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Glaube vs. Aberglaube
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Vobro
Privatnachdenker



Anmeldungsdatum: 10.11.2011
Beiträge: 1024
Wohnort: Wuppertal

Beitrag(#1709747) Verfasst am: 05.12.2011, 14:09    Titel: Glaube vs. Aberglaube Antworten mit Zitat

Zunächst würde ich einleitend sagen, daß der Begriff des Aberglaubens in seiner Anwendbarkeit sehr wandelbar ist, d.h., Dinge, die z.B. im alten Orient oder Mittelalter noch als Glaube erscheinen konnten, mußten 200 oder 400 Jahre später bereits als Aberglaube betrachtet werden. Immer, wenn es einen Erkenntnisfortschrift und ein Wachstum des Bewußtseins gibt, verändern sich die Dinge in ihrer Bedeutung. Nimmt man als bestes Beispiel das Bild der Auferstehung von den Toten, daran wörtlich zu glauben war in sogenannten primitiven Kulturen vor 2500 Jahren etwas völlig anderes, als heute. Was früher einmal durchaus sinnvoll als religiöse Hoffnung auch im Wortsinne gelten konnte, erscheint heute natürlich als völlig absurder Aberglaube, wenngleich es nach wie vor nicht eben wenige Menschen gibt, die immer noch daran glauben, daß Jesus tatsächlich von den Toten auferstanden ist - es ist geradezu grotesk.

Aus heutiger Sicht, im Lichte der Vernunft betrachtet, erscheinen die Grundsymbole der Religion in äußerlicher Betrachtung als reiner Aberglaube, was aber nicht bedeutet, daß sich nicht dennoch auf der Symbolebene eine tiefere religiöse Wahrheit verbergen kann, die aber niemals objektivierbar ist, das ist bekanntlich selbst innerhalb des theologischen Diskurses in den christlichen Konfessionen nach wie vor ein großes Problem. Nimmt man das Problem der Ökumene, da geht es bis heute wesentlich darum, ob in der sogenannten Eucharistie symbolisch oder wahrhaftig der Leib des Herrn in Wein und Brot verwandelt werden oder umgekehrt - darüber streiten sich ernsthaft bis heute Leute, die in unserer Kultur aufgewachsen sind, Abitur haben und als überdurchschnittlich gebildet gelten müssen, es ist nicht zum Aushalten. Natürlich ist es aus heutiger Sicht reiner und zutiefst dümmlicher Aberglaube, daß ein Priester durch das Murmeln der Wandlungsworte Hostie und Wein verwandeln kann, aber in früheren, von magischem Bewußtsein geprägten archaischen Kulturen war die Vorstellung des Gottessens dennoch ein sehr wichtiger und sinnvoller Bestandteil kultischer und religiöser Rituale.

Wenn man die Inhalte der Religion rein äußerlich betrachtet, also auf ihre Objektivierbarkeit hin überprüft, bleibt nichts übrig als reiner Aberglaube, ich kann mir vorstellen, daß es darüber in diesem Forum kaum Uneinigkeit geben wird.

Geht man aber von dem Ansatz aus, den z.B. Drewermann vertritt, daß die Grundsymbole der Religion an Erfahrungen anknüpfen, die bereits im Erleben der Tiere und unserer frühesten Vorfahren reale Orte und Szenen der Daseinssicherung darstellten, ermöglicht man sich einen ganz anderen Zugangsweg, denn so betrachtet wäre Religion nichts anderes, als ein Ort von Hoffnung, oder eines tieferen Vertrauens, daß rational nicht mehr begründbar sein muß.

Ich will hier keinen religionspsychologischen Exkurs aufwerfen, deshalb an dieser Stelle ein ganz konkretes Beispiel. Neulich sah ich im Fernsehen eine sehr bewegende Dokumentation über ein Mädchen, bei welchem im Alter von 12 oder 13 Jahren ein Hirntumor in fortgeschrittenem Stadium diagnostiziert wurde. Die Prognosen für eine Behandlung waren sehr ungünstig, der Tumor im Gehirn so gelegen, daß eine Opration äußerst risikoreich gewesen wäre.

Für mich was es unglaublich, daß sich das Mädchen ganz bewußt gegen Operation und aufwändige Chemotherapie entschieden hat, weil sie genau wußte, daß sie vermutlich keine 15 Jahre alt werden würde, und wie sie ihre Entscheidung auch in ihrer Familie vertreten hat.

Sie hatte oft Phasen, in denen sie starke Schmerzen hatte, und immer, wenn nach neueren Untersuchungen die Diagnose sich verschlechterte, hatte sie dennoch eine sehr positve Lebenseinstellung und ist nie an ihrer Situation verzweifelt, weil sie ein Geheimnis hatte, daß erst später klar wurde. Sie hatte nämlich die Vorstellung entwickelt, daß sie als Engel in den Himmel kommen würde - und jetzt geht es los.

Ich selber glaube nicht an Engel, auch nicht an Gott, auch nicht an einen Himmel, halte mich generell für einen sehr rationalen Menschen, aber was sich dieses Mädchen mit ihrem Glauben daran, daß sie als Engel in den Himmel kommen würde, als existentiellen Trost ermöglicht hat, um mit ihrer Krankheit umzugehen, mit dem Bewußtsein, daß sie keine 15 Jahre alt werden wird, wie sie mit der Trauer ihrer Familie umging, die ihr sehr nahe war - wenn die Vorstellung, als Engel in den Himmel zu kommen, wirklich geholfen hat, das alles zu bewältigen, dann halte ich das für großartig, auch wenn es sich aus vernünftiger Betrachtung sicher um eine Art Aberglaube handelt, weil es keine Engel gibt.

Nun mag man einwenden, naja, ein Mädchen von 13 Jahren, fast ein Kind noch, das kann man ein wenig belächelnd hinnehmen, daß sie ein Engel werden möchte in dieser schweren Situation, für ein kindlich-naives Bewußtsein ist das vertretbar, wie aber wenn man erwachsen und vernünftig ist..

