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Toasti allseitig mit Möbiusbutter bestrichen
Anmeldungsdatum: 15.05.2006 Beiträge: 1026
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(#2305965) Verfasst am: 24.06.2024, 13:58 Titel: Historizität Jesu |
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Hallo ihr Lieben!
In den USA (und auf Youtube) häufen sich seit ein paar Jahren die Stimmen jener Atheisten, die die Historizität Jesu anzweifeln. Diese "mythologists" liefern sich regelmäßig Debatten mit anderen Atheisten die an einen historischen Jesus glauben ( wie z.B. Bart Ehrmann ).
Ich selbst bin noch hin- und hergerissen und hätte gerne mehr Klarheit in dieser Sache.
Aus diversen Gottesdebatten weiss ich, dass man eine Nichtexistenz grundsätzlich nicht beweisen kann, die Beweispflicht obliegt demjenigen, der eine Behauptung aufstellt.
Die Tatsache, dass es keine zeitgenössischen Aufzeichnungen über das Leben eines Jesus von Nazareth gibt, beweist aber auch nicht, dass es ihn nicht gab.
Die erste (vermeintliche) Aussage über einen Jesus stammt von Paulus. Dieser hat Jesus zwar nicht persönlich getroffen ( sondern lediglich auf dem Weg nach Damaskus ein "Erweckungserlebnis" gehabt ), jedoch berichtet er , dass er mit dem Bruder von Jesus (Jakobus) umherzog und predigte.
Somit hätte er sein Wissen" aus erster Hand.
Was meint ihr?
Ist Paulus der Erfinder des Christentums?
Was würde dafür sprechen - was dagegen?
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vrolijke Bekennender Pantheist

Anmeldungsdatum: 15.03.2007 Beiträge: 46730
Wohnort: Stuttgart
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(#2305967) Verfasst am: 24.06.2024, 16:35 Titel: Re: Historizität Jesu |
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Toasti hat folgendes geschrieben: | Hallo ihr Lieben!
In den USA (und auf Youtube) häufen sich seit ein paar Jahren die Stimmen jener Atheisten, die die Historizität Jesu anzweifeln. Diese "mythologists" liefern sich regelmäßig Debatten mit anderen Atheisten die an einen historischen Jesus glauben ( wie z.B. Bart Ehrmann ).
Ich selbst bin noch hin- und hergerissen und hätte gerne mehr Klarheit in dieser Sache.
Aus diversen Gottesdebatten weiss ich, dass man eine Nichtexistenz grundsätzlich nicht beweisen kann, die Beweispflicht obliegt demjenigen, der eine Behauptung aufstellt.
Die Tatsache, dass es keine zeitgenössischen Aufzeichnungen über das Leben eines Jesus von Nazareth gibt, beweist aber auch nicht, dass es ihn nicht gab.
Die erste (vermeintliche) Aussage über einen Jesus stammt von Paulus. Dieser hat Jesus zwar nicht persönlich getroffen ( sondern lediglich auf dem Weg nach Damaskus ein "Erweckungserlebnis" gehabt ), jedoch berichtet er , dass er mit dem Bruder von Jesus (Jakobus) umherzog und predigte.
Somit hätte er sein Wissen" aus erster Hand.
Was meint ihr?
Ist Paulus der Erfinder des Christentums?
Was würde dafür sprechen - was dagegen? |
Dass die Historizität Jesus bewiesen werden kann beweist noch lange nicht, dass alle Tate die ihn zugeschrieben werden, auch tatsächlich alle von ihm sind.
Bekanntlich gab es damals mehrere Wanderprediger. Er selber wurde angeblich von einem Johannes der Täufer getauft.
Detaillierte schriftliche Aufzeichnungen über ihn datieren alle, frühestens ca 70 - 100 Jahr später.
Paulus ist wohl der bekannteste aktiver Prediger. Von andere Prediger hört man ja kaum was.
Ich denke, daher kann man wohl mit Fug und Recht behaupten, dass Paulus tatsächlich der "Erfinder" des Christentums war.
Aber studierte Theologen werden dir wahrscheinlich eine andere Auskunft geven.
_________________ Glück ist kein Geschenk der Götter; es ist die Frucht der inneren Einstellung.
Erich Fromm
Sich stets als unschuldiges Opfer äußerer Umstände oder anderer Menschen anzusehen ist die perfekte Strategie für lebenslanges Unglücklichsein.
Grenzen geben einem die Illusion, das Böse kommt von draußen
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Argeleb Misanthropischer Humanist
Anmeldungsdatum: 02.01.2010 Beiträge: 2056
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(#2305989) Verfasst am: 25.06.2024, 06:38 Titel: |
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Es gab bestimmt jemanden, der sich Jesus nannte. Es gab sicher jüdische Rebellen, die von den Römern hingerichtet wurden. Nichts davon wäre also ungewöhnlich.
Gab es einen Jesus, der Wasser in Wein verwandeln konnte, oder war es doch eher so, dass er auch nur, wie jeder andere, Wein in Urin verwandeln konnte?
Bei Sokrates ist es ähnlich: Niemand weiß, ob es sich dabei um eine historische Figur handelt, oder ob es nicht doch nur eine Erfindung Platos ist. Der Unterschied zu Jesus ist aber, dass es bei Sokrates keine Rolle spielt, ob er tatsächlich existiert hat. Bei Jesus hingegen fällt eine ganze Religion in sich zusammen, falls dieser Mann nie existiert hat, denn dann könnte er ja nicht für unsere Sünden gestorben sein.
_________________ Denny Crane!
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tillich (epigonal) hat Spaß
Anmeldungsdatum: 12.04.2006 Beiträge: 22250
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(#2306006) Verfasst am: 25.06.2024, 23:36 Titel: |
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tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben: | Rasch alte Diskussion rausgesucht:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben: | [...] Ich habe extra nochmal in den alten Threads gewühlt, und da wurde ausführlich thematisch diskutiert, und ich (und auch andere) habe eigentlich auch stets auf die Argumente gegen die Historizität Jesu ausführlich geantwortet (naja, im letzten der Threads schien ich zum Schluss keinen Bock mehr gehabt zu haben).
Es ging da um die Quellenlage, darum, dass viele Details (mythologischer und anderer Art) in der Jesusüberlieferung nicht "original" sind, es ging um den Unterschied zwischen historischem Jesus und dem Christus des Glaubens, um den Einfluss des Glaubens der Gemeinde auf die Überlieferung, um die historische Situation zur Zeit des frühen Christentums, darum, welche Bedeutung der historische Jesus bei Paulus hat, etc.pp. Zu all den Zweifeln an der Historizität Jesu habe ich dort meine Einwände geltend gemacht.
Außerdem habe ich zwei Hauptargumente für die Historizität Jesu genannt, als da wären:
a) Die Alternative zur Historizität Jesu wäre doch, dass der historische Jesus irgendwann frei erfunden wurde oder ein ursprünglich mythischer Christus in eine historische Figur umgedeutet wurde. Den biblischen Berichten nach (die in Details natürlich falsch sein können) hat sich aber die Jesusbewegung doch von den ersten Anhängern Jesu zu Lebzeiten über die Jerusalemer Gemeinde, dann dazu stoßende Leute und Mission zu weiteren Gemeinden in stetem Kontakt und Austausch entwickelt. Wäre Jesus nicht historisch, müsste aber auch diese ununterbrochene Gemeinschaft an irgendeinem Punkt selbst komplett erfunden sein. Wie ein solcher Vorgang hätte stattfinden sollen, ohne sich erkennbar in den Quellen niederzuschlagen, wäre mir unerklärlich. Gerade in christenkritischen Quellen, ob jüdisch oder heidnisch, müsste sich doch irgendein Niederschlag, ein Gerücht, eine Polemik finden - und so etwas findet sich ja auch, aber eben nicht an der Historizität, sondern entweder an historischen Details, wie Jesu Herkunft, oder an den mythischen Elementen wie der Auferstehung. Und auch innerhalb der christlichen Schriften müsste sich doch irgendein Niederschalg finden lassen (als gegnerische Meinung zB); und die einzige möglicherweise entsprechende Stelle, an die ich mich jetzt erinnern kann, ließ sich besser so deuten, dass die Gegner an der Messisnität als an der Historizität Jesu zweifelten.
