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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1585577) Verfasst am: 13.12.2010, 18:48 Titel: |
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Myron hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
"innere Wahrnehmung" ist für mich keine Quelle von Wissen. |
Introspektion, d.i. (aufmerksame) Selbstwahrnehmung oder -beobachtung, ist eine wichtige und unverzichtbare Erkenntnisquelle, auf die wir alle tagtäglich zurückgreifen. Dank ihrer gewinnen wir Wissen über unsere eigenen psychischen bzw. psychophysischen Zustände; das heißt, dank ihrer weiß ich, was in mir vorgeht.
"Introspection is the capacity to inspect the, metaphorically speaking, 'inside' of one's mind. Through introspection, one knows what mental states one is in: whether one is thirsty, tired, excited, or depressed."
(http://plato.stanford.edu/entries/epistemology/#INT)
"Introspection, as the term is used in contemporary philosophy of mind, is a means of learning about one's own currently ongoing, or perhaps very recently past, mental states or processes."
(http://plato.stanford.edu/entries/introspection) |
Dann haben wir unterschiedliche Vorstellungen von Introspektion, "Innenschau". Was du aufzählst, zumindest in dem ersten Zitat, sind bloße Empfindungen. Daß die subjektorientierte Perspektive auf unser Bewußtsein, die ICH-Perspektive für das Wissen um dieses Bewußtsein von Bedeutung ist, steht außer Frage, nur liefert diese Introspektion eben nur Wissen darüber. Da wir aber auch von Gottesbildern gesprochen haben, höre ich bei solchen Aussagen ein bißchen die Flöhe husten.
Myron hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
Könnte es sein, daß du den Glauben brauchst, um den Anspruch auf "Wahrheit" zu rechtfertigen? Denn das sich die Wahrheit einer Aussage nicht beweisen läßt, dürfte klar sein. Da ich auf den Wahrheitsanspruch verzichte (kein großer Verzicht angesichts der Nichtverfügbarkeit von Wahrheit), brauche ich auch den Glauben nicht. Ich halte gar nichts für wahr, also muß ich auch nichts glauben. |
Wahrsein und Fürwahrhalten sind voneinander unabhängig: Wahres kann für falsch gehalten werden, und Falsches kann für wahr gehalten werden.
Aber falsches Glauben/Fürwahrhalten kann kein Wissen sein. Denn wenn es nicht der Fall ist, dass p, dann kann man unmöglich wissen, dass p. Ob ein Glaube wahr ist, kann man freilich in der Praxis nur anhand der gegebenen objektiven Gründe (Belege/Beweise) beurteilen, die für seine Wahrheit sprechen. Wenn die Wahrheit des Geglaubten jedoch nicht mit logischer Notwendigkeit aus den Rechtfertigungsgründen folgt, dann stellt sich die skeptische Frage, mit welchem Recht man dann überhaupt jemals einen Wissensanspruch erheben darf. (Das führt zum Thema fehlbares vs.unfehlbares Wissen.)
Ein Wissensanspruch bedingt jedenfalls einen Wahrheitsanspruch, da man nicht stimmig behaupten kann zu wissen, dass p, ohne zugleich zu behaupten, dass p wahr ist.
(Aus "x weiß, dass p" folgt schließlich wissenslogisch "p ist wahr".) |
Siehst du, mit dem oben gesagten kann ich nicht viel anfangen, weder mit dem Wahrsein, noch mit dem Fürwahrhalten, noch mit den Glauben, daß etwas wahr sei.
Es gibt nach meiner Ansicht auch kein unfehlbares Wissen. Alle Behauptungen dieser Art haben sich bisher als falsch herausgestellt (Seitenbemerkung, es gibt zwar keine Wahrheit, Falschheit aber schon). Nein, und aus einem Wissensanspruch folgt eben nicht ein Wahrheitsanspruch, natürlich nicht!
Daß etwas Wissen ist, kann ich belegen, daß dieses auch wahr ist, nicht, es sei denn, man verschwurbelt den Begriff Wahrheit so lange, bis er eigentlich nur noch vorübergehendes Wissen bedeutet, aber das wäre nur ein Trick, oder?
_________________ "Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."
Friedrich Nietzsche
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1585582) Verfasst am: 13.12.2010, 18:54 Titel: |
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Wenn wir uns über Wahrheit™ unterhalten, kann müssen wir vermutlich erst über unsere Vorstellung von Wirklichkeit reden, denn Wahrheit soll ja mit der Wirklichkeit, den Tatsachen übereinstimmen (was immer übereinstimmen meint). Also zuerst zu den Tatsachen und den Tatsachen 'an sich'.
Menschen vergangener Zeiten haben den Mond für eine Gottheit gehalten, der innerhalb von vier Wochen sich vollfrist und wieder abspeckt. Dann entdeckte man, daß der Mond ein Himmelskörper ist, kannte aber nur seine Vorderseite. Die Rückseite blieb der Fantasie überlassen. Heute kennen wir auch die Rückseite, zumindest deren optische Eigenschaften. Das ist nicht subjektiv, das sind überprüfbare Fakten. Wir wissen noch nicht alles über den Mond, kennen also nicht die Wahrheit über den Mond, aber wir haben eine ganze Menge sicheres Wissen, das keineswegs beliebig oder subjektiv ist. Es ist zum Beispiel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß sich der Mond nicht nachträglich doch als ein Laib Käse herausstellt.
Die Eigenschaften des Mondes, also die 'Tatsachen an sich' haben sich während der Menschheitsgeschichte nicht wesentlich geändert, unser Wissen vom Mond statt dessen durchaus, und ich bin sicher, wir kennen noch nicht alle Tatsachen über den Mond, und manches, was wir für Tatsachen halten, wird sich nachträglich als Fantasievorstellung herausstellen. Und weil wir nie alle Tatsachen über den Mond kennen werden, nicht einmal wissen, ein wie großer Teil uns noch fehlt, haben wir auch nie eine 'wahre' Vorstellung vom Mond.
Hier http://www.wdr.de/tv/quarks/sendungsbeitraege/2010/1207/004_neander.jsp findest du am Beispiel des Neandertalers sehr schön die Entwicklung von Vorstellungen im Zusammenhang mit mit einer wachsenden Zahl von beobachteten Tatsachen, das sehr schön illustriert, was ich meine. Wir beobachten nämlich nicht nur Tatsachen, wir fügen sie auch zu Modellen zusammen, die neben dem, was wir wissen, immer auch Vermutungen enthalten, oft, ohne daß uns das bewußt wird. Erst wenn dann neue Tatsachen ans Licht kommen, die mit dieses Vermutungen kollidieren, fällt uns unser Irrtum auf.
Noch einmal, diese Welt hat Eigenschaften, 'Tatsachen an sich', unabhängig davon, ob wir sie kennen oder nicht. Aber das konstruiert noch keine Wahrheit. Eine Wahrheit braucht immer einen, der sie ausspricht. Und was immer man annimmt, wir sind nicht in der Lage, auch nur die 'Wahrheit' über ein Atom, also 'alle Tatsachen über dieses Atom an sich' zu formulieren, nicht einmal eine Annäherung daran, geschweige denn über diese Welt.
Was wir dagegen machen, sieht man an diesem Neandertaler. Wir versuchen aus der zunehmenden Zahl von uns bekannten Tatsachen ein Modell zu erstellen, eine Theorie, wie er wohl ausgesehen haben könnte. Und je mehr Tatsachen wir finden und belegen können, umso realistischer wird dieses Bild. Es wird nie ein 'wahres' Bild sein, aber es wird zunehmend besser, sachgerechter, will heißen: es stimmt immer mehr mit einer immer größeren Zahl von beobachteten Tatsachen überein. Ob es sich dem Bild des Neandertalers 'an sich' annähert, können wir dagegen nicht sagen.