Wie gesagt, ich bin nicht gläubig, aber ich wäre der letzte, der einem kranken oder sterbenden Menschen eine religiöse Hoffnung versuchen würde auszureden, egal ob einem Kind oder jemand der 40 oder 80 Jahre alt ist.

Um an dieser Stelle zum ursprünglichen Gedanken zurückzukehren, Religion ist überhaupt nicht dazu da, objektive oder rational begründbare theologische Überzeugungen gegen jede Vernunft als Teil äußerer Wirklichkeit darzustellen, sondern sie dient im Grunde einzig dazu, Räume der Hoffnung, der Zuversicht, des Vertrauens zu ermöglichen, nichts weiter.

Deswegen ist es sehr wichtig, Religion nicht zu verwechseln mit Theologie oder religiös angehauchter Ideologie, das ist etwas vollkommen anderes.

Und um wieder zum Thema Glauben vs. Aberglauben zu kommen, würde ich es so sagen: Wenn z.B. die Eltern des eben erwähnten Mädchens für sich in der Trauerverarbeitung Trost darin finden würden, daß ihre Tochter als Engel in den Himmel eingeht, wäre das eine Art religiöser Trost, den ich wunderbar fände. Würden sie jetzt aber dazu übergehen, aus diesem Glauben, der ja nichts als eine Art Trost sein sollte, einen Engelkult zu pflegen und vielleicht eine Sekte zu gründen, in welcher der Glaube an Engel quasi als Dogmatik zu einem Glaubensinhalt wird, der auch objektiv geglaubt werden muß, würde die Sache zu einem grotesken Aberglauben werden.

Und da wären wir bei der Geschichte der Religionen, die ja oftmals leider bis heute nichts anderes tun, als den Versuch zu unternehmen, bestimmte religiöse Symbole und Vorstellungen gegen jede Vernunft zu verobjektivieren.


(Bemerkung zur nachträglichen Editierung: Der Text war eigentlich als Antwort in einer anderen Beitragsfolge gedacht, mußte deshalb an einigen Stellen umformuliert werden)
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22782
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Beitrag(#1709760) Verfasst am: 05.12.2011, 15:02    Titel: Antworten mit Zitat

Also ich finde, Aberglaube bleibt Aberglaube, egal ob er einem gut tut, ob er nur privat gelebt wird oder was auch immer. Was das Mädchen tut, ist irrational, was sie glaubt, ist offensichtlich falsch. Daß es für jemand in einer existenziellen Situation zuweilen das geringste Übel ist, etwas Falsches zu glauben oder die Wahrheit zu verdrängen, das mag sein.
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Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Mahone
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Anmeldungsdatum: 22.12.2008
Beiträge: 842
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Beitrag(#1709761) Verfasst am: 05.12.2011, 15:16    Titel: Antworten mit Zitat

Ich finde ja dass viele (nicht alle) dieser fernöstlichen Philosophien,
hier zu Lande zu Unrecht in so eine Esoterik-Ecke gedrängt werden.
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vrolijke
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Beitrag(#1709764) Verfasst am: 05.12.2011, 15:31    Titel: Antworten mit Zitat

Ich finde auch, daß es keine Rolle spielt, was es auslöst.

Aberglauben hängt doch nicht davon ab, ob es positive Gefühle erzeugt, noch daß es jemand hilft, sich im Leben zurecht zu finden.

Wo genau, ist der Unterschied, ob ich an Engel glaube, oder an die magische Kraft von Hasenpfoten, vierblättriche Kleeblätter, Hufeisen, oder was dann auch?
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Naastika
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Anmeldungsdatum: 23.11.2003
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Wohnort: an der Fütterungsstelle der Eichhörnchen

Beitrag(#1709773) Verfasst am: 05.12.2011, 15:53    Titel: Antworten mit Zitat

Ich weiss nicht, wo das Mädchen lebte, aber in Deutschland hätte die Eltern das Recht, über die Durchführung der Operation zu entscheiden.

Sowie ich die Lage einschtze, sie hätten auch die Pflicht, sich für eine solche zu entscheiden, sonst hätte das Jugendamt die Personensorge betreffend ärztlicher Eingriffe ihnen entzogen und durch einen eingesetzten Rechtspfleger in eine Operation eingewilligt.

Und das ist gut so.

Eine 13-Jährige mag von Engeln schwärmen. Sie sollte aber die Chancen bekommen, 30 zu werden.

Glaube/Aberglaube ist in solchen Sitautionen nicht akzeptabel.
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Murphy
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Anmeldungsdatum: 29.04.2011
Beiträge: 5000

Beitrag(#1709790) Verfasst am: 05.12.2011, 16:58    Titel: Antworten mit Zitat

Man braucht überhaupt keine Hemmungen zu haben offenkundigen Irrsinn als solchen zu bezeichnen, besonders nicht wenn er kitschig und über die Maßen blödsinnig, einfallslos und einfältig ist und widernatürliche biologische Abartigkeiten zu Grunde legt.
Wenns tröstet und hilft, am ende noch hoffnung gibt, dann ist der unsinn gleich doppelt Aberglaube und verdient von der erde getilgt zu werden. Wenn für eine sinngebende Korrektur nur noch wenig Frist bemessen ist und die geistige Verwesung schon im fortgeschrittenen Stadium, dann empfiehlt sich neben einem dicken Fell auch ein wohldosiertes Schlückchen reinster Wahrheit. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass einen Kadaver wiederzubeleben stets ein undankbares Eingreifen darstellt. Man ist ein bisschen wie Gott im Koran: Du kannst jemanden einen Schritt vor Erlösung oder Verdammnis noch verdammen oder retten, ganz wie du willst.
Nein, das ist Aberglaube.
Der redliche Menschenfreund ist sich natürlich im klaren darüber, dass man das schlimmste schlecht verschlechtern kann. Die Wahrheit ist Schönheit und die Schönheit Wahrheit.

