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Klaus-Peter auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 10.01.2004 Beiträge: 1534
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(#2039471) Verfasst am: 14.01.2016, 00:13 Titel: |
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Ich hab ne Online-Quelle von der oben erwähnten "Entstehung der Arten" entdeckt, und ich zitiere als Schmankerl ein paar signifikante Absätze aus dieser Quelle. Kommentare in Klammern und Hervorhebungen von mir.
(Über die Abhängigkeit ethischer Normen von den sozialen Umständen)
Es dürfte zweckmässig sein, zunächst voranzuschicken, dass ich nicht behaupten will, dass jedes streng sociale Thier, wenn nur seine intellectuellen Fähigkeiten zu gleicher Thätigkeit und gleicher Höhe wie beim Menschen entwickelt wären, genau dasselbe moralische Gefühl wie der Mensch erhalten würde. In derselben Weise wie verschiedene Thiere ein gewisses Gefühl von Schönheit haben, trotzdem sie sehr verschiedene Gegenstände bewundern, können sie auch ein Gefühl von Recht und Unrecht haben, trotzdem sie durch dasselbe zu sehr verschiedenen Handlungsweisen veranlasst werden. Um einen extremen Fall anzuführen: wäre z. B. der Mensch unter genau denselben Zuständen erzogen wie die Stockbiene, so dürfte sich kaum zweifeln lassen, dass unsere unverheiratheten Weibchen es ebenso wie die Arbeiterbienen für eine heilige Pflicht halten würden, ihre Brüder zu tödten, und die Mütter würden suchen, ihre fruchtbaren Töchter zu vertilgen, und Niemand würde daran denken, dies zu verhindern. Nichtsdestoweniger würde in unserem angenommenen Falle die Biene oder irgend ein anderes sociales Thier, wie es mir scheint, doch irgend ein Gefühl von Recht und Unrecht oder ein Gewissen erhalten.
[...]
(Über das Gewissen in Abhängigkeit von anderen Menschen und Religion)
Die Natur und Stärke der Empfindungen, welche wir Bedauern, Scham, Reue oder Gewissensbisse nennen, hängen dem Anschein nach nicht allein von der Stärke des verletzten Instincts, sondern auch zum Theil von der Stärke der Versuchung und häufig noch mehr von dem Urtheil unsrer Mitmenschen ab. In wie weit jeder Mensch die Anerkennung Andrer würdigt, hängt von der Stärke seines angebornen oder erlangten Gefühls der Sympathie ab, auch von seiner eignen Fähigkeit, die entfernteren Folgen seiner Handlungen sich zu überlegen. Ein anderes Element ist äusserst bedeutungsvoll, wennschon nicht nothwendig, die Ehrfurcht oder Furcht vor Gott oder den Geistern, an die jeder Mensch glaubt; dies gilt vorzüglich für die Fälle, wo Gewissensbisse empfunden werden. Mehrere Kritiker haben mir eingehalten, dass, wenn auch ein geringer Grad von Bedauern oder Reue durch die in diesem Capitel vertheidigte Ansicht erklärt werden könne, es doch unmöglich sei, in dieser Weise das seelenerschütternde Gefühl der Gewissensbisse zu erklären. Ich kann diesem Einwurf nur wenig Gewicht beilegen.
[...]
(Über "Sollen" als Ergebnis einer Evolution)
Von seinem Gewissen beeinflusst wird der Mensch durch lange Gewohnheit eine so vollkommene Selbstbeherrschung erlangen, dass seine Begierden und Leidenschaften zuletzt augenblicklich und ohne Kampf seinen socialen Sympathien und Instincten, mit Einschluss seines Gefühls für das Urtheil seiner Mitmenschen, nachgeben. Der noch immer hungrige oder noch immer rachsüchtige Mensch wird nicht daran denken, Nahrung zu stehlen oder seine Rache auszuführen. Es ist möglich, oder wie wir später sehen werden, selbst wahrscheinlich, dass die Gewohnheit der Selbstbeherrschung wie andre Gewohnheiten vererbt wird. So kommt selbst der Mensch dazu, in Folge erlangter und vielleicht ererbter Gewohnheit zu fühlen, dass es das Beste für ihn ist, seinen dauernderen Impulsen zu folgen. Das gebieterische Wort „soll“ scheint nur das Bewusstsein von der Existenz einer Regel des Betragens zu enthalten, wie immer diese auch entstanden sein mag.
[...]
(Über historische frühere moralische Systeme)
Wir haben nun gesehen, dass Handlungen von Wilden für gut oder schlecht gehalten werden und wahrscheinlich auch von dem Urmenschen so betrachtet wurden, nur insofern sie in einer auffallenden Weise die Wohlfahrt des Stammes, nicht die der Art, ebensowenig wie die des Menschen als eines individuellen Mitglieds des Stammes betreffen. Diese Folgerung stimmt sehr gut mit dem Glauben überein, dass das sogenannte moralische Gefühl ursprünglich den socialen Instincten entstammte; denn beide beziehen sich zunächst ausschliesslich auf die Gesellschaft. Die hauptsächlichsten Ursachen der niedrigeren Moralität Wilder, wenn sie nach unserem Maassstab beurtheilt wird, sind erstens die Beschränkung der Sympathie auf denselben Stamm; zweitens unzureichendes Vermögen des Nachdenkens, so dass die Beziehungen vieler Tugenden, besonders der das Individuum betreffenden, zu der allgemeinen Wohlfahrt des Stammes nicht erkannt werden. So erkennen z. B. Wilde die mannichfachen Uebel nicht, welche einem Mangel an Keuschheit, Mässigung u. s. w. folgen. Und drittens ist als Ursache der niederen Moralität Wilder die schwache Entwickelung der Selbstbeherrschung zu nennen; denn dieses Vermögen ist noch nicht durch lange fortgesetzte, vielleicht vererbte Gewohnheit, durch Unterricht und Religion gekräftigt worden.
[...]
Anmerkung: Die Quelle ist gemeinfrei, die langen Kopien sind also unbedenklich.
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smallie resistent!?
Anmeldungsdatum: 02.04.2010 Beiträge: 3726
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(#2039609) Verfasst am: 15.01.2016, 00:03 Titel: |
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Zuerst dazu:
Defätist hat folgendes geschrieben: | smallie hat folgendes geschrieben: | ............
Darwin selbst hat kulturelle Evolution ins Spiel gebracht. Das geriet lange Zeit in Vergessenheit, weil Darwin gerne auf die Entstehung der Arten reduziert wird.
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Dafür gibt es aber, mal ab von den in der englischsprachigen Wiki und von dir nunmehr aufgestellten Behauptungen keinerlei Beleg bei Darwin selbst.
Sonst wäre das ja eindeutig mit darwinschen Original-Zitaten belegbar. |
Ist es ja auch. Das relevante Zitat stand sogar schon weiter oben.
Zitat: | Die Abstammung des Menschen 1871
Es darf nicht übersehen werden, daß, wenn auch ein hoher Grad von Sittlichkeit jedem einzelnen Mann mit seinen Kindern nur ein geringes Übergewicht über die anderen Menschen desselben Stammes gibt, eine Vermehrung der Zahl gutbegabter Menschen und ein Fortschritt der Sittlichkeit doch dem ganzen Stamm eine ungeheure Überlegenheit über alle anderen Stämme verleiht. Wenn ein Stamm viele Mitglieder besitzt, die aus Patriotismus, Treue, Gehorsam, Mut und Sympathie stets bereitwillig anderen helfen und sich für das allgemeine Wohl opfern, so wird er über andere Völker den Sieg davontragen; dies würde natürliche Zuchtwahl sein.
http://www.zeit-wen.de/documents/Charles%20Darwin%20-%20Die%20Abstammung%20des%20Menschen.pdf |
Hier ist bereits alles angelegt, was es für soziale Evolution braucht.
Darwin erkennt treffsicher, daß altruistische Verhaltensweisen in einer Welt des "Jeder gegen jeden" keine stabile Lösung ergeben. Altruismus kann erst dann entstehen, wenn altruistische Gruppen miteinander im Wettbewerb stehen. Eine soziale Gruppe, die untereinander skrupellos handelt, wird bald das Nachsehen haben gegenüber anderen Gruppen, die untereinander wohlwollend und altruistisch hilfreich handeln.
Bei Darwin kommt das noch etwas naiv gutmenschlich rüber, in Wirklichkeit reicht das Spektrum, wie Gruppenkoheränz erzeugt wird, von freiwilliger Assoziation bis hin zu totalitärem Zwang.
Klaus-Peters Zitat passt auch sehr gut:
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | (Über historische frühere moralische Systeme)
Wir haben nun gesehen, dass Handlungen von Wilden für gut oder schlecht gehalten werden und wahrscheinlich auch von dem Urmenschen so betrachtet wurden, nur insofern sie in einer auffallenden Weise die Wohlfahrt des Stammes, nicht die der Art, ebensowenig wie die des Menschen als eines individuellen Mitglieds des Stammes betreffen. |
Hier geht es ganz klar um kulturelle Evolution zwischen verschiedenen Stämmen.
Defätist hat folgendes geschrieben: | Im Gegenteil schreibt die deutsche Wiki dazu wiederum:
https://de.wikipedia.org/wiki/Sozialdarwinismus#Sozialdarwinismus_aus_Sicht_moderner_Evolutionstheorie
Zitat: | Anhänger des Sozialdarwinismus geben dem Begriff des Survival of the Fittest in der Regel eine Umdeutung, die durch den biologischen Zusammenhang, in den Darwin ihn stellte, nicht gedeckt ist. Laut Darwin war nicht das Überleben an sich, sondern die Zeugung möglichst vieler überlebens- und fortpflanzungsfähiger Nachkommen Grundlage biologischen Erfolges.[128] Die Formel "Survival of the Fittest" wird im Deutschen oft fehlerhaft übersetzt: Dabei meint sie nicht größte "Fitness", sondern beschreibt die Anpassungsfähigkeit einer Art an die jeweils herrschenden Umweltbedingungen. Dazu zeigt sich, dass sowohl die von Sozialdarwinisten abgelehnte genetische Vielfalt als auch die Existenz altruistischer Verhaltensweisen in der Natur weit verbreitet sind und sich meist positiv auf die evolutionäre Fitness einer Art auswirken.
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*fett von mir
Ja, was denn nun? |
Die Autoren scheinen der Meinung zu sein, daß jede Anwendung von "survival of the fittest" auf menschliche Kulturen automatisch Sozialdarwinismus sei. Kommt das hin?
Die Existenz altruistischer Verhaltensweisen wird erwähnt; aber daß bereits Darwin darüber nachgedacht hat bleibt unerwähnt.
_________________ "There are two hard things in computer science: cache invalidation, naming things, and off-by-one errors."
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smallie resistent!?
Anmeldungsdatum: 02.04.2010 Beiträge: 3726
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(#2039611) Verfasst am: 15.01.2016, 00:37 Titel: |
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zelig hat folgendes geschrieben: | fwo hat folgendes geschrieben: | Deshalb habe ich einen anderen Vorschlag: Der Fehler muss sich ja in meiner Definition befinden:
fwo hat folgendes geschrieben: | .....
Jede sich selbst reproduzierende Struktur, die Reproduktionsfehler zu- und damit ihre Entwicklungslinie verzweigen lässt, und die mit einer Endlichkeit ihrer Ausbreitungsmöglichkeiten kämpft, erfährt zwangsläufig durch diese Randbedingungen eine evolutionäre Entwicklung, d.h. bei der Kultur den Wettkampf ihrer eigenen Verzweigungen um die Ressource Mensch.
Die Selbstreproduktion der Kultur (meine Stegreifdefinition: Summe des gelebten Wissens einer Gesellschaft) geschieht hier nicht innerhalb eines Organismus, sondern über die Weitergabe (= Kopie) dieses Wissens von einer Trägergeneration an die nächste. Das heißt, hier liegt eine Struktur vor, die evoluiert. Die evoluieren muss.(s.o.)