Die Abwägung pro und contra hat also: einerseits zugestandermaßen durch den Glauben gefärbte christliche und zT davon abhängige nichtchristliche Quellen, die durch die Bank die Historizität Jesu annehmen, und andererseits jesuskritische Quellen, leider relativ spät, die zT sehr polemisch sind, aber gerade die Historizität eben nicht bezweifeln.
b) Es finden sich Widersprüche in der Überlieferung, die bei einem ursprünglich mythischen oder bewusst erfundenen Jesus schlicht nicht erklärlich wären, durch die historische Situation aber sehr wohl. Als Beispiel wäre zu nennen das Verhältnis zu den Pharisäern. Hier gibt es einerseits das Johannesevangelium, in dem die Pharisäer als prototypische Juden und Feinde auftreten - und andererseits die Synoptiker, insbesondere Lukas, bei denen Jesus oft bei Pharisäern zu Gast ist oder sonstwie in ihrer Gesellschaft zu finden ist (und Unverständnis vor allem gegenüber Jesu Hinwendung zu den Ausgeschlossenen besteht). Hier wird eher diskutiert und "versucht" (inhaltlich geprüft), als das Gegenerschaft herrscht. In der Apostelgeschichte nehmen die Pharisäer Jesu Anhänger sogar explizit in Schutz.
Diese diametrale Darstellung wäre bei einem erfundenen Jesus nicht erklärbar; nimmt man aber eine historische Entwicklung an, sehr gut: Denn zur (berichteten) Zeit Jesu und seiner frühen Anhänger waren unter verschiedenen Gruppen im Judentum die Pharisäer diejenigen, mit denen der Jesus der Synoptiker und seine Anhänger die größten Anknüpfungspunkte hatten, soziologisch, in der Art zu lehren oder auch inhaltlich (zB bezüglich der Bejahung der Auferstehung der Toten, die von anderen Gruppen ja verneint wurde); Differenzen waren zwar vorhanden, aber innerhalb einer noch weit größeren Vielfalt im Judentum tragbar (wie die Messiasfrage: da konnte man einfach abwarten).
Zur Entstehungszeit des Johannesevangeliums war hingegen der Tempel zerstört; soziologisch daran angebundene Gruppen wie die Sadduzäer waren bedeutungslos geworden; vor allem aber war der integrierende Faktor des Tempelkults weggefallen, und an seine Stelle trat das rabbinische (auf die Pharisäer zurückgehende) Lehre, die zwecks Integration viel stärker auf eine gemeinsame Frömmigkeit und rechten Glauben achteten (zB wurde eben erst nach der Tempelzerstörung endgültig der Kanon der Hebräischen Biebel festgelegt); Sondergruppen mit Messiasglauben waren nicht mehr tragbar in der Synagogengemeinde und wurden ausgeschlossen (auch wo nicht Problem der Heidenchristen dazukam) - nun waren die Pharisäer bzw. ihre Erben tatsächlich Gegner.
So weit meine alten Argumente. [...] |
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben: | Deine Behauptung war: "Es gab den Jesus von Nazareth nicht. Weder als einzelnen charismatischen Stammesführer, noch als glaubensgründenden Heiland, Messias oder dreimal gefalteten Gottesvatersohngeist und erst recht nicht als dieses überhöhte Wesen aus dem heiligen, mehrtausendfach abgewandelten Märchenbuch." Also: Keine historische Existenz des Jesus von Nazareth; das war auch die Behauptung, gegen die ich mich zuvor gewehrt habe. Schon ganz vorne in deinem ersten "Beleg"-Link zur historischen Jesusforschung steht aber das genaue Gegenteil: "Sie geht heute davon aus, dass Jesus existierte, berücksichtigt aber, dass die überlieferten Texte vorrangig den Glauben an Jesus Christus ausdrücken wollen."
Was du machst - gemeinsam mit einigen von dir genannten atheistischen Autoren -, ist, dass du die schlechte Quellenlage außerhalb des Christentums und die erkennbare Gestaltung der Jesusfigur nach dem Glauben in den christlichen Quellen als Beleg dafür benutzt, es habe ihn als historische Person gar nicht gegeben. Das ist aber nach wissenschaftlicher Methodik Unfug. Die Quellenlage ist zu der Zeit und an dem Ort ganz allgemein höchst schlecht; das Fehlen von außerchristlichen Quellen besagt in dieser Hinsicht also gar nichts bzw. höchstens, dass er keine herausragende politische Rolle gespielt hat - und genau das passt durchaus zu den christlichen Quellen.
Und bei den christlichen Quellen gibt es Dinge, die unter der Übermalung durchschimmern und durch die Annahme einer rein mythologisch-literarischen Figur einfach nicht erklärbar sind, den religiösen Erwartungen sogar so stark widersprechen, dass man erkennbar versucht hat, sie entsprechend anzupassen, die man aber offenbar nicht völlig weglassen konnte - also als historisch angenommen werden dürfen.
Bereits genannt als Beispiel habe ich die Herkunft aus Nazareth. Das passt zu den religiösen Bedürfnissen überhaupt nicht ("Was kann Gutes aus Nazareth kommen?"), war aber offenbar so weitgehend als Tatsache bekannt, dass es nicht wegzuretuschieren war. Die Geburtsgeschichten versuchen dann, diese bekannte Tatsache mit den religiösen Erwartungen ("Der Messias kommt aus Bethlehem") irgendwie zu vereinbaren, allerdings erkennbar mühsam, nicht historisch und einander widersprechend. Bei einer nicht historischen Figur hätte man sich diesen ganzen Aufriss einfach sparen können, ihn aus Bethlehem kommen lassen und fertig. |
Und die Links darin. |
_________________ "YOU HAVE TO START OUT LEARNING TO BELIEVE THE LITTLE LIES." -- "So we can believe the big ones?" -- "YES."
(Death / Susan, in: Pratchett, Hogfather)
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44643
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(#2306007) Verfasst am: 26.06.2024, 06:23 Titel: |
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Was man halt auch mit tillichs Argumenten immer noch nicht ausschließen kann, ist, dass im Christentum mehrere verschiedene Bewegungen zusammenflossen und die biblische Figur des Jesus Christus ein Amalgam aus verschiedenen Führungsfiguren ist, z. T. mit Anekdoten so herausgepickt, dass sie aussehen wie Erfüllungen alttestamentarischer Prophezeihungen. Wanderprediger, die gekreuzigt wurden, dürfte es damals jedenfalls einige gegeben haben.
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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vrolijke Bekennender Pantheist

Anmeldungsdatum: 15.03.2007 Beiträge: 46730
Wohnort: Stuttgart
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(#2306012) Verfasst am: 26.06.2024, 10:15 Titel: |
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Tarvoc hat folgendes geschrieben: | Was man halt auch mit tillichs Argumenten immer noch nicht ausschließen kann, ist, dass im Christentum mehrere verschiedene Bewegungen zusammenflossen und die biblische Figur des Jesus Christus ein Amalgam aus verschiedenen Führungsfiguren ist, z. T. mit Anekdoten so herausgepickt, dass sie aussehen wie Erfüllungen alttestamentarischer Prophezeihungen. Wanderprediger, die gekreuzigt wurden, dürfte es damals jedenfalls einige gegeben haben. |
Das finde ich auch am plausibelsten.
Jedenfalls glaubwürdiger als "Gott" der seinen Sohn auf Erden schickt, um für die Sünden der Menschen zu büßen.
Der Typ ist gemeint, der vor ca 13,8 Milliarden Jahre das ganze erschaffen hat.
Das ist wirklich grotesk. (Eine Milliarde sind tausend Million. Das realisiert man sich manchmal nicht).
_________________ Glück ist kein Geschenk der Götter; es ist die Frucht der inneren Einstellung.
Erich Fromm
Sich stets als unschuldiges Opfer äußerer Umstände oder anderer Menschen anzusehen ist die perfekte Strategie für lebenslanges Unglücklichsein.
Grenzen geben einem die Illusion, das Böse kommt von draußen
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tillich (epigonal) hat Spaß
Anmeldungsdatum: 12.04.2006 Beiträge: 22250
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(#2306026) Verfasst am: 26.06.2024, 20:50 Titel: |
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Tarvoc hat folgendes geschrieben: | Was man halt auch mit tillichs Argumenten immer noch nicht ausschließen kann, ist, dass im Christentum mehrere verschiedene Bewegungen zusammenflossen und die biblische Figur des Jesus Christus ein Amalgam aus verschiedenen Führungsfiguren ist, z. T. mit Anekdoten so herausgepickt, dass sie aussehen wie Erfüllungen alttestamentarischer Prophezeihungen. Wanderprediger, die gekreuzigt wurden, dürfte es damals jedenfalls einige gegeben haben. |
Jein. Dass manche Erzählungen über diese Figur nicht historisch sind, sondern zur Erfüllung von Prophezeiungen aus der Hebräischen Bibel erzählt wurden, ist ziemlich offensichtlich ("Er ist doch der Messias, also muss er doch in Bethlehem geboren sein"). Ebenso können religiöse Erzählungen aus anderen Quellen auf ihn übertragen worden sein, seien es mythologische Erzählungen oder Anekdoten über andere Menschen.
