Freigeisterhaus Foren-Übersicht
 FAQFAQ   SuchenSuchen   MitgliederlisteMitgliederliste   NutzungsbedingungenNutzungsbedingungen   BenutzergruppenBenutzergruppen   LinksLinks   RegistrierenRegistrieren 
 ProfilProfil   Einloggen, um private Nachrichten zu lesenEinloggen, um private Nachrichten zu lesen   LoginLogin 

Thomas Nagels Buch "Geist und Kosmos"
Gehe zu Seite Zurück  1, 2, 3 ... 9, 10, 11 ... 15, 16, 17  Weiter
 
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen   Drucker freundliche Ansicht    Freigeisterhaus Foren-Übersicht -> Weltanschauungen und Religionen
Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  

Was haltet Ihr von Nagels Buch?
Ich habe es gelesen, das Buch ist grottenschlecht
10%
 10%  [ 2 ]
Ich habe es gelesen und fand das Buch anregend aber mit Schwächen
10%
 10%  [ 2 ]
Ich habe es gelesen und fand das Buch gut
0%
 0%  [ 0 ]
Ich habe es nicht gelesen und werde es aufgrund der wirren Argumentation auch nicht tun
40%
 40%  [ 8 ]
Ich möchte es lesen, muss mich wohl aber dazu zwingen
5%
 5%  [ 1 ]
Ich möchte es lesen und freue mich schon sehr darauf
0%
 0%  [ 0 ]
Nagel und das Thema seines Buch interessieren mich nicht die Bohne
35%
 35%  [ 7 ]
Stimmen insgesamt : 20

Autor Nachricht
Tarvoc
would prefer not to.



Anmeldungsdatum: 01.03.2004
Beiträge: 44649

Beitrag(#1903457) Verfasst am: 18.02.2014, 17:10    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Natürlich funktioniert dieses "sich selbst empirisch aus dem Sumpf ziehen" nur, weil es anscheinend hinreichend regelmäßig zugeht in der Welt. Das ist aber keine ontologische Setzung, sondern ein kontingenter Umstand.

Ontologische Setzung? Hier war bisher von ontologischen Voraussetzungen die Rede.

step hat folgendes geschrieben:
Wenn wir also in den Wissenschaften etwas über (salopp ausgedrückt) "die Welt" sagen, dann sagen wir nichts über das Sein des Seins, sondern über Tricks, um gute Voraussagen zu machen.

Nur ergibt der Begriff der Voraussage noch nicht mal Sinn, wenn diese angeblich nichts über die Welt sagt. Zu dem, was dabei sonst noch vorausgesetzt ist, hat zelig ja schon ein paar Sätze gesagt.
_________________
"Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
step
registriert



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22782
Wohnort: Germering

Beitrag(#1903481) Verfasst am: 18.02.2014, 19:26    Titel: Antworten mit Zitat

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Natürlich funktioniert dieses "sich selbst empirisch aus dem Sumpf ziehen" nur, weil es anscheinend hinreichend regelmäßig zugeht in der Welt. Das ist aber keine ontologische Setzung, sondern ein kontingenter Umstand.
Ontologische Setzung? Hier war bisher von ontologischen Voraussetzungen die Rede.

Habe ich anders verstanden. Bitte mal genau spezifizieren.

Meine Einordnung:

- ontologische Setzung als Voraussetzung einer wiss. Theorie: das wäre, wenn jemand, um erfolgreich Wissenschaft betreiben zu können, zuerst Annahmen über das "wahre Sein" machen müßte. Dies ist mE nicht der Fall.

- ontologische Voraussetzung: keine Ahnung, was das sein soll. Vielleicht etwas, das der Fall sein muß, damit Wissenschaft funktioniert, so wie die von mir genannte Regelmäßigkeit? Falls das gemeint ist, wäre das auch wiederum als empirische Findung klassifizierbar.
_________________
Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
step
registriert



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22782
Wohnort: Germering

Beitrag(#1903483) Verfasst am: 18.02.2014, 19:33    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wenn wir also in den Wissenschaften etwas über (salopp ausgedrückt) "die Welt" sagen, dann sagen wir nichts über das Sein des Seins, sondern über Tricks, um gute Voraussagen zu machen.
Vielleicht unterscheiden sich da einfach letztlich die Interessen.

Na klar, es gibt durchaus Wissenschaftler, die auch philosophische oder gar theologische Interessen haben. Wenn da jedesmal das Glöckchen bimmeln würde, könnte man z.B. Pastor Lesch akustisch gar nicht mehr verstehen (um mal einen Physiker als Beispiel zu nehmen).

zelig hat folgendes geschrieben:
Die einen möchten gute Voraussagen machen können, die anderen möchten wissen, was die Welt im Innern zusammenhält, ...

Auch letzteres kann man noch unmetaphysisch betreiben.

zelig hat folgendes geschrieben:
... und fangen an darüber nachzudenken, inwiefern eine Voraussage Zeitlichkeit und den Abgleich unterschiedlicher mentaler Zustände voraussetzt. Und dann: Wie der Erfolg oder Misserfolg einer Voraussage vom Kontext der Theorie abhängig ist, in der sie getätigt wurde.

Kein Problem, auch das kann man wissenschaftlich untersuchen, ohne ontologische Voraussetzungen machen zu müssen. Sprengt dan evtl. die Grenzen der Physik, man benötigt Kognitionswissenschaften, evtl. auch Soziologie usw.
_________________
Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Marcellinus
Outsider



Anmeldungsdatum: 27.05.2009
Beiträge: 7429

Beitrag(#1903502) Verfasst am: 18.02.2014, 21:43    Titel: Antworten mit Zitat

El Schwalmo hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
El Schwalmo hat folgendes geschrieben:

dann stelle ich dir eine einfache ontologische Frage: Was verstehst du unter 'etwas ist'?

Wer solch eine Frage stellt, lebt in einer Welt, die nicht meine ist.

dann musst du aber "Ich versuche mir ein sachgerechtes Bild von dieser Welt zu machen" in "Ich versuche mir ein sachgerechtes Bild von meiner Welt zu machen" umformulieren.

Wenn du das nicht machst, erhebst du implizit einen Geltungsanspruch, den du nicht einlösen kannst.


Der Ausgangspunkt ist hier offenbar das Stichwort "Ontologie", die Vorstellung, man könne sich nur dann sachgerechte Aussagen über diese Welt machen, wenn man eine philosophische Grundlage habe, auf der diese Aussagen beruhen, meistens noch dekoriert mit der Vorstellung, jeder habe eine, ob eingestanden oder nicht.

Diese Vorstellung wiederum ergibt sich aus der Suche danach, was wir sicher wissen können, eine Art archimedischen Punkt des Geistes. Exemplarisch können dafür René Descartes, David Hume, Immanuel Kant und Karl Popper stehen. Descartes, der die einzige Gewißheit im Zweifel am eigenen Denken fand. Hume, der feststellte, die Gewohnheit der Menschen, aus beobachteten Ursache-Folgen-Beziehungen auf eine allgemeine Kausalität zu schließen, sei nicht aus den Erfahrungen der Menschen zu rechtfertigen. Kant, der diese Gewohnheit der Menschen zu einem a priori der menschlichen Vernunft erklärte. Popper schließlich, der jede Form induktiver Beweise ablehnte, und nur zwischen falsifizierten und noch nicht falsifizierten Theorien unterschied, womit jeder Beweis auf rational nicht begründbaren Voraussetzungen beruht, eben jener ominösen Ontologie. "Philosophie in der Tradition Descartes ist vor allem eine Philosophie des Zweifels."[1]

Dieser Zweifel beherrscht die Philosophie der letzten mehr als 300 Jahre. Wie geht das zusammen mit der Tatsache, daß die Menschen genau in der gleichen Zeit einen sich stetig beschleunigenden Prozeß des Zuwachses an realistischem Wissen durchmachen? Nicht nur können die Menschen die Bahnen von Himmelskörpern berechnen, sondern im Falle des Mondes auch auf ihm landen und spazieren gehen. Ihr medizinisches Wissen erlaubt ihnen nicht nur, Krankheiten zu erklären, sondern wie zB im Falle der Pocken fast zum Verschwinden zu bringen. Sie verstehen nicht nur die Prinzipien der biologischen Evolution, sondern können sogar in die Entwicklung von Pflanzen und Tieren planmäßig eingreifen, mit allerdings oftmals ungeplanten Folgen. Das alles wäre ohne einen hohen Realitätsbezug dieses Wissens nicht möglich. Woher also die fortgesetzten, ja sogar zunehmenden Zweifel an der Möglichkeit realistischen Wissens überhaupt?

Vielleicht liegt es einfach an der falschen Fragestellung? Hume, Kant wie Popper haben sich in der Tradition Descartes die Frage gestellt, wie "der" einzelne Mensch zu seinen Erkenntniskategorien und zu seinem Wissen, seinen Erkenntnissen kommt. Nur ist das Subjekt der Erkenntnis eben nicht "der" einzelne Mensch, sondern die Gesellschaften der Menschen. Es beginnt damit, daß wir nur denken können, wofür wir auch Worte, Begriffe und Symbole haben, und wir darauf angewiesen sind, sie von älteren Menschen zu erlernen, die diese Sprache schon sprechen, und ihrerseits als Kinder erworben haben. Wenn wir als Kind das Symbol "Wolf" erlernen, dann lernen wir nicht nur, diese Laute zu formen, sondern damit eben auch eine Bedeutung zu verbinden, und ein bestimmtes Gefühl, eine Einstellung, im Guten wie im Bösen und ein Maß an Engagement oder Distanzierung.

