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Frage zum freien Willen und der Quantenphysik
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AgentProvocateur
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Anmeldungsdatum: 09.01.2005
Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin

Beitrag(#1692124) Verfasst am: 27.09.2011, 20:07    Titel: Antworten mit Zitat

'Ontologischer Reduktionismus' bedeutet hier, wie step auch sagte, erst mal nicht mehr als materialistischer Monismus. Es bedeutet nicht, dass alles epistemisch reduzierbar wäre, daraus folgt auch nicht, dass alles mathematisch beschreibbar wäre.

Mal ein paar Fragen, die bisher hier so aufgetaucht sind:

1. Ergibt es Sinn, von relationalen Eigenschaften zu sprechen?
2. Sind kausal-mechanische Erklärungen für alle Fragen hinreichend, bzw. können alle Erklärungen auf solche zurückgeführt werden, kann damit alles komplett erklärt werden, so dass keine Fragen mehr offen bleiben?
3. Kann man alle Phänomene höherstufiger Ebenen auf eine grundlegende Ebene reduzieren, insofern, als man die (bereits bekannten) Eigenschaften der höheren Ebene aus der den Eigenschaften der Bestandteile der unteren Ebene ableiten / damit erklären kann?
4. Kann man aus der grundlegenden Ebene höherstufige Phänomene ableiten, falls man die noch nicht kennt?

zu 1.: das ist die Frage, ob der Ruf des Verdurstenden in der Wüste etwas mit Eigenschaften von Wasser zu tun hat. Und, ja, selbstverständlich hat er das. Es gibt Eigenschaften, die abhängig von anderem sind, die aber dennoch als Eigenschaften zählen. Andere relationale Eigenschaften von Wasser sind z.B.: Geschmacklosigkeit, Geruchlosigkeit, optische Eigenschaften.

zu 2.: Fragen wir mal: "warum hat eine Katze Krallen?" Diese Frage kann nun mehrere Bedeutungen haben, man könnte damit meinen: "wie kommt es, dass eine Katze Krallen hat?" - und dann wäre eine kausal-mechanische Erklärung angebracht, so wie step die oben brachte: Evolution, Selektion. Man könnte damit aber auch meinen: "wozu verwendet die Katze ihre Krallen, was macht sie damit?" - und dann sehe ich nicht, wie dabei eine kausal-mechanische Erklärung hilfreich sein könnte. Das muss man dann beobachten, (bzw. auf die bereits erfolgten Erfahrungen anderer bauen).

zu 3.: Das ist die Frage, ob alle emergenten Eigenschaften und Gesetze einer höheren Ebene prinzipiell auf ihre physikalischen Instanzen reduzierbar sind (= epistemischer Reduktionismus). Und das sehe ich nicht. Einige emergente Eigenschaften und Gesetze mögen reduzierbar sein, aber daraus folgt nicht, dass alle es sind.

zu 4.: Na gut, das ist eine ziemlich hypothetische Frage, denn in der Realität geht man wohl nur ganz selten in diese Richtung. Meist ist es umgekehrt: man beobachtet ein Phänomen auf einer höheren Ebene und versucht dann, das auf eine darunter liegende Ebene zu reduzieren. Rein hypothetisch müsste der epistemische Reduktionist das aber wohl für möglich halten.
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22782
Wohnort: Germering

Beitrag(#1692140) Verfasst am: 27.09.2011, 20:44    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Es gibt Eigenschaften, die abhängig von anderem sind, die aber dennoch als Eigenschaften zählen. Andere relationale Eigenschaften von Wasser sind z.B.: Geschmacklosigkeit, Geruchlosigkeit, optische Eigenschaften.

Nehmen wir mal die optischen Eigenschaften, z.B. den Brechungsindex. Ich finde, es ist eine erfolgreiche Reduktion, wenn man den Brechungsindex aus den Eigenschaften des H2O-Moleküls ableiten kann, auch wenn man zur Definition des Brechungsindex bzw. zur Angabe seiner Bedeutung noch etwas anderes braucht als nur Wasser.

Nichtreduziert: "Wasser hat die Eigenschaft, einen Lichtstrahl um den Winkel a zu brechen."
Reduziert: "Dies ergibt sich aus {Eigenschaften von H2O, Eigenschaften der EM-Strahlung} folgendermaßen: ..."

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
zu 2.: Fragen wir mal: "warum hat eine Katze Krallen?" Diese Frage kann nun mehrere Bedeutungen haben, man könnte damit meinen: "wie kommt es, dass eine Katze Krallen hat?" - und dann wäre eine kausal-mechanische Erklärung angebracht, so wie step die oben brachte: Evolution, Selektion. Man könnte damit aber auch meinen: "wozu verwendet die Katze ihre Krallen, was macht sie damit?" - und dann sehe ich nicht, wie dabei eine kausal-mechanische Erklärung hilfreich sein könnte.

Die "was macht sie damit" Frage ist die nach dem Usecase. Und nach meinem Verständnis ist es gerade ein Punkt bei der Evolution, daß man eine Kausalkette für Usecases gibt. Meines Erachtens sind Deine beiden Bedeutungen zwar umgangssprachlich unterschiedlich (eben weil wir bei effizienten Handlungen und Eigenschaften gern eine Zweckillusion haben), werden durch die Evolutionstheorie aber als Aspekt derselben Frage entlarvt.

Man könnte vielleicht argumentieren, daß die Zweckbedeutung auch eine Vereinfachung, Abkürzung darstellt und daher ihre Berechtigung hat, wie bei anderen nichtreduzierten Zusammenhängen auch. Da würde ich durchaus mitgehen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Das muss man dann beobachten, (bzw. auf die bereits erfolgten Erfahrungen anderer bauen).

Ja sicher. Wenn man den Usecase erfahren will, ohne die ganze Evolution nachzuvollziehen, muß man ihn unreduziert beobachten.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
zu 3.: Das ist die Frage, ob alle emergenten Eigenschaften und Gesetze einer höheren Ebene prinzipiell auf ihre physikalischen Instanzen reduzierbar sind (= epistemischer Reduktionismus). Und das sehe ich nicht. Einige emergente Eigenschaften und Gesetze mögen reduzierbar sein, aber daraus folgt nicht, dass alle es sind.

Natürlich nicht. Und da will ich eben gern den Pudding an die Wand nageln und verstehen, wo genau Ihr den Beginn der Irreduzibilität seht.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
zu 4.: Na gut, das ist eine ziemlich hypothetische Frage, denn in der Realität geht man wohl nur ganz selten in diese Richtung. Meist ist es umgekehrt: man beobachtet ein Phänomen auf einer höheren Ebene und versucht dann, das auf eine darunter liegende Ebene zu reduzieren. Rein hypothetisch müsste der epistemische Reduktionist das aber wohl für möglich halten.

Ja.
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Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Marcellinus
Outsider



Anmeldungsdatum: 27.05.2009
Beiträge: 7429

Beitrag(#1692157) Verfasst am: 27.09.2011, 21:01    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Daß Objekt X ausschließlich aus den Bestandteilen Y besteht, wird auch von Nicht-Reduktionisten nicht bestritten.

Nein, das ist eben nicht so, und deshalb hat AP's Kategorie eine gewisse Berechtigung. Es gibt z.B. Dualisten, die behaupten, der Mensch bestehe nicht nur aus seinen Molekülen un den daraus emergiert habenden Verhalten, Gedanken usw., sondern auch noch aus einem "Geist", einer "Seele" o.ä.
Ja, ich hätte schreiben sollen: "... wird auch von vielen Nicht-Reduktionisten nicht bestritten." zwinkern
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"Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."

Friedrich Nietzsche
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22782
Wohnort: Germering

Beitrag(#1692163) Verfasst am: 27.09.2011, 21:10    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Daß Objekt X ausschließlich aus den Bestandteilen Y besteht, wird auch von Nicht-Reduktionisten nicht bestritten.
Nein, das ist eben nicht so, und deshalb hat AP's Kategorie eine gewisse Berechtigung. Es gibt z.B. Dualisten, die behaupten, der Mensch bestehe nicht nur aus seinen Molekülen un den daraus emergiert habenden Verhalten, Gedanken usw., sondern auch noch aus einem "Geist", einer "Seele" o.ä.
Ja, ich hätte schreiben sollen: "... wird auch von vielen Nicht-Reduktionisten nicht bestritten." zwinkern

Yep, so stimme ich dann auch zu.
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AgentProvocateur
registrierter User



Anmeldungsdatum: 09.01.2005
Beiträge: 7851
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Beitrag(#1692676) Verfasst am: 29.09.2011, 20:19    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Ich finde, es ist eine erfolgreiche Reduktion, wenn man den Brechungsindex aus den Eigenschaften des H2O-Moleküls ableiten kann, auch wenn man zur Definition des Brechungsindex bzw. zur Angabe seiner Bedeutung noch etwas anderes braucht als nur Wasser.

Nichtreduziert: "Wasser hat die Eigenschaft, einen Lichtstrahl um den Winkel a zu brechen."
Reduziert: "Dies ergibt sich aus {Eigenschaften von H2O, Eigenschaften der EM-Strahlung} folgendermaßen: ..."