Unplausibel ist mit meiner Argumentation aber, dass - über eine Übertragung von einzelnen Erzählungen hinaus - wirklich zwei (oder gar mehr) historische Personen in der Überlieferung verschmolzen wären. Das beißt sich mit den (wenigen) historisch plausiben Daten, die wir haben - Herkunft aus Nazareth, Kreuzigung, Wanderprediger, das Unverheiratetsein dürften doch ziemlich fix sein, und diese spezifischen Informationen machen eine Verschmelzung mit einer anderen Person doch unwahrscheinlich. Vor allem aber müsste es die von dir genannten anderen Bewegungen als Trägergruppe der religiösen Überlieferungen bezüglich der anderen Führungsfigur geben, und sowohl die Bewegungen als auch die Überlieferungen müssten miteinander verschmelzen. Von so einem Vorgang müsste es aber eigentlich Spuren in der Überlieferung geben.
_________________ "YOU HAVE TO START OUT LEARNING TO BELIEVE THE LITTLE LIES." -- "So we can believe the big ones?" -- "YES."
(Death / Susan, in: Pratchett, Hogfather)
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tillich (epigonal) hat Spaß
Anmeldungsdatum: 12.04.2006 Beiträge: 22250
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(#2306027) Verfasst am: 26.06.2024, 20:56 Titel: |
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vrolijke hat folgendes geschrieben: | Tarvoc hat folgendes geschrieben: | Was man halt auch mit tillichs Argumenten immer noch nicht ausschließen kann, ist, dass im Christentum mehrere verschiedene Bewegungen zusammenflossen und die biblische Figur des Jesus Christus ein Amalgam aus verschiedenen Führungsfiguren ist, z. T. mit Anekdoten so herausgepickt, dass sie aussehen wie Erfüllungen alttestamentarischer Prophezeihungen. Wanderprediger, die gekreuzigt wurden, dürfte es damals jedenfalls einige gegeben haben. |
Das finde ich auch am plausibelsten.
Jedenfalls glaubwürdiger als "Gott" der seinen Sohn auf Erden schickt, um für die Sünden der Menschen zu büßen.
Der Typ ist gemeint, der vor ca 13,8 Milliarden Jahre das ganze erschaffen hat.
Das ist wirklich grotesk. (Eine Milliarde sind tausend Million. Das realisiert man sich manchmal nicht). |
Du bist gerade auf ein anderes Spielfeld gerannt.
Die Streitfrage hier ist die historische Frage, ob hinter dem Jesus von Nazareth des Christentums eine historische Person steht.
Die Alternativen dabei sind:
a) ja, es hat einen Jesus on Nazareth gegeben, auf den das Christentum zurückgeht (wenn auch die Geschichten über ihn zu großen Teilen unsicher sein können)
b) nein, eine solche Person gab es nicht, sie ist erfunden
c) es gab mehrere Personen, die in der Überlieferung zu einer Person verschmolzen wurden.
Deine Frage ist eine ganz andere, nämlich wie man diese Person religiös deutet.
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(Death / Susan, in: Pratchett, Hogfather)
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vrolijke Bekennender Pantheist

Anmeldungsdatum: 15.03.2007 Beiträge: 46730
Wohnort: Stuttgart
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(#2306028) Verfasst am: 26.06.2024, 23:37 Titel: |
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tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben: | vrolijke hat folgendes geschrieben: | Tarvoc hat folgendes geschrieben: | Was man halt auch mit tillichs Argumenten immer noch nicht ausschließen kann, ist, dass im Christentum mehrere verschiedene Bewegungen zusammenflossen und die biblische Figur des Jesus Christus ein Amalgam aus verschiedenen Führungsfiguren ist, z. T. mit Anekdoten so herausgepickt, dass sie aussehen wie Erfüllungen alttestamentarischer Prophezeihungen. Wanderprediger, die gekreuzigt wurden, dürfte es damals jedenfalls einige gegeben haben. |
Das finde ich auch am plausibelsten.
Jedenfalls glaubwürdiger als "Gott" der seinen Sohn auf Erden schickt, um für die Sünden der Menschen zu büßen.
Der Typ ist gemeint, der vor ca 13,8 Milliarden Jahre das ganze erschaffen hat.
Das ist wirklich grotesk. (Eine Milliarde sind tausend Million. Das realisiert man sich manchmal nicht). |
Du bist gerade auf ein anderes Spielfeld gerannt.
Die Streitfrage hier ist die historische Frage, ob hinter dem Jesus von Nazareth des Christentums eine historische Person steht.
Die Alternativen dabei sind:
a) ja, es hat einen Jesus on Nazareth gegeben, auf den das Christentum zurückgeht (wenn auch die Geschichten über ihn zu großen Teilen unsicher sein können)
b) nein, eine solche Person gab es nicht, sie ist erfunden
c) es gab mehrere Personen, die in der Überlieferung zu einer Person verschmolzen wurden.
Deine Frage ist eine ganz andere, nämlich wie man diese Person religiös deutet. |
Da muss ich dir recht geben.
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26436
Wohnort: im Speckgürtel
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(#2306052) Verfasst am: 28.06.2024, 11:19 Titel: |
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Tarvoc hat folgendes geschrieben: | Was man halt auch mit tillichs Argumenten immer noch nicht ausschließen kann, ist, dass im Christentum mehrere verschiedene Bewegungen zusammenflossen und die biblische Figur des Jesus Christus ein Amalgam aus verschiedenen Führungsfiguren ist, z. T. mit Anekdoten so herausgepickt, dass sie aussehen wie Erfüllungen alttestamentarischer Prophezeihungen. Wanderprediger, die gekreuzigt wurden, dürfte es damals jedenfalls einige gegeben haben. |
Das ist eine Argumentation, die nur auf die christlichen Texte sieht.
tillich geht leider nur indirekt auch eine andere Ebene ein:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben: | ....
a) Die Alternative zur Historizität Jesu wäre doch, dass der historische Jesus irgendwann frei erfunden wurde oder ein ursprünglich mythischer Christus in eine historische Figur umgedeutet wurde. Den biblischen Berichten nach (die in Details natürlich falsch sein können) hat sich aber die Jesusbewegung doch von den ersten Anhängern Jesu zu Lebzeiten über die Jerusalemer Gemeinde, dann dazu stoßende Leute und Mission zu weiteren Gemeinden in stetem Kontakt und Austausch entwickelt. Wäre Jesus nicht historisch, müsste aber auch diese ununterbrochene Gemeinschaft an irgendeinem Punkt selbst komplett erfunden sein. Wie ein solcher Vorgang hätte stattfinden sollen, ohne sich erkennbar in den Quellen niederzuschlagen, wäre mir unerklärlich. .... |
Er nennt hier die christliche "Geschichtsschreibung" zur Ausbreitung des Christentums. Für die gibt es aber, wenn auch nicht in den Storydetails, einen archäologischen Befund, der in der Abfolge von Gründungen / christlicher Einrichtungen bzw. Umwidmungen jüdischer Einrichtungen in christliche in einem relativ kurzen Zeitraum rund ums Mittelmeer zeugt. Details davon, auch wenn die Erzählrichtung in eine ganz andere Richtung geht, findest Du in der Kriminalgeschichte des Christentums.
Dieser archäologische Befund wird ohne die Figur des einzelnen charismatischen Predigers sehr schwer erklärbar. Die Verschmelzung verschiedener Führungsfiguren zu einer ist ein kultureller Prozess, der mehr Zeit braucht.
Die mögliche bzw. unmögliche Parallelisierung der zeitlichen Staffelung des archäologischen Befunds mit den religiösen Erzählungen machen für mich die historische Figur Jesus erheblich wahrscheinlicher als die historische Figur Mohammeds.
_________________ Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.
The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.
Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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AlexJ Supermarktoverlord
Anmeldungsdatum: 11.04.2008 Beiträge: 2353
Wohnort: Köln
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(#2306080) Verfasst am: 29.06.2024, 22:09 Titel: |
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fwo hat folgendes geschrieben: |
Er nennt hier die christliche "Geschichtsschreibung" zur Ausbreitung des Christentums. Für die gibt es aber, wenn auch nicht in den Storydetails, einen archäologischen Befund, der in der Abfolge von Gründungen / christlicher Einrichtungen bzw. Umwidmungen jüdischer Einrichtungen in christliche in einem relativ kurzen Zeitraum rund ums Mittelmeer zeugt. Details davon, auch wenn die Erzählrichtung in eine ganz andere Richtung geht, findest Du in der Kriminalgeschichte des Christentums.
