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Kival Profeminist Ghost
Anmeldungsdatum: 14.11.2006 Beiträge: 24071
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(#1751635) Verfasst am: 11.05.2012, 03:46 Titel: |
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Myron hat folgendes geschrieben: | Die positivistisch-szientistische, radikal-empiristische (operationalistisch-verifikationistische) Verdammung der Philosophie und insbesondere der Metaphysik ist paradoxerweise selbst Ausdruck eines bestimmten philosophisch-metaphysischen Standpunktes. Denn am Ende deckt sich der radikale Empirismus mit dem Phänomenalismus, einem Abkömmling des subjektiven Idealismus, welcher sich auf Aussagen über Sinnesdaten (Beobachtungssätze) beschränkt. |
Für manche liegt der Grund der Verdammung evtl. auch gerade in dieser von dir hier benutzten Ausdrucksweise begründet. Und nein, das ist hier keine notwendige Fachsprache, das sind nicht mehr als Buzz-Wörter, wenn Du sie so aneinanderreihst. Nicht jede Ablehnung der Metaphysik basiert übrigens auf Verifikationismus...
_________________ "A basic literacy in statistics will one day be as necessary for efficient citizenship as the ability to read and write." (angeblich H. G. Wells)
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Kramer postvisuell
Anmeldungsdatum: 01.08.2003 Beiträge: 30878
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(#1751640) Verfasst am: 11.05.2012, 07:48 Titel: |
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Myron hat folgendes geschrieben: | Die positivistisch-szientistische, radikal-empiristische (operationalistisch-verifikationistische) Verdammung der Philosophie und insbesondere der Metaphysik ist paradoxerweise selbst Ausdruck eines bestimmten philosophisch-metaphysischen Standpunktes. Denn am Ende deckt sich der radikale Empirismus mit dem Phänomenalismus, einem Abkömmling des subjektiven Idealismus, welcher sich auf Aussagen über Sinnesdaten (Beobachtungssätze) beschränkt. |
...und Atheismus ist ja auch nur ein Glaube.
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Rohrspatz grobsinnig und feinschlächtig
Anmeldungsdatum: 25.12.2007 Beiträge: 3877
Wohnort: NRW
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(#1751683) Verfasst am: 11.05.2012, 11:35 Titel: |
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Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | @Rohrspatz: Bitte sieh es mir nach, dass ich die Reihenfolge deiner Absätze im Zitat geändert habe.
Rohrspatz hat folgendes geschrieben: | Du fragst im Titel, ob Philosophie zur Aufklärung geeignet sei. Das habe ich mit dem Kursiven bejaht. Fragen zu kennen, durch die man über das eigene Denken reflektieren kann, halte ich für wichtig und das ist bereits Philosophie. Ich halte daher Philosophie als Tätigkeit sogar für notwendig für Aufklärung.
Was deine Begrenzung auf "möglichst wahre" Aussagen betrifft, würde ich mich dem so nicht anschließen wollen. Auch Wissenschaftler müssen weiter denken, als es die Empirie erlaubt, um überhaupt erst auf überprüfbare Fragen zu stoßen. Aus einem ähnlichen Grund halte ich auch Spekulationen, die sich nicht direkt überprüfen lassen, für wertvoll. Und wenn es auch nur deshalb ist, weil Menschen von manchen Fragen fasziniert sind und sich nicht damit trösten lassen, dass"die Menschheit" in vielen Generationen diese vielleicht beantworten kann. Wenn die Wissenschaft keine Antworten hat, kann die Philosophie zumindest sagen "Mal angenommen, X wäre richtig, dann ließe sich daraus folgern, dass Y. Hingegen wenn A richtig wäre, müsste B zutreffend sein. B und Y schließen sich gegenseitig aus, da..."
Dadurch kommt man zwar nicht zu Wissen, aber man findet immerhin zu möglichen Antworten, kann die Realität mal in dem Licht der einen und mal im Licht der anderen Annahmen betrachten. Dadurch komme ich vielleicht zu Fragen, die doch überprüfbar sind und die sich aus der Empirie nicht direkt erschlossen hätten (soll heißen: zu denen es kein Vorläufer-Experiment gibt). Wahrscheinlicher ist allerdings, dass ich intuitive Annahmen anzweifeln muss, die ich für selbstverständlich gehalten hätte. |
Versteh ich dich richtig, dass Philosophie also nichts anderes ist, als Spekulation? In dem Fall hast du ja mMn richtig geschrieben, dass die Wissenschaftler es ebenfalls tun um auf weitere überprüfbare Fragen zu stoßen. Im gewissen Sinne gehört die Spekulation oder besser Findung begründeter Hypothesen zur Naturwissenschaft hinzu. Beschränke man die Philosophie darauf hätte ich kein Problem mehr damit.
Zum Kursiven: Das ist eigentlich ein schönes Beispiel für das, was ich mit "subjektives" meinte. Vielleicht ist "privates" ein besseres Wort. Insofern beurteile ich die Philosophie mE folgerichtig ähnlich der Religion. |
Ich weiß nicht, ob die Gegensätze, die du konstruierst, in diesem Sinne wirklich existieren. Philosophie hat eine intersubjektive Komponente, ähnlich den Wissenschaften. Religionen hingegen arbeiten zwangsläufig mit Dogmen, also absoluten Wahrheiten.
Ich finde daher, intersubjektive Diskurse sollten nicht ins Private verlegt werden. Sie stellen unser Denken auf die Probe. Wenn nicht mehr öffentlich alles zur Diskussion gestellt werden kann, verlieren wir einen Großteil dieser Intersubjektivität und Dogmen wirken umso attraktiver, da ihnen nicht viel entgegen gesetzt wird.
Man kann das menschliche Denken nicht auf "möglichst wahre" Aussagen begrenzen (was du vermutlich auch gar nicht willst) und man sollte das auch gar nicht. Da jeder Mensch im Allgemeinen eher die Wahrheit sucht und einen anderen blinden Fleck diesbezüglich hat, ist eben der kritische Diskurs unser bestes Selektionsverfahren. Wir können nicht vorab entscheiden, welche Gedanken es wert sind, in der Öffentlichkeit diskutiert zu werden, denn dadurch entziehen wir manche Fragen (die, die wir für "unwissenschaftlich" und manche Fragen danach, was "wissenschaftlich" eigentlich bedeutet) dem kritischen Diskurs.
Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | ich würde eher sagen, dass Philosophie + Zweifeln + Diskutieren -> <s>Selektion</s> künstliche Diversifizierung. Eine echte Selektion beinhaltet das Verwerfen falscher Teile. Ohne Experimente hat man keine Instanz um zu erkennen, was falsch und was wahr ist. |
Es stimmt, dass es verschiedene Formen von Zweifeln gibt und dass manche dieser Formen zu einem Relativismus führen können, was Wahrheit betrifft. Aber auch das Zweifeln kann kritisiert werden. Das tust du doch auch gerade. Und das nicht auf empirischer Grundlage, richtig?
Außerdem ist auch die Empirie kein Instanz, mit der wir erkennen können, was wahr ist (aber zum Teil, was falsch ist). Darauf vielleicht noch einmal genauer eingegangen:
Wir haben ein Modell, das unsere bereits erlange empirische Erfahrung zu erklären vermag, die aber zwangsläufig auch "spekulative" Elemente enthält. Insgesamt ist ein Modell ein Sammelsurium aus Aussagen. Aus diesem Modell schließen wir auf eine konkrete Vorhersage. Wenn sich diese experimentell widerlegen lässt, dann ist diese Vorhersage definitiv falsch. Das Modell damit auch. Nicht aber all die Annahmen, aus denen es besteht. Tatsächlich kann das bessere Modell womöglich bis auf eine kleine Änderung mit dem Falschen identisch sein. Ich will damit sagen: Wir können sehr konkrete Aussagen prüfen, aber wir haben immer einen Rattenschwanz aus Abstraktionen, die sich eben nicht direkt aus der Erfahrung ableiten lassen. Wenn man ein so hartes Kriterium für Aussagen, wie "möglichst wahr" wählt, dann entzieht man der Wissenschaft die kreativen Elemente, die zum Teil für "Sprünge" in den Wissenschaften verantwortlich sind. In einzelnen Fällen kann es so sogar schwer werden, zwischen "echter" Wissenschaft und Pseudowissenschaft zu unterscheiden, obwohl sich die Hypothese als fruchtbar erwiesen hat.