Ja, das ist eine erfolgreiche Reduktion, aber das war doch gar nicht mein Punkt hier.

Ich bestreite doch nicht, dass es erfolgreiche Reduktionen gibt und dass in bestimmten Fällen, bei bestimmten Fragestellungen, eine reduktionistische kausal-mechanische Erklärung die beste ist.

Hier ging es doch aber darum, was Eigenschaften sind, speziell ob es nur nicht-relationale Eigenschaften gäbe oder ob es auch sinnvoll sei, relationale Eigenschaften anzunehmen, (Dein Beispiel mit dem Ruf des Verdurstenden in der Wüste nach Wasser).

Wenn es sinnvoll ist, auch relationale Eigenschaften und darauf beruhenden Fragen zu betrachten, (und das ist es mE: warum erscheint Wasser durchsichtig? Warum ist Wasser lebenswichtig für biologische Organismen, an welchen Eigenschaften der Organismen und! von Wasser liegt das?), dann reicht es eben nicht mehr, nur die isolierten nicht-relationalen Eigenschaften von Wasser zu betrachten. Dann benötigt man z.B. auch eine Theorie über Optik und biologische Kenntnisse.

step hat folgendes geschrieben:
Die "was macht sie damit" Frage ist die nach dem Usecase. Und nach meinem Verständnis ist es gerade ein Punkt bei der Evolution, daß man eine Kausalkette für Usecases gibt. Meines Erachtens sind Deine beiden Bedeutungen zwar umgangssprachlich unterschiedlich (eben weil wir bei effizienten Handlungen und Eigenschaften gern eine Zweckillusion haben), werden durch die Evolutionstheorie aber als Aspekt derselben Frage entlarvt.

"Aspekt derselben Frage"? Hm, ich finde nicht. Die Frage, was eine Katze mit ihren Krallen macht, ist eine empirische Frage, die durch Beobachtung des Verhaltens von Katzen hinreichend beantwortet werden kann. Katzen halten mit ihren Krallen ihre Beute fest und verwenden sie auch, um auf Bäume zu klettern.

Die Frage: "wie kommt es, dass Katzen Krallen haben?" ist aber keine empirische Frage.

step hat folgendes geschrieben:
Man könnte vielleicht argumentieren, daß die Zweckbedeutung auch eine Vereinfachung, Abkürzung darstellt und daher ihre Berechtigung hat, wie bei anderen nichtreduzierten Zusammenhängen auch. Da würde ich durchaus mitgehen.

Nein, das ist keine Vereinfachung oder Abkürzung. Wenn ich wissen will, was eine Katze mit ihren Krallen macht, dann will ich nicht wissen, wie es kommt, dass sich Krallen im Laufe der Evolution entwickelt haben. Wenn ich dann weiß, was Katzen mit ihren Krallen machen, dann ist die Frage hinreichend beantwortet.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Das muss man dann beobachten, (bzw. auf die bereits erfolgten Erfahrungen anderer bauen).

Ja sicher. Wenn man den Usecase erfahren will, ohne die ganze Evolution nachzuvollziehen, muß man ihn unreduziert beobachten.

Du meinst, dass es prinzipiell möglich wäre, die ganze Evolution nachzuvollziehen? Das halte ich für eine steile These. s.u.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
zu 3.: Das ist die Frage, ob alle emergenten Eigenschaften und Gesetze einer höheren Ebene prinzipiell auf ihre physikalischen Instanzen reduzierbar sind (= epistemischer Reduktionismus). Und das sehe ich nicht. Einige emergente Eigenschaften und Gesetze mögen reduzierbar sein, aber daraus folgt nicht, dass alle es sind.

Natürlich nicht. Und da will ich eben gern den Pudding an die Wand nageln und verstehen, wo genau Ihr den Beginn der Irreduzibilität seht.

Man kann Irreduzibilität nicht beweisen. Der Reduktionist kann sich immer auf die Behauptung zurückziehen, es könne ja immerhin sein, dass es zukünftig eine Theorie von allem gäbe und zusätzlich ein allwissendes und allintelligentes Wesen postulieren, das all das versteht und alle Ableitungen von unten nach oben treffen könne.

Spulen wir nun ein bisschen zurück. Ausgangspunkt dieser (Neben-)Diskussion war diese Behauptung:

VanHanegem hat folgendes geschrieben:
Das personifizierende Modell der Intention erleichtert die Beschreibung nur, aber ein mechanistisches Modell ist genauso möglich. Wird halt nur erheblich komplexer.

Ein mechanistisches Modell der Intentionen halte ich nicht für möglich. Da stecken mir zu viele hypothetische Annahmen drin (hypothetische Allwissenheit, hypothetische Allberechenbarkeit, hypothetische Allintelligenz).

Außerdem halte ich es nicht für richtig, dass alle Fragen auf kausal-mechanistische Fragen zurückgeführt werden können.

Das heißt aber nicht, dass ich kein Naturalist wäre, d.h. nicht den ontologischen Reduktionismus für richtig hielte. Es bedeutet nur, dass ich einen grundsätzlichen methodologischen Reduktionismus für falsch halte, (= alle Fragen können nur mit einer Zurückleitung auf kausal-mechanische Zusammenhänge der untersten Ebene hinreichend beantwortet werden).

Man könnte zwar nun sagen: alle wissenschaftlichen Fragen können auf kausal-mechanische Zusammenhänge beantwortet werden und wissenschaftlich seien nur die Fragen, die auf kausal-mechanische Zusammenhänge zurückgeleitet werden können, aber das wäre dann offensichtlich ein Zirkel, eine Tautologie.

Oder man könnte zusätzlich behaupten, dass nur solche wissenschaftlichen Fragen wichtig wären, nur die Wissen erhöhen könnten. Was ich aber ebenfalls für eine steile Behauptung hielte.
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22782
Wohnort: Germering

Beitrag(#1692695) Verfasst am: 29.09.2011, 21:14    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wenn es sinnvoll ist, auch relationale Eigenschaften und darauf beruhenden Fragen zu betrachten, (und das ist es mE: warum erscheint Wasser durchsichtig? ...), dann reicht es eben nicht mehr, nur die isolierten nicht-relationalen Eigenschaften von Wasser zu betrachten. Dann benötigt man z.B. auch eine Theorie über Optik und biologische Kenntnisse.

Das sehe ich auch so. Wenn man die Wechselwirkung der Systeme A und B erklären will, reichen die Eigenschaften von A allein dafür nicht aus. Man benötigt auch die Eigenschafen von B und evtl. auch noch die des gemeinsamen Systems, z.B. den Abstand von A und B.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Die Frage, was eine Katze mit ihren Krallen macht, ist eine empirische Frage, die durch Beobachtung des Verhaltens von Katzen hinreichend beantwortet werden kann. Katzen halten mit ihren Krallen ihre Beute fest und verwenden sie auch, um auf Bäume zu klettern. Die Frage: "wie kommt es, dass Katzen Krallen haben?" ist aber keine empirische Frage.

Schon richtig, aber eine rein phänomenale Antwort auf die Frage "was macht die Katze mit den Krallen" ist keine Erklärung. Du hattest ursprünglich eine Frage nach dem (scheinbaren) Zweck gestellt.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Du meinst, dass es prinzipiell möglich wäre, die ganze Evolution nachzuvollziehen? Das halte ich für eine steile These. s.u.

Ja, prinzipiell halte ich das für möglich, praktisch natürlich nicht.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... man könnte zusätzlich behaupten, dass nur solche wissenschaftlichen Fragen wichtig wären, nur die Wissen erhöhen könnten. Was ich aber ebenfalls für eine steile Behauptung hielte.

Wieso? Ich dachte Du hältst Erklärungen, die nicht auf die Physik reduziert sind, auch für Wissen. Was ich übrigens auch so sehen würde.
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AgentProvocateur
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Anmeldungsdatum: 09.01.2005
Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin

Beitrag(#1692728) Verfasst am: 29.09.2011, 23:12    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Die Frage, was eine Katze mit ihren Krallen macht, ist eine empirische Frage, die durch Beobachtung des Verhaltens von Katzen hinreichend beantwortet werden kann. Katzen halten mit ihren Krallen ihre Beute fest und verwenden sie auch, um auf Bäume zu klettern. Die Frage: "wie kommt es, dass Katzen Krallen haben?" ist aber keine empirische Frage.

Schon richtig, aber eine rein phänomenale Antwort auf die Frage "was macht die Katze mit den Krallen" ist keine Erklärung. Du hattest ursprünglich eine Frage nach dem (scheinbaren) Zweck gestellt.

Wir haben hier wohl anscheinend schlicht einen anderen Begriff von 'Zweck'. Wenn ich frage: "was ist der Zweck von Krallen?" dann ist das für mich gleichbedeutend mit der Frage: "wozu sind Krallen gut?" bzw. "wozu werden die verwendet?"

Das habe ich aber auch ziemlich deutlich gemacht, meine ich.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Du meinst, dass es prinzipiell möglich wäre, die ganze Evolution nachzuvollziehen? Das halte ich für eine steile These. s.u.

Ja, prinzipiell halte ich das für möglich, praktisch natürlich nicht.