Aus all den Symbolen, aus denen unsere jeweilige Sprache besteht, und ihrer inhaltlichen und gefühlsmäßigen Bedeutung bildet sich unser Habitus, unsere Einstellung zu dieser Welt. Unsere Sprache, unser Denken und damit unsere gedanklichen Vorstellungen, von denen unser Wissen ein Teil ist, beruhen auf den sprachlichen Symbolen, die die Menschheit als Ganzes im Laufe ihrer Entwicklung hervorgebracht und verändert hat. Das, was Kant als transzendentale Voraussetzung, das a priori unserer Erkenntnis nannte, die Suche nach unpersönlichen Ursache-Wirkungsbeziehungen in der außermenschlichen Natur, war ein Habitus seiner Zeit, den die Menschen sich mühsam genug hatten erarbeiten müssen, und der ihm nur deshalb so selbstverständlich erschien, weil er damit aufgewachsen war.

Die Suche nach einer unbezeifelbaren Grundlage, einem a-priori unseres Denkens, ist einfach eine Fehltheorie, ein Irrtum, eine Illusion, weil es einen solchen absoluten Anfang nicht gibt, sowenig wie es einen absoluten Anfang der physikalischen Welt oder des biologischen Lebens gibt. Diese Suche nach einer absoluten Grundlage unserer Gedanken ist eigentlich nur die säkularisierte Version der Suche nach einem "Schöpfer", eine Weltanschauung, die zwar kein Problem löst und keine Frage beantwortet, aber offenbar ein gutes und sicheres Gefühl vermittelt, bzw. ein Gefühl der Unsicherheit, wenn es fehlt. Jedes a-priori ist ein a-posteriori der Menschen, die vor uns kamen.

Dabei gibt es ja nicht eine Ontologie, eine Lehre vom „Sein“ und den „Grundstrukturen der Wirklichkeit“, sondern viele, viele. Diese Weltanschauung trägt offenbar überhaupt nicht zum Gewinn größerer Gewißheit bei, sondern die Vertreter unterschiedlicher „Ontologien“ stehen sich nur verständigungslos gegenüber. Und es gibt da noch ein Problem. Die Behauptung, es gäbe eine, universelle „Grundstruktur der Wirklichkeit“, ist eben nur das, eine Behauptung, die aber nicht mehr überprüfbar ist, wenn man sie zum weltanschaulichen a-priori erklärt.

Wenn es dagegen stimmt, daß es gar kein a-priori unserer gedanklichen Bemühungen gibt, daß jede Generation ihre Symbole, mit denen sie sich in dieser Welt orientiert, von denen erlernt, die vor ihnen waren, sie mit diesen Symbolen in dieser Welt Erfahrungen machen, den Symbolgehalt an diese Erfahrungen anpassen, oder neue Symbole entwerfen, dann entsteht auf einmal ein ganz anderes, realistischeres Bild von der Entwicklung menschlicher Orientierungswerkzeuge.

Dann sieht man auf einmal nicht mehr den einzelnen „Denker“, der beziehungslos gewissermaßen bei Null beginnt, und auf der Grundlage einer Ontologie, einer Weltanschauung von den Grundstrukturen dieser Welt, die man nur glauben kann oder nicht, wie vorher die Religionen, sein Bild von dieser Welt aufbaut, Hypothesen entwickelt, die er dann an der Wirklichkeit zu testen versucht, ohne dabei zu einem Ergebnis zu kommen, denn (Popper läßt grüßen) Theorien könne man nicht beweisen, sie höchstens falsifizieren.

Stattdessen sieht man Menschen im Plural, die miteinander in bestimmten Erklärungsmodellen aufwachsen, auf dieser Grundlage Beobachtungen machen, die ihr Modelle entweder bestätigen, korrigieren oder widerlegen. Man sieht auf einmal leicht, daß keine Tatsachenbeobachtung ohne Theorie möglich ist, denn wir wachsen mit unseren Theorien auf, und andererseits Theorien, die weder auf Tatsachenbeobachtungen beruhen noch empirisch überprüfbar sich, sinnlos.

Die Physiker und Astronomen zu Beginn der Neuzeit hielten die Induktion, die Ableitung von Theorien aus Tatsachenbeobachtungen, für die einzig wissenschaftliche Methode. Der Grund lag darin, daß nach Jahrhunderten der Priesterherrschaft, in der sich die Vorstellungen von der Wirklichkeit nach den Glaubenswahrheiten zu richten hatten, eine Fülle von unerklärlichen Tatsachenbeobachtungen angesammelt hatte, die nach Modellen von Zusammenhängen geradezu schrieen. Das ging so lange, bis mit Einstein und seiner Relativitätstheorie hypothetische Modellbildung in Mode kam, und so erfolgreich war, daß nun die Physik zur „stilbildenden“ Wissenschaft wurde, und die Deduktion zur einig anerkannten Methode. Auch hier haben wir es wieder mit einem Habitus zu tun, den die Betroffenen nur nicht bemerken, weil er ihnen so selbstverständlich ist.

Da die Gründe für diese Entwicklung offenbar niemandem der Wissenschaftsphilosophen bewußt ist, seitdem im 20. Jh. jede historische Betrachtung in den Sozialwissenschaften unter dem Verdacht des Marxismus geriet, in der Philosophie sowieso in der Tradition der Religion der Versuch, das Wandelbare auf Unwandelbares zurückzuführen im Mittelpunkt steht, präsentiert uns die Philosophie ein vereinfachtes Modell der Physik als das Rollenmodell der Wissenschaften schlechthin.

Dahinter steckt die Idee von der einen „Grundstruktur der Wirklichkeit“, zu der dann auch die eine wissenschaftliche Methode passen müsse. Schon beim Vergleich zwischen Physik und Biologie sieht man leicht, daß das eine Fantasievorstellung ist. Weder läßt sich die Biologie auf die Physik reduzieren, wie übrigens auch nicht sie Soziologie auf die Biologie, noch kann man in beiden Bereichen mit den gleichen Methoden arbeiten. Das liegt übrigens nicht (oder nicht nur) an den unterschiedlichen wissenschaftlichen Traditionen in diesen beiden akademischen Fächern, sondern an den Unterschieden in den Eigenschaften der Objekte, die Gegenstand dieser Forschungsbereiche sind.[2]

Erschwert wird das Ganze dadurch, daß man es, auch hier wieder in der Tradition der Religion, für die Aufgabe der Wissenschaften ansieht, nach der „Wahrheit“ zu suchen. Aber was ist "Wahrheit"? Die Unterscheidung in "wahre" und "falsche" Aussagen macht in Bereichen wie der reinen Mathematik oder formalen Logik Sinn, wo es ausschließlich um die innere Ordnung menschengemachter Symbole geht, und man sich nicht mit der Frage zu plagen hat, in wie weit sich diese Symbole zur Darstellung empirischer Zusammenhänge eignen. Ob eine Aussage „wahr“ ist oder „falsch“, kann man schlicht „ausrechnen“.

In den theoretisch-empirischen Wissenschaften dagegen geht es um Zusammenhänge, die sich zwar mehr oder weniger gut durch menschengemachte Symbole darstellen lassen, von ihrer Natur her aber keine Symbole sind. Im Unterschied zu dem eingleisigen, rein theoretischen Verfahren von Logik und Mathematik habe wir es hier mit einem zweigleisigen zu tun: der wechselseitigen Abhängigkeit zwischen der Erarbeitung von neuen Theorien auf der Basis vorhandener Tatsachenbeobachtungen und der Suche nach neuen Tatsachenbeobachtungen, um diese Theorien zu bestätigen oder zu widerlegen, kurz: um das Wechselspiel zwischen Theorie und Empirie. Zwar erweisen sich dabei gelegentlich Aussagen einfach als falsch, aber sobald Forschungsergebnisse wie ihre Gegenstandsbereiche nur etwas anspruchsvoller werden, ist ein so simples Gegensatzpaar wie "wahr/falsch“ ein vollkommen untaugliches Symbol zur Beurteilung eines möglichen Erkenntnisfortschritts.

Was Forschungsergebnisse gerade in entwickelteren Wissenschaften von einander unterscheidet, ist nicht die Einteilung in "wahr/falsch", sondern in ein besser oder schlechter, ein mehr oder weniger an Sachgerechtigkeit, an Wirklichkeitskongruenz. Komparative Begriffe symbolisieren besser als polare die Stellung jedes Forschungsergebnisses als eines Schrittes in einer langen Reihe von Erkenntnis- und Wissensfortschritten. Jeder dieser Wissensfortschritte bedeutet, daß wir Teile dessen, was wir an Vorstellungen mit unseren Symbolen verbinden, heißen sie "Sonne", "Pocken" oder "Klimawandel", als Fantasievorstellung entlarfen, und durch realistischere Vorstellungen ersetzen.

Während unsere Symbole oft über lange Zeit gleich bleiben, verändert sich das, was wir damit an Vorstellungen verbinden, wird realistischer oder wird von Fantasievorstellungen wieder überwuchert (auch das kommt vor). Während wir eine recht realistische Vorstellung davon zu haben scheinen, was es mit der Sonne oder den Pocken auf sich hat, scheinen die Modelle, die wir uns vom Klimawandel machen (oder dem, was wir so nennen), noch reichlich Mythen und Fantasievorstellungen zu enthalten. Noch mehr gilt das für unsere Vorstellungen von den Gesellschaften, die wir miteinander bilden, und von denen der Wissenschaftsbetrieb ein Teil ist. Der Realitätsgehalt unserer Symbole in den verschiedenen Gebieten unseres Wissens ist also durchaus unterschiedlich.