_________________ "Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."
Friedrich Nietzsche
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Myron Mereoplethyntikologe
Anmeldungsdatum: 01.07.2007 Beiträge: 3632
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(#1585619) Verfasst am: 13.12.2010, 20:13 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Natürlich kann man eine Reihe von Aussagen aufzählen, die man für wahr halten kann, aber was bringt das, wo die meisten dieser Aussagen an Trivialität nicht zu überbieten sind, wie ja auch dein Beispiel (nicht persönlich nehmen, die Beispiele anderer zu diesem Thema sind auch nicht besser). |
Unser Alltagswissen mag oft trivial erscheinen, aber es ist epistemisch fundamental. Vor der Entwicklung der Wissenschaft war es das einzige verlässliche Wissen, das die Menschen besaßen.
Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
Mit 'der' Wahrheit hat das nichts zu tun. |
Jede Wahrheit ist Teil der Wahrheit.
Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
Spätestens bei dem Satz »ein Atomkern besteht aus Protonen und Neutronen« würde wohl kaum noch jemand von Wahrheit sprechen. Es ist unser aktuelles Wissen, ein Modell, daß so gut es bisher geht die Eigenschaften eines Atomkerns beschreibrt, die wir bisher kennen. Mit Wahrheit hat das nichts zu tun. |
Ein "Wissen", das nichts mit der Wahrheit oder der Wirklichkeit zu tun hat, ist kein Wissen.
(Es gibt den Begriff eines falschen aber wahrheitsnahen/-ähnlichen Wissens. Aber das wäre ein Thema für eine andere, neue Diskussion.)
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Myron Mereoplethyntikologe
Anmeldungsdatum: 01.07.2007 Beiträge: 3632
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(#1585638) Verfasst am: 13.12.2010, 20:53 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
Dann haben wir unterschiedliche Vorstellungen von Introspektion, "Innenschau". Was du aufzählst, zumindest in dem ersten Zitat, sind bloße Empfindungen. Daß die subjektorientierte Perspektive auf unser Bewußtsein, die ICH-Perspektive für das Wissen um dieses Bewußtsein von Bedeutung ist, steht außer Frage, nur liefert diese Introspektion eben nur Wissen darüber. |
Das bloße Haben von Empfindungen ist noch keine Innenschau. Aufmerksame Selbstwahrnehmungen/-beobachtungen sind die Quelle unseres Selbstwissens.
(http://plato.stanford.edu/entries/self-knowledge)
Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
Da wir aber auch von Gottesbildern gesprochen haben, höre ich bei solchen Aussagen ein bißchen die Flöhe husten. |
Ich habe all unsere Erkenntnisquellen aufgezählt, was nicht heißen soll, dass wir bei allen Erkenntnisfragen stets auf jede davon zurückgreifen können. (Zum Beispiel nützen dem theoretischen Mathematiker Sinneswahrnehmungen bei seinen Beweisen herzlich wenig. Die Mathematik und die Logik sind Vernunftswissenschaften und keine Erfahrungswissenschaften.)
Durch Selbstwahrnehmung gewinnen wir Selbstwissen; aber da Gott nicht Teil von mir wäre, könnte ich nicht introspektiv Wissen über ihn bzw. sein Dasein erlangen.
Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
Es gibt nach meiner Ansicht auch kein unfehlbares Wissen |
Irgendwie klingt der Begriff des fehlbaren Wissens wie ein Widerspruch in sich.
Lass dir mal den folgenden Satz in aller Ruhe durch den Kopf gehen:
"Er weiß, dass p, aber er hat nicht alle Irrtumsmöglichkeiten ausgeschaltet."
Auf mich wirkt das ziemlich unstimmig.
"In its two main variants, fallibilism claims that scientific theories are either uncertain-but-probably-true or false-but-truthlike hypotheses."
———
"In seinen zwei Hauptvarianten behauptet der Fallibilismus, dass wissenschaftliche Theorien entweder ungewiss-aber-vermutlich-wahr oder falsch-aber-wahrheitsnah sind."
[© meine Übers.]
(Niiniluoto, Ilkka. Critical Scientific Realism. Oxford: Oxford University Press, 1999. p. 13)
Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
Daß etwas Wissen ist, kann ich belegen, daß dieses auch wahr ist, nicht, es sei denn, man verschwurbelt den Begriff Wahrheit so lange, bis er eigentlich nur noch vorübergehendes Wissen bedeutet, aber das wäre nur ein Trick, oder? |
Bei der Definition des Wahrheitsbegriffs geht es nicht darum, wie wir herausfinden können, was wahr ist, sondern darum, worin Wissen besteht. Und wenn man darin das Wahrheitsmerkmal weglässt, dann verschwindet der maßgebliche Unterschied zwischen Wissen und bloßem Glauben.
Vermeintliches Wissen, das sich im Nachhinein als falsch herausstellt, war nie Wissen, sondern nur Scheinwissen, d.h. ein falscher Wissensglaube.
"…Man vergisst eben immer den Ausdruck 'Ich glaubte, ich wüsste es'."
(L. Wittgenstein, Über Gewissheit, §12)
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1585667) Verfasst am: 13.12.2010, 21:27 Titel: |
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Myron hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Natürlich kann man eine Reihe von Aussagen aufzählen, die man für wahr halten kann, aber was bringt das, wo die meisten dieser Aussagen an Trivialität nicht zu überbieten sind, wie ja auch dein Beispiel (nicht persönlich nehmen, die Beispiele anderer zu diesem Thema sind auch nicht besser). |
Unser Alltagswissen mag oft trivial erscheinen, aber es ist epistemisch fundamental. Vor der Entwicklung der Wissenschaft war es das einzige verlässliche Wissen, das die Menschen besaßen. |
Ja, vor der Entwicklung der Wissenschaften!
Myron hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
Mit 'der' Wahrheit hat das nichts zu tun. |
Jede Wahrheit ist Teil der Wahrheit.
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Und was ist die Wahrheit? Eine Schimäre?
Myron hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
Spätestens bei dem Satz »ein Atomkern besteht aus Protonen und Neutronen« würde wohl kaum noch jemand von Wahrheit sprechen. Es ist unser aktuelles Wissen, ein Modell, daß so gut es bisher geht die Eigenschaften eines Atomkerns beschreibrt, die wir bisher kennen. Mit Wahrheit hat das nichts zu tun. |
Ein "Wissen", das nichts mit der Wahrheit oder der Wirklichkeit zu tun hat, ist kein Wissen.
(Es gibt den Begriff eines falschen aber wahrheitsnahen/-ähnlichen Wissens. Aber das wäre ein Thema für eine andere, neue Diskussion.) |
Richtig, Wissen, daß mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat, ist keines. Aber Wahrheit?
Das waren jetzt 3 Behauptungen ohne Begründungen. Überzeugend ist das nicht.
_________________ "Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."
Friedrich Nietzsche
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1585674) Verfasst am: 13.12.2010, 21:35 Titel: |
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Myron hat folgendes geschrieben: |
Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
Es gibt nach meiner Ansicht auch kein unfehlbares Wissen |
Irgendwie klingt der Begriff des fehlbaren Wissens wie ein Widerspruch in sich.
Lass dir mal den folgenden Satz in aller Ruhe durch den Kopf gehen:
"Er weiß, dass p, aber er hat nicht alle Irrtumsmöglichkeiten ausgeschaltet."
Auf mich wirkt das ziemlich unstimmig.
"In its two main variants, fallibilism claims that scientific theories are either uncertain-but-probably-true or false-but-truthlike hypotheses."