Wie gesagt, Ausgangspunkt war dies:

VanHanegem hat folgendes geschrieben:
Das personifizierende Modell der Intention erleichtert die Beschreibung nur, aber ein mechanistisches Modell ist genauso möglich. Wird halt nur erheblich komplexer.

Und das stimmt nicht, dagegen habe ich mich gewendet.

Nehmen wir mal an, ich wollte wissen, was mein Freund morgen machen will und ich frage ihn und er sagt: "also, erst gehe ich arbeiten, dann will ich zum Friseur und dann können wir uns treffen und in die Kneipe gehen".

Damit würde ich schon wissen, was ich wissen wollte. Wie aber sollte ein mechanistisches Modell hier möglich sein, damit ich dieselbe Information da raus lesen könnte?

Das ist nicht möglich. Die Frage aber, ob das möglich wäre, wenn ich Gott wäre oder Gedanken lesen könnte oder ich allintelligent und allwissend wäre und die Welt komplett determiniert abliefe und ich das unter Kenntnis der kompletten Anfangsbedingungen des Universums ausrechnen könnte, also ein Laplacescher Dämon wäre, ist doch wenig interessant. All dies trifft nun mal nicht zu, (nicht nur für mich nicht, sondern für niemanden), und also ist es schlicht nicht möglich.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... man könnte zusätzlich behaupten, dass nur solche wissenschaftlichen Fragen wichtig wären, nur die Wissen erhöhen könnten. Was ich aber ebenfalls für eine steile Behauptung hielte.

Wieso? Ich dachte Du hältst Erklärungen, die nicht auf die Physik reduziert sind, auch für Wissen. Was ich übrigens auch so sehen würde.

Wieso 'wieso'? Genau das habe ich doch gesagt.
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Tom der Dino
registrierter User



Anmeldungsdatum: 20.07.2011
Beiträge: 3949

Beitrag(#1692770) Verfasst am: 30.09.2011, 09:12    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wie gesagt, Ausgangspunkt war dies:

VanHanegem hat folgendes geschrieben:
Das personifizierende Modell der Intention erleichtert die Beschreibung nur, aber ein mechanistisches Modell ist genauso möglich. Wird halt nur erheblich komplexer.

Und das stimmt nicht, dagegen habe ich mich gewendet.

Nehmen wir mal an, ich wollte wissen, was mein Freund morgen machen will und ich frage ihn und er sagt: "also, erst gehe ich arbeiten, dann will ich zum Friseur und dann können wir uns treffen und in die Kneipe gehen".

Damit würde ich schon wissen, was ich wissen wollte. Wie aber sollte ein mechanistisches Modell hier möglich sein, damit ich dieselbe Information da raus lesen könnte?

Das ist nicht möglich. Die Frage aber, ob das möglich wäre, wenn ich Gott wäre oder Gedanken lesen könnte oder ich allintelligent und allwissend wäre und die Welt komplett determiniert abliefe und ich das unter Kenntnis der kompletten Anfangsbedingungen des Universums ausrechnen könnte, also ein Laplacescher Dämon wäre, ist doch wenig interessant. All dies trifft nun mal nicht zu, (nicht nur für mich nicht, sondern für niemanden), und also ist es schlicht nicht möglich.


Es ging VanHanegem eher um den Gegensatz Teleologie-Teleonomie, nehme ich an.
"Die Katze hat sich Krallen selektioniert, damit sie die Beute besser packen kann und dadurch mehr zu fressen kriegt und mehr Weibchen abbekommt" wäre ein Beispiel für das personifizierende Modell der Intention. "Die Katzen die Krallen einer bestimmten Stärke und Länge hatten, bekamen dadurch mehr Beute und konnten sich öfter fortpflanzen, weil sie genug Energie hatten." wäre das mechanistische Modell. Sobald tatsächlich Personen mit Intentionen , wie in deinem Beispiel, auftreten, wird das mechanistische Modell viel zu kompliziert und benötigt all die "All-"Eigenschaften die du aufgezählt hast.
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Am Anfang war ......das Experiment.
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VanHanegem
Weltmeister



Anmeldungsdatum: 24.04.2006
Beiträge: 3180

Beitrag(#1692803) Verfasst am: 30.09.2011, 12:14    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Wie gesagt, Ausgangspunkt war dies:

VanHanegem hat folgendes geschrieben:
Das personifizierende Modell der Intention erleichtert die Beschreibung nur, aber ein mechanistisches Modell ist genauso möglich. Wird halt nur erheblich komplexer.

Und das stimmt nicht, dagegen habe ich mich gewendet.

Nehmen wir mal an, ich wollte wissen, was mein Freund morgen machen will und ich frage ihn und er sagt: "also, erst gehe ich arbeiten, dann will ich zum Friseur und dann können wir uns treffen und in die Kneipe gehen".

Damit würde ich schon wissen, was ich wissen wollte. Wie aber sollte ein mechanistisches Modell hier möglich sein, damit ich dieselbe Information da raus lesen könnte?

Das ist nicht möglich. Die Frage aber, ob das möglich wäre, wenn ich Gott wäre oder Gedanken lesen könnte oder ich allintelligent und allwissend wäre und die Welt komplett determiniert abliefe und ich das unter Kenntnis der kompletten Anfangsbedingungen des Universums ausrechnen könnte, also ein Laplacescher Dämon wäre, ist doch wenig interessant. All dies trifft nun mal nicht zu, (nicht nur für mich nicht, sondern für niemanden), und also ist es schlicht nicht möglich.

Dein Beitrag besagt doch auch nur, daß ein mechanistisches Modell aus Gründen des Aufwandes und fehlenden Wissens häufig nicht praktikabel ist und man deshalb die personifizierende Ebene der Information einschiebt und nichts anderes habe ich geschrieben.
Ganz nebenbei: Determiniertheit ist keine Voraussetzung für ein mechanistisches Modell.

Zu Deinem Beispiel: natürlich weißt du gar nichts. Ob Du den Freund morgen nach dem Friseur zu sehen kriegst kann Dir eher ein mechanistisches Modell sagen. Mechanisch-chemische Parameter (Pupillenweite, Gang, Koordination, Blutwerte) können da mehr aussagen als der bloße inhalt des gesprochenen Wortes.
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
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Wohnort: Germering

Beitrag(#1692806) Verfasst am: 30.09.2011, 12:52    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Nehmen wir mal an, ich wollte wissen, was mein Freund morgen machen will und ich frage ihn und er sagt: "also, erst gehe ich arbeiten, dann will ich zum Friseur und dann können wir uns treffen und in die Kneipe gehen".

Damit würde ich schon wissen, was ich wissen wollte. Wie aber sollte ein mechanistisches Modell hier möglich sein, damit ich dieselbe Information da raus lesen könnte?

Dazu müßte man eine gute Theorie (Reduktion) für die Entstehung von Intentionen / Plänen im Gehirn Deines Freundes haben.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Die Frage aber, ob das möglich wäre, wenn ich ... Gedanken lesen könnte ..., ist doch wenig interessant. All dies trifft nun mal nicht zu, (nicht nur für mich nicht, sondern für niemanden), und also ist es schlicht nicht möglich.

Damit habe ich kein Problem, solange es als praktische Unmöglichkeit verstanden wird. Bedenke, daß es auch diverse Phänomene gibt, denen die Philosophen früher großspurig eine Reduzierbarkeit absprachen, die aber inzwischen entweder reduziert sind oder zumindest in den Fokus der Reduktion geraten sind. Auch Gedanken, Präferenzen usw. sind da mE nicht für alle Zeiten gefeit.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... man könnte zusätzlich behaupten, dass nur solche wissenschaftlichen Fragen wichtig wären, nur die Wissen erhöhen könnten. Was ich aber ebenfalls für eine steile Behauptung hielte.
Wieso? Ich dachte Du hältst Erklärungen, die nicht auf die Physik reduziert sind, auch für Wissen. Was ich übrigens auch so sehen würde.
Wieso 'wieso'? Genau das habe ich doch gesagt.

Naja, wenn Du auch nichtreduzierende Theorien für wissenserhöhend hältst, ist die Einschränkung wissenschaftlicher Fragen auf Wissenerhöhendes keine gar so steile These mehr, oder?
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step
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Beitrag(#1692807) Verfasst am: 30.09.2011, 12:57    Titel: Antworten mit Zitat

Man könnte auch argumentieren, daß jede Erklärung eine Reduktion ist, auch wenn sie nicht vollständig bis auf die Physik heruntergeht. Zum Beispiel wird auch in der Biologie oder Soziologie eine These nur dann als Erklärung akzeptiert, wenn sie einen irgendwie "tieferen" Grund oder Mechanimsus für etwas angibt, die man dann auch auf ähnliche Fälle anwenden kann.
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AgentProvocateur
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Beitrag(#1692825) Verfasst am: 30.09.2011, 14:20    Titel: Antworten mit Zitat

VanHanegem hat folgendes geschrieben:
Zu Deinem Beispiel: natürlich weißt du gar nichts. Ob Du den Freund morgen nach dem Friseur zu sehen kriegst kann Dir eher ein mechanistisches Modell sagen. Mechanisch-chemische Parameter (Pupillenweite, Gang, Koordination, Blutwerte) können da mehr aussagen als der bloße inhalt des gesprochenen Wortes.