...... |
Als Evolution bezeichne ich also Generationen schlechter Kopien im Wettbewerb um Ressourcen mit dem Ergebnis unterschiedlicher Anteile einzener Kopierlienien an der Gesamtheit bis hin zur Auslöschung einzelner Linien.
Warum stellt das eine Verwässerung dar?
Wo liegt hier der Fehler? |
Huch. |
Ja, genau.
zelig hat folgendes geschrieben: | 1. "schlecht" streichen. Evolution kennt kein gut und schlecht. |
Da hast du etwas in fwos Beitrag hineingelesen, das nicht drin steht. Das kann als Beispiel für die typische Darwin-Rezeption in D herhalten.
zelig hat folgendes geschrieben: | 2. Das Objekt der kanonischen Evolutionstheorie sind Populationen |
Ist das so?
Stephen J. Gould nennt sechs Ebenen:
Zitat: | The Structure Of Evolutionary Theory
Characteristic Features and Differences among Six Primary Levels
The Gene-Individual
The Cell-Individual
The Organism-Individual
The Deme-Individual
The Species-Individual
The Clade-Individual |
zelig hat folgendes geschrieben: | 3. Die DNA und ihren Replikationsvorgang kennen wir
4. Ein Analogon zur kulturellen Replikation existiert nicht. |
Du erinnerst dich an mein Beispiel von der Replikation kreationistischer Ideen? Oder nimm fwos Beispiel über die Evolution von Mythen aus dem aktuellen Spektrum.
Kulturelle Replikation findet statt. Soviel läßt sich sagen, auch ohne die genauen neurologischen Grundlagen dafür zu kennen.
zelig hat folgendes geschrieben: | (Auch wenn Dawkins euch Naturalisten mit seinem Mem vernebelt hat.)
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zelig, so kenn ich dich gar nicht.
Jedenfalls habe ich mit Dawkins etwa so viel am Hut wie du mit dem Papst. Wenn bei mir etwas vernebelt ist, so liegt es bestimmt nicht an Dawkins - und bei dir vermutlich nicht am Papst.
Ich finde Meme nicht besonders überzeugend, denn Ideen übertragen sich viel weniger präzise als Gene. Das stellt in meinen Augen das ganze Konzept in Frage. Als Arbeitsbegriff fände ich "Mem" ganz in Ordnung, wenn man ihn vom engen Dawkinsschen Konzept lösen könnte.
_________________ "There are two hard things in computer science: cache invalidation, naming things, and off-by-one errors."
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26441
Wohnort: im Speckgürtel
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(#2039616) Verfasst am: 15.01.2016, 02:34 Titel: |
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smallie hat folgendes geschrieben: | .....
Kulturelle Replikation findet statt. Soviel läßt sich sagen, auch ohne die genauen neurologischen Grundlagen dafür zu kennen. |
Kann es dafür neurologischen Grundlagen geben? Das Individuum ist hier die Kultur, nicht der Mensch. Die menschliche Population (als Kulturnation gemeint) ist hier eine Art Medium oder Träger.
Das heißt, dass der Kopiervorgang zwar als Lernen in einem Kopf stattfindet, aber dass für ihn wesentlich ist, dass er auf einer Kommunikation zwischen Menschen beruht. Beim größten, komplexesten und wichtigsten Teil der Kultur, der Sprache, findet dieser Vorgang zum größten Teil innerfamiliär statt und ist auch schon lange Forschungsgegenstand - wenn auch nicht unbedingt unter den Biologen.
Die Entstehung der Sprachen evolutionär aufzufassen ist übrigens schon lange üblich, aber ich habe noch keinen gesehen, der sich über einen Stammbaum der Sprachen, deutlicher Ausdruck dieser Sicht, aufgeregt oder ihn als Biologismus bezeichnet hat. Die Entstehung von Sprache überhaupt ist für mich der aufregendste und spannendste Teil dieser Evolution. Leider können wir darüber nur spekulieren.
Der Ort, in dem die Information der Kultur gespeichert ist, ist ja auch kein Analogon zum Zellkern, weil der Träger Nation nicht nur völlig anders funktioniert als ein tierischer Organismus - die Kultur ist ja ein Epiphänomen der sie tragenden Population. Der Speicherort ist das kollektive Gedächtnis.
Außerdem sollte man sich, nachdem man die Kulturen als "Wesen" erkannt hat, auch gleich mit dem Gedanken anfreunden, dass außerhalb der Betrachtung sehr eng begrenzter Themen, die evolutionäre Betrachtung der Kulturen etwas paläontologisches haben wird. Durch den gigantischen Informationsfluss zwischen den noch existierenden Kultur-Nationen werden die Kulturen auf Dauer - je nach Geschmack - ein Konzert oder eine Kakophonie von Patchworkträgern sein, weil die Wächter, die die Grenzen bewachten, indem die die Apostaten töteten oder ausstießen, erfreulicherweise immer mehr behindert werden, auch wenn sie sich wehren.
Aber, und der Gedanke passt auch in einige andere aktuelle Threads hier im Forum, wenn es bei diesem Informationsfluss, der momentan auch direkt mit Menschenfluss verbunden ist, zu einer Verstärkung der Apostasie kommt, und dass das so ist, ist unübersehbar, dann sollten wir all diesen Wächtern, gemeint sind die Kirchen, auf die Finger klopfen, weil ihre Wächterarbeit, die nach ihrer Erfindung konstitutiv für die jeweilige Kultur war, unter diesen Bedingungen nur für großes Leid sorgt. Und die Stärke dieses Klopfens kann nur einen Maßstab haben: Den Umgang der jeweiligen Kirche mit ihren Apostaten.
smallie hat folgendes geschrieben: | zelig hat folgendes geschrieben: | (Auch wenn Dawkins euch Naturalisten mit seinem Mem vernebelt hat.)
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zelig, so kenn ich dich gar nicht.
.... |
Das ging evtl. eher an mich als in die Diskussion.
btw.: Ich kenne Dawkins nur aus Rezensionen und 2 oder 3 Vorträgen, die ich mir mal auf Youtube angehört habe. "Das egoistische Gen" (bzw. die Rezension davon) empfand ich als erfrischende neue (weitere!) Blickrichtung auf Evolution, aber mir hat das Stichwort gereicht, um allein weiter zu denken. Und wenn das so ist, lese ich so ein Buch normalerweise nicht mehr.
_________________ Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.
The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.
Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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Klaus-Peter auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 10.01.2004 Beiträge: 1534
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(#2039625) Verfasst am: 15.01.2016, 07:17 Titel: |
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smallie hat folgendes geschrieben: |
Kulturelle Replikation findet statt. Soviel läßt sich sagen, auch ohne die genauen neurologischen Grundlagen dafür zu kennen. |
Finde ich auch, und ich verstehe nicht, dass jemand diese Tatsache bestreiten kann. Ich bin mir aus dem Threadverlauf auch nicht sicher, ob zelig (oder jemand anders) das tatsächlich bestreiten will.
smallie hat folgendes geschrieben: |
Ich finde Meme nicht besonders überzeugend, denn Ideen übertragen sich viel weniger präzise als Gene. Das stellt in meinen Augen das ganze Konzept in Frage. Als Arbeitsbegriff fände ich "Mem" ganz in Ordnung, wenn man ihn vom engen Dawkinsschen Konzept lösen könnte. |
Ich bin, im Gegensatz dazu, der Meinung, dass "Mem" genau in dem "engen" Dawkinsschen Konzept eine sehr fruchtbare Idee ist, die noch nicht einmal in Ansätzen ausgeschöpft ist. Man muss dazu, so scheint mir, die Idee des "Mems" mit den 1992 entdeckten sogenannten Spiegelneuronen zusammenführen. Als erste grobe Definition schwebt mir vor: Immer dann, wenn eine Gruppe von Spiegelneuronen feuert, wurde ein Mem entdeckt bzw. erfunden. Damit ist das Mem genauso so präsise und digital definiert wie das Gen: Wenn das Spiegelneuron feuert, ist das Mem da, wenn es nicht feuert, ist es nicht da.
Wie gesagt: Erst mal ist das Konzept ein grobes Konzept, man muss das verfeinern. Und ich denke, das geschieht auch bereits irgendwo in der Erforschung der Kognition.
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zelig Kultürlich
Anmeldungsdatum: 31.03.2004 Beiträge: 25405
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(#2039627) Verfasst am: 15.01.2016, 08:19 Titel: |
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smallie hat folgendes geschrieben: |
zelig hat folgendes geschrieben: | (Auch wenn Dawkins euch Naturalisten mit seinem Mem vernebelt hat.)
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zelig, so kenn ich dich gar nicht. |
Ich habe die Wirkung meiner flapsigen Bemerkung falsch eingeschätzt. Sorry auch an fwo, war wirklich nicht böse gemeint. Ich gelobe Besserung.
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zelig Kultürlich
Anmeldungsdatum: 31.03.2004 Beiträge: 25405
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(#2039628) Verfasst am: 15.01.2016, 08:46 Titel: |
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Zur Sache. Wenn danach gefragt wird, wo die "Verwässerung" liege.
Der Erfolg der Evolutionstheorie basiert ua auf der Erklärbarkeit der biochemischen Replikationsmechamismen. Soweit ich die Argumentation, gegen die ich mich wenden würde, richtig verstehe, entsteht bei der Analogisierung von kultureller Weitergabe ("Replikation" ist kein passender Begriff im kulturellen Kontext, da mit ihm nach meinem Gefühl ein physischer Mechanismus mitgedacht wird) genau an diesem Punkt jedoch eine Erklärungslücke. Es gibt keinen uns bekannten biochemischen Träger für Wissen (ist das OK, wenn wir uns auf "Wissen" einigen?) wie die DNA/RNA, der zugleich Weitergabe, Varietät, Konstanz und Änderung über die Zeit gewährleistet. Alleine schon das Fehlen dieses Trägers verhindert eine Analogisierung. Daher stellt die Übertragung der Evolutionstheorie auf Größen wie Geschichte, Tradition, Wissen, soziale Verbände, sowie die Inhalte, die sie Transportieren können, eine Verwässerung dar.
Und da ist es tatsächlich meine Vorstellung, daß die Idee vom Mem genau die Funktion hat, die Erklärungslücke, die der Mangel eines entsprechenden Trägers bedeutet, intuitiv zu überbrücken. Ein Mem soll das Pendant zum Gen sein. Daß ihr an das Konzept nicht glaubt, war mir nicht klar.
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Defätist auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 09.06.2010 Beiträge: 8557
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(#2039636) Verfasst am: 15.01.2016, 10:47 Titel: |
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smallie hat folgendes geschrieben: |
Das relevante Zitat stand sogar schon weiter oben.
Zitat: | Die Abstammung des Menschen 1871
Es darf nicht übersehen werden, daß, wenn auch ein hoher Grad von Sittlichkeit jedem einzelnen Mann mit seinen Kindern nur ein geringes Übergewicht über die anderen Menschen desselben Stammes gibt, eine Vermehrung der Zahl gutbegabter Menschen und ein Fortschritt der Sittlichkeit doch dem ganzen Stamm eine ungeheure Überlegenheit über alle anderen Stämme verleiht. Wenn ein Stamm viele Mitglieder besitzt, die aus Patriotismus, Treue, Gehorsam, Mut und Sympathie stets bereitwillig anderen helfen und sich für das allgemeine Wohl opfern, so wird er über andere Völker den Sieg davontragen; dies würde natürliche Zuchtwahl sein.
http://www.zeit-wen.de/documents/Charles%20Darwin%20-%20Die%20Abstammung%20des%20Menschen.pdf |
Hier ist bereits alles angelegt, was es für soziale Evolution braucht.
