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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44650
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(#275579) Verfasst am: 20.03.2005, 10:00 Titel: |
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Nagarjuna hat folgendes geschrieben: | Das folgt nicht aus der Theodizee. |
Ich weiss das. Aber es gibt Leute, die so argumentieren.
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
Zuletzt bearbeitet von Tarvoc am 20.03.2005, 10:02, insgesamt 2-mal bearbeitet |
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#275580) Verfasst am: 20.03.2005, 10:01 Titel: |
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Nagarjuna hat folgendes geschrieben: | Tarvoc hat folgendes geschrieben: | "Wenn die Theodizee zutrifft, kann Gott nicht gütig sein, und dann muss man ihm mit allen Mitteln Widerstand leisten". |
Das folgt nicht aus der Theodizee. Wenn die Theodizee zutrifft, dann ist Gott nicht gleichzeitig allgütig, allmächtig und allwissend. Gott könnte also auch nicht allmächtig oder nicht allwissend sein (alle Kombinationen sind möglich). |
genau. Die Theodizee ist kein Problem für 'Götter an sich', sondern nur für bestimmte Eigenschafts_kombinationen_.
Interessanterweise schon älter als das Christentum.
_________________ Ein seliges und unvergängliches Wesen (die Gottheit) trägt weder selbst Mühsal, noch belädt es ein anderes Wesen damit. Darum kennt es weder Zorn noch Wohlwollen. Dergleichen gibt es nur bei einem schwachen Wesen. (Epikur)
Der Christengott ist immens schwach!
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#275587) Verfasst am: 20.03.2005, 10:08 Titel: Re: Ignostizismus bzw. Apatheismus |
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Othilic hat folgendes geschrieben: | Ich denke eher, daß es viel zu wenig Begriffe gibt. Auch dann, wenn man außer Acht läßt, daß es verschiedene Götter geben könnte und sich nur auf den Gott des Christentums konzentriert, gibt es mindestens drei verschiedene Dimensionen des "Verhältnisses, was jemand zu Gott hat":
1. Glaubt man an Gott?
2. Ist man sich wirklich sicher, daß Gott existiert/nicht existiert?
3. Lebt man so, als ob es Gott gäbe?
Total vereinfacht gesagt:
Atheist wäre: Nein / Ja/ Nein
Agnostiker: Nein / Nein /Nein |
wie ich schon darauf hinwies, ist das eine Trennung in ???, epistemisch und pragmatisch.
Agnostizismus ist eine _epistemische_ Position. Man kann problemlos atheistisch leben, aber epistemisch agnostisch argumentieren. Das ist letztendlich eine _ontische_ Frage.
Interessanterweise kann man sich auch als Agnostiker eine Ontologie basteln, in der kein Gott vorkommt, _wenn_ man 'Ontologie' im Sinne von Mahner / Bunge verwendet: nicht, wie in der Philosophie eher üblich als _begründete_ (primäre) Seinslehre, sondern als sekundäres Ergebnis der Überlegungen, wie eine Welt beschaffen sein müsste, die sich nach unserer Methodologie richtet.
_Ob_ uns 'die Welt' diesen Gefallen tut? AFAIK ist noch niemand etwas dazu eingefallen, das den Rest der Menschheit überzeugt hätte.
_________________ Ein seliges und unvergängliches Wesen (die Gottheit) trägt weder selbst Mühsal, noch belädt es ein anderes Wesen damit. Darum kennt es weder Zorn noch Wohlwollen. Dergleichen gibt es nur bei einem schwachen Wesen. (Epikur)
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pyrrhon registrierter User
Anmeldungsdatum: 22.05.2004 Beiträge: 8770
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(#275589) Verfasst am: 20.03.2005, 10:14 Titel: |
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El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Die Theodizee ist kein Problem für 'Götter an sich', sondern nur für bestimmte Eigenschafts_kombinationen_.
Interessanterweise schon älter als das Christentum. |
Ja, ich erinnere mich, die Theodizee auch bei Epikur gelesen zu haben. Es gibt sicher auch noch andere, die sie viel früher beschrieben.
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Othilic Gast
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(#275590) Verfasst am: 20.03.2005, 10:17 Titel: Re: Ignostizismus bzw. Apatheismus |
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El Schwalmo hat folgendes geschrieben: |
...
Interessanterweise kann man sich auch als Agnostiker eine Ontologie basteln, in der kein Gott vorkommt, _wenn_ man 'Ontologie' im Sinne von Mahner / Bunge verwendet: nicht, wie in der Philosophie eher üblich als _begründete_ (primäre) Seinslehre, sondern als sekundäres Ergebnis der Überlegungen, wie eine Welt beschaffen sein müsste, die sich nach unserer Methodologie richtet.
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Könntest Du das genauer erklären? (Ist keine Kritik, verstehe ich nur nicht)
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#275593) Verfasst am: 20.03.2005, 10:32 Titel: Re: Ignostizismus bzw. Apatheismus |
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Othilic hat folgendes geschrieben: | El Schwalmo hat folgendes geschrieben: |
...
Interessanterweise kann man sich auch als Agnostiker eine Ontologie basteln, in der kein Gott vorkommt, _wenn_ man 'Ontologie' im Sinne von Mahner / Bunge verwendet: nicht, wie in der Philosophie eher üblich als _begründete_ (primäre) Seinslehre, sondern als sekundäres Ergebnis der Überlegungen, wie eine Welt beschaffen sein müsste, die sich nach unserer Methodologie richtet.
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Könntest Du das genauer erklären? (Ist keine Kritik, verstehe ich nur nicht) |
es gibt Philosophen, die gehen von der Frage 'Warum ist Seiendes und nicht vielmehr Nichts' aus, überlegen sich dann, was das 'Sein des Seienden' ist und verkaufen das dann als Ontologie. Die ist dann sozusagen primär: der Rahmen, in dem sich alles abspielt. Diese Ontologie ist dann das Fundament unseres Weltbilds.
Man kann das auch anders herum machen: überlegen, wie wir überhaupt zu intersubjektiv gültigem Wissen (unter der Prämisse, dass bisher noch niemand zeigen konnte, dass es, zumindest im Bereich der Naturwissenschaften, so etwas wie sicheres Wissen geben kann) gelangen. Das ist zunächst eine _methodologische_ Fragen. Dann kann man sich überlegen, mit welchen Entitäten man 'die Welt' bevölkern muss, damit die so funktioniert, wie es unsere Methodologie erfordert. Diese Ontologie ist dann sozusagen sekundär und erhebt bei weitem nicht den Anspruch, den die obige Auffassung von Ontologie vertritt.
_________________ Ein seliges und unvergängliches Wesen (die Gottheit) trägt weder selbst Mühsal, noch belädt es ein anderes Wesen damit. Darum kennt es weder Zorn noch Wohlwollen. Dergleichen gibt es nur bei einem schwachen Wesen. (Epikur)
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Othilic Gast
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(#275594) Verfasst am: 20.03.2005, 10:33 Titel: Re: Ignostizismus bzw. Apatheismus |
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El Schwalmo hat folgendes geschrieben: |
wie ich schon darauf hinwies, ist das eine Trennung in ???, epistemisch und pragmatisch.
Agnostizismus ist eine _epistemische_ Position.
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Nicht nur, denke ich. Jedenfalls ist die Position, die ich oben anführte: "Ich sehe keinen Grund, zu glauben und habe kein Mittel, zu widerlegen", (wie ich dem "The Cambridge Dictionary of Phyilosophy" entnahm, war das die Position desjenigen, der den Begriff Agnostizismus geprägt hat) nicht nur epistemisch sondern auch "???".
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#275598) Verfasst am: 20.03.2005, 10:59 Titel: Re: Ignostizismus bzw. Apatheismus |
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Othilic hat folgendes geschrieben: | El Schwalmo hat folgendes geschrieben: |
wie ich schon darauf hinwies, ist das eine Trennung in ???, epistemisch und pragmatisch.
Agnostizismus ist eine _epistemische_ Position.
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Nicht nur, denke ich. |
ich hätte _heute_ dazu schreiben sollen.
Othilic hat folgendes geschrieben: | Jedenfalls ist die Position, die ich oben anführte: "Ich sehe keinen Grund, zu glauben und habe kein Mittel, zu widerlegen", (wie ich dem "The Cambridge Dictionary of Phyilosophy" entnahm, war das die Position desjenigen, der den Begriff Agnostizismus geprägt hat) nicht nur epistemisch sondern auch "???". |
Der 'locus classicus' scheint
<cite thomas-henry-huxley-and-agnosticism>
When I reached intellectual maturity, and began to ask myself whether I was an atheist, a theist or a pantheist, a materialist or an idealist, a Christian or a freethinker, I found that the more I learned and reflected, the less ready was the answer. The one thing on which most of these good people were agreed was the one thing in which I differed from them. They were quite sure they had attained a certain ' gnosis '—had more or less successfully, solved the problem of existence; while I was quite sure that I had not, and had a pretty strong conviction that the problem was insoluble.
</cite>
zu sein (wenn man sich ein wenig in die Literatur wühlt wird die Sache natürlich etwas komplexer).
Ich sehe darin eine _epistemische_ Position.
_________________ Ein seliges und unvergängliches Wesen (die Gottheit) trägt weder selbst Mühsal, noch belädt es ein anderes Wesen damit. Darum kennt es weder Zorn noch Wohlwollen. Dergleichen gibt es nur bei einem schwachen Wesen. (Epikur)
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Othilic Gast
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(#275600) Verfasst am: 20.03.2005, 11:03 Titel: Re: Ignostizismus bzw. Apatheismus |
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El Schwalmo hat folgendes geschrieben: |
Man kann das auch anders herum machen: überlegen, wie wir überhaupt zu intersubjektiv gültigem Wissen (unter der Prämisse, dass bisher noch niemand zeigen konnte, dass es, zumindest im Bereich der Naturwissenschaften, so etwas wie sicheres Wissen geben kann) gelangen. Das ist zunächst eine _methodologische_ Fragen. Dann kann man sich überlegen, mit welchen Entitäten man 'die Welt' bevölkern muss, damit die so funktioniert, wie es unsere Methodologie erfordert. Diese Ontologie ist dann sozusagen sekundär und erhebt bei weitem nicht den Anspruch, den die obige Auffassung von Ontologie vertritt. |
Hmmm, habe ich wohl immer noch nicht so ganz verstanden. Ist die Frage, wie wir überhaupt zu intersubjektiv gültigem Wissen kommen, nicht auch eine erkenntnistheoretische Frage? Und damit die sekundäre Ontologie ein "Abfallprodukt" der Erkenntnistheorie? Ich dachte, eine Ontologie solle gerade das nicht sein?