———
"In seinen zwei Hauptvarianten behauptet der Fallibilismus, dass wissenschaftliche Theorien entweder ungewiss-aber-vermutlich-wahr oder falsch-aber-wahrheitsnah sind."
[© meine Übers.]
(Niiniluoto, Ilkka. Critical Scientific Realism. Oxford: Oxford University Press, 1999. p. 13)
Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
Daß etwas Wissen ist, kann ich belegen, daß dieses auch wahr ist, nicht, es sei denn, man verschwurbelt den Begriff Wahrheit so lange, bis er eigentlich nur noch vorübergehendes Wissen bedeutet, aber das wäre nur ein Trick, oder? |
Bei der Definition des Wahrheitsbegriffs geht es nicht darum, wie wir herausfinden können, was wahr ist, sondern darum, worin Wissen besteht. Und wenn man darin das Wahrheitsmerkmal weglässt, dann verschwindet der maßgebliche Unterschied zwischen Wissen und bloßem Glauben.
Vermeintliches Wissen, das sich im Nachhinein als falsch herausstellt, war nie Wissen, sondern nur Scheinwissen, d.h. ein falscher Wissensglaube.
"…Man vergisst eben immer den Ausdruck 'Ich glaubte, ich wüsste es'."
(L. Wittgenstein, Über Gewissheit, §12) |
Daß du Wittgenstein schätzt, habe ich nun verstanden. Der Rest erscheint mir nicht stimmig. Wenn wir die Wahrheit nicht kennen können, dann können wir auch nicht die Nähe unseres Wissens zu dieser Wahrheit bestimmen. Damit entfällt Wahrheit als Maßstab für unser Wissen. Nach deiner Vorstellung ist all unser Wissen nur Scheinwissen, denn wir können bei all unserem Wissen davon ausgehen, daß es irgendwann überholt ist.
Was dir dabei völlig entgeht, ist ein auch nur ansatzweises Verständnis für wissenschaftlichen Fortschritt, und damit für Wissensfortschritt überhaupt. Das ist das Problem der Philosophie. Sie versucht nicht zu ergründen, wie Wissenserwerb stattfindet, sondern sie sucht nach Absolutem, in diesem Fall der Wahrheit, versucht den Wissenschaften vorzuschreiben, wie Wissenserwerb zu sein hätte.
Ich halte den Wahrheitsbegriff für den Überrest einer veralteten Weltanschauung, da wäre vermutlich die Bezeichnung Glaube angebracht, dessen Nützlichkeit du mir nicht wirklich hast glaubhaft machen können. Aber natürlich hindert dich niemand, das anders zu sehen.
_________________ "Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."
Friedrich Nietzsche
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pera auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 01.07.2009 Beiträge: 4256
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(#1585723) Verfasst am: 13.12.2010, 22:06 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
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Richtig, Wissen, daß mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat, ist keines. Aber Wahrheit?
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Wissen, Wirklichkeit und Wahrheit. Alles in einer Zeile. Wäre interessant zu erfahren, wie man diese drei Begriffe so definiert, dass sie kombiniert irgendeinen Sinn machen.
Ich meine, bei jedem für sich ist es ja schon schwer genug einen Konsens zu erlangen, was denn genau damit gemeint sein soll. Bei allen dreien, könntet ihr Bücher schreiben.
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1585765) Verfasst am: 13.12.2010, 22:43 Titel: |
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pera hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
...
Richtig, Wissen, daß mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat, ist keines. Aber Wahrheit?
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Wissen, Wirklichkeit und Wahrheit. Alles in einer Zeile. Wäre interessant zu erfahren, wie man diese drei Begriffe so definiert, dass sie kombiniert irgendeinen Sinn machen.
Ich meine, bei jedem für sich ist es ja schon schwer genug einen Konsens zu erlangen, was denn genau damit gemeint sein soll. Bei allen dreien, könntet ihr Bücher schreiben. |
Wissen sind Theorien, Modelle von Zusammenhängen, die so weit wie möglich durch Tatsachenbeobachtungen belegt sein sollten. Und weil wir immer neue Beobachtungen machen, die gelegentlich mit unseren Theorien in Widerspruch geraten, müssen dann alte Theorien angepaßt, oder wenn das nicht geht, neue Theorien her. Weil das alles sehr theoretisch ist, habe ich das Video oben verlinkt, daß am Beispiel der Entwicklung der Vorstellungen über das Aussehen der Neandertaler von seiner Entdeckung bis heute sehr schön illustriert, was ich meine.
Jede Theorie, jedes Wissen enthält neben realistischen Anteilen, also der Beschreibung von nachweisbaren Eigenschaften ihres Gegenstandes zwingend auch immer Fantasieanteile. Bei den Zeichnungen von Neandertaler sieht man das sehr schön. Real sind die wenigen Knochen, die man gefunden hat, die Wirklichkeit ist der Neandertaler, wie er wirklich war, und unser Wissen sind die Schritt für Schritt mit jeder neuen Ausgrabung umfassender beobachtbaren und bekannten Eigenschaften dieser Wesen, die Tatsachen also. Und jedes mal wieder machen wir uns ein neues Bild. Es wird zunehmend realistischer, weil wir immer mehr reale Eigenschaften kennen. Aber neben diesen realen, sachgerechten Anteilen fließen auch zwangsläufig immer Fantasievorstellungen in unsere Theorien ein. Mal ist uns das bewußt, häufig aber wohl nicht.
Sind diese Theorien also wahr? Natürlich nicht. Sind sie eine Annäherung an die Wahrheit. Sicher auch nicht, denn weil wir die Wahrheit über den Neandertaler nicht kennen, können wir auch nicht sagen, ob unsere Vorstellungen ihr näher kommen. Sind unsere Vorstellungen also beliebig, alle falsch? Natürlich nicht, denn ihr zunehmnder Realitätsgehalt ist ja nicht zu leugnen. Sie sind nicht wahr, auch nicht falsch, sondern sie werden einfach besser. Der Maßstab für unser Wissen ist der Komparativ, der Vergleich zum bisherigen.
Und diesen Maßstab, zu schauen, wie groß die Realitätsgehalte einer Vorstellung, einer Theorie sind, und ob sie mehr erklärt als ihre Vorgänger und ob diese Erklärungen durch Tatsachenbeobachtungen belegbar sind, diesen Maßstab können wir nicht nur an wissenschaftliche Vorstellungen anlegen, sondern auch an die Entwicklung unseres Wissen vom vorwissenschaftlichen zum wissenschaftlichen.
Unser Wissen ist nur zu verstehen, wenn man es als Entwicklung sieht, als zum großen Teil ungeplante übrigens, als einen ungeplanten und doch strukturierten sozialen Prozeß, in dessen Verlauf Menschen in zunehmendem Maße realistischere Vorstellungen von ihrer Welt gewonnen haben, wie man leicht daran sieht, daß Pocken-Impfungen wirken und in GPS funktioniert. Mit Wahrheit hat das alles nichts zu tun.
_________________ "Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."
Friedrich Nietzsche
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pera auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 01.07.2009 Beiträge: 4256
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(#1585787) Verfasst am: 13.12.2010, 23:04 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
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Unser Wissen ist nur zu verstehen, wenn man es als Entwicklung sieht, als zum großen Teil ungeplante übrigens, als einen ungeplanten und doch strukturierten sozialen Prozeß, in dessen Verlauf Menschen in zunehmendem Maße realistischere Vorstellungen von ihrer Welt gewonnen haben, wie man leicht daran sieht, daß Pocken-Impfungen wirken und in GPS funktioniert. Mit Wahrheit hat das alles nichts zu tun. |
Deine Ausführungen finde ich ziemlich überzeugend. Würdest du dann den Begriff Wahrheit auf den Komplex Logik / Mathematik beschränken?