Darwin erkennt treffsicher, daß altruistische Verhaltensweisen in einer Welt des "Jeder gegen jeden" keine stabile Lösung ergeben. Altruismus kann erst dann entstehen, wenn altruistische Gruppen miteinander im Wettbewerb stehen. Eine soziale Gruppe, die untereinander skrupellos handelt, wird bald das Nachsehen haben gegenüber anderen Gruppen, die untereinander wohlwollend und altruistisch hilfreich handeln.
Bei Darwin kommt das noch etwas naiv gutmenschlich rüber, in Wirklichkeit reicht das Spektrum, wie Gruppenkoheränz erzeugt wird, von freiwilliger Assoziation bis hin zu totalitärem Zwang. |
Vielleicht ist es besser, erst mal ein paar Begriffe zu verdeutlichen.
Bei dir entspricht soziale Evolution = kulturelle Evolution? MMn so nicht richtig.
Für was steht bei dir im Zusammenhang der Begriff Gruppenkohärenz? Lediglich der ge-, bzw. erzielte Gruppenzusammenhang oder das gezielte Verhalten innerhalb/zwischen Gruppen?
Sorry, aber das geht leider auch aus dem Kontext nicht ganz deutlich hervor.
Was ist bei dir im Zusammenhang "naiv gutmenschlich" an der Meinung Darwins? Vllt. das, was seine Aussage gerade ausmacht (s.u.):
Meiner Ansicht nach sagt Darwin aber hier sehr deutlich aus, dass es durchaus bereits ausreicht, wenn nur eine im Übermaß (ihrer Mitglieder) "altruistisch" handelnde Gruppe in Konkurrenz zu allen anderen "skrupellos" handelnden Gruppen (oder wie du es beschreibst: in einer Welt des "Jeder gegen jeden") stünde, da sie den Altruismus hierbei als selektiven Vorteil (natürliche Zuchtwahl) inne habe. Also nicht erst, wie von dir beschrieben, wenn sie in Konkurrenz zu anderen altruistischen Gruppen steht.
("." jeweils verkürzt)
smallie hat folgendes geschrieben: | Klaus-Peters Zitat passt auch sehr gut:
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | (Über historische frühere moralische Systeme)
Wir haben nun gesehen, dass Handlungen von Wilden für gut oder schlecht gehalten werden und wahrscheinlich auch von dem Urmenschen so betrachtet wurden, nur insofern sie in einer auffallenden Weise die Wohlfahrt des Stammes, nicht die der Art, ebensowenig wie die des Menschen als eines individuellen Mitglieds des Stammes betreffen. |
Hier geht es ganz klar um kulturelle Evolution zwischen verschiedenen Stämmen. |
Auch hier kann ich das nicht so einfach nachvollziehen, es sei denn, du setzt lediglich zwischenmenschliches Gruppenverhalten mit Kultur gleich, was mMn aber auch eine sehr einengende Sichtweise auf den viel weiter greifbaren Kultur-Begriff darstellt. Vielleicht ist auch gerade das wiederum der Knackpunkt der unterschiedlichen Sichtweisen, dass unter Kultur unterschiedlich ausgedehnte Systeme subsumiert werden können?
smallie hat folgendes geschrieben: | Defätist hat folgendes geschrieben: | Im Gegenteil schreibt die deutsche Wiki dazu wiederum:
https://de.wikipedia.org/wiki/Sozialdarwinismus#Sozialdarwinismus_aus_Sicht_moderner_Evolutionstheorie
Zitat: | Anhänger des Sozialdarwinismus geben dem Begriff des Survival of the Fittest in der Regel eine Umdeutung, die durch den biologischen Zusammenhang, in den Darwin ihn stellte, nicht gedeckt ist. Laut Darwin war nicht das Überleben an sich, sondern die Zeugung möglichst vieler überlebens- und fortpflanzungsfähiger Nachkommen Grundlage biologischen Erfolges.[128] Die Formel "Survival of the Fittest" wird im Deutschen oft fehlerhaft übersetzt: Dabei meint sie nicht größte "Fitness", sondern beschreibt die Anpassungsfähigkeit einer Art an die jeweils herrschenden Umweltbedingungen. Dazu zeigt sich, dass sowohl die von Sozialdarwinisten abgelehnte genetische Vielfalt als auch die Existenz altruistischer Verhaltensweisen in der Natur weit verbreitet sind und sich meist positiv auf die evolutionäre Fitness einer Art auswirken.
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*fett von mir
Ja, was denn nun? |
Die Autoren scheinen der Meinung zu sein, daß jede Anwendung von "survival of the fittest" auf menschliche Kulturen automatisch Sozialdarwinismus sei. Kommt das hin?
Die Existenz altruistischer Verhaltensweisen wird erwähnt; aber daß bereits Darwin darüber nachgedacht hat bleibt unerwähnt. |
Zur Meinung der Autoren kann ich nix sagen. Allerdings berufen sie sich (meiner Meinung nach) direkt auf die Ansicht Darwins. Kann natürlich auch missverständlich sein - denke ich aber eher nicht.
Grob ausgedrückt haben wir hier einen Widerspruch zwischen zwei nicht mehr nur sprachlich unterschiedlichen Enzyklopädie-Teilen. Nicht gerade zielführend.
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26441
Wohnort: im Speckgürtel
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(#2039639) Verfasst am: 15.01.2016, 11:06 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | smallie hat folgendes geschrieben: |
Meine Motivation war der Arno Gebauerschen Fundamentalverdammung von Religion etwas entgegenzusetzen. Denn darwinistisch betrachtet müssen Religionen ihren Trägern Nutzen bringen, sonst wären sie beim "survival of the fittest" bereits ausgestorben.
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Sagt dir das Stichwort "adaptive Wahnsysteme" etwas? Religionen bringen ihren Trägern ungefähr soviele Vorteile wie Monarchien ihren Anhängern. Monarchien waren Jahrtausende lang die verbreitetste Herrschaftsform. Sie wurden mit Gewalt zusammengehalten und brachten den größten Nutzen, welch Wunder, dem Monarchen. Heute sind sie im wesentlichen eine sentimentale Erinnerung.
Religionen waren Jahrtausende lang, und sind in manchen Gegenden bis heute, die verbreitetste Weltanschauung. Die meisten der heute noch existierenden Religionen wurden mit Gewalt verbreitet, und eigneten sich hervorragend, um Hierarchien zu rechtfertigen, geistliche wie weltliche. Den größten Nutzen brachten und bringen sie bis heute den Priestern und Schamanen. Nach dem Nutzen für die einzelnen Gläubigen wurde eher nicht gefragt, im Gegenteil. Wer nicht mitmachen wollte, hatte ein Problem.
Heute sind die gewalttätigen Machtmittel der Kirchen weniger geworden, aber von Freiwilligkeit kann immer noch keine Rede sein. Sonst hätte man es nicht nötig, schon ummündige Kinder damit zu traktieren. Und wie damals betätigen sich die Religionen immer noch als Stütze bestimmter Machtgruppen, wesentlich indem sie sich der Verdummung der Menschen widmen. Und sie leben nicht schlecht davon.
Soviel zu den Gründen für das "Überleben" sozialer Organisationen. Was du natürlich nicht verstehst, wenn du es aus der Perspektive eines einzelnen Menschen siehst. Menschen gibt es nun mal nur im Plural. | fett von mir
@Marcellinus
Der Irrtum liegt wahrscheinlich bei Dir. Du siehst den Einzelnen in der Gesellschaft und stellest fest, wer in der Gesellschaft die Vorteile einsammelt.
smallie hat folgendes geschrieben: | .... Denn darwinistisch betrachtet müssen Religionen ihren Trägern Nutzen bringen, sonst wären sie beim "survival of the fittest" bereits ausgestorben.
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Die Träger, die smallie hier meint, sind nicht einzelene Personen, sondern einzelne Gesellschaften.
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Skeptiker "I can't breathe!"
Anmeldungsdatum: 14.01.2005 Beiträge: 16834
Wohnort: 129 Goosebumpsville
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(#2039646) Verfasst am: 15.01.2016, 11:39 Titel: |
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smallie hat folgendes geschrieben: | Zitat: | Die Abstammung des Menschen 1871
Es darf nicht übersehen werden, daß, wenn auch ein hoher Grad von Sittlichkeit jedem einzelnen Mann mit seinen Kindern nur ein geringes Übergewicht über die anderen Menschen desselben Stammes gibt, eine Vermehrung der Zahl gutbegabter Menschen und ein Fortschritt der Sittlichkeit doch dem ganzen Stamm eine ungeheure Überlegenheit über alle anderen Stämme verleiht. Wenn ein Stamm viele Mitglieder besitzt, die aus Patriotismus, Treue, Gehorsam, Mut und Sympathie stets bereitwillig anderen helfen und sich für das allgemeine Wohl opfern, so wird er über andere Völker den Sieg davontragen; dies würde natürliche Zuchtwahl sein.
http://www.zeit-wen.de/documents/Charles%20Darwin%20-%20Die%20Abstammung%20des%20Menschen.pdf |
Hier ist bereits alles angelegt, was es für soziale Evolution braucht.
Darwin erkennt treffsicher, daß altruistische Verhaltensweisen in einer Welt des "Jeder gegen jeden" keine stabile Lösung ergeben. Altruismus kann erst dann entstehen, wenn altruistische Gruppen miteinander im Wettbewerb stehen. Eine soziale Gruppe, die untereinander skrupellos handelt, wird bald das Nachsehen haben gegenüber anderen Gruppen, die untereinander wohlwollend und altruistisch hilfreich handeln.
Bei Darwin kommt das noch etwas naiv gutmenschlich rüber, in Wirklichkeit reicht das Spektrum, wie Gruppenkoheränz erzeugt wird, von freiwilliger Assoziation bis hin zu totalitärem Zwang. |
Darwin äußert sich auch gar nicht über Gesellschaften, sondern über Gemeinschaften. Siehe dazu meine Differenzierung:
http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?p=2032443&highlight=gemeinschaft+gesellschaft#2032443
Der Versuch, aus antagonistischen Klassengesellschaften mit Gewalt und per Dekret Gemeinschaften zu machen, endet in solchen Wahn-Ideologien wie der *Volksgemeinschaft*. Die Unterscheidung dieser beiden Grundkategorien stammt vom Soziologen Ferdinand Tönnies.
Wie gesagt, Darwin spricht von Gemeinschaften, Gruppen, Stämmen und er bezieht sich sozusagen damit auf die sozialen Anfänge der Menschheit.
Man könnte auch - ganz banal - auf den Wettbewerb von Fußballteams verweisen: wenn ein Team menschliche nicht zusammen passt, sondern sich als zerstrittener Haufen präsentiert, ist es im Prinzip immer im Nachteil, es sei denn, die Qualität seiner Spieler oder -innen ist so viel höher als beim Gegner, dass dies kompensiert werden kann.
Dazu passen auch meine Ausführungen zu Produktivkräften. Darwin spricht hier von der "Überlegenheit" sozialer Stämme gegenüber unsozialen Stämmen. Jedoch tragen Produktionstechniken und Waffentechnologien letzten Endes wesentlich mehr zur Überlegenheit bei.
Und die unterschiedlichen Produktionsweisen haben auch ihre Auswirkungen auf Arbeitsteilung, Geschlechterrollen, Lebensweisen, Denkweisen ---> kulturelle Entwicklung.
Ich hate gesagt, dass es bei der Entstehung neuer Kulturen und Ideologien anders verläuft als bei der biologischen Evolution, nämlich in Form einer abhängigen Entwicklung von Kultur & Ideologie von der Produktionsweise.
Darwin hat für sein Gebiet - so wie es auch im Zitat ausgedrückt wird - Recht. Jedoch geht es ja hier weniger um die Entstehung von Moral in einer Gruppe, sondern allgemeiner um kulturelle Höherentwicklung und dies in komplexen, international interagierenden Gesellschaften.
