Telliamed registrierter User
Anmeldungsdatum: 05.03.2007 Beiträge: 5125
Wohnort: Wanderer zwischen den Welten
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(#1389355) Verfasst am: 09.11.2009, 10:24 Titel: |
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Am 3. Dezember 1989 war eine Staatskrise in der DDR herangereift. Das Zentralkomitee und das Politbüro traten geschlossen zurück, Egon Krenz gab seine Funktion als Generalsekretär der SED auf.
Die Macht lag buchstäblich auf der Straße. Die Regierung Modrow, die nur noch 28 statt früher 42 Minister aus allen fünf Parteien einschloß, hatte begriffen, dass sie ausführendes Organ eines Parlaments war, der vorletzten Volkskammer der DDR. Am 13. November hatten Mitglieder der bisherigen Partei- und Staatsführung vor der Volkskammer binnen weniger Stunden erfahren müssen, dass das Parlament nicht mehr ihr Erfüllungsgehilfe war. Der bisherige Ministerpräsident Willi Stoph und Volkskammerpräsident Horst Sindermann stammelten unverständliches Zeug, der Finanzminister Höffner konnte oder wollte nicht angeben, wie hoch die Staatsverschuldung wirklich sei, und dann kam Mielke in Zivil, der die Abgeordneten als "Genossen" anredete, mit seinem unvergessenen "Ich liebe alle Menschen ... ich setzte mich doch dafür ein", als ihm Unverständnis aus den Reihen von CDU und LDPD entgegen geschlagen war.
Völlig ungläubig starrten wir auf den Bildschirm, was die bisher Mächtigen zu bieten hatten. Bei "ich liebe doch alle" ging ich mit den Worten "Ach Du liebe Sch...!"unter den Tisch..., meine Frau rief: "Das darf doch nicht wahr sein!" Innerhalb weniger Minuten hatten sich Leute, die jahrzehntelang die Macht innehatten, vor Millionen Zuschauern in lächerliche Greise verwandelt.
Es war die Zeit, da man Demonstrationen in Berlin sah, fragte, worum es gehe, die Teilnehmer wussten es entweder oder wussten es selber nicht. Man demonstrierte mit und eilte nach Hause, um noch am gleichen Abend die Demonstration im Fernsehen zu sehen. Und dennoch ruhten die Arbeiten nicht - brave deutsche Revolutionäre - und ich erinnere mich, trotz dieser Anspannung in diesen Tagen eine Menge fertiggestellt zu haben.
Also am 3. Dezember die Staatskrise, weil ja doch die Parteiführung abgetreten war. Doch die Opposition mit "Neuem Forum" und "Demokratie jetzt", ganz zu schweigen von der Sozialdemokratie, war erst seit wenigen Tagen zugelassen und noch längst nicht in der Lage, Machtfunktionen zu übernehmen. Es traten erstmals die Staatsanwälte in Aktion und bereiteten Anklagen wegen Amtsmißbrauch und Entfremdung von Staatsgeldern vor.
Erich Honecker wurde in Wandlitz unter Hausarrest gestellt, Kurt Hager, Günter Mittag und Gerhard Müller (1. Sekretär von Erfurt), Kurt Wildenhayn als Chef der Finanzen der SED wurden verhaftet. Am 3. Dezember setzte sich Alexander Schalck-Golodkowski panisch nach Westberlin ab, er fürchtete einen Mordanschlag, weil er zu viel wusste.
Gegenüber unserer Wohnung durchsuchte die Polizei das Gebäude der Außenhandelsfirma INEX, eine Zentrale des "KoKo"-Schattenimperiums von Schalck-Golodkowski.
Inzwischen hatte sich ein zwanzigköpfiges Aktionskomitee versammelt, das die Führung der SED provisorisch übernehmen sollte. An seiner Spitze stand "Tomaten"-Kroker, der Direktor des Kombinats VEB Umformtechnik in Erfurt Herbert Kroker, der seinen Beinamen durch folgende Begebenheit erhielt: Im Jahre 1984 fand ein Bankett der Führung des Bezirkes Erfurt statt, als der angesäuselte Herbert Kroker plötzlich ausrief: "Und an allem ist der Kleine dort schuld!" und eine Tomate auf das Honecker-Bild warf. Die Anwesenden, darunter der Generalleutnant der Stasi Weikart, erstarrten zu Salzsäulen. Kroker erhielt zwar eine Parteistrafe, aber solche Spezialisten wie er wurden dennoch dringend gebraucht.