Tom der Dino hat folgendes geschrieben: |
Rohrspatz hat folgendes geschrieben: | Noch eine andere Sache ist die Wissenschaftsheorie. Mit ihrer Hilfe versteht man, warum Wissenschaft (wenn sie frei und kompetitiv ist), undogmatisch ist. Das ist etwas sehr wichtiges in der Aufklärung, wie ich finde, da viele Menschen Wissenschaft einfach für eine weitere Autorität neben Religion halten (Kittel statt Robe). |
Aber ist auch das nicht automatisch ein Teil der Wissenschaft selbst? |
Nicht nach deinem Kriterium
Glaubst du eigentlich auch, man solle praktische Philosophie ersatzlos streichen?
Ich finde, gerade die Ethik zeigt, wofür Philosophie gut sein kann. Wenn wir den Anspruch haben, uns "gut" zu verhalten und dogmatische Wertesysteme sagen uns "zuverlässig" (unanzweifelbar), was "gut" ist, können wir guten Gewissens tun, was uns gesagt wird.
Wissenschaft kann dem nur begrenzt etwas entgegen setzen (nämlich, wenn die Begründung eines Werts mit den Fakten nicht übereinstimmt, z.B., Homosexualität sei unnatürlich). Wenn man auch keine absoluten Antworten in der Ethik finden sollte, dann doch zumindest, auf wie viele verschiedene Weisen man nach dem "richtigen" Weg zu handeln, fragen kann.
_________________ Dies ist keine Piep-Show.
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Tom der Dino registrierter User
Anmeldungsdatum: 20.07.2011 Beiträge: 3949
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(#1751696) Verfasst am: 11.05.2012, 12:26 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Oder man kann auch fragen: "kann die Philosophie eindeutige (konvergente) Anworten liefern?" und damit implizieren, dass ein Gebiet, das keine solchen eindeutigen Anworten liefern kann, irrelevant wäre. | Das war nicht meine Absicht. Es ist eher der Umstand, dass mit der Anzahl der Philosophen auch die Anzahl der möglichen Hypothesen (Antworten) steigt, was mich an der Philosophie zweifeln lässt. Dazu kommt noch, dass es scheinbar keine Vorgänge der Falsifikation gibt. Die meisten Hypothesen sind innerhalb einer Philosophie konsistent und eindeutig. Nur sind die Vorraussetzungen, die zu diesen Hypothesen führen von Philosophie zu Philosophie verschieden.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Aber dann muss man sich auch Folgendes fragen:
1. ist dieser Schluss richtig, wie kann er begründet werden? | Begründet kann er werden, dadurch dass die Hypothesen mit Hilfe der Logik gefunden werden.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | 2. wieso kann nur diejenige Wissenschaft, die eindeutige Anworten liefert, einen Nutzen haben? | Auch "uneindeutige" Hypothesen können nützlich sein. Nur sollten falsifizierte und/oder nicht sinnvolle Hypothesen verworfen werden.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | 3. aber selbst wenn man die 2 begründen könnte, (wobei ich nicht glaube, dass das begründet werden kann), dann stellt sich die Frage, welche Wissenschaft denn dann überhaupt eindeutige Antworten bezüglich der Realität liefern kann, die keine sich widersprechenden Interpretationen enthält. | Interpretationen sind etwas anderes als Antworten. Antworten entsprechen Experimenten. Interpretationen entsprechen den Modellen.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Könnte zwar nun zusätzlich sein, dass jemand meint: "wir enthalten uns jeglicher Philosophie, jeglicher Interpretation, alles, was letztlich wichtig ist, ist Mathematik, alles andere ist irrelevant". | Nicht die Mathematik ist das einzig relevante. Sondern die experimentelle Überprüfung der Hypothesen und das Aussortieren der offensichtlich falschen/unsinnigen Konzepte wie Transzendenz, Qualia, Dreieinigkeit/-faltigkeit etc.
_________________ Am Anfang war ......das Experiment.
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44649
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(#1751708) Verfasst am: 11.05.2012, 13:27 Titel: |
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Kramer hat folgendes geschrieben: | Myron hat folgendes geschrieben: | Die positivistisch-szientistische, radikal-empiristische (operationalistisch-verifikationistische) Verdammung der Philosophie und insbesondere der Metaphysik ist paradoxerweise selbst Ausdruck eines bestimmten philosophisch-metaphysischen Standpunktes. Denn am Ende deckt sich der radikale Empirismus mit dem Phänomenalismus, einem Abkömmling des subjektiven Idealismus, welcher sich auf Aussagen über Sinnesdaten (Beobachtungssätze) beschränkt. |
...und Atheismus ist ja auch nur ein Glaube. |
Nee, Fideismus ist eher selbst eine Konsequenz des Phänomenalismus, wie Lenin bereits 1908 in seiner Schrift "Materialismus und Empiriokritizismus" zeigte.
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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Tom der Dino registrierter User
Anmeldungsdatum: 20.07.2011 Beiträge: 3949
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(#1751709) Verfasst am: 11.05.2012, 13:36 Titel: |
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Rohrspatz hat folgendes geschrieben: | Ich weiß nicht, ob die Gegensätze, die du konstruierst, in diesem Sinne wirklich existieren. Philosophie hat eine intersubjektive Komponente, ähnlich den Wissenschaften. Religionen hingegen arbeiten zwangsläufig mit Dogmen, also absoluten Wahrheiten. |
In dem Punkt habe ich gar keine Gegensätze konstruieren wollen. Ich habe eher Parallelen gezogen.
Religionen, Philosophie- ich schreibe wohl besser -richtungen oder -strömungen und auch die Naturwissenschaften sind im Grunde gleich aufgebaut.
Alle haben grundlegende Voraussetzungen. Religionen haben Dogmen, Philosophien und Naturwissenschaften haben wie die Logik auch Axiome und Prämissen.
Religiöse Dogmen stehen unumstößlich fest. Philosophische Axiome und Prämissen stehen ebenfalls fest in jeder Strömung. Die Axiome und Prämissen der Naturwissenschaften stehen solange fest bis gefunden wird, dass sie so nicht stimmen können. Dann werden sie "automatisch" geändert.
Auf den Voraussetzungen wird das jeweilige System aufgebaut. Innerhalb der Philosophien gilt, dass sobald eine der Voraussetzungen angezweifelt wird, sich eine neue Strömung entwickelt aber ohne die alte zu ersetzen. Ein Ersatz der alten geht auch nicht, da eine objektive Entscheidung zwischen den beiden nicht möglich ist, da sie auch intersubjektiv hergestellt werden aber doch keiner "außermenschlichen" Prüfung zugänglich sind.
Im Rahmen der Naturwissenschaften ist die "außermenschliche" Prüfung, das Experiment, bereits implementiert. Die Naturwissenschaft spaltet sich also nicht auf, sondern verfeinert sich selbst. Und zwar in jedem Aspekt. Sollte eine bessere Art der Prüfung als das Experiment gefunden werden, würde sie auch das Experiment verwerfen.
Rohrspatz hat folgendes geschrieben: | Ich finde daher, intersubjektive Diskurse sollten nicht ins Private verlegt werden. Sie stellen unser Denken auf die Probe. Wenn nicht mehr öffentlich alles zur Diskussion gestellt werden kann, verlieren wir einen Großteil dieser Intersubjektivität und Dogmen wirken umso attraktiver, da ihnen nicht viel entgegen gesetzt wird.