Da stoßen klassische und selbst modifizierte biologische Paradigmen (Meme usw.) an ihre Grenzen ...-
_________________ °
K.I.Z - Frieden
Das ist Postmoderne Ideologie! Psychologe und Philosoph analysieren RASSISMUS-Video
Informationsstelle Militarisierung e.V.
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#2039649) Verfasst am: 15.01.2016, 11:53 Titel: |
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Noch mal in ein ähnliches Horn geblasen! Die biologische Evolutionstheorie soll die Geschichte der Entwicklung der biologischen Arten erklären. Ein soziologische "Evolutionstheorie" müßte dem entsprechend die Geschichte der Entwicklung menschlicher Gesellschaften theoretisch verarbeiten, ein Modell der Zusammenhänge darstellen, die sich bei der Entwicklung der menschlichen Gesellschaften beobachten lassen.
Statt dessen ist hier nur von der "Evolution der Kultur" die Rede, ohne daß klar wird, in welchem Zusammenhang dies mit der Entwicklung menschlicher Gesellschaften steht. Ich bin ja nun wirklich nicht als besonderer Anhänger der verschiedenen Marxismen bekannt, die es so gibt. Aber zumindest Marx selbst war sich noch sehr des Gegenstandsbereichs seiner Arbeit bewußt, die Entwicklungsgeschichte menschlicher Gesellschaften, wie die der Menschen, die diese Gesellschaften bilden.
Ich will ja niemandem zu nahe treten, aber wer der Diskutanten hier hat sich auch nur ansatzweise so intensiv mit der Entwicklungsgeschichte menschlicher Gesellschaften (aka "Geschichte") beschäftigt wie das Evolutionsbiologen mit der Entwicklungsgeschichte biologischer Arten tun (und tun müssen).
Oder seid ihr hier alle Anhänger der Popper'schen Wissenschaftsphilosophie, der über die Vorgehensweise wissenschaftlichen Forschens schrieb: "Die erste Hälfte dieser Tätigkeit, das Aufstellen von Theorien, scheint uns einer logischen Analyse weder fähig noch bedürftig zu sein" (Popper 1984: Logik der Forschung, S. 41)
_________________ "Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."
Friedrich Nietzsche
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#2039653) Verfasst am: 15.01.2016, 12:07 Titel: |
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fwo hat folgendes geschrieben: |
@Marcellinus
Der Irrtum liegt wahrscheinlich bei Dir. Du siehst den Einzelnen in der Gesellschaft und stellest fest, wer in der Gesellschaft die Vorteile einsammelt.
smallie hat folgendes geschrieben: | .... Denn darwinistisch betrachtet müssen Religionen ihren Trägern Nutzen bringen, sonst wären sie beim "survival of the fittest" bereits ausgestorben.
|
Die Träger, die smallie hier meint, sind nicht einzelene Personen, sondern einzelne Gesellschaften. |
Seit wann sind Gesellschaften "Träger von Religionen"? Vielleicht kann smallie sich dazu äußern. Und wenn das so wäre, warum hat dann zB im 4. Jh. die römische Gesellschaft begonnen, eine neue Religion zu "tragen"? Dabei ist die alte Gesellschaft nicht etwa ausgestorben, sondern erst kleinere, dann größere Teile der Gesellschaft haben die Religion gewechselt, ein Prozeß, der übrigens Jahrhunderte gedauert hat. Und erhebliche Teile dieses "Mechanismus" sind auch mittlerweile bekannt. Nichts davon hat mit "Evolution" zu tun.
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Friedrich Nietzsche
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26441
Wohnort: im Speckgürtel
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(#2039654) Verfasst am: 15.01.2016, 12:09 Titel: |
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Skeptiker hat folgendes geschrieben: | fwo hat folgendes geschrieben: | Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Innovative Gedanken sind keineswegs *schlechte Kopien* bisheriger Gedanken, sondern eine Synthese zwischen dem Sich-Lösen vom Alten und dem Denken des bisher Unbekannten, Unerkennbaren, Neuen.
Deswegen fehlen bei einer fiktiven *kulturellen Evolution* viele Zwischenglieder, anders als bei der biologischen Evolution. Denn die Weiternwicklung der Kultur hin zu einer Zivilisation - welche hoffentlich eines Tages mal erreicht werden wird! - ist gar nicht primär eine kulturelle Entwicklung. Sondern sie ist gebunden an die Entwicklung der Produktivkräfte und ihre rationalen Entwicklung und Anwendung. |
Eine Evolution der Kultur findet natürlich auch ihren Niederschlag in den Entwicklungslinien einzelner Bestandteile dieser Kultur. Warum aber das Aussterben einzelner Linien oder "neue Erfindungen" nicht in eine Evolution passen sollen, wird niemandem klar werden: Der Stammbaum des Lebens ist voll von aussterbenden Linien und neuen Entwicklungen, die - aus paläontologischer Sicht - urplötzlich auftreten: Nach Deiner Argumentation dürfte man da dann auch nicht von Evolution reden. |
Diese neuen Entwicklungen sind aber durch Mutationen schon vorbereitet oder schon da; neue Kulturelemente dagegen nicht. Sie haben sozusagen gar keine Geschichte, keine *Vorfahren*, wenn man so will. |
Um es eindeutig zu machen: Wir benutzen in dieser Diskussion den biologischen Kulturbegriff. Und um es einfach zu machen: Auch unsere Technik gehört zur Kultur. Du versuchst uns gerade weiszumachen, dass Newton statt der Physik auch das Smartphone hätte erfinden können.
Übersetzt in ein gesellschaftliches Thema, das Dir vielleicht eher liegt:
Du versuchst uns gerade weiszumachen, dass man die Demokratie hätte erfinden können, bevor es die Sprache gab, in der man sich einigen kann, worüber überhaupt Abstimmungsbedarf besteht.
Es gibt innerhalb der Geistesgeschichte so etwas wie eine allgemeine Regel, dass, wenn die Zeit reif für sie ist, die Innovation meist von verschiedenen Leuten gleichzeitig kommt. Ersetze jetzt Zeit durch kollektives Wissen oder Kultur und überlege, was wohl mit Reife gemeint sein könnte.
Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Trotzdem entstehen solche neuen Gedanken- und Kulturelemente auch keinesfalls aus dem Nichts wie *göttliche Weisheiten*, sondern sie haben schon eine materielle Verortung, allerdings in Form eines externen Faktors.
Dazu kommt noch etwas zweites: Evolution als zufällig geglückte Anpassung an eine zumindest temporär einigermaßen konstante Umwelt unterscheidet sich von eine kulturellen Innovation, die eine neue Produktivkraft darstellt und gerade die Voraussetzung dafür ist, die Umweltbedingungen gemäß den Bedürfnissen umzugestalten, ihre Konstanz zu brechen.
.... |
Das ist ein etwas krudes Verständnis von Evolution: Als Anpassung stellt sich die Mutation erst im Nachhinein heraus. Im ersten Ansatz ist sie einfach ungerichtet und kann sich auch als kompletter Blödsinn bis hin zum Letalfaktor herausstellen - der größte Anteil der Mutationen ist behindernd bis tödlich.
Mein Standard-Beispiel für eine Mutation: Es ist das angeborene Verhalten des Tieres in seiner Welt, das die Selektion bestimmt, das entscheidet, ob eine Mutation vorteilhaft ist oder nicht: Wenn eine Spitzmaus plötzlich Schaufeln statt der Lauffüße hätte, würde sie verhungern, weil sie ihre Beute im Laufen erjagt. Aber irgendwann hat ein spitzmausähnliches Wesen angefangen zu scharren. Diese Mutation hat es vielleicht schon x-mal vorher gegeben, aber die Jungs lebten im Gebirge, bekamen nur wunde Füße, und die Linie starb aus. Aber bei irgendeiner Linie gab es was zu holen im Boden, das Verhalten war erfolgreich. Ab da und an dieser Stelle wurden große Füße belohnt, weil die Maus damit ein größeres Bodenvolumen bewältigte und mehr fand. Die Nachfahren der "Spitzmäuse", die sich aufs Graben spezialisiert hatten, und in dieser Nische erfolgreich und schon lange stabil sind, nennen wir heute Maulwürfe.
Es ist eine ungerichtete Verhaltensinnovation, die das Besetzen neuer Nischen ermöglicht - wenn die Umwelt daszu passt. Wo ist strukturell da der Unterschied zur Kultur? (Auch da haben ganz viele Leute blöde Ideen, bevor eine einigermaßen hinhaut, und auch die stehen auf den Schultern ihrer Vorgänger (s.o.).)
_________________ Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.
The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.
Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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Defätist auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 09.06.2010 Beiträge: 8557
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(#2039656) Verfasst am: 15.01.2016, 12:23 Titel: |
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Genau wegen der vorangegangenen Kategorien"problematik" gibt es ja sowas:
Müßte der sein.
zur auszughalber:
Zitat: | Jede menschliche Gesellschaft hat ihr eigenes ontologisches Kategoriensystem, um die Vielfalt der Welt begrifflich zu erfassen.[32] Das Verständnis fremder Leitkategorien erfordert eine außergewöhnlich hohe interkulturelle Kompetenz und ein tiefgehendes Verständnis der jeweiligen Weltanschauung. Die unterschiedlichen Auffassungen der Begriffe Natur und Kultur zeigen in diesem Zusammenhang, welch großes Konfliktpotential damit verbunden ist. Dies ist besonders deutlich bei einem Vergleich der europäischen Auffassung mit der nicht-industrialisierter, traditioneller Völker; zeigt sich jedoch bereits innerhalb der europäischen Philosophie. |
Edit: Link gefixt
Link noch mal korrigiert. vrolijke
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26441
Wohnort: im Speckgürtel
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(#2039667) Verfasst am: 15.01.2016, 12:59 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | fwo hat folgendes geschrieben: |
@Marcellinus
Der Irrtum liegt wahrscheinlich bei Dir. Du siehst den Einzelnen in der Gesellschaft und stellest fest, wer in der Gesellschaft die Vorteile einsammelt.
smallie hat folgendes geschrieben: | .... Denn darwinistisch betrachtet müssen Religionen ihren Trägern Nutzen bringen, sonst wären sie beim "survival of the fittest" bereits ausgestorben.
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Die Träger, die smallie hier meint, sind nicht einzelene Personen, sondern einzelne Gesellschaften. |
Seit wann sind Gesellschaften "Träger von Religionen"? Vielleicht kann smallie sich dazu äußern. Und wenn das so wäre, warum hat dann zB im 4. Jh. die römische Gesellschaft begonnen, eine neue Religion zu "tragen"? Dabei ist die alte Gesellschaft nicht etwa ausgestorben, sondern erst kleinere, dann größere Teile der Gesellschaft haben die Religion gewechselt, ein Prozeß, der übrigens Jahrhunderte gedauert hat. Und erhebliche Teile dieses "Mechanismus" sind auch mittlerweile bekannt. Nichts davon hat mit "Evolution" zu tun. |
Ich antworte mal trotzdem.
Wie kommst Du darauf, dass das nichts mit Evolution zu tun hätte? Es ist keine Evolution. Ja. Eine Gendrift ist auch keine Evolution, wohl aber ein Mechnismus innerhalb davon - und sieht strukturell sehr ähnlich aus, wie der Vorgang, den Du da beschreibst.
Hier hast Du also eine Verdrängung einer Religion durch eine andere. Ich habe es mit der Gendrift verglichen, die auch nichts weiter bedeutet, als dass sich die Verteilung einzelner Gene in der Population ändert - man könnte auch da von Verdrängung sprechen. Aber genauso wie man die Verteilung bzw. deren Änderung von Genen betrachten kann, kann man natülich auch die Evolution einzelner Gene betrachten. Genauso kannst Du auch die Evloution der Religionen sehen: Wie aus dem Judentum sein Abkömmling Christentum entsteht und aus dem der Abkömmlich Islam usw.. Diese Darstellung ist übrigens auch unstrittig, in ihr betrachten wir den Kulturanteil Religion allerdings als sei er ohne Menschen, die ihn leben, lebensfähig.