Jetzt amtierte dieses Aktionskomitee aus Leuten, die bisher nicht im Rampenlicht der Öffentlichkeit gestanden hatten. Mit der Begründung, er habe am 4. November auf dem Alexanderplatz eine bemerkenswerte Rede gehalten ("Rechtssicherheit ist die beste Staatssicherheit"), wurde der bisher einer breiten Öffentlichkeit kaum bekannte Vorsitzende des Kollegiums der Rechtsanwälte, Gregor Gysi, in dieses Komitee geführt, das ihm große Vollmachten erteilte.
Am Abend zogen Zehntausende Demonstranten in die Innenstadt. Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften - von denen es 27.000 gab, darunter Angela Merkel und Wolfgang Thierse - besetzten das ZK-Gebäude. Die Computer-Festplatten wurden von Informatikern gesichert (dort gab es also wie in Armee und Stasi Computer, die die Masse der Bevölkerung noch nicht kannte). Die dort befindlichen Finanzen wurden beschlagnahmt, denn es war zu erwarten, dass Mitglieder der alten Führung die Gelder noch fortschaffen würden. Die Juristen verfassten Papiere zur rechtlichen Absicherung dieser "revolutionären" Maßnahmen. Als Krenz am nächsten Morgen in sein Büro gehen wollte, traf er seine weinende Sekretärin an. Seine Papiere wurden beschlagnahmt.
In den darauf folgenden Tagen normalisierte sich die Lage allmählich.
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MountainKing registrierter User
Anmeldungsdatum: 31.05.2006 Beiträge: 1438
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(#1389390) Verfasst am: 09.11.2009, 11:48 Titel: |
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Unsere Schulklasse (POS) hatte für den Herbst 1989 (unser letztes Schuljahr) ihre Abschlussfahrt geplant und zwar nach Leningrad. Ich bin mit einigen anderen Mitschülern, die wie ich keine Pioniere und FDJ-ler waren, dafür extra in die DSF eingetreten. Der Tag unseres Abfluges war der 7.11. und ich erinnere mich noch, wie wir am Abend vorher während "Knight Rider" (meine Schwester war zu dieser Zeit Hasselhoff-Fan ) eine Laufschrift mit Informationen über Schabowskis Pressekonferenz sahen. Allerdings bin ich bald danach schlafen gegangen, da wir früh aufstehen mussten um zum Flughafen nach Berlin-Schönefeld zu gelangen. Während also ganz Berlin in den Westen strömte, flogen wir in die entgegengesetzte Richtung und verbrachten die nächsten Tage in Leningrad als zweitklassige Hoteltouristen (für die Finnen gab es spezielle Räumlichkeiten und Veranstaltungen). Da natürlich trotz jahrelangen Unterrichts unsere Russischkenntnisse äußerst mangelhaft waren, blieben wir auf die SU-Medien und unsere Russischlehrerein angewiesen, was die Information über die aktuellen Ereignisse nicht gerade erleichterte. Wir haben also letztlich von diesen aufregenden nächsten Tagen quasi nichts mitbekommen, was ich heute noch sehr bedauere.
Hinzu kam, dass wir nur auf der Hinreise ein Flugzeug benutzten, der Rückweg per Bahn war eine Abenteuerreise für sich. Eigentlich sollten wir am Montag schon wieder in die Schule gehen, sind jedoch erst am Mittwoch Abend wieder daheim angekommen. Ich erinnere mich noch vage, dass gerade das WM-Qualifikationsspiel DDR-SU lief. Witzig war vor allem die Ankunft in Berlin, weil dort plötzlich alle mit ALDI-Tüten herumliefen und wir schon glaubten, wie wären aus Versehen zu weit gefahren.