Dieser archäologische Befund wird ohne die Figur des einzelnen charismatischen Predigers sehr schwer erklärbar. Die Verschmelzung verschiedener Führungsfiguren zu einer ist ein kultureller Prozess, der mehr Zeit braucht.
Die mögliche bzw. unmögliche Parallelisierung der zeitlichen Staffelung des archäologischen Befunds mit den religiösen Erzählungen machen für mich die historische Figur Jesus erheblich wahrscheinlicher als die historische Figur Mohammeds. |
Ich halte im Gegenteil die Ausbreitung vor allem außerhalb der Lokalität der historischen Verortung der Geschichte selbst, für einen absoluten schlechten Hinweis auf dessen Authentizität. Gerade fernab lassen sich Erzählungen verschiedener Führungsfiguren leicht verschmelzen. Die lokal relevanten Führungsfiguren, die eventuell in die Jesus Geschichte zusammenflossen, wären dem Fremdpublikum kaum bekannt gewesen. Dass wichtige Personen im Altertum nach ihrem Tod (oder sogar davor) häufig und sehr rasch glorifiziert und mystifiziert wurden, ist historisch gut belegt. Dabei war es üblich, sich bei anderen Figuren zu bedienen, insbesondere der Konkurrenz, deren Erzählung dann nicht nur kopiert wurde, sondern noch aufgebauscht wurde, um den eigenen Kandidaten größer und mächtiger erscheinen zu lassen.
Persönlich halte ich die Historizität eines Jesus von Nazareth, dennoch höher als dessen nicht Existenz. Würde aber noch darauf hinweisen, dass wenn die Historizität Jesus infrage gestellt wird, automatisch auch der Todeszeitpunkt infrage steht. Das ganze Entstehen der Geschichte also um Jahrzehnte nach hinten verlegt werden kann.
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26436
Wohnort: im Speckgürtel
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(#2306089) Verfasst am: 30.06.2024, 11:19 Titel: |
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AlexJ hat folgendes geschrieben: | fwo hat folgendes geschrieben: |
Er nennt hier die christliche "Geschichtsschreibung" zur Ausbreitung des Christentums. Für die gibt es aber, wenn auch nicht in den Storydetails, einen archäologischen Befund, der in der Abfolge von Gründungen / christlicher Einrichtungen bzw. Umwidmungen jüdischer Einrichtungen in christliche in einem relativ kurzen Zeitraum rund ums Mittelmeer zeugt. Details davon, auch wenn die Erzählrichtung in eine ganz andere Richtung geht, findest Du in der Kriminalgeschichte des Christentums.
Dieser archäologische Befund wird ohne die Figur des einzelnen charismatischen Predigers sehr schwer erklärbar. Die Verschmelzung verschiedener Führungsfiguren zu einer ist ein kultureller Prozess, der mehr Zeit braucht.
Die mögliche bzw. unmögliche Parallelisierung der zeitlichen Staffelung des archäologischen Befunds mit den religiösen Erzählungen machen für mich die historische Figur Jesus erheblich wahrscheinlicher als die historische Figur Mohammeds. |
Ich halte im Gegenteil die Ausbreitung vor allem außerhalb der Lokalität der historischen Verortung der Geschichte selbst, für einen absoluten schlechten Hinweis auf dessen Authentizität. Gerade fernab lassen sich Erzählungen verschiedener Führungsfiguren leicht verschmelzen. Die lokal relevanten Führungsfiguren, die eventuell in die Jesus Geschichte zusammenflossen, wären dem Fremdpublikum kaum bekannt gewesen. Dass wichtige Personen im Altertum nach ihrem Tod (oder sogar davor) häufig und sehr rasch glorifiziert und mystifiziert wurden, ist historisch gut belegt. Dabei war es üblich, sich bei anderen Figuren zu bedienen, insbesondere der Konkurrenz, deren Erzählung dann nicht nur kopiert wurde, sondern noch aufgebauscht wurde, um den eigenen Kandidaten größer und mächtiger erscheinen zu lassen.
Persönlich halte ich die Historizität eines Jesus von Nazareth, dennoch höher als dessen nicht Existenz. Würde aber noch darauf hinweisen, dass wenn die Historizität Jesus infrage gestellt wird, automatisch auch der Todeszeitpunkt infrage steht. Das ganze Entstehen der Geschichte also um Jahrzehnte nach hinten verlegt werden kann. |
s.o. fett von mir.
Ich hätte vielleicht etwas präziser sein sollen: Der kulturelle Prozess der Verschmelzung von Mythen braucht Generationen. Die liegen nicht zwischen dem Auftreten des Predigers aus Nazareth und den Gründungen der Gemeinden rund ums Mittelmeer, die sich auf ihn berufen.
Vielleicht findet Tillich ja eine Zusammenstellung der Gründungszeiten.
_________________ Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.
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Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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AlexJ Supermarktoverlord
Anmeldungsdatum: 11.04.2008 Beiträge: 2353
Wohnort: Köln
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(#2306202) Verfasst am: 05.07.2024, 12:52 Titel: |
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fwo hat folgendes geschrieben: | AlexJ hat folgendes geschrieben: | fwo hat folgendes geschrieben: |
Er nennt hier die christliche "Geschichtsschreibung" zur Ausbreitung des Christentums. Für die gibt es aber, wenn auch nicht in den Storydetails, einen archäologischen Befund, der in der Abfolge von Gründungen / christlicher Einrichtungen bzw. Umwidmungen jüdischer Einrichtungen in christliche in einem relativ kurzen Zeitraum rund ums Mittelmeer zeugt. Details davon, auch wenn die Erzählrichtung in eine ganz andere Richtung geht, findest Du in der Kriminalgeschichte des Christentums.
Dieser archäologische Befund wird ohne die Figur des einzelnen charismatischen Predigers sehr schwer erklärbar. Die Verschmelzung verschiedener Führungsfiguren zu einer ist ein kultureller Prozess, der mehr Zeit braucht.
Die mögliche bzw. unmögliche Parallelisierung der zeitlichen Staffelung des archäologischen Befunds mit den religiösen Erzählungen machen für mich die historische Figur Jesus erheblich wahrscheinlicher als die historische Figur Mohammeds. |
Ich halte im Gegenteil die Ausbreitung vor allem außerhalb der Lokalität der historischen Verortung der Geschichte selbst, für einen absoluten schlechten Hinweis auf dessen Authentizität. Gerade fernab lassen sich Erzählungen verschiedener Führungsfiguren leicht verschmelzen. Die lokal relevanten Führungsfiguren, die eventuell in die Jesus Geschichte zusammenflossen, wären dem Fremdpublikum kaum bekannt gewesen. Dass wichtige Personen im Altertum nach ihrem Tod (oder sogar davor) häufig und sehr rasch glorifiziert und mystifiziert wurden, ist historisch gut belegt. Dabei war es üblich, sich bei anderen Figuren zu bedienen, insbesondere der Konkurrenz, deren Erzählung dann nicht nur kopiert wurde, sondern noch aufgebauscht wurde, um den eigenen Kandidaten größer und mächtiger erscheinen zu lassen.
Persönlich halte ich die Historizität eines Jesus von Nazareth, dennoch höher als dessen nicht Existenz. Würde aber noch darauf hinweisen, dass wenn die Historizität Jesus infrage gestellt wird, automatisch auch der Todeszeitpunkt infrage steht. Das ganze Entstehen der Geschichte also um Jahrzehnte nach hinten verlegt werden kann. |
s.o. fett von mir.
Ich hätte vielleicht etwas präziser sein sollen: Der kulturelle Prozess der Verschmelzung von Mythen braucht Generationen. Die liegen nicht zwischen dem Auftreten des Predigers aus Nazareth und den Gründungen der Gemeinden rund ums Mittelmeer, die sich auf ihn berufen.
Vielleicht findet Tillich ja eine Zusammenstellung der Gründungszeiten. |
Warum braucht es Deiner Meinung nach Generationen? Von anderen historischen Personen der Antike wissen wir, dass diesen noch zu Lebzeiten oder kurz nach ihrem Tod diverse Legenden und Mythen zugesprochen wurden, die häufig auffallend ähnlich, wenn nicht sogar eindeutig Kopien waren zu bereits existierenden Legenden und Mythen, die anderen zugeschrieben worden. Wasser zu Wein und allerlei Geburtslegenden inklusive jungfräuliche Geburt finden sich sogar bei antike Biografen/Historiker, welche die historische Person persönlich gekannt haben.