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#275604) Verfasst am: 20.03.2005, 11:13 Titel: Re: Ignostizismus bzw. Apatheismus |
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Othilic hat folgendes geschrieben: | El Schwalmo hat folgendes geschrieben: |
Man kann das auch anders herum machen: überlegen, wie wir überhaupt zu intersubjektiv gültigem Wissen (unter der Prämisse, dass bisher noch niemand zeigen konnte, dass es, zumindest im Bereich der Naturwissenschaften, so etwas wie sicheres Wissen geben kann) gelangen. Das ist zunächst eine _methodologische_ Fragen. Dann kann man sich überlegen, mit welchen Entitäten man 'die Welt' bevölkern muss, damit die so funktioniert, wie es unsere Methodologie erfordert. Diese Ontologie ist dann sozusagen sekundär und erhebt bei weitem nicht den Anspruch, den die obige Auffassung von Ontologie vertritt. |
Hmmm, habe ich wohl immer noch nicht so ganz verstanden. Ist die Frage, wie wir überhaupt zu intersubjektiv gültigem Wissen kommen, nicht auch eine erkenntnistheoretische Frage? |
selbstverständlich. In dem geschilderten Weltbild gibt es eine _Methode_, die zu dem sichersten (aber nicht sicheren) Wissen führt, das uns Sterblichen vergönnt wird. Das ist eine _epistemische_ betrachtung.
Othilic hat folgendes geschrieben: | Und damit die sekundäre Ontologie ein "Abfallprodukt" der Erkenntnistheorie? |
Eher der _Methodologie_. Letztenlich beruht das darauf, dass man techne mit episteme gleichgesetzt hat. Das führt trivialerweise dazu, dass die Theorien 'stimmen'. Schon die Epistemologie ist hier sekundär.
Othilic hat folgendes geschrieben: | Ich dachte, eine Ontologie solle gerade das nicht sein? |
Ich hätte 'Ontologie' jeweils in Gänsefüßchen setzen müssen. Die _klassische_ Ontologie erhebt den Anspruch, den Du vermutlich unterstellst. Die 'Ontologie', die ich vorgestellt habe, unterscheidet sich von dieser in sehr wesentlichen Punkten.
Letztendlich läuft es darauf hinaus, ob man durch 'reines Denken' oder auch nur 'Logik' zu gültigen Erkenntnissen über 'die Welt' gelangen kann. Ich behaupte, dass das nicht der Fall ist, genauer, dass die Kunst nicht darin besteht, 'wahre' Aussagen zu formulieren, sondern zu _zeigen_, dass sie das sind. Letzteres scheint mir nicht möglich zu sein. Man gelangt bestenfalls zu intersubjektiven zeitkernigen Gültigkeiten. Aber das reicht vollkommen für alle Belange des Alltags.
_________________ Ein seliges und unvergängliches Wesen (die Gottheit) trägt weder selbst Mühsal, noch belädt es ein anderes Wesen damit. Darum kennt es weder Zorn noch Wohlwollen. Dergleichen gibt es nur bei einem schwachen Wesen. (Epikur)
Der Christengott ist immens schwach!
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44650
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(#275614) Verfasst am: 20.03.2005, 11:44 Titel: Re: Ignostizismus bzw. Apatheismus |
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El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Ich behaupte, dass das nicht der Fall ist, genauer, dass die Kunst nicht darin besteht, 'wahre' Aussagen zu formulieren, sondern zu _zeigen_, dass sie das sind. Letzteres scheint mir nicht möglich zu sein. |
Na! Also ich lese gerade Karl R. Poppers "Die Suche nach einer besseren Welt", und ich würde da genau wie er zwischen "Wahrheit" und "Gewissheit" unterscheiden.
Dass nach unserem heutigen Erkenntnisstand Information nicht schneller als mit Lichtgeschwindigkeit übertragen werden kann, ist wahr. Es ist jedoch wohl kaum gewiss im Sinne von "ewig gültig" - eben aufgrund der Einschränkung "nach unserem heutigen Erkenntnisstand". Wenn wir ein Phänomen beobachten, wo Information schneller als mit Lichtgeschwindigkeit übertragen werden kann, dann ist es nicht mehr wahr. Es ist m.E. auch fraglich, ob die Betrachtung von "Wahrheit" als statische Größe wirklich Sinn macht.
Oder habe ich da Popper ganz falsch verstanden?
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#275615) Verfasst am: 20.03.2005, 11:58 Titel: Re: Ignostizismus bzw. Apatheismus |
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Tarvoc hat folgendes geschrieben: | El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Ich behaupte, dass das nicht der Fall ist, genauer, dass die Kunst nicht darin besteht, 'wahre' Aussagen zu formulieren, sondern zu _zeigen_, dass sie das sind. Letzteres scheint mir nicht möglich zu sein. |
Na! ;) Also ich lese gerade Karl R. Poppers "Die Suche nach einer besseren Welt", und ich würde da genau wie er zwischen "Wahrheit" und "Gewissheit" unterscheiden.
Dass nach unserem heutigen Erkenntnisstand Information nicht schneller als mit Lichtgeschwindigkeit übertragen werden kann, ist wahr. |
in meiner Terminologie ist das 'zeitkernig gültig'. 'Wahr' ist für mich eine Aussage, die sich nie mehr ändern wird.
Tarvoc hat folgendes geschrieben: | Es ist jedoch wohl kaum gewiss im Sinne von "ewig gültig" - eben aufgrund der Einschränkung "nach unserem heutigen Erkenntnisstand". |
Genau das möchte ich mit _zeitkernig_ zum Ausdruck bringen. Ich kenne den Unterschied 'wahr' - 'gewiss' aber in einer anderen Konnotation: 'objektiv wahr' vs. 'subjektives Empfinden', das scheint mir etwas anders zu sein als die von Dir (Popper?) gemachte Differenz. Der Zusammenhang zwischen beiden Qualifizierungen ist eher zufällig: für viele Menschen sind bestimmte Aussagen 'gewiss', niemand wird zeigen können, dass sie 'wahr' sind.
Tarvoc hat folgendes geschrieben: | Wenn wir ein Phänomen beobachten, wo Information schneller als mit Lichtgeschwindigkeit übertragen werden kann, dann ist es nicht mehr wahr. Es ist m.E. auch fraglich, ob die Betrachtung von "Wahrheit" als statische Größe wirklich Sinn macht. |
Innerhalb _analytischer_ Systeme macht der Begriff 'wahr' durchaus Sinn. Wenn Du 'Winkel', 'eben', 'Dreieck' etc. in der üblichen Definition verwendest, ist der Satz 'Die Winkelsumme im ebenen Dreieck beträgt 180 Grad' durchaus wahr, denn er kann sich nie mehr ändern (_in_ diesem System). Sobald aber Empirie ins Spiel kommt, ist das nicht mehr der Fall, zumindest können wir nicht zeigen, dass das nicht der Fall sein wird.
Tarvoc hat folgendes geschrieben: | Oder habe ich da Popper ganz falsch verstanden? |
Ich bin mir nicht so ganz sicher. Ich bin kein Experte für Popper. AFAIK hat er sich lange Zeit so geäußert, dass er davon ausgeht, dass es eine Warheits_annäherung_ durch die hypothetico-deduktive Methode gibt. Später solle er dann erkannt haben, dass selbst das nicht aufweisbar ist. Letztendlich beruht das darauf, ob man Abbild-Theorien anerkennt (also eine wie auch immer verpackte 'adaequatio-These' seligen Angedenkens). Popper bezieht sich explizit auf Tarski. Ich gehe davon aus, dass Klaus-Peter Dir das kompetenter erklären kann als ich.
_________________ Ein seliges und unvergängliches Wesen (die Gottheit) trägt weder selbst Mühsal, noch belädt es ein anderes Wesen damit. Darum kennt es weder Zorn noch Wohlwollen. Dergleichen gibt es nur bei einem schwachen Wesen. (Epikur)
Der Christengott ist immens schwach!
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Othilic Gast
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(#275616) Verfasst am: 20.03.2005, 12:03 Titel: Re: Ignostizismus bzw. Apatheismus |
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El Schwalmo hat folgendes geschrieben: |
Letztendlich läuft es darauf hinaus, ob man durch 'reines Denken' oder auch nur 'Logik' zu gültigen Erkenntnissen über 'die Welt' gelangen kann. Ich behaupte, dass das nicht der Fall ist, genauer, dass die Kunst nicht darin besteht, 'wahre' Aussagen zu formulieren, sondern zu _zeigen_, dass sie das sind. Letzteres scheint mir nicht möglich zu sein. Man gelangt bestenfalls zu intersubjektiven zeitkernigen Gültigkeiten. Aber das reicht vollkommen für alle Belange des Alltags. |
Meinst Du mit dem "zeigen" sozusagen das Verankern der Axiome in der "Realität"? Dann stimme ich Dir zu, daß das nicht möglich ist. Und Dein Mißtrauen der reinen Logik gegenüber teile ich.
(das Wort "zeitkernig" kenne ich nicht)
El Schwalmo hat folgendes geschrieben: |
Ich hätte 'Ontologie' jeweils in Gänsefüßchen setzen müssen. Die _klassische_ Ontologie erhebt den Anspruch, den Du vermutlich unterstellst. Die 'Ontologie', die ich vorgestellt habe, unterscheidet sich von dieser in sehr wesentlichen Punkten.
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Okay, dann habe ich sekundäre "Ontologie" verstanden
Dann machen wir uns mal an die Frage, ob Agnostizismus im Sinne des Erfinders nur eine epistemische Position ist:
El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Huxley hat folgendes geschrieben: |
They were quite sure they had attained a certain ' gnosis '—had more or less successfully, solved the problem of existence; while I was quite sure that I had not, and had a pretty strong conviction that the problem was insoluble
|
Ich sehe darin eine _epistemische_ Position.
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Ja, ich auch. Der Vollständigkeit halber lege ich Dir mal das Huxley-Zitat aus meinem schlauen Wörterbuch vor
Huxley hat folgendes geschrieben: |
I see no reason for believing it but on the other hand I have no means of disproving it
|
und behaupte, daß "means of disproving" ein erkenntnistheoretischer, "reason for believing" aber viel eher (nicht ganz) ein ontologischer Begriff ist.
