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funkeimdunkeln Bösmensch
Anmeldungsdatum: 12.05.2014 Beiträge: 878
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(#1939013) Verfasst am: 03.08.2014, 18:12 Titel: |
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Hallo Tarvoc,
Tarvoc hat folgendes geschrieben: | funkeimdunkeln hat folgendes geschrieben: | Nimm mal das Beispiel mit dem Sterben. |
Wieso sollte ich? Eine Theorie des Sterbens, die nichts weiter sagt als dass wir alle sterben müssen, finde ich absolut langweilig. Im Übrigen sind die Wahrheitsansprüche einer solchen Theorie auch recht eindeutig und gerade kein Bisschen problematisch. |
Schön, dass wir uns da einig sind. Und natürlich ist diese Theorie erst einmal langweilig. Dafür ist sie solide. Wenn ich die Wahl habe zwischen einer langweiligen Theorie, die mir richtige Dinge erzählt, und einer lustigen Theorie, die mir lauter Unsinn erzählt, dann nehme ich doch lieber die langweilige Theorie.
Natürlich wirft das die Frage auf, wozu wir uns mit der Wahrheit beschäftigen sollen, wenn sie langweilig ist. Wenn wir uns die ganze Zeit nur über Dinge unterhalten würden, die absolut offensichtlich und trivial wären, dann wären Diskussionen auch nicht spannend und ergiebig. Liege ich richtig damit, dass das deine Kritik ist?
Zitat: | funkeimdunkeln hat folgendes geschrieben: | Hier sieht man wiedermal, dass du Komplexität mit Objektivität verwechselst! |
Ganz im Gegenteil. Ich versuche, zu zeigen, dass Komplexität in keine Richtung ein Kriterium für Objektivität sein kann, während du einfach Objektivität mit Einfachheit verwechselst. Nach den Kriterien, die du hier anlegst, ist "drei sind mehr als zwei" objektiver als der Gödelsche Unvollständigkeitssatz, und Alltagsphysik objektiver als die Relativitätstheorie. Sorry, ich weiss nicht, wieso das so sein sollte. Dein Kriterium taugt nicht. Dass ein allgemeines Kriterium der Objektivität für komplexe Theorien genauso taugen muss wie für einfache, sollte sich eigentlich von selbst verstehen. |
Deine Beispiele mit der Relativitätstheorie und den Gödelschen Unvollständigkeitssätzen habe ich so interpretiert, dass du Komplexität in einer Theorie für sehr wichtig erachtest. Nun wird mir klar, dass du das Gegenteil zeigen wolltest. Dann habe ich aus deinem Beitrag das Gegenteil von dem interpretiert, was du mir eigentlich sagen wolltest!
Nun, wenn man akzeptiert, dass man Wahrheit besonders an offensichtlichen, einfachen, banalen Dingen erkennt, dann ist die Frage doch interessant, wie man von ihnen auf komplexe Theorien kommt. Ist es das, was du mir mit deinem letzten Beitrag sagen wolltest? Bitte korrigiere mich, wenn ich dich wieder falsch interpretiert habe.
Wenn dem so ist, dann würde ich da einfach eine Form von Übertragung oder Zusammensetzung vorschlagen. Ein Beispiel ist Transitivität. Wenn aus A => B und B=> C, dann A => C. Glaubst du, dass das möglich ist, oder hast du damit ein Problem?
Zitat: |
funkeimdunkeln hat folgendes geschrieben: | Das war eine Frage. Es kommt auch mal vor, dass ich nicht klugscheiße, sondern meine Dummheit offenbare und dazu eine Verständnisfrage stelle. |
Und ich sagte, dass ich die Frage nicht verstehe. |
Nochmal die Frage:
Zitat: | Ich will mal ein Zitat von einem Psychotherapeuten bringen. Und dann würde ich gerne von dir erfahren, ob es da immer noch um Wahrheitsansprüche geht. |
Oder die Frage anders formuliert: Stimmst du mir zu, dass der Therapeut hier keine Interesse an der Erkenntnis zeigt, sondern ein Interesse an der Strukturierung eines bestimmten Phänomens? Oder bist du der Meinung, dass die Suche nach der Wahrheit und das Interesse an ein bequemes Schubladensystem äquivalent sind?
Ich bin gespannt auf deine Antwort!
Mit freundlichen Grüßen,
Mirko
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44647
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(#1939159) Verfasst am: 04.08.2014, 10:57 Titel: |
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funkeimdunkeln hat folgendes geschrieben: | Natürlich wirft das die Frage auf, wozu wir uns mit der Wahrheit beschäftigen sollen, wenn sie langweilig ist. |
Schon wieder die selbe Übergeneralisierung. Dass es langweilige Theorien (und sogar langweilige wahre Theorien) gibt, bedeutet nicht, dass die Wahrheit langweilig ist.
funkeimdunkeln hat folgendes geschrieben: | Wenn wir uns die ganze Zeit nur über Dinge unterhalten würden, die absolut offensichtlich und trivial wären, dann wären Diskussionen auch nicht spannend und ergiebig. Liege ich richtig damit, dass das deine Kritik ist? |
Meine Kritik ist, dass das Triviale nicht das entscheidendes Paradigma der Wahrheit sein kann. Tautologien zum Beispiel sind sogar logisch notwendig wahr, trotzdem kommt normalerweise niemand auf die Idee, sie als Beispiele für Wahrheit heranzuziehen.