Dass Wanderprediger/Kirchengründer fernab der Ursprungslokalität nicht nur Motiv zum garnspinnen gehabt, sondern einfacheres Spiel beim Geschichten erfinden/verschmelzen/umdichten gehabt hätten, scheint mir offensichtlich.
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tillich (epigonal) hat Spaß
Anmeldungsdatum: 12.04.2006 Beiträge: 22250
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(#2306205) Verfasst am: 05.07.2024, 17:58 Titel: |
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Dass beeindruckenden o.Ä. Personen Geschichten zugeschrieben werden, die vorher schon über andere Personen erzählt wurden, ist aber etwas durchaus anderes, als dass zwei Personen in der Überlieferung zu einer verschmelzen.
Ersteres passiert sehr einfach, auch noch in der neuesten Zeit, und ist auch für Jesus von Nazareth denkbar bis wahrscheinlich (bzw. bzgl. der Zuschreibung der Erfüllung alttestamentlicher Prophezeiungen erwiesen). Das verlangt aber lediglich die Übertragung einzelner Geschichten.
Lezteres verlangt hingegen, dass zuerst in der Nachfolge von zwei Personen zwei Überlieferungsgemeinschaften entstehen, die die Erzählungen über die Personen weitergeben, und dass dann aber danach die beiden Überlieferungsgemeinschaften zusammen mit ihren Erzählungen derartig restlos verschmelzen, dass jegliche Erinnerung daran oder auch nur Hinweise darauf, dass es mal zwei Personen waren, verschwinden kann. Wie soll das in einer so kurzen Zeitspanne funktionieren?
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(Death / Susan, in: Pratchett, Hogfather)
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AlexJ Supermarktoverlord
Anmeldungsdatum: 11.04.2008 Beiträge: 2353
Wohnort: Köln
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(#2306216) Verfasst am: 06.07.2024, 15:58 Titel: |
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tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben: | Dass beeindruckenden o.Ä. Personen Geschichten zugeschrieben werden, die vorher schon über andere Personen erzählt wurden, ist aber etwas durchaus anderes, als dass zwei Personen in der Überlieferung zu einer verschmelzen.
Ersteres passiert sehr einfach, auch noch in der neuesten Zeit, und ist auch für Jesus von Nazareth denkbar bis wahrscheinlich (bzw. bzgl. der Zuschreibung der Erfüllung alttestamentlicher Prophezeiungen erwiesen). Das verlangt aber lediglich die Übertragung einzelner Geschichten.
Lezteres verlangt hingegen, dass zuerst in der Nachfolge von zwei Personen zwei Überlieferungsgemeinschaften entstehen, die die Erzählungen über die Personen weitergeben, und dass dann aber danach die beiden Überlieferungsgemeinschaften zusammen mit ihren Erzählungen derartig restlos verschmelzen, dass jegliche Erinnerung daran oder auch nur Hinweise darauf, dass es mal zwei Personen waren, verschwinden kann. Wie soll das in einer so kurzen Zeitspanne funktionieren? |
Ich sehe wir haben hier unterschiedlich Auffassung was Verschmelzung bedeutet bzw. worauf sich diese sich bezieht. Ich beziehe das nicht auf die Verschmelzung bereits existierender Überlieferungsgemeinschaften von Figuren, sondern die Verschmelzung der Geschichten der Figuren. Letzteres benötigt eben keine Verschmelzung der Gemeinschaften. Ich würde aber behaupten, dass eine wie auch immer geartete Verschmelzung besonders dort gut stattfinden kann, wo eine oder mehrere der Überlieferungsgemeinschaften gerade erst Fuß zu fassen versucht. Auch das Verschwinden von Erinnerung und Hinweisen geht so schneller, da diese gar nicht erst an die neue oder neu "verschmolzene" Überliefungsgemeinschaft übergeben werden muss.
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tillich (epigonal) hat Spaß
Anmeldungsdatum: 12.04.2006 Beiträge: 22250
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(#2306225) Verfasst am: 06.07.2024, 23:44 Titel: |
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AlexJ hat folgendes geschrieben: | Ich sehe wir haben hier unterschiedlich Auffassung was Verschmelzung bedeutet bzw. worauf sich diese sich bezieht. Ich beziehe das nicht auf die Verschmelzung bereits existierender Überlieferungsgemeinschaften von Figuren, sondern die Verschmelzung der Geschichten der Figuren. |
Naja, dass einzelne Geschichten auf eine bekannte Figur übertragen werden können, ist zwischen uns anscheinend gar nicht strittig. (Wobei auch das natürlich nicht beliebig passiert, sondern die Geschichte nach Meinung derer, die Geschichten zu dieser Figur überliefern, zu dieser "passen" muss.) Dass irgendeine einzelne Geschichte, die zu irgendeinem Zeitpunkt ohne Namensnennung weitergegeben wurde, dann mit der Namensnennung "Jesus von Nazareth", weitererzählt worden sein kann, ist relativ banal.
Für diesen Vorgang ist es aber mMn nicht sinnvoll, von einer Verschmelzung von Personen zu reden. Das ist mMn erst dann sinnvoll, wenn zunächst auch die andere Person als bedeutsame Figur individuell überliefert wurde. Und das wiederum passiert nicht ohne irgendeine Gemeinschaft, die das macht. Und dann hat man die von mir beschriebenen Plausibilitätsprobleme.
AlexJ hat folgendes geschrieben: | Letzteres benötigt eben keine Verschmelzung der Gemeinschaften. Ich würde aber behaupten, dass eine wie auch immer geartete Verschmelzung besonders dort gut stattfinden kann, wo eine oder mehrere der Überlieferungsgemeinschaften gerade erst Fuß zu fassen versucht. Auch das Verschwinden von Erinnerung und Hinweisen geht so schneller, da diese gar nicht erst an die neue oder neu "verschmolzene" Überliefungsgemeinschaft übergeben werden muss. |
Deine Argumentation wäre plausibel, wenn die Gemeinschaften nach dem "Fußfassen" isoliert wären und keine Kontakte zu den Ursprungsträgern der Überlieferungen gehabt hätten. Das ist im Römischen Reich aber nicht der Fall. Da gibt es regen Reise- und Briefverkehr, die - ausweislich der vorhandenen Überlieferungen - gerade für das entstehende Christentum bedeutsam waren. In den vorhandenen Texten kann man immer wieder sehen, dass es über diverse inhaltliche Fragen Streitigkeiten gibt, die nicht nur an einem Ort, sondern auch im Kontakt zwischen verschiedenen lokalen Gruppen thematisiert werden. Dass unter diesen Bedingungen zwei zunächst unabhängig voneinander überlieferte Personen in der Überlieferung zu einer verschmelzen könnten, iat mE gänzlich unplausibel.
Es sei denn, natürlich, es hätte zwei Personen gegeben, auf die die ja ziemlich spärlichen relativ sicheren Fakten zutreffen: Name, Name der Mutter, Herkunftsort, ganz grobe Art der Tätigkeit sowie Todesart. Das ist aber, mit Verlaub schon sehr unwahrscheinlich - und wenn es so etwas gegeben hätte, wäre es eigentlich fast plausibler, dass zwei solche Personen gerade wegen der Ähnlichkeit erkennbar differenziert werden, etwa durch Beinamen.
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VanHanegem Weltmeister
Anmeldungsdatum: 24.04.2006 Beiträge: 3180
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(#2306424) Verfasst am: 16.07.2024, 07:36 Titel: |
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tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben: | ... Dass irgendeine einzelne Geschichte, die zu irgendeinem Zeitpunkt ohne Namensnennung weitergegeben wurde, dann mit der Namensnennung "Jesus von Nazareth", weitererzählt worden sein kann, ist relativ banal.... |
Dass eine Geschichte MIT Namensnennung weitergegeben, dann später Jesus zugeschrieben, und erste Namensnennung dann in Vergessenheit geraten ist, das ist auch relativ banal.
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VanHanegem Weltmeister
Anmeldungsdatum: 24.04.2006 Beiträge: 3180
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(#2306427) Verfasst am: 16.07.2024, 10:03 Titel: |
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Der Unterschied zwischen einer glaubwürdig historischen und einer eher fiktiven Person wird auch schön durch einen Vergleich Sokrates vs. Jesus gezeigt.