Da das sich-gegenseitig-Zitate-vorlegen-und-interpretieren aber wohl nicht wirklich weiter führen würde, und "Agnostizismus" ja wirklich ein schwammiger Begriff geworden ist, kann ich nichts dagegen einwenden, wenn Du sagst "Agnostizismus ist eine epistemische Position" , also eine Position ohne ontologische Komponente, (bzw eine Position die explizit sagt sie habe keine ontologische Aussage über Gott) und lasse mich mal darauf ein.
El Schwalmo hat folgendes geschrieben: |
Interessanterweise kann man sich auch als Agnostiker eine Ontologie basteln, in der kein Gott vorkommt
|
Hmm, ja, wenn der Agnostizismus keine ontologische Komponente bzgl Gott hat, dann kann man
konsequenterweise gar keine Ontologie haben, in der Gott irgendwie, sei es negiert oder bejaht, vorkommt. Sprich es bleibt einem Agnostiker nur so eine "sekundäre Ontologie" wie Du sie beschrieben hast.
Habe ich Dich jetzt richtig verstanden? Wenn ja, war's ein interessanter neuer Gedanke.
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#275619) Verfasst am: 20.03.2005, 12:30 Titel: Re: Ignostizismus bzw. Apatheismus |
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Othilic hat folgendes geschrieben: | El Schwalmo hat folgendes geschrieben: |
Letztendlich läuft es darauf hinaus, ob man durch 'reines Denken' oder auch nur 'Logik' zu gültigen Erkenntnissen über 'die Welt' gelangen kann. Ich behaupte, dass das nicht der Fall ist, genauer, dass die Kunst nicht darin besteht, 'wahre' Aussagen zu formulieren, sondern zu _zeigen_, dass sie das sind. Letzteres scheint mir nicht möglich zu sein. Man gelangt bestenfalls zu intersubjektiven zeitkernigen Gültigkeiten. Aber das reicht vollkommen für alle Belange des Alltags. |
Meinst Du mit dem "zeigen" sozusagen das Verankern der Axiome in der "Realität"? Dann stimme ich Dir zu, daß das nicht möglich ist. Und Dein Mißtrauen der reinen Logik gegenüber teile ich. |
schön dass wir uns hier einig sind.
Othilic hat folgendes geschrieben: | (das Wort "zeitkernig" kenne ich nicht) |
Ich muss zugeben, dass diese Terminologie meine Idiosynkrasie ist. Ich habe im UseNet mich mal eine Zeitlang mit irgendeinem Philosophen gekabbelt und im Rahmen dieser Diskussion sind wir (IIRC hat er den Begriff vorgeschlagen) auf diese Charakterisierung gekommen. Ich finde sie sehr anschaulich.
Zu jedem Zeitpunkt gibt es einen 'Stand des Wissens'. Es gab Zeiten, da war es intersubjektiv gültig, dass es keine präkambrischen Fossilien gibt oder dass Edelgase keine chemischen Verbindungen eingehen. Kann sein, dass es einen Zeitpunkt der Wissenschaftsgeschichte geben wird, zu dem gültig ist, dass die Lichtgeschwindigkeit keine absolute Grenze gibt. Das nenne ich 'zeitkernig'.
[ ... ]
Othilic hat folgendes geschrieben: | Dann machen wir uns mal an die Frage, ob Agnostizismus im Sinne des Erfinders nur eine epistemische Position ist:
El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Huxley hat folgendes geschrieben: |
They were quite sure they had attained a certain ' gnosis '—had more or less successfully, solved the problem of existence; while I was quite sure that I had not, and had a pretty strong conviction that the problem was insoluble
|
Ich sehe darin eine _epistemische_ Position.
|
Ja, ich auch. |
Wie gesagt, das scheint mir der 'locus classicus' zu sein. Ich weiß auch so in etwa, in welchem Kontext Huxley diesen Begriff prägte.
Othilic hat folgendes geschrieben: | Der Vollständigkeit halber lege ich Dir mal das Huxley-Zitat aus meinem schlauen Wörterbuch vor
Huxley hat folgendes geschrieben: |
I see no reason for believing it but on the other hand I have no means of disproving it
|
und behaupte, daß "means of disproving" ein erkenntnistheoretischer, "reason for believing" aber viel eher (nicht ganz) ein ontologischer Begriff ist. |
ACK
Othilic hat folgendes geschrieben: | Da das sich-gegenseitig-Zitate-vorlegen-und-interpretieren aber wohl nicht wirklich weiter führen würde, |
Stimmt. Da ich mich schon seit vielen Jahren heftigst mit allen möglichen Menschen angelegt habe, die irgendwie an meinem 'Agnostizismus' herumgemäkelt haben, gehe ich davon aus, dass mir die meisten Facetten dieser Diskussion vertraut sind. Schon bevor es google gab habe ich derartige Zitate gesammelt.
Othilic hat folgendes geschrieben: | und "Agnostizismus" ja wirklich ein schwammiger Begriff geworden ist, kann ich nichts dagegen einwenden, wenn Du sagst "Agnostizismus ist eine epistemische Position" , also eine Position ohne ontologische Komponente, (bzw eine Position die explizit sagt sie habe keine ontologische Aussage über Gott) und lasse mich mal darauf ein. |
Mir scheint das aber die _charakteristische_ Komponente des Agnostizismus zu sein. Es gibt atheistische und theistische (und sicher noch andere) Agnostiker, wobei sich die qualifizierenden Termini auf die pragmatische Komponente beziehen, während 'agnostisch' erkenntnistheoretisch gemeint ist, woraus gefolgert wird, dass die _ontische_ Frage, ob es einen wie auch immer gearteten Gott geben könnte oder nicht, nicht beantwortbar ist.
Natürlich kann man das nun wieder hinterfragen, indem man sagt: 'zu behaupten, dass man nichts weiß, ist Wissen'. Daher vertrete ich diese Position konsequent als _Hypothese_: ich frage nur 'zeig mir, dass es (k)einen Gott 'gibt''. Bisher hat noch kein Phiolosoph ein gültiges Argument in dieser Richtung vorgebracht. Man kann bestenfalls Gottes_bilder_ 'widerlegen', indem man Inkonsistenzen aufzeigt. Wobei natürlich sofort das Problem auftaucht, dass wir zum Argumentieren Logik _brauchen_, aber nicht zeigen können, dass sie _gilt_. Man kann dann zeigen, dass es sinnleer ist, Gott Eigenschaften zuzuschreiben, aber nicht, dass er keine hat.
Othilic hat folgendes geschrieben: | El Schwalmo hat folgendes geschrieben: |
Interessanterweise kann man sich auch als Agnostiker eine Ontologie basteln, in der kein Gott vorkommt
|
Hmm, ja, wenn der Agnostizismus keine ontologische Komponente bzgl Gott hat, dann kann man
konsequenterweise gar keine Ontologie haben, in der Gott irgendwie, sei es negiert oder bejaht, vorkommt. Sprich es bleibt einem Agnostiker nur so eine "sekundäre Ontologie" wie Du sie beschrieben hast. |
Ja.
Othilic hat folgendes geschrieben: | Habe ich Dich jetzt richtig verstanden? Wenn ja, war's ein interessanter neuer Gedanke. |
Ich denke schon. Vermutlich ist der Gedanke aber nur für Dich neu, ich habe ihn auch nur abgekupfert.
_________________ Ein seliges und unvergängliches Wesen (die Gottheit) trägt weder selbst Mühsal, noch belädt es ein anderes Wesen damit. Darum kennt es weder Zorn noch Wohlwollen. Dergleichen gibt es nur bei einem schwachen Wesen. (Epikur)
Der Christengott ist immens schwach!
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Othilic Gast
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(#275631) Verfasst am: 20.03.2005, 13:12 Titel: Re: Ignostizismus bzw. Apatheismus |
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Ja, "zeitkernig" ist wirklich eine anschauliche Neuprägung. Gefällt mir gut. Genau diese Bedeutung hatte ich vermutet, als ich es las, habe aber lieber doch noch mal nachgefragt.
Jetzt muß ich aber nochmal nachfragen: Was heißt ACK? Sowas wie ja?
El Schwalmo hat folgendes geschrieben: |
Da ich mich schon seit vielen Jahren heftigst mit allen möglichen Menschen angelegt habe, die irgendwie an meinem 'Agnostizismus' herumgemäkelt haben, gehe ich davon aus, dass mir die meisten Facetten dieser Diskussion vertraut sind.
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Mir nicht Kennst Du dann auch noch mehr Facetten der Ignostizismus-Diskussion, als Du bis jetzt in diesem Thread erwähnt hast (also daß und weshalb Du nichts von dem Begriff hältst)? Wenn ja, dann: immer her damit!
El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Othilic hat folgendes geschrieben: | und "Agnostizismus" ja wirklich ein schwammiger Begriff geworden ist, kann ich nichts dagegen einwenden, wenn Du sagst "Agnostizismus ist eine epistemische Position" , also eine Position ohne ontologische Komponente, (bzw eine Position die explizit sagt sie habe keine ontologische Aussage über Gott) und lasse mich mal darauf ein. |
Mir scheint das aber die _charakteristische_ Komponente des Agnostizismus zu sein. Es gibt atheistische und theistische (und sicher noch andere) Agnostiker, wobei sich die qualifizierenden Termini auf die pragmatische Komponente beziehen, während 'agnostisch' erkenntnistheoretisch gemeint ist, woraus gefolgert wird, dass die _ontische_ Frage, ob es einen wie auch immer gearteten Gott geben könnte oder nicht, nicht beantwortbar ist.
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Was mir gut an dem von mir angeführten Huxley-Zitat gefällt, ist ehrlich gesagt, daß es ziemlich genau auf mich zutrifft.
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#275632) Verfasst am: 20.03.2005, 13:14 Titel: Re: Ignostizismus bzw. Apatheismus |
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Also ich finde die Haltung, Epistemologie und Ontologie von Wissenschaft und Heuristik zu trennen, heutzutage nicht mehr vernünftig vertretbar.
Othilic hat folgendes geschrieben: | Ist die Frage, wie wir überhaupt zu intersubjektiv gültigem Wissen kommen, nicht auch eine erkenntnistheoretische Frage? |
Ja, und wie all xxx-theoretischen Fragen damit letztlich eine wissenschaftliche Frage, die - soweit sie aussagenlogisch Sinn macht - auch wissenschaftlich beantwortet werden kann.
El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | In dem geschilderten Weltbild gibt es eine _Methode_, die zu dem sichersten (aber nicht sicheren) Wissen führt, das uns Sterblichen vergönnt wird. Das ist eine _epistemische_ betrachtung. |
Richtig. Allerdings wird meist fälschlicherweise angenommen, epistemische Betrachtungen seien grundsätzlich anderer Natur, dabei handelt es sich nur um ein anderes Wissensgebiet.