Angenehmer Glaube, Trostpflasterreligion...ich glaub ich krieg die Krätze.
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Kramer
postvisuell



Anmeldungsdatum: 01.08.2003
Beiträge: 30878

Beitrag(#1709793) Verfasst am: 05.12.2011, 17:06    Titel: Antworten mit Zitat

Menschen ihren Abérglauben zu lassen, weil sie ihn eventuell für ihr Wohlbefinden benötigen, halte ich für eine anmassende Bevormundung. Wer soll denn entscheiden, wer wie weit aufgeklärt werden darf? Dürfen dann relgiöse Eltern ihre Kinder aus dem Naturwissenschaftsunterricht nehmen, damit die nicht allzu sehr mit Fakten desillusioniert werden?
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Effô Tisetti
Königsblau bis in den Tod



Anmeldungsdatum: 18.09.2003
Beiträge: 9920
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Beitrag(#1709804) Verfasst am: 05.12.2011, 17:58    Titel: Re: Glaube vs. Aberglaube Antworten mit Zitat

Vobro hat folgendes geschrieben:
Wenn z.B. die Eltern des eben erwähnten Mädchens für sich in der Trauerverarbeitung Trost darin finden würden, daß ihre Tochter als Engel in den Himmel eingeht, wäre das eine Art religiöser Trost, den ich wunderbar fände.


Hm. Ich würde mich da im echten Leben mit Kommentaren auch zurückhalten. Fakt bleibt aber, dass es sich um Selbstbetrug handelt. An anderer Stelle könnte auch Alkohol den Trostspender spielen. Würden wir das ähnlich positiv als "wunderbar" bewerten? Klar, Engelsglaube tut der Leber nix. Letztlich ist aber beides eine Flucht vor der Realität. Gerade beim religiösen "Trost" macht mich immer sehr, sehr stutzig, dass die Gläubigen ganz erbittert daran festhalten, als wenn ihr eigenes Leben davon abhinge. Für mich ist das immer ein Indiz, dass sie ganz tief in ihrem Inneren doch ahnen, dass das alles eine ganz große Illusion, ein Luftschloss ist. Und gerade weil die Seifenblase so fragil ist, muss sie ganz besonders erbittert bewacht und verteidigt werden. Welchen Gewinn hingegen eine psychische Aufarbeitung ohne diesen Selbstbeschiss bringen würde, lässt sich fast nie in Erfahrung bringen, weil diese Menschen sich nicht darauf einlassen mögen. Und das - nach meiner Wahrnehmung - oft mit einer Vehemenz, die erstaunt. Dabei müsste man dabei keine Angst haben, dass irgendeine Seifenblase platzen könnte. Und das ist m.E. der entscheidende "Wettbewerbsvorteil" gegenüber religiösem Trost.
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"Die einfache Formel: Jesus ist stärker! hilft Menschen, sich aus der Fixierung völlig irrationaler Wertesysteme zu lösen."
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Tom der Dino
registrierter User



Anmeldungsdatum: 20.07.2011
Beiträge: 3949

Beitrag(#1709812) Verfasst am: 05.12.2011, 18:54    Titel: Antworten mit Zitat

Wenn ein Kind sich seines baldigen Todes bewusst ist, wird es Strategien entwickeln damit klarzukommen. Ich gehe jetzt davon aus, dass eine Behandlung "nur" zu einer Lebenszeitverlängerung von 3 Jahren geführt hätte, so wie es die Beschreibung impliziert.
Welchen Sinn hat die Aufklärung und der damit zwangsläufige Wegfall des Trostes und möglicherweise ein Eintreten von Angst und Panik?
Wenn es sich um religiös motivierte Dummheiten handeln würde, wie religiöse Beschneidungen, ist Aufklärung und Richtigstellung das einzig richtige.
Im Angesicht des eigenen Todes aber sollte ein Mensch und vor allem ein Kind, das die Welt noch viel weniger versteht als ein Erwachsener, glauben dürfen, was es will. Da ist es total egal, ob es sich als Engel sieht, oder als Frosch oder als gar nichts oder als was weiß ich.
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Am Anfang war ......das Experiment.
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moritura
pan narrans



Anmeldungsdatum: 01.12.2003
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Beitrag(#1709818) Verfasst am: 05.12.2011, 19:17    Titel: Antworten mit Zitat

Die Antwort Glaube oder Aberglaube wird für mich zu sehr auf das Beispiel des Mädchens gezogen. Im Anfangsbeitrag ging es ja zunächst nicht darum, ob jemand im Angesicht extremer Not, hier die Bedrohung mit dem Tod, unbedingt darüber aufgeklärt werden soll. Die Geschichte zieht das Thema nur ins Emotionale.

Grundaussage war letztlich:
1. Aberglaube ist ehemaliger Glaube
2. Glaube ist ein hilfreiches Placebo bei Lebenskrisen
(anschließend ausführliches emotionales Beispiel)

damit ist:
Zitat:
Ich will hier keinen religionspsychologischen Exkurs aufwerfen

etwas scheinheilig. Denn genau darum dreht es sich in dem Beitrag.

Entschuldige bitte, die Story mit dem Mädchen kommt mir ein bisschen wie die Geschichten der Evangelikalen vor, mit der sie ihre Art des Glaubens verteidigen.
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fwo
Caterpillar D9



Anmeldungsdatum: 05.02.2008
Beiträge: 26447
Wohnort: im Speckgürtel

Beitrag(#1709832) Verfasst am: 05.12.2011, 20:04    Titel: Re: Glaube vs. Aberglaube Antworten mit Zitat

Effô Tisetti hat folgendes geschrieben:
Vobro hat folgendes geschrieben:
Wenn z.B. die Eltern des eben erwähnten Mädchens für sich in der Trauerverarbeitung Trost darin finden würden, daß ihre Tochter als Engel in den Himmel eingeht, wäre das eine Art religiöser Trost, den ich wunderbar fände.