funkeimdunkeln hat folgendes geschrieben: | Nun, wenn man akzeptiert, dass man Wahrheit besonders an offensichtlichen, einfachen, banalen Dingen erkennt, dann ist die Frage doch interessant, wie man von ihnen auf komplexe Theorien kommt. Ist es das, was du mir mit deinem letzten Beitrag sagen wolltest? Bitte korrigiere mich, wenn ich dich wieder falsch interpretiert habe. |
Nein, die Ableitung komplexerer Theorien aus weniger komplexen ist hier eigentlich nicht von Interesse. Dafür reicht es ja im Grunde aus, wenn man sich mit Logik auskennt. Wie gesagt: Hier ging es ja um Kriterien, nach denen Theorien bewertet werden können. Du verlangtest nach einem allgemeinen Kriterium für Objektivität und schlugst allgemeine Verständlichkeit als Kriterium vor, und ich habe darauf hingewiesen, dass das als Kriterium nicht funktioniert, weil ein allgemeines Kriterium der Objektivität für komplexe Theorien genauso gelten müsste wie für einfache. Mein Vorschlag wäre, auf allgemeine Kriterien (mit Ausnahme der logischen Konsistenz und der hinreichenden begrifflichen Explizierung) ganz zu verzichten. Die Theorien bringen schon ihre eigenen Wahrheitsansprüche und damit auch ihre eigenen Gelingensbedingungen mit - was natürlich damit zu tun hat, dass sich Theorien mit ganz unterschiedlichen Gegenständen beschäftigen und mit ganz unterschiedlichen Praktiken verbunden sind.
funkeimdunkeln hat folgendes geschrieben: | Nochmal die Frage:
Zitat: | Ich will mal ein Zitat von einem Psychotherapeuten bringen. Und dann würde ich gerne von dir erfahren, ob es da immer noch um Wahrheitsansprüche geht. |
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Womöglich nicht, aber das Zitat beinhaltet ja auch keine Theorie, sondern eine Auflistung von Ansprüchen, die er als praktisch arbeitender Therapeut an Theorien stellt. Um die Wahrheitsansprüche zu beurteilen, müsste ich (1) die Theorie kennen und (2) herausarbeiten, welche Ansprüche diese Theorie selbst an ihre eigene Anwendung stellt (wobei sich zweiteres bei hinreichender begrifflicher Explizierung der Theorie eigentlich erübrigt). Hier ist die Sache noch komplizierter, weil sich das Zitat so liest, als habe der Autor sowas ähnliches wie eine Metatheorie im Sinn, also eine Theorie über die Geltungsansprüche von Theorien im Bereich der Psychotherapie. Andererseits legt er insofern eine Theorie dar, als er sagt, dass dem Patienten eben alles bei der Gesundung hilft, was ihm Sicherheit gibt - und das ist eine wahrheitsfähige theoretische Aussage, und sogar eine mit explizitem Wahrheitsanspruch. Man muss hier eben die Ansprüche der Aussage über die Gesundung von Patienten durch die Vermittlung von Sicherheit von den Ansprüchen der Aussagen unterscheiden, die der Therapeut macht, um dem Patienten Sicherheit zu vermitteln. Um das Zitat genauer einordnen zu können, müsste ich das ganze Buch lesen. Man kann Theorien eben nicht in Stücke schneiden und dann die Einzelteile beurteilen. Es kann ja auch sein, dass die entscheidenden Wahrheitsbedingungen an einer ganz anderen Stelle im Buch entwickelt werden. Bei dem Zitat selbst handelt es sich jedenfalls noch nicht um eine entwickelte Theorie zu einem festgelegten Gegenstand, sondern um einen theoretisch gefärbten Erfahrungsbericht eines Psychotherapeuten darüber, wie er in seinem Job arbeitet. Hier wären erstmal die theoretischen Voraussetzungen zu explizieren, aber die Erfahrung selbst und ihre Schilderung beurteilt man zunächst mal eigentlich nicht nach Wahrheit oder Falschheit, sondern z.B. nach Unvoreingenommenheit oder Voreingenommenheit. Erst wenn eine Theorie daraus wird, die sich nach klaren Vorgaben an ihrem Gegenstand bzw. Anwendungsbereich messen lassen kann, kommt Wahrheit ins Spiel.
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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funkeimdunkeln Bösmensch
Anmeldungsdatum: 12.05.2014 Beiträge: 878
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(#1939306) Verfasst am: 04.08.2014, 20:07 Titel: |
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Hallo Tarvoc,
Zitat: |
[quote="Tarvoc" postid=1939159] funkeimdunkeln hat folgendes geschrieben: | Natürlich wirft das die Frage auf, wozu wir uns mit der Wahrheit beschäftigen sollen, wenn sie langweilig ist. |
Schon wieder die selbe Übergeneralisierung. Dass es langweilige Theorien (und sogar langweilige wahre Theorien) gibt, bedeutet nicht, dass die Wahrheit langweilig ist. |
"Übergeneralisierung"?
In diesem Falle wollte ich keine "generelle" Denkaussage machen, sondern auf deine Kritik eingehen. Es ging mir nicht darum "die metaphysische Langeweile" der Wahrheit zu behaupten, sondern deine Position nachzuvollziehen. Meine Frage, die ich mir gestellt habe, war in diesem Falle nicht "Was ist Wahrheit", sondern "Was will Tarvoc von mir?".
Ich will meine Frage nochmal umformulieren, damit meine Absicht daraus deutlicher erkennbar wir. (Sowas ist ja immer eine gute Übung, um sich klar zu machen, worum es eigentlich geht, wo man in der Diskussion gerade steht): Welche Bedeutung hat es für dich, ob eine Theorie langweilig ist? Hängen die Eigenschaften, dass eine Theorie langweilig ist, und die Eigenschaften, dass eine Theorie wahr ist, für dich miteinander zusammen? Ich hoffe, dass ich in diesen Fragen eine "Übergeneralisierung" vermeiden konnte.