Man kann das menschliche Denken nicht auf "möglichst wahre" Aussagen begrenzen (was du vermutlich auch gar nicht willst) und man sollte das auch gar nicht. Da jeder Mensch im Allgemeinen eher die Wahrheit sucht und einen anderen blinden Fleck diesbezüglich hat, ist eben der kritische Diskurs unser bestes Selektionsverfahren. Wir können nicht vorab entscheiden, welche Gedanken es wert sind, in der Öffentlichkeit diskutiert zu werden, denn dadurch entziehen wir manche Fragen (die, die wir für "unwissenschaftlich" und manche Fragen danach, was "wissenschaftlich" eigentlich bedeutet) dem kritischen Diskurs. | Diskussionen will ich nicht vermeiden, ganz und gar nicht. Schließlich bin ich auch desterwegen hier . Wenn aber zum Beispiel jemand behauptet, es gäbe Geister und Gespenster und Dämonen und er/sie meint damit etwas anderes als Halluzinationen, dann wäre mir lieb, ein Verweis auf Untersuchungen würde reichen um solchen Unsinn aus der Welt zu schaffen. Religionen aber eben auch einige philosophische Strömungen helfen dann z.B. mit ihren Transzendenz-Konzepten solche unsinnigen Ansichten zu legitimieren. Mit dem Privaten möchte ich lediglich ausdrücken, dass ich niemandem vorschreiben möchte an was er/sie glaubt, aber in Diskussionen um Wissen sollten solche Konzepte dann rausgehalten werden, bzw. nach kurzer Diskussion und erfolgtem Verweis auf die Falsifikation dann verworfen werden.
Rohrspatz hat folgendes geschrieben: | Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | ich würde eher sagen, dass Philosophie + Zweifeln + Diskutieren -> <s>Selektion</s> künstliche Diversifizierung. Eine echte Selektion beinhaltet das Verwerfen falscher Teile. Ohne Experimente hat man keine Instanz um zu erkennen, was falsch und was wahr ist. |
Es stimmt, dass es verschiedene Formen von Zweifeln gibt und dass manche dieser Formen zu einem Relativismus führen können, was Wahrheit betrifft. Aber auch das Zweifeln kann kritisiert werden. Das tust du doch auch gerade. Und das nicht auf empirischer Grundlage, richtig?  |
Na eigentlich hoffe ich mich auf empirischer Grundlage zu bewegen. Allerdings weiß ich nicht genau, wie du das meinst.
Rohrspatz hat folgendes geschrieben: | Außerdem ist auch die Empirie kein Instanz, mit der wir erkennen können, was wahr ist (aber zum Teil, was falsch ist). Darauf vielleicht noch einmal genauer eingegangen:
Wir haben ein Modell, das unsere bereits erlange empirische Erfahrung zu erklären vermag, die aber zwangsläufig auch "spekulative" Elemente enthält. Insgesamt ist ein Modell ein Sammelsurium aus Aussagen. Aus diesem Modell schließen wir auf eine konkrete Vorhersage. Wenn sich diese experimentell widerlegen lässt, dann ist diese Vorhersage definitiv falsch. Das Modell damit auch. Nicht aber all die Annahmen, aus denen es besteht. Tatsächlich kann das bessere Modell womöglich bis auf eine kleine Änderung mit dem Falschen identisch sein. Ich will damit sagen: Wir können sehr konkrete Aussagen prüfen, aber wir haben immer einen Rattenschwanz aus Abstraktionen, die sich eben nicht direkt aus der Erfahrung ableiten lassen. Wenn man ein so hartes Kriterium für Aussagen, wie "möglichst wahr" wählt, dann entzieht man der Wissenschaft die kreativen Elemente, die zum Teil für "Sprünge" in den Wissenschaften verantwortlich sind. In einzelnen Fällen kann es so sogar schwer werden, zwischen "echter" Wissenschaft und Pseudowissenschaft zu unterscheiden, obwohl sich die Hypothese als fruchtbar erwiesen hat. | Aber damit kann ich leben. Solange ein Modell mit den experimentellen Ergebnissen übereinstimmt, ist es in Ordnung. Hauptsache man unterscheidet zwischen Modell und Experiment. Das Experiment ist das, was die "Wahrheit" zeigt.
Rohrspatz hat folgendes geschrieben: | Tom der Dino hat folgendes geschrieben: |
Rohrspatz hat folgendes geschrieben: | Noch eine andere Sache ist die Wissenschaftsheorie. Mit ihrer Hilfe versteht man, warum Wissenschaft (wenn sie frei und kompetitiv ist), undogmatisch ist. Das ist etwas sehr wichtiges in der Aufklärung, wie ich finde, da viele Menschen Wissenschaft einfach für eine weitere Autorität neben Religion halten (Kittel statt Robe). |
Aber ist auch das nicht automatisch ein Teil der Wissenschaft selbst? |
Nicht nach deinem Kriterium  | Kannst du das bitte genauer erläutern?
Rohrspatz hat folgendes geschrieben: | Glaubst du eigentlich auch, man solle praktische Philosophie ersatzlos streichen?
Ich finde, gerade die Ethik zeigt, wofür Philosophie gut sein kann. Wenn wir den Anspruch haben, uns "gut" zu verhalten und dogmatische Wertesysteme sagen uns "zuverlässig" (unanzweifelbar), was "gut" ist, können wir guten Gewissens tun, was uns gesagt wird.
Wissenschaft kann dem nur begrenzt etwas entgegen setzen (nämlich, wenn die Begründung eines Werts mit den Fakten nicht übereinstimmt, z.B., Homosexualität sei unnatürlich). Wenn man auch keine absoluten Antworten in der Ethik finden sollte, dann doch zumindest, auf wie viele verschiedene Weisen man nach dem "richtigen" Weg zu handeln, fragen kann. | Zur gefetteten Frage: Noch nicht. Vielleicht niemals aber der Einfluss der Naturwissenschaft wird sich wahrscheinlich in Zukunft auch dort vergrößern. Allerdings sind die Bereiche die zur praktischen Philosophie gehören, so komplex, dass eine naturwissenschaftlich modellierte Beantwortung noch einige Zeit auf sich warten lassen wird.
Für solche Bereiche habe ich die Philosophie als Zeitgewinn-Möglichkeit bereits anerkannt .
Gerade die Ethik halte ich für ziemlich willkürlich. Sie hängt einzig und allein davon ab, welchem Aspekt der jeweilige Diskutant die höchste Wichtung zukommen lässt. Eine Ethik auf naturwissenschaftlicher Basis wäre ein großer Schritt nach vorn.
_________________ Am Anfang war ......das Experiment.
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44649
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(#1751713) Verfasst am: 11.05.2012, 13:56 Titel: |
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Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | Vielleicht niemals aber der Einfluss der Naturwissenschaft wird sich wahrscheinlich in Zukunft auch dort vergrößern. |
Wenn du damit meinst, dass sich der Zugriff der Naturwissenschaften auf das menschliche nackte Leben vergrößert, hast du Recht. Ethisch betrachtet löst das allerdings nicht nur Probleme, sondern schafft auch einen ganzen Haufen neuer.
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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Tom der Dino registrierter User
Anmeldungsdatum: 20.07.2011 Beiträge: 3949
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(#1751719) Verfasst am: 11.05.2012, 14:04 Titel: |
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Tarvoc hat folgendes geschrieben: | Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | Vielleicht niemals aber der Einfluss der Naturwissenschaft wird sich wahrscheinlich in Zukunft auch dort vergrößern. |
Wenn du damit meinst, dass sich der Zugriff der Naturwissenschaften auf das menschliche nackte Leben vergrößert, hast du Recht. Ethisch betrachtet löst das allerdings nicht nur Probleme, sondern schafft auch einen ganzen Haufen neuer. |
Kannst du das konkretisieren?
_________________ Am Anfang war ......das Experiment.
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44649
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(#1751721) Verfasst am: 11.05.2012, 14:12 Titel: |
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Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | Kannst du das konkretisieren? |
Die Möglichkeit, den Menschen nicht nur als Arbeitskraft, sondern bis in seine biologische Substanz hinein zu instrumentalisieren, ist an sich schon ein Thema der Ethik (und auch der politischen Philosophie).
Da stellt sich z.B. die Frage, wie in einer solchen Situation der Mensch und sein Körper aufzufassen sind. Als reine Biomasse? Als verwertbarer Rohstoff? Oder noch irgendwie anders?
Ein Beispiel für ein konkretes Problem wäre z.B. die Frage, ab welchem Punkt ich einem menschlichen Körper Organe entnehme, um sie woanders wieder zu verwenden.
Wenn du Literatur zum Thema Biopolitik suchst, würde ich insbesondere die entsprechenden Arbeiten von Michel Foucault und Giorgio Agamben empfehlen.
Ein weiteres Beispiel eines konkreten Problems wäre die Frage nach Urheberrechten auf das menschliche Genom bzw. Teile davon. Dazu hat u.A. Slavoj Zizek was geschrieben. Ich müsste aber erst heraussuchen, in welchem Buch das war.