Aus persönlicher Sicht hatte ich das Glück, dass die Wende kurz vor der Zeit in meinem Leben kam, in der meine Entscheidungen (Nichteintritt in die Kinder/Jugendorganisationen, keine Jugendweihe, Bausoldat) zu wirklich ernsten Konsequenzen geführt hätten. Sicher ist, dass ich ohne sie weder mein normales Abitur, noch meine Berufsausbildung und mein Studium abgeschlossen hätte (von meiner Freundin, die ich nie hätte treffen können, ganz abgesehen). Auch wenn ich wenig direkt Negatives mit meiner Kindheit/früher Jugend verbinde, die Kollektivierung und Zensur sind mir auch damals schon zuwider gewesen und ich schätze gerade die größere individuelle Freiheit als sehr hohes Gut. Ich kenne aus familiären Hintergründen (hauptsächlich engagierte Christen), aus Bekanntenkreisen und nicht zuletzt aus meiner heutigen Archivtätigkeit einige teilweise bestürzende Details von Stasi/Polizei-Aktivitäten, deren Leugnung und Verdrängung ich entsprechend widerlich finde. Trotzdem bin ich für eine differenzierte Betrachtung des Einzelfalls und auch der Rolle und des Aufbaus der DDR. Irgendeine positive emotionale Beziehung zu ihr hatte/habe ich aber nie entwickelt.
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goatmountain auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 10.10.2009 Beiträge: 2810
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(#1389420) Verfasst am: 09.11.2009, 13:11 Titel: |
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mal abgesehen von liebes- und familiearen dingen, war der mauerfall das beste, was mir in meinem bisherigen leben passiert ist.
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Telliamed registrierter User
Anmeldungsdatum: 05.03.2007 Beiträge: 5125
Wohnort: Wanderer zwischen den Welten
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(#1389433) Verfasst am: 09.11.2009, 13:51 Titel: |
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@MountainKing
Von Februar bis April 1989 war ich in Moskau und dann im Mai und Juni in Leningrad während der Zeit des ersten frei gewählten Volkskongresses. Jeden Tag erreichten dort Enthüllungen über die stalinistische Vergangenheit die Menschen, die mit Transistor-Radios auf der Straße umherliefen. In den Geschäften standen Fernseher, um die sich Trauben bildeten, wenn die "Schestsot sekund" Ungeheuerliches über Kriminalität, Aufdeckung von Verbrechen der Vergangenheit und Umweltvernichtung brachten.
Seitdem ich sah, wie man aus der Petri-Kirche in Leningrad ein Schwimmbad gemacht hatte und die Berichte über die Zerstörung von Kirchen und die Ermordung von Priestern las, kann ich auch nicht viel Sympathie für die Art Kirchen- und Bilderstürmerei aufbringen, wie sie mitunter im FGH zutage tritt, wenn ich auch verstehen kann, wo so etwas bei jüngeren Leuten mit zuvor kirchlichem Hintergrund herkommen dürfte.
Heute ist das Leid des 20. Jahrhunderts wieder weitgehend in den Familien verschlossen, die Enthüllungen von "Memorial" und anderen Organisationen erreichen nur einen Teil der Bevölkerung.
Als ich in die DDR zurückkam, wunderte ich mich, wie ruhig alles noch war. Diese Ruhe vor dem Sturm war begreiflich, da Anfang Juni gerade erst die Greuel in Peking geschahen. Im Sommer wurde klar, dass Honecker schwer erkrankt und Krenz in den Urlaub geschickt worden war, während Zehntausende das Land verließen. Aus der Zentrale in Berlin kamen keinerlei Informationen mehr, wie man es vorher gewohnt war, so dass das führerlose Land immer mehr im Ungewissen schwebte und Ratlosigkeit um sich griff.
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26440
Wohnort: im Speckgürtel
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(#1389463) Verfasst am: 09.11.2009, 14:52 Titel: |
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Meine Erinnerung an diese Zeit ist völlig anders: Ich kam um den 10 Dez. von einer 3-monatigen Fahrt aus grönländischen Gewässern zurück nach Hamburg und wir hatten dort oben so gut wie nichts mitbekommen, weil der Reeder (Ministerium für Landwirtschaft und Forsten!) irgendeine Gebühr gespart hatte und wir deshalb keine Zeitung über Funk bekamen, für normales Radio ist dort oben ein ziemliches Funkloch.