El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Letztendlich läuft es darauf hinaus, ob man durch 'reines Denken' oder auch nur 'Logik' zu gültigen Erkenntnissen über 'die Welt' gelangen kann. Ich behaupte, dass das nicht der Fall ist, genauer, dass die Kunst nicht darin besteht, 'wahre' Aussagen zu formulieren, sondern zu _zeigen_, dass sie das sind. Letzteres scheint mir nicht möglich zu sein. Man gelangt bestenfalls zu intersubjektiven zeitkernigen Gültigkeiten. Aber das reicht vollkommen für alle Belange des Alltags. |
Letzterem stimme ich - wie Du weißt - zu. Allerdings stört mich, daß Du suggerierst, es gäbe "sonntägliche" Wahrheiten oder könnte sie zumindest geben, nur wir könnten sie nicht erkennen. Wir können aber eben nur alltäglich befinden, und deshalb sind Epistemologie und sekundäre Ontologie heutzutage - wenn man ehrlich ist - heuristische Alltagswissenschaften, während die eigentliche Ontologie sinnlos ist.
Und aus diesem Grunde ist der Agnostizismus für mich auch gar keine Position, denn er ist einfach nur _keine_ Position zu einer letztlich heuristischen Frage. Statt ...
Othilic hat folgendes geschrieben: | 1. Glaubt man an Gott?
2. Ist man sich wirklich sicher, daß Gott existiert/nicht existiert?
3. Lebt man so, als ob es Gott gäbe? |
könnte man also fragen:
1. Hält man die Behauptung, Gott X existiere, für plausibel?
Ja: X-gläubig
Nein: nicht X-gläubig (X-Atheist)
2. Hält man es für sinnvoll, ontologische Fragen (über die Heuristik hinaus) zu stellen, über Übernatürliches zu reden usw.?
Ja: irrational
Nein: rational
Wo ist jetzt hier der Agnostiker, wie ihen El Schwalmo beschreibt ? Meines Erachtens bei 1. Nein, 2. Ja.
gruß/step
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#275683) Verfasst am: 20.03.2005, 19:27 Titel: Re: Ignostizismus bzw. Apatheismus |
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Othilic hat folgendes geschrieben: | Ja, "zeitkernig" ist wirklich eine anschauliche Neuprägung. Gefällt mir gut. Genau diese Bedeutung hatte ich vermutet, als ich es las, habe aber lieber doch noch mal nachgefragt.
Jetzt muß ich aber nochmal nachfragen: Was heißt ACK? Sowas wie ja? |
acknowledged (in etwa 'okay'), Ggs.: NACK
Othilic hat folgendes geschrieben: | El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Da ich mich schon seit vielen Jahren heftigst mit allen möglichen Menschen angelegt habe, die irgendwie an meinem 'Agnostizismus' herumgemäkelt haben, gehe ich davon aus, dass mir die meisten Facetten dieser Diskussion vertraut sind.
|
Mir nicht :) Kennst Du dann auch noch mehr Facetten der Ignostizismus-Diskussion, als Du bis jetzt in diesem Thread erwähnt hast (also daß und weshalb Du nichts von dem Begriff hältst)? Wenn ja, dann: immer her damit! :) |
Nein, der Begriff 'Ignostizismus' ist mir vorher noch nicht begegnet, sorry. Ich wollte mal was Längeres über Agnostizismus auf meiner Site schreiben, aber seit 2000 bin ich nicht dazu gekommen. Schande über mein Haupt :-(
Othilic hat folgendes geschrieben: | El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Mir scheint das aber die _charakteristische_ Komponente des Agnostizismus zu sein. Es gibt atheistische und theistische (und sicher noch andere) Agnostiker, wobei sich die qualifizierenden Termini auf die pragmatische Komponente beziehen, während 'agnostisch' erkenntnistheoretisch gemeint ist, woraus gefolgert wird, dass die _ontische_ Frage, ob es einen wie auch immer gearteten Gott geben könnte oder nicht, nicht beantwortbar ist.
|
Was mir gut an dem von mir angeführten Huxley-Zitat gefällt, ist ehrlich gesagt, daß es ziemlich genau auf mich zutrifft. |
Auf mich trifft eher das zu, das ich angeführt habe ;->
_________________ Ein seliges und unvergängliches Wesen (die Gottheit) trägt weder selbst Mühsal, noch belädt es ein anderes Wesen damit. Darum kennt es weder Zorn noch Wohlwollen. Dergleichen gibt es nur bei einem schwachen Wesen. (Epikur)
Der Christengott ist immens schwach!
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#275684) Verfasst am: 20.03.2005, 19:35 Titel: Re: Ignostizismus bzw. Apatheismus |
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step hat folgendes geschrieben: | Also ich finde die Haltung, Epistemologie und Ontologie von Wissenschaft und Heuristik zu trennen, heutzutage nicht mehr vernünftig vertretbar. |
ich habe das ja nicht getan, im Gegenteil: die Ontologie, die ich vertrete ist doch _sekundär_ und basiert auf dem, was Du 'Wissenschaft' nennst.
El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Othilic hat folgendes geschrieben: | Ist die Frage, wie wir überhaupt zu intersubjektiv gültigem Wissen kommen, nicht auch eine erkenntnistheoretische Frage? |
Ja, und wie all xxx-theoretischen Fragen damit letztlich eine wissenschaftliche Frage, die - soweit sie aussagenlogisch Sinn macht - auch wissenschaftlich beantwortet werden kann. |
Die Frage ist nur, wie weit diese Methode trägt, also ob man _alles_ so erforschen kann. Hier trennen sich unsere Auffassungen.
step hat folgendes geschrieben: | In dem geschilderten Weltbild gibt es eine _Methode_, die zu dem sichersten (aber nicht sicheren) Wissen führt, das uns Sterblichen vergönnt wird. Das ist eine _epistemische_ betrachtung. |
Richtig. Allerdings wird meist fälschlicherweise angenommen, epistemische Betrachtungen seien grundsätzlich anderer Natur, dabei handelt es sich nur um ein anderes Wissensgebiet.
step hat folgendes geschrieben: | El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Letztendlich läuft es darauf hinaus, ob man durch 'reines Denken' oder auch nur 'Logik' zu gültigen Erkenntnissen über 'die Welt' gelangen kann. Ich behaupte, dass das nicht der Fall ist, genauer, dass die Kunst nicht darin besteht, 'wahre' Aussagen zu formulieren, sondern zu _zeigen_, dass sie das sind. Letzteres scheint mir nicht möglich zu sein. Man gelangt bestenfalls zu intersubjektiven zeitkernigen Gültigkeiten. Aber das reicht vollkommen für alle Belange des Alltags. |
Letzterem stimme ich - wie Du weißt - zu. Allerdings stört mich, daß Du suggerierst, es gäbe "sonntägliche" Wahrheiten |
Das suggeriere ich nicht, in meinem Weltbild spricht nichts dagegen.
step hat folgendes geschrieben: | oder könnte sie zumindest geben, nur wir könnten sie nicht erkennen. Wir können aber eben nur alltäglich befinden, und deshalb sind Epistemologie und sekundäre Ontologie heutzutage - wenn man ehrlich ist - heuristische Alltagswissenschaften, während die eigentliche Ontologie sinnlos ist. |
Darüber waren wir uns IIRC schon einig. Mein Punkt ist nur, dass über Eigenschaften bzw. Existenz einer Entitiät, die mit unseren _Methoden_ nicht fassbar ist, nichts ausgesagt werden kann. Weder positiv noch negativ. Allerdings hat der, der eine Aussage macht, die Beweislast.
step hat folgendes geschrieben: | Und aus diesem Grunde ist der Agnostizismus für mich auch gar keine Position, denn er ist einfach nur _keine_ Position zu einer letztlich heuristischen Frage. |
Stimmt. Wo ist das Problem? Muss ich mich _entscheiden_?
step hat folgendes geschrieben: | Statt ...
Othilic hat folgendes geschrieben: | 1. Glaubt man an Gott?
2. Ist man sich wirklich sicher, daß Gott existiert/nicht existiert?
3. Lebt man so, als ob es Gott gäbe? |
könnte man also fragen:
1. Hält man die Behauptung, Gott X existiere, für plausibel?
Ja: X-gläubig
Nein: nicht X-gläubig (X-Atheist)
2. Hält man es für sinnvoll, ontologische Fragen (über die Heuristik hinaus) zu stellen, über Übernatürliches zu reden usw.?
Ja: irrational
Nein: rational
Wo ist jetzt hier der Agnostiker, wie ihen El Schwalmo beschreibt ? Meines Erachtens bei 1. Nein, 2. Ja. |
Wie ich schon sagte ist Agnostizismus eine _epistemische_ Position. Was soll hier 'plausibel' mehr bedeuten als 'ich kann das nicht beweisen, aber meine persönliche Meinung ist ...'. Also ist 'ja' oder 'nein' keine _ontische_ Antwort, sondern eine psychologische. Ein Agnostiker kann 'ja' oder 'nein' sagen, je nachdem, ob er ein theistischer oder ein atheistischer Agnostiker ist.
Frage 2 beantworte ich mit 'nein', wenn man mehr als 'halte ich für sinnvoll' sagen möchte.
Grüßle
Thomas
_________________ Ein seliges und unvergängliches Wesen (die Gottheit) trägt weder selbst Mühsal, noch belädt es ein anderes Wesen damit. Darum kennt es weder Zorn noch Wohlwollen. Dergleichen gibt es nur bei einem schwachen Wesen. (Epikur)
Der Christengott ist immens schwach!
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Leony gottlos
Anmeldungsdatum: 16.07.2003 Beiträge: 3674
Wohnort: Aufklärung und Kritischer Rationalismus
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(#275810) Verfasst am: 21.03.2005, 00:25 Titel: Re: Ignostizismus bzw. Apatheismus |
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Othilic hat folgendes geschrieben: | OT: Würdest Du meinen hypothetischen "ulkigen" Glauben aus dem Dörthe-SP-Thread für eine akzeptable Lösung des Theodizee-Problems halten? |
Das Theodizee-Problem wäre damit zwar gelöst,
aber einen unproblematischen Glauben bekäme man auf diese Weise m. E. nicht.
Mehr dazu habe ich ja schon hier gepostet.