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1585826) Verfasst am: 14.12.2010, 00:02 Titel: |
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pera hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
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Unser Wissen ist nur zu verstehen, wenn man es als Entwicklung sieht, als zum großen Teil ungeplante übrigens, als einen ungeplanten und doch strukturierten sozialen Prozeß, in dessen Verlauf Menschen in zunehmendem Maße realistischere Vorstellungen von ihrer Welt gewonnen haben, wie man leicht daran sieht, daß Pocken-Impfungen wirken und in GPS funktioniert. Mit Wahrheit hat das alles nichts zu tun. |
Deine Ausführungen finde ich ziemlich überzeugend. Würdest du dann den Begriff Wahrheit auf den Komplex Logik / Mathematik beschränken? |
Ich denke schon, denn die sind dafür geschaffen, sind sozusagen die abstrakte Welt des Geistes, dafür geschaffen, das am Ende alles aufgeht. Das wirkliche Leben ist nicht so.
_________________ "Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."
Friedrich Nietzsche
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Grotemson Welterkunder
Anmeldungsdatum: 15.03.2010 Beiträge: 66
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(#1585861) Verfasst am: 14.12.2010, 01:04 Titel: |
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Da sich viel zu viel getan hat, seit ich das letzte Mal hier war, bin ich nicht fähig, auf alles einzugehen. Ich werde daher versuchen, einige Grundpositionen zusammenfassen und kommentieren, was hoffentlich ein wenig zur Klärung der Fronten hilft. Bei falscher Widergabe bitte Korrektur.
Mein These war gewesen, dass man Atheismus in Antitheismus und Atheis trennen sollte, eine Unterscheidung, die inzwischen hinreichen klar geworden sein sollte. Ich hatte dann argumentiert, dass es aufgrund von semantischen Sachverhalten nicht möglich ist, was lediglich durch reichlich absurde Vorstellungen von Zusammenhängen von Sätzen und einer falschen Vorstellung von Beweislast gekontert wurde. Von beidem wurde mehrmals gezeigt, dass es ungenau ist und/oder zu Widersprüchen führt(zum Beispiel, dass ich mit der Annahme, negative Existenzsätze seien nur als Reaktion auf Existenzsätze möglich, nicht erklären kann, warum ich sagen kann ein rundes Viereck gebe es nicht, ohne vorher dessen Existenz postuliert zu haben).
Die erste Position, die hier also von Vielen vertreten wird ist diese: (BE) "Wenn es für etwas keine Beweise gibt, bin ich gerechtfertigt in der Annahme, dass es nicht existiert."
Das stimmt nicht. Und zwar aus folgenden Gründen:
(1)Wie schon gesagt kann das Fehlen von Beweisen(und Gegenbeweisen) mich nur in der Aussage rechtfertigen, dass ich über etwa keine Aussage treffen kann. Es ist nicht einsichtig, inwiefern eine rechtfertigende Struktur zwischen der Annahme der Nichtexistenz und des Fehlen von Beweisen herrschen soll. Dies müsste ein Kolporteur von (BE) zeigen. In vielen wissenschaftlichen Disziplinen, wird mit Entitäten gearbeitet, die nicht beweisbar(oder deutungsvariant) sind, dennoch werden diese angenommen, und zwar mit gutem Recht.
(2) Das gesamte Konzept von Gegenbeweisen(negat. Beweisen) wäre damit über Bord geworfen, sprich sinnlos.
(3) Es ist uneinsichtig, inwiefern ein Fehlen von Beweisen notwendiges Existenzkriterium sein sollte, bzw. was Beweisbarkeit, was offensichtlich ein epistemischer Begriff ist, überhaupt mit ontologischer Setzung zu tun hat. Allerhöchstens kann uns Beweisbarkeit sagen, ob wir WISSEN können, dass Etwas existiert oder nicht, nicht aber dessen Existenz bedingen. Thetisch formuliert: Nur weil wir nie wissen können, ob Gott existiert, bedeutet das nicht, dass er nicht existiert. Wer Gegenteiliges behauptet, erhebt Beweisbarkeit absurderweise zu einem Existenzkriterium, und muss zeigen, dass das nicht einfach Unsinn ist.
In diesem Zusammenhang sind auch fatalerweise die Wörter "wissen" und "Wahrheit" gefallen.
Als Wissen wird wahre, gerechtfertigte Meinung bezeichnet. Ich schließe mich damit Myrons Definition an. Das ist einfach eine Standarddefinition, die natürlich längst angegriffen und aufgeweicht worden ist, am prominentesten wohl von Gettier, aber sie völlig zu leugnen, ist in einer Diskussion ein bisschen sinnlos, weil man sich damit völlig aus dem Kontext hebt. Genauso könnte ich in einer Diskussion über Gedichte einfach vorgeben, eine völlig andere Auffassung von Gedichten zu haben, dann wäre es aber sinnlos, weiter zu diskutieren.
Als Wahrheit wird gemeinhin eine absolute, sprachunabhängige Eigenschaft von Sätzen(oder Propositionen) verstanden. Dies ist zu unterscheiden von den Theorien, die die Bedingungen angeben, wann sie erfüllt ist. Hier wurde als Angriff auf eine Vorstellung von Wahrheit die Korrespondenztheorie genannt. Aber erstens greift das nicht die erstgenannte Vorstellung an, sondern nur eine Theorie, WANN sie erfüllt ist und zweitens steht uns als Wahrheitstheorie ja nicht nur die Korrespondenztheorie zur Verfügung, obwohl ich persönlich einige ihrer präziseren Varianten für durchaus angenehm halte.
Insofern ich Wahrheit für eine absolute Eigenschaft von Propositionen halte, finde ich Macellinus spärliche Angaben, dessen, was er darunter versteht für unhaltbar. Zunächst fallen sie auf der uralte und tausend mal durchgekaute Problem der Selbstanwendung und dem daraus folgenden Selbstwiderspruch zurück: Auch die Aussage: "Es gibt keine Wahrheit", beansprucht, insofern sie gültig sein will, Wahrheit und widerspricht sich damit direkt selbst. Auch Marcellinus muss einen derartigen Satz formlieren, wenn man ihn darum bittet und sobald er gezwungen ist, dies zu tun, werde ich ihn fragen, ob er für diesen Satz Wahrheit beansprucht.
Da jede Vorstellung, die Wahrheit relativiert in diesen offensichtlichen Widerspruch fällt, muss sie als absolute Eigenschaft angenommen werden.
Als Abschluss möchte ich den Kern meines Arguments besprechen, der von Myron als verifikationistisches Dogma angegriffen worden ist, und zwar mittels Autoritätsargument. Zunächst ist ein A-Argument ist diesem Fall wenig überzeugend. Darüber hinaus halte ich kein derartiges Verifikationsprinzip. Mein Argument funktioniert nicht primär, indem ich Wahrheit verfikationistisch, oder Weltzugang positivistisch definiere.
Ich verstehe aber, dass diese Auffassung entsteht, immerhin besteht mein Argumentkern im berühmten wittgensteinianischen Schlussatz des Tractatus: Worüber wir nicht sprechen können, darüber müssen wir schweigen.
Ich betone hier aber eine primär semantische Lesart. Folgendes wirst du, Myron, doch kaum leugnen(?):
(a) Bedeutung erhalten unsere Begriffe und Sätze nur innerhalb des Systems unserer semantischen Stipulationsmöglichkeiten.(Dieser Satz ist analytisch. Außerhalb des semantischen Systems kann es per def. nichts Semantisches geben.)