Zitat: | funkeimdunkeln hat folgendes geschrieben: | Wenn wir uns die ganze Zeit nur über Dinge unterhalten würden, die absolut offensichtlich und trivial wären, dann wären Diskussionen auch nicht spannend und ergiebig. Liege ich richtig damit, dass das deine Kritik ist? |
Meine Kritik ist, dass das Triviale nicht das entscheidendes Paradigma der Wahrheit sein kann. Tautologien zum Beispiel sind sogar logisch notwendig wahr, trotzdem kommt normalerweise niemand auf die Idee, sie als Beispiele für Wahrheit heranzuziehen. |
Die Frage ist, was ein anderes Paradigma sein kann? Ich bin mir mit der Verwendung des Wortes "Paradigma" nicht sicher, glaube jedoch, dass du es als Synonym zu "Begründungsmuster" oder "Definitionsschema" verwendest. Nun, dann gibt es doch zwei Möglichkeiten: Diese Begründungsmuster, welches du benutzt, um "Wahrheit" zu definieren, sind entweder (für dich oder für andere) trivial. Oder es ist eben nicht offensichtlich, sondern irgendwie seltsam. Auch auf die Gefahr hin, dass du mir wieder eine Übergeneralisierung vorwirfst, möchte ich doch dies als allgemeine Erfahrung im Umgang mit Gedanken und Theorien postulieren. Man findet sie offensichtlich, erleuchtend, erhellend, verständlich, wenn auch vielleicht langweilig und langatmig, oder man findet sie nicht nachvollziehbar, unverständlich, komisch, schräg, mysteriös, unlogisch, usw.
Und nun fände ich es doch sehr merkwürdig, wenn ich ein Postulat zum Ausgangspunkt zur Begriffsbestimmung von Wahrheit nehmen würde, welches nicht nachvollziehbar ist und dem gemeinem Forumsleser wie böhmische Dörfer erscheint. Du etwa nicht?
Zitat: | funkeimdunkeln hat folgendes geschrieben: | Nochmal die Frage:
Zitat: | Ich will mal ein Zitat von einem Psychotherapeuten bringen. Und dann würde ich gerne von dir erfahren, ob es da immer noch um Wahrheitsansprüche geht. |
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Womöglich nicht, aber das Zitat beinhaltet ja auch keine Theorie, sondern eine Auflistung von Ansprüchen, die er als praktisch arbeitender Therapeut an Theorien stellt. Um die Wahrheitsansprüche zu beurteilen, müsste ich (1) die Theorie kennen und (2) herausarbeiten, welche Ansprüche diese Theorie selbst an ihre eigene Anwendung stellt (wobei sich zweiteres bei hinreichender begrifflicher Explizierung der Theorie eigentlich erübrigt). Hier ist die Sache noch komplizierter, weil sich das Zitat so liest, als habe der Autor sowas ähnliches wie eine Metatheorie im Sinn, also eine Theorie über die Geltungsansprüche von Theorien im Bereich der Psychotherapie. Andererseits legt er insofern eine Theorie dar, als er sagt, dass dem Patienten eben alles bei der Gesundung hilft, was ihm Sicherheit gibt - und das ist eine wahrheitsfähige theoretische Aussage, und sogar eine mit explizitem Wahrheitsanspruch. Man muss hier eben die Ansprüche der Aussage über die Gesundung von Patienten durch die Vermittlung von Sicherheit von den Ansprüchen der Aussagen unterscheiden, die der Therapeut macht, um dem Patienten Sicherheit zu vermitteln. Um das Zitat genauer einordnen zu können, müsste ich das ganze Buch lesen. Man kann Theorien eben nicht in Stücke schneiden und dann die Einzelteile beurteilen. Es kann ja auch sein, dass die entscheidenden Wahrheitsbedingungen an einer ganz anderen Stelle im Buch entwickelt werden. Bei dem Zitat selbst handelt es sich jedenfalls noch nicht um eine entwickelte Theorie zu einem festgelegten Gegenstand, sondern um einen theoretisch gefärbten Erfahrungsbericht eines Psychotherapeuten darüber, wie er in seinem Job arbeitet. Hier wären erstmal die theoretischen Voraussetzungen zu explizieren, aber die Erfahrung selbst und ihre Schilderung beurteilt man zunächst mal eigentlich nicht nach Wahrheit oder Falschheit, sondern z.B. nach Unvoreingenommenheit oder Voreingenommenheit. Erst wenn eine Theorie daraus wird, die sich nach klaren Vorgaben an ihrem Gegenstand bzw. Anwendungsbereich messen lassen kann, kommt Wahrheit ins Spiel. |
Oha, danke für diese ausführliche und gedankenreiche Erläuterung!
Was ich interessant finde, ist deine Abwertung der Rolle des Therapeuten. Wie du richtig beobachtet hast, stellt der Therapeut in diesem Zitat seine Ansprüche an Theorien vor. Er betreibt also Meta-Theorie, wenn er beschreibt, was ein "Bezugsrahmen", wie er es nennt, ihm denn nun bringt. Wie du auch festgestellt hast, vermischt er diese Meta-Theorie natürlich mit Aussagen über heilende Faktoren in einer Psychotherapie. Er setzt hier voraus, dass Sicherheit und Kontrolle der wesentliche Erfolgsfaktor für den therapeutischen Fortschritt ist und lautet daraus die Ansprüche ab, die er an eine Therapie stellt.
Ich stelle mir nun folgende Frage: Was spricht dagegen, dass jemand sich zunächst "Wahrheitsansprüche" definiert, die er weitestgehend unabhängig von einer Theorie formuliert. Konkret sieht das dann so aus, dass ein Therapeut sagt "Eine Theorie ist wahr, wenn sie dem Patienten hilft." Dann guckt er sich die Theorie an und fragt sich dann "Hilft sie dem Patienten?". Natürlich ist "Helfen" ein sehr subjektiver und schwammiger Begriff, dem man präzisieren müsste, indem man zum Beispiel Fragebögen ausführt oder das subjektive Empfinden des Therapeuten zum Maßstab macht oder ganz radikal sagt "helfen" bedeutet, dass der Patient keine Wahnvorstellungen mehr hat - und wenn man sie aus ihm rausprügeln muss! Das ist eben eine Auseinandersetzung, die muss man führen, bevor man weiß, was "helfen" ist. Sobald man meint bei dieser Reflektion zu einer befriedigenden Definition des "therapeutischen Effektes" gekommen zu sein kann man nun den Theorien nach diesem nun gewonnenen Kriterium beurteilen.