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#1751767) Verfasst am: 11.05.2012, 18:15 Titel: |
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Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | Nein, ich denke du siehst meinen Punkt nicht. Dass sich die Viecher nicht hinsetzen und erstmal eine Skizze machen um dann die Länge des Weges auszurechnen, die Geschwindigkeit abzuschätzen, daraus ein Diagramm zu ermitteln um dann die Kurvengleichung aufzustellen und von dieser die erste und zweite Ableitung zu bilden um das Minimum herauszufinden ist mir klar.
Es ist wahrscheinlich eher folgendermaßen:
Hund sieht Ball, Hund sieht Weg zum Ball, Hund sieht dass ein Teil des Weges Wasser und der andere Teil fester Boden ist. Hundehirn macht etwas an dessen Ende der Hund weiß, welcher Weg der schnellste ist, Hundehirn lässt Hund diesen Weg nehmen. |
bis hierher sind wir uns einig.
Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | Beim Menschen kann man sowas in der Art auch beobachten zum Beispiel beim Ball fangen, oder beim Fußball, oder beim sich durch eine volle Fußgängerzone bewegen. Da setzt sich auch niemand hin und rechnet erstmal aus.
LRkS: Der Hund macht irgendwie eine Grenzwertbestimmung. Diese Grenzwertbestimmung machen wir zwar auf dem Zettel mit DGLs, aber wenn wir schreiben der Hund löst DGLs meinen wir nur, dass er eine Grenzwertbestimmung macht, solange wir nicht wissen wie er diese genau macht. |
Warum schreibst Du das dann nicht gleich so? Durch Formulierungen wie 'der Hund löst Differentialgleichungen' (weiter oben im Thread, ich müsste jetzt schauen, wer da genau wie formuliert hat) setzt Du Dein menschliches Modell absolut und überträgst dessen Begrifflichkeit auf einen Bereich, der vollkommen anders funktioniert. Das macht keinen Sinn und das meinte ich mit Kategorienfehler.
Mutatis mutandis hast Du dasselbe, wenn Du immer so tust, als sei das Experiment zentral. Hierbei vergisst Du auch den Rahmen, der gefüllt werden muss, um überhaupt ein Experiment auswerten zu können. Ob Du es glaubst oder nicht, hier kommen die Philosophen ins Spiel. Bei Evolutionsbiologens ist das ab und an der Fall, kennst Du
Zitat: | Gayon, J. (1990) 'Critics and criticism of the modern Synthesis. The viewpoint of a philosopher' Evolutionary Biology 24:1-50 |
In einem anderen Artikel werden Experimente geschildert, die, egal, wie auch immer sie ausgehen, keine Aussagen ermöglichen. Du kannst nun natürlich fragen, ob man Philosophen braucht, um so was zu finden. Natürlich können auch Naturwissenschaftler darauf kommen, aber die sind halt oft betriebsblind:
Zitat: | Gould, S.J.; Lewontin, R.C. (1979) 'The spandrels of San Marco and the Panglossian paradigma: a critique of the adaptationist programme' Proc. R. Soc. Lond. B, Biol. Sci. 205:581-598
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Sehr interessant ist auch
Zitat: | Collins, H.; Pinch, T. (1999) 'Der Golem der Forschung. Wie unsere Wissenschaft die Natur erfindet' Berlin, Berlin |
Dort wird beispielsweise anhand klassischer Experimente (beispielsweise zu Äther, Pasteur-Versuche etc.) dargestellt, welche impliziten und expliziten Probleme in der Logik dieser Experimente steckten, und dass das, was in Lehrbüchern steht, von dem, was die Forscher treiben, doch ab und an deutlich abweicht.
Meiner Meinung nach erfüllen Philosophen durchaus wichtige Aufgaben, auch im Bereich der Naturwissenschaften. Denk daran, dass die moderne Wissenschaftstheorie entstand, als um 1900 die Ergebnisse der Physik Begriffe wie 'Raum' und 'Zeit' problematisch machten. Es gab Zeiten, das konnten Ergebnisse nur interpretiert werden, wenn man ein bislang anderkanntes 'Naturgesetz' infrage stellte. Das sind dann durchaus philosophische Fragen, zu deren Beantwortung die Naturwissenschaften zwar die Daten, aber nicht die Konzepte liefern.
Als (aus Sicht der Biologie bedauerlicher) Nebeneffekt bewirkte das, dass die meisten Wissenschaftstheoretiker aus der Ecke der theoretischen Physik kommen. Es gibt gute Gründe, zu vermuten, dass diese Menschen biologische Phänomene schlecht modellieren können. Mayr schildert sehr anschaulich, wie es ihm nur grenzwertig gelang, Pauli Populationsdenken (das zentrale Element der Evolutionsbiologie, das die wenigsten Nicht-Biologen verstehen) zu vermitteln. 'Individuales Gas' wirkte noch am besten, und macht den zentralen Unterschied der untersuchten Systeme deutlich.
All das sind meiner Meinung nach Fragen, die mehr mit Philosophie als mit Naturwissenschaften zu tun haben, obwohl sie enorm wichtig für die Naturwissenschaften sind.
_________________ Ein seliges und unvergängliches Wesen (die Gottheit) trägt weder selbst Mühsal, noch belädt es ein anderes Wesen damit. Darum kennt es weder Zorn noch Wohlwollen. Dergleichen gibt es nur bei einem schwachen Wesen. (Epikur)
Der Christengott ist immens schwach!
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Myron Pansomatist
Anmeldungsdatum: 01.07.2007 Beiträge: 3625
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(#1751774) Verfasst am: 11.05.2012, 18:31 Titel: |
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Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | Eine Ethik auf naturwissenschaftlicher Basis wäre ein großer Schritt nach vorn. |
Wie will die Naturwissenschaft feststellen, was wir tun oder lassen sollen?
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1751779) Verfasst am: 11.05.2012, 18:40 Titel: |
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El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Als (aus Sicht der Biologie bedauerlicher) Nebeneffekt bewirkte das, dass die meisten Wissenschaftstheoretiker aus der Ecke der theoretischen Physik kommen. Es gibt gute Gründe, zu vermuten, dass diese Menschen biologische Phänomene schlecht modellieren können. Mayr schildert sehr anschaulich, wie es ihm nur grenzwertig gelang, Pauli Populationsdenken (das zentrale Element der Evolutionsbiologie, das die wenigsten Nicht-Biologen verstehen) zu vermitteln. 'Individuales Gas' wirkte noch am besten, und macht den zentralen Unterschied der untersuchten Systeme deutlich. |
Mal abgesehen davon, daß ich diese Deutung nur sehr bedingt teile - wäre es dann nicht einem Philosophen oder Theologen noch viel schwieriger verständlich zu machen?
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#1751780) Verfasst am: 11.05.2012, 18:42 Titel: |
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Myron hat folgendes geschrieben: | Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | Eine Ethik auf naturwissenschaftlicher Basis wäre ein großer Schritt nach vorn. |
Wie will die Naturwissenschaft feststellen, was wir tun oder lassen sollen? |
den alten Traum der Ethik 'more geometrico' in die Tat umsetzen? Oder Leibnizens Sprache, mit der man Fragen nach dem Motto 'lasst uns rechnen ...' lösen könnte?
Nein, im Ernst, mehr als Hybris einer bestimmten Denke ist das nicht. Die Natur des Menschen ist die Kultur, und selbst ein Hardliner wie Dawkins hat expressis verbis formuliert, dass die Freiheit des Menschen eben gerade darin besteht, nicht so funktionieren zu müssen wie unsere Mit-Organismen. Es ist ein krasser Kategorienfehler, mit der Methodik, mit der man die Natur erforscht, Menschen erforschen zu wollen.
_________________ Ein seliges und unvergängliches Wesen (die Gottheit) trägt weder selbst Mühsal, noch belädt es ein anderes Wesen damit. Darum kennt es weder Zorn noch Wohlwollen. Dergleichen gibt es nur bei einem schwachen Wesen. (Epikur)
Der Christengott ist immens schwach!