(b) Dieses System erhält seine größt mögliche Extensionsmöglichkeit durch das, was uns epistemisch möglich ist.
(c) Wir sind finite Wesen. Nicht nur sind wir sterblich, wir haben auch eine begrenzte Anzahl von Sinnen und diese Sinne wiederum haben eine begrenzte Reichweite, Bandbreite usw.
Aus (a),(b) und (c) ergibt sich aber, dass unser semantisches System zwar nicht endlich sein mag, dennoch aber begrenzt auf unsere epistemischen Möglichkeiten. Nun liegt Gott aber Gott per definitionem, und damit für IMMER außrhalb dieses Systems. Wir sprechen also innerhalb des Systems von einem Ding, das außerhalb liegt. Dies ist möglich. Es ist sogar möglich spekulativ einige grundlegende Eigenschaften zu nennen, die das Ding haben müsste. Nur dem Satz über das Ding selbst irgendwie Sinn zu verleihen, ist unmöglich.(Kant kommt zu einem ähnlichen, wenn auch anders formulierten Schluss).
Eigentlich ist diese Überlegung trivial. Aus ihr folgt direkt, dass jede Aussage über Gottes Existenz, wenn wir ihn so verstehen, wie es seine Definition verlant, nämlich extramundial, semantisch leer, damit ungerechtfertigt sein muss. Und daraus wiederum folgt direkt, dass ein Antitheist(nach einer Def. positiver Atheist) irrational ist. Er tätigt eine Aussage über Etwas, dem er keinen semantischen Wert verleihen kann.
Wer dies leugnet, soll mir sagen, wie es möglich sein soll, wie über etwas, zu dem wir keinen Zugang haben, trotzdem sinnvoll gesprochen werden kann.
Dies hat nichts mit Verifikationismus zu tun. Ich verdamme keineswegs Metaphysik. Dann müsste ich ja zb. auch die Rede über mögliche Welt verdammen. Das tue ich aber nicht, weil wir für sie eine klare Semantik haben, folglich sehr wohl darüber sprechen können.(Außerdem sind sie uns ja in gewissem Sinne auch "zugänglich").
_________________ http://cape-noctem.blog.de/
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Myron Mereoplethyntikologe
Anmeldungsdatum: 01.07.2007 Beiträge: 3632
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(#1585866) Verfasst am: 14.12.2010, 01:12 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Und weil wir nie alle Tatsachen über den Mond kennen werden, nicht einmal wissen, ein wie großer Teil uns noch fehlt, haben wir auch nie eine 'wahre' Vorstellung vom Mond. |
Nicht alles wissen heißt nicht nichts wissen.
Die Wirklichkeit wird von unseren Vorstellungen und Gedanken entweder getroffen oder verfehlt.
Das erkenntnistheoretische Grundproblem besteht freilich darin, wie wir feststellen können, ob wir einen Treffer gelandet haben oder nicht.
Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
Noch einmal, diese Welt hat Eigenschaften, 'Tatsachen an sich', unabhängig davon, ob wir sie kennen oder nicht. Aber das konstruiert noch keine Wahrheit. Eine Wahrheit braucht immer einen, der sie ausspricht. |
Ich gebe dir insofern recht, als eine Wahrheit als eine wahre Aussage das Dasein von Aussagen voraussetzt. In einer Welt ohne denkende und sprechende Lebewesen gibt es jedoch keine Aussagen und somit keine Wahrheiten. Aber natürlich gibt es in einer solchen Welt Tatsachen.
Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
Und was immer man annimmt, wir sind nicht in der Lage, auch nur die 'Wahrheit' über ein Atom, also 'alle Tatsachen über dieses Atom an sich' zu formulieren, nicht einmal eine Annäherung daran, geschweige denn über diese Welt. |
Wir können meinetwegen auf die Phrase "die Wahrheit" verzichten und stattdessen einfach pluralisch von "Wahrheiten" sprechen. (Die Wahrheit ist dann nichts anderes als die Gesamtheit der Wahrheiten.)
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Myron Mereoplethyntikologe
Anmeldungsdatum: 01.07.2007 Beiträge: 3632
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(#1585872) Verfasst am: 14.12.2010, 01:22 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
Richtig, Wissen, daß mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat, ist keines. Aber Wahrheit? |
Wahrheiten (wahre Aussagen) haben immer etwas mit der Wirklichkeit zu tun, da ihr Wahrsein von der sie wahr machenden Wirklichkeit abhängt.
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26511
Wohnort: im Speckgürtel
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(#1585875) Verfasst am: 14.12.2010, 01:41 Titel: |
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Myron hat folgendes geschrieben: | ....
Ich gebe dir insofern recht, als eine Wahrheit als eine wahre Aussage das Dasein von Aussagen voraussetzt. In einer Welt ohne denkende und sprechende Lebewesen gibt es jedoch keine Aussagen und somit keine Wahrheiten. .... |
Das wäre mir etwas zu eng - wahr zu sein ist nicht nur eine Eigenschaft des gedröhntes Wortes, es ist eine Eigenschaft verarbeiteter Information. Insofern kommt die Wahrheit mit dem Leben: Sobald Organismen auf ihre Welt in einer Art reagieren, für die in der kybernetischen Beschreibungsebene die Wechselwirkungen über Signale laufen, die in keinem direkten Zusammenhang mehr zur Sache stehen, haben wir abstrakte Information, die entweder ihren Gegenstand hinreichend beschreibt, um den verarbeitenden Organismus überleben zu lassen, in diesem Sinn also wahr ist, oder nicht. Die Großaffen der Gattung Homo setzen da mit ihrer symbolischen Sprache, die nicht nur zwischen den Individuen benutzt wird, sondern individuelle auch als Denkvehikel zwar noch einen Abstraktiongrad drauf, aber für die Wahrheit, das heißt Nützlichkeit von Informationen entsteht nichts grundsätzlich Neues, auch die in Sprache transportierten Informationen sind wahr, wenn sie ihren Gegenstand hinreichend genau beschreiben.
Schwierig wird es, wo der Gegenstand keiner direkten Erfahrung entspricht, sondern einschließlich seiner Wirkung mental konstruiert ist. Aber derartige Gegenstände bekommen erst in der arbeitsteiligen Gesellschaft einen Nährwert und damit Wahrheit - sie liegt dann aber in der Komminikation und nicht außerhalb.
fwo
_________________ Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.
The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.
Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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Grotemson Welterkunder
Anmeldungsdatum: 15.03.2010 Beiträge: 66
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(#1585882) Verfasst am: 14.12.2010, 02:07 Titel: |
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Zitat: | Das wäre mir etwas zu eng - wahr zu sein ist nicht nur eine Eigenschaft des gedröhntes Wortes, es ist eine Eigenschaft verarbeiteter Information. Insofern kommt die Wahrheit mit dem Leben: Sobald Organismen auf ihre Welt in einer Art reagieren, für die in der kybernetischen Beschreibungsebene die Wechselwirkungen über Signale laufen, die in keinem direkten Zusammenhang mehr zur Sache stehen, haben wir abstrakte Information, die entweder ihren Gegenstand hinreichend beschreibt, um den verarbeitenden Organismus überleben zu lassen, in diesem Sinn also wahr ist, oder nicht. Die Großaffen der Gattung Homo setzen da mit ihrer symbolischen Sprache, die nicht nur zwischen den Individuen benutzt wird, sondern individuelle auch als Denkvehikel zwar noch einen Abstraktiongrad drauf, aber für die Wahrheit, das heißt Nützlichkeit von Informationen entsteht nichts grundsätzlich Neues, auch die in Sprache transportierten Informationen sind wahr, wenn sie ihren Gegenstand hinreichend genau beschreiben. |
Es gibt bereits uralte Argumente, die zeigen, dass Wahrheit und Überleben sich nicht etwa gegenseitig bedingen, wie du postulierst, sondern einander sogar insofern ausschließen, als das Auffinden oder Besitzen von Wahrheit zum Gegenteil des Überlebens führt.