Wir können also festhalten: Es gibt in der wissenschaftlichen Tätigkeit der Menschen, wie übrigens in den gedanklichen Bemühungen der Menschen überhaupt, keinen absoluten Anfang, damit auch kein a-priori, weder in weltanschaulicher noch in biologischer Art, um das gleich hinzuzufügen, falls jemand zum Soziobiologismus neigt. Eine notwendig aller Erkenntnisbemühung zugrundeliegende Ontologie ist also eine Fantasievorstellung.

Es gibt auch keine einheitliche, dieser Welt zugrundeliegende Struktur. Vielmehr haben sich die Strukturen dieser Welt mit ihr zusammen entwickelt, und entwickeln sich vermutlich noch. Das ist der Grund, warum wir auf den verschiedenen Ebenen dieser Welt Modelle entwickeln können (früher nannte man sie „Gesetzmäßigkeiten“), die die dort beobachtbaren Zusammenhänge hinreichend gut beschreiben. Nur deshalb kann man übrigens überhaupt auf verschiedenen Ebenen Wissenschaft betreiben. Darwin brauchte für seinen Evolutionstheorie keine Elementarphysik.

Deshalb gibt es auch nicht „die“ für alle verbindliche, wissenschaftliche Methode. Die Methoden der Wissenschaften entwickeln sich vielmehr in wechselseitiger Abhängigkeit von den Gegenständen, und daher ist es auch absurde Überheblichkeit von Philosophen, zu behaupten, die Philosophie könne den Wissenschaften "die eine" Methode vorschreiben.

Einen Geltungsanspruch erhebe ich mit alledem übrigens nicht. Ich versuche nur ein realistischeres Modell von der Entwicklung menschlichen Wissens darzustellen, als es religiöse oder philosophische Erkenntnismodelle sind.


______________

[1] Norbert Elias 2001: Symboltheorie, S. 16
[2] Siehe dazu Robert B. Laughlin 2005: Abschied von der Weltformel
_________________
"Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."

Friedrich Nietzsche
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Myron
Pansomatist



Anmeldungsdatum: 01.07.2007
Beiträge: 3625

Beitrag(#1903507) Verfasst am: 18.02.2014, 23:09    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Der Ausgangspunkt ist hier offenbar das Stichwort "Ontologie", die Vorstellung, man könne sich nur dann sachgerechte Aussagen über diese Welt machen, wenn man eine philosophische Grundlage habe, auf der diese Aussagen beruhen, meistens noch dekoriert mit der Vorstellung, jeder habe eine, ob eingestanden oder nicht.


Die Ontologie ist eine Sache und ihr epistemologischer Status eine andere.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Dabei gibt es ja nicht eine Ontologie, eine Lehre vom „Sein“ und den „Grundstrukturen der Wirklichkeit“, sondern viele, viele. Diese Weltanschauung trägt offenbar überhaupt nicht zum Gewinn größerer Gewißheit bei, sondern die Vertreter unterschiedlicher „Ontologien“ stehen sich nur verständigungslos gegenüber. Und es gibt da noch ein Problem. Die Behauptung, es gäbe eine, universelle „Grundstruktur der Wirklichkeit“, ist eben nur das, eine Behauptung, die aber nicht mehr überprüfbar ist, wenn man sie zum weltanschaulichen a-priori erklärt.


Es besteht ein Unterschied zwischen der Ontologie als Fachgebiet und den einzelnen ontologischen Theorien. Dass in der Ontologie, wie in der Philosophie allgemein, de facto ein Theorienpluralismus herrscht, ist unbestreitbar. Theorienpluralismus ist aber nicht dasselbe wie Realitätenpluralismus. Die Gegenstandsbereiche der Einzelwissenschaften sind thematisch, aber nicht inkommensurabel ontisch verschieden. Ein regionalontologisches Kategorienschema muss auf einem universal- oder fundamentalontologischen Kategorienschema aufbauen.

Es gibt eine allumfassende Wirklichkeit und keine unterschiedlichen Wirklichkeitsebenen oder -schichten, sondern lediglich verschiedene Verbegrifflichungs-, Beschreibungs- und Erklärungsebenen der einen Wirklichkeit. Die Physik und die Soziologie erforschen nicht getrennte Welten, sondern Teile derselben Welt in unterschiedlicher Hinsicht.

"Wie ist eine Theorie möglich, die über uns Menschen mit unseren ganz besonderen Merkmalen – uns geistbegabte, vernünftige, Sprechakte vollziehende, mit freiem Willen ausgestattete soziale und politische Menschenwesen – Aufschluß gibt, wo wir doch in einer Welt leben, die, wie wir wissen, unabhängig von uns aus physikalischen Teilchen ohne Geist und ohne Sinn besteht? Wie können wir unsere soziale und mentale Existenz in einem Reich nackter physikalischer Tatsachen erklären? Bei der Beantwortung dieser Frage müssen wir es vermeiden, verschiedene ontologische Bereiche zu unterstellen – einen Bereich des Psychischen und einen Bereich des Physischen oder, schlimmer noch, einen Bereich des Psychischen, einen des Physischen und einen des Sozialen. Hier ist nur von einer Wirklichkeit die Rede, und wir müssen erklären, wie sich die menschliche Realität in diese eine Realität einfügt."

(Searle, John R. Wie wir die soziale Welt machen. Übers. v. Joachim Schulte. Berlin: Suhrkamp, 2012. S. 10)

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Dahinter steckt die Idee von der einen „Grundstruktur der Wirklichkeit“, zu der dann auch die eine wissenschaftliche Methode passen müsse. Schon beim Vergleich zwischen Physik und Biologie sieht man leicht, daß das eine Fantasievorstellung ist. Weder läßt sich die Biologie auf die Physik reduzieren, wie übrigens auch nicht sie Soziologie auf die Biologie, noch kann man in beiden Bereichen mit den gleichen Methoden arbeiten. Das liegt übrigens nicht (oder nicht nur) an den unterschiedlichen wissenschaftlichen Traditionen in diesen beiden akademischen Fächern, sondern an den Unterschieden in den Eigenschaften der Objekte, die Gegenstand dieser Forschungsbereiche sind.


Aus theoretischer Irreduzibilität folgt mitnichten ontologische Irreduzibilität auf eine grundlegende und allumfassende Seinsebene mit einer bestimmten Natur und Struktur.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Es gibt auch keine einheitliche, dieser Welt zugrundeliegende Struktur. Vielmehr haben sich die Strukturen dieser Welt mit ihr zusammen entwickelt, und entwickeln sich vermutlich noch. Das ist der Grund, warum wir auf den verschiedenen Ebenen dieser Welt Modelle entwickeln können (früher nannte man sie „Gesetzmäßigkeiten“), die die dort beobachtbaren Zusammenhänge hinreichend gut beschreiben. Nur deshalb kann man übrigens überhaupt auf verschiedenen Ebenen Wissenschaft betreiben. Darwin brauchte für seinen Evolutionstheorie keine Elementarphysik.


Das bedeutet aber keineswegs, dass biologische Organismen keine Systeme sind, die sich alternativ elementarphysikalisch beschreiben lassen (zumindest idealerweise).
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Tarvoc
would prefer not to.



Anmeldungsdatum: 01.03.2004
Beiträge: 44649

Beitrag(#1903520) Verfasst am: 19.02.2014, 01:45    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Die Suche nach einer unbezeifelbaren Grundlage, einem a-priori unseres Denkens, ist einfach eine Fehltheorie, ein Irrtum, eine Illusion, weil es einen solchen absoluten Anfang nicht gibt [...]

Vor allem ist diese Art der Fragestellung Transzendentalphilosophie (à la Kant) und nicht Ontologie. Kant meinte sogar, mit dieser Art der Fragestellung Ontologie gerade vermeiden zu können.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Dabei gibt es ja nicht eine Ontologie, eine Lehre vom „Sein“ und den „Grundstrukturen der Wirklichkeit“, sondern viele, viele.

Vereinfacht gesagt gibt es (mindestens) so viele "Ontologien", wie es Theorien gibt. Ontologie kann man aber auch nennen: Die philosophische Tätigkeit (nicht Theorie), die Theorien genau unter diesem Aspekt betrachtet. Myron hat dazu ja auch schon was geschrieben.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Diese Weltanschauung trägt offenbar überhaupt nicht zum Gewinn größerer Gewißheit bei, sondern die Vertreter unterschiedlicher „Ontologien“ stehen sich nur verständigungslos gegenüber.

Du zäumst das Pferd von der falschen Seite auf. Die Frage, von der El Schwalmo und ich ausgehen, ist nicht, ob die Theorie der Welt entspricht oder wie die Welt wirklich aussieht, sondern die, welche Welt von einer bestimmten Theorie überhaupt gezeichnet wird. Es geht also nicht um eine Vergrößerung unseres empirischen Wissens über die Welt, sondern um eine Vergrößerung der Transparenz unserer eigenen Theorien und deren Voraussetzungen. Anders gesagt: Ontologisches Fragen behandelt unsere Theorien und Modelle selbst wieder als Gegenstände und Zusammenstellungen von Gegenständen. El Schwalmos Metapher "World's Furniture" (Möblierung der Welt) passt dafür recht gut.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Es gibt auch keine einheitliche, dieser Welt zugrundeliegende Struktur. Vielmehr haben sich die Strukturen dieser Welt mit ihr zusammen entwickelt, und entwickeln sich vermutlich noch.