Das hier etwas passiert war, bemerkte ich, als ich am nächsten Tag bei Brinkmann in der Mönckebergstraße statt normal einkaufen zu können, in einer langen Schlange stand und hinter und vor mir deutlich sächsische Laute zu hören waren.
fwo
_________________ Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.
The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.
Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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goatmountain auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 10.10.2009 Beiträge: 2810
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(#1389471) Verfasst am: 09.11.2009, 15:06 Titel: |
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fwo hat folgendes geschrieben: | Meine Erinnerung an diese Zeit ist völlig anders: Ich kam um den 10 Dez. von einer 3-monatigen Fahrt aus grönländischen Gewässern zurück nach Hamburg und wir hatten dort oben so gut wie nichts mitbekommen, weil der Reeder (Ministerium für Landwirtschaft und Forsten!) irgendeine Gebühr gespart hatte und wir deshalb keine Zeitung über Funk bekamen, für normales Radio ist dort oben ein ziemliches Funkloch.
Das hier etwas passiert war, bemerkte ich, als ich am nächsten Tag bei Brinkmann in der Mönckebergstraße statt normal einkaufen zu können, in einer langen Schlange stand und hinter und vor mir deutlich sächsische Laute zu hören waren.
fwo |
da hast due den beweis: mir sachsn sin oll over te world
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Alchemist registrierter User
Anmeldungsdatum: 03.08.2004 Beiträge: 27897
Wohnort: Hamburg
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(#1389513) Verfasst am: 09.11.2009, 17:40 Titel: |
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Ich persönliche begrüße natürlich den Fall der Mauer etc., einfach weil es dadurch ein Unrechtsregime weniger auf der Welt gab.
Aber ebenso hätte meinetwegen die DDR auch weiterhin ein eigenständiger Staat bleiben können, ich meine natürlich ohne den ganzen Scheiß. Diesen ganzen Pathos wie "es kam zusammen, was zusammen gehört" kann ich nicht nachempfinden.
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1389516) Verfasst am: 09.11.2009, 17:49 Titel: |
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Alchemist hat folgendes geschrieben: | Ich persönliche begrüße natürlich den Fall der Mauer etc., einfach weil es dadurch ein Unrechtsregime weniger auf der Welt gab. |
Zustimmung.
Alchemist hat folgendes geschrieben: |
Aber ebenso hätte meinetwegen die DDR auch weiterhin ein eigenständiger Staat bleiben können, ich meine natürlich ohne den ganzen Scheiß. Diesen ganzen Pathos wie "es kam zusammen, was zusammen gehört" kann ich nicht nachempfinden. |
Nach dir ging es aber nicht. Die Mehrzahl der ehemaligen DDR-Bürger sah das anders, und heute ist es die Mehrheit in Ost- und West. Ein selbständiger Staat DDR hätte nur den Sinn gehabt, die hohen Transferleistungen zu vermeiden, also die Ostdeutschen die Suppe selbst auslöffeln zu lassen, die ihnen die Geschichte eingebrockt hatte. Das war übrigens die Idee von Herrn Lafontaine.
_________________ "Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."
Friedrich Nietzsche
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26440
Wohnort: im Speckgürtel
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(#1389518) Verfasst am: 09.11.2009, 17:57 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | ....Ein selbständiger Staat DDR hätte nur den Sinn gehabt, die hohen Transferleistungen zu vermeiden, also die Ostdeutschen die Suppe selbst auslöffeln zu lassen, die ihnen die Geschichte eingebrockt hatte. Das war übrigens die Idee von Herrn Lafontaine. |
Da müsste man sich wohl wirklich sein damalige Rede einmal ansehen. Ich habe ihn damals so verstanden, dass die DDR ersteinmal fit gemacht werden müsste, bevor man versucht, sie anzuschließen. Das was dann stattdessen über die Treuhand veranstaltet wurde, ist deshalb auch von vielen als Ausverkauf und Plattmachen und Bestätigung Lafontaines empfunden worden.