Darüber hinaus verstehe ich den hier verwendeten Informationsbegriff nicht, vor allem im Zusammenhang mit Nützlichkeit. Wenn Wahrheit auf Nützlichkeit hinausläuft, dann: Nützlichkeit für wen? Außerdem ist sie damit relativ und fällt in einen in diesem Fall besonders viziösen Selbstanwendungswiderspruch.
_________________ http://cape-noctem.blog.de/
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26511
Wohnort: im Speckgürtel
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(#1585908) Verfasst am: 14.12.2010, 05:13 Titel: |
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Grotemson hat folgendes geschrieben: | ....
Es gibt bereits uralte Argumente, die zeigen, dass Wahrheit und Überleben sich nicht etwa gegenseitig bedingen, wie du postulierst, sondern einander sogar insofern ausschließen, als das Auffinden oder Besitzen von Wahrheit zum Gegenteil des Überlebens führt.... |
Stimmt überhaupt. Die Gegenwart der Popel zeigt deutlich, dass die Nasenlöcher nicht fürs Atmen sind, sondern einfach beim Abbau kleiner Kugeln entstanden, wie man sie gelegentlich dem Nachbarn in den Kaffee schnipst.
fwo
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Defätist auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 09.06.2010 Beiträge: 8557
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(#1585915) Verfasst am: 14.12.2010, 07:56 Titel: |
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Ich finde es durchaus bewundernswert, wie immer wieder simple Sachverhalte bis zur Unkenntlichkeit zerstückelt, deformiert und verklausuliert werden, nur um nicht dem Kern der Sache ins Gesicht sehen zu müssen:
Gibt es einen schlüssig argumentierten Gottesbeweis?
Nein.
Wie soll ich, als (mich so bezeichnender) Atheist, diesen dann widerlegen, ohne Kenntnis (Wissen) oder auch nur vage Vorstellung davon, wie ich mir Gott vorstellen muss, weil bereits in den Definitionen "Wirklichkeit" und Wissen korrelieren.
Wie also soll ich etwas beweisen oder gegenbeweisen?
Darauf habe ich bis jetzt keine schlüssige Antwort.
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1585944) Verfasst am: 14.12.2010, 10:47 Titel: |
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Myron hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Und weil wir nie alle Tatsachen über den Mond kennen werden, nicht einmal wissen, ein wie großer Teil uns noch fehlt, haben wir auch nie eine 'wahre' Vorstellung vom Mond. |
Nicht alles wissen heißt nicht nichts wissen.
Die Wirklichkeit wird von unseren Vorstellungen und Gedanken entweder getroffen oder verfehlt.
Das erkenntnistheoretische Grundproblem besteht freilich darin, wie wir feststellen können, ob wir einen Treffer gelandet haben oder nicht. |
Das scheint mir nicht problematisch. Solange es sich um einzelne Tatsachen handelt, in diesem Falle Eigenschaften des Mondes, die man wiegen, messen oder sonstwie bestimmen kann, haben wir überprüfbares Wissen. Wir können die Entfernung messen, seinen Durchmesser und seine Masse bestimmen, sein Alter berechnen und so weiter. Das alles ist Wissen, sogar recht gut belegtes Wissen. Nur ist das 'Wahrheit'? Ich denke, nein.
Myron hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
Noch einmal, diese Welt hat Eigenschaften, 'Tatsachen an sich', unabhängig davon, ob wir sie kennen oder nicht. Aber das konstruiert noch keine Wahrheit. Eine Wahrheit braucht immer einen, der sie ausspricht. |
Ich gebe dir insofern recht, als eine Wahrheit als eine wahre Aussage das Dasein von Aussagen voraussetzt. In einer Welt ohne denkende und sprechende Lebewesen gibt es jedoch keine Aussagen und somit keine Wahrheiten. Aber natürlich gibt es in einer solchen Welt Tatsachen.
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Natürlich gibt es Tatsachen, keine Frage.
Myron hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
Und was immer man annimmt, wir sind nicht in der Lage, auch nur die 'Wahrheit' über ein Atom, also 'alle Tatsachen über dieses Atom an sich' zu formulieren, nicht einmal eine Annäherung daran, geschweige denn über diese Welt. |
Wir können meinetwegen auf die Phrase "die Wahrheit" verzichten und stattdessen einfach pluralisch von "Wahrheiten" sprechen. (Die Wahrheit ist dann nichts anderes als die Gesamtheit der Wahrheiten.) |
Das dumme ist nur, daß 'die' Wahrheit eben nach meiner Ansicht etwas absolutes meint, nicht einen vorübergehenden Stand des Wissens, nicht eine vielleicht subjektiv gefärbte Sicht der Dinge, eben nicht eine von mehreren Wahrheiten, sondern die definitive, vollständige Übereinstimmung der Beschreibung eines Sachverhalts mit dem Sachverhalt selbst.
Und ich denke, daß diese Art von Wahrheit uns nicht zur Verfügung steht. Selbst wenn wir von irgendetwas alle Eigenschaften kennen sollten, so können wir nicht belegen, daß es so ist. Es könnte immer noch eine Eigenschaft geben, für die wir noch keine Meßmethode haben, oder auf die wir aus anderen Gründen noch nicht gekommen sind. Andererseits sind unsere Vorstellungen von dieser Welt und den Objekten in ihr auch nicht völlig beliebig. Das beginnt schon damit, daß wir kaum bis heute überlebt hätten, wenn unsere Wahrnehmung uns nicht realistische Informationen über den Teil unserer Umwelt liefern würde, den wir zum Überleben brauchen.
Unsere Vorstellungen von dieser Welt sind also nicht beliebig, sie sind auch nicht absolut wahr, sie sind einfach nur mehr oder weniger realistisch, und das ist das, was wir zu einem gegebenen Zeitpunkt als unser Wissen bezeichnen. Dieses Wissen ist etwas, was sich entwickelt hat, und sich noch in Entwicklung befindet. Es ist entstanden aus vorwissenschaftlichen Anfängen, als unsere Vorfahren kaum andere Informationen über diese Welt hatten als das, was sie unmittelbar wahrnahmen und es hat zu dem heutigen umfangreichen Wissen in Physik, Biologie, Soziologie und allen möglichen Bereichen der Technik geführt.
Aber wahr in einem absoluten Sinne ist dieses Wissen bis heute nicht, und wird es nie sein. Jedes Wissen über Tatsachen in dieser Welt kann immer nur daran gemessen werden, ob es besser, realistischer ist als das vorherige, ob es mehr Tatsachen in einen nachprüfbaren Zusammenhang bringt und neue Beobachtungen ermöglicht. Aber es bleiben Modelle von dieser Welt, vereinfachte Modelle, nicht exakte Abbilder, und deshalb halte ich die Begriffe 'Wahrheit' und 'wahr' für ungeeignet, um die Qualität solcher Modelle zu beschreiben.
_________________ "Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."
Friedrich Nietzsche
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1585960) Verfasst am: 14.12.2010, 11:25 Titel: |
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Defätist hat folgendes geschrieben: | Ich finde es durchaus bewundernswert, wie immer wieder simple Sachverhalte bis zur Unkenntlichkeit zerstückelt, deformiert und verklausuliert werden, nur um nicht dem Kern der Sache ins Gesicht sehen zu müssen:
Gibt es einen schlüssig argumentierten Gottesbeweis?
Nein.