Ja. Mit dieser materialistischen Einsicht hört aber das ontologische Fragen in seiner zeitgemäßen Form nicht auf, sondern es fängt damit überhaupt erst an.
(Zu dem Thema kann ich übrigens den Sammelband The Speculative Turn, hrsg. von Graham Harman u.A., empfehlen.)
_________________
"Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
El Schwalmo
Naturalistischer Ignostiker



Anmeldungsdatum: 06.11.2003
Beiträge: 9073

Beitrag(#1903526) Verfasst am: 19.02.2014, 08:25    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Der Ausgangspunkt ist hier offenbar das Stichwort "Ontologie", die Vorstellung, man könne sich nur dann sachgerechte Aussagen über diese Welt machen, wenn man eine philosophische Grundlage habe, auf der diese Aussagen beruhen, meistens noch dekoriert mit der Vorstellung, jeder habe eine, ob eingestanden oder nicht.

Da Myron und Tarvoc schon ausführlich geantwortet haben, von meiner Seite nur noch, dass ich mich auf

Zitat:
Mahner, M.; Bunge, M. (2000) 'Philosophische Grundlagen der Biologie' Berlin; mult., Springer

beziehe. Die dort vertretene Ontologie steht unter Fallibilitätsvorbehalt, daher trifft das, was du geschrieben hast, nicht zu. Die Autoren räumen sogar ein, dass sie den Begriff 'Ontologie' eigentlich lieber vermeiden möchten, weil sie dann falsch verstanden werden, und zwar so, wie du das oben getan hast.
_________________
Ein seliges und unvergängliches Wesen (die Gottheit) trägt weder selbst Mühsal, noch belädt es ein anderes Wesen damit. Darum kennt es weder Zorn noch Wohlwollen. Dergleichen gibt es nur bei einem schwachen Wesen. (Epikur)

Der Christengott ist immens schwach!
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
step
registriert



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22782
Wohnort: Germering

Beitrag(#1903645) Verfasst am: 19.02.2014, 17:09    Titel: Antworten mit Zitat

El Schwalmo hat folgendes geschrieben:
Die dort vertretene Ontologie steht unter Fallibilitätsvorbehalt

Wie kann man denn eine Ontologie falsifizieren? Und was unterscheidet sie dann noch von einer empirisch überprüfbaren Theorie / Hypothese?
_________________
Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
El Schwalmo
Naturalistischer Ignostiker



Anmeldungsdatum: 06.11.2003
Beiträge: 9073

Beitrag(#1903727) Verfasst am: 19.02.2014, 23:17    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Wie kann man denn eine Ontologie falsifizieren?

gar nicht.

Man kann nur zeigen, dass sie wesentliche Elemente nicht oder falsch enthält. Angenommen, ich gehe in meiner Ontologie von einem absoluten Raum aus, und es gibt überzeugende Argumente für die Relativitätstheorie, muss ich Teile meiner Ontologie ändern.

step hat folgendes geschrieben:
Und was unterscheidet sie dann noch von einer empirisch überprüfbaren Theorie / Hypothese?

Sie ist umfassender, weil sie die Inhalte vieler, vieler Theorien beinhaltet und zu einem Weltbild verknüpft.
_________________
Ein seliges und unvergängliches Wesen (die Gottheit) trägt weder selbst Mühsal, noch belädt es ein anderes Wesen damit. Darum kennt es weder Zorn noch Wohlwollen. Dergleichen gibt es nur bei einem schwachen Wesen. (Epikur)

Der Christengott ist immens schwach!
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
step
registriert



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22782
Wohnort: Germering

Beitrag(#1903736) Verfasst am: 19.02.2014, 23:55    Titel: Antworten mit Zitat

El Schwalmo hat folgendes geschrieben:
Angenommen, ich gehe in meiner Ontologie von einem absoluten Raum aus, und es gibt überzeugende Argumente für die Relativitätstheorie, muss ich Teile meiner Ontologie ändern.

Ich kann aber auch einfach sagen: "Mein Modell vom Raum war falsch".

El Schwalmo hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Und was unterscheidet sie dann noch von einer empirisch überprüfbaren Theorie / Hypothese?
Sie ist umfassender, weil sie die Inhalte vieler, vieler Theorien beinhaltet und zu einem Weltbild verknüpft.

Hmm ... da bleibt aber irgendwie nicht viel, wenn man "die Inhalte vieler, vieler Theorien" wegnimmt. Die machen ja das Weltbild im wesentlichen aus. Oder?
_________________
Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
El Schwalmo
Naturalistischer Ignostiker



Anmeldungsdatum: 06.11.2003
Beiträge: 9073

Beitrag(#1903739) Verfasst am: 20.02.2014, 00:22    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
El Schwalmo hat folgendes geschrieben:
Angenommen, ich gehe in meiner Ontologie von einem absoluten Raum aus, und es gibt überzeugende Argumente für die Relativitätstheorie, muss ich Teile meiner Ontologie ändern.

Ich kann aber auch einfach sagen: "Mein Modell vom Raum war falsch".

natürlich. Aber ich muss mich dann fragen, ob und wie das meine Ontologie tangiert.

step hat folgendes geschrieben:
El Schwalmo hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Und was unterscheidet sie dann noch von einer empirisch überprüfbaren Theorie / Hypothese?
Sie ist umfassender, weil sie die Inhalte vieler, vieler Theorien beinhaltet und zu einem Weltbild verknüpft.

Hmm ... da bleibt aber irgendwie nicht viel, wenn man "die Inhalte vieler, vieler Theorien" wegnimmt. Die machen ja das Weltbild im wesentlichen aus. Oder?

Natürlich. Aber die Aufgabe der Ontologie ist es, aus den Ergebnissen der Theorien ein konsistentes Weltbild zu machen. Das kann keine einzelwissenschaftlich Theorie leisten. Dazu kommt noch der Rahmen, in dem die Theorien überhaupt formuliert werden können.

Wie gesagt, man kann problemlos Wissenschaft betreiben, ohne sich über Ontologie Gedanken zu machen (als Muttersprachler kommt man ja auch problemlos durchs Leben, ohne über die Grammatik dieser Sprache informiert zu sein), wenn man aber höhere Ansprüche stellt, oder aber mit Gegnern der eigenen Ontologie diskutieren muss. Beispielsweise mit solchen, die eine Ontologie mit Gott vertreten.
_________________
Ein seliges und unvergängliches Wesen (die Gottheit) trägt weder selbst Mühsal, noch belädt es ein anderes Wesen damit. Darum kennt es weder Zorn noch Wohlwollen. Dergleichen gibt es nur bei einem schwachen Wesen. (Epikur)

Der Christengott ist immens schwach!
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Tarvoc
would prefer not to.



Anmeldungsdatum: 01.03.2004
Beiträge: 44649

Beitrag(#1903745) Verfasst am: 20.02.2014, 01:44    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Wie kann man denn eine Ontologie falsifizieren?

Indem man entweder
(1) die Theorie(n) empirisch widerlegt, deren Ontologie sie ist oder zu sein beansprucht (= empirische Widerlegung) oder
(2) zeigt, dass die Ontologie ihren eigenen Kriterien nicht genügt, z.B. dass sie die Theorie(n), deren Ontologie sie zu sein beansprucht, nicht adäquat darstellt (= immanente Kritik) oder
(3) zeigt, dass die Ontologie logisch inkonsistent ist (= logische Widerlegung).

Wiederum kein Anspruch auf Vollständigkeit, aber das sind wohl die drei wichtigsten Varianten. Mindestens (2) und (3) können darüber hinaus ineinander übergehen (etwa beim Aufzeigen performativer Widersprüche).
_________________
"Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Tarvoc
would prefer not to.



Anmeldungsdatum: 01.03.2004
Beiträge: 44649

Beitrag(#1903747) Verfasst am: 20.02.2014, 03:08    Titel: Antworten mit Zitat

Ich lehn' mich vielleicht nochmal etwas weiter aus dem Fenster, mal sehen, wohin das führt. Was ich im Folgenden schreibe, ist nicht als feste Position zu verstehen, sondern als Reihe von Arbeitshypothesen, die ich in den Raum werfe, um sie zu diskutieren, auch unter dem Gesichtspunkt, dass ich momentan dabei bin, meine eigene Erkenntnistheorie zu formulieren und meinen eigenen Stil im philosophischen Denken zu finden und gerne etwas Feedback dazu hätte. Hier insbesondere auch von El Schwalmo.
Diese Überlegungen sind mir erst in den letzten Tagen gekommen, also handelt es sich hier wirklich nur um Rohfassungen. Auch wäre es super, wenn jemand wüsste, ob schonmal irgendwer sowas ähnliches gedacht oder geschrieben hat.