Das ist eine andere Vorgehensweise, als deine. Erst definiert man ein Verwertungskriterium und dann beurteilt man Theorien danach. Was spricht denn dagegen?
Mit besten Grüßen,
Mirko
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44647
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(#1939320) Verfasst am: 04.08.2014, 21:33 Titel: |
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funkeimdunkeln hat folgendes geschrieben: | Ich stelle mir nun folgende Frage: Was spricht dagegen, dass jemand sich zunächst "Wahrheitsansprüche" definiert, die er weitestgehend unabhängig von einer Theorie formuliert. |
Was spricht dagegen? Ist das eine praktische Frage? Klar kann der Psychotherapeut praktische Ansprüche an Theorien stellen, wie er will. Wahrheitsansprüche sind aber immer Ansprüche einer Theorie (oder Metatheorie) - weil sonst gar nicht klar wäre, was das überhaupt heißen soll. Interessant wäre hier eher die Frage, welche Theorie seiner Arbeit hinter den praktischen Ansprüchen steht, die er an Theorien stellt. Das gibt aber leider das Zitat nicht her, bzw. allenfalls andeutungsweise.
funkeimdunkeln hat folgendes geschrieben: | Konkret sieht das dann so aus, dass ein Therapeut sagt "Eine Theorie ist wahr, wenn sie dem Patienten hilft." |
Ja, das kann ein Wahrheitsanspruch einer psychotherapeutischen Theorie sein. Aber der Psychotherapeut erzählt dem Patienten ja nicht seine Theorie, sondern er wendet sie an. Ich hab' schon in meinem letzten Beitrag darauf hingewiesen, dass du unterscheiden musst zwischen den Aussagen des Therapeuten gegenüber dem Patienten, mit denen er versucht, dem Patienten Sicherheit zu vermitteln, und den Aussagen der Theorie selbst darüber, welche Maßnahmen einem Patienten Sicherheit vermitteln können. Erstere haben womöglich keinen (oder nur einen suspendierten) Wahrheitsanspruch, letztere hingegen schon.
funkeimdunkeln hat folgendes geschrieben: | Das ist eine andere Vorgehensweise, als deine. Erst definiert man ein Verwertungskriterium und dann beurteilt man Theorien danach. Was spricht denn dagegen? |
Dagegen spricht, dass du das Vorgehen falsch beschreibst. In dem Moment, wo man das Kriterium formuliert, betreibt man bereits Theoriebildung - und sei es wie in dem Zitat nur implizit. Und die praktischen Anforderungen, die der Autor des Zitats an psychoanalytische Theorien stellt, sind bereits Gelingensbedingungen der Theorie, die er über seine eigene Arbeitsweise formuliert. Dass diese auch metatheoretische Aussagen darüber beinhalten kann, welche theoretischen Überzeugungen ihm bei dieser Arbeit helfen können, kann ja sein. In der Anwendung dieser Theorien nach den Kriterien, die er für seine eigene Theorie formuliert hat, prüft er aber dann eben nicht (oder nicht zwingend) die Wahrheit dieser Theorien, sondern die seiner eigenen. Anders gesagt, wenn ich eine Theorie nach Kriterien verwende, die nicht dieser Theorie entsprechen, sondern meiner eigenen Metatheorie darüber, was ich von Theorien erwarte, dann widerlegt bzw. gefährdet ein Scheitern nicht die von mir adaptierte Theorie, sondern nur meine eigene Metatheorie.
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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funkeimdunkeln Bösmensch
Anmeldungsdatum: 12.05.2014 Beiträge: 878
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(#1939479) Verfasst am: 05.08.2014, 16:45 Titel: |
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Hallo Tarvoc,
Zitat: | [quote="Tarvoc" postid=1939320] funkeimdunkeln hat folgendes geschrieben: | Ich stelle mir nun folgende Frage: Was spricht dagegen, dass jemand sich zunächst "Wahrheitsansprüche" definiert, die er weitestgehend unabhängig von einer Theorie formuliert. |
Was spricht dagegen? Ist das eine praktische Frage? Klar kann der Psychotherapeut praktische Ansprüche an Theorien stellen, wie er will. Wahrheitsansprüche sind aber immer Ansprüche einer Theorie (oder Metatheorie) - weil sonst gar nicht klar wäre, was das überhaupt heißen soll. Interessant wäre hier eher die Frage, welche Theorie seiner Arbeit hinter den praktischen Ansprüchen steht, die er an Theorien stellt. Das gibt aber leider das Zitat nicht her, bzw. allenfalls andeutungsweise. |
Okay, den Punkt meine ich zu verstehen. Letzten Endes ist es doch das gleiche, wenn du sagst, dass zu jedem Wahrheitsanspruch eine Theorie gehört, wie wenn du sagst, dass nur Gedanken und Aussagen wahr oder falsch sein können, nicht aber Bewegungen, Bilder, usw. Die einzigen Objekte, denen man Wahrheit zuschreiben kann, sind also Sätze oder eben Theorien.
Ich frage mich dann aber doch: Was ist der Unterschied zwischen einem Roman und einer Theorie? Der Unterschied besteht in dem Grad an Allgemeinheit, oder etwa nicht? Ein Roman beschreibt eine konkrete Hauptfigur und eine konkrete Situation und erzählt dazu etwas. Eine Theorie beschreibt allgemeine Axiome und leitet daraus allgemeine Schlussfolgerungen her und erzählt dann etwas über das Phänomen in seiner Allgemeinheit.
Die Allgemeinheit wird man doch nicht los, oder?