Das ist widersprüchlich.

Klar können zusätzliche Parameter mehr aussagen als das, was mein Freund behauptet, aber das bedeutet doch mitnichten, dass ich auf ein rein mechanistisches Modell zurückgreifen könnte. Ohne das gesprochene Wort nutzten mir diese Messungen gar nichts, dann wüsste ich gar nichts darüber, was mein Freund morgen machen wird.
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AgentProvocateur
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Beitrag(#1692836) Verfasst am: 30.09.2011, 15:02    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Damit würde ich schon wissen, was ich wissen wollte. Wie aber sollte ein mechanistisches Modell hier möglich sein, damit ich dieselbe Information da raus lesen könnte?

Dazu müßte man eine gute Theorie (Reduktion) für die Entstehung von Intentionen / Plänen im Gehirn Deines Freundes haben.

Hat man aber nicht.

Braucht man jedoch auch nicht unbedingt, s.u.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Die Frage aber, ob das möglich wäre, wenn ich ... Gedanken lesen könnte ..., ist doch wenig interessant. All dies trifft nun mal nicht zu, (nicht nur für mich nicht, sondern für niemanden), und also ist es schlicht nicht möglich.

Damit habe ich kein Problem, solange es als praktische Unmöglichkeit verstanden wird. Bedenke, daß es auch diverse Phänomene gibt, denen die Philosophen früher großspurig eine Reduzierbarkeit absprachen, die aber inzwischen entweder reduziert sind oder zumindest in den Fokus der Reduktion geraten sind. Auch Gedanken, Präferenzen usw. sind da mE nicht für alle Zeiten gefeit.

Wir werden sehen.

Um Gedanken lesen zu können braucht man übrigens nicht unbedingt ein reduktionistisches Modell, es wäre zumindest theoretisch denkbar, dass man Gedanken, Präferenzen etc. neuronalen Korrelaten zuordnen könnte bzw. umgekehrt.

Das wäre dann zwar keine Erklärung, würde aber eben Gedankenlesen ermöglichen.

Bei einem reduktionistischen Modell jedoch, selbst wenn das möglich wäre, hätte man, um konkrete Gedanken und Handlungen vorhersagen zu können, ein zusätzliches Problem: man müsste einen Ausgangszustand hinreichend messen können. Und das ist ein sehr großes Problem: denn es reichte ja nicht, nur ein Gehirn auszumessen, man müsste auch alle möglichen Umwelteinflüsse berücksichtigen, darunter viele andere Gehirne.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... man könnte zusätzlich behaupten, dass nur solche wissenschaftlichen Fragen wichtig wären, nur die Wissen erhöhen könnten. Was ich aber ebenfalls für eine steile Behauptung hielte.
[...]
Naja, wenn Du auch nichtreduzierende Theorien für wissenserhöhend hältst, ist die Einschränkung wissenschaftlicher Fragen auf Wissenerhöhendes keine gar so steile These mehr, oder?

Mit "solche" meinte ich: "wissenschaftlich seien nur die Fragen, die auf kausal-mechanische Zusammenhänge zurückgeleitet werden können".
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Darwin Upheaval
Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator



Anmeldungsdatum: 23.01.2004
Beiträge: 5491
Wohnort: Tief im Süden

Beitrag(#1692855) Verfasst am: 30.09.2011, 16:53    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Um Gedanken lesen zu können braucht man übrigens nicht unbedingt ein reduktionistisches Modell, es wäre zumindest theoretisch denkbar, dass man Gedanken, Präferenzen etc. neuronalen Korrelaten zuordnen könnte bzw. umgekehrt.


Das gelingt z.T. heute schon.
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"Science is a candle in the dark." - Carl Sagan

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Steffen Rehm
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Anmeldungsdatum: 10.07.2011
Beiträge: 160
Wohnort: bei Berlin

Beitrag(#1692936) Verfasst am: 30.09.2011, 23:22    Titel: Antworten mit Zitat

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Um Gedanken lesen zu können braucht man übrigens nicht unbedingt ein reduktionistisches Modell, es wäre zumindest theoretisch denkbar, dass man Gedanken, Präferenzen etc. neuronalen Korrelaten zuordnen könnte bzw. umgekehrt.


Das gelingt z.T. heute schon.


Man sollte sich nicht durch vereinzelte Sensationsberichte zu der Annahme verleiten lassen, daß Hirnforscher demnächst über Maschinen zum Lesen von Gedanken verfügen werden. Davon sind sie mit den heutigen Untersuchungsmethoden noch meilenweit entfernt

Wie schwierig den Experten der Zugang zu den geistigen Vorgängen erscheint, offenbarte sich im Jahr 2004 in dem Magazin >Gehirn und Geist< 6/2004 in einem „Manifest“ der prominenten deutschen Hirnforscher. (C.Elger, A.D.Friederici, C.Koch, H.Luhmann, C.v.d. Malsburg, R.Menzel, H.Monyer, F.Rösler, G.Roth, H.Scheich, W.Singer)

In diesem Manifest stellten die Autoren das Eingeständnis heraus, daß ihr Verständnis für die geistigen Leistungen des menschlichen Gehirns „erschreckend“ gering ist. Obwohl das Gehirn in seinen groben und feinen Strukturen bis ins kleinste Detail bekannt ist, mangelt es den Wissenschaftlern an einem Verständnis für die „mittlere Ebene“, für das Prinzip, nach dem die Vorgänge im Nervensystem in einem Zusammenspiel der groben und feinen Strukturen die geistigen Leistungen hervorbringen.

Zitat:„Nach welchen Regeln das Gehirn arbeitet; wie es die Welt so abbildet, dass unmittelbare Wahrnehmung und frühere Erfahrung miteinander verschmelzen; wie das innere Tun als "seine" Tätigkeit erlebt wird und wie es zukünftige Aktionen plant, all dies verstehen wir nach wie vor nicht einmal in Ansätzen. Mehr noch: Es ist überhaupt nicht klar, wie man dies mit den heutigen Mitteln erforschen könnte. In dieser Hinsicht befinden wir uns gewissermaßen noch auf dem Stand von Jägern und Sammlern.“
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Beitrag(#1693006) Verfasst am: 01.10.2011, 11:53    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Man könnte auch argumentieren, daß jede Erklärung eine Reduktion ist, auch wenn sie nicht vollständig bis auf die Physik heruntergeht. Zum Beispiel wird auch in der Biologie oder Soziologie eine These nur dann als Erklärung akzeptiert, wenn sie einen irgendwie "tieferen" Grund oder Mechanimsus für etwas angibt, die man dann auch auf ähnliche Fälle anwenden kann.

Der Dissenz besteht im Kern allerdings in der Ablehnung oder Zustimmung zu der spekulativen Annahme, Gründe seien auf Physik reduzierbar.
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Beitrag(#1693009) Verfasst am: 01.10.2011, 12:11    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Man könnte auch argumentieren, daß jede Erklärung eine Reduktion ist, auch wenn sie nicht vollständig bis auf die Physik heruntergeht. Zum Beispiel wird auch in der Biologie oder Soziologie eine These nur dann als Erklärung akzeptiert, wenn sie einen irgendwie "tieferen" Grund oder Mechanimsus für etwas angibt, die man dann auch auf ähnliche Fälle anwenden kann.

Der Dissenz besteht im Kern allerdings in der Ablehnung oder Zustimmung zu der spekulativen Annahme, Gründe seien auf Physik reduzierbar.

Ist das wirklich der Dissenz? Ich nehme an, mit Gründen meinst Du hier Gründe im engeren Sinne, also bewußte Gründe für Entscheidungen.

D.h. auf den Fadenwurm träfe das ja immerhin noch nicht zu.
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zelig
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Beitrag(#1693010) Verfasst am: 01.10.2011, 12:24    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Man könnte auch argumentieren, daß jede Erklärung eine Reduktion ist, auch wenn sie nicht vollständig bis auf die Physik heruntergeht. Zum Beispiel wird auch in der Biologie oder Soziologie eine These nur dann als Erklärung akzeptiert, wenn sie einen irgendwie "tieferen" Grund oder Mechanimsus für etwas angibt, die man dann auch auf ähnliche Fälle anwenden kann.

Der Dissenz besteht im Kern allerdings in der Ablehnung oder Zustimmung zu der spekulativen Annahme, Gründe seien auf Physik reduzierbar.

Ist das wirklich der Dissenz? Ich nehme an, mit Gründen meinst Du hier Gründe im engeren Sinne, also bewußte Gründe für Entscheidungen.

D.h. auf den Fadenwurm träfe das ja immerhin noch nicht zu.


Ich verstehe das so, daß wir häufig um die Frage kreisen, ob Begründungen in naturwisenschaftlichen Modellen aufgehen. Ich weiß nicht, wie der Fadenwurm da reinkommt, vielleicht habe ich den Zweig der Diskussion nicht mitbekommen. Aber ja, der Fadenwurm begründet nicht. Er fragt sich übrigens auch nicht, was eigentlich ein Fadenwurm ist.
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Beitrag(#1693167) Verfasst am: 01.10.2011, 22:27    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
Der Dissenz besteht im Kern allerdings in der Ablehnung oder Zustimmung zu der spekulativen Annahme, Gründe seien auf Physik reduzierbar.