Wer über Kultur redet, redet über ganze Gesellschaften, nicht über einzelne Menschen. Ein Mensch allein "denkt" sich keine Religion geschweige denn eine Sprache aus. Und ein Mensch alleine kann sich erst im Informationszeitalter eine Religion aus dem Netz oder dem Bücherladen holen und dann leben. Vorher hatte er die religion durch die Gesellschaft in der er aufwuchs und lebte.
Ich vermute, dass sowohl Du als auch zelig mehr mit dem Evolutionsbegriff hadert als mit der Sache, weil ihr ihn beide nicht in der Abstraktheit nehmt, in der ich ihn definiert habe. Die "Fitness", um die es hier geht, ist nicht die "Fitness" einzelner Menschen, sondern die der Kultur. Und Bestandteile von Kultur können auch sterben, indem eine Gesellschaft sich entschließt, sie zu vergessen. Das funktioniert wirklich schwer nur mit dem Anteil der Kultur, den ich für den wesentlichen halte, die Sprache. Da passiert es i.A. nur unter äußerem Druck und bei gleichzeitigem Ersatz durch einen neue Sprache. Der äußere Druck braucht keine Gewalt zu sein. Es reicht evtl. auch eine plötzliche Anreicherung der Welt mit Gegenständen, für die in der alten Sprache keine Wörter existieren.
Die Sprache ist sehr viel dichter an der Gesamtheit, die unsere Kultur ausmacht, als eine Religion - auch wenn die letztere scheinbar sehr viel bestimmender für den Einzelnen sein kann.
Warum stört dich die evolutionäre Betrachtung der Sprache nicht? Warum enpfindest Du einen Stammbaum der Sprachen als sinnvolle Information?
Der Rest muss in einer Antwort an zelig erfolgen, aber das muss ich noch ordnen.
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#2039668) Verfasst am: 15.01.2016, 13:06 Titel: |
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Du versuchst mit aller Gewalt, Mechanismen und Erklärungsmodelle, die in der Biologie entstanden sind, und dort auch Erklärungswert besitzen, auf die Menschenwissenschaften zu übertragen. Das hat aber mit Wissenschaft nichts zu tun, die nach Erklärungsmodellen für Beobachtungen innerhalb einer Gegenstandsbereiches sucht. Es geht dir offenbar nicht um die Erklärung soziologischer oder historischer Zusammenhänge, sondern um das Rechthaben in einer Debatte. Das ist für mich uninteressant, und daher klinke ich mich hier aus.
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Klaus-Peter auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 10.01.2004 Beiträge: 1534
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(#2039669) Verfasst am: 15.01.2016, 13:17 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Die biologische Evolutionstheorie soll die Geschichte der Entwicklung der biologischen Arten erklären. Ein soziologische "Evolutionstheorie" müßte dem entsprechend die Geschichte der Entwicklung menschlicher Gesellschaften theoretisch verarbeiten, ein Modell der Zusammenhänge darstellen, die sich bei der Entwicklung der menschlichen Gesellschaften beobachten lassen. |
Ich halte das für ein Missverständnis. Die biologische Evolutionstheorie kann gar nicht den Anspruch erheben, "die Geschichte der Entwicklung der biologischen Arten" zu erklären. Sie kann erklären, woher die Artenvielfalt kommt, warum Lebewesen gewisse Eigenschaften haben (und andere nicht haben können), und warum manche Funktionen des Lebewesens so sind wie sind sind und nicht anders. Die biologische Evolutionstheorie kann auch beschreiben, wie Evolution historisch abgelaufen ist. Sie kann aber nicht erklären, warum Evolution historisch so und nicht anders abgelaufen ist. Würde man sie nämlich z.B. nach dem Ausserben der Saurier erneut ablaufen lassen, dann würde wohl was ganz anderes rauskommen.
Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Ich will ja niemandem zu nahe treten, aber wer der Diskutanten hier hat sich auch nur ansatzweise so intensiv mit der Entwicklungsgeschichte menschlicher Gesellschaften (aka "Geschichte") beschäftigt wie das Evolutionsbiologen mit der Entwicklungsgeschichte biologischer Arten tun (und tun müssen). |
Muss man auch nicht. Das Aufklären der Entwicklungsgeschichte biologischer Arten ist ein Teilaspekt der Evolutionsbiologie, der z.B. mit Genen so gut wie nicht in Berührung kommt. Genetiker und Evolutionsgenetiker u.ä. benötigen dagegen kaum detaillierte Kenntnisse der Entwicklungsgeschichte biologischer Arten. Dass Darwin so viele wunderbare Details kannte (und kennen musste) liegt daran, der er anhand dieser zahlreichen Beispiele überhaupt auf die Idee kommen musste (und es beweisen musste), dass da eine Evolution, also eine Entwickung, stattgefunden hat. Bei der menschlichen Geschichte braucht man das schon deshalb nicht, weil kein Mensch bestreitet, dass es eine solche Entwicklung gab und weil keiner behauptet, die heutigen Gesellschaften seien schon immer dagewesen und seien so geschaffen worden.
Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Oder seid ihr hier alle Anhänger der Popper'schen Wissenschaftsphilosophie, der über die Vorgehensweise wissenschaftlichen Forschens schrieb: "Die erste Hälfte dieser Tätigkeit, das Aufstellen von Theorien, scheint uns einer logischen Analyse weder fähig noch bedürftig zu sein" (Popper 1984: Logik der Forschung, S. 41) |
Ich bin das auf jeden Fall. Selbstverständlich ist das Aufstellen von Theorien vollkommen frei. Es gibt Heuristiken, wie man leichter zu Theorien kommt, aber die sind "kann", nicht "muss". Oder wie Paul Feyerabend sagte: "anything goes". Ich kann die Theorie träumen, sie im Suff delirieren, oder sie aus Beispielen "induzieren". Aber auch die berühmte "Induktion" ist nur eine Heuristik, kein wirklich "logische" Methode. Logische Analyse kommt erst dann ins Spiel, wenn man Theorien prüft.
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Klaus-Peter auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 10.01.2004 Beiträge: 1534
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(#2039670) Verfasst am: 15.01.2016, 13:19 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Du versuchst mit aller Gewalt, Mechanismen und Erklärungsmodelle, die in der Biologie entstanden sind, und dort auch Erklärungswert besitzen, auf die Menschenwissenschaften zu übertragen. Das hat aber mit Wissenschaft nichts zu tun, die nach Erklärungsmodellen für Beobachtungen innerhalb einer Gegenstandsbereiches sucht. Es geht dir offenbar nicht um die Erklärung soziologischer oder historischer Zusammenhänge, sondern um das Rechthaben in einer Debatte. Das ist für mich uninteressant, und daher klinke ich mich hier aus. |
Hä?
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26441
Wohnort: im Speckgürtel
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(#2039671) Verfasst am: 15.01.2016, 13:19 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Noch mal in ein ähnliches Horn geblasen! Die biologische Evolutionstheorie soll die Geschichte der Entwicklung der biologischen Arten erklären. Ein soziologische "Evolutionstheorie" müßte dem entsprechend die Geschichte der Entwicklung menschlicher Gesellschaften theoretisch verarbeiten, ein Modell der Zusammenhänge darstellen, die sich bei der Entwicklung der menschlichen Gesellschaften beobachten lassen. |
Es geht hier aber nicht um eine soziologische Evolution, sondern um eine kulturelle. Da Du meine Definition von Kultur anscheinend nicht magst, zelig ist erfreulicherweise darauf zurückgekommen, was die Diskussion erleichtert, nimm bitte den biologischen Kulturbegriff. Und wenn wir nur die Kultur selbst betrachten, können wir auch deren Evolution betrachten, ohne uns gleichzeitig mit der Geschichte zu beschäftigen, die natürlich auch dahintersteckt. Ich nehme wieder Bezug auf
das Paradebeispiel des Stammbaumes der Sprachen.
Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Statt dessen ist hier nur von der "Evolution der Kultur" die Rede, ohne daß klar wird, in welchem Zusammenhang dies mit der Entwicklung menschlicher Gesellschaften steht. Ich bin ja nun wirklich nicht als besonderer Anhänger der verschiedenen Marxismen bekannt, die es so gibt. Aber zumindest Marx selbst war sich noch sehr des Gegenstandsbereichs seiner Arbeit bewußt, die Entwicklungsgeschichte menschlicher Gesellschaften, wie die der Menschen, die diese Gesellschaften bilden.... |
Marx ging es auch nicht um die Kultur i.A., oder einen abstrakten Anteil davon, sondern um die Stellung des Menschen in der Gesellschaft und das Regelwerk, das ich schaffen muss. um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Also eine gezielte Schöpfung eines Teilbereiches von Kultur für einen bestimmten Zweck. Ich bin mir nicht sicher, was der Vergleich hier soll.
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Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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Klaus-Peter auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 10.01.2004 Beiträge: 1534
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(#2039672) Verfasst am: 15.01.2016, 13:33 Titel: |
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Defätist hat folgendes geschrieben: |
Edit: Link gefixt |
Nein. Link nicht gefixt. Er funzt nicht.
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26441
Wohnort: im Speckgürtel
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(#2039673) Verfasst am: 15.01.2016, 13:33 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Du versuchst mit aller Gewalt, Mechanismen und Erklärungsmodelle, die in der Biologie entstanden sind, und dort auch Erklärungswert besitzen, auf die Menschenwissenschaften zu übertragen. Das hat aber mit Wissenschaft nichts zu tun, die nach Erklärungsmodellen für Beobachtungen innerhalb einer Gegenstandsbereiches sucht. Es geht dir offenbar nicht um die Erklärung soziologischer oder historischer Zusammenhänge, sondern um das Rechthaben in einer Debatte. Das ist für mich uninteressant, und daher klinke ich mich hier aus. |
Sorry, dass Du dich ausklinkst, weil Deine Fragen immer interssant waren. Aber ich vermute ein Missverständnis: Es ging hier - zumindest bei mir - nie um die Erklärung soziologischer oder historischer Zusammenhänge.
Die Evolutionsforschung ist zwar immer ein Fragen in die Vergangenheit, weil es um zeitliche Abläufe geht, aber deshalb wird sie nicht, weil sie sich mit Kulturen beschäftigt, eine Geschichtsforschung zur Geschichte des Menschen. Die Geschichte des Menschen wird, außer von Kulturen, noch von konkreten Individuen und konkreten Gesellschaften bestimmt und hat dadurch einen völlig anderen Gegenstand und verlangt dann auch eine andere Methodik.
EDIT: letzten Satz präzisiert
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Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
Zuletzt bearbeitet von fwo am 15.01.2016, 14:58, insgesamt einmal bearbeitet |
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vrolijke Bekennender Pantheist

Anmeldungsdatum: 15.03.2007 Beiträge: 46732
Wohnort: Stuttgart
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(#2039674) Verfasst am: 15.01.2016, 13:58 Titel: |
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Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | Defätist hat folgendes geschrieben: |
Edit: Link gefixt |
Nein. Link nicht gefixt. Er funzt nicht. |
Müßte der sein.
(Ein paar Sonderzeichen wurden falsch gesetzt)
_________________ Glück ist kein Geschenk der Götter; es ist die Frucht der inneren Einstellung.
Erich Fromm
Sich stets als unschuldiges Opfer äußerer Umstände oder anderer Menschen anzusehen ist die perfekte Strategie für lebenslanges Unglücklichsein.
Grenzen geben einem die Illusion, das Böse kommt von draußen
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Defätist auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 09.06.2010 Beiträge: 8557
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(#2039677) Verfasst am: 15.01.2016, 14:09 Titel: |
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vrolijke hat folgendes geschrieben: | Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | Defätist hat folgendes geschrieben: |
Edit: Link gefixt |
Nein. Link nicht gefixt. Er funzt nicht. |
Müßte der sein.