Mit besten Grüßen,
Mirko
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44647
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(#1939833) Verfasst am: 06.08.2014, 21:19 Titel: |
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funkeimdunkeln hat folgendes geschrieben: | Ich frage mich dann aber doch: Was ist der Unterschied zwischen einem Roman und einer Theorie? Der Unterschied besteht in dem Grad an Allgemeinheit, oder etwa nicht? |
Nein, ein Roman macht gar keine Wahrheitsansprüche. Selbst ein historischer Roman will in erster Linie unterhalten und nicht informieren. Andernfalls würde man nicht die Form des Romans wählen.
funkeimdunkeln hat folgendes geschrieben: | Eine Theorie beschreibt allgemeine Axiome und leitet daraus allgemeine Schlussfolgerungen her und erzählt dann etwas über das Phänomen in seiner Allgemeinheit. |
In der Physik ist das so. Schon in der Biologie wird es schwierig mit einem solchen Vorgehen.
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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funkeimdunkeln Bösmensch
Anmeldungsdatum: 12.05.2014 Beiträge: 878
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(#1939848) Verfasst am: 06.08.2014, 22:04 Titel: |
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Hallo Tarvoc,
Zitat: |
[quote="Tarvoc" postid=1939833] funkeimdunkeln hat folgendes geschrieben: | Ich frage mich dann aber doch: Was ist der Unterschied zwischen einem Roman und einer Theorie? Der Unterschied besteht in dem Grad an Allgemeinheit, oder etwa nicht? |
Nein, ein Roman macht gar keine Wahrheitsansprüche. Selbst ein historischer Roman will in erster Linie unterhalten und nicht informieren. Andernfalls würde man nicht die Form des Romans wählen. |
Das Problem bei der Unterscheidung zwischen "Unterhaltung" und "Information" ist nun, dass "Unterhaltung" eben durch Lustgefühle definiert ist und "Information" durch Faktenwissen. Nun interpretiere ich deinen Beitrag so, dass man diese Unterscheidung allgemein treffen kann. Man kann immer sagen, ob etwas die Form eines Romans, eines Kunstwerkes, eines Gedichtes hat oder die Form einer Theorie. Man findet immer heraus, ob etwas einen ästhetischen Anspruch hat oder einen "Wahrheitsanspruch" - wie? Nur Tarvoc weiß es!
Ist meine Interpretation korrekt? Und wenn nein, was wäre eine zutreffende Interpretation? Ich möchte dich keineswegs bevormunden, indem ich dir irgendwelche Dinge in den Mund lege, die du nicht gemeint hast. Dies geschieht natürlich nicht, wenn ich mein subjektives Verständnis ausdrücken, indem ich die meiner Meinung nach naheliegendeste Interpretation beschreibe.
Mit besten Grüßen,
Mirko
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44647
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(#1939860) Verfasst am: 06.08.2014, 22:46 Titel: |
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funkeimdunkeln hat folgendes geschrieben: | Das Problem bei der Unterscheidung zwischen "Unterhaltung" und "Information" ist nun, dass "Unterhaltung" eben durch Lustgefühle definiert ist und "Information" durch Faktenwissen. |
Wieso ist das ein Problem? - Der Unterschied ist doch der, dass die Unterhaltung nicht mal den Anspruch erhebt, sich an den Gegenständen ihrer Aussagen messen zu lassen.
funkeimdunkeln hat folgendes geschrieben: | Nun interpretiere ich deinen Beitrag so, dass man diese Unterscheidung allgemein treffen kann. Man kann immer sagen, ob etwas die Form eines Romans, eines Kunstwerkes, eines Gedichtes hat oder die Form einer Theorie. Man findet immer heraus, ob etwas einen ästhetischen Anspruch hat oder einen "Wahrheitsanspruch" - wie? Nur Tarvoc weiß es! |
Wie? Ich sehe nicht, wo über blöde Witzchen hinaus überhaupt das Problem liegt. Entweder etwas erhebt einen theoretischen Geltungsanspruch oder nicht. Ein Roman erhebt solche Ansprüche einfach nicht.
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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Arno Gebauer registrierter User
Anmeldungsdatum: 30.01.2005 Beiträge: 698
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(#1939868) Verfasst am: 06.08.2014, 23:09 Titel: |
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Hallo, Tarvoc,
ist Unterhaltung nicht eine von vielen Formen der Informationsverbreitung?
Gruß
Arno Gebauer
_________________ Trennung von Staat und Kirche !
Die geistigen Brandstifter des Holocausts waren die Kirchen! Sie haben viele Jahrhunderte lang gegen die Juden gehetzt!
Nie mehr Zeit und Geld für reiche Kirchen!!!!
Keine Kinder mehr in Kirchenhände!
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44647
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(#1939876) Verfasst am: 06.08.2014, 23:40 Titel: |
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Arno Gebauer hat folgendes geschrieben: | Hallo, Tarvoc, ist Unterhaltung nicht eine von vielen Formen der Informationsverbreitung? |
Oh Mann. Es sollte eigentlich inzwischen klar sein, dass es um bestimmte Formen von Ansprüchen geht.
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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Shadaik evolviert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 26377
Wohnort: MG
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(#1939970) Verfasst am: 07.08.2014, 15:50 Titel: |
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Tarvoc hat folgendes geschrieben: | funkeimdunkeln hat folgendes geschrieben: | Das Problem bei der Unterscheidung zwischen "Unterhaltung" und "Information" ist nun, dass "Unterhaltung" eben durch Lustgefühle definiert ist und "Information" durch Faktenwissen. |
Wieso ist das ein Problem? - Der Unterschied ist doch der, dass die Unterhaltung nicht mal den Anspruch erhebt, sich an den Gegenständen ihrer Aussagen messen zu lassen. | Ich glaube, ihr verlauft euch hier ein bisschen, Romane und Tatsachenberichte bzw. Theorie schließen sich ja gar nicht gegenseitig aus, allerdings bedingen sie einander auch nicht, es sind schlichtweg zwei Kategorien, die nichts miteinander zu tun haben.
_________________ Fische schwimmen nur in zwei Situationen mit dem Strom: Auf der Flucht und im Tode
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44647
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(#1939983) Verfasst am: 07.08.2014, 16:35 Titel: |
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Shadaik hat folgendes geschrieben: | es sind schlichtweg zwei Kategorien, die nichts miteinander zu tun haben. |
Sag ich doch.