Hm. Ich würde mich da im echten Leben mit Kommentaren auch zurückhalten. Fakt bleibt aber, dass es sich um Selbstbetrug handelt. An anderer Stelle könnte auch Alkohol den Trostspender spielen. Würden wir das ähnlich positiv als "wunderbar" bewerten? Klar, Engelsglaube tut der Leber nix. Letztlich ist aber beides eine Flucht vor der Realität. Gerade beim religiösen "Trost" macht mich immer sehr, sehr stutzig, dass die Gläubigen ganz erbittert daran festhalten, als wenn ihr eigenes Leben davon abhinge. Für mich ist das immer ein Indiz, dass sie ganz tief in ihrem Inneren doch ahnen, dass das alles eine ganz große Illusion, ein Luftschloss ist. Und gerade weil die Seifenblase so fragil ist, muss sie ganz besonders erbittert bewacht und verteidigt werden. Welchen Gewinn hingegen eine psychische Aufarbeitung ohne diesen Selbstbeschiss bringen würde, lässt sich fast nie in Erfahrung bringen, weil diese Menschen sich nicht darauf einlassen mögen. Und das - nach meiner Wahrnehmung - oft mit einer Vehemenz, die erstaunt. Dabei müsste man dabei keine Angst haben, dass irgendeine Seifenblase platzen könnte. Und das ist m.E. der entscheidende "Wettbewerbsvorteil" gegenüber religiösem Trost.

sehe ich auch so, möchte aber noch ergänzen:
Ich habe den Eindruck, dass der Trost, den Religion spendet, sehr häufig darin besteht, über einen Umweg die Angst wieder zu nehmen, die die Religion selbst vorher erzeugt hat. Soetwas scheint mir dann aber als Begründung für Glauben/Religin nicht so recht zu taugen.

Zum Aberglauben: Glaube von gestern ist einen mögliche Umschreibung, Wikipedia trifft es präziser:
Zitat:
Die Bezeichnung Aberglaube wird abwertend auf Glaubensformen und religiöse Praktiken angewandt, die nicht den eigenen, meist orthodoxen Lehrmeinungen, entsprechen. .... Da sich der Begriff von der jeweils herrschenden Welt- und Glaubenssicht her definiert, wird der Inhalt von dem jeweiligen wissenschaftlichen oder religiösen Standpunkt des Darstellers bestimmt.
....

Das heißt, für den Atheisten besteht kein Unterschied zwischen Religion und Aberglaube.

Vobro hat folgendes geschrieben:
.... Religion ist überhaupt nicht dazu da, objektive oder rational begründbare theologische Überzeugungen gegen jede Vernunft als Teil äußerer Wirklichkeit darzustellen, sondern sie dient im Grunde einzig dazu, Räume der Hoffnung, der Zuversicht, des Vertrauens zu ermöglichen, nichts weiter.....

Damit bewegen wir uns allerdings weg von der Religion als Glaube an die Abhängigkeit von einer göttlichen Instanz hin zur zweckgebundenen Psychotechnik, wie sie Yoga und Zen bieten, die in der Volkshochschule vermittelt werden kann, und für die es keiner Kirche bedarf. Wär mir Recht. Würde alle freier machen.

fwo
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Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.

The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.

Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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Marcellinus
Outsider



Anmeldungsdatum: 27.05.2009
Beiträge: 7429

Beitrag(#1709842) Verfasst am: 05.12.2011, 20:43    Titel: Re: Glaube vs. Aberglaube Antworten mit Zitat

fwo hat folgendes geschrieben:

Vobro hat folgendes geschrieben:
.... Religion ist überhaupt nicht dazu da, objektive oder rational begründbare theologische Überzeugungen gegen jede Vernunft als Teil äußerer Wirklichkeit darzustellen, sondern sie dient im Grunde einzig dazu, Räume der Hoffnung, der Zuversicht, des Vertrauens zu ermöglichen, nichts weiter.....

Damit bewegen wir uns allerdings weg von der Religion als Glaube an die Abhängigkeit von einer göttlichen Instanz hin zur zweckgebundenen Psychotechnik, wie sie Yoga und Zen bieten, die in der Volkshochschule vermittelt werden kann, und für die es keiner Kirche bedarf. Wär mir Recht. Würde alle freier machen.

Das Verrückte ist nur, daß Gläubige genau das bestreiten, weil für sie eben "Hoffnung, Zuversicht und Vertrauen" ihren Sinn und ihre Grundlage verlieren würden, wenn sie sich "dahinter" nicht irgendetwas "Göttliches" glauben könnten.
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"Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."

Friedrich Nietzsche
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Zoff
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Anmeldungsdatum: 24.08.2006
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Beitrag(#1709931) Verfasst am: 05.12.2011, 23:17    Titel: Antworten mit Zitat

Was ist das Leben?
Ein Prozess, der nicht mehr existiert, sobald er abgeschlossen ist. Kein davor und kein danach.

Die Liebe?
Nichts als Biochemie.

Welche Antwort gibt das Universum wenn man fragt: "Und? Was ist mit mir?"
Nur diese: "Was soll schon mit Dir sein?"

Ich kann schon verstehen, dass viele Menschen Geschichten brauchen, um sich ein klein wenig besser zu fühlen.
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zelig
Kultürlich



Anmeldungsdatum: 31.03.2004
Beiträge: 25405

Beitrag(#1709951) Verfasst am: 05.12.2011, 23:52    Titel: Antworten mit Zitat

Zoff hat folgendes geschrieben:
Ich kann schon verstehen, dass viele Menschen Geschichten brauchen, um sich ein klein wenig besser zu fühlen.