Die Überlieferung zur Person Jesus stammt durchwegs von Anhängern des Christentums und/oder Personen, die selbst bereits auf Überliefertes zurückgriffen. Die Überlieferung zu Sokrates ist authentischer (Personen, die ihn mutmaßlich persönlich kannten) und umfasst sowohl Anhänger (z.B: Platon) als auch Kritiker (z.B. Aristophanes)
Zur Erfindung des Christentums hat Bruno Bauer relativ umfassend recherchiert. Als Einstig finde ich eine gute Zusammenfassung von Engels:
"Bruno Bauer und das Urchristentum" relativ hilfreich
http://www.mlwerke.de/me/me19/me19_297.htm
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26436
Wohnort: im Speckgürtel
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(#2306432) Verfasst am: 16.07.2024, 12:25 Titel: |
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VanHanegem hat folgendes geschrieben: | Der Unterschied zwischen einer glaubwürdig historischen und einer eher fiktiven Person wird auch schön durch einen Vergleich Sokrates vs. Jesus gezeigt.
Die Überlieferung zur Person Jesus stammt durchwegs von Anhängern des Christentums und/oder Personen, die selbst bereits auf Überliefertes zurückgriffen. Die Überlieferung zu Sokrates ist authentischer (Personen, die ihn mutmaßlich persönlich kannten) und umfasst sowohl Anhänger (z.B: Platon) als auch Kritiker (z.B. Aristophanes)
Zur Erfindung des Christentums hat Bruno Bauer relativ umfassend recherchiert. Als Einstig finde ich eine gute Zusammenfassung von Engels:
"Bruno Bauer und das Urchristentum" relativ hilfreich
http://www.mlwerke.de/me/me19/me19_297.htm |
Die Quellenlage ist etwas komplexer: Du hast bei Jesus zum Einen die Schriften aus den Fan-Groups, die auch zur Person sind und Du hast zum Anderen die Bildung dieser Fan-Groups, die von der Obrigkeit ziemlich misstrauisch verfolgt wurde, außerdem ist auch Briefverkehr zwischen ihnen belegt.
Was also ganz normal als historischer Befund vorliegt, ist das das Entstehen der Gemeinden, die sich auf die Person Jesus berufen, rund um das Mittelmeer innerhalb von ca. 30 Jahren, also einer Generation. Es handelt sich also nicht um einen Zeitraum, der allzuviel Überlieferungsveränderung zulässt, um mehrere Personen zu verschmelzen usw. Dabei interessiert mich gar nicht, was den christlichen Zeugnissen für ein Wahrheitswert zur Existenz der Person Jesus zuzuweisen ist. Meine Frage ist viel schlichter: Wie soll man sich die Bildung all dieser Gemeinden in so kurzer Zeit ohne die Existenz des charismatischen Gründers vorstellen?
Die Faktenlage im Islam ist eine ganz andere:
Da haben wir - bis auf den zeitlichen Abstand der Niederlegung formal vergleichbar mit den Schriften des Neuen Testaments - die Geschichtsschreibung des Islam, in der genau beschrieben wird, in welcher Kneipe Muhammad welchen Furz gelassen und welche Schlachten er persönlich geschlagen hat, wobei das alles in sehr viel größerem zeitlichen Abstand zu seinem angeblichen Leben niedergeschrieben wurde, und es auch keinen historischen Befund dazu gibt. Der historische Befund ist die arabische Expansion, die aber in ihren Verwaltungstexten ganz lange ohne eigene Religion und erst recht ohne einen Bezug zu einem Religionsgründer auskommt. Den Arabern, die die iberische Halbinsel erobert haben, war kein Muhammad bekannt.
btw: Es ist in der Geschichtsforschung seit 1882 eine ganze Menge passiert. Die Schriften des F. Engels mögen ja ganz interessant sein, aber ich weiß nicht wie sinnvoll es ist, die für historische Fragestellungen zu den Anfängen des Christentums zu Rate zu ziehen. Ich gucke auch nicht bei Ernst Haeckel nach, wenn ich heute etwas über Evolution wissen will (wobei ich Haeckels Beitrag zur Entwicklung der Evolutionstheorie höher einschätze als den Betrag Engels zur Geschichte des Christentums.).
_________________ Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.
The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.
Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44643
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(#2306435) Verfasst am: 16.07.2024, 13:06 Titel: |
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fwo hat folgendes geschrieben: | Die Schriften des F. Engels mögen ja ganz interessant sein, aber ich weiß nicht wie sinnvoll es ist, die für historische Fragestellungen zu den Anfängen des Christentums zu Rate zu ziehen. |
Ich hab' Engels' Schriften zum Ursprung des Christentums nicht gelesen, aber nach dem, was ich darüber gehört habe, klaut er sowieso alles Wesentliche von D. F. Strauß und Bruno Bauer (die ich zu dem Thema auch nicht gelesen habe).
fwo hat folgendes geschrieben: | Der historische Befund ist die arabische Expansion, die aber in ihren Verwaltungstexten ganz lange ohne eigene Religion und erst recht ohne einen Bezug zu einem Religionsgründer auskommt. Den Arabern, die die iberische Halbinsel erobert haben, war kein Muhammad bekannt. |
Interessant, haste mal 'ne Literaturempfehlung dazu?
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26436
Wohnort: im Speckgürtel
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(#2306449) Verfasst am: 16.07.2024, 20:25 Titel: |
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Es existiert leider kein Thread zum Thema Ausbreitung des Islam bzw islamische Geschichtsschreibung.
Dehalb beantworte ich die Frage, wo sie gestellt wurde.
Tarvoc hat folgendes geschrieben: | .....
fwo hat folgendes geschrieben: | Der historische Befund ist die arabische Expansion, die aber in ihren Verwaltungstexten ganz lange ohne eigene Religion und erst recht ohne einen Bezug zu einem Religionsgründer auskommt. Den Arabern, die die iberische Halbinsel erobert haben, war kein Muhammad bekannt. |
Interessant, haste mal 'ne Literaturempfehlung dazu? |
In erster Linie das hier:
https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-12956-9
Ich kenne nicht den ganzen Wälzer sondern nur einen ca 500-seitigen "Auszug" davon:
https://www.kurtbangert.de/buecher_derprophetderniewar-.html
Im Gegensatz zu dem ersten ist dieses Buch in einer Art Selbstverlag ohne die aufwändige Textkorrektur durch einen großen Verlag als print on demand erschienen, so dass ich Bangert in einer frühen Ausgabe auf einige Fehler aufmerksam gemacht habe, die ihm durch die Lappen gegangen waren. Das ist der Hintergrund dafür, dass er mich um eine Besprechung gebeten hat.
Ansonsten hat es einige Arbeiten bei Inarah gegeben, die den Islam der arabischen Eroberer zum Thema hatten, der eben keiner im heutigen Sinne war. Bei denen habe ich aber schon länger nicht mehr gestöbert.
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VanHanegem Weltmeister
Anmeldungsdatum: 24.04.2006 Beiträge: 3180
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(#2306456) Verfasst am: 17.07.2024, 07:00 Titel: |
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Tarvoc hat folgendes geschrieben: | Ich hab' Engels' Schriften zum Ursprung des Christentums nicht gelesen, aber nach dem, was ich darüber gehört habe, klaut er sowieso alles Wesentliche von D. F. Strauß und Bruno Bauer (die ich zu dem Thema auch nicht gelesen habe). |
Da hast Du nicht ganz Unrecht. Ich bezog mich schließlich auf Engels paper "Bruno Bauer und das Urchristentum". Dass er Bauer beklaut habe würde ich aber nicht sagen, schließlich hat er ihn ja ganz offen referiert, stellenweise kritisiert. Und: eine Zusammenfassung von Engels ist meistens unterhaltsamer zu lesen als das Original.
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VanHanegem Weltmeister
Anmeldungsdatum: 24.04.2006 Beiträge: 3180
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(#2306458) Verfasst am: 17.07.2024, 07:25 Titel: |
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fwo hat folgendes geschrieben: | Du hast bei Jesus zum Einen die Schriften aus den Fan-Groups, ... |
... ja und zwar hauptsächlich bereeits von Leuten, die Jesus wohl nicht mehr persönlich gekannt haben.
fwo hat folgendes geschrieben: | Was also ganz normal als historischer Befund vorliegt, ist das das Entstehen der Gemeinden, die sich auf die Person Jesus berufen, rund um das Mittelmeer innerhalb von ca. 30 Jahren ... Meine Frage ist viel schlichter: Wie soll man sich die Bildung all dieser Gemeinden in so kurzer Zeit ohne die Existenz des charismatischen Gründers vorstellen? |
Bei diesem charismatischen Gründer müsste man m.E. aber schon solide Koine-Griechisch Fähigkeiten voraussetzen. Da würde ich in erster Linie mal auf Paulus tippen. (wie ja auch vom eingangsschreiber vermutet)
fwo hat folgendes geschrieben: | Die Schriften des F. Engels mögen ja ganz interessant sein, aber ich weiß nicht wie sinnvoll es ist, die für historische Fragestellungen zu den Anfängen des Christentums zu Rate zu ziehen. |
In dem meinerseits zitierten paper fasst Engels lediglich Bauer zusammen. Wer weiter in die Tiefe gehen will, kann ja bei Bauer direkt nachlesen, bzw. gleich zu den Quellen (z.B: Paulus, Seneca etc.) gehen
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26436
Wohnort: im Speckgürtel
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(#2306465) Verfasst am: 17.07.2024, 11:36 Titel: |
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VanHanegem hat folgendes geschrieben: | fwo hat folgendes geschrieben: | Du hast bei Jesus zum Einen die Schriften aus den Fan-Groups, ... |
... ja und zwar hauptsächlich bereeits von Leuten, die Jesus wohl nicht mehr persönlich gekannt haben. |
ca. im Jahr 60 fingen diese Gründungen nicht an, sondern umfassen praktisch das Mittelmer - in Syrien finden sich die ersten Treffpunkte bereits vor dem möglichen Tod eines historischen Jesus.