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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funkeimdunkeln Bösmensch
Anmeldungsdatum: 12.05.2014 Beiträge: 878
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(#1939998) Verfasst am: 07.08.2014, 17:41 Titel: |
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Hallo Tarvoc,
Tarvoc hat folgendes geschrieben: | funkeimdunkeln hat folgendes geschrieben: | Das Problem bei der Unterscheidung zwischen "Unterhaltung" und "Information" ist nun, dass "Unterhaltung" eben durch Lustgefühle definiert ist und "Information" durch Faktenwissen. |
Wieso ist das ein Problem? - Der Unterschied ist doch der, dass die Unterhaltung nicht mal den Anspruch erhebt, sich an den Gegenständen ihrer Aussagen messen zu lassen. |
Für mich ist es ein Problem. Ich postuliere hier eine grundsätzliche Verständnisschwierigkeit, die ich habe. Und diese Verständnisschwierigkeit liegt daran, dass ich nicht weiß, was "messen lassen" hier heißt. Darunter kann ich mir nichts vorstellen. Das kapiere ich eben nicht.
Das kann alles Mögliche heißen. "Messen" kann auch heißen, dass ich den Donald Duck an die Wand male und gucke "hier, guck Mal, Torvac, da ist Donald Duck, also ist die Donald Duck-Geschichte wahr" - das wäre ein primitiver und banaler Begriff von "messen", klar, aber wie will man das ausschließen? Und mit den "Gegenständen" kann auch alles Mögliche gemeint sein. Man kann auch argumentieren, dass der Gegenstand des Romans die Gefühle des Lesers sind. Und dann "misst" man den Roman, indem man das Geweckt werden der intendierten Gefühle bei sich beobachtet.
Begründest du den Unterschied mit Intuition? Mit Bauchgefühl? Mit formalen Kriterien? Mit "Messen" und "Gegenständen" kann ich wenig anfangen.
Mit besten Grüßen,
Mirko
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funkeimdunkeln Bösmensch
Anmeldungsdatum: 12.05.2014 Beiträge: 878
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(#1940000) Verfasst am: 07.08.2014, 17:46 Titel: |
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Hallo Shadaik,
Shadaik hat folgendes geschrieben: | Tarvoc hat folgendes geschrieben: | funkeimdunkeln hat folgendes geschrieben: | Das Problem bei der Unterscheidung zwischen "Unterhaltung" und "Information" ist nun, dass "Unterhaltung" eben durch Lustgefühle definiert ist und "Information" durch Faktenwissen. |
Wieso ist das ein Problem? - Der Unterschied ist doch der, dass die Unterhaltung nicht mal den Anspruch erhebt, sich an den Gegenständen ihrer Aussagen messen zu lassen. | Ich glaube, ihr verlauft euch hier ein bisschen, Romane und Tatsachenberichte bzw. Theorie schließen sich ja gar nicht gegenseitig aus, allerdings bedingen sie einander auch nicht, es sind schlichtweg zwei Kategorien, die nichts miteinander zu tun haben. |
Nein, wir verlaufen uns nicht, m.E. sind wir hier gerade bei einer relevanten Kernfrage.
Die Frage ist doch, warum sind Theorie und Roman zwei unterschiedliche Kategorien? Natürlich kann man mit dem Finger auf einen Text zeigen und rufen "das ist ein Roman" und mit dem Finger auf einen anderen Text und sagen "das ist eine Theorie". Ist das also bloß eine Konvention oder was?
Mit besten Grüßen,
Mirko
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Kival Profeminist Ghost
Anmeldungsdatum: 14.11.2006 Beiträge: 24071
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(#1940003) Verfasst am: 07.08.2014, 17:52 Titel: |
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Was wäre z.B. John Olivers - Last Week Tonight; das ist offensichtlich eine *Mischung* von Unterhaltung und Information und es wird auch sehr deutlich, dass dort Unterhaltung alleine nicht im Vordergrund steht. Interessanterweise habe ich bei weniger offensichtlich als "Unterhaltung" markiertem öfter eher den Eindruck, dass dort freizügig mit Fakten umgegangen wird als bei mancher Unterhalungsliteratur ...
_________________ "A basic literacy in statistics will one day be as necessary for efficient citizenship as the ability to read and write." (angeblich H. G. Wells)
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44647
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(#1940170) Verfasst am: 08.08.2014, 09:51 Titel: |
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funkeimdunkeln hat folgendes geschrieben: | Das kann alles Mögliche heißen. |
Da hast du Recht. Deshalb sagte ich ja, die Theorien bringen ihre Geltungsansprüche selbst mit. Anders gesagt: Um zu verstehen, woran sich eine bestimmte Theorie messen lassen will, musst du dich mit der jeweiligen Theorie beschäftigen.
Eine allgemeine und gleichzeitig inhaltlich bestimmte Wahrheitstheorie habe ich weder noch wäre sie nötig.
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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funkeimdunkeln Bösmensch
Anmeldungsdatum: 12.05.2014 Beiträge: 878
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(#1940474) Verfasst am: 09.08.2014, 20:09 Titel: |
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Hallo Tarvoc,
Also, deine Theorie, dass jede Theorie ihren eigenen Wahrheitsanspruch mit sich bringt, finde ich sehr unbefriedigend, weil sie mir weder eine Information darüber liefert, was eine "Theorie" ist, noch eine Information darüber, was ein "Wahrheitsanspruch" ist.
Den Text von Walter Benjamin fand ich wenigstens noch unterhaltsam zu lesen. Deine Handlungsanweisung "beschäftige dich mit der Theorie, dann findest du schon heraus, was die Wahrheitsansprüche sind" ist für meine philosophische Neugier dagegen wenig anregend. Mich dürstet es nach mehr!