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Myron Pansomatist
Anmeldungsdatum: 01.07.2007 Beiträge: 3625
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(#1751783) Verfasst am: 11.05.2012, 18:48 Titel: |
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El Schwalmo hat folgendes geschrieben: |
Es ist ein krasser Kategorienfehler, mit der Methodik, mit der man die Natur erforscht, Menschen erforschen zu wollen. |
Auch die Psychologie und die Soziologie arbeiten mit Beobachtungen und Tests.
Zuletzt bearbeitet von Myron am 11.05.2012, 18:48, insgesamt einmal bearbeitet |
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#1751784) Verfasst am: 11.05.2012, 18:48 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Als (aus Sicht der Biologie bedauerlicher) Nebeneffekt bewirkte das, dass die meisten Wissenschaftstheoretiker aus der Ecke der theoretischen Physik kommen. Es gibt gute Gründe, zu vermuten, dass diese Menschen biologische Phänomene schlecht modellieren können. Mayr schildert sehr anschaulich, wie es ihm nur grenzwertig gelang, Pauli Populationsdenken (das zentrale Element der Evolutionsbiologie, das die wenigsten Nicht-Biologen verstehen) zu vermitteln. 'Individuales Gas' wirkte noch am besten, und macht den zentralen Unterschied der untersuchten Systeme deutlich. |
Mal abgesehen davon, daß ich diese Deutung nur sehr bedingt teile - wäre es dann nicht einem Philosophen oder Theologen noch viel schwieriger verständlich zu machen? |
schwer zu sagen, eben weil 'Philosoph' nicht weniger schwammig ist als 'Biologe'. Mayr meinte, der Essentialismus sei das Hauptproblem, Populationsdenken zu verstehen, und das ist die Denke einer bestimmten Richtung der Philosopie. 'Theologe' hingegen ist so schwammig, dass man wohl keine Antwort finden wird.
Das Problem, das Mayr ansprach, ist, dass große Erfolge der Physik eben darauf beruhen, dass man Systeme beispielsweise auf Punkte reduziert oder Aggregate von (oft idealisierten) identischen Teilchen untersucht. Ein Paradigma dafür ist das 'ideale Gas', mit dem man sehr erfolgreich modellieren kann. In der Populationsgenetik sogar mit ähnlichen Formalismen. Aber der Punkt ist, dass Lebewesen als Populationen von Individuen evolvieren. Das muss man anders modellieren.
_________________ Ein seliges und unvergängliches Wesen (die Gottheit) trägt weder selbst Mühsal, noch belädt es ein anderes Wesen damit. Darum kennt es weder Zorn noch Wohlwollen. Dergleichen gibt es nur bei einem schwachen Wesen. (Epikur)
Der Christengott ist immens schwach!
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#1751785) Verfasst am: 11.05.2012, 18:53 Titel: |
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Myron hat folgendes geschrieben: | El Schwalmo hat folgendes geschrieben: |
Es ist ein krasser Kategorienfehler, mit der Methodik, mit der man die Natur erforscht, Menschen erforschen zu wollen. |
Auch die Psychologie und die Soziologie arbeiten mit Beobachtungen und Tests. |
okay, ich müsste präziser formulieren. Es macht einen Unterschied, ob man mehr oder weniger bewusst und intentional agierende Wesen untersucht oder physikalische Objekte. Spätestens ab Menschenaffe wird es natürlich interessant.
_________________ Ein seliges und unvergängliches Wesen (die Gottheit) trägt weder selbst Mühsal, noch belädt es ein anderes Wesen damit. Darum kennt es weder Zorn noch Wohlwollen. Dergleichen gibt es nur bei einem schwachen Wesen. (Epikur)
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Myron Pansomatist
Anmeldungsdatum: 01.07.2007 Beiträge: 3625
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(#1751786) Verfasst am: 11.05.2012, 18:55 Titel: |
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Der Philosoph Colin McGinn hat neulich vorgeschlagen, die Bezeichnung "Philosophie" durch "Ontik" ("ontics") oder "Seinswissenschaft" ("ontical science") zu ersetzen. Man könnte auch die Bezeichnung "Begriffswissenschaft" ("conceptive science") verwenden. Der Ausdruck "Ontik" steht aber wohl nicht für die Philosophie als Ganzes, sondern für die Ontologie und die Metaphysik. Wir hätten dann aber eine ansprechende Dreiteilung der Philosophie:
1. Ontik
2. Ethik
3. Ästhetik
Siehe: http://opinionator.blogs.nytimes.com/2012/03/04/philosophy-by-another-name/
"Our current name is harmful because it posits a big gap between the sciences and philosophy; we do something that is not a science. Thus we do not share in the intellectual prestige associated with that thoroughly modern word. We are accordingly not covered by the media that cover the sciences, and what we do remains a mystery to most people. But it is really quite clear that academic philosophy is a science. The dictionary defines a science as 'a systematically organized body of knowledge on any subject.' This is a very broad definition, which includes not just subjects like physics and chemistry but also psychology, economics, mathematics and even 'library science.'" – C. McGinn
Im deutschsprachigen Raum zählt die Philosophie ja zu den Geisteswissenschaften, und in dem Wort "Geisteswissenschaft" steckt "Wissenschaft" drin.
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Myron Pansomatist
Anmeldungsdatum: 01.07.2007 Beiträge: 3625
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(#1751794) Verfasst am: 11.05.2012, 19:14 Titel: |
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Myron hat folgendes geschrieben: | Wir hätten dann aber eine ansprechende Dreiteilung der Philosophie:
1. Ontik
2. Ethik
3. Ästhetik |
Da fehlt aber noch was:
1. Ontik
2. Epistemik
3. Logik
4. Ethik
5. Ästhetik
Jetzt fehlt ein Oberbegriff, der 1-5 umfasst. Die Bezeichnungen "Denkwissenschaft" und "Begriffswissenschaft" erscheinen mir am geeignetsten.
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Tom der Dino registrierter User
Anmeldungsdatum: 20.07.2011 Beiträge: 3949
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(#1751806) Verfasst am: 11.05.2012, 20:11 Titel: |
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Tarvoc hat folgendes geschrieben: | Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | Kannst du das konkretisieren? |
Die Möglichkeit, den Menschen nicht nur als Arbeitskraft, sondern bis in seine biologische Substanz hinein zu instrumentalisieren, ist an sich schon ein Thema der Ethik (und auch der politischen Philosophie).
Da stellt sich z.B. die Frage, wie in einer solchen Situation der Mensch und sein Körper aufzufassen sind. Als reine Biomasse? Als verwertbarer Rohstoff? Oder noch irgendwie anders?
Ein Beispiel für ein konkretes Problem wäre z.B. die Frage, ab welchem Punkt ich einem menschlichen Körper Organe entnehme, um sie woanders wieder zu verwenden.
Wenn du Literatur zum Thema Biopolitik suchst, würde ich insbesondere die entsprechenden Arbeiten von Michel Foucault und Giorgio Agamben empfehlen.
Ein weiteres Beispiel eines konkreten Problems wäre die Frage nach Urheberrechten auf das menschliche Genom bzw. Teile davon. Dazu hat u.A. Slavoj Zizek was geschrieben. Ich müsste aber erst heraussuchen, in welchem Buch das war. |
El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Myron hat folgendes geschrieben: | Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | Eine Ethik auf naturwissenschaftlicher Basis wäre ein großer Schritt nach vorn. |
Wie will die Naturwissenschaft feststellen, was wir tun oder lassen sollen? |
den alten Traum der Ethik 'more geometrico' in die Tat umsetzen? Oder Leibnizens Sprache, mit der man Fragen nach dem Motto 'lasst uns rechnen ...' lösen könnte?
Nein, im Ernst, mehr als Hybris einer bestimmten Denke ist das nicht. Die Natur des Menschen ist die Kultur, und selbst ein Hardliner wie Dawkins hat expressis verbis formuliert, dass die Freiheit des Menschen eben gerade darin besteht, nicht so funktionieren zu müssen wie unsere Mit-Organismen. Es ist ein krasser Kategorienfehler, mit der Methodik, mit der man die Natur erforscht, Menschen erforschen zu wollen. |
Eine Ethik auf naturwissenschaftlicher Basis wäre mitnichten eine Sichtweise in der Menschen auf einen Ware reduziert werden. Die Dinge, die heute mit Glück, Zufriedenheit etc. bezeichnet werden, werden in der Zukunft mittels Messungen bestimmt und in Formeln modelliert werden können. Mit komplexen Simulationsprogrammen wird es möglich sein "Kandidatenethiken" zu bestimmen. Dann wird es Gesellschaften geben, die diese ausprobieren werden. Je nach Funktionieren dieser Ethiken wird man Rangfolgen erstellen können und mehr über diese lernen, sodass am Ende durch eine systematische Suche eine Ethik gefunden werden kann, die am besten für die Menschen in den jeweiligen Umgebungen und Beziehungsgeflechten geeignet ist.