Ohne die Fähigkeit aus seinem Leben eine Geschichte zu machen, wäre er wohl nicht was er ist, ein Mensch. Mir fällt nicht viel ein, was grundlegender und aber auch notwendiger wäre. Du meinst es anders. Aber ich will nur mal eine conditio humana genannt haben, die uns wohl nicht immer so klar ist.
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Zoff
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Anmeldungsdatum: 24.08.2006
Beiträge: 21668

Beitrag(#1709958) Verfasst am: 06.12.2011, 00:00    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
Zoff hat folgendes geschrieben:
Ich kann schon verstehen, dass viele Menschen Geschichten brauchen, um sich ein klein wenig besser zu fühlen.

Ohne die Fähigkeit aus seinem Leben eine Geschichte zu machen, wäre er wohl nicht was er ist, ein Mensch. Mir fällt nicht viel ein, was grundlegender und aber auch notwendiger wäre. Du meinst es anders. Aber ich will nur mal eine conditio humana genannt haben, die uns wohl nicht immer so klar ist.


Nein, ich <s>glaube</s> denke ich meine das ganz genau so wie Du.
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zelig
Kultürlich



Anmeldungsdatum: 31.03.2004
Beiträge: 25405

Beitrag(#1709960) Verfasst am: 06.12.2011, 00:04    Titel: Antworten mit Zitat

Zoff hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Zoff hat folgendes geschrieben:
Ich kann schon verstehen, dass viele Menschen Geschichten brauchen, um sich ein klein wenig besser zu fühlen.

Ohne die Fähigkeit aus seinem Leben eine Geschichte zu machen, wäre er wohl nicht was er ist, ein Mensch. Mir fällt nicht viel ein, was grundlegender und aber auch notwendiger wäre. Du meinst es anders. Aber ich will nur mal eine conditio humana genannt haben, die uns wohl nicht immer so klar ist.


Nein, ich <s>glaube</s> denke ich meine das ganz genau so wie Du.


OK.
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Zoff
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Anmeldungsdatum: 24.08.2006
Beiträge: 21668

Beitrag(#1709980) Verfasst am: 06.12.2011, 00:45    Titel: Antworten mit Zitat

http://www.youtube.com/watch?v=rzA8CtbTXBA zwinkern
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VanHanegem
Weltmeister



Anmeldungsdatum: 24.04.2006
Beiträge: 3180

Beitrag(#1710149) Verfasst am: 06.12.2011, 17:52    Titel: Antworten mit Zitat

Leider gehen die meisten Beiträge hier am Thema vorbei.

Das Wort "Aberglaube" ist eine Wortschöpfung von Glaubensreligionen um andere Glaubensformen abzuwerten. Diese Abwertung des Andersdenkenden ist typisch für monotheistische Religionen mit Wahrheitsanspruch.

Bei bei nicht glaubensorientierten Religionen, wie den meisten polytheistischen, sowie atheistischen- und Naturreligionen entfällt selbstredend die Einteilung der Welt in den richtigen "Glauben" und den falschen "Aberglauben".
_________________
Hup Holland Hup, Oranje winnt de cup (2022)
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Alchemist
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Anmeldungsdatum: 03.08.2004
Beiträge: 27897
Wohnort: Hamburg

Beitrag(#1710150) Verfasst am: 06.12.2011, 17:57    Titel: Antworten mit Zitat

VanHanegem hat folgendes geschrieben:
Leider gehen die meisten Beiträge hier am Thema vorbei.

Das Wort "Aberglaube" ist eine Wortschöpfung von Glaubensreligionen um andere Glaubensformen abzuwerten. Diese Abwertung des Andersdenkenden ist typisch für monotheistische Religionen mit Wahrheitsanspruch.

Bei bei nicht glaubensorientierten Religionen, wie den meisten polytheistischen, sowie atheistischen- und Naturreligionen entfällt selbstredend die Einteilung der Welt in den richtigen "Glauben" und den falschen "Aberglauben".


Das ist genau meine Meinung!

Nehmen wir beispielsweise den Katholizismus:
Die ganze Religion strotzt nur so von Ritualen und Konzepten, die, wenn es nicht christlich wäre, von Christen als Aberglaube bezeichnet werden würde.

Ich erinnere mich an die WM 2006: Damals wurde es öffentlich als Aberglaube bezeichnet, als ein afrikanischer Schamane ein Wm Stadion gesegnet hat.
Einen Unterschied zu dem christlichen Wasserspritze sehe ich hingegen nicht
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sehr gut
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Anmeldungsdatum: 05.08.2007
Beiträge: 14852

Beitrag(#1710153) Verfasst am: 06.12.2011, 18:08    Titel: Antworten mit Zitat

Alchemist hat folgendes geschrieben:
Nehmen wir beispielsweise den Katholizismus:
Die ganze Religion strotzt nur so von Ritualen und Konzepten, die, wenn es nicht christlich wäre, von Christen als Aberglaube bezeichnet werden würde.

Bei diversen ev. Freikirchen gelten Katholiken als Götzendiener (Marienkult,Heilige,...) und unbiblisch ("heiliger-Vater",...), die sehen die teilweise nicht als 'Christen'
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Hanami
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Anmeldungsdatum: 15.11.2011
Beiträge: 55
Wohnort: Jenseits der Berge

Beitrag(#1710352) Verfasst am: 07.12.2011, 09:04    Titel: Antworten mit Zitat

Alchemist hat folgendes geschrieben:
VanHanegem hat folgendes geschrieben:
Leider gehen die meisten Beiträge hier am Thema vorbei.

Das Wort "Aberglaube" ist eine Wortschöpfung von Glaubensreligionen um andere Glaubensformen abzuwerten. Diese Abwertung des Andersdenkenden ist typisch für monotheistische Religionen mit Wahrheitsanspruch.

Bei bei nicht glaubensorientierten Religionen, wie den meisten polytheistischen, sowie atheistischen- und Naturreligionen entfällt selbstredend die Einteilung der Welt in den richtigen "Glauben" und den falschen "Aberglauben".


Das ist genau meine Meinung!