Viele Grüße,
Mirko
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44647
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(#1940604) Verfasst am: 10.08.2014, 08:57 Titel: |
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Also das Wort "Anspruch" finde ich jetzt eigentlich nicht allzu schwer zu verstehen. Ich finde auch, meine (übrigens schon ein ganzes Stück früher in dieser Diskussion geäußerte) Aussage, dass man eine Theorie in ihren Ansprüchen ernst nehmen muss, um sie effektiv kritisieren zu können, ist schon eine recht hilfreiche Einsicht, über die es lohnt, länger nachzudenken... trotz allem. Äh... wie waren wir nochmal auf das Thema gekommen...
Wenn du mit mir gezielt philosophische Texte lesen willst, schick mir doch eine PN.
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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funkeimdunkeln Bösmensch
Anmeldungsdatum: 12.05.2014 Beiträge: 878
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(#1940672) Verfasst am: 10.08.2014, 17:32 Titel: |
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Hallo Tarvoc,
Tarvoc hat folgendes geschrieben: | Also das Wort "Anspruch" finde ich jetzt eigentlich nicht allzu schwer zu verstehen. Ich finde auch, meine (übrigens schon ein ganzes Stück früher in dieser Diskussion geäußerte) Aussage, dass man eine Theorie in ihren Ansprüchen ernst nehmen muss, um sie effektiv kritisieren zu können, ist schon eine recht hilfreiche Einsicht, über die es lohnt, länger nachzudenken... trotz allem. |
Damit wir eine gemeinsame Verständnisbasis haben, möchte ich meine Interpretation des Ganzen wiedergeben: Texte machen Aussagen und verfolgen ein bestimmtes Verständnisziel.
Dann machen theoretische Texte Aussagen über die Wirklichkeit (da haben wir wieder einen Begriff von Wahrheit) und fiktive Texte machen Aussage über fiktive Wirklichkeiten.
Theoretische Texte werden vom Autor mit der Absicht geschrieben dem Leser zu überzeugen, das heißt einer bestimmten Meinung zuzustimmen. Der Leser soll dann der Aussage zustimmen (xy ist wahr). Ästhetische Texte werden vom Autor mit der Absicht geschrieben in dem Leser eine Empfindung zu erwecken. Er soll dann sagen (xy ist schön).
Treffe ich damit das, was du sagen wolltest?
Mit besten Grüßen,
Mirko
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44647
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(#1940687) Verfasst am: 10.08.2014, 18:11 Titel: |
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Es geht ja nicht nur um Zustimmung. Mit einer Theorie will man üblicherweise auch etwas anfangen können. Theorien sind handlungsanleitend und sollen nicht nur Überzeugungen begründen, sondern auch einen Umgang mit ihren Gegenständen erlauben. Was für einen Umgang, hängt auch vom Gegenstand ab. Ein weiterer Grund, warum die Theorie ihre Ansprüche jeweils selbst formulieren muss.
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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funkeimdunkeln Bösmensch
Anmeldungsdatum: 12.05.2014 Beiträge: 878
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(#1940692) Verfasst am: 10.08.2014, 18:20 Titel: |
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Hallo Tarvoc,
das ist bei geschichtlichen Theorien nicht so klar. An einer Theorie über die Geschichte der Entstehung des Römischen Reihes kann ich mich auch einfach erfreuen, weil ich es spannend finde etwas über die Prozesse der damaligen Zeit zu erfahren. Es ist meine Freude an meinem Wissen, die dadurch befriedigt werden soll. Oder würdest du sagen, dass sowas keine Theorie ist?
Mit besten Grüßen,
Mirko
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44647
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(#1940727) Verfasst am: 10.08.2014, 19:41 Titel: |
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Anders als manche anderen Wissenschaftsphilosophen der Gegenwart bezeichne ich Geschichtsschreibung in der Tat auch als Theoriebildung. Es stimmt, dass man sich an Geschichtswissen auch einfach erfreuen kann - aber das gilt auch für anderes Wissen. Der praktische Nutzen von Geschichtsschreibung und geschichtswissenschaftlicher Theoriebildung wird klarer, wenn man die Geschichtswissenschaft mit anderen Wissensgebieten zusammen denkt. Gerade eine Beschäftigung mit der Spätphase des römischen Reiches kann z.B. Aufschlüsse über den Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Krisen und der Entwicklung religiösen Bewusstseins liefern, was u.A. für die Sozialwissenschaft spannend sein kann.
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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funkeimdunkeln Bösmensch
Anmeldungsdatum: 12.05.2014 Beiträge: 878
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(#1940805) Verfasst am: 10.08.2014, 22:17 Titel: |
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Hallo Tarvoc,
nun ist mir klar, dass man einer Biographie zum Beispiel Anregungen für sein eigenes Leben entnehmen kann und dass man diese Lektüre durch eine philosophische Lektüre ergänzen kann, um auf diese Weise sein Verständnis zu vertiefen. Das ist für mich persönlich eine Methode, die ich verwende, um besseres Verständnis sowohl der philosophischen Themen als auch der lebensgeschichtlichen Ereignisse zu bekommen, die in der Biographie beschrieben werden. Bitte korrigiere mich, wenn du eine Biographie nicht als einen Spezialfall von Geschichtsschreibung oder Theoriebildung betrachtest. Ich verwende das Beispiel mit der Biographie vor allem, um mein Verständnis von dem zu beschreiben, was du dir als "praktischen Nutzen" vorstellst. Auf diese Weise erscheint es mir plausibel ähnliche Vorgehensweisen zum Beispiel für den Verfall des Römischen Reiches zu entwickeln.
Gleichwohl wundere ich mich: Wenn zwei unterschiedliche Leser mit der gleichen philosophischen Begleitlektüre die gleiche Biographie lesen, dann werden sie in Abhängigkeit von ihrer persönlichen Lebenssituation dennoch zu unterschiedlichen Schlüssen kommen. Und dann stellst sich die Frage nach der Objektivität von Neuem. Oder stimmst du dem nicht zu?