Ja. Oder anders gesagt: in der Annahme, alles sei auf eine grundlegende physikalische Ebene reduzierbar.

Das Problem ist hier nun auch, dass es die verschiedenen Arten des Reduktionismus gibt, die aber anscheinend oft zusammengeschmissen werden.

Ich kann ontologischer Reduktionist sein, (d.h. Naturalist), kann auch methodologischen Reduktionismus für viele Fragestellungen als sinnvolle Vorgehensweise erachten.

Ich muss dann aber noch lange nicht methodologischen Reduktionismus als einzige Erkenntnisquelle anerkennen und ich muss erst recht nicht einen hypothetisch vollständigen epistemischen Reduktionismus für richtig halten.

Anders gesagt: ich bin Naturalist, aber ich halte einen vollständigen methodologischen und epistemischen Reduktionismus für falsch. Ein solcher würde auf einen eliminativen Materialismus hinauslaufen und den halte ich für wenig plausibel.

Also: ich meine, alles was existiert, ist durch physikalische Prozesse realisiert, aber das heißt eben nicht, dass die reine Betrachtung der Ebene der physikalischen Prozesse schon reicht, um alles zu erklären, die physikalische Ebene irgendwie die einzig wirkliche, einzig wahre / wirkliche Ebene wäre. Oder so.

Ganz einfach aus dem Grunde, dass eine Betrachtung der physikalischen Ebene keine Erklärung ist und eine physikalische Erklärung der Erklärung dann aussteht und eine physikalische Erklärung der Erklärung der Erklärung und so fort.

Nehmen wir mal diese Aussage des Biologen Ulrich Kutschera:

Wikipedia - Szientismus hat folgendes geschrieben:
Nach Auffassung des Biologen Ulrich Kutschera baue auf der Arbeit der Naturwissenschaftler „letztendlich unser gesamter verlässlicher, technologisch verwertbarer Wissensschatz“ auf. Dem gegenüber würde die von ihm als „Verbalwissenschaft“ titulierte Geisteswissenschaft lediglich „Tertiärliteratur“ produzieren. In einer Replik auf Kritiker verweist Kutschera darauf, dass Denken „ein biologischer Vorgang und das Verständnis seiner Produkte deswegen Sache der Biologie“ sei.

Diese Aussagen von Kutschera sind nun offensichtlich falsch, (in dem Sinne: kann keine Geltung beanspruchen, ist selbstwidersprüchlich), weil, wenn sie richtig wären, er sie nicht so formulieren dürfte. Er müsste sie biologisch formulieren. Aber das kann er nicht: wir haben nur unsere Sprache, um zu kommunizieren, wir haben nichts anderes.

Und es ist schon reichlich seltsam, dass er mit diesen Aussagen gleich z.B. alle Erkenntnistheorie mit in die Tonne kloppt.

Alle unsere (vermittelbare) Erkenntnis und all unser (vermittelbares) Wissen basiert auf Sprache, es ist geradezu Irrsinn, das leugnen zu wollen - durch einen Aussagesatz, der auf Sprache zurückgreift!

Es ergibt einfach keinen Sinn, zu sagen: "die Ebene der Abstraktion, die Ebene der Sprache existiert in Wirklichkeit gar nicht, ist unwichtige / irreale Illusion, in Wirklichkeit sind alles nur physikalische Vorgänge" - denn diese Aussage ist wiederum selbstwidersprüchlich / selbstaufhebend.

Kutschera schuldet nun eine Erklärung, wenn er seine Aussagen belegen will, die ohne Sprache auskommt, die sich aus einer rein deskriptiven (und nichtsprachlichen!) Darstellung biologischer Vorgänge ergibt. Ich glaube aber nicht, dass er das leisten kann, ich habe noch nicht einmal den leisesten Hauch einer Idee, wie das zu leisten wäre.

Daraus, dass alle Phänomene unserer Welt auf physikalischen Vorgängen basieren, durch solche realisiert sind, (= ontologischer Reduktionismus), folgt mitnichten, dass auch alles auf die physikalische Ebene epistemisch reduzierbar wäre oder dass die physikalische Betrachtungsebene die einzig wahre / wichtige sei.

Und da nutzt es auch nichts, irgendwie ganz implizit einen 'god's point of view' anzunehmen, einen objektiven Standpunkt. Denn, völlig egal, ob das prinzipiell möglich wäre oder nicht, (ich glaube das übrigens nicht): wir können einen solchen Standpunkt nicht einnehmen.
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Tom der Dino
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Beitrag(#1693176) Verfasst am: 01.10.2011, 23:32    Titel: Antworten mit Zitat

These 1: Unsrige jetzige Welt hatte mit soetwas wie dem Urknall ihren Anfang.

Alle Elemente und Sterne und Planeten etc. entwickelten sich. Die Chemie auf unserem Planeten entwickelte sich aus den Gegebenheiten, das Leben folgte, wir Menschen entwickelten uns. Daraus folgt für mich zwingend, dass unsere Welt konsistent ist.

Ich sehe in diesem Szenario keine Unmöglichkeit eines wie auch immer gearteten Reduktionismus. Der einzige Zweifel der besteht, ist, dass wir Menschen clever genug sind, alles vollständig zu reduzieren.

These 2: Unsere jetzige Welt wurde ausgedacht und erschaffen.

Dann sollte es Hinweise auf Inkonsistenz und Irreduzierbarkeit geben. Bis jetzt sind mir diese nicht bekannt. Die, die man vorbringen könnte, lassen sich immer auf die menschliche Doofheit reduzieren. Viele von denen sind mittlerweile auch widerlegt.

These 3: Unsere jetzige Welt wurde ausgedacht, erschaffen und ist vollständig konsistent.

Dann ließe sich alles bis zum Erschaffungszeitpunkt reduzieren. Diesen Zeitpunkt könnte man Urknall nennen, was dann wiederum zu These 1 führt.

----------------
Es ist unsinnig alles auf der physikalischen Ebene erklären zu wollen, also jemandem anderen erklären zu wollen. Das kostet nur Zeit und sicher einiges mehr wenn das Gegenüber nichts von Physik versteht.

Aber letztendlich basiert alles auf der Physik. Es gibt schlicht nichts anderes Sinnvolles, auf dem es basieren könnte.

Es ist wahr, dass man nur bis zum Beginn der Physik reduzieren kann und nicht darüber hinaus. Das wäre ähnlich unsinnig, wie die Frage was vor dem Anbeginn der Zeit war.
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AgentProvocateur
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Beitrag(#1693186) Verfasst am: 02.10.2011, 00:01    Titel: Antworten mit Zitat

Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
These 1: Unsrige jetzige Welt hatte mit soetwas wie dem Urknall ihren Anfang.

Alle Elemente und Sterne und Planeten etc. entwickelten sich. Die Chemie auf unserem Planeten entwickelte sich aus den Gegebenheiten, das Leben folgte, wir Menschen entwickelten uns. Daraus folgt für mich zwingend, dass unsere Welt konsistent ist.

Ich sehe in diesem Szenario keine Unmöglichkeit eines wie auch immer gearteten Reduktionismus. Der einzige Zweifel der besteht, ist, dass wir Menschen clever genug sind, alles vollständig zu reduzieren.

Jegliche Erklärung und jegliches Verstehen der Erklärung erfolgt notwendigerweise auf der Ebene der Sprache. Du kannst eine Erklärung (d.h. die Ebene der Sprache) daher nicht auf die Ebene der Physik reduzieren - d.h. die Erklärung oder Wahrheit einer Aussage oder Logik kausal-mechanistisch herleiten.

D.h.: (extremer) eliminativer Reduktionismus ist falsch, kann nicht vollständig gelingen - weil man für Erklärungen und Verstehen die Ebene der Sprache nicht vollständig verlassen kann.

Und wie gesagt: das bedeutet nicht!!!, dass man gleichzeitig ontologischen Reduktionismus (= alle Phänomene sind durch physikalische Prozesse realisiert) ablehnen muss, dass man Substanz-Dualist sein müsste oder Geist-Monist.

Und nun ein allmächtigtes, allwissendes, außerhalb der Welt stehendes Wesen, das die objektive Wahrheit kennte, zu proklamieren, finde ich mehr als merkwürdig. (-> "Der Mensch ist nicht clever genug").
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Tom der Dino
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Beitrag(#1693189) Verfasst am: 02.10.2011, 00:21    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
These 1: Unsrige jetzige Welt hatte mit soetwas wie dem Urknall ihren Anfang.

Alle Elemente und Sterne und Planeten etc. entwickelten sich. Die Chemie auf unserem Planeten entwickelte sich aus den Gegebenheiten, das Leben folgte, wir Menschen entwickelten uns. Daraus folgt für mich zwingend, dass unsere Welt konsistent ist.