_________________ Gruß, Leony (Gott losgeworden vor vielen Jahren )
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Leony gottlos
Anmeldungsdatum: 16.07.2003 Beiträge: 3674
Wohnort: Aufklärung und Kritischer Rationalismus
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(#275820) Verfasst am: 21.03.2005, 01:08 Titel: Re: Ignostizismus bzw. Apatheismus |
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Othilic hat folgendes geschrieben: | Leony hat folgendes geschrieben: |
Allerdings beobachte ich,
dass Leute, die überhaupt kein Problem damit haben, die Existenz eines Perpetuum mobile auszuschließen,
plötzlich viel schwerwiegendere Gründe für nötig halten,
um die Existenz eines Gottes auszuschließen.
Diese Art von Agnostizismus halte ich für inkonsequent,
und diese Feststellung halte ich für ein Gegenargument gegen diese Art von Agnostizismus.
|
Da muß ich Dir widersprechen. Ohne hier eine Diskussion über Physik anstoßen zu wollen: die Nichtexistenz eines Perpetuum mobile ist doch nur eine Umformulierung des ersten Hauptsatz der Thermodynamik. Und ich habe sehr gute Gründe (Erfahrungstatsache; Theorie, die darauf aufbaut, stimmt mit Experimenten überein), diesen zu glauben. |
Kennst du die philosophische Richtung, die von Karl Popper begründet und von Hans Albert weiterentwickelt wurde,
die sich Kritischer Rationalismus nennt? (Link korrigiert)
Eine wichtige Rolle in dieser Philosophie spielt die Erkenntnis,
dass eine naturwissenschaftliche Theorie
niemals im strengen Sinne bewiesen werden kann.
Sicher, sie kann durch Experimente überprüft werden.
Wenn sich dann herausstellt, dass die Ergebnisse anders sind, als von der Theorie prognostiziert wird,
und dass das nicht an einem Fehler im Aufbau oder in der Auswertung des Experiments liegt,
dann kann man feststellen,
dass die Theorie sich als falsch erwiesen habe, dass sie "falsifiziert" sei.
Wenn sich aber immer wieder herausstellt, dass die Ergebnisse den Prognosen entsprechen,
dann ist damit die Richtigkeit der Theorie nicht im strengen Sinne bewiesen;
denn wie will einer beweisen, dass es keine Ausnahme gibt, die nur noch nicht gefunden wurde?
Wenn man eine Theorie immer wieder streng überprüft hat
und die Erfahrung machen konnte, dass die Ergebnisse ausnahmslos den Prognosen entsprachen,
dann nennt man eine solche Theorie "bewährt".
Dass auch bewährte Theorien sich eines Tages als falsch erweisen können,
ist eine Erfahrung der Geschichte der Physik.
Lange Zeit war die Newtonsche Mechanik eine bewährte Theorie,
und doch stellte sie sich eines Tages als fehlerhaft heraus,
und es gab Anlass, neue Theorien zu entwickeln, z. B. die Relativitätstheorie.
Auch der erste Hauptsatz der Thermodynamik
ist nichts anderes als eine bewährte Theorie.
Du hast keinen Beweis im strengen Sinne, dass nicht eines Tages Phänomene gefunden werden könnten,
die diesem Satz nicht gehorchen.
Andererseits ist es eine Erfahrungstatsache,
dass alle lebenden Wesen, die wir je beobachtet haben,
ausschließlich mit Hilfe ihres Körpers auf ihre Umwelt einwirken konnten,
und dass sie auf diese Weise nur begrenzte Einwirkungsmöglichkeiten hatten.
Ein Gott wäre eine Ausnahme von dieser Regel,
die sich bislang ausnahmslos bewährt hat.
Erst recht eine Ausnahme wäre ein allmächtiger Gott.
Aus der Aussage "Es gibt einen allmächtigen Gott"
folgt übrigens die Aussage "Ein Perpetuum mobile ist möglich",
denn ein allmächtiger Gott könnte eines schaffen, das gehört ja zur Definition der Allmacht.
Wer sagt: "Es gibt einen allmächtigen Gott",
macht also eine viel gewagtere Aussage
als jemand, der sagt: "Ein Perpetuum mobile ist möglich."
_________________ Gruß, Leony (Gott losgeworden vor vielen Jahren )
Zuletzt bearbeitet von Leony am 23.03.2005, 20:28, insgesamt einmal bearbeitet |
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Leony gottlos
Anmeldungsdatum: 16.07.2003 Beiträge: 3674
Wohnort: Aufklärung und Kritischer Rationalismus
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(#275826) Verfasst am: 21.03.2005, 01:36 Titel: Re: Ignostizismus bzw. Apatheismus |
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Othilic hat folgendes geschrieben: | Leony hat folgendes geschrieben: | ...
Ich denke manchmal, dass es fast schon eher zu viel als zu wenig Begriffe gibt,
sodass manch eine(r) Schwierigkeiten hat, für sich selbst eine passende "Schublade" auszusuchen.
|
Ich denke eher, daß es viel zu wenig Begriffe gibt. Auch dann, wenn man außer Acht läßt, daß es verschiedene Götter geben könnte und sich nur auf den Gott des Christentums konzentriert, gibt es mindestens drei verschiedene Dimensionen des "Verhältnisses, was jemand zu Gott hat":
1. Glaubt man an Gott?
2. Ist man sich wirklich sicher, daß Gott existiert/nicht existiert?
3. Lebt man so, als ob es Gott gäbe?
Total vereinfacht gesagt:
Atheist wäre: Nein / Ja/ Nein
Agnostiker: Nein / Nein /Nein
Es fehlt z.B. ein Begriff für die Kombinationen Nein/Nein/Ja. (Das wäre zum Beispiel jemand, der aufgrund von Überlegungen wie in der Pascal'schen Wette so lebt, als ob es Gott gäbe).
Oder einer für Nein/Ja/Ja. (Zum Beispiel jemand, der in einem sehr religiösen Umfeld lebt und daraus nicht herausfallen will).
Ob alle Kombinationen sinnvoll sind, bezweifle ich, aber eigentlich bräuchte man schon 8 verschiedene Begriffe, um allein die veschiedenen Verhältnisse zum Gott des Christentums zu beschreiben. Und dann gibt es noch so viele weitere Gottesvorstellungen. Kein Wunder, daß da manche Probleme haben, sich einzuordnen. Schon komisch, daß manche so ausgezeichnet sind, daß sie eigene Begriffe haben. |
Schon 8 verschiedene Begriffe, wenn nur nach 3 Aussagen gefragt wird.
Bei 4 wären es schon 16,
bei 5 wären es 32,
mit der Zahl der Fragen müsste die Zahl der Begriffe exponentiell ansteigen.
Weitere Begriffe kämen hinzu, wenn man nicht einfach Ja-Nein-Alternativen hätte,
sondern Möglichkeiten berücksichtigen wollte wie:
"Ich bin nicht sicher, ob es Gott gibt, aber ich halte es für sehr unwahrscheinlich."
Ich sehe die Lösung des Problem nicht in einer solchen Begriffs-Inflation,
nicht darin,
eine immer feinere Aufteilung in immer kleinere "Schubladen" vorzunehmen.
Wenn man überhaupt Menschen nach ihren Meinungen benennen will,
dann wäre ich eher für einfache Begriffe (Oberbegriffe),
die man dann, z. B. mit Hilfe von Adjektiven, präzisieren könnte.
Dann könnte jemand, der keine passende Mini-"Schublade" für sich findet,
wenigstens im Oberbegriff eine große "Schublade" finden, die zu ihm passt.
So könnte es für jemanden, der sich nicht recht zwischen "Atheist" und "Agnostiker" entscheiden kann,
schön sein, wenn er einen Oberbegriff für beides auf der gleichen sprachlichen Ebene finden könnte;
"Gottloser" wäre zwar ein Oberbegriff,
aber auf einer anderen sprachlichen Ebene,
einer Ebene, die zwar auch ihren eigenen Reiz hat, aber das will man ja nicht immer.
_________________ Gruß, Leony (Gott losgeworden vor vielen Jahren )
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Leony gottlos
Anmeldungsdatum: 16.07.2003 Beiträge: 3674
Wohnort: Aufklärung und Kritischer Rationalismus
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(#276196) Verfasst am: 22.03.2005, 01:31 Titel: |
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Nagarjuna hat folgendes geschrieben: | Tarvoc hat folgendes geschrieben: | "Wenn die Theodizee zutrifft, kann Gott nicht gütig sein, und dann muss man ihm mit allen Mitteln Widerstand leisten". |
Das folgt nicht aus der Theodizee. Wenn die Theodizee zutrifft, dann ist Gott nicht gleichzeitig allgütig, allmächtig und allwissend. Gott könnte also auch nicht allmächtig oder nicht allwissend sein (alle Kombinationen sind möglich). |
Und darüber hinaus wäre es möglich, dass es überhaupt keinen Gott gibt.
_________________ Gruß, Leony (Gott losgeworden vor vielen Jahren )
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Leony gottlos
Anmeldungsdatum: 16.07.2003 Beiträge: 3674
Wohnort: Aufklärung und Kritischer Rationalismus
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(#276200) Verfasst am: 22.03.2005, 01:43 Titel: |
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Nagarjuna hat folgendes geschrieben: | El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Die Theodizee ist kein Problem für 'Götter an sich', sondern nur für bestimmte Eigenschafts_kombinationen_.
Interessanterweise schon älter als das Christentum. |
Ja, ich erinnere mich, die Theodizee auch bei Epikur gelesen zu haben. Es gibt sicher auch noch andere, die sie viel früher beschrieben. |
Es gibt sicher auch frühere Autoren, die die Frage gestellt haben, warum Gott - oder die Götter - nicht geholfen haben,
obwohl es eigentlich von ihm bzw. von ihnen zu erwarten gewesen wäre.
Aber, soweit mir bekannt, war Epikur der erste,
von dem eine so durchdachte und begründete Formulierung dieser Frage
für den Fall eines allmächtigen und gütigen Gottes
überliefert worden ist.
_________________ Gruß, Leony (Gott losgeworden vor vielen Jahren )
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Othilic Gast
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(#276718) Verfasst am: 23.03.2005, 16:09 Titel: Re: Ignostizismus bzw. Apatheismus |
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Leony hat folgendes geschrieben: | Othilic hat folgendes geschrieben: | Leony hat folgendes geschrieben: |
Allerdings beobachte ich,
dass Leute, die überhaupt kein Problem damit haben, die Existenz eines Perpetuum mobile auszuschließen,
plötzlich viel schwerwiegendere Gründe für nötig halten,
um die Existenz eines Gottes auszuschließen.