Mit freundlichen Grüßen,
Mirko
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44647
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(#1940815) Verfasst am: 10.08.2014, 22:30 Titel: |
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Ist das nicht eher die Frage nach der Verallgemeinerbarkeit? Objektivität muss doch irgendwas mit einem Objekt zu tun haben. Wenn das Objekt, an dem man arbeitet, das je eigene Leben ist, ist es ja keine große Überraschung, dass bei einem Menschen etwas anderes herauskommt als bei einem anderen (was nicht heißt, dass es nicht auch sowas gibt wie vermittelbare Lebensklugheit). Hier zeigt sich, wie problematisch die ganze Unterscheidung ist. Man muss sehen, dass man hier nicht aus Versehen die erkenntnistheoretische Bedeutung von Objektivität als Objektbezug durcheinanderbringt mit der psychologischen Bedeutung von "objektiv und subjektiv" als feststellbare Lebenssituation einerseits und emotionale Befindlichkeit andererseits. Wenn es um eine Theorie geht, die bei der eigenen Lebensführung helfen soll, sind beides zwei unterschiedliche Bereiche des Objekts - also des eigenen Lebens.
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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funkeimdunkeln Bösmensch
Anmeldungsdatum: 12.05.2014 Beiträge: 878
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(#1941021) Verfasst am: 11.08.2014, 17:25 Titel: |
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Hallo Tarvoc,
nun, beim Beispiel des eigenen Lebens lässt sich die Differenz zwischen "objektiv und subjektiv" doch besonders schön fassen. Die Existenz des eigenen Lebens oder auch des Lebens eines anderen Menschens als Objekt ist m.E. unbestreitbar. Das ist wieder eine "langweilige Offensichtlichkeit", wie du mir vielleicht zustimmen wirst. Und ich kann das auch gut mit der Bedeutung von "Objektivität als Objekt" zusammenbringen, indem ich mir mein eigenes Leben als mir gegenüberliegendes Objekt vorstelle. Dass ich dazu in der Lage bin mich selbst in einem Verhältnis zu dieser grundlegenden Tatsache zu setzen, ist nun mal eines der Fähigkeiten des menschlichen Geistes. Diese Fähigkeit nennt man auch Selbstreflektion. Und dann gibt auch Aspekte, die zum menschlichen Leben dazugehören: bestimmte Ziele, die ich mir selber setze, oder Tugenden, die ich für mich als wertvoll erachte. Diese Wertkonstrukte entstehen in Folge meiner Interpretationskunst. Ob diese Ziele oder diese Tugenden meinen Interessen dienen, das ist nie so ganz klar. Vielleicht werde ich mit einer anderen Frau glücklicher. Vielleicht sollte ich nicht immer so nett zu anderen Menschen sein. Usw. Wir kommen also nie zu einer endgültigen Antwort in diesen Fragen im Gegensatz zu der Antwort auf die Frage "Existiere ich?". Letztere Frage kann ich zweifelsfrei bejahen bis zum Schluss. Und eben zu den anderen lebensgeschichtlichen Fragen kann uns die Beschäftigung mit Biographien Antworten geben ohne dass diese endgültig wären.
Dieser Gegensatz ist also an den verschiedenen Fragen und an ihren verschiedenen Antworten klar erkennbar.
Mit freundlichen Grüßen,
Mirko
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44647
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(#1941043) Verfasst am: 11.08.2014, 19:18 Titel: |
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funkeimdunkeln hat folgendes geschrieben: | Nun, beim Beispiel des eigenen Lebens lässt sich die Differenz zwischen "objektiv und subjektiv" doch besonders schön fassen. |
Naja, und ich sage eben, dass die Differenz, die du jetzt thematisierst, eine psychologische und keine erkenntnistheoretische ist. Bzw. dass sie nicht das betrifft, worüber wir hier bisher diskutiert hatten.
funkeimdunkeln hat folgendes geschrieben: | Dass ich dazu in der Lage bin mich selbst in einem Verhältnis zu dieser grundlegenden Tatsache zu setzen, ist nun mal eines der Fähigkeiten des menschlichen Geistes. Diese Fähigkeit nennt man auch Selbstreflektion. |
Naja... es ist jetzt nicht so entscheidend für unsere Diskussion, aber vielleicht eine kleine Randnotiz dazu:
Slavoj Zizek hat (ich glaube in The Ticklish Subject) recht wirkungsvoll argumentiert, dass der Zirkel der Reflexivität gerade das Symptom davon ist, dass ein adäquates Verhältnis zum eigenen Leben als Ganzheit eben nicht zustande kommt, ich also eben nicht wirklich aus mir heraustrete. Zu jeder Reflektionsbewegung kann man sich eben wieder reflexiv in Distanz setzen, und das zeigt schon, dass das von der Reflexivität angestrebte Verhältnis zum eigenen Leben usw. an keinem Punkt tatsächlich hergestellt wird. Zizek meint das allerdings nicht als Argument dafür, mit der Reflektion aufzuhören - schon weil das gar nicht geht. Es geht vielmehr darum, dass im Zentrum der Reflektion eben nicht ein authentisches Selbstverhältnis steht, sondern vielmehr ein nicht aufzulösender Antagonismus bzw. die Unmöglichkeit eines adäquaten Verhältnisses zu sich selbst. In der Philosophie des 20. Jahrhunderts, insbesondere im Konstruktivismus (z.B. bei Niklas Luhmann) war dieses Phänomen auch als "blinder Fleck" bekannt. Ich habe darüber übrigens meine Magisterarbeit geschrieben. Wenn du möchtest, kann ich sie dir gerne schicken. Deine eMail-Adresse müsste ich noch haben.
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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funkeimdunkeln Bösmensch
Anmeldungsdatum: 12.05.2014 Beiträge: 878
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(#1941322) Verfasst am: 12.08.2014, 20:02 Titel: |
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Hallo Tarvoc,
ja, schicke mir mal deine Magister-Arbeit. Sie klingt interessant.
Mirko
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44647
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(#1941337) Verfasst am: 12.08.2014, 20:42 Titel: |
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Mail ist raus.
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- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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