Wie soll ich, als (mich so bezeichnender) Atheist, diesen dann widerlegen, ohne Kenntnis (Wissen) oder auch nur vage Vorstellung davon, wie ich mir Gott vorstellen muss, weil bereits in den Definitionen "Wirklichkeit" und Wissen korrelieren.
Wie also soll ich etwas beweisen oder gegenbeweisen?
Darauf habe ich bis jetzt keine schlüssige Antwort. |
Die Antwort ist aus meiner Sicht ganz einfach. Der Theismus, die allgemeine Vorstellung, es gebe Götter, existiert ja so gar nicht. Jeder Theist kommt ja mit der Vorstellung von ganz konkreten Göttern daher. Und die abstrakte Definition von Atheismus ist zwar die Zurückweisung jedes Gottesglaubens (also der Atheist an sich), aber in der Praxis entsteht Atheismus immer in der Zurückweisung eines ganz konkreten Glaubens, nämlich dem der eigenen Umgebung. Und damit ist ganz klar, daß es ohne den Gottesglauben der Theisten für einen Atheisten nichts zu widerlegen gäbe.
Damit verhält es sich mit Göttern nicht anders als mit unsichtbaren Einhörnern. Wer ihre Existenz behauptet, soll die beweisen, ansonsten gilt die Nicht-Existenz als der aktuelle Stand unseres Wissens. Glauben kann man natürlich alles mögliche, und Glauben muß man auch nicht beweisen. Nicht-Existenz ist nur das, was wir im Moment wissen, wo es keinen Existenzbeweis gibt.
Worüber man diskutieren kann, ist wenn jemand Aussagen mit Wahrheitsanpruch über die ontologischen Struktur dieses Universums macht, und die Gottesfrage ist davon ja nur ein Teil. Da wird man dann Beweise fordern dürfen, aber solange ein Atheist nur sagt, daß nach allem, was wir wissen, Götter nicht existieren, gibt es keinen Grund für eine Beweis.
P.S.: Auch hier ist es ganz nützlich, darauf hinzuweisen, daß eine solche Aussage Wissen ist, also mit Tatsachen belegbare Vorstellung, aber nicht Wahrheit.
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26511
Wohnort: im Speckgürtel
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(#1585985) Verfasst am: 14.12.2010, 12:35 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | .....
P.S.: Auch hier ist es ganz nützlich, darauf hinzuweisen, daß eine solche Aussage Wissen ist, also mit Tatsachen belegbare Vorstellung, aber nicht Wahrheit. |
Indem Du die Wahrheit in die Welt der Ideen entrückst, wird sie so nützlich wie Gott. Das ist auch nicht der normale Gebrauch - frag mal einen Richter, wie der Begriff Wahrheit gemeint ist, wenn er dich auffordert, deine Aussage zu beeiden.
fwo
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1585987) Verfasst am: 14.12.2010, 12:45 Titel: |
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fwo hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: | .....
P.S.: Auch hier ist es ganz nützlich, darauf hinzuweisen, daß eine solche Aussage Wissen ist, also mit Tatsachen belegbare Vorstellung, aber nicht Wahrheit. |
Indem Du die Wahrheit in die Welt der Ideen entrückst, wird sie so nützlich wie Gott. |
Das ist doch der Witz an der Sache.
fwo hat folgendes geschrieben: |
Das ist auch nicht der normale Gebrauch - frag mal einen Richter, wie der Begriff Wahrheit gemeint ist, wenn er dich auffordert, deine Aussage zu beeiden. |
Der Richter meint ihn wie ich, »nach bestem Wissen und Gewissen«. Damit wird Wahrheit zu einer relativen Sache, ähnlich wie der Gottesbegriff. Man glaubt zwar nicht mehr wirklich dran, aber findet immer noch nett, mit dem Begriff herumzutun. Ich kann mit beiden Begriffen nichts anfangen.
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26511
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(#1586001) Verfasst am: 14.12.2010, 13:06 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | ....
Der Richter meint ihn wie ich, »nach bestem Wissen und Gewissen«. Damit wird Wahrheit zu einer relativen Sache, ähnlich wie der Gottesbegriff. Man glaubt zwar nicht mehr wirklich dran, aber findet immer noch nett, mit dem Begriff herumzutun. Ich kann mit beiden Begriffen nichts anfangen. |
Im Gegenteil: Der Richter lässt als Wahrheit gelten, was innerhalb gewisser Toleranzen die überprüfbare Realität beschreibt. Nach bestem Wissen und Gewissen. Der Begriff hat in der Juristerei im Gegensatz zu Gott einen gewissen Nährwert - dadurch, dass Du ihn mit einer Toleranz ausstattest, wird er so benutzbar wie der Messwert des Physikers, der implizit immer seinen Fehler enthält und nur deshalb nicht zu Widersprüchen auch mit der "richtigen" Theorie führt.
fwo
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Defätist auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 09.06.2010 Beiträge: 8557
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(#1586003) Verfasst am: 14.12.2010, 13:11 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | .... Und damit ist ganz klar, daß es ohne den Gottesglauben der Theisten für einen Atheisten nichts zu widerlegen gäbe. |
So sehe ich das zumindest, halte diese Aussage also (im Rahmen meines Wissens) für wahr.
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1586006) Verfasst am: 14.12.2010, 13:14 Titel: |
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fwo hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: | ....
Der Richter meint ihn wie ich, »nach bestem Wissen und Gewissen«. Damit wird Wahrheit zu einer relativen Sache, ähnlich wie der Gottesbegriff. Man glaubt zwar nicht mehr wirklich dran, aber findet immer noch nett, mit dem Begriff herumzutun. Ich kann mit beiden Begriffen nichts anfangen. |
Im Gegenteil: Der Richter lässt als Wahrheit gelten, was innerhalb gewisser Toleranzen die überprüfbare Realität beschreibt. Nach bestem Wissen und Gewissen. Der Begriff hat in der Juristerei im Gegensatz zu Gott einen gewissen Nährwert - dadurch, dass Du ihn mit einer Toleranz ausstattest, wird er so benutzbar wie der Messwert des Physikers, der implizit immer seinen Fehler enthält und nur deshalb nicht zu Widersprüchen auch mit der "richtigen" Theorie führt. |
Siehst du, darin unterscheiden wir uns, du hältst einen solchen Wahrheitsbegriff für nutzbar, weil er Unschärfe bekommt, ich bin der Ansicht, daß das den Wahrheitsbegriff dessen beraubt, was seinen Kern ausmacht, eben etwas Absolutes zu sein.
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26511
Wohnort: im Speckgürtel
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(#1586011) Verfasst am: 14.12.2010, 13:17 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
Siehst du, darin unterscheiden wir uns, du hältst einen solchen Wahrheitsbegriff für nutzbar, weil er Unschärfe bekommt, ich bin der Ansicht, daß das den Wahrheitsbegriff dessen beraubt, was seinen Kern ausmacht, eben etwas Absolutes zu sein. |
Aha. Ein Idealist.
Na gut. Ich bin mehr für den Teppich und das darunter zuständig.
fwo
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Myron Mereoplethyntikologe
Anmeldungsdatum: 01.07.2007 Beiträge: 3632
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(#1586059) Verfasst am: 14.12.2010, 14:33 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
Wissen sind Theorien, Modelle von Zusammenhängen, die so weit wie möglich durch Tatsachenbeobachtungen belegt sein sollten. |
Wissen und Glauben sind (dispositionelle) Geisteszustände. Wissens- und Glaubensinhalte sind natürlich nicht nur intern in Gehirnen gespeichert, sondern als "objektivierter Geist" auch extern in Büchern, auf CDs oder Festplatten.