Nehmen wir beispielsweise den Katholizismus:
Die ganze Religion strotzt nur so von Ritualen und Konzepten, die, wenn es nicht christlich wäre, von Christen als Aberglaube bezeichnet werden würde.

Ich erinnere mich an die WM 2006: Damals wurde es öffentlich als Aberglaube bezeichnet, als ein afrikanischer Schamane ein Wm Stadion gesegnet hat.
Einen Unterschied zu dem christlichen Wasserspritze sehe ich hingegen nicht


Sehe ich ganz genau so.

Wie schon fwo sagte: Für einen Atheisten gibt es keinen Unterschied zwischen Religion und Aberglaube.

Wäre es jetzt legitim, diesem todgeweihten Mädchen den Engelsglauben zu nehmen?

Niemand kann die Existenz von Engeln beweisen, niemand kann beweisen, dass es keine Engel gibt. Die Existenz von Engeln ist unwahrscheinlich, aber wie vobro schrieb: So lange jemand an Engel glaubt und es ihm eine Hilfe ist, so lange er sich deshalb nicht über andere stellt, das Leben anderer damit nicht einschränkt, so lange also kein verpflichtendes Dogma daraus wird, ist aus meiner Sicht gegen diese Art Aberglaube nichts einzuwenden.

Ich denke, es ist extrem schwer, sich völlig von jeder Art hilfreichem Aberglauben fernzuhalten. Wer hat sich im Laufe seines Lebens nicht schon bei Gedanken erwischt wie: "Wenn die nächste Ampel grün ist, kriege ich den Job". So lange man sich darüber klar ist, dass der Wahrheitsgehalt dieser Aussage diskutiert werden kann, ist das okay. zwinkern
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Freedom ist just another word for nothing left to loose (Kris Kristoffersen)
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Naastika
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Anmeldungsdatum: 23.11.2003
Beiträge: 6100
Wohnort: an der Fütterungsstelle der Eichhörnchen

Beitrag(#1710378) Verfasst am: 07.12.2011, 12:40    Titel: Antworten mit Zitat

Hanami hat folgendes geschrieben:


Wäre es jetzt legitim, diesem todgeweihten Mädchen den Engelsglauben zu nehmen?



Soweit ich den Sachverhalt richtig verstanden habe, hat sich das 13 Jahre alte Mädchen gegen eine Operation und Chemotherapie entschieden, weil sie an Engel glaubte.

Daher mein vorhieger Post, dass in D. eine 13-Jährige so eine Entscheidung gar nicht alleine treffen kann.

Da nicht alle medizinischen Mittel ausgeschöpft worden sind, weiss man gar nciht, ob das Mädchen wirklich "todgeweiht" war.
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Rohrspatz
grobsinnig und feinschlächtig



Anmeldungsdatum: 25.12.2007
Beiträge: 3877
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Beitrag(#1710379) Verfasst am: 07.12.2011, 12:49    Titel: Antworten mit Zitat

Allgemein denke ich nicht, dass (Aber)glaube den größeren Trost spendet. Bezüglich unserer größten Ängste möchten wir alle eine Sicht auf eben diese erlangen, die uns weniger schrecklich, vielleicht sogar positiv erscheint.
Im Falle des (Aber)glaubens wird m.E. versucht, die Welt so zu interpretieren, dass sie auf die positive Perspektive passt. Im Falle einer Ablehnung von Übernatürlichkeit muss hingegen die positive Perspektive auf die (naturalistische) Interpretation der Welt passen.
Beides kann scheitern und dann wäre ein tröstender Glaube tatsächlich angenehmer. Es gibt Menschen, die in diesem Schwebezustand sind. Die sind oftmals "auf der Suche" und probieren gerne verschiedene Weltanschauungen "aus".

Aber man kann Übernatürliches strikt ablehnen und dennoch Trost finden.

Man vergleiche folgende Sätze:

"Ich glaube, dass ich nach dem Tod ein Engel werde!"

"Schlimmes kann uns nur im Leben widerfahren!"

Mir nimmt der zweite Satz weitaus mehr Angst als der erste. Und er kommt völlig ohne Übernatürlichkeit aus.

Zum Fall des Mädchens: Ich hätte sie auch nicht aufgeklärt. Sie hat einen Weg gefunden, mit ihrem Tod umgehen zu können. Ein ganzes Gedankengerüst trägt diese Hoffnung. Meine Aufklärung mag wahrscheinlich "richtig" sein, aber auch sie benötigt ein ganzes Gedankengerüst, um daraus etwas positives zu ziehen.
Dieses Mädchen war 13 und es hatte nicht mehr lange zu leben. Ich hätte ihr nicht gesagt "Engel gibt es nicht" und darauf vertraut, dass sie noch rechtzeitig zu einem neuen tröstenden Gedanken kommt.
Dass sie die Operationen abgelehnt hat, sehe ich, da ich die Geschichte so verstehe, dass eine OP ihr Leben wahrscheinlich nur noch früher oder gar schlimmer beendet hätte, nicht als problematisch. Ich hätte mich vielleicht genau so entschieden. Ein ganz anderer Fall wäre, wenn die OP gute Aussichten gehabt hätte. Dann wäre Aufklärung vielleicht Bedingung gewesen, damit das Mädchen um ihr Leben kämpft.
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Hanami
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Beitrag(#1710386) Verfasst am: 07.12.2011, 13:52    Titel: Antworten mit Zitat

Naastika hat folgendes geschrieben:
Hanami hat folgendes geschrieben:


Wäre es jetzt legitim, diesem todgeweihten Mädchen den Engelsglauben zu nehmen?



Soweit ich den Sachverhalt richtig verstanden habe, hat sich das 13 Jahre alte Mädchen gegen eine Operation und Chemotherapie entschieden, weil sie an Engel glaubte.

Daher mein vorhieger Post, dass in D. eine 13-Jährige so eine Entscheidung gar nicht alleine treffen kann.

Da nicht alle medizinischen Mittel ausgeschöpft worden sind, weiss man gar nciht, ob das Mädchen wirklich "todgeweiht" war.