Ich sehe in diesem Szenario keine Unmöglichkeit eines wie auch immer gearteten Reduktionismus. Der einzige Zweifel der besteht, ist, dass wir Menschen clever genug sind, alles vollständig zu reduzieren.

Jegliche Erklärung und jegliches Verstehen der Erklärung erfolgt notwendigerweise auf der Ebene der Sprache. Du kannst eine Erklärung (d.h. die Ebene der Sprache) daher nicht auf die Ebene der Physik reduzieren - d.h. die Erklärung oder Wahrheit einer Aussage oder Logik kausal-mechanistisch herleiten.

D.h.: (extremer) eliminativer Reduktionismus ist falsch, kann nicht vollständig gelingen - weil man für Erklärungen und Verstehenn die Ebene der Sprache nicht vollständig verlassen kann.

Und wie gesagt: das bedeutet nicht!!!, dass man gleichzeitig ontologischen Reduktionismus (= alle Phänomene sind durch physikalische Prozesse realisiert) ablehnen muss, dass man Substanz-Dualist sein müsste oder Geist-Monist.
Wenn sich alles aufgrund der Physik entwickelt hat, dann kann man alles auf die Physik reduzieren, auch die Sprache. Rein prinzipiell. Wenn die Sprache selbst ein Hindernis darstellt, dann wird eine geeignete Sprache dafür gefunden werden müssen, aber das ist auch nur ein Hindernis was überwunden werden muss. Aus der Existenz eines Hindernisses folgt nicht die Unmöglichkeit des Vorhabens.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und nun ein allmächtigtes, allwissendes, außerhalb der Welt stehendes Wesen, das die objektive Wahrheit kennte, zu proklamieren, finde ich mehr als merkwürdig. (-> "Der Mensch ist nicht clever genug").


Aus "Der Mensch ist nicht clever genug" folgt nicht! ein allmächtiges, all usw. Wesen. So eins proklamiere ich absolut nicht. Dass der Mensch (noch) nicht in der Lage ist, alles vollständig zu reduzieren, heisst nicht, dass es nicht möglich ist, sondern einfach nur, dass der Mensch selbst es noch nicht geschafft hat. Selbst wenn er es nie schaffen wird, liegt es wahrscheinlich nur an der menscheigenen Unfähigkeit dazu und nicht an der prinzipiellen Unmöglichkeit.
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AgentProvocateur
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Beitrag(#1693194) Verfasst am: 02.10.2011, 00:43    Titel: Antworten mit Zitat

Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
Wenn sich alles aufgrund der Physik entwickelt hat, dann kann man alles auf die Physik reduzieren, auch die Sprache. Rein prinzipiell. Wenn die Sprache selbst ein Hindernis darstellt, dann wird eine geeignete Sprache dafür gefunden werden müssen, aber das ist auch nur ein Hindernis was überwunden werden muss. Aus der Existenz eines Hindernisses folgt nicht die Unmöglichkeit des Vorhabens.

Auch eine "geeignete Sprache" ist eine Abstraktion, (benötigt zumindest Abstraktionen), befindet sich somit nicht auf der untersten physikalischen Ebene, befindet sich auf einer darüber liegenden Ebene.

Um etwas erklären zu können, benötigst Du entweder eine Sprache oder aber Du proklamierst ein Wesen, das einfach so, ohne Sprache, nur durch Anschauen des aktuellen physikalischen Zustandes auf der unteren Ebene der Welt alles weiß, was man wissen kann.

Und dann aber wäre dieses Wissen des Wesens wieder ein Phänomen, das man auf physikalische Zustände reduzieren müsste, man bräucht dazu dann noch ein höheres Wesen und für dieses Wesen wieder ein höheres Wesen und so weiter und so fort bis ins Unendliche.

Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
Aus "Der Mensch ist nicht clever genug" folgt nicht! ein allmächtiges, all usw. Wesen. So eins proklamiere ich absolut nicht. Dass der Mensch (noch) nicht in der Lage ist, alles vollständig zu reduzieren, heisst nicht, dass es nicht möglich ist, sondern einfach nur, dass der Mensch selbst es noch nicht geschafft hat. Selbst wenn er es nie schaffen wird, liegt es wahrscheinlich nur an der menscheigenen Unfähigkeit dazu und nicht an der prinzipiellen Unmöglichkeit.

Wenn es an der menscheigenen Unfähigkeit liegt, dann ist das mE dasselbe wie prinzipielle Unmöglichkeit.

Es sei denn aber: man proklamierte nun ein höheres Wesen, (aka Gott), das das (für mich völlig unverständlicherweise) leisten könnte. Aber dazu gibt es nun meiner Ansicht nach überhaupt keinen Grund, das ist eine metaphysische Annahme, die ich nicht akzeptiere. Und nicht nur deswegen, weil ich Atheist bin. Es ist eher umgekehrt: ich glaube nicht, dass es einen objektiven Standpunkt geben kann und deswegen halte ich Gott für schlicht überflüssig.
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step
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Beitrag(#1693289) Verfasst am: 02.10.2011, 12:18    Titel: Antworten mit Zitat

Ich finde es schon bemerkenswert, daß jeder Antireduktionist ganz unterschiedliche Kriterien für Irreduzibilität angibt. Bei zelig sind es die Gründe, AP nennt die Sprache bzw. Abstraktion, andererseits aber auch "Zwecke" bei Eigenschaften nichtsprachlicher Objekte, weist dann aber wieder darauf hin, daß man Irreduzibilität nicht zeigen könne, und wieder Andere nennen z.B. die Komplexität / Unberechenbarkeit als Kriterium, usw.

Das Argument mit der Sprache halte ich für ungeeignet, ich sehe nicht, wieso aus "reiner Physik" nicht z.B. eine künstliche Intelligenz entstehen können sollte, die dann z.B. intern Symbole oder Sätze verwendet, um damit bestimmte Epiphänomene abstrakter zu repräsentieren.

In einem Punkt möchte ich aber auch Tom widersprechen: Als Verhinderer tatsächlicher Reduktion kommt nicht nur mangelnde Cleverness infrage, sondern es könnte auch sein, daß die Naturgesetze direkt zur Folge haben, daß eine vollständige Berechnung nicht möglich ist (also z.B. daß in unserem Universum keine Omegapunkte möglich sind). Allerdings wäre das kein Argument gegen die Reduzierbarkeit im wissenschaftlichen Alltag.
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Marcellinus
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Beitrag(#1693402) Verfasst am: 02.10.2011, 19:33    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Ich finde es schon bemerkenswert, daß jeder Antireduktionist ganz unterschiedliche Kriterien für Irreduzibilität angibt. Bei zelig sind es die Gründe, AP nennt die Sprache bzw. Abstraktion, andererseits aber auch "Zwecke" bei Eigenschaften nichtsprachlicher Objekte, weist dann aber wieder darauf hin, daß man Irreduzibilität nicht zeigen könne, und wieder Andere nennen z.B. die Komplexität / Unberechenbarkeit als Kriterium, usw.

Ich denke, wenn jemand die Reduzierbarkeit behauptet, sollte er sie beweisen, denn in der Praxis ist sie nicht zu sehen. Wenn es eine Aussage sein sollte, über das "Wesen" dieses Universums, ist es eh eine Glaubensfrage, denn wir kennen nur Eigenschaften, nicht irgendwelche "Dinge an sich".

Ich bin ein Physik-Laie, aber wenn ich das richtig verstanden habe, gibt es eine Grenze, unter der wir nicht mehr ins Kleine gucken können, wir also die "Bestandteile" dieses Universums nie wirklich kennen werden. Hinter jeder Grenze gibt es wieder eine neue, und das "atomos", das "Unteilbare" ist ein Fiktion.

Ähnlich ist es mit dem Weg zurück zum Anfang unseres Universums. Auch da gibt es einen Punkt, hinter den wir nicht schauen können, und wenn wir es irgendwann doch können, spricht viel dafür daß da dann der nächste Punkt auftaucht, der uns ein Rätsel bleibt.

Dann die Größe des Universums. Jeder Versuch, dieses Universum von unserem kleinen, beschränkten Standort "vollständig" beschreiben zu wollen, ist einfach nur eine Fantasievorstellung.

Dagegen haben wir alles Wissen, daß wir bisher über diese Welt gewonnen haben, nur deshalb, weil man offenbar nicht reduzieren muß, um Eigenschaften dieser Welt herauszufinden. Emergenz ist also offenbar eine Tatsache: Objekte können Eigenschaften haben, die keines ihrer Elemente hat, die sich nur aus der Anordnung dieser Elemente, ihrem Zusammenspiel ergeben, nicht aus ihren Eigenschaften selbst.

Damit wird die Frage, ob man auf dem einen oder anderen Gebiet vielleicht doch noch irgendetwas auf die Eigenschaften seiner Elemente reduzieren kann, zu einer rein akademischen, prinzipiell aber ohne Bedeutung.

Diese Universum besteht aus Objekten, die ihrerseits wieder aus Bestandteilen bestehen bis runter auf eine Ebene, wo sich für uns alles nicht nur in Unanschaulichkeit, sondern auch in Nicht-Nachweisbarkeit auflöst. Auf allen Ebenen dieses Universums, die wir nachweisen und beobachten können, bilden Objekte neue Objekte mit Eigenschaften, die ihre Bestandteile noch nicht besaßen, die sich nur aus der Anordnung dieser Bestandteile ergeben.