(Ein paar Sonderzeichen wurden falsch gesetzt) |
Sorry.
Jo, danke.
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#2039687) Verfasst am: 15.01.2016, 15:27 Titel: |
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fwo hat folgendes geschrieben: |
Sorry, dass Du dich ausklinkst, weil Deine Fragen immer interssant waren. Aber ich vermute ein Missverständnis: Es ging hier - zumindest bei mir - nie um die Erklärung soziologischer oder historischer Zusammenhänge.
Die Evolutionsforschung ist zwar immer ein Fragen in die Vergangenheit, weil es um zeitliche Abläufe geht, aber deshalb wird sie nicht, weil sie sich mit Kulturen beschäftigt, eine Geschichtsforschung zur Geschichte des Menschen. Die Geschichte des Menschen wird, außer von Kulturen, noch von konkreten Individuen und konkreten Gesellschaften bestimmt und hat dadurch einen völlig anderen Gegenstand und verlangt dann auch eine andere Methodik. |
Ich lese deine Posts auch gern, und es ist auch nichts Persönliches. Sicher kann man die Entwicklung von Sprachen untersuchen ohne die Entwicklung der Gesellschaften, in denen diese Sprachen sich entwickelt haben und gesprochen wurden. Sicher kann man Kulturen untersuchen, ohne die Menschen zu berücksichtigen, die diese Kulturen hervorgebracht haben.
Sicher gibt es vor- bzw. nichtmenschliche Formen von Sprache und Kultur, sowie es Übergänge von nichtmenschlichen zu menschlichen Formen der Vergesellschaftung gibt. Aber das ist nicht mein Thema, oder genauer gesagt, das macht die Frage nach den Eigentümlichkeiten menschlicher Formen von Vergesellschaftung, und den Unterschieden zu nicht- oder vormenschlichen Formen der Vergesellschaftung nur um so dringender.
Diskussionen über "Sprachen und Kultur an sich" halte ich dagegen für ähnlich relevant wie die über "Religion an sich" oder andere Formen von Metaphysik. Sie interessieren mich als soziale Tatsachen, nicht in irgendeinem davon losgelösten Sinn.
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26441
Wohnort: im Speckgürtel
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(#2039691) Verfasst am: 15.01.2016, 16:03 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | ...
Diskussionen über "Sprachen und Kultur an sich" halte ich dagegen für ähnlich relevant wie die über "Religion an sich" oder andere Formen von Metaphysik. Sie interessieren mich als soziale Tatsachen, nicht in irgendeinem davon losgelösten Sinn. |
Das habe ich inzwischen auch gemerkt. Für mich geht es bei dieser Fragestellung eher um den Übergang vom "normalen Affen" zu dem was wir heute sind - wenn Du so willst hauptsächlich bis zur Verbreitung der Schrift für etwas anderes als der Buchhaltung. Danach wird es nämlich viel komplizierter, auch, weil damit eine stärkere Vergrößerung und Zentralisierung der Staaten einherging.
fwo hat folgendes geschrieben: | ....
Wissen entsteht zwar bei absichtlichen Handlungen, und heute auch bei Handlungen, die zum Teil mit der Absicht ausgeführt wurden, dieses Wissen zu erlangen - aber wie lange ist das so?
Wir können zwar schon länger absichtlich "Kultur" herstellen, indem wir Bilder malen, Lieder singen, Skulpturen herstellen. Aber sind das die Bestandteile von Kultur, die ihr einen direkten evolutionären Vorteil verschaffen? Einen indirekten evtl, indem sie eine Atmosphäre schaffen, in der auch andere Entdeckungen leichterfallen. Das war aber dann wieder ein unabsichtliches Ergebnis, dem keine Intention zu Grunde lag.
In der biologischen Evolution kann die individuelle Intention nur sehr langsam aus der angeborenen Appetenz hervorgegangen sein, und wenn sie die nicht sauber ersetzt hätte, hätte dieser Vorgang auch nicht geklappt. Insofern ist es für die grundsätzliche Dynamik erstmal wurst, ob da ein Wesen mit Intention durch Zufall ein neues Wissen erlangt, mit dem es ein neues Verhalten ausführt, das neue Randbedingungen für der weiteren Entwicklung seiner Population setzt, oder ob da genetisch irgendwo im Code ein Triplett falsch dupliziert wird und sich dadurch das Verhalten ändert und neue Randbedingungen für die Auslese schafft.
Auch machen wir einen Fehler, wenn wir uns den denkenden, planenden Menschen von Beginn an in einer Weise denkend und planend vorstellen, wie wir das heute tun. Wir benutzen eine Sprache als Denkvehikel, die der Container einer Erfahrung ist, die sich über zig-tausende von Jahren angesammelt hat, also nicht gleich in vergleichbarer Weise und für alles einfach benutzbar zur Verfügung gestanden haben kann. Um das am Ackerbau festzumachen: Als die Leute mit diesem Unfug anfingen, waren Gräser für sie etwas, das zu besonderen Zeiten Knubbel hatte, die satt machten. Das Wort für den Samen mit seiner Bedeutung als Saat dürfte noch nicht bekannt gewesen sein. Das Vokabular für den Ackerbau und seine Organisation entstand zum größten Teil mit Sicherheit erst parallel zur Entwicklung dieser Fähigkeit. Man konnte also nicht einfach auf die Idee kommen, das Gras nicht mehr zu suchen, sondern es stattdessen zu säen, weil weder das Vokabular für diesen Denkvorgang da war, noch das Wissen um die Zusammenhänge.
Die Einwände Marcellinus' sind eigentlich erst ab Newton wirklich passend, teilweise schon mal bei den alten Griechen, bei den Römern weiß ich es nicht.
Es gibt noch einen zweiten Grund, weshalb man die Intention bei der Evolution der Kultur nicht so hoch bewerten sollte: Der Träger der Kultur ist nicht das Individuum, sondern eine höhere Einheit die Population, kulturell definiert als Stamm? Staat? Nation? Und in dieser Ebene versetzt der intentionelle erfolgreiche Staatenführer vielleicht seine Population die Rolle eines besonderst starken Vererbers im primitivdarwinistischen Verständnis der Evolution vom Stärksten, der sich durchsetzt und macht die Sache dadurch etwas verwickelter, aber er ändert nicht wirklich was am Prinzip. | Grün eingefügt
Da tauchte der Träger der Kultur, über den Du heute etwas erbost warst, übrigens auch schon auf.
Also : Pfüat Di - bis zu einem anderen Thema
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#2039694) Verfasst am: 15.01.2016, 16:58 Titel: |
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@fwo
Ich denke, so wie du es schreibst und worauf du dich beziehst, macht das Sinn. Vielleicht ist dann der folgende Text etwas für dich:
"Die Entwicklung des Wissens hat den Charakter einer relativ autonomen Strähne innerhalb der Menschheitsentwicklung. Sie ist auf vielfältige Weise mit anderen Strähnen verflochten und interdependent, aber niemals auf sie zu reduzieren. Im Zusammenhang mit einem evolutionären Durchbruch, dem einzigartigen Durchbruch zu kortikaler Dominanz, sind die Menschen auf erlerntes Wissen angewiesen, um sich in ihrer Welt zu orientieren. Menschengruppen vom Typ homo sapiens hatten zu jeder Zeit nur dann eine Überlebenschance, wenn die jeweils gegenwärtigen Generationen von den vorangehenden einen Fundus an realitätsgerechtem Wissen erlernten, wie sehr es auch in Phantasiewissen eingebettet war. Philosophen, die darüber nachdenken, ob Erkenntnisse je realitätsgerecht oder, wie man es früher ausdrückte, »wahr« sein können, mögen sich die Frage vorlegen, ob die Menschen, in ihrer völligen Abhängigkeit von erlerntem Wissen als Orientierungsmittel, überhaupt hätten überleben können, wenn sie nicht von ihren Müttern und Vätern immer aufs neue ein Gutteil »wahres«, also wirklichkeitskongruentes Wissen übernommen hätten. Die Antwort auf diese Frage ist Nein. Man kann mit Zuversicht sagen, dass nur diejenigen Menschengruppen überlebten, die einen ausreichenden Fundus an realitätsgerechten Symbolen besaßen. Ohne ihn wären sie nicht einmal in der Lage gewesen, ihre Nahrung zu finden; sie hätten sich nicht vor Tieren und vor anderen Menschengruppen zu schützen vermocht. ..."
Aus: Norbert Elias: Über die Natur.
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Friedrich Nietzsche
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smallie resistent!?
Anmeldungsdatum: 02.04.2010 Beiträge: 3726
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(#2039730) Verfasst am: 15.01.2016, 23:39 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | smallie hat folgendes geschrieben: |
Meine Motivation war der Arno Gebauerschen Fundamentalverdammung von Religion etwas entgegenzusetzen. Denn darwinistisch betrachtet müssen Religionen ihren Trägern Nutzen bringen, sonst wären sie beim "survival of the fittest" bereits ausgestorben.
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Sagt dir das Stichwort "adaptive Wahnsysteme" etwas? |
Weiß nicht genau. Aber lieber ein "adaptives Wahnsystem" als ein starres. Schon alleine der Begriff "adaptiv" ergibt nur in einem darwinistischem Rahmen irgend einen Sinn.
Wenn es sich bei Religionen nur um Wahnsysteme handelte, warum findet sich dann in allen Religionen die Goldene Regel? Mag sein, daß das im Rahmen einer wahnhaften Idee begründet wird, das schmälert aber den Wert den praktischen Kernerkenntnis nicht.
Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Religionen bringen ihren Trägern ungefähr soviele Vorteile wie Monarchien ihren Anhängern. |
Ich bitte um etwas Geduld, dann werde ich die Zahlen von Michael Blume nachreichen.
Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Monarchien waren Jahrtausende lang die verbreitetste Herrschaftsform. Sie wurden mit Gewalt zusammengehalten und brachten den größten Nutzen, welch Wunder, dem Monarchen. Heute sind sie im wesentlichen eine sentimentale Erinnerung. |
Das kommt nicht ganz hin. Kurzer Exkurs in die Geschichte. Vergleiche die parlamentarische Monarchie englischer Prägung mit der französischen absoluten Monarchie.
Die Angelsachsen hatten die Magna Charta und die Briten später die Bill of Rights.
In beiden Fällen wurde die Macht des Königs beschnitten, erst zu Gunsten des Adels, später zugunsten des Parlamentes. Kurz: man war anpassungsfähig und konnte so eine gewisse Restmacht erhalten. In Frankreich hingegen ist die Lage eskaliert, das hat König und Adel den Kopf gekostet.
Ist es zu weit hergeholt, hier von einer "Evolution der Monarchie" zu sprechen?
Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Religionen waren Jahrtausende lang, und sind in manchen Gegenden bis heute, die verbreitetste Weltanschauung. Die meisten der heute noch existierenden Religionen wurden mit Gewalt verbreitet, und eigneten sich hervorragend, um Hierarchien zu rechtfertigen, geistliche wie weltliche. |
Mit anderen Worten: die heute noch existierende Religionen haben in einem durchaus sozialdarwinistischem Vorgang die weniger "fitten" Religionen vernichtet.
Wenn die Katholiken die Katharer ausradieren, ist dann die Religion an sich schuld, oder sind es die Katholiken, die ihre Religion mißbrauchen, oder sind es die Katharer, die den dummen Spruch vom "auch die andere Wange hinhalten" zu wörtlich genommen haben?
Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Den größten Nutzen brachten und bringen sie bis heute den Priestern und Schamanen. Nach dem Nutzen für die einzelnen Gläubigen wurde eher nicht gefragt, im Gegenteil. Wer nicht mitmachen wollte, hatte ein Problem. |
Das ist die Dawkinssche Sicht von Religion als parasitärem Mem. Das mag in Einzelfällen so zutreffen. Langfristig ist das keine erfolgreiche Strategie.