Insofern wundert mich Deine Sicherheit, dass die Gemeindegründer Jesus bereits hauptsächlich aus Erzählungen kannten.
VanHanegem hat folgendes geschrieben: | fwo hat folgendes geschrieben: | Was also ganz normal als historischer Befund vorliegt, ist das das Entstehen der Gemeinden, die sich auf die Person Jesus berufen, rund um das Mittelmeer innerhalb von ca. 30 Jahren ... Meine Frage ist viel schlichter: Wie soll man sich die Bildung all dieser Gemeinden in so kurzer Zeit ohne die Existenz des charismatischen Gründers vorstellen? |
Bei diesem charismatischen Gründer müsste man m.E. aber schon solide Koine-Griechisch Fähigkeiten voraussetzen. Da würde ich in erster Linie mal auf Paulus tippen. (wie ja auch vom eingangsschreiber vermutet) |
Wir reden vom Frühchristentum, das waren hauptsächlich Judenchristen. Die machen m.W. auch den Großteil der Gründungen an der Südküste des Mittelmeeres aus. Die hellenistische Linie kommt später nach der Hinwendung des Missionsauftrages auch zu den Heiden.
btw: Griechisch war wie auch Aramäisch eine der Verkehrssprachen des nahen Ostens, also relativ verbreitet.
VanHanegem hat folgendes geschrieben: | fwo hat folgendes geschrieben: | Die Schriften des F. Engels mögen ja ganz interessant sein, aber ich weiß nicht wie sinnvoll es ist, die für historische Fragestellungen zu den Anfängen des Christentums zu Rate zu ziehen. |
In dem meinerseits zitierten paper fasst Engels lediglich Bauer zusammen. Wer weiter in die Tiefe gehen will, kann ja bei Bauer direkt nachlesen, bzw. gleich zu den Quellen (z.B: Paulus, Seneca etc.) gehen |
Da kommst Du aber aus dem Regen nur insofern raus, als Du in der Traufe bleibst. Wir haben da praktisch keine alten Originalschriften, sondern die sind bei jeder Abschrift "korrigiert" worden.
Um das an einem in der Öffentlichkeit aktuelleren Beispiel zu zeigen: Von denen, die zu dem Thema forschen, geht kaum noch jemand von Christenverfolgungen unter Nero aus, einen Niederschlag in Lehr- oder gar Schulbüchern wirst Du davon aber noch nicht finden, auch den Lehrern, also interessierten Leuten, scheint das neu zu sein. Das durfte ich gerade feststellen, als ich einer Nichte, die in der Schule einen Vortrag dazu halten sollte, mit einiger Mühe ein paar neuere Quellen besorgt habe. Man hat sich diesem neuen Nero-Bild zuerst über die Auswertung römischer Gerichtsakten genähert, die ein völlig anderes Bild lieferten als die römische "Geschichtsschtreibung". (Eine Geschichtsschreibung, die sich einer historischen Wahrheit verpflichtet fühlt, findet man auch im Abendland sowieso erst nach der Aufklärung.)
Der historische Befund besteht eben aus weit mehr als aus den paar historischen Schriften, mit denen man seit Jahrhunderten eigentlich nicht mehr gemacht hat, als sie sich immer wieder durchzulesen, und dieser historische Befund wächst trotz des gleichzeitig wachsenden zeitlichen Abstandes.
Das alles selbstverständlich unter dem Vorbehalt, dass ich, wie ein Klassenkamerad es nach seinem 1. Staatsexamen Deutsch und Geschichte HL einmal treffend feststellte, nur ein Nicht-Historiker bin.
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VanHanegem Weltmeister
Anmeldungsdatum: 24.04.2006 Beiträge: 3180
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(#2306483) Verfasst am: 18.07.2024, 08:36 Titel: |
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fwo hat folgendes geschrieben: | ca. im Jahr 60 fingen diese Gründungen nicht an, sondern umfassen praktisch das Mittelmer - in Syrien finden sich die ersten Treffpunkte bereits vor dem möglichen Tod eines historischen Jesus. |
Laut Wiki ist die Jerusalemer Urgemeinde die älteste, begann jedoch erst mit dem hypothetischen Tod Jesu. Insoweit wäre interessant auf welche Quellen/Ausgrabungen etc. Du Dich hier berufst.
fwo hat folgendes geschrieben: | Insofern wundert mich Deine Sicherheit, dass die Gemeindegründer Jesus bereits hauptsächlich aus Erzählungen kannten. |
Ich bezog mich hier auf Deine "Schriften aus den Fan-Groups" und das sind für mich erst mal Evangelien (incl. der weniger bekannten) sowie Paulus Briefe. m.W. ist von keinem der Verfasser direkter Kontakt zum hypothetischen Jesus explizit konstatiert.
fwo hat folgendes geschrieben: | Wir reden vom Frühchristentum, das waren hauptsächlich Judenchristen. Die machen m.W. auch den Großteil der Gründungen an der Südküste des Mittelmeeres aus. |
... was man als Hinweis auf die besondere Bedeutung der Alexandrinischen Schule deuten könnte. Von der Bruno Bauer (soweit von Engels korrekt zitiert) u.a. behauptet, "daß der alexandrinische Jude Philo, ... der eigentliche Vater des Christentums sei "
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26436
Wohnort: im Speckgürtel
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(#2306503) Verfasst am: 18.07.2024, 16:54 Titel: |
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VanHanegem hat folgendes geschrieben: | fwo hat folgendes geschrieben: | ca. im Jahr 60 fingen diese Gründungen nicht an, sondern umfassen praktisch das Mittelmer - in Syrien finden sich die ersten Treffpunkte bereits vor dem möglichen Tod eines historischen Jesus. |
Laut Wiki ist die Jerusalemer Urgemeinde die älteste, begann jedoch erst mit dem hypothetischen Tod Jesu. Insoweit wäre interessant auf welche Quellen/Ausgrabungen etc. Du Dich hier berufst.
.... |
Ich habe gerade noch mal in meinen Erinnerungen gegraben und bin mir nicht mehr sicher, ob ich da nicht Damaskuser Abkömmlinge des Stephanus mit Jesusfans verwurste - ich habe hier momentan eigentlich keine Zeit für Jesus.
Aber grundsätzlich: Wie stellst Du Dir auch nur in Palästina die Menge der Umwidmungen jüdischer Gemeinden in christliche vor, wenn da nicht vorher der Prediger himself die Leute elektrisert hat?
Besonders, auch wenn er Trick mit der Wiederauferstehung nicht schlecht war, nachdem dieser Prophet durch die Kreuzigung quasi durch ein Gottesurteil verbrannt war. Und Gottes Sohn und damit zweiter Gott geht eigentlich auch nicht. Der Streit zwischen Unitariern und Trinitariern hielt ja entsprechend auch sehr viel länger an, als die katholische Kirchengeschichte uns Glauben machen will.
Sowohl die ethnische als auch die religiöse Dynamik in diesem Gebiet ist von den Römern bis zur Übernahme durch die Araber, die übrigens als römische Hilfstruppen da erschienen, erheblich komplexer als in unseren Geschichtsbüchern ausgewiesen. Auch das einmal zusammenfassend dargestellt zu haben, ist etwas, für das die Historiker Bangert (s.o.) loben.