Es ist die Rede von wissenschaftlichen Theorien als Werkzeuge, Arbeitsmittel, Tricks, etc., und es steht ja außer Frage, dass wissenschaftliche Theorien auch diese Funktion haben und daraus auch in entscheidendem Maße ihre Legitimation ebenso wie ihre Falsifikationskriterien ziehen. Es gibt aber einen Unterschied zwischen einer Theorie und z.B. einem Hammer. Eine wissenschaftliche Theorie muss ich, um sie anwenden zu können, erstmal verstehen, und zwar auch inhaltlich. Die Ontologie der Theorie wäre nun, so meine Arbeitshypothese, der Inhalt der Theorie unter den Gesichtspunkt seiner Verstehbarkeit betrachtet. Ontologie kann man aber auch diejenige philosophische bzw. theoretische Tätigkeit nennen, die eine Theorie unter genau diesem Gesichtspunkt behandelt.

Im Grunde genommen kann man hier drei Aspekte einer Theorie voneinander unterscheiden.

Die Logik einer Theorie ist die Form dieser Theorie unter dem Gesichtspunkt ihrer Verstehbarkeit betrachtet.
(Logik kann man aber auch diejenige philosophische Tätigkeit nennen, die sich mit diesem Gesichtspunkt befasst.)

Die Ontologie einer Theorie ist der Inhalt dieser Theorie unter dem Gesichtspunkt seiner Verstehbarkeit betrachtet.
(Ontologie kann man aber auch diejenige philosophische Tätigkeit nennen, die sich mit diesem Gesichtspunkt befasst.)

Die Dialektik einer Theorie ist die Anwendung dieser Theorie unter dem Gesichtspunkt ihrer Verstehbarkeit betrachtet.
(Dialektik kann man aber auch diejenige philosophische Tätigkeit nennen, die sich mit diesem Gesichtspunkt befasst.)

Logik, Ontologie und Dialektik verhielten sich damit zu einer Theorie ähnlich wie Syntax, Semantik und Pragmatik zur Sprache. Dass sich Form, Inhalt und Anwendung womöglich nicht immer scharf voneinander trennen lassen, will ich dabei nicht ausschließen.
_________________
"Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
step
registriert



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22782
Wohnort: Germering

Beitrag(#1903829) Verfasst am: 20.02.2014, 16:22    Titel: Antworten mit Zitat

El Schwalmo hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
El Schwalmo hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Und was unterscheidet sie dann noch von einer empirisch überprüfbaren Theorie / Hypothese?
Sie ist umfassender, weil sie die Inhalte vieler, vieler Theorien beinhaltet und zu einem Weltbild verknüpft.
Hmm ... da bleibt aber irgendwie nicht viel, wenn man "die Inhalte vieler, vieler Theorien" wegnimmt. Die machen ja das Weltbild im wesentlichen aus. Oder?
Natürlich. Aber die Aufgabe der Ontologie ist es, aus den Ergebnissen der Theorien ein konsistentes Weltbild zu machen. Das kann keine einzelwissenschaftlich Theorie leisten.

Scheinbar versteht jeder unter Ontologie etwas anderes. Was Du hier beschreibst, ist eher eine nachgelagerte Gesamtdeutung (wenn man das denn haben möchte) als eine Voraussetzung.

El Schwalmo hat folgendes geschrieben:
... wenn man aber höhere Ansprüche stellt, oder aber mit Gegnern der eigenen Ontologie diskutieren muss. Beispielsweise mit solchen, die eine Ontologie mit Gott vertreten.

Mooooment. Wenn jemand eine Ontologie mit Gott vertritt, kann ich entweder ihre interne Konsistenz anzweifeln/widerlegen (dazu muß ich selbst keine Ontologie vertreten), oder ich kann - falls aus seiner Ontologie überprüfbare Hypothesen folegen, letztere empirisch widerlegen - auch dazu benötige ich keine eigene ontologische Position. Falls beides nicht der Fall ist, kann ich seine Ontologie nicht widerlegen, sie hat aber dann auch keinerlei Konfliktpunkte mit meinem Theoriengebäude.
_________________
Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
step
registriert



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22782
Wohnort: Germering

Beitrag(#1903833) Verfasst am: 20.02.2014, 16:37    Titel: Antworten mit Zitat

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Es ist die Rede von wissenschaftlichen Theorien als Werkzeuge, Arbeitsmittel, Tricks, etc., und es steht ja außer Frage, dass wissenschaftliche Theorien auch diese Funktion haben und daraus auch in entscheidendem Maße ihre Legitimation ebenso wie ihre Falsifikationskriterien ziehen.

Ja, Theorien sind zuallererst Modelle, die wissenschaftliche Methode ein wohlerprobtes Werkzeug für die Herstellung und Verbesserung von Modellen.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Es gibt aber einen Unterschied zwischen einer Theorie und z.B. einem Hammer.

Primär nicht, finde ich.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Eine wissenschaftliche Theorie muss ich, um sie anwenden zu können, erstmal verstehen, und zwar auch inhaltlich.

Ja klar, ich muß wissen, was ich da modelliere, also den empirischen Bezug, die Formel allein reicht nicht. Ist aber beim Hammer auch so. Ich muß wissen, wozu man den brauchen kann - auch wenn es beim Hammer vielleicht für einen Affen intuitiver ist als bei der Relativitätstheorie.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Die Ontologie der Theorie wäre nun, so meine Arbeitshypothese, der Inhalt der Theorie unter den Gesichtspunkt seiner Verstehbarkeit betrachtet. Ontologie kann man aber auch diejenige philosophische bzw. theoretische Tätigkeit nennen, die eine Theorie unter genau diesem Gesichtspunkt behandelt.

Weiß nicht, ob ich das richtig verstehe - demnach wäre Ontologie eher so etwas wie "Theorie der Wissenschaftsdidaktik" oder "Theorie der Modellsprachen". Sich damit zu beschäftigen, macht mE durchaus Sinn, ähnlich wie auch Erkenntnistheorie, allerdings wäre das aus meiner Sicht einfach eine andere Wissenschaft.
_________________
Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Tarvoc
would prefer not to.



Anmeldungsdatum: 01.03.2004
Beiträge: 44649

Beitrag(#1903837) Verfasst am: 20.02.2014, 16:56    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Primär nicht, finde ich.

Ich weiss nicht, was "primär" hier heißen soll. Für meine Argumentation reicht es ja erstmal, festzustellen, dass es Unterschiede gibt, und diese herauszuarbeiten - vor allem weil das erstmal der Aufhänger ist. Die Frage, wie grundsätzlich diese Unterschiede sind, kann man auch später noch klären, wenn das dann überhaupt noch interessant ist. Womöglich kann man die Aspekte, die ich hier für Theorien entwickeln will (Form, Inhalt, Anwendung), auch bei Hämmern feststellen, aber soweit sind wir ja noch nicht.

step hat folgendes geschrieben:
Ja klar, ich muß wissen, was ich da modelliere, also den empirischen Bezug, die Formel allein reicht nicht. Ist aber beim Hammer auch so. Ich muß wissen, wozu man den brauchen kann - auch wenn es beim Hammer vielleicht für einen Affen intuitiver ist als bei der Relativitätstheorie.

Man kann sich aber auch völlig andere, möglicherweise auch ganz absurde Anwendungen für einen Hammer ausdenken. Bei einer Theorie würdest du in einem ähnlichen Fall wahrscheinlich zu Recht sagen, die betreffende Person habe die Theorie nicht richtig verstanden. Anders gesagt: Bei einem Hammer können wir nicht sagen, dass bestimmte Anwendungen falsch sind, nur weil sie für uns ungewohnt erscheinen. Bei einer Theorie hingegen sagen wir solche Dinge durchaus. Denk' zum Beispiel an die Sokal-Affäre. Oder nimm' den Missbrauch wissenschaftlicher Sprache in der Esoterik: An den Kriterien der Esoteriker gemessen "funktioniert" diese Anwendung womöglich auch, nur tut sie irgendwie der Theorie unrecht. Etwas provokant formuliert könnte man sagen, dass wissenschaftliche Theorien hinsichtlich ihrer eigenen Anwendung auch einen normativen Gehalt haben, und zwar gerade weil sie nicht nur bestimmte vordefinierte Aufgaben erfüllen und Resultate erzielen sollen, sondern auch unser wissenschaftliches Handeln und Forschen und unseren Wissenserwerb methodisch anleiten sollen. (Übrigens fiele das, was wir hier jetzt gerade diskutieren, nach meinen Begriffen bereits unter Dialektik und nicht mehr unter Ontologie. Aber das nur als Randbemerkung.)

step hat folgendes geschrieben:
Weiß nicht, ob ich das richtig verstehe - demnach wäre Ontologie eher so etwas wie "Theorie der Wissenschaftsdidaktik" oder "Theorie der Modellsprachen".

Wenn unter "Modellsprache" die Sprache gemeint ist, in der das jeweilige Modell gefasst ist, geht das in die richtige Richtung, wobei auch natürliche Sprachen eine Ontologie haben. Es geht allerdings nicht nur im formalen Sinne um Sprache, sondern vor allem um das, was die Sprache inhaltlich mitteilt - andernfalls betreiben wir "nur" Logik und noch nicht Ontologie. Mit Didaktik hat das in der Tat was zu tun, auch wenn es hier noch nicht primär um das Vermitteln von bereits Verstandenem geht, sondern um den Prozess des Verstehens selbst und dessen Voraussetzungen. Man macht sozusagen die eigene Theorie und den eigenen Umgang damit selbst wieder zum Gegenstand der eigenen Betrachtung - anders als z.B. die Wissenssoziologie allerdings als Theorie und nicht etwa als Kulturprodukt.
_________________
"Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte


Zuletzt bearbeitet von Tarvoc am 20.02.2014, 17:13, insgesamt einmal bearbeitet
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Murphy
auf eigenen Wunsch deaktiviert



Anmeldungsdatum: 29.04.2011
Beiträge: 5000

Beitrag(#1903840) Verfasst am: 20.02.2014, 17:12    Titel: Antworten mit Zitat

Für mich klingt das ein bisschen nach causa formalis, causa materialis und causa finalis (es sind vier, aber die vierte kann ich mir nicht merken) aus Aristoteles Metaphysik. Keine Ahnung, ich versteh wahrscheinlich weder Aristoteles noch Tarvoc, aber es klingt für mich beides ähnlich und Du wolltest es wissen.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Tarvoc
would prefer not to.