fwo
_________________ Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.
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Effô Tisetti Königsblau bis in den Tod
Anmeldungsdatum: 18.09.2003 Beiträge: 9920
Wohnort: 75
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(#1389522) Verfasst am: 09.11.2009, 18:17 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Die Mehrzahl der ehemaligen DDR-Bürger sah das anders, und heute ist es die Mehrheit in Ost- und West. Ein selbständiger Staat DDR hätte nur den Sinn gehabt, die hohen Transferleistungen zu vermeiden, also die Ostdeutschen die Suppe selbst auslöffeln zu lassen, die ihnen die Geschichte eingebrockt hatte. |
Ich war damals noch verhältnismäßig jung, hatte aber auch gedacht: "Die sind jetzt frei und können die guten Dinge aus Ost und West in einem modernen, eigenen Staat verwirklichen." Natürlich war das unrealistisch, weil die D-Mark rief, die Wirtschaft kollabiert war und der Bedarf an politischen Experimenten gen Null tendierte. Außerdem war für mich - anders als für die alte Garde - die DDR ganz klar Ausland, zu dem ich wenig Bezug hatte - so wie Österreich halt. Trotzdem bleibt da irgendwie der Geruch der verpassten Chance. Aber selbst dieser Geruch verzieht sich, wenn man sich die anderen ehemaligen Ostblockstaaten anschaut - vor denen ich natürlich trotzdem großen Respekt habe, weil die nämlich ganz ohne Transferleistungen die Suppe auslöffeln mussten und müssen.
_________________ "Die einfache Formel: Jesus ist stärker! hilft Menschen, sich aus der Fixierung völlig irrationaler Wertesysteme zu lösen."
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Bravopunk Sugoi Dekai :D
Anmeldungsdatum: 08.03.2008 Beiträge: 32509
Wohnort: Woanders
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(#1389533) Verfasst am: 09.11.2009, 18:52 Titel: |
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^^ hihi. Ist ja fast wie bei Gevatter Knopp hier.
Dann will ich auch mal eine kleine Anekdote zum Besten geben. Viel kann ich leider nicht sagen. Ich war damals höchstens sechs Jahre alt. Von Unrechtsstaat und Stasikontrolle und all den Bockmist hab ich nix mitbekommen. Ich merkte nur, dass wir über eine Grenze zu unseren Verwandten fuhren. Der Grenzer und die lange Autoschlange vor der Schranke, sind mir im Gedächtnis geblieben. Das war für mich aber inetwa, wie wenn man nach Österreich gefahren wäre. Das dies andere Land auch Deutschland sein soll oder einfach ist, habe ich da nicht direkt wahrgenommen.
Was mir auffiel waren die verschlissenen Häuser dort. Als ich vor 8 Jahren das letzte Mal in Ostdeutschland war, gab es die da nur noch vereinzelt.
Was bei mir besonders hängen blieb waren die Daddelautomaten in den Gaststätten. Atari oder so. Auf jeden Fall konnte man da Skifahren. Das war mein Lieblingsspiel.
Sonst war mir damals kein großer Unterschied zu Westdeutschland aufgefallen. ... Ach doch. Eines schon: Unsere Verwandten hatten einen Gefrierschrank mit Brot.
Über den Mauerfall kann ich auch nix berichten. Nur, dass bei uns viel der Fernseher lief und andauernd Bilder davon gezeigt wurden. Vom Dicken, der ins Feuerwerk gafft und von Leuten, die mit Hämmerchen Bröckchen aus der Mauer haun und von einem Kran, der eine ganze Sektion davon weghub und natürlich von Trabis, die umjubelt über die Grenze fuhren. Also kurz: Nix, das nicht jeder von uns kennt und an dass er sich nicht erinnert. Von all den anderen Dingen, die da in der DDR abgingen (angefangen schon mit den Montagsdemos) hab ich nix mitbekommen. Wohl weil ich auch zu jung war und es mich nicht interessiert hat.
Um so interessanter das ganze Mal aus eurer Perspektive zu lesen. Danke nochmal.
_________________ Das Begräbnis der Freiheit
Kaguya-hime
Kanashikute Yarikirenai
Ceterum censeo Russiam delendam esse!
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Evilbert auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 16.09.2003 Beiträge: 42408
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(#1389550) Verfasst am: 09.11.2009, 19:16 Titel: |
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Pfingsten 1989 war ich erstmals in Ost-Berlin. Ein bischen nervös, weil uns im Westen ja gelegentlich eingebleut wurde, das die Ossis phöse Nazikommunisten seien.