Diese Art von Agnostizismus halte ich für inkonsequent,
und diese Feststellung halte ich für ein Gegenargument gegen diese Art von Agnostizismus.
|
Da muß ich Dir widersprechen. Ohne hier eine Diskussion über Physik anstoßen zu wollen: die Nichtexistenz eines Perpetuum mobile ist doch nur eine Umformulierung des ersten Hauptsatz der Thermodynamik. Und ich habe sehr gute Gründe (Erfahrungstatsache; Theorie, die darauf aufbaut, stimmt mit Experimenten überein), diesen zu glauben. |
Kennst du die philosophische Richtung, die von Karl Popper begründet und von Hans Albert weiterentwickelt wurde,
die sich Kritischer Rationalismus nennt?
|
Nein,diese philosophische Richtung kenne ich nicht (die wikipedia-page über Deinen Zweitwohnort existiert übrigens nicht).
Aber das was Du als Ausgangspunkt für den krit. Rationalismus beschreibst, beißt sich nicht mit meiner Ansicht: grob gesagt ist eine naturwissenschaftliche Theorie eine einfachste Erklärung, die mit allen bis dato gemachten/gesammelten Erfahrungen übereinstimmt (wobei "einfachst" im Sinne von Ockham's Razor zu verstehen ist) und die man bei neuen Erkenntnissen abändert/verwirft. Insofern sind naturwissenschaftliche Theorien niemals "bewiesen" im ganz strengen Sinne. Eigentlich kann man im strengen Sinne überhaupt gar keine Aussagen über die reale Welt beweisen, nicht einmal, daß es die reale Welt überhaupt gibt. Natürlich folgt dann automatisch, daß man weder über Perpetuum Mobile noch über Götter irgendwelche Aussagen im strengen Sinne beweisen kann.
Wenn man also nur zwischen "gar nichts wissen" und "streng beweisen können" unterscheidet, dann wird die Diskussion etwas langweilig. Interessant wird es wieder, wenn man auch unterschiedliche Grade von sich-sicher-sein betrachtet. Diese Sichtweise möchte ich hier zugrundelegen.
*****
Da Du auf meine weiteren Ausführungen zum Perpetuum mobile nicht eingegangen bist (oder jedenfalls ich aus Deinem Beitrag mangels Kenntnissen über kritischen Rationalismus keinen Bezug dazu erkennen konnte) möchte ich das, was ich meine, nochmal etwas anders erläutern.
Deine These, so wie ich sie verstanden habe, lautet:
Zitat: |
Wenn das einzige Kriterium für den Ausschluß der Existenz von Göttern logische Probleme sind, dann ist es inkonsequent, für den Ausschluß der Existenz eines Perpetuum Mobiles auch Erfahrungsgründe heranzuziehen.
|
Die Aussage "es gibt einen bestimmten Gott nicht" ist eine negierte Existenzaussage. Die Aussage "es gibt kein Perpetuum mobile" ist zwar auch auf den ersten Blick eine negierte Existenzaussage, allerdings gleichbedeutend mit dem ersten Hauptsatz der Thermodynamik, der Teil einer naturwissenschaftlichen Theorie ist.
Man kann einen Unterschied machen zwischen negierten Existenzaussagen über Götter und naturwisenschaftlichen Theorien über die erfahrbare Welt:
Experimente udn sonstige Erfahrung liefert konkrete Hinweise auf die Gültigkeit von nat. wiss. Theorien. Mit jeder neuen Erfahrung, die die Theorie bestätigt, habe ich weitere Hinweise, also größere Sicherheit. Man kann sich sehr sicher sein, daß der erste Hauptsatz der Thermodynamik gilt, also auch sehr sicher, daß ein Perpetuum mobile nicht möglich ist.
Anders bei der Aussage "es gibt einen bestimmten Gott nicht". Erfahrungen, die nicht auf diesen bestimmten Gott hinweisen, werte ich nicht als Hinweis darauf, daß der Gott nicht existiert. Sondern es sind einfach Erfahrungen, die belanglos sind für die Aussage. Ich wüßte nicht, wie eine Erfahrung aussehen sollte, die die Nichtexistenz eines bestimmten Gottes bestätigt.
Insofern ist es nicht inkonsequent, für den Ausschluß eines Perpetuum Mobiles auch Erfahrungsgründe hinzuzuziehen, aber für den Ausschluß eines Gottes nicht.
************
Leony hat folgendes geschrieben: |
Aus der Aussage "Es gibt einen allmächtigen Gott"
folgt übrigens die Aussage "Ein Perpetuum mobile ist möglich",
denn ein allmächtiger Gott könnte eines schaffen, das gehört ja zur Definition der Allmacht.
Wer sagt: "Es gibt einen allmächtigen Gott",
macht also eine viel gewagtere Aussage
als jemand, der sagt: "Ein Perpetuum mobile ist möglich. |
Das stimmt, allerdings ist die Aussage "es gibt einen allmächtigen Gott" so gewagt, daß sie schon wieder falsch ist oder jedenfalls logisch sehr problematisch. Aus einer falschen Aussage folgt sowieso alles; und logische Folgerungen aus problematischen Aussagen sind genauso problematisch.
Ein Argument dafür, daß man Ausschluß von Göttern und Perpetuum Mobile gleich behandeln sollte, sehe ich darin nicht, weil wie gesagt ein allmächtiger Gott sowieso schon aus logischen Gründen ausgeschlossen werden müßte.
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Othilic Gast
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(#276729) Verfasst am: 23.03.2005, 16:35 Titel: |
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Leony hat folgendes geschrieben: | Othilic hat folgendes geschrieben: | Leony hat folgendes geschrieben: |
...
Ich denke manchmal, dass es fast schon eher zu viel als zu wenig Begriffe gibt,
sodass manch eine(r) Schwierigkeiten hat, für sich selbst eine passende "Schublade" auszusuchen.
|
Ich denke eher, daß es viel zu wenig Begriffe gibt....
|
Ich sehe die Lösung des Problem nicht in einer solchen Begriffs-Inflation,
nicht darin,
eine immer feinere Aufteilung in immer kleinere "Schubladen" vorzunehmen.
Wenn man überhaupt Menschen nach ihren Meinungen benennen will,
dann wäre ich eher für einfache Begriffe (Oberbegriffe),
die man dann, z. B. mit Hilfe von Adjektiven, präzisieren könnte.
Dann könnte jemand, der keine passende Mini-"Schublade" für sich findet,
wenigstens im Oberbegriff eine große "Schublade" finden, die zu ihm passt.
So könnte es für jemanden, der sich nicht recht zwischen "Atheist" und "Agnostiker" entscheiden kann,
schön sein, wenn er einen Oberbegriff für beides auf der gleichen sprachlichen Ebene finden könnte;
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Gibt es so einen denn wirklich nicht? Ich habe ein bißchen herumüberlegt, und bin auf nichts gekommen. Eine echte Lücke. Vielleicht sollte man einen Wort-Erfindungs-Contest ausschreiben, wie es letztens ein Verlag (weiß nicht, war es sogar der Duden?) gemacht hat, um ein Wort für das Getränke-Analogon von "satt" zu bekommen.
Zitat: |
"Gottloser" wäre zwar ein Oberbegriff,
aber auf einer anderen sprachlichen Ebene,
einer Ebene, die zwar auch ihren eigenen Reiz hat, aber das will man ja nicht immer.
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Nein, das will man nicht immer, vor allem dann, wenn man nicht provozieren will. Aber mir gefällt "gottlos" trotzdem sehr gut, weil es eine Art Geusenwort mit vielen möglichen Hintergedanken ist und zudem ein schönes Wortspiel.
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Effô Tisetti Königsblau bis in den Tod
Anmeldungsdatum: 18.09.2003 Beiträge: 9920
Wohnort: 75
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(#276744) Verfasst am: 23.03.2005, 17:19 Titel: Re: Ignostizismus bzw. Apatheismus |
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Wikipedia hat folgendes geschrieben: |
Als Ignostizismus bezeichnet man die Ansicht, dass die Frage nach der Existenz oder Nichtexistenz eines Gottes (oder Götter) bedeutungslos ist, weil sie keine nachprüfbaren Konsequenzen hat. Der Ignostizismus wird manchmal auch als Apathischer Agnostizismus oder Apatheismus bezeichnet. |
Um mal wieder zum Ausgangsthema zu kommen: Der Begriff "Ignostizismus" war für mich neu. So wie oben beschrieben, verstehe ich ihn aber eher als Folge einer agnostischen Weltsicht: Wenn die Frage nicht entscheidbar ist, dann ist es tatsächlich bedeutungslos, sie zu stellen. So ähnlich, wie die Frage nach dem allumfassenden "Sinn". Dieser Einstellung könnte ich mich durchaus anschließen, wäre da nicht die so interessante Rezeptionsgeschichte dieser Frage und die schier unendlich große Zahl möglicher und unmöglicher Antworten, die einer "an sich bedeutungslose" Frage auf anderer Ebene große Bedeutung verleihen. Die folgende Gegenüberstellung impliziert aber eine ganz andere
Bedeutung von "Ignostizismus": Hier wird nämlich die Bedeutungslosigkeit der Frage auch für den Fall unterstellt, dass die Frage erfolgreich beantwortbar wäre.
Denn
Zitat: |
Ein Agnostiker sagt: "Ich weiß nicht, ob es irgendwelche Götter gibt." Ein Ignostiker sagt: "Ich weiß nicht, ob es irgendwelche Götter gibt, und es würde auch keine Rolle spielen."
|
ist etwas ganz anderes als
Zitat: |
Ein Agnostiker sagt: "Ich weiß nicht, ob es irgendwelche Götter gibt." Ein Ignostiker sagt: "Ich weiß nicht, ob es irgendwelche Götter gibt, und daher spielt es auch keine Rolle."
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Oder?
_________________ "Die einfache Formel: Jesus ist stärker! hilft Menschen, sich aus der Fixierung völlig irrationaler Wertesysteme zu lösen."