Anmeldungsdatum: 01.03.2004
Beiträge: 44649

Beitrag(#1903841) Verfasst am: 20.02.2014, 17:17    Titel: Antworten mit Zitat

Murphy hat folgendes geschrieben:
Für mich klingt das ein bisschen nach causa formalis, causa materialis und causa finalis (es sind vier, aber die vierte kann ich mir nicht merken) aus Aristoteles Metaphysik. Keine Ahnung, ich versteh wahrscheinlich weder Aristoteles noch Tarvoc, aber es klingt für mich beides ähnlich und Du wolltest es wissen.

Interessant. Daran hatte ich nun gar nicht gedacht. Der vierte Typus bei Aristoteles wäre die causa efficiens. Die Betrachtung einer Theorie unter dem Gesichtspunkt ihrer Wirkungen und deren Verstehbarkeit würde (wenn man diese Parallele zu Aristoteles denn ziehen will, ich habe da noch gewisse Bedenken, aber wir können das ja mal durchspielen) m.E. auch in den Bereich dessen gehören, was ich hier Dialektik genannt habe, da sie bei Werkzeugen generell auch in den Bereich der Anwendung fällt.
_________________
"Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Skeptiker
"I can't breathe!"



Anmeldungsdatum: 14.01.2005
Beiträge: 16834
Wohnort: 129 Goosebumpsville

Beitrag(#1903875) Verfasst am: 20.02.2014, 20:54    Titel: Antworten mit Zitat

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Die Dialektik einer Theorie ist die Anwendung dieser Theorie unter dem Gesichtspunkt ihrer Verstehbarkeit betrachtet.
(Dialektik kann man aber auch diejenige philosophische Tätigkeit nennen, die sich mit diesem Gesichtspunkt befasst.)


Theorie hat auch eine Anwendung und das nennst du Dialektik? Ich würde das eher Anwendung nennen und die Dialektik hier weg lassen, da in diesem Falle nur ein Etikett.

Prinzipiell ist auf der einen Seite die Theorie und auf der anderen die Praxis. Beides ist von Natur aus zunächst einmal getrennt.

Weder kann man einer Theorie eine bestimmte Praxis zuordnen, noch braucht eine Praxis immer eine Theorie, selbst dann, wenn es sich um eine erfolgreiche oder gute Praxis handelt.

Theorie hat ja auch gar nicht die Aufgabe, zu Praxis - etwa in Form von Technik - zu werden. Außerdem soll es eine gute, d.h. eine in ihrem Definitionsbereich wahre und gut begründete Theorie ermöglichen, den entsprechenden Bereich der Welt besser verstehbar zu machen.

Die Forderung, dass die Theorie selbst verstehbar sein müsse, hängt untrennbar damit zusammen, ob sie in der Lage ist, Welt (besser) verstehbar zu machen, indem sie nämlich einen Teil der Welt erklären kann.

Und der Rest ist ja nur die Form ihrer (sprachlichen) Darstellung.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Logik, Ontologie und Dialektik verhielten sich damit zu einer Theorie ähnlich wie Syntax, Semantik und Pragmatik zur Sprache. Dass sich Form, Inhalt und Anwendung womöglich nicht immer scharf voneinander trennen lassen, will ich dabei nicht ausschließen.


Theorie als Ausdruck von Wissenschaft hat mit Pragmatik zunächst mal gar nichts zu tun, es sei denn, du willst implizit auf einen Pragmatismus hinaus.

Wissenschaft ist beispielsweise nicht die Technik, welche aus ihre folgen kann. Aber dennoch halte ich es für richtig, nicht Übergänge zwischen Theorie und ihrer Anwendung zu betrachten, sondern eher die grundsätzlichen Grenzen zwischen diesen beiden Bereichen auch entsprechend scharf zu ziehen.
_________________
°
K.I.Z - Frieden

Das ist Postmoderne Ideologie! Psychologe und Philosoph analysieren RASSISMUS-Video

Informationsstelle Militarisierung e.V.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
Marcellinus
Outsider



Anmeldungsdatum: 27.05.2009
Beiträge: 7429

Beitrag(#1903878) Verfasst am: 20.02.2014, 21:13    Titel: Antworten mit Zitat

Erst einmal vielen Dank für eure Antworten und die Mühe, die ihr euch damit gegeben habt. Ich habe bei Lesen nur gemerkt, daß wir von ganz unterschiedlichen Dingen reden.

Myron hat folgendes geschrieben:
Aus theoretischer Irreduzibilität folgt mitnichten ontologische Irreduzibilität auf eine grundlegende und allumfassende Seinsebene mit einer bestimmten Natur und Struktur.


Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Vereinfacht gesagt gibt es (mindestens) so viele "Ontologien", wie es Theorien gibt. Ontologie kann man aber auch nennen: Die philosophische Tätigkeit (nicht Theorie), die Theorien genau unter diesem Aspekt betrachtet. […] Die Frage, von der El Schwalmo und ich ausgehen, ist nicht, ob die Theorie der Welt entspricht oder wie die Welt wirklich aussieht, sondern die, welche Welt von einer bestimmten Theorie überhaupt gezeichnet wird. Es geht also nicht um eine Vergrößerung unseres empirischen Wissens über die Welt, sondern um eine Vergrößerung der Transparenz unserer eigenen Theorien und deren Voraussetzungen. Anders gesagt: Ontologisches Fragen behandelt unsere Theorien und Modelle selbst wieder als Gegenstände und Zusammenstellungen von Gegenständen. El Schwalmos Metapher "World's Furniture" (Möblierung der Welt) passt dafür recht gut.


El Schwalmo hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wie kann man denn eine Ontologie falsifizieren?

gar nicht.

Man kann nur zeigen, dass sie wesentliche Elemente nicht oder falsch enthält. Angenommen, ich gehe in meiner Ontologie von einem absoluten Raum aus, und es gibt überzeugende Argumente für die Relativitätstheorie, muss ich Teile meiner Ontologie ändern.

step hat folgendes geschrieben:
Und was unterscheidet sie dann noch von einer empirisch überprüfbaren Theorie / Hypothese?

Sie ist umfassender, weil sie die Inhalte vieler, vieler Theorien beinhaltet und zu einem Weltbild verknüpft.


Euch geht es nicht darum, herauszufinden, wie beobachtbare Ereignisse mit einander in Zusammenhang stehen, und dies in Modellen, meistens Theorien genannt, möglich sachgerecht zu beschreiben, also das, was die Aufgabe der Wissenschaften ist. Es geht es vielmehr um die Konstruktion eines möglichst umfassenden Weltbilds, einer Weltanschauung...

El Schwalmo hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Hmm ... da bleibt aber irgendwie nicht viel, wenn man "die Inhalte vieler, vieler Theorien" wegnimmt. Die machen ja das Weltbild im wesentlichen aus. Oder?

Natürlich. Aber die Aufgabe der Ontologie ist es, aus den Ergebnissen der Theorien ein konsistentes Weltbild zu machen. Das kann keine einzelwissenschaftlich Theorie leisten. Dazu kommt noch der Rahmen, in dem die Theorien überhaupt formuliert werden können.

Wie gesagt, man kann problemlos Wissenschaft betreiben, ohne sich über Ontologie Gedanken zu machen (als Muttersprachler kommt man ja auch problemlos durchs Leben, ohne über die Grammatik dieser Sprache informiert zu sein), wenn man aber höhere Ansprüche stellt, oder aber mit Gegnern der eigenen Ontologie diskutieren muss. Beispielsweise mit solchen, die eine Ontologie mit Gott vertreten.

… um so mit anderen Weltanschauungen, namentlich Religionen zu konkurrieren, die ebenfalls eine „Ontologie“, eine „umfassende Lehre vom Sein“, eine allgemeine Metaphysik vertreten.

Nun weiß ich nicht, wann ihr das letzte Mal ernsthaft mit Religiösen diskutiert habt, und wann ihr dabei jemanden mit eurer Ontologie überzeugt habt. Überzeugt wohl noch keinen einzigen. Dafür habt ihr sicherlich in ihm (wenn denn solche Diskussion überhaupt stattgefunden haben sollte) das sowieso vorhandene Gefühl bekräftigt, Wissenschaft sei auch nur eine andere Form vom Glauben.

Nur das ist nicht mein Problem, und deshalb kann ich mich aus dieser Debatte auch guten Gewissens verabschieden. Wissenschaftliche Modelle, Theorien sind für mich nicht Bausteine einer Weltanschauung. Sie haben einfach nur den praktischen Zweck, sich in dieser Welt zu orientieren. Ich bestreite auch ganz ernsthaft die Fähigkeit der Philosophie, eurer, aber auch jeder anderer, eine Art „Metawissenschaft“ darzustellen. Jeder Anspruch dieser Art ist in der Praxis gescheitert.