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Myron Mereoplethyntikologe
Anmeldungsdatum: 01.07.2007 Beiträge: 3632
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(#1586069) Verfasst am: 14.12.2010, 14:51 Titel: |
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Was bei all den Diskussionen über die Definition von "Atheismus" eigentlich immer zu kurz kommt, ist die Definition von "Gott". Was ist ein Gott? Sobald man versucht, den Begriff "Gott" allgemein zu definieren, stellt man fest, dass das gar nicht einfach ist. Es wird schon kompliziert, wenn man zwischen materiellen und immateriellen (spirituellen) Göttern unterscheidet. Ich denke allerdings, dass sich der Atheismus im Wesentlichen nur gegen spirituelle Götter, d.h. gegen göttliche Geister richtet. In philosophischen Sinn ist ein Geist ein Wesen mit geistig-seelischen Eigenschaften, aber ohne körperliche Eigenschaften, d.i. ein (selbst)bewusstes körperloses Lebewesen. Dann stellt sich als Nächstes die Frage, was der Begriff der Göttlichkeit bedeutet. Was unterscheidet einen nichtgöttlichen Geist (z.B. einen Engel) von einem göttlichen Geist?
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Defätist auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 09.06.2010 Beiträge: 8557
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(#1586073) Verfasst am: 14.12.2010, 14:58 Titel: |
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Myron hat folgendes geschrieben: | Was bei all den Diskussionen über die Definition von "Atheismus" eigentlich immer zu kurz kommt, ist die Definition von "Gott". Was ist ein Gott? Sobald man versucht, den Begriff "Gott" allgemein zu definieren, stellt man fest, dass das gar nicht einfach ist. |
Jetzt bist du schon mal einen guten Schritt in die richtige Richtung unterwegs ... schlussendlich steht: eine allgemeine Definition von Gott/Göttlichkeit ist unmöglich. Diese unmöglich allgemein zu definierende Aussage dann zu beweisen ... tja, ich "glaube" das war´s dann.
Oder?
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Myron Mereoplethyntikologe
Anmeldungsdatum: 01.07.2007 Beiträge: 3632
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(#1586096) Verfasst am: 14.12.2010, 16:07 Titel: |
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Grotemson hat folgendes geschrieben: |
Als Wissen wird wahre, gerechtfertigte Meinung bezeichnet. Ich schließe mich damit Myrons Definition an. Das ist einfach eine Standarddefinition, die natürlich längst angegriffen und aufgeweicht worden ist, am prominentesten wohl von Gettier, aber sie völlig zu leugnen, ist in einer Diskussion ein bisschen sinnlos, weil man sich damit völlig aus dem Kontext hebt. |
Selbst Gettier bestreitet nicht, dass die Wahrheit und Gerechtfertigtheit eines Glaubens notwendige Bedingungen für dessen Wissensstatus sind. Was er gezeigt hat, ist, dass diese beiden Bedingungen noch nicht hinreichend sind. Das heißt, es muss mindestens eine dritte Bedingung hinzugefügt werden, und zwar eine, die ausschließt, dass die Wahrheit des Glaubens ein reiner Zufall ist.
Grotemson hat folgendes geschrieben: |
Ich betone hier aber eine primär semantische Lesart. Folgendes wirst du, Myron, doch kaum leugnen(?):
(a) Bedeutung erhalten unsere Begriffe und Sätze nur innerhalb des Systems unserer semantischen Stipulationsmöglichkeiten.(Dieser Satz ist analytisch. Außerhalb des semantischen Systems kann es per def. nichts Semantisches geben.)
(b) Dieses System erhält seine größt mögliche Extensionsmöglichkeit durch das, was uns epistemisch möglich ist.
(c) Wir sind finite Wesen. Nicht nur sind wir sterblich, wir haben auch eine begrenzte Anzahl von Sinnen und diese Sinne wiederum haben eine begrenzte Reichweite, Bandbreite usw. |
Wir sind endliche Wesen, die über den endlichen Begriff der Unendlichkeit verfügen.
Grotemson hat folgendes geschrieben: |
Aus (a),(b) und (c) ergibt sich aber, dass unser semantisches System zwar nicht endlich sein mag, dennoch aber begrenzt auf unsere epistemischen Möglichkeiten. Nun liegt Gott aber Gott per definitionem, und damit für IMMER außrhalb dieses Systems. Wir sprechen also innerhalb des Systems von einem Ding, das außerhalb liegt. Dies ist möglich. Es ist sogar möglich spekulativ einige grundlegende Eigenschaften zu nennen, die das Ding haben müsste. Nur dem Satz über das Ding selbst irgendwie Sinn zu verleihen, ist unmöglich.(Kant kommt zu einem ähnlichen, wenn auch anders formulierten Schluss).
Eigentlich ist diese Überlegung trivial. Aus ihr folgt direkt, dass jede Aussage über Gottes Existenz, wenn wir ihn so verstehen, wie es seine Definition verlant, nämlich extramundial, semantisch leer, damit ungerechtfertigt sein muss. Und daraus wiederum folgt direkt, dass ein Antitheist(nach einer Def. positiver Atheist) irrational ist. Er tätigt eine Aussage über Etwas, dem er keinen semantischen Wert verleihen kann.
Wer dies leugnet, soll mir sagen, wie es möglich sein soll, wie über etwas, zu dem wir keinen Zugang haben, trotzdem sinnvoll gesprochen werden kann.
Dies hat nichts mit Verifikationismus zu tun. Ich verdamme keineswegs Metaphysik. Dann müsste ich ja zb. auch die Rede über mögliche Welt verdammen. Das tue ich aber nicht, weil wir für sie eine klare Semantik haben, folglich sehr wohl darüber sprechen können.(Außerdem sind sie uns ja in gewissem Sinne auch "zugänglich"). |
Ein "Gott", der transzendent ist im Sinne von "transintelligibel", d.h. der abstrakt und rein negativ als "das Unbegreifbar-Undenkbar-Unerfahrbare" charakterisiert ist, wäre für uns ein reines Nichts. Ein solcher "Gott" könnte auch kein Gegenstand einer Theologie sein, erst recht nicht des jüdischen, christlichen oder islamischen Monotheismus. Gott ist für die Theisten aber kein Nichts, sondern ein Etwas, und zwar ein außerräumliches/außerraumzeitliches persönliches Lebewesen ohne Körper. Die natürliche Theologie behauptet, dass dieser Gott der menschlichen Vernunft zugänglich ist, und die mystische Theologie behauptet, dass er der menschlichen Erfahrung zugänglich ist.
"Alle Bestimmungen Gottes – und Gott wird notwendig bestimmt, sonst ist er nichts, gar nicht Objekt einer Vorstellung – ..."
(Feuerbach, Ludwig. "Grundsätze der Philosophie der Zukunft." 1843. In Entwürfe zu einer Neuen Philosophie, hrsg. v. Walter Jaeschke u. Werner Schuffenhauer, 25-99. Hamburg: Meiner, 1996. §14)
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Myron Mereoplethyntikologe
Anmeldungsdatum: 01.07.2007 Beiträge: 3632
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(#1586101) Verfasst am: 14.12.2010, 16:15 Titel: |
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Defätist hat folgendes geschrieben: |
Jetzt bist du schon mal einen guten Schritt in die richtige Richtung unterwegs ... schlussendlich steht: eine allgemeine Definition von Gott/Göttlichkeit ist unmöglich. |
Eine passende Definition zu finden, ist schwierig, aber wohl nicht unmöglich. Wir brauchen auf jeden Fall eine Definition von "Gott" bzw. "Göttlichkeit", weil wir sonst nicht wissen, was der Atheismus überhaupt ist.
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