Allerdings sind solche Modelle außerordentlich komplex und auch die Wichtung der individuellen Präferenzen wie Glücksbedürfnis etc. wird schwierig zu bestimmen sein.
El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Myron hat folgendes geschrieben: | El Schwalmo hat folgendes geschrieben: |
Es ist ein krasser Kategorienfehler, mit der Methodik, mit der man die Natur erforscht, Menschen erforschen zu wollen. |
Auch die Psychologie und die Soziologie arbeiten mit Beobachtungen und Tests. |
okay, ich müsste präziser formulieren. Es macht einen Unterschied, ob man mehr oder weniger bewusst und intentional agierende Wesen untersucht oder physikalische Objekte. Spätestens ab Menschenaffe wird es natürlich interessant. |
Nein eigentlich macht es keinen Unterschied. Einzig die Menge der Parameter, die es zu beachten gilt, ist anders.
Menschenmengen werden schon jetzt wie Flüssigkeiten behandelt. Danach werden Museumsräume und öffentliche Plätze inklusive Fluchtwegen geplant. Deswegen hat man in solchen so geplanten Räumen eine Säule vor dem Ausgang, der ein Verstopfen der Ausgänge bei Panik verm(h?)indert.
Ameisenvölker lassen sich als Superorganismen auffassen. Es würde mich sehr wundern, wenn solche Parallelen nicht auch zu menschlichen Gesellschaften gezogen werden könnten.
Die Menschen sind Teil der Natur. Sie stehen nicht außerhalb. Deswegen sind sie ebenso beschreibbar. Die Menschen handeln nicht bewusst und intentional. Das ist nur eine Illusion.
Wenn auf dem Snickers steht: "Neue Rezeptur!" gehen die Verkaufszahlen hoch. Reproduzierbar. Auf diesem Hintergrund basieren Programme die einem Musikstücke vorschlagen.
Wer glaubt, der Mensch wäre nicht berechenbar, ist vielleicht ein Idealist aber leider liegt er falsch.
Eine Diskussion hierüber würde in eine Diskussion über den freien Willen ausarten, die wir aber gerne in einem der unzähligen anderen Threads dazu führen können.
_________________ Am Anfang war ......das Experiment.
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1751809) Verfasst am: 11.05.2012, 20:26 Titel: |
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Myron hat folgendes geschrieben: | 1. Ontik 2. Epistemik 3. Logik 4. Ethik 5. Ästhetik
Jetzt fehlt ein Oberbegriff, der 1-5 umfasst. Die Bezeichnungen "Denkwissenschaft" und "Begriffswissenschaft" erscheinen mir am geeignetsten. |
"Begriffswisssenschaft" würde mir auch gefallen. Quasi so eine Art TÜV, der darauf achtet, daß die Begriffe wohldefiniert sind ... und keiner schwafelt
Aber speziell an Dich die Frage: In welchem der 5 genannten Felder kann die Philosophie überprüfbare Antworten geben? Meinst Du auch, daß das in keinem dieser Gebiete geht?
Anders ausgedrückt: Ist, etwa bei der Ästhetik, der Philosoph zuständig für ...
- das Stellen interessanter Fragen?
- das über seine Privatmeinung hinaus relevante Beantworten von Fragen?
- das "neutrale", quasi beobachtend systematisierende Beschreiben der Geschichte und Gegenwart dieses Feldes?
- ...?
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Tom der Dino registrierter User
Anmeldungsdatum: 20.07.2011 Beiträge: 3949
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(#1751816) Verfasst am: 11.05.2012, 20:53 Titel: |
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El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | Beim Menschen kann man sowas in der Art auch beobachten zum Beispiel beim Ball fangen, oder beim Fußball, oder beim sich durch eine volle Fußgängerzone bewegen. Da setzt sich auch niemand hin und rechnet erstmal aus.
LRkS: Der Hund macht irgendwie eine Grenzwertbestimmung. Diese Grenzwertbestimmung machen wir zwar auf dem Zettel mit DGLs, aber wenn wir schreiben der Hund löst DGLs meinen wir nur, dass er eine Grenzwertbestimmung macht, solange wir nicht wissen wie er diese genau macht. |
Warum schreibst Du das dann nicht gleich so? Durch Formulierungen wie 'der Hund löst Differentialgleichungen' (weiter oben im Thread, ich müsste jetzt schauen, wer da genau wie formuliert hat) setzt Du Dein menschliches Modell absolut und überträgst dessen Begrifflichkeit auf einen Bereich, der vollkommen anders funktioniert. Das macht keinen Sinn und das meinte ich mit Kategorienfehler. | Als Naturwissenschaftler bin ich mir der Fehlbarkeit der Menschen, ihrer Ansichten und ihrer Modelle und ebenso des Unterschiedes zwischen Modell und Wirklichkeit bewusst. Deswegen mein Abheben auf Experimente. Sie sind unser Anker in der Wirklichkeit. Wenn ich ein Verhalten der Natur beobachte, benutze ich die Worte des Modells, weiß aber, dass es nicht mit meinem Modell übereinstimmen muss aber durchaus kann. Möglicherweise gibt es im Hundehirn einen Bereich, der organisiert ist ähnlich einer logischen Schaltung zur Lösung von DGLs. Vielleicht auch nicht. Das ist Spekulation. Es bleibt Spekulation, ohne ein Experiment, dass dieses oder etwas anderes indirekt darauf hindeutendes zeigt.
El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Mutatis mutandis hast Du dasselbe, wenn Du immer so tust, als sei das Experiment zentral. Hierbei vergisst Du auch den Rahmen, der gefüllt werden muss, um überhaupt ein Experiment auswerten zu können. Ob Du es glaubst oder nicht, hier kommen die Philosophen ins Spiel. |
Den Rahmen vergesse ich nicht. Die Modellierung der Ergebnisse wird ebenfalls von den Naturwissenschaftlern vorgenommen. Dass die Modelle falsch sein können ist immer mit im Raum. Die Experimente sind es aber nicht (solange korrekt ausgeführt).
Es gibt durchaus mehrere Wege. Einerseits den Weg, dass ein Experiment in dem Fall eine Beobachtung erst auf eine Verbindung aufmerksam macht. Charles Darwin und seine Evolutionstheorie ist dafür eines der besten Beispiele. Als zweite Möglichkeit die "Hypothesis driven Experiments" wie zum Beispiel die Suche nach dem Higgs-Teilchen oder den SuSy-Teilchen mittels des LHC am CERN. Sollte sich am Ende herausstellen, dass das Higgs nicht existiert, ist die Hypothese des Higgsfeldes falsifiziert und verschwindet ähnlich wie die Lichtermüdung vom Schirm der Physik (bis auf einige Cranks die sie wieder hervorkramen). Wird das Higgs gefunden, aber andere Experimente zeigen, dass es zwar ein Teilchen ist, was sich zuerst wie ein Higgs verhält aber noch andere Eigenschaften hat, die dem Higgs-Feld widersprechen, ist die Higgs-Hypothese falsifiziert aber die Experimente die gezeigt haben, dass da etwas ist, sind es nicht. Jede weitere Hypothese muss um Theorie zu werden jene vermeintlichen experimentellen Higgs-Ergebnisse in den Fehlergrenzen des Experimentes modellieren können.
El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Bei Evolutionsbiologens ist das ab und an der Fall, kennst Du
Zitat: | Gayon, J. (1990) 'Critics and criticism of the modern Synthesis. The viewpoint of a philosopher' Evolutionary Biology 24:1-50 |
| Nein, kenn ich nicht, werde es mir aber anschauen.