Theologische wie philosophische Diskussionen machen nur innerhalb von Weltanschauungen wie Religionen oder Philosophien einen Sinn, nur für die, die ihnen anhängen, und ich gehöre weder zu den einen noch zu den anderen.
_________________
"Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."

Friedrich Nietzsche


Zuletzt bearbeitet von Marcellinus am 20.02.2014, 21:53, insgesamt einmal bearbeitet
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
step
registriert



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22782
Wohnort: Germering

Beitrag(#1903881) Verfasst am: 20.02.2014, 21:27    Titel: Antworten mit Zitat

@Marcellinus, bitte korrigiere das Zitat, es war ElSchwalmo, der meinte, man müsse religiösen Ontologen eine eigene Ontologie entgegenzuetzen haben.
_________________
Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
step
registriert



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22782
Wohnort: Germering

Beitrag(#1903883) Verfasst am: 20.02.2014, 21:39    Titel: Antworten mit Zitat

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Ja klar, ich muß wissen, was ich da modelliere, also den empirischen Bezug, die Formel allein reicht nicht. Ist aber beim Hammer auch so. Ich muß wissen, wozu man den brauchen kann - auch wenn es beim Hammer vielleicht für einen Affen intuitiver ist als bei der Relativitätstheorie.
Man kann sich aber auch völlig andere, möglicherweise auch ganz absurde Anwendungen für einen Hammer ausdenken. Bei einer Theorie würdest du in einem ähnlichen Fall wahrscheinlich zu Recht sagen, die betreffende Person habe die Theorie nicht richtig verstanden. ...

Das sehe ich anders: Wenn zur Theorie das Modell und sein Bezug gehören (was man so sehen kann), dann gehört zum Hammer auch sein Bezug (Zweck). Benutzt man das hammerförmige Ding zum Lochbohren, dann ist es ein (hammerförmiger) Bohrer. Benutzt man die Pendelgleichung für elektromagnetische Wellen, ist es eine (oszillatorförmige) Theorie des Elektromagnetismus.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Etwas provokant formuliert könnte man sagen, dass wissenschaftliche Theorien hinsichtlich ihrer eigenen Anwendung auch einen normativen Gehalt haben, und zwar gerade weil sie nicht nur bestimmte vordefinierte Aufgaben erfüllen und Resultate erzielen sollen, sondern auch unser wissenschaftliches Handeln und Forschen und unseren Wissenserwerb methodisch anleiten sollen.

Ich würde die normativen Aspekte im Wissenschaftsbetrieb nicht abstreiten, es sind allerdings keine Aspekte der Theorien, sondern der Methode, des Umgangs mit ihnen. Ähnlich etwa wie das Benutzerhandbuch zu einem Hammer.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
... Man macht sozusagen die eigene Theorie und den eigenen Umgang damit selbst wieder zum Gegenstand der eigenen Betrachtung ...

Da stimme ich zu, allerdings ist dieses Vorgehen keine Voraussetzung für die Theorie, sondern aus meiner Sicht eine sekundäre, Meta-Tätigkeit.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
... - anders als z.B. die Wissenssoziologie allerdings als Theorie und nicht etwa als Kulturprodukt.

Wie meinst Du das, bringt die Wissenssoziologie keine (Meta-)Theorien hervor? Und sind Theorien keine Kulturprodukte?
_________________
Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Marcellinus
Outsider



Anmeldungsdatum: 27.05.2009
Beiträge: 7429

Beitrag(#1903885) Verfasst am: 20.02.2014, 21:54    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
@Marcellinus, bitte korrigiere das Zitat, es war ElSchwalmo, der meinte, man müsse religiösen Ontologen eine eigene Ontologie entgegenzuetzen haben.

Sorry, ist es so besser? zwinkern
_________________
"Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."

Friedrich Nietzsche
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
step
registriert



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22782
Wohnort: Germering

Beitrag(#1903887) Verfasst am: 20.02.2014, 22:21    Titel: Antworten mit Zitat

danke.
_________________
Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Tarvoc
would prefer not to.



Anmeldungsdatum: 01.03.2004
Beiträge: 44649

Beitrag(#1903913) Verfasst am: 21.02.2014, 01:07    Titel: Antworten mit Zitat

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Theorie hat auch eine Anwendung und das nennst du Dialektik?

Ich habe nicht die Anwendung Dialektik genannt, sondern die Betrachtung der Anwendung unter einem bestimmten Gesichtspunkt.

Im Übrigen geht's in meinem Beitrag um Dialektik im Bereich Wissenschaftstheorie, nicht um Dialektik überhaupt. Deine Ausführungen zu Theorie und Praxis erübrigen sich damit.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Die Forderung, dass die Theorie selbst verstehbar sein müsse, hängt untrennbar damit zusammen, ob sie in der Lage ist, Welt (besser) verstehbar zu machen, indem sie nämlich einen Teil der Welt erklären kann.

Und? Hat ja keiner was Gegenteiliges behauptet. Ich mache hier eine begriffliche Unterscheidung verschiedener Aspekte.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Theorie als Ausdruck von Wissenschaft hat mit Pragmatik zunächst mal gar nichts zu tun.

Das habe ich auch nicht behauptet. Du liest ungründlich.

Hier ging es um eine Analogie zur Linguistik. Die Aufzählung von Syntax, Semantik und Pragmatik sollte das eigentlich deutlich machen. Was das Wort Pragmatik in der Linguistik bedeutet, weisst du?
_________________
"Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte


Zuletzt bearbeitet von Tarvoc am 21.02.2014, 10:27, insgesamt 3-mal bearbeitet
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Tarvoc
would prefer not to.



Anmeldungsdatum: 01.03.2004
Beiträge: 44649

Beitrag(#1903914) Verfasst am: 21.02.2014, 01:11    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Das sehe ich anders: Wenn zur Theorie das Modell und sein Bezug gehören (was man so sehen kann), dann gehört zum Hammer auch sein Bezug (Zweck).

Dann ist ein Hammer also nur ein Hammer, wenn man jetzt gerade mit ihm hämmert? Der Satz "Hol mir mal den Hammer aus dem Keller" wäre dann zum Beispiel semantisch falsch.

Ach ja: Wenn man das so auffasst, ergibt etwa Sokals Vorwurf, gewisse Leute würden Konzepte aus den Naturwissenschaften missbräuchlich verwenden, übrigens noch weniger Sinn.

step hat folgendes geschrieben:
Ich würde die normativen Aspekte im Wissenschaftsbetrieb nicht abstreiten, es sind allerdings keine Aspekte der Theorien, sondern der Methode, des Umgangs mit ihnen.

Mein Punkt ist gerade, dass das eine dem anderen nicht einfach äußerlich ist. Dass sich die Methoden und die Theorien parallel zueinander bzw. in Abhängigkeit voneinander entwickeln, zeigt das ja.

Auch die Ableitung einer Voraussage aus einer Theorie ist ja schon im weitesten Sinne eine Anwendung dieser Theorie.

step hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Man macht sozusagen die eigene Theorie und den eigenen Umgang damit selbst wieder zum Gegenstand der eigenen Betrachtung.

Da stimme ich zu, allerdings ist dieses Vorgehen keine Voraussetzung für die Theorie, sondern aus meiner Sicht eine sekundäre, Meta-Tätigkeit.

Nein, die Voraussetzungen sind das (bzw. ein Teil dessen), was man bei dieser Tätigkeit in den Blick nimmt.

step hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
... - anders als z.B. die Wissenssoziologie allerdings als Theorie und nicht etwa als Kulturprodukt.

Wie meinst Du das, bringt die Wissenssoziologie keine (Meta-)Theorien hervor? Und sind Theorien keine Kulturprodukte?

Nein, es ging darum, wie die Wissenssoziologie Theorien betrachtet, nämlich als Kulturprodukte. Die Philosophie betrachtet sie anders, nämlich als Theorien.
_________________
"Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte


Zuletzt bearbeitet von Tarvoc am 21.02.2014, 02:13, insgesamt 6-mal bearbeitet
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Tarvoc
would prefer not to.



Anmeldungsdatum: 01.03.2004
Beiträge: 44649

Beitrag(#1903915) Verfasst am: 21.02.2014, 01:13    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Euch geht es nicht darum, herauszufinden, wie beobachtbare Ereignisse mit einander in Zusammenhang stehen, und dies in Modellen, meistens Theorien genannt, möglich sachgerecht zu beschreiben, also das, was die Aufgabe der Wissenschaften ist.

Nein, mir geht es um die Betrachtung der Theorien selbst, als solche. Du betrachtest ein Ereignis und machst dir eine Theorie dazu. Ich betrachte nicht nur das Ereignis, sondern auch die Theorie, die du dir dazu gemacht hast. Und zwar eben als Theorie.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Es geht es vielmehr um die Konstruktion eines möglichst umfassenden Weltbilds, einer Weltanschauung...

Das war El Schwalmo. Mir geht es nicht um eine Weltanschauung in diesem Sinne. Allenfalls im Sinne eines interdisziplinären Projekts. Aber da wäre die Philosophie nur eine Disziplin unter anderen.
_________________
"Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
zelig
Kultürlich



Anmeldungsdatum: 31.03.2004
Beiträge: 25405

Beitrag(#1903938) Verfasst am: 21.02.2014, 11:25    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wenn wir also in den Wissenschaften etwas über (salopp ausgedrückt) "die Welt" sagen, dann sagen wir nichts über das Sein des Seins, sondern über Tricks, um gute Voraussagen zu machen.
Vielleicht unterscheiden sich da einfach letztlich die Interessen.