Nur weil das so ist, können wir überhaupt Wissenschaft betreiben, denn wir beschreiben und erklären Eigenschaften von Objekten, deren Bestandteile uns entweder unbekannt sind, oder deren Eigenschaften nicht oder nur zum Teil Teil unserer Erklärungen sind. Ich muß den atomaren Aufbau eines Kometen nicht in allen Einzelheiten kennen, um seine Bahn zu berechnen, obwohl dieser Komet ausschließlich aus diesen Einzelteilen besteht. Ich muß die Zellstruktur eines Lebewesens nicht in allen Einzelheiten kennen, um seine Evolution zu beschreiben, obwohl dieses Lebewesen ausschließlich aus diesen Zellen besteht.
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Tom der Dino
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Beitrag(#1693403) Verfasst am: 02.10.2011, 19:33    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Ich finde es schon bemerkenswert, daß jeder Antireduktionist ganz unterschiedliche Kriterien für Irreduzibilität angibt. Bei zelig sind es die Gründe, AP nennt die Sprache bzw. Abstraktion, andererseits aber auch "Zwecke" bei Eigenschaften nichtsprachlicher Objekte, weist dann aber wieder darauf hin, daß man Irreduzibilität nicht zeigen könne, und wieder Andere nennen z.B. die Komplexität / Unberechenbarkeit als Kriterium, usw.

Das Argument mit der Sprache halte ich für ungeeignet, ich sehe nicht, wieso aus "reiner Physik" nicht z.B. eine künstliche Intelligenz entstehen können sollte, die dann z.B. intern Symbole oder Sätze verwendet, um damit bestimmte Epiphänomene abstrakter zu repräsentieren.
Zustimmung. Ein weiterer Punkt ist der, dass Sprache viel flexibler ist als die Wirklichkeit, Beispiel: "Vor dem Beginn der Zeit , gab es einen großen Raum in dem erst ein Kaninchen, dann ein Hase und schließlich ein Kopffüßer vor sich hinzählten." Die Sprache ist in der Lage einen Zustand zu beschreibe, der physikalisch absolut unsinnig ist. Selbst wenn sich der Zustand oder die Gegebenheiten unserer Alltagswelt oder gar der Physik entziehen sind sie sprachlich beschreibbar. Quantenmechanische Ereignisse entziehen sich unserem Verständnis noch mehr als der absurde Satz den ich formulierte. Trotz allem lassen sie sich mit Hilfe der Mathematik formulieren und kommunizieren und reduzieren.

step hat folgendes geschrieben:
In einem Punkt möchte ich aber auch Tom widersprechen: Als Verhinderer tatsächlicher Reduktion kommt nicht nur mangelnde Cleverness infrage, sondern es könnte auch sein, daß die Naturgesetze direkt zur Folge haben, daß eine vollständige Berechnung nicht möglich ist (also z.B. daß in unserem Universum keine Omegapunkte möglich sind). Allerdings wäre das kein Argument gegen die Reduzierbarkeit im wissenschaftlichen Alltag.


Ich halte eine Reduktion für prinzipiell möglich in dem Sinne, dass wenn genügend Zeit vorhanden wäre und ein genügend intelligentes Wesen vorhanden ist, das sich auch damit beschäftigen möchte, dieses es schaffen könnte.
Sicher ist es absolut fraglich, ob es jemals dazu kommt. Wenn ich den "Omega-Punkt" verstanden habe, bedeutet er einen Zeitpunkt an dem das Wissen komplett vorhanden ist. Nur bedeutet die Folgerung des damit existent gewordenen Gottes, dass dieses Wissen zwingend vereinigt vorkommen muss. Vielleicht ist aber bedingt durch die Existenz vieler Außerirdischer Zivilisationen, dieses Wissen bereits komplett im Universum vorhanden. Der Omega-Punkt wäre erreicht, die Möglichkeit der Reduktion wäre damit bewiesen, ohne dass ein Individuum wirklich dazu in der Lage wäre.

Letztendlich ist diese Omegapunkt-Hypothese nicht überprüfbar, bis der Omegapunkt wirklich eintritt. Somit ist auch die Unmöglichkeit nicht überprüfbar. Die einzige Möglichkeit den Omegapunkt zu falsifizieren, die ich sehe, ist der Nachweis einer Irreduzibilität. Dieser Nachweis ist unmöglich, da ein Nachweis einer Irreduzibilität als Schwäche der physikalischen Theorie aufgefasst wird und damit als Beweis der menschlichen Fehlbarkeit. Die Theorie wird modifiziert bis sie wieder passt. Damit kehrt wieder Konsistenz ein. Bis eben wieder ein Bereich entdeckt wird für den die Theorie Schwachsinn ausgibt usw usf.
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Tom der Dino
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Beitrag(#1693408) Verfasst am: 02.10.2011, 19:56    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Ich finde es schon bemerkenswert, daß jeder Antireduktionist ganz unterschiedliche Kriterien für Irreduzibilität angibt. Bei zelig sind es die Gründe, AP nennt die Sprache bzw. Abstraktion, andererseits aber auch "Zwecke" bei Eigenschaften nichtsprachlicher Objekte, weist dann aber wieder darauf hin, daß man Irreduzibilität nicht zeigen könne, und wieder Andere nennen z.B. die Komplexität / Unberechenbarkeit als Kriterium, usw.

Ich denke, wenn jemand die Reduzierbarkeit behauptet, sollte er sie beweisen, denn in der Praxis ist sie nicht zu sehen. Wenn es eine Aussage sein sollte, über das "Wesen" dieses Universums, ist es eh eine Glaubensfrage, denn wir kennen nur Eigenschaften, nicht irgendwelche "Dinge an sich".
Was ist denn bitte der Unterschied? Wir nehmen zwei unterschiedliche "Dinge an sich" an. Die Unterscheidung erfolgt aufgrund unterschiedlicher messbarer Eigenschaften.
Dass wir nicht in der Lage sind alle Eigenschaften vollständig zu erfassen, liegt an unserer Beschränktheit. Mal abgesehen von komplementären Eigenschaften, die der Unschärferelation unterliegen. Aber die sind tatsächlich unscharf. Alles was interagiert, ist messbar. Alles was nicht interagiert ist irrelevant, nicht vorhanden, Phantasie, oder Unsinn, oder Krutzelmutzelmö oder welchen Namen man noch geben möchte.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Ich bin ein Physik-Laie, aber wenn ich das richtig verstanden habe, gibt es eine Grenze, unter der wir nicht mehr ins Kleine gucken können, wir also die "Bestandteile" dieses Universums nie wirklich kennen werden. Hinter jeder Grenze gibt es wieder eine neue, und das "atomos", das "Unteilbare" ist ein Fiktion.
Das ist gut möglich aber noch nicht bewiesen. Sollte es etwas kleineres geben was prinzipiell nicht nachweisbar ist, hat es allerdings keine Auswirkungen auf unser Universum.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Dann die Größe des Universums. Jeder Versuch, dieses Universum von unserem kleinen, beschränkten Standort "vollständig" beschreiben zu wollen, ist einfach nur eine Fantasievorstellung.
Unmöglich für uns aber prinzipiell unmöglich?

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Dagegen haben wir alles Wissen, daß wir bisher über diese Welt gewonnen haben, nur deshalb, weil man offenbar nicht reduzieren muß, um Eigenschaften dieser Welt herauszufinden.
Das ist schlicht falsch. Die Quantentheorien sind der beste Ausdruck der Reduktion. Der ungeheure Teilchenzoo, der erst Verwirrung stiftete und durch die Entdeckung der 6 Quarks und der Leptonen vereinfacht wurde ist nur ein Beispiel der erfolgreichen Reduktion. Die Äquivalenzprinzipien der Relativitätstheorien sind ebenfalls Reduktionen.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Emergenz ist also offenbar eine Tatsache: Objekte können Eigenschaften haben, die keines ihrer Elemente hat, die sich nur aus der Anordnung dieser Elemente, ihrem Zusammenspiel ergeben, nicht aus ihren Eigenschaften selbst.
Das ist eine Wortdefinition. Wenn man den Teilchen die Eigenschaft der Zusammensetzung der Umgebung dazugibt, und sie nicht einfach subtrahiert und nur dem System zuschreibt, hebt sich Emergenz auf. Ich geb allerdings zu, dass Emergenz sich hervorragend für Didaktik eignet, es ist viel weniger kompliziert.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Damit wird die Frage, ob man auf dem einen oder anderen Gebiet vielleicht doch noch irgendetwas auf die Eigenschaften seiner Elemente reduzieren kann, zu einer rein akademischen, prinzipiell aber ohne Bedeutung.
Aber dennoch möglich.
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Beitrag(#1693412) Verfasst am: 02.10.2011, 20:17    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Der Dissenz besteht im Kern allerdings in der Ablehnung oder Zustimmung zu der spekulativen Annahme, Gründe seien auf Physik reduzierbar.