Auf der Reinreise hat mich der NVA-Soldat, der meinen Pass kontrollierte mich verscheissert, weil ich mir grad über die (langen) Haare strich. Er reichte mir den Pass zurück und fragte mich grinsend ob er mir seinen Kamm leihen solle.
Das hat das Eis gebrochen. Am Abend der Grenzöffnung hab ich an ihn denken müssen.
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moecks registrierter User
Anmeldungsdatum: 20.03.2009 Beiträge: 4560
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(#1389574) Verfasst am: 09.11.2009, 19:46 Titel: |
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Ich habe die Grenzöffnung damals verschlafen. War ja erst 7 Jahre alt und am nächsten Tag war Schule. Ich finds schade das ich noch so jung war und die große Bedeutung dieses Ereignisses nicht wirklich verstehen konnte. In der Schule damals haben danach jeden Tag ein bis zwei Mitschüler gefehlt. Diese haben mit ihren Eltern den Westen besucht. Ich war dann Anfang Dezember das erste mal in Bayern. Zusammen mit meiner Mutter und meiner Schwester standen wir in einer Schlange in einem Gebäude wo es das Begrüßungsgeld gab. Dort an der Wand hing ein Kruzifix. Ich habe bestimmt geschätzte zehn Minuten nur auf dieses Teil gestarrt. Ich hab sowas noch nie vorher gesehen. Ich wusste nicht mehr was ich von denen halten sollte, wenn die da einen Menschen der an ein Kreuz genagelt ist an ihre Wände hängen.
An die Zeit vor dem Mauerfall habe ich hauptsächlich positive Erinnerungen. Ich kann mich aber noch daran erinnern wie versucht wurde uns im Kindergarten schon politisch zu "drillen". Es wurden Geschichten von Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Ernst Thälmann erzählt und wie toll die doch alle waren. Die wirkung hielt sich aber in Grenzen. Sprüche wie: "Der Sozialismus ist viel menschlicher und wird dezhalb den Kapitalismus bald verdrängen" versteht ein normaler sechsjähriger noch nicht.
Sonst weiss ich noch das wir immer das Fernsehprogramm umgeschaltet habenwenn es an der Tür geklingelt hat. Von ARD/ZDF zu DDR1/DDR2. (Wir wohnten nur 30km von der Grenze weg und hatten besten West-TV Empfang. Auf dem Spielplatz hat mich einmal ein Mann mit böser Stimme gefragt wo ich das denn her hatte als ich das Lied aus der Haribo Werbung sang und wie mein Name ist. Glücklicherweise kam meine ältere Schwester dazu und sagte ihm das andere Kinder das gesungen hätten.
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26440
Wohnort: im Speckgürtel
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(#1389583) Verfasst am: 09.11.2009, 19:54 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | ....Ein selbständiger Staat DDR hätte nur den Sinn gehabt, die hohen Transferleistungen zu vermeiden, also die Ostdeutschen die Suppe selbst auslöffeln zu lassen, die ihnen die Geschichte eingebrockt hatte. Das war übrigens die Idee von Herrn Lafontaine. |
Die Originalrede ist leider in dem Tempo für mich nicht zu finden - es wird allerdings an verschiedenen Ecken Bezug darauf genommen:
Die uni-protololle fassen es so zusammen: Zitat: | Widerstand von SPD und Intellektuellen
Die rasche Wiedervereinigung die von den Demonstranten in der DDR aber auch im Westen gefordert wird stößt bei weiten Teilen der westdeutschen Intellektuellen auf Widerstand. Oskar Lafontaine aber auch Günter Grass sprechen sich gegen eine sofortige Einheit aus. Lafontaines Sorgen um die Überlebensfähigkeit der DDR-Wirtschaft erwiesen sich als begründet; Sorge um ein aggressives Großdeutschland stellten sich als unbegründet heraus. |