Na klar, es gibt durchaus Wissenschaftler, die auch philosophische oder gar theologische Interessen haben. Wenn da jedesmal das Glöckchen bimmeln würde, könnte man z.B. Pastor Lesch akustisch gar nicht mehr verstehen (um mal einen Physiker als Beispiel zu nehmen).



step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wenn wir also in den Wissenschaften etwas über (salopp ausgedrückt) "die Welt" sagen, dann sagen wir nichts über das Sein des Seins, sondern über Tricks, um gute Voraussagen zu machen.
Vielleicht unterscheiden sich da einfach letztlich die Interessen.

Na klar, es gibt durchaus Wissenschaftler, die auch philosophische oder gar theologische Interessen haben. Wenn da jedesmal das Glöckchen bimmeln würde, könnte man z.B. Pastor Lesch akustisch gar nicht mehr verstehen (um mal einen Physiker als Beispiel zu nehmen).

zelig hat folgendes geschrieben:
Die einen möchten gute Voraussagen machen können, die anderen möchten wissen, was die Welt im Innern zusammenhält, ...

Auch letzteres kann man noch unmetaphysisch betreiben.

zelig hat folgendes geschrieben:
... und fangen an darüber nachzudenken, inwiefern eine Voraussage Zeitlichkeit und den Abgleich unterschiedlicher mentaler Zustände voraussetzt. Und dann: Wie der Erfolg oder Misserfolg einer Voraussage vom Kontext der Theorie abhängig ist, in der sie getätigt wurde.

Kein Problem, auch das kann man wissenschaftlich untersuchen, ohne ontologische Voraussetzungen machen zu müssen. Sprengt dan evtl. die Grenzen der Physik, man benötigt Kognitionswissenschaften, evtl. auch Soziologie usw.



Ich verstehe zwar nicht, wie Lesch hier ins Spiel kommt. Du magst ihn nicht, aber vielleicht könnte man würdigen, daß er immerhin ein ausgezeichneter Kommunikator naturwissenschaftlicher Fragestellung ist. Ich werde jedoch skeptisch, wenn in einer Entgegnung Philosophie und Theologie in einen Topf geworfen werden (ich nehme Deinen Text nur exemplarisch, mir scheint das hier ein gängiges Verfahren zu sein). Ich glaube nicht, daß man so argumentieren kann, als handelte es sich um einen Konflikt zwischen unterschiedlichen Disziplinen. Ich finde, man sollte auch nicht den Eindruck erwecken, als wäre dem so. Die Auseinandersetzung findet innerhalb der Disziplinen statt. Sowohl in den empirischen Wissenschaften, als auch in den Strukturwissenschaften und/oder in der Philosophie lassen sich reduktionistische und idealistische oder sonstwelche Positionen finden. Den Versuch, den Approach anderer Disziplinen zu einer Problemstellung von vornherein abzuwerten, kann man wohl als soziologisches Problem werten. Als Domination, die, unter anderem Vorzeichen und in anderen Epochen in umgekehrter Richtung lief.

Inhaltlich möchte ich noch schreiben, daß ich nicht im Geringsten sehe, wo der empirisch-reduktionistische Approach ohne ontologische Zusatzannahmen (wie Epiphänomenalismus oder Eliminativismus) auch nur ein Konzept des Geistes erstellen könnten. Oder wie Konzepte wie Occams Razor ohne Überlegungen zur Ontologie Bestand haben könnten. Und wie zum jetzigen Zeitpunkt (und womöglich für immer), eine Position zu den unterschiedlichen viele-Welten Theorien gefunden werden soll. Das sind Wechsel, die nicht eingelöst werden - aber es wird der Eindruck erweckt, als wäre dem so.
Es sei noch gesagt, daß ich damit in keiner Weise die Beutung der empirischen Wissenschaften schmälere. Im Gegenteil glaube ich, daß man für ihre Bedeutung wirbt, wenn man ihre Grenzen aufzeigt.
_________________
Es gibt kein richtiges Leben im falschen.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Marcellinus
Outsider



Anmeldungsdatum: 27.05.2009
Beiträge: 7429

Beitrag(#1903943) Verfasst am: 21.02.2014, 11:32    Titel: Antworten mit Zitat

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Euch geht es nicht darum, herauszufinden, wie beobachtbare Ereignisse mit einander in Zusammenhang stehen, und dies in Modellen, meistens Theorien genannt, möglich sachgerecht zu beschreiben, also das, was die Aufgabe der Wissenschaften ist.

Nein, mir geht es um die Betrachtung der Theorien selbst, als solche. Du betrachtest ein Ereignis und machst dir eine Theorie dazu. Ich betrachte nicht nur das Ereignis, sondern auch die Theorie, die du dir dazu gemacht hast. Und zwar eben als Theorie.

Ich habe den Eindruck, daß wir über ganz verschiedene Dinge reden, und dann auch noch auf ganz verschiedene Weise (was für sich genommen ja nichts Schlimmes ist). Wenn ich dich richtig verstanden habe, ist für dich Philosophie so eine Art Meta-Theorie.

Mich dagegen interessiert die Entwicklung der Gesellschaften, die Menschen miteinander bilden und in diesem Zusammenhang die Entwicklung unseres Wissens, der wechselseitige Prozeß zwischen Theoriebildung und Empirie. Noch einen Schritt weiter, die wechselseitige Abhängigkeit zwischen Soziogenese und Psychogenese, zwischen den Figurationen, die Menschen miteinander bilden, und der Art wie sich ihr individueller Habitus entwickelt.

Menschen entwickeln Symbole, und versuchen, sich mit diesen Symbolen in ihrer Welt zu orientieren. Das Maß, in dem ihnen das gelingt oder auch nicht, das Maß der Sachgerechtigkeit ihrer Symbole und darauf beruhend ihrer Werkzeug, bestimmt, wie sehr sie von ihren täglichen Verrichtungen mit Beschlag belegt werden, oder, im günstigen Fall, wie sehr sie sich von ihren alltäglichen Nöten distanzieren können, um zu einem sachgerechteren Bild von dieser Welt zu kommen.

Diese Balance von Engagement und Distanzierung, die Abhängigkeit von Fremd- und Selbstzwang, diese Entwicklung unserer Gefühle, Wünsche und Vorstellungen, unseres Habitus insgesamt, ist das, was mich interessiert. Um noch etwas konkreter zu machen, was ich meine, hier noch ein Link auf einen kleinen Text über die Entwicklung eines solchen Symbols. Norbert Elias, Über die Natur: http://www.feliz.de/html/elias_natur.htm
_________________
"Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."

Friedrich Nietzsche
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Tarvoc
would prefer not to.



Anmeldungsdatum: 01.03.2004
Beiträge: 44649

Beitrag(#1903965) Verfasst am: 21.02.2014, 13:16    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Mich dagegen interessiert die Entwicklung der Gesellschaften, die Menschen miteinander bilden und in diesem Zusammenhang die Entwicklung unseres Wissens, der wechselseitige Prozeß zwischen Theoriebildung und Empirie. Noch einen Schritt weiter, die wechselseitige Abhängigkeit zwischen Soziogenese und Psychogenese, zwischen den Figurationen, die Menschen miteinander bilden, und der Art wie sich ihr individueller Habitus entwickelt.

Menschen entwickeln Symbole, und versuchen, sich mit diesen Symbolen in ihrer Welt zu orientieren. Das Maß, in dem ihnen das gelingt oder auch nicht, das Maß der Sachgerechtigkeit ihrer Symbole und darauf beruhend ihrer Werkzeug, bestimmt, wie sehr sie von ihren täglichen Verrichtungen mit Beschlag belegt werden, oder, im günstigen Fall, wie sehr sie sich von ihren alltäglichen Nöten distanzieren können, um zu einem sachgerechteren Bild von dieser Welt zu kommen.

Diese Balance von Engagement und Distanzierung, die Abhängigkeit von Fremd- und Selbstzwang, diese Entwicklung unserer Gefühle, Wünsche und Vorstellungen, unseres Habitus insgesamt, ist das, was mich interessiert. Um noch etwas konkreter zu machen, was ich meine, hier noch ein Link auf einen kleinen Text über die Entwicklung eines solchen Symbols. Norbert Elias, Über die Natur: http://www.feliz.de/html/elias_natur.htm

Ich kenne diese Herangehensweise und mich interessiert das natürlich auch. Ich arbeite immerhin zu Marx, der sich u.A. auch genau damit beschäftigt. Nur ist dieser wissenssoziologische Zugang eben nicht die Betrachtung einer Theorie als Theorie, sondern eben als Kulturprodukt innerhalb eines gesellschaftlichen Kontexts. Ich sage ja nicht, dass das unwichtig wäre oder man das nicht machen soll, sondern dass das nicht die einzige mögliche Art ist, die eigenen Theorien zum Thema zu machen. Auch nicht die einzige sinnvolle Art.
_________________
"Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen   Drucker freundliche Ansicht    Freigeisterhaus Foren-Übersicht -> Weltanschauungen und Religionen Alle Zeiten sind GMT + 1 Stunde
Gehe zu Seite Zurück  1, 2, 3 ... 9, 10, 11 ... 15, 16, 17  Weiter
Seite 10 von 17

 
Gehe zu:  
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht mitmachen.



Impressum & Datenschutz


Powered by phpBB © 2001, 2005 phpBB Group