Ich hab die Geschichte so verstanden wie Rohrspatz: Das Kind hatte so oder so nicht mehr sehr lange zu leben, die OP hätte ihr Leben nur um wenige Jahre verlängert, wahrscheinlich aber sofort beendet, da risikoreich.

Das andere ist: Schon möglich, dass bei uns 13-jährige da überstimmt werden können, aber ich würde in so einem Fall mein Kind nicht überstimmen. Das Kind ist krank, nicht ich, es muss leiden. nicht ich, es muss die OP durchstehen, riskieren, dass es gar nicht mehr aufwacht oder als Schwerstpflegefall endet. Mit 13 kann es das überblicken und selbst entscheiden, und ich würde es nie zu einer OP zwingen, ob es nun an Engel glaubt oder nicht. Ich würde auch ein 10- oder achtjähriges Kind nicht zwingen, wenn die Chancen so schlecht stehen. Stünden sie gut, wäre das was anderes, dass sehr ich wie du.


Rohrspatz hat folgendes geschrieben:
... Bezüglich unserer größten Ängste möchten wir alle eine Sicht auf eben diese erlangen, die uns weniger schrecklich, vielleicht sogar positiv erscheint.
...

Aber man kann Übernatürliches strikt ablehnen und dennoch Trost finden.

Man vergleiche folgende Sätze:

"Ich glaube, dass ich nach dem Tod ein Engel werde!"

"Schlimmes kann uns nur im Leben widerfahren!"

Mir nimmt der zweite Satz weitaus mehr Angst als der erste. Und er kommt völlig ohne Übernatürlichkeit aus. ...


Beide Sätze nehmen mE nicht die Angst vor dem jetzigen Leben und dem vielleicht grausamen Tod. Doch mir würde der erste Satz mehr Trost geben, gerade, wenn ich noch jung bin. Macht nichts, wenn ich mit 13 schon sterbe, ich lebe ja als Engel weiter, und dann geht es mir viel besser als jetzt!
Da kann ich mich neben dem jetzigen Elend noch auf was freuen. Das finde ich trostreicher als die Aussage des zweiten Satzes. Der vermittelt nur: Das Leben (speziell des Mädchens) ist reichlich kurz und teils beschissen, und dann ist Schluss mit allem Guten und Schlechten.
Da werde ich lieber ein glücklicher Engel. zwinkern
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Rohrspatz
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Beitrag(#1710391) Verfasst am: 07.12.2011, 14:15    Titel: Antworten mit Zitat

Hanami hat folgendes geschrieben:

Beide Sätze nehmen mE nicht die Angst vor dem jetzigen Leben und dem vielleicht grausamen Tod. Doch mir würde der erste Satz mehr Trost geben, gerade, wenn ich noch jung bin. Macht nichts, wenn ich mit 13 schon sterbe, ich lebe ja als Engel weiter, und dann geht es mir viel besser als jetzt!
Da kann ich mich neben dem jetzigen Elend noch auf was freuen. Das finde ich trostreicher als die Aussage des zweiten Satzes. Der vermittelt nur: Das Leben (speziell des Mädchens) ist reichlich kurz und teils beschissen, und dann ist Schluss mit allem Guten und Schlechten.
Da werde ich lieber ein glücklicher Engel. zwinkern


Hm, ich sollte vielleicht noch sagen, warum ich den ersten Satz nicht tröstlich finde.
Ich finde den Gedanken an Unsterblichkeit furchtbar gruselig! Nicht nur, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass es mir immer gut geht, ohne dass mir langweilig wird (was ja net gut wär zwinkern ), dass ich überhaupt kein Glück im Stillstand sehen kann, sondern eben auch, weil einer unsterblichen Seele auch unendlich viel Schlechtes geschehen könnte. Was, wenn dem Mädchen auch nur einmal der fatale Gedanke gekommen wäre "Was, wenn Gott nur Kinder Engel werden lässt, die niemals geflunkert haben?"? Die Angst vor der Hölle ist ja gerade wegen der Ewigkeit so groß.
Der zweite Satz sagt hingegen auch: Dass dein Leben kurz war, wird dich nicht kümmern, wenn du tot bist. Daher braucht dich der Tod auch nicht zu kümmern, sondern nur das Leben.
Auch eine Liebe lässt sich leichter genießen, wenn man sie nicht danach bewertet, ob sie "zu kurz" gewesen sein wird. Die Vergänglichkeit von etwas zu betrauern, was man doch noch hat, ist Vergeudung.
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Hanami
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Beitrag(#1710393) Verfasst am: 07.12.2011, 14:28    Titel: Antworten mit Zitat

Rohrspatz hat folgendes geschrieben:
Hanami hat folgendes geschrieben:

Beide Sätze nehmen mE nicht die Angst vor dem jetzigen Leben und dem vielleicht grausamen Tod. Doch mir würde der erste Satz mehr Trost geben, gerade, wenn ich noch jung bin. Macht nichts, wenn ich mit 13 schon sterbe, ich lebe ja als Engel weiter, und dann geht es mir viel besser als jetzt!
Da kann ich mich neben dem jetzigen Elend noch auf was freuen. Das finde ich trostreicher als die Aussage des zweiten Satzes. Der vermittelt nur: Das Leben (speziell des Mädchens) ist reichlich kurz und teils beschissen, und dann ist Schluss mit allem Guten und Schlechten.
Da werde ich lieber ein glücklicher Engel. zwinkern


Hm, ich sollte vielleicht noch sagen, warum ich den ersten Satz nicht tröstlich finde.
Ich finde den Gedanken an Unsterblichkeit furchtbar gruselig! Nicht nur, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass es mir immer gut geht, ohne dass mir langweilig wird (was jawerde net gut wär zwinkern ), dass ich überhaupt kein Glück im Stillstand sehen kann, sondern eben auch, weil einer unsterblichen Seele auch unendlich viel Schlechtes geschehen könnte. Was, wenn dem Mädchen auch nur einmal der fatale Gedanke gekommen wäre "Was, wenn Gott nur Kinder Engel werden lässt, die niemals geflunkert haben?"? Die Angst vor der Hölle ist ja gerade wegen der Ewigkeit so groß.