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Othilic Gast
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(#276766) Verfasst am: 23.03.2005, 18:41 Titel: Re: Ignostizismus bzw. Apatheismus |
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Schalker hat folgendes geschrieben: | Wikipedia hat folgendes geschrieben: |
Als Ignostizismus bezeichnet man die Ansicht, dass die Frage nach der Existenz oder Nichtexistenz eines Gottes (oder Götter) bedeutungslos ist, weil sie keine nachprüfbaren Konsequenzen hat. Der Ignostizismus wird manchmal auch als Apathischer Agnostizismus oder Apatheismus bezeichnet. |
Um mal wieder zum Ausgangsthema zu kommen: Der Begriff "Ignostizismus" war für mich neu. So wie oben beschrieben, verstehe ich ihn aber eher als Folge einer agnostischen Weltsicht: Wenn die Frage nicht entscheidbar ist, dann ist es tatsächlich bedeutungslos, sie zu stellen. So ähnlich, wie die Frage nach dem allumfassenden "Sinn". Dieser Einstellung könnte ich mich durchaus anschließen, wäre da nicht die so interessante Rezeptionsgeschichte dieser Frage und die schier unendlich große Zahl möglicher und unmöglicher Antworten, die einer "an sich bedeutungslose" Frage auf anderer Ebene große Bedeutung verleihen. Die folgende Gegenüberstellung impliziert aber eine ganz andere
Bedeutung von "Ignostizismus": Hier wird nämlich die Bedeutungslosigkeit der Frage auch für den Fall unterstellt, dass die Frage erfolgreich beantwortbar wäre.
Denn
Zitat: |
Ein Agnostiker sagt: "Ich weiß nicht, ob es irgendwelche Götter gibt." Ein Ignostiker sagt: "Ich weiß nicht, ob es irgendwelche Götter gibt, und es würde auch keine Rolle spielen."
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ist etwas ganz anderes als
Zitat: |
Ein Agnostiker sagt: "Ich weiß nicht, ob es irgendwelche Götter gibt." Ein Ignostiker sagt: "Ich weiß nicht, ob es irgendwelche Götter gibt, und daher spielt es auch keine Rolle."
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Oder? |
Zustimmung.
Ich bin jetzt dem Link gefolgt, der in wikipedia angegeben ist. :
http://www.apatheticagnostic.com/
Eine Site der Universal Church Triumphant of the Apathetic Agnostic. Fake?
Dort finden sich 3 articles of faith mit Erklärung über apathetischen agnostizismus:
http://www.apatheticagnostic.com/ourchurch/Articles_of_faith.pdf
Ungefährer Inhalt:
1.Wir wissen nicht, ob es irgendwelche Götter gibt.
2. Wenn es Götter gibt, dann scheint es so, daß auf jeden Fall nur solche in Frage kommen, die sich gleichgültig dem Universum und uns gegenüber verhalten, da man alle Ereignisse im Universum (auch seine Entstehung) mit oder ohne Götter erklären kann.
3.Wenn wir den evtl existierenden Göttern egal sind, dann kann auch uns die Frage ob sie existieren und was sie wollen egal sein.
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kolja der Typ im Maschinenraum

Anmeldungsdatum: 02.12.2004 Beiträge: 16631
Wohnort: NRW
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(#276814) Verfasst am: 23.03.2005, 20:19 Titel: Re: Ignostizismus bzw. Apatheismus |
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Othilic hat folgendes geschrieben: | (die wikipedia-page über Deinen Zweitwohnort existiert übrigens nicht). |
Da ist ein "/" zuviel, so gehts besser: Kritischer Rationalismus
Grüße,
Kolja.
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Leony gottlos
Anmeldungsdatum: 16.07.2003 Beiträge: 3674
Wohnort: Aufklärung und Kritischer Rationalismus
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(#276820) Verfasst am: 23.03.2005, 20:29 Titel: Re: Ignostizismus bzw. Apatheismus |
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kolja hat folgendes geschrieben: | Othilic hat folgendes geschrieben: | (die wikipedia-page über Deinen Zweitwohnort existiert übrigens nicht). |
Da ist ein "/" zuviel, so gehts besser: Kritischer Rationalismus |
Danke, Kolja.
Habe den Link in meinem Orignialbeitrag korrigiert.
_________________ Gruß, Leony (Gott losgeworden vor vielen Jahren )
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Leony gottlos
Anmeldungsdatum: 16.07.2003 Beiträge: 3674
Wohnort: Aufklärung und Kritischer Rationalismus
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(#280510) Verfasst am: 01.04.2005, 03:05 Titel: |
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Othilic hat folgendes geschrieben: | Leony hat folgendes geschrieben: | Othilic hat folgendes geschrieben: | Leony hat folgendes geschrieben: |
Allerdings beobachte ich,
dass Leute, die überhaupt kein Problem damit haben, die Existenz eines Perpetuum mobile auszuschließen,
plötzlich viel schwerwiegendere Gründe für nötig halten,
um die Existenz eines Gottes auszuschließen.
Diese Art von Agnostizismus halte ich für inkonsequent,
und diese Feststellung halte ich für ein Gegenargument gegen diese Art von Agnostizismus.
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Da muß ich Dir widersprechen. Ohne hier eine Diskussion über Physik anstoßen zu wollen: die Nichtexistenz eines Perpetuum mobile ist doch nur eine Umformulierung des ersten Hauptsatz der Thermodynamik. Und ich habe sehr gute Gründe (Erfahrungstatsache; Theorie, die darauf aufbaut, stimmt mit Experimenten überein), diesen zu glauben. |
Kennst du die philosophische Richtung, die von Karl Popper begründet und von Hans Albert weiterentwickelt wurde,
die sich Kritischer Rationalismus nennt?
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Nein,diese philosophische Richtung kenne ich nicht ...
Aber das was Du als Ausgangspunkt für den krit. Rationalismus beschreibst, beißt sich nicht mit meiner Ansicht: grob gesagt ist eine naturwissenschaftliche Theorie eine einfachste Erklärung, die mit allen bis dato gemachten/gesammelten Erfahrungen übereinstimmt (wobei "einfachst" im Sinne von Ockham's Razor zu verstehen ist) und die man bei neuen Erkenntnissen abändert/verwirft. Insofern sind naturwissenschaftliche Theorien niemals "bewiesen" im ganz strengen Sinne. Eigentlich kann man im strengen Sinne überhaupt gar keine Aussagen über die reale Welt beweisen, nicht einmal, daß es die reale Welt überhaupt gibt. |
Also, wenn man es ganz streng nehmen will, dann ist auch nicht "bewiesen",
dass die Sätze der Mathematik zutreffen oder irgendetwas, was wir uns überlegt haben -
denn woher will jemand die absolute Sicherheit nehmen,
dass er bei Verstand ist
und dass ihm beim Nachvollziehen eines mathematischen Beweises oder bei einer sonstigen Überlegung
kein Irrtum unterlaufen ist?
Zumal Menschen sich ja erwiesenermaßen gelegentlich irren?
Und woher will jemand die absolute Sicherheit nehmen,
dass ihn nicht seine Erinnerung täuscht,
so dass er nur irrtümlich glaubt,
einen Beweis nachvollzogen oder eine Überlegung angestellt zu haben?
Othilic hat folgendes geschrieben: | Wenn man also nur zwischen "gar nichts wissen" und "streng beweisen können" unterscheidet, dann wird die Diskussion etwas langweilig. Interessant wird es wieder, wenn man auch unterschiedliche Grade von sich-sicher-sein betrachtet. |
Das finde ich auch.
Dass wir keine Sicherheit haben können,
dass wir bei Verstand sind und dass die sinnlich wahrnehmbare Welt wirklich existiert,
darüber lange nachzugrübeln lohnt m. E. nicht, es führt m. E. nicht zu interessanten Ergebnissen.
Stattdessen können wir uns damit begnügen,
von der Hypothese auszugehen,
dass unser Verstand und unser Erinnerungsvermögen ungefähr so gut funktionieren, wie sie es unseren Erfahrungen nach tun
(mit anderen Worten: dass die Wahrscheinlichkeit von Irrtümern ungefähr so groß ist, wie sie es unseren Erfahrungen nach ist),
und von der Hypothese,
dass die sinnlich wahrnehmbare Welt wirklich existiere
und dass unsere Wahrnehmungen uns zu Erkenntnissen über diese Welt verhelfen können.
Wir können uns damit begnügen,
dass wir niemals absolute Gewissheit haben können,
sondern immer nur das menschenmögliche Maß an Gewissheit.
Othilic hat folgendes geschrieben: | Diese Sichtweise möchte ich hier zugrundelegen.
*****
Da Du auf meine weiteren Ausführungen zum Perpetuum mobile nicht eingegangen bist |
Das hört sich ja an wie: "Leony, du hast deine Hausaufgaben nicht gemacht."
Ich will mal versuchen, die Lücken, die du noch gesehen hast, zu füllen:
Othilic hat folgendes geschrieben: | Leony hat folgendes geschrieben: | ... |
Da muß ich Dir widersprechen. Ohne hier eine Diskussion über Physik anstoßen zu wollen: die Nichtexistenz eines Perpetuum mobile ist doch nur eine Umformulierung des ersten Hauptsatz der Thermodynamik. Und ich habe sehr gute Gründe (Erfahrungstatsache; Theorie, die darauf aufbaut, stimmt mit Experimenten überein), diesen zu glauben.
Ein solcher Hardcore-Agnostiker wäre doch z.B. einer, der sagt: "Ich habe keinen Grund, an die Existenz eines Gottes zu glauben und kein Mittel, die Existenz eines Gottes zu widerlegen."
(Das schließt nur die Götter aus, gegen die schwerwiegende Gründe sprechen).
Und eben nicht: "Ich habe keinen Beweis für die Existenz Gottes und keinen dagegen".
Existenz bzw Nichtexistenz von Gott werden vom Agnostiker nicht symmetrisch gesehen. Hätte er einen Grund, an die Existenz eines Gottes zu glauben, so würde er es tun. Ein Grund zum Glauben an die Existenz eines Gottes ist viel weniger als die Existenz Gottes beweisen zu können. Zum Ausschluß der Existenz von Göttern bräuchte ein Agnostiker in der Tat sehr schwerwiegende Gründe. |
Ich widerspreche deinem Satz Zitat: | Existenz bzw Nichtexistenz von Gott werden vom Agnostiker nicht symmetrisch gesehen. |
"Hätte er einen Grund, an die Existenz eines Gottes zu glauben, so würde er es tun", soweit stimme ich zu.
Aber ebenso könnte man von ihm sagen:
"Hätte er einen Grund, an die Nicht-Existenz eines Gottes zu glauben, so würde er es tun."
Das muss nicht heißen, dass er die Existenz dieses Gottes ausschließen könnte,
es kann auch heißen, dass er es für eine begründete Vermutung hält, dass dieser Gott nicht existiert.