Wie ordnest du die Reformation ein? Die Evangelischen haben ein etwas anderes Verständnis vom Priestertum. Wie auch immer, ich denke die Reformation hat das geistige Klima in Europa geschaffen, in dem auch vormals ketzerische Thesen verbreitet werden konnten. So gesehen haben wir die Aufklärung einer religiösen Gegenbewegung zu verdanken.
Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Heute sind die gewalttätigen Machtmittel der Kirchen weniger geworden, aber von Freiwilligkeit kann immer noch keine Rede sein. Sonst hätte man es nicht nötig, schon ummündige Kinder damit zu traktieren. Und wie damals betätigen sich die Religionen immer noch als Stütze bestimmter Machtgruppen, wesentlich indem sie sich der Verdummung der Menschen widmen. Und sie leben nicht schlecht davon. |
Verstehe ich nicht.
Welche Machtmittel hat die Kirche, wenn ich mein Kind nicht taufen lasse?
Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Soviel zu den Gründen für das "Überleben" sozialer Organisationen. Was du natürlich nicht verstehst, wenn du es aus der Perspektive eines einzelnen Menschen siehst. Menschen gibt es nun mal nur im Plural. |
Versteh' ich auch nicht.
Oft genug habe ich Altruismus und Kooperation erwähnt. Noch öfter "sozial" und "Kultur". All diese Begriffe haben den Plural bereits eingebaut.
_________________ "There are two hard things in computer science: cache invalidation, naming things, and off-by-one errors."
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26441
Wohnort: im Speckgürtel
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(#2039750) Verfasst am: 16.01.2016, 12:42 Titel: |
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zelig hat folgendes geschrieben: | Zur Sache. Wenn danach gefragt wird, wo die "Verwässerung" liege.
Der Erfolg der Evolutionstheorie basiert ua auf der Erklärbarkeit der biochemischen Replikationsmechamismen. Soweit ich die Argumentation, gegen die ich mich wenden würde, richtig verstehe, entsteht bei der Analogisierung von kultureller Weitergabe ("Replikation" ist kein passender Begriff im kulturellen Kontext, da mit ihm nach meinem Gefühl ein physischer Mechanismus mitgedacht wird) genau an diesem Punkt jedoch eine Erklärungslücke. Es gibt keinen uns bekannten biochemischen Träger für Wissen (ist das OK, wenn wir uns auf "Wissen" einigen?) wie die DNA/RNA, der zugleich Weitergabe, Varietät, Konstanz und Änderung über die Zeit gewährleistet. Alleine schon das Fehlen dieses Trägers verhindert eine Analogisierung. Daher stellt die Übertragung der Evolutionstheorie auf Größen wie Geschichte, Tradition, Wissen, soziale Verbände, sowie die Inhalte, die sie Transportieren können, eine Verwässerung dar.
Und da ist es tatsächlich meine Vorstellung, daß die Idee vom Mem genau die Funktion hat, die Erklärungslücke, die der Mangel eines entsprechenden Trägers bedeutet, intuitiv zu überbrücken. Ein Mem soll das Pendant zum Gen sein. Daß ihr an das Konzept nicht glaubt, war mir nicht klar. |
Vorwort: Ich vertrete hier keine offizielle Lehrmeinung, sondern meine, das will ich auch beibehalten, auch wenn smallie gesagt hat, die stimme mit der Lehrmeinung überein. Das betrachte ich jetzt einfach als einen Zufall, der mir zwar schmeichelt, aber sonst nicht interessiert. Smallie wird mich dann anschließend aus Sicht der aktuellen Wissenschaft korrigieren.
Was ich hier geschrieben habe, geht im Grunde genommen auf ein paar Überlegungen in den 80ern zurück, als im Spektrum der Wissenschaften ein Programm vorgestellt wurde, das der Autor "Spiel des Lebens" nannte, ein simples Räuber-Beute-System bei dem man die wechselnden Verteilungsmuster auf dem Bildschirm sehen konnte. Das war hübsch, aber ich wollte Evolution sehen und habe mir Gedanken gemacht, was ich für eine Welt schaffen müsste, um einer Evolution zusehen zu können.
Die Gedankenlinie war ganz schlicht: eine endliche Welt, in der irgend ein Eumel existiert, der sich selbst repliziert. Irgendwann ist die Welt dann voll und fertig. Reicht also nicht. Ich brauche noch einen Tod, um Platz für neue zu machen. Ich brauche bei der Vermehrung unregelmäßige zufällige Veränderungen in den Eigenschaften, und ich brauche eine irgendwie hergestellte Selektion, die zu einem unterschiedlichen Vermehrungserfolg der verschiedenen sich ergebenden Kopierlinien führt. Um eine Selektion einfach simululieren zu können, reicht es, im Falle einer "Mutation" (veränderte Kopie) für diese neue Kopierlinie den Vermehrungserfolg (Parameter: Tochterzahl bei einer Teilung, Generationszeit) zufällig zu bestimmen.
Mehr brauche ich nicht, und was ich zu sehen kriege ist dann auch keine Evolution der Pflanzen oder Tiere, sondern eine mathematischer Objekte. Das ist in epischer Breite der Hintergrund meiner Kernaussage:
Code: | Jede sich selbst reproduzierende Struktur, die Reproduktionsfehler zu- und damit ihre Entwicklungslinie verzweigen lässt, und die mit einer Endlichkeit ihrer Ausbreitungsmöglichkeiten kämpft, erfährt zwangsläufig durch diese Randbedingungen eine evolutionäre Entwicklung.
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Ich finde, Du zäumst das Pferd vom Schwanz auf:
Die Evolutionstheorie bedarf der Erklärbarkeit durch die Biochemie nicht. Die Biochemie brauche ich nur, um das Leben und die Evolution der Biospezies dieser Erde im Detail nachzuvollziehen. Auch das Regelsystem der Biospezies ist spezifisch für eben diese, andere Spezies können komplett andere Regelsysteme haben, mit anderer Schichtenzahl und anderen Verschränkungen - alles was sie leisten müssen, ist Selbstreproduktion mit Variation.
Inwieweit eine andere betrachtete Evolution mit der der Biospezies auf der Steuerungsebene der Individuen analogisierbar ist, ist zwar interessant, aber diese Analogisierung ist nicht Voraussetzung für die Betrachtung einer Evolution.
zelig hat folgendes geschrieben: | Es gibt keinen uns bekannten biochemischen Träger für Wissen (ist das OK, wenn wir uns auf "Wissen" einigen?) wie die DNA/RNA, der zugleich Weitergabe, Varietät, Konstanz und Änderung über die Zeit gewährleistet.
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Erstmal: Du hast insofern Recht, als ich den Speicher in meinem Modell unterschlagen habe, er steckt aber implizit in der Fähigkeit zur Selbstreproduktion - die impliziert das Wissen über sich selbst.
Es gibt diesen Speicher, Du benutzt ihn gerade, während Du das liest. Die Kultur greift da auf ihre Träger zurück. Was wir für die Konstanz brauchen, ist einen angeborene Hemmung, von dem abzuweichen, was wir von unseren Eltern gelernt haben. Was wir außerdem brauchen, ist die angeborene Tendenz, unser Wissen weiterzugeben. Und was wir als drittes brauchen, ist die Erweiterbarkeit des Zeichensystems in dem wir sowohl Wahrnehmen (Denken) als auch kommunizieren. Dass diese drei Sachen funktionieren, ist seit 1000en von Jahren im ganz normalen Familienleben zu beobachten, wenn Eltern ihre Kinder lehren zu sprechen. Auch das dawkinssche "Mem" arbeitet mit diesem Speicher.
Falls Du einen etwas anderen Überblick haben willst: Wie sich das in die Gesamtevolution einpasst, habe ich hier einmal skizziert. Da wird auch klar, dass die kulturelle Evolution eine Art Fortsetzung der genetischen ist. (Wer sich in diese Diskussion einlesen will, sollte etwas fehlertolerant lesen - mir ist eben beim Überfliegen z.B. aufgefallen, dass ich einmal genetisch geschrieben habe, wo es somatisch hätte heißen müssen)
_________________ Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.
The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.
Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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zelig Kultürlich
Anmeldungsdatum: 31.03.2004 Beiträge: 25405
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(#2039754) Verfasst am: 16.01.2016, 13:18 Titel: |
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fwo hat folgendes geschrieben: | zelig hat folgendes geschrieben: | Zur Sache. Wenn danach gefragt wird, wo die "Verwässerung" liege.
Der Erfolg der Evolutionstheorie basiert ua auf der Erklärbarkeit der biochemischen Replikationsmechamismen. Soweit ich die Argumentation, gegen die ich mich wenden würde, richtig verstehe, entsteht bei der Analogisierung von kultureller Weitergabe ("Replikation" ist kein passender Begriff im kulturellen Kontext, da mit ihm nach meinem Gefühl ein physischer Mechanismus mitgedacht wird) genau an diesem Punkt jedoch eine Erklärungslücke. Es gibt keinen uns bekannten biochemischen Träger für Wissen (ist das OK, wenn wir uns auf "Wissen" einigen?) wie die DNA/RNA, der zugleich Weitergabe, Varietät, Konstanz und Änderung über die Zeit gewährleistet. Alleine schon das Fehlen dieses Trägers verhindert eine Analogisierung. Daher stellt die Übertragung der Evolutionstheorie auf Größen wie Geschichte, Tradition, Wissen, soziale Verbände, sowie die Inhalte, die sie Transportieren können, eine Verwässerung dar.
Und da ist es tatsächlich meine Vorstellung, daß die Idee vom Mem genau die Funktion hat, die Erklärungslücke, die der Mangel eines entsprechenden Trägers bedeutet, intuitiv zu überbrücken. Ein Mem soll das Pendant zum Gen sein. Daß ihr an das Konzept nicht glaubt, war mir nicht klar. |
Vorwort: Ich vertrete hier keine offizielle Lehrmeinung, sondern meine, das will ich auch beibehalten, auch wenn smallie gesagt hat, die stimme mit der Lehrmeinung überein. Das betrachte ich jetzt einfach als einen Zufall, der mir zwar schmeichelt, aber sonst nicht interessiert. Smallie wird mich dann anschließend aus Sicht der aktuellen Wissenschaft korrigieren.
Was ich hier geschrieben habe, geht im Grunde genommen auf ein paar Überlegungen in den 80ern zurück, als im Spektrum der Wissenschaften ein Programm vorgestellt wurde, das der Autor "Spiel des Lebens" nannte, ein simples Räuber-Beute-System bei dem man die wechselnden Verteilungsmuster auf dem Bildschirm sehen konnte. Das war hübsch, aber ich wollte Evolution sehen und habe mir Gedanken gemacht, was ich für eine Welt schaffen müsste, um einer Evolution zusehen zu können.
Die Gedankenlinie war ganz schlicht: eine endliche Welt, in der irgend ein Eumel existiert, der sich selbst repliziert. Irgendwann ist die Welt dann voll und fertig. Reicht also nicht. Ich brauche noch einen Tod, um Platz für neue zu machen. Ich brauche bei der Vermehrung unregelmäßige zufällige Veränderungen in den Eigenschaften, und ich brauche eine irgendwie hergestellte Selektion, die zu einem unterschiedlichen Vermehrungserfolg der verschiedenen sich ergebenden Kopierlinien führt. Um eine Selektion einfach simululieren zu können, reicht es, im Falle einer "Mutation" (veränderte Kopie) für diese neue Kopierlinie den Vermehrungserfolg (Parameter: Tochterzahl bei einer Teilung, Generationszeit) zufällig zu bestimmen.
Mehr brauche ich nicht, und was ich zu sehen kriege ist dann auch keine Evolution der Pflanzen oder Tiere, sondern eine mathematischer Objekte. Das ist in epischer Breite der Hintergrund meiner Kernaussage:
Code: | Jede sich selbst reproduzierende Struktur, die Reproduktionsfehler zu- und damit ihre Entwicklungslinie verzweigen lässt, und die mit einer Endlichkeit ihrer Ausbreitungsmöglichkeiten kämpft, erfährt zwangsläufig durch diese Randbedingungen eine evolutionäre Entwicklung.