Ja. Oder anders gesagt: in der Annahme, alles sei auf eine grundlegende physikalische Ebene reduzierbar.

Das Problem ist hier nun auch, dass es die verschiedenen Arten des Reduktionismus gibt, die aber anscheinend oft zusammengeschmissen werden.

Ich kann ontologischer Reduktionist sein, (d.h. Naturalist), kann auch methodologischen Reduktionismus für viele Fragestellungen als sinnvolle Vorgehensweise erachten.

Ich muss dann aber noch lange nicht methodologischen Reduktionismus als einzige Erkenntnisquelle anerkennen und ich muss erst recht nicht einen hypothetisch vollständigen epistemischen Reduktionismus für richtig halten.

Anders gesagt: ich bin Naturalist, aber ich halte einen vollständigen methodologischen und epistemischen Reduktionismus für falsch. Ein solcher würde auf einen eliminativen Materialismus hinauslaufen und den halte ich für wenig plausibel.

Also: ich meine, alles was existiert, ist durch physikalische Prozesse realisiert, aber das heißt eben nicht, dass die reine Betrachtung der Ebene der physikalischen Prozesse schon reicht, um alles zu erklären, die physikalische Ebene irgendwie die einzig wirkliche, einzig wahre / wirkliche Ebene wäre. Oder so.

Ganz einfach aus dem Grunde, dass eine Betrachtung der physikalischen Ebene keine Erklärung ist und eine physikalische Erklärung der Erklärung dann aussteht und eine physikalische Erklärung der Erklärung der Erklärung und so fort.

Nehmen wir mal diese Aussage des Biologen Ulrich Kutschera:

Wikipedia - Szientismus hat folgendes geschrieben:
Nach Auffassung des Biologen Ulrich Kutschera baue auf der Arbeit der Naturwissenschaftler „letztendlich unser gesamter verlässlicher, technologisch verwertbarer Wissensschatz“ auf. Dem gegenüber würde die von ihm als „Verbalwissenschaft“ titulierte Geisteswissenschaft lediglich „Tertiärliteratur“ produzieren. In einer Replik auf Kritiker verweist Kutschera darauf, dass Denken „ein biologischer Vorgang und das Verständnis seiner Produkte deswegen Sache der Biologie“ sei.

Diese Aussagen von Kutschera sind nun offensichtlich falsch, (in dem Sinne: kann keine Geltung beanspruchen, ist selbstwidersprüchlich), weil, wenn sie richtig wären, er sie nicht so formulieren dürfte. Er müsste sie biologisch formulieren. Aber das kann er nicht: wir haben nur unsere Sprache, um zu kommunizieren, wir haben nichts anderes.

Und es ist schon reichlich seltsam, dass er mit diesen Aussagen gleich z.B. alle Erkenntnistheorie mit in die Tonne kloppt.

Alle unsere (vermittelbare) Erkenntnis und all unser (vermittelbares) Wissen basiert auf Sprache, es ist geradezu Irrsinn, das leugnen zu wollen - durch einen Aussagesatz, der auf Sprache zurückgreift!

Es ergibt einfach keinen Sinn, zu sagen: "die Ebene der Abstraktion, die Ebene der Sprache existiert in Wirklichkeit gar nicht, ist unwichtige / irreale Illusion, in Wirklichkeit sind alles nur physikalische Vorgänge" - denn diese Aussage ist wiederum selbstwidersprüchlich / selbstaufhebend.

Kutschera schuldet nun eine Erklärung, wenn er seine Aussagen belegen will, die ohne Sprache auskommt, die sich aus einer rein deskriptiven (und nichtsprachlichen!) Darstellung biologischer Vorgänge ergibt. Ich glaube aber nicht, dass er das leisten kann, ich habe noch nicht einmal den leisesten Hauch einer Idee, wie das zu leisten wäre.

Daraus, dass alle Phänomene unserer Welt auf physikalischen Vorgängen basieren, durch solche realisiert sind, (= ontologischer Reduktionismus), folgt mitnichten, dass auch alles auf die physikalische Ebene epistemisch reduzierbar wäre oder dass die physikalische Betrachtungsebene die einzig wahre / wichtige sei.

Und da nutzt es auch nichts, irgendwie ganz implizit einen 'god's point of view' anzunehmen, einen objektiven Standpunkt. Denn, völlig egal, ob das prinzipiell möglich wäre oder nicht, (ich glaube das übrigens nicht): wir können einen solchen Standpunkt nicht einnehmen.


Ich glaube, ich verstehe Deinen Standpunkt. Ich bin allerdings skeptisch gegenüber der Aussage, daß alles, was existiert, durch physikalische Prozesse realisiert ist. Glaubst Du, daß Dinge wie Strukturen und Relationen prinzipiell aus physikalischen Prozessen resultieren?

Auch finde ich, daß die Sprache eine unterschätzte Rolle spielt, allerdings wäre das nicht mein wesentlicher Einwand gegen den Reduktionismus. Ich habe vielleicht auch keinen einzelnen wesentlichen Einwand, mehr so ein Bündel, der aus einer humanistischen Position kommt - und infolge dessen sich gegen die Art von Reduktionismus wendet, die den Humanismus auszuhebeln meint. Gewollt oder ungewollt.
Die Einlassung Kutscheras war übrigens schon Gegenstand heftiger Diskussionen im FGH. Ich finde sie eigentlich ganz gut, weil sie, plakativ wie sie ist, zeigt, wogegen man sich als Humanist zu wenden hat.
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Beitrag(#1693426) Verfasst am: 02.10.2011, 20:39    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Ich denke, wenn jemand die Reduzierbarkeit behauptet, sollte er sie beweisen, denn in der Praxis ist sie nicht zu sehen.

Das sehe ich mehrfach anders. Erstens ist die Reduzierbarkeit in der Praxis je nach Pänomen sichtbar oder auch nicht. Zweitens behauptet der Antireduktionist aj meist mehr als nur, daß etwas ganz bestimmtes noch nicht Reduziertes, nicht reduzierbar sei. Meist behauptet er, bestimmte Dinge (oder alles) seien prinzipiel nicht reduzierbar. Das bedarf ebenfalls eines Beweises.

De facto wird es aber tatsächlich so wie immer laufen: Es wird für jedes einzelne Phänomen so lange behauptet, es sei irreduzibel, bis der Beweis für das Gegenteil nicht mehr zu leugnen ist. Umgekehrt kann heute den Beweis für sagen wir das Bewußtsein niemand erbringen, und einige Phänomene werden vielleicht ewig unreduziert bleiben.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Ich bin ein Physik-Laie, aber wenn ich das richtig verstanden habe, gibt es eine Grenze, unter der wir nicht mehr ins Kleine gucken können, wir also die "Bestandteile" dieses Universums nie wirklich kennen werden. Hinter jeder Grenze gibt es wieder eine neue, und das "atomos", das "Unteilbare" ist ein Fiktion.

Da wär ich mir nicht so sicher. Das Teilen macht irgendwann keinen Sinn mehr, meinen die Physiker. Du hast allerdings insofern recht, als sicher offene Fragen bleiben. Aber das ist hier nicht der strittige Punkt.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Dagegen haben wir alles Wissen, daß wir bisher über diese Welt gewonnen haben, nur deshalb, weil man offenbar nicht reduzieren muß, um Eigenschaften dieser Welt herauszufinden.

Nein, so würde ich das nicht unterschrieben. Das gilt sicher nicht für "alles Wissen".

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Emergenz ist also offenbar eine Tatsache: Objekte können Eigenschaften haben, die keines ihrer Elemente hat, ...

Das dagegen erscheint mir völlig unstrittig.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
... die sich nur aus der Anordnung dieser Elemente, ihrem Zusammenspiel ergeben, nicht aus ihren Eigenschaften selbst.

Nehmen wir mal wieder H2O. Würdest Du zustimmen, daß Eigenschaften von Wasser wie z.B. "Flüssigkeit", Brechungsindex, Dielektrizitätskonstante, Farbe, Gefrierpunkt usw. zwar nicht Eigenschaften der Bestandteile sind, aber doch reduzierbar auf diese?

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Ich muß den atomaren Aufbau eines Kometen nicht in allen Einzelheiten kennen, um seine Bahn zu berechnen, obwohl dieser Komet ausschließlich aus diesen Einzelteilen besteht. Ich muß die Zellstruktur eines Lebewesens nicht in allen Einzelheiten kennen, um seine Evolution zu beschreiben, obwohl dieses Lebewesen ausschließlich aus diesen Zellen besteht.

Es behauptet ja auch niemand, daß dies nötig sei. Einige Antireduktionisten behaupten jedoch, es sei prinzipiell unmöglich.
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Beitrag(#1693429) Verfasst am: 02.10.2011, 20:43    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
Die Einlassung Kutscheras war übrigens schon Gegenstand heftiger Diskussionen im FGH. Ich finde sie eigentlich ganz gut, weil sie, plakativ wie sie ist, zeigt, wogegen man sich als Humanist zu wenden hat.

Hab mich grad an meinem Glas Wein verschluckt ... verstehe ich das richtig, jemand sagt etwas über ein vermeintliches IST, und der Humanist sieht das als Gefahr für sein SOLL?
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