Wikipedia schreibt dazu: Zitat: | Nach dem Fall der Berliner Mauer sagte Lafontaine, er wolle einen Kollaps der DDR-Wirtschaft und politische Komplikationen mit den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs vermeiden. Um DDR-Bürger verstärkt zu bewegen, in ihrer Heimat zu bleiben, schlug er Wirtschaftshilfen für die DDR vor. Am 27. November 1989 riet er zudem dazu, den Zuzug von DDR-Bürgern in die Bundesrepublik administrativ zu begrenzen. Er beauftragte die saarländische Staatskanzlei, zu prüfen, ob die Übersiedlung rechtlich von einem Nachweis von Wohnsitz und Arbeitsplatz im Westen abhängig gemacht werden könne. Dies stieß auf Kritik auch von Parteifreunden. Der SPD-Parteivorsitzende Hans-Jochen Vogel warf ihm vor:[3] „Die bauen Mauern ab, und Du versuchst, sie aufzurichten.“
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Daraufhin warnte Lafontaine beim Berliner Parteitag der SPD am 18. Dezember 1989 vor „nationaler Besoffenheit“. Zur Mitgliedschaft eines vereinten Deutschlands in der NATO, wie sie Kanzlerberater Horst Teltschik kurz zuvor öffentlich gefordert hatte, sagte er: „Welch ein historischer Schwachsinn!“ Er kritisierte, dass Kohl seinen Plan nicht mit den damaligen Siegermächten abgestimmt hatte. Darin stimmte er mit Michail Gorbatschow überein, der die Eigenstaatlichkeit der DDR damals noch bewahren wollte und auch die Ostausdehnung der NATO ablehnte. Lafontaine bezeichnete Kohls Pläne als unbezahlbar und erhielt dafür Zustimmung vom damaligen Bundesbankpräsidenten Karl Otto Pöhl.....
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Oder zur Währungsunion Jörg Rösler hier
Zitat: | Doch nach dem März 1990 war vom Saar-Beispiel kaum noch die Rede. Vermutlich, weil es einen auffälligen "Schönheitsfehler" besaß: Damals, bei der "kleinen Wiedervereinigung", stand die Währungsunion nicht am Anfang, sondern am Ende des Vereinigungsprozesses. Diese Reihenfolge hatten die damaligen Unterhändler für unumgänglich erachtet. Die Ökonomie des Saarlandes benötige die Zeit, um sich an die wirtschaftlichen Gegebenheiten der Bundesrepublik anzupassen, hieß es. Denn nach Expertenmeinung stand außer Frage, dass der Übergang der Saarindustrie von der einen Marktwirtschaft (der französischen) in die andere (die bundesdeutsche) alles andere als ein Spaziergang sein würde. Diejenigen, die gemeint hatten, die Unterschiede in den Wirtschaftssystemen würden überbewertet, sollten eines Besseren belehrt werden. Rückblickend musste die saarländische Landesregierung 1962 bekennen: "Die Anpassung war zweifellos nicht leicht, denn das System der sozialen Marktwirtschaft der Bundesrepublik wich von der stark protektionistisch aufgebauten saarländischen und französischen Wirtschaftsverfassung entschieden ab." Aus dem saarländischen Beispiel ließ sich unschwer schlussfolgern, dass es selbst bei einer schrittweisen Einführung der bundesdeutschen Marktwirtschaft für die DDR zu erheblichen Problemen kommen würde.
Mit anderen Worten: Wer die Konditionen des wirtschaftlichen Anschlusses der Saar an die Bundesrepublik kannte, musste wissen, dass es einem Vabanque-Spiel gleichkam, die deutsche Einheit mit einer Währungsunion einzuleiten. Vermutlich deshalb wurden vereinzelte Anregungen in den Medien, sich des saarländischen Paradigmas anzunehmen, von der bundesdeutschen Politik kaum aufgegriffen. Nur einer nahm Stellung: Oppositionsführer Oskar Lafontaine. In seinem Memoirenband Das Herz schlägt links erinnert sich der SPD-Kanzlerkandidat von 1990 an seine Vereinigungspläne: "Mir schwebte ein ähnlicher Weg vor wie 1955 im Saarland". |
Man muss Lafontaine nicht mögen, aber man sollte ihm auch nichts in die Schuhe schieben, was definitv nicht hineinpasst.
fwo
_________________ Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.
The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.
Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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