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VanHanegem Weltmeister
Anmeldungsdatum: 24.04.2006 Beiträge: 3180
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(#2306518) Verfasst am: 19.07.2024, 13:24 Titel: |
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fwo hat folgendes geschrieben: | Wie stellst Du Dir auch nur in Palästina die Menge der Umwidmungen jüdischer Gemeinden in christliche vor, wenn da nicht vorher der Prediger himself die Leute elektrisert hat? |
muss man sich das in Palästina vorstellen? Philon, den Bruno Bauer für einen wichtigen Vordenker des Christentums hält, war alexandrinischer Jude. Warum später nicht ein schleichender Prozeß angestoßen von der Heidenchristenmission. Zur Wirkungszeit des Paulus war die Diskussion offenbar im vollen Gange, wie man dessen Ausführungen über den Grad der Verbindlichkeit jüdischer Regeln entnehmen kann. Auch über den Stellenwert des Glaubens in der Religionsausübung darf man anhand der Briefe einen Streit Jacobus (jüdische Fraktion) vs. Paulus (christliche Fraktion) vermuten
fwo hat folgendes geschrieben: | Besonders, auch wenn er Trick mit der Wiederauferstehung nicht schlecht war, nachdem dieser Prophet durch die Kreuzigung quasi durch ein Gottesurteil verbrannt war. |
das spricht doch dafür zu diesem Zweck eine Kunstfigur zu erschaffen, die darf jederzeit gerne auch schwerpunktmäßig an einen realen, besonders profilierten Prediger angelehnt sein.
fwo hat folgendes geschrieben: | Und Gottes Sohn und damit zweiter Gott geht eigentlich auch nicht. Der Streit zwischen Unitariern und Trinitariern hielt ja entsprechend auch sehr viel länger an, als die katholische Kirchengeschichte uns Glauben machen will. |
Richtig, aus jüdischer Sicht könnte das Gotteslästerung sein. Die Polytheisten haben sich in der christlichen Kirche, wie Du richtig anmerkst, dann auch erst ca. 300 Jahre später in Nicäa final durchgesetzt.
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26436
Wohnort: im Speckgürtel
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(#2306570) Verfasst am: 20.07.2024, 20:54 Titel: |
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VanHanegem hat folgendes geschrieben: | fwo hat folgendes geschrieben: | Wie stellst Du Dir auch nur in Palästina die Menge der Umwidmungen jüdischer Gemeinden in christliche vor, wenn da nicht vorher der Prediger himself die Leute elektrisert hat? |
muss man sich das in Palästina vorstellen? Philon, den Bruno Bauer für einen wichtigen Vordenker des Christentums hält, war alexandrinischer Jude. Warum später nicht ein schleichender Prozeß angestoßen von der Heidenchristenmission. Zur Wirkungszeit des Paulus war die Diskussion offenbar im vollen Gange, wie man dessen Ausführungen über den Grad der Verbindlichkeit jüdischer Regeln entnehmen kann. Auch über den Stellenwert des Glaubens in der Religionsausübung darf man anhand der Briefe einen Streit Jacobus (jüdische Fraktion) vs. Paulus (christliche Fraktion) vermuten
fwo hat folgendes geschrieben: | Besonders, auch wenn er Trick mit der Wiederauferstehung nicht schlecht war, nachdem dieser Prophet durch die Kreuzigung quasi durch ein Gottesurteil verbrannt war. |
das spricht doch dafür zu diesem Zweck eine Kunstfigur zu erschaffen, die darf jederzeit gerne auch schwerpunktmäßig an einen realen, besonders profilierten Prediger angelehnt sein.
fwo hat folgendes geschrieben: | Und Gottes Sohn und damit zweiter Gott geht eigentlich auch nicht. Der Streit zwischen Unitariern und Trinitariern hielt ja entsprechend auch sehr viel länger an, als die katholische Kirchengeschichte uns Glauben machen will. |
Richtig, aus jüdischer Sicht könnte das Gotteslästerung sein. Die Polytheisten haben sich in der christlichen Kirche, wie Du richtig anmerkst, dann auch erst ca. 300 Jahre später in Nicäa final durchgesetzt. |
Das ist im Effekt bereits eine viel zu katholische Perspektive, aus der Du das siehst.
Der Islam entstammt ziemlich wahrscheinlich einer eigenen unitarischen judenchristlichen Sicht auf die Person Jesus, die Jesus als Propheten an der Seite Gottes sieht. Das heißt, dass wir da eine eigene Überlieferung haben - die Figur des Mohammed, die sich beim Christentum bedient haben soll, funktioniert nicht wirklich.
Es ist wahrscheinlich umgekehrt: Dass nicht eine Kunstfigur über einen Überlieferungsbrei geschüttet wurde, sondern dass es mehrere Überlieferungslinien zur selben Person gibt.
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VanHanegem Weltmeister
Anmeldungsdatum: 24.04.2006 Beiträge: 3180
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(#2306573) Verfasst am: 21.07.2024, 10:37 Titel: |
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fwo hat folgendes geschrieben: | Es ist wahrscheinlich umgekehrt: Dass nicht eine Kunstfigur über einen Überlieferungsbrei geschüttet wurde, sondern dass es mehrere Überlieferungslinien zur selben Person gibt. |
dass mehrere unabhängige Überlieferungslinien die Historizität einer Person konsolidieren, soweit stimme ich zu, dazu hatte ich ja auch mein Beispiel mit Sokrates gebracht. In dem Fall wird die Unabhängigkeit beider Schienen zum einen dadurch bestätigt, dass beide Autoren (Platon vs. Aristophanes) eine völlig verschiedene Meinung von Sokrates haben. Zum anderen durch die Zeitachse - bei Zeitgenossen liegt zunächst mal nicht auf der Hand wer von wem abgeschrieben haben soll.
fwo hat folgendes geschrieben: | Der Islam entstammt ziemlich wahrscheinlich einer eigenen unitarischen judenchristlichen Sicht auf die Person Jesus, die Jesus als Propheten an der Seite Gottes sieht. Das heißt, dass wir da eine eigene Überlieferung haben ... |
Die Aussagen des Koran zu Jesus scheinen ziemlich stark an die christlichen Evangelien angelehnt zu sein. Da wären die Jungfrauengeburt, die Wunder, die Gleichsetzung Jesus = das Wort etc.
https://www.begruendet-glauben.org/weltanschauungen/jamil-2018-jesus-im-koran/
fwo hat folgendes geschrieben: | ... die Figur des Mohammed, die sich beim Christentum bedient haben soll, funktioniert nicht wirklich. |
Wenn mutmaßlich erfundene features der Protagonisten in den Texten des Koran gelandet sind, kann das so mit den Personen selbst auch passiert sein.
Interessant (wie ich Deinem Beitrag entnehme), dass es offenbar im arabischen Raum (quasi als monotheistische Insel im Polytheismhs) eine eigene vom Judenchristentum ausgehende Gemeinde gab. Aber eigentlich auch wieder nachvollziehbar, dass Mohamed 600 n. Chr. nicht einfach aus den Nichts heraus zur Bibliothek nach Alexandria gefahren ist und sich die Evangelien ausgeliehen hat. Welche Quellen hast Du zu dieser Überlieferungsschiene konsultiert?
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26436
Wohnort: im Speckgürtel
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(#2306578) Verfasst am: 21.07.2024, 20:38 Titel: |
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VanHanegem hat folgendes geschrieben: | ...
Interessant (wie ich Deinem Beitrag entnehme), dass es offenbar im arabischen Raum (quasi als monotheistische Insel im Polytheismhs) eine eigene vom Judenchristentum ausgehende Gemeinde gab. Aber eigentlich auch wieder nachvollziehbar, dass Mohamed 600 n. Chr. nicht einfach aus den Nichts heraus zur Bibliothek nach Alexandria gefahren ist und sich die Evangelien ausgeliehen hat. Welche Quellen hast Du zu dieser Überlieferungsschiene konsultiert? |
Da kann ich Dir nur dieselbe Antwort geben, die ich schon Tarvoc gegeben habe.
Ansonsten ist es vielleicht interessant, sich den ersten Band (oder die ersten beiden?) der Kriminalgeschichte des Christentums mal mit einem Blick auf die Diversität dieses beginnenden Christentums anzusehen.
btw: Bangert ist nicht der erste, der festgestellt hat, wie windig die Figur Mohammed aus historischer Sicht ist, Sven Kalisch hat genau aus dem Grund seine Professur Islamwissenschaft abgeben müssen, weil er die historische Überlieferung dieser Person angezweifelt hat usw.
Aber Bangerts unzweifelhaftes Verdienst liegt in einer Durchforstung und Aufbereitung einer riesigen Quellenmenge zur ethnischen und religiösen Dynamik des antiken nahen Ostens. Das ist ihm auch von Historikern bescheinigt worden - diese Gutachten müssen auch ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass Springer das kommerzielle Risiko des Druckes eines Außenseiters auf sich genommen hat.
_________________ Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.
The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.
Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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