El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | In einem anderen Artikel werden Experimente geschildert, die, egal, wie auch immer sie ausgehen, keine Aussagen ermöglichen. Du kannst nun natürlich fragen, ob man Philosophen braucht, um so was zu finden. Natürlich können auch Naturwissenschaftler darauf kommen, aber die sind halt oft betriebsblind:
Zitat: | Gould, S.J.; Lewontin, R.C. (1979) 'The spandrels of San Marco and the Panglossian paradigma: a critique of the adaptationist programme' Proc. R. Soc. Lond. B, Biol. Sci. 205:581-598
|
| Eigentlich ist die Fehlerbetrachtung und die Diskussion um alternative Interpretationen von experimentellen Ergebnissen Aufgabe der Wissenschaft. Trotzdem Danke für den Literaturhinweis, ich werd mal reinschauen.
El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Sehr interessant ist auch
Zitat: | Collins, H.; Pinch, T. (1999) 'Der Golem der Forschung. Wie unsere Wissenschaft die Natur erfindet' Berlin, Berlin |
Dort wird beispielsweise anhand klassischer Experimente (beispielsweise zu Äther, Pasteur-Versuche etc.) dargestellt, welche impliziten und expliziten Probleme in der Logik dieser Experimente steckten, und dass das, was in Lehrbüchern steht, von dem, was die Forscher treiben, doch ab und an deutlich abweicht. | Ich werd auch da mal reinschauen, klingt interessant.
El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Meiner Meinung nach erfüllen Philosophen durchaus wichtige Aufgaben, auch im Bereich der Naturwissenschaften. Denk daran, dass die moderne Wissenschaftstheorie entstand, als um 1900 die Ergebnisse der Physik Begriffe wie 'Raum' und 'Zeit' problematisch machten. Es gab Zeiten, das konnten Ergebnisse nur interpretiert werden, wenn man ein bislang anderkanntes 'Naturgesetz' infrage stellte. Das sind dann durchaus philosophische Fragen, zu deren Beantwortung die Naturwissenschaften zwar die Daten, aber nicht die Konzepte liefern. | Damals fing es an schwierig zu werden. In puncto Quantenphysik hat die Philosophie auch ganz schön versagt . Und erfunden wurde das Wort Raumzeit von Einstein.
El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Als (aus Sicht der Biologie bedauerlicher) Nebeneffekt bewirkte das, dass die meisten Wissenschaftstheoretiker aus der Ecke der theoretischen Physik kommen. Es gibt gute Gründe, zu vermuten, dass diese Menschen biologische Phänomene schlecht modellieren können. Mayr schildert sehr anschaulich, wie es ihm nur grenzwertig gelang, Pauli Populationsdenken (das zentrale Element der Evolutionsbiologie, das die wenigsten Nicht-Biologen verstehen) zu vermitteln. 'Individuales Gas' wirkte noch am besten, und macht den zentralen Unterschied der untersuchten Systeme deutlich.
All das sind meiner Meinung nach Fragen, die mehr mit Philosophie als mit Naturwissenschaften zu tun haben, obwohl sie enorm wichtig für die Naturwissenschaften sind. |
Die Naturwissenschaften sind so komplex geworden, dass es Naturwissenschaftler braucht um sie zu kommunizieren. Philosophen müssten erst Naturwissenschaftler werden, damit sie überhaupt verstehen, was da modelliert wird, leider. Allerdings ist das ein Punkt. Philosophen wären also gut für die Öffentlichkeitsarbeit der Naturwissenschaften. Den nicht naturwissenschaftlich ausgebildeten Menschen begreifbar zu machen, was da warum passiert. Also so eine Art Dolmetscher.
_________________ Am Anfang war ......das Experiment.
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#1751825) Verfasst am: 11.05.2012, 21:36 Titel: |
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Tom der Dino hat folgendes geschrieben: |
Zitat: | Gayon, J. (1990) 'Critics and criticism of the modern Synthesis. The viewpoint of a philosopher' Evolutionary Biology 24:1-50 | Nein, kenn ich nicht, werde es mir aber anschauen. |
Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | Zitat: | Gould, S.J.; Lewontin, R.C. (1979) 'The spandrels of San Marco and the Panglossian paradigma: a critique of the adaptationist programme' Proc. R. Soc. Lond. B, Biol. Sci. 205:581-598
| Eigentlich ist die Fehlerbetrachtung und die Diskussion um alternative Interpretationen von experimentellen Ergebnissen Aufgabe der Wissenschaft. Trotzdem Danke für den Literaturhinweis, ich werd mal reinschauen. |
Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | Zitat: | Collins, H.; Pinch, T. (1999) 'Der Golem der Forschung. Wie unsere Wissenschaft die Natur erfindet' Berlin, Berlin |
Ich werd auch da mal reinschauen, klingt interessant. |
okay, mach das mal. Dann können wir über etwas Konkretes diskutieren. In Deinen Postings finde ich eine dartige Fülle von Haken und Ösen, dass ich gar nicht weiß, wo ich ansetzen soll.
_________________ Ein seliges und unvergängliches Wesen (die Gottheit) trägt weder selbst Mühsal, noch belädt es ein anderes Wesen damit. Darum kennt es weder Zorn noch Wohlwollen. Dergleichen gibt es nur bei einem schwachen Wesen. (Epikur)
Der Christengott ist immens schwach!
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Myron Pansomatist
Anmeldungsdatum: 01.07.2007 Beiträge: 3625
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(#1751836) Verfasst am: 11.05.2012, 22:01 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | Myron hat folgendes geschrieben: | 1. Ontik 2. Epistemik 3. Logik 4. Ethik 5. Ästhetik | Aber speziell an Dich die Frage: In welchem der 5 genannten Felder kann die Philosophie überprüfbare Antworten geben? Meinst Du auch, daß das in keinem dieser Gebiete geht? |
In der formalen Logik gibt es Beweise, aber in den anderen philosophischen Disziplinen gibt es keine objektiven Beweis- oder Entscheidungsverfahren wie in der Mathematik und den Naturwissenschaften (Beobachtung&Experiment), was aber intersubjektiven Konsens trotz des faktisch herrschenden Theorienpluralismus nicht ausschließt.
Es geht vor allem um die grundsätzliche Frage, ob die (reine) Vernunft, die rationale Intuition eine zuverlässige und vertrauenswürdige Erkenntnisquelle ist (zuverlässig/vertrauenswürdig ≠ unfehlbar!). Skeptiker führen den unleugbar vorhandenen "clash of intuitions" als Gegenargument an.
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1751837) Verfasst am: 11.05.2012, 22:05 Titel: |
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@Myron, kannst Du kurz den tieferen Grund nennen, warum es in der Philosophie keine objektiven Kriterien bzw. intersubjektive Überprügbarkeit gibt? (von der Logik einmal abgesehen)? Welchen Bezug hat sie zur Natur, zur Welt?
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#1751840) Verfasst am: 11.05.2012, 22:18 Titel: |
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Vielleicht noch zwei Links aus 'aktuellen Anlass' (Krauss hatte sich despektierlich über Philosophie geäußert) und bekam dann von Pigliucci (wobei der selene Fall eintrat, dass ihm Coyne mehr oder weniger zustimmte) die Leviten gelesen. Krauss hat auch einen Rückzieher gemacht.
_________________ Ein seliges und unvergängliches Wesen (die Gottheit) trägt weder selbst Mühsal, noch belädt es ein anderes Wesen damit. Darum kennt es weder Zorn noch Wohlwollen. Dergleichen gibt es nur bei einem schwachen Wesen. (Epikur)
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#1751841) Verfasst am: 11.05.2012, 22:22 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | @Myron, kannst Du kurz den tieferen Grund nennen, warum es in der Philosophie keine objektiven Kriterien bzw. intersubjektive Überprügbarkeit gibt? (von der Logik einmal abgesehen)? Welchen Bezug hat sie zur Natur, zur Welt? |
vielleicht ist ein Postscript aus dem Pigliucci-Artikel hilfreich (Hervorhebung von mir):
Zitat: | Postscript: As people have pointed out, Krauss has issued an apology of sorts, apparently forced by Dan Dennett. He still seems not to have learned much though. He confuses theology with philosophy (in part), keeps hammering at a single reviewer who apparently really annoyed him (in the New York Times), and more importantly just doesn't get the idea that philosophy of science is NOT in the business of answering scientific questions (we've got, ahem, science for that!). It aims, instead, at understanding how science works. Really, is that so difficult to understand, Prof. Krauss? |
_________________ Ein seliges und unvergängliches Wesen (die Gottheit) trägt weder selbst Mühsal, noch belädt es ein anderes Wesen damit. Darum kennt es weder Zorn noch Wohlwollen. Dergleichen gibt es nur bei einem schwachen Wesen. (Epikur)
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smallie resistent!?