So gesehen hast du Recht. Ein ungewisses ewiges Leben kann sehr viel Angst einjagen (aus dem Grund finde ich die Idee der Reinkarnation auch überaus erschreckend). Ich habe mich bei meiner Interpretation ganz an die Vorstellung des Mädchens gehalten: Ich werde ein Engel (daran gibt es keinen Zweifel), und ein Engel ist per se glücklich, sonst wäre es kein Engel.
Sobald das nicht mehr eindeutig feststeht, hört der Trost auf, das sehe ich genauso.


Rohrspatz hat folgendes geschrieben:

Der zweite Satz sagt hingegen auch: Dass dein Leben kurz war, wird dich nicht kümmern, wenn du tot bist. Daher braucht dich der Tod auch nicht zu kümmern, sondern nur das Leben.
Auch eine Liebe lässt sich leichter genießen, wenn man sie nicht danach bewertet, ob sie "zu kurz" gewesen sein wird. Die Vergänglichkeit von etwas zu betrauern, was man doch noch hat, ist Vergeudung.


Von den Gedanken her stimme ich zu. Aber ob wir das noch so abgeklärt sehen, wenn wir morgen eine schlechte Diagnose kriegen? Der Trost: "Wenn ich tot bin, kümmert mich das alles nicht mehr", bleibt immer. Aber jammern wir nicht auch: "Ich wollte noch so viel machen", "warum so früh", "andere werden viel älter" ... Ich jedenfalls würde unvernünftig jammern, da bin ich mir sicher. skeptisch
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Rohrspatz
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Beitrag(#1710394) Verfasst am: 07.12.2011, 14:41    Titel: Antworten mit Zitat

Hanami hat folgendes geschrieben:
Rohrspatz hat folgendes geschrieben:

Der zweite Satz sagt hingegen auch: Dass dein Leben kurz war, wird dich nicht kümmern, wenn du tot bist. Daher braucht dich der Tod auch nicht zu kümmern, sondern nur das Leben.
Auch eine Liebe lässt sich leichter genießen, wenn man sie nicht danach bewertet, ob sie "zu kurz" gewesen sein wird. Die Vergänglichkeit von etwas zu betrauern, was man doch noch hat, ist Vergeudung.


Von den Gedanken her stimme ich zu. Aber ob wir das noch so abgeklärt sehen, wenn wir morgen eine schlechte Diagnose kriegen? Der Trost: "Wenn ich tot bin, kümmert mich das alles nicht mehr", bleibt immer. Aber jammern wir nicht auch: "Ich wollte noch so viel machen", "warum so früh", "andere werden viel älter" ... Ich jedenfalls würde unvernünftig jammern, da bin ich mir sicher. skeptisch


Mehr als hoffen kann ich auch nicht. Aber um den Schein zu wahren habe ich in meiner Autobiographie auf die letzte Seite schon in zittriger Handschrift "Und so schied ich mit einem Lächeln dahin..." notiert. zwinkern
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zelig
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Beitrag(#1710406) Verfasst am: 07.12.2011, 16:34    Titel: Antworten mit Zitat

Ich denke in der geschilderten Situation, gleichgültig ob sie real ist oder nicht, geht es auch um das schmerzhafte Abschiednehmen, die Durchtrennung einer Bindung, die man mit keinen diesseitigen Mitteln verhindern kann. Und es hat sich in einer konkreten Situation niemand ein Urteil darüber zu bilden, ob die Hoffnung auf den jenseitigen Fortbestand berechtigt ist oder nicht. Hat jemand von euch schon schon einmal das Leiden verwaister Eltern erlebt?
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fwo
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Beitrag(#1710407) Verfasst am: 07.12.2011, 16:43    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
...Hat jemand von euch schon schon einmal das Leiden verwaister Eltern erlebt?

Ja, und es war auch ein Krebstod, der dazu im Elternhaus "stattfand". Ein Leben nach dem Tod war da nicht Thema. Bei aller Trauer waren die Eltern gleichzeitig einfach erlöst, dass das Leiden ein Ende hatte.

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Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.

The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.

Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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zelig
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Beitrag(#1710412) Verfasst am: 07.12.2011, 16:55    Titel: Antworten mit Zitat

Noch ein Zitat aus den Grundsätzen der Bundeärztekammer zur Sterbebegleitung über die Mündigkeit jugendlicher Todgeweihter
Zitat:
Schwerstkranke und sterbende Kinder oder Jugendliche sind wahrheits- und altersgemäß zu informieren. Sie sollten regelmäßig und ihrem Entwicklungsstand entsprechend in die sie betreffenden Entscheidungen einbezogen werden, soweit dies von ihnen gewünscht wird. Dabei ist anzuerkennen, dass schwerstkranke Kinder und Jugendliche oft einen frühen Reifungsprozess durchmachen. Sie können aufgrund ihrer Erfahrungen mit vorhergegangenen Behandlungen und deren Folgen ein hohes Maß an Entscheidungskompetenz erlangen, die bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden muss. Soweit der Minderjährige aufgrund seines Entwicklungsstandes selbst in der Lage ist, Bedeutung und Tragweite der ärztlichen Maßnahme zu verstehen und zu beurteilen, steht ihm ein Vetorecht gegen ihre Durchführung zu, selbst wenn die Sorgeberechtigten einwilligen. Davon wird ab einem Alter von 16 Jahren regelmäßig ausgegangen.

http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/Sterbebegleitung_17022011.pdf

Eine 13jährige in dieser Situation kann durchaus bereits Einsicht und Reife erlangt haben, die unbeleckte Erwachsene nie ereichen werden.
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