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Ich finde, Du zäumst das Pferd vom Schwanz auf:
Die Evolutionstheorie bedarf der Erklärbarkeit durch die Biochemie nicht. Die Biochemie brauche ich nur, um das Leben und die Evolution der Biospezies dieser Erde im Detail nachzuvollziehen. Auch das Regelsystem der Biospezies ist spezifisch für eben diese, andere Spezies können komplett andere Regelsysteme haben, mit anderer Schichtenzahl und anderen Verschränkungen - alles was sie leisten müssen, ist Selbstreproduktion mit Variation.
Inwieweit eine andere betrachtete Evolution mit der der Biospezies auf der Steuerungsebene der Individuen analogisierbar ist, ist zwar interessant, aber diese Analogisierung ist nicht Voraussetzung für die Betrachtung einer Evolution.
zelig hat folgendes geschrieben: | Es gibt keinen uns bekannten biochemischen Träger für Wissen (ist das OK, wenn wir uns auf "Wissen" einigen?) wie die DNA/RNA, der zugleich Weitergabe, Varietät, Konstanz und Änderung über die Zeit gewährleistet.
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Erstmal: Du hast insofern Recht, als ich den Speicher in meinem Modell unterschlagen habe, er steckt aber implizit in der Fähigkeit zur Selbstreproduktion - die impliziert das Wissen über sich selbst.
Es gibt diesen Speicher, Du benutzt ihn gerade, während Du das liest. Die Kultur greift da auf ihre Träger zurück. Was wir für die Konstanz brauchen, ist einen angeborene Hemmung, von dem abzuweichen, was wir von unseren Eltern gelernt haben. Was wir außerdem brauchen, ist die angeborene Tendenz, unser Wissen weiterzugeben. Und was wir als drittes brauchen, ist die Erweiterbarkeit des Zeichensystems in dem wir sowohl Wahrnehmen (Denken) als auch kommunizieren. Dass diese drei Sachen funktionieren, ist seit 1000en von Jahren im ganz normalen Familienleben zu beobachten, wenn Eltern ihre Kinder lehren zu sprechen. Auch das dawkinssche "Mem" arbeitet mit diesem Speicher.
Falls Du einen etwas anderen Überblick haben willst: Wie sich das in die Gesamtevolution einpasst, habe ich hier einmal skizziert. Da wird auch klar, dass die kulturelle Evolution eine Art Fortsetzung der genetischen ist. (Wer sich in diese Diskussion einlesen will, sollte etwas fehlertolerant lesen - mir ist eben beim Überfliegen z.B. aufgefallen, dass ich einmal genetisch geschrieben habe, wo es somatisch hätte heißen müssen) |
Entschuldige bitte, wenn ich relativ kurz antworte. Ich habe Deinen ganzen Beitrag gelesen.
1. Obacht! Das Programm ist eine Simulation und nicht die Wirklichkeit selber. Dessen Parametrierung erzeugt letztlich eine Simulation einer Wirklichkeit, wie sie der Programmierer sie sich vorstellt. Und führt daher zu einer Bestätigung oder Falsifizierung eines Modells, jedoch nicht der Wirklichkeit.
2. Dem "Speicher" fehlt es an einem Analogon zum Gen. Es gibt keine biochemischen Entitäten, auch nicht im Gehirn, die der Funktionalität eines Gens entsprechen. Die biochemische Replikation hat kein Analogon zur Weitergabe von Wissen.
3. Manchmal habe ich den Eindruck, ich denke viel naturalistischer als Naturalisten. Ich kann das einfach nicht ignorieren, daß die physische Wirklichkeit kein Ding, keine Entität vorweist, die man als Mem bezeichnen könnte, wie man das Ding bezeichnet, daß man Gen nennt.
4. Die Evolutionstheorie ist zwingend auf die Erklärbarkeit der biochemischen Grundlage angewiesen, wenn sie sich nicht als eine von mehreren Möglichen Anschauungen über die Entstehung der Arten, und somit des Menschen, angreifbar machen will. In dieser Hinsicht fühle ich mich wieder in Punkt 3. bestätigt.
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#2039758) Verfasst am: 16.01.2016, 14:06 Titel: |
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smallie hat folgendes geschrieben: |
Wenn es sich bei Religionen nur um Wahnsysteme handelte, warum findet sich dann in allen Religionen die Goldene Regel? Mag sein, daß das im Rahmen einer wahnhaften Idee begründet wird, das schmälert aber den Wert den praktischen Kernerkenntnis nicht.
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Die "Goldene Regel" ist älter als die Religionen, und eine praktische Sache, wie du selbst feststellst. Das, was die Religionen "auszeichnet", was sie unterscheidet von einen praktischen Lebensstil, ist ihr illusionärer Charakter. Je ausgeprägter der ist, umso mehr haben sie übrigens gegen diese "goldene Regel" verstoßen. Wie sagte B XVI so schön: Der Glaube dürfe sich nicht in "bloßem Humanismus" erschöpfen!
smallie hat folgendes geschrieben: |
Kurzer Exkurs in die Geschichte. Vergleiche die parlamentarische Monarchie englischer Prägung mit der französischen absoluten Monarchie.
Die Angelsachsen hatten die Magna Charta und die Briten später die Bill of Rights.
In beiden Fällen wurde die Macht des Königs beschnitten, erst zu Gunsten des Adels, später zugunsten des Parlamentes. Kurz: man war anpassungsfähig und konnte so eine gewisse Restmacht erhalten. In Frankreich hingegen ist die Lage eskaliert, das hat König und Adel den Kopf gekostet.
Ist es zu weit hergeholt, hier von einer "Evolution der Monarchie" zu sprechen?
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Ja, weil man es besser als Entfunktionalisierung beschreibt. Es ist schlicht Machtverlust, bis zum heutigen Zustand wo der jeweilige König nur noch Grußaugust ist (GB, Dänemark, Schweden usw.)
smallie hat folgendes geschrieben: |
Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Religionen waren Jahrtausende lang, und sind in manchen Gegenden bis heute, die verbreitetste Weltanschauung. Die meisten der heute noch existierenden Religionen wurden mit Gewalt verbreitet, und eigneten sich hervorragend, um Hierarchien zu rechtfertigen, geistliche wie weltliche. |
Mit anderen Worten: die heute noch existierende Religionen haben in einem durchaus sozialdarwinistischem Vorgang die weniger "fitten" Religionen vernichtet.
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Wenn du das einen Vorteil nennen willst, ist es der des Diebstahls gegenüber dem Kauf. Erklären kannst du damit alles, was sich irgendwie durchgesetzt hat, auch die Ausrottung der "First Nations" in den späteren USA, rechtfertigen nichts. Daß Religionen sich nicht gegenseitig ausschließen müssen, kann man übrigens in Asien beobachten. Sozialdarwinistische Konkurrenz zwischen Weltanschauungsgemeinschaften ist also kein Naturgesetz.
smallie hat folgendes geschrieben: |
Wenn die Katholiken die Katharer ausradieren, ist dann die Religion an sich schuld, oder sind es die Katholiken, die ihre Religion mißbrauchen, oder sind es die Katharer, die den dummen Spruch vom "auch die andere Wange hinhalten" zu wörtlich genommen haben?
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"Die Religion an sich" ist eine metaphysische Fiktion, und war auch kein "Missbrauch" von Religion, wenn man sie als Begründung für Mord und Totschlag verwendete, sondern die über die längste Zeit der monotheistischen Religionen geübte Praxis, die "Einheit im Glauben" herzustellen, immerhin Vorgänge, denen das Christentum seine bis heute andauernde Machtposition verdankt (what's left of it).
smallie hat folgendes geschrieben: |
Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Den größten Nutzen brachten und bringen sie bis heute den Priestern und Schamanen. Nach dem Nutzen für die einzelnen Gläubigen wurde eher nicht gefragt, im Gegenteil. Wer nicht mitmachen wollte, hatte ein Problem. |
Das ist die Dawkinssche Sicht von Religion als parasitärem Mem. Das mag in Einzelfällen so zutreffen. Langfristig ist das keine erfolgreiche Strategie.
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Langfristig ist Religion selbst keine erfolgreiche Strategie. Alle Religionen (bis auf die, die heute noch existieren, und da ist es auch nur eine Frage der Zeit) sind wesentlich an ihren eigenen Widersprüchen zugrunde gegangen. Der Grund ist ganz einfach: Religionen sind organisierte Illusionssysteme, Systeme zu systematischen Leugnung der Wirklichkeit, womit sie zwangsläufig an genau der Wirklichkeit scheitern. Haben sie übrigens mit anderen Ideologien gemeinsam.
Selbst eine so gut organisierte Kirche wie die RKK ist gezwungen, ihren "Kirchenstaat" sukzessive zu demontieren, um wenigsten noch einen Rest privilegierter Positionen zu erhalten. Religiöse Regimes wie im Iran oder in Saudi-Arabien halten sich dagegen nur noch mit schierer Gewalt.
smallie hat folgendes geschrieben: |
Wie ordnest du die Reformation ein? Die Evangelischen haben ein etwas anderes Verständnis vom Priestertum. Wie auch immer, ich denke die Reformation hat das geistige Klima in Europa geschaffen, in dem auch vormals ketzerische Thesen verbreitet werden konnten. So gesehen haben wir die Aufklärung einer religiösen Gegenbewegung zu verdanken.
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Die Reformation war ein Teil des Prozesses der Entmonopolisierung kirchlicher Herrschaft. Die später katholisch genannte Kirche verlor damit das Monopol auf die Interpretation des christlichen Glaubens in Europa. Verlor sie übrigens an eine Konfession, (man denke nur an Luther und das Tintenfass), die durchaus im Anfang obskurer war als die katholische. Die Hexenverfolgungen waren in protestantischen Gebiete nicht selten heftiger als in katholischen und in rein katholischen gab es sie fast gar nicht.
Erst auf lange Sicht führte die Aufspaltung in unterschiedliche Konfessionen und der geringere Zugriff, den die evangelische Geistlichkeit auf ihre "Schäfchen" hatte, zu intellektuellen Spielräumen, die auch die Aufklärung begünstigten. Ein "Verdienst" der Reformation ist das nur insofern, als sie die monopolistische Vorherrschaft der KK beendete. Die "Freiheit eines Christenmenschen" meinte ursprünglich Glaubensfreiheit, nicht Freiheit vom Glauben.
smallie hat folgendes geschrieben: |
Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Heute sind die gewalttätigen Machtmittel der Kirchen weniger geworden, aber von Freiwilligkeit kann immer noch keine Rede sein. Sonst hätte man es nicht nötig, schon ummündige Kinder damit zu traktieren. Und wie damals betätigen sich die Religionen immer noch als Stütze bestimmter Machtgruppen, wesentlich indem sie sich der Verdummung der Menschen widmen. Und sie leben nicht schlecht davon. |
Verstehe ich nicht. |
Was ist zwangsverordneter, konfessioneller Religionsunterricht anderes als der, zum Glück nicht immer erfolgreiche, Versuch, unmündige Kinder dumm zu halten, um ihnen das eigene Fantasiegebilde aufzuschwatzen, etwas, das sie bei Erwachsenen nicht nur schon lange nicht mehr schaffen, sondern sich offenbar auch nicht mehr zutrauen? Im Kern ist es geistige Kindesmisshandlung.
smallie hat folgendes geschrieben: |
Welche Machtmittel hat die Kirche, wenn ich mein Kind nicht taufen lasse?
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Hast du ungetaufte Kinder? Hast du auf dem Lande mal einen konfessionsfreien Kindergarten gesucht?
_________________ "Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."
Friedrich Nietzsche
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