Anmeldungsdatum: 02.04.2010 Beiträge: 3726
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(#1751847) Verfasst am: 11.05.2012, 22:54 Titel: |
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El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | Beim Menschen kann man sowas in der Art auch beobachten zum Beispiel beim Ball fangen, oder beim Fußball, oder beim sich durch eine volle Fußgängerzone bewegen. Da setzt sich auch niemand hin und rechnet erstmal aus.
LRkS: Der Hund macht irgendwie eine Grenzwertbestimmung. Diese Grenzwertbestimmung machen wir zwar auf dem Zettel mit DGLs, aber wenn wir schreiben der Hund löst DGLs meinen wir nur, dass er eine Grenzwertbestimmung macht, solange wir nicht wissen wie er diese genau macht. |
Warum schreibst Du das dann nicht gleich so? Durch Formulierungen wie 'der Hund löst Differentialgleichungen' (weiter oben im Thread, ich müsste jetzt schauen, wer da genau wie formuliert hat) setzt Du Dein menschliches Modell absolut und überträgst dessen Begrifflichkeit auf einen Bereich, der vollkommen anders funktioniert. Das macht keinen Sinn und das meinte ich mit Kategorienfehler. |
Warum man das nicht gleich so schreibt? Weil es trivial ist. Niemand hier hat ernsthaft geglaubt, der Hund würde eine DGL mit Papier, Bleistift und einer Formelsammlung lösen.
Um deinen Kategorienfehler weiterzuspinnen: wenn jemand mit Runge/Kutta eine DGL numerisch löst, hat er sie in deinem Sinne gar nicht gelöst. Das kann man so sehen, wäre aber eine eher ungewöhnliche Sprachregelung.
Mit solchen Sprachregelungen lenkt man nur von der erstaunlichen Tatsache der Pfadfindung beim Hund ab. Da liegt das interessante Problem - nicht aber in der Frage, ob der Hund eine DGL "löst". Um Semantik zu streiten, nee, bäh, langweilig.
El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Meiner Meinung nach erfüllen Philosophen durchaus wichtige Aufgaben, auch im Bereich der Naturwissenschaften. Denk daran, dass die moderne Wissenschaftstheorie entstand, als um 1900 die Ergebnisse der Physik Begriffe wie 'Raum' und 'Zeit' problematisch machten. Es gab Zeiten, das konnten Ergebnisse nur interpretiert werden, wenn man ein bislang anderkanntes 'Naturgesetz' infrage stellte. Das sind dann durchaus philosophische Fragen, zu deren Beantwortung die Naturwissenschaften zwar die Daten, aber nicht die Konzepte liefern. |
Welcher Philosoph hat etwas zur Frage und zu den Konzepten beigetragen? Mir fällt gerade keiner ein.
Es waren doch Poincare und Einstein, die die Konzepte geliefert haben. Ausgesprochene Philosophen waren beide nicht - auch wenn sie gelegentlich im philosophischen gewildert haben.
El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Als (aus Sicht der Biologie bedauerlicher) Nebeneffekt bewirkte das, dass die meisten Wissenschaftstheoretiker aus der Ecke der theoretischen Physik kommen. Es gibt gute Gründe, zu vermuten, dass diese Menschen biologische Phänomene schlecht modellieren können. Mayr schildert sehr anschaulich, wie es ihm nur grenzwertig gelang, Pauli Populationsdenken (das zentrale Element der Evolutionsbiologie, das die wenigsten Nicht-Biologen verstehen) zu vermitteln. 'Individuales Gas' wirkte noch am besten, und macht den zentralen Unterschied der untersuchten Systeme deutlich. |
Das ist deine Sicht der Dinge.
Du unterschlägst dabei Leute wie R. A. Fisher. Fisher war nicht nur ein Pionier der Statistik, er hat auch einiges für die Evolutionsbiologie getan. Zum Beispiel hat er 1937 die Ausbreitung von Genen in einer Population mittels einer Reaktions-Diffusions-Gleichung beschreiben. Siehe: The wave of advance of advantageous genes.
Vielleicht hätte Mayr nur die Arbeiten von Fisher erwähnen müssen, und Pauli hätte verstanden.
Mayr hat es zeitlebens nicht verdaut, daß Algebra plötzlich eine Rolle spielt in der Evolutionsbiologie.
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pera auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 01.07.2009 Beiträge: 4256
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(#1751848) Verfasst am: 11.05.2012, 22:57 Titel: |
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El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Vielleicht noch zwei Links aus 'aktuellen Anlass' (Krauss hatte sich despektierlich über Philosophie geäußert) und bekam dann von Pigliucci (wobei der selene Fall eintrat, dass ihm Coyne mehr oder weniger zustimmte) die Leviten gelesen. Krauss hat auch einen Rückzieher gemacht. |
Und den Rückzieher gleich wieder relativiert: Zitat: |
"To those who wish to impose their definition of reality abstractly, independent of emerging empirical knowledge and the changing questions that go with it, and call that either philosophy or theology, I would say this: Please go on talking to each other, and let the rest of us get on with the goal of learning more about nature." |
Dass die Philosophen auch immer gleich so beleidigt sind. Alle Disziplinen müssen aushalten danach gefragt zu werden was sie eigentlich so tun. Und damit klarkommen wenn ihre Tätigkeit hin und wieder von manchen für baren Unfug gesehen wird.
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Kival Profeminist Ghost
Anmeldungsdatum: 14.11.2006 Beiträge: 24071
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(#1751849) Verfasst am: 11.05.2012, 23:02 Titel: |
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El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | @Myron, kannst Du kurz den tieferen Grund nennen, warum es in der Philosophie keine objektiven Kriterien bzw. intersubjektive Überprügbarkeit gibt? (von der Logik einmal abgesehen)? Welchen Bezug hat sie zur Natur, zur Welt? |
vielleicht ist ein Postscript aus dem Pigliucci-Artikel hilfreich (Hervorhebung von mir):
Zitat: | Postscript: As people have pointed out, Krauss has issued an apology of sorts, apparently forced by Dan Dennett. He still seems not to have learned much though. He confuses theology with philosophy (in part), keeps hammering at a single reviewer who apparently really annoyed him (in the New York Times), and more importantly just doesn't get the idea that philosophy of science is NOT in the business of answering scientific questions (we've got, ahem, science for that!). It aims, instead, at understanding how science works. Really, is that so difficult to understand, Prof. Krauss? | |
Das ist m.E. ne ziemliche schwache Argumentation. Die Frage, WIE Wissenschaft funktioniert (!), ist natürllich empirisch beantwortbar und letztlich wieder eine wissenschaftliche Frage. Wo die Wissenschaft an die Grenzen stößt ist eher bei der Rechtfertigung (!) wissenschaftlicher Standards nicht bei deren Erforschung.
_________________ "A basic literacy in statistics will one day be as necessary for efficient citizenship as the ability to read and write." (angeblich H. G. Wells)
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smallie resistent!?
Anmeldungsdatum: 02.04.2010 Beiträge: 3726
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(#1751858) Verfasst am: 11.05.2012, 23:40 Titel: |
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El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Zitat: | Postscript: Krauss [...] just doesn't get the idea that philosophy of science is NOT in the business of answering scientific questions (we've got, ahem, science for that!). It aims, instead, at understanding how science works. Really, is that so difficult to understand, Prof. Krauss? | |
Wie funktioniert Wissenschaft?
Durch Versuch und Irrtum.
Alle Wissenschaftstheorie ist nur eine in auf Buchlänge aufgeblasene Verbrämung dieser simplen Tatsache. Ist das so schwer zu verstehen, liebes Postscript?
Wozu taugt eine Wissenschaftstheorie, wenn sie Wissenschaftlern keine bessere Heuristik anbieten kann, als die bereits genutzten Methoden?
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