Othilic hat folgendes geschrieben: | Wenn jetzt derselbe Agnostiker sagt: "Ich habe einen sehr guten Grund, an die Gültigkeit des ersten Hauptsatz der Thermodynamik zu glauben und kein Mittel die Gültigkeit des ersten Hauptsatzes der Thermodynamik zu widerlegen", dann kommt doch als Konsequenz Glaube an die Nichtexistenz eines Perpetuum Mobile heraus. |
In ganz ähnlicher Weise könnte ein Mensch (nur dass dieser Mensch dann vielleicht kein Agnostiker wäre)
sagen:
"Ich habe einen sehr guten Grund, an die Nicht-Existenz von bestimmten Göttern zu glauben,
und kein Mittel, die Nicht-Existenz von diesen Göttern zu widerlegen",
und das könnte man einen Glauben an die Nicht-Existenz von diesen Göttern nennen.
Zurück zu deinem anderen Beitrag.
Othilic hat folgendes geschrieben: | ...möchte ich das, was ich meine, nochmal etwas anders erläutern.
Deine These, so wie ich sie verstanden habe, lautet:
Zitat: |
Wenn das einzige Kriterium für den Ausschluß der Existenz von Göttern logische Probleme sind, dann ist es inkonsequent, für den Ausschluß der Existenz eines Perpetuum Mobiles auch Erfahrungsgründe heranzuziehen.
| |
Eigentlich geht es mir um die um die Inkonsequenz in der anderen Richtung:
"Wenn man bereit ist, Erfahrungsgründe heranzuziehen, um die Existenz eines Perpetuum mobile auszuschließen,
dann ist es inkonsequent,
für den Ausschluss der Existenz von Göttern
als einziges Kriterium logische Probleme gelten zu lassen
und nicht außerdem auch Erfahrungsgründe."
Othilic hat folgendes geschrieben: | Die Aussage "es gibt einen bestimmten Gott nicht" ist eine negierte Existenzaussage. Die Aussage "es gibt kein Perpetuum mobile" ist zwar auch auf den ersten Blick eine negierte Existenzaussage, allerdings gleichbedeutend mit dem ersten Hauptsatz der Thermodynamik, der Teil einer naturwissenschaftlichen Theorie ist. |
Trotzdem bleibt es eine negierte Existenzaussage.
Dass man sie zu einer All-Aussage umformen kann (etwa: "Alles, was existiert, ist kein Perpetuum mobile"),
ändert nichts an unseren Möglichkeiten,
eine solche Aussage zu überprüfen
und uns durch diese Überprüfung Gründe zu verschaffen,
die für oder gegen die Annahme sprechen könnten, die Aussage sei wahr.
Othilic hat folgendes geschrieben: | Man kann einen Unterschied machen zwischen negierten Existenzaussagen über Götter und naturwisenschaftlichen Theorien über die erfahrbare Welt:
Experimente udn sonstige Erfahrung liefert konkrete Hinweise auf die Gültigkeit von nat. wiss. Theorien. Mit jeder neuen Erfahrung, die die Theorie bestätigt, habe ich weitere Hinweise, also größere Sicherheit. Man kann sich sehr sicher sein, daß der erste Hauptsatz der Thermodynamik gilt, also auch sehr sicher, daß ein Perpetuum mobile nicht möglich ist. |
Sorry, Othilic, aber diesen wissenschaftstheoretischen Ausführungen kann ich nicht zustimmen.
So, wie du es im letzten Zitat beschrieben hast, hätte man nicht einmal einen sonderlich guten Grund,
an die Gültigkeit des ersten Hauptsatzes der Thermodynamik zu glauben.
Eine - manchmal beeindruckende - Sammlung von Beobachtungen, die der Theorie entsprechen,
als "Bestätigung" einer Theorie ins Feld zu führen,
das ist eine der beliebtesten Strategien, mit denen Esoteriker der verschiedensten Spielarten
um Glauben für ihre Theorien werben, mit teilweise beachtlichem Erfolg.
Einen guten Grund, eine empirische Theorie für gültig zu halten,
hat man erst dann, wenn diese Theorie einer strengen wissenschaftlichen Überprüfung standgehalten hat.
Eine "strenge Überprüfung" definierte Karl Popper als eine Überprüfung,
bei der, falls die Theorie falsch ist,
sich mit hoher Wahrscheinlichkeit herausstellen würde, dass sie falsch ist;
mit anderen Worten,
dass die Theorie dann, wenn sie falsch ist, bei der Überprüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit "falsifiziert" würde.
Nun ist der erste Hauptsatz der Thermodynamik solchen strengen wissenschaftlichen Überprüfungen unterworfen worden
und hat ihnen standgehalten.
Damit ist er in einem Maße abgesichert,
wie es bei einer empirischen Theorie im günstigen Falle erwartet werden kann.
Die Unsicherheit, die jeder empirischen Theorie anhaftet,
ist nicht ganz so bedeutungslos
wie die fehlende Sicherheit, dass wir bei Verstand sind und dass es die sinnlich wahrnehmbare Welt wirklich gibt.
Auch bei einer empirischen Theorie, die lange Zeit allen Überprüfungen standgehalten hat ("bewährt" war),
kann es passieren, dass sie eines Tages falsifiziert wird.
Das hat sich in der Geschichte der Physik eindrucksvoll gezeigt,
als die Newtonsche Mechanik sich als fehlerhaft erwiesen hat.
Trotzdem,
d. h. obwohl man auch bei einer bewährten Theorie wie dem ersten Hauptsatz der Thermodynamik
nie absolut sicher sein kann, dass sie in jedem Falle gilt,
ist es durchaus vernünftig,
wenn wir uns im Allgemeinen auf die Gültigkeit des ersten Hauptsatzes der Thermodynamik verlassen.
Das ist einer der Fälle, zu denen du geschrieben hast: Othilic hat folgendes geschrieben: | Wenn man also nur zwischen "gar nichts wissen" und "streng beweisen können" unterscheidet, dann wird die Diskussion etwas langweilig. Interessant wird es wieder, wenn man auch unterschiedliche Grade von sich-sicher-sein betrachtet. |
Othilic hat folgendes geschrieben: | Anders bei der Aussage "es gibt einen bestimmten Gott nicht". Erfahrungen, die nicht auf diesen bestimmten Gott hinweisen, werte ich nicht als Hinweis darauf, daß der Gott nicht existiert. Sondern es sind einfach Erfahrungen, die belanglos sind für die Aussage. Ich wüßte nicht, wie eine Erfahrung aussehen sollte, die die Nichtexistenz eines bestimmten Gottes bestätigt.
Insofern ist es nicht inkonsequent, für den Ausschluß eines Perpetuum Mobiles auch Erfahrungsgründe hinzuzuziehen, aber für den Ausschluß eines Gottes nicht. |
Es gibt mehrere Möglichkeiten, die Existenz eines Gottes mit bestimmten Eigenschaften
aufgrund von Erfahrungsgründen auszuschließen:- Dadurch, dass etwas beobachtet wird,
was nicht sein könnte, wenn es einen Gott mit diesen bestimmten Eigenschaften gäbe.
Ein Beispiel wäre ein allmächtiger und gütiger Gott,
dessen Existenz widerlegt wird
durch die Beobachtung, dass es Menschen gibt, die unerträglich leiden und keine Hilfe erhalten (Theodizee-Problem).
- Dadurch, dass man - trotz eifrigen Suchens - nie Anzeichen
von der Existenz eines Gottes mit diesen bestimmten Eigenschaften gefunden hat,
obwohl, falls ein solcher Gott existieren würde, zu erwarten wäre,
dass man irgendwann in dieser Welt Anzeichen von ihrer Existenz finden würde.
Ein Beispiel wäre ein Gott, der schon auf Erden mit erkennbarem Erfolg dafür sorgen würde,
dass gute Taten belohnt und böse Taten bestraft werden.
- Dadurch, dass man - trotz eifrigen Suchens - keinerlei Hinweise darauf gefunden hat,
dass die Existenz eines Gottes mit diesen bestimmten Eigenschaften überhaupt möglich sein könnte.
Ein Beispiel wäre ein Gott, der mit Hilfe von übernatürlichen Kräften
Wirkungen in unserer Welt verursacht. Für den dritten Fall sehe ich eine Parallele zum Perpetuum mobile.
Dass wir ein Perpetuum mobile für unmöglich halten,
das liegt ja nicht nur daran, dass wir trotz eifriger Bemühungen keines gefunden haben und keines entwerfen konnten.
Wir sind uns deshalb so sicher,
weil wir uns der ausnahmslosen Gültigkeit des ersten Hauptsatzes der Thermodynamik so sicher sind;
denn Ausnahmen von der Gültigkeit des ersten Hauptsatzes der Thermodynamik
wären die Voraussetzung dafür, dass es ein Perpetuum mobile geben könnte.
Da man aber, trotz eifrigen Suchens, keine Ausnahmen gefunden hat,
hat man keinerlei Anlass,
ein Perpetuum mobile für möglich zu halten.
In ähnlicher Weise könnte man argumentieren,
dass wir keinerlei Anlass haben,
einen Gott für möglich zu halten,
der mit Hilfe von übernatürlichen Kräften irgendwelche Wirkungen in unserer Welt verursachen würde.
Voraussetzung dafür wäre ja die Existenz von übernatürlichen Kräften, die in unserer Welt Wirkungen verursachen könnten,
und auf die Existenz von solchen übernatürlichen Kräften
haben wir, trotz eifrigen Suchens, keinerlei Hinweis gefunden.
Nun könnte man natürlich argumentieren:
"Aber kann man denn ausschließen, dass es einen solchen Gott, wenn auch wider alles Erwarten, dennoch gibt?"
Da könnte man allerdings ebenso argumentieren:
"Aber kann man denn ausschließen, dass es ein Perpetuum mobile, wenn auch wider alles Erwarten, dennoch gibt?"
Dass etwas völlig Unerwartetes dennoch eintreten könnte,
das können wir nie ganz ausschließen.
Diese Feststellung
ist für mich ein Aspekt des "Fallibilismus",
der zu den wichtigsten Komponenten des Kritischen Rationalismus zählt.
So steht jede meiner Überzeugungen unter dem Vorbehalt des Fallibilismus -
aber das macht mich keineswegs zu einem schwankenden Rohr im Winde,
vielmehr bin ich mir - in meiner Lebenspraxis und in meinem lebenspraktischen Denken und Fühlen -
meiner Überzeugungen ebenso sicher wie andere Leute auch -
(Edit:)
abgesehen natürlich von jenen Dogmatikern,
die es grundsätzlich ablehnen, ihre Überzeugungen zu überprüfen.
_________________ Gruß, Leony (Gott losgeworden vor vielen Jahren )
Zuletzt bearbeitet von Leony am 12.04.2005, 00:28, insgesamt einmal bearbeitet |
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