Modernes Strafrecht
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#1: Modernes Strafrecht Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 11:38
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Ich habe diesen thread eröffnet, um der Frage nachzugehen, wie das Schuldkonzept im modernen Strafrecht aussieht, angeregt durch einen link, den AP in einem der Determinismus-threads postete. Sorry, dass es etwas länger wird, ich hoffe, es interessiert den einen oder anderen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ansonsten möchte ich mich mal diesem Kommentar eines Strafrechtlers anschließen:

Bemerkungen zu den revisionistischen Übergriffen der Hirnforschung auf das Strafrecht"

Ich fasse mal den Hauptgedankengang zusammen und kommentiere:

Burkhardt zeigt zuerst, daß mehr und mehr moderne Strafrechtler von der indeterministischen Deutung der persönlichen Schuld (also der Wählbarkeit von Alternativen) abrücken.
Zitat:
... bei Hans-Heinrich Jescheck (1998, 65 f.) heißt es, „daß in unserer [Strafrechts-]Wissenschaft wenig Bereitschaft besteht, die Entscheidungsfreiheit des Täters in der Tatsituation als real vorhanden anzunehmen und zur Grundlage des strafrechtlichen Schuldvorwurfs zu machen“.


- 2001 (!) wurde die Formulierung im Hauptkommentar zum Strafrecht gestrichen, "das geltende Strafrecht könne nur indeterministisch verstanden werden".

Wenn seit 2001 die kompatibilistische Haltung unter deutschen Verfassungs- und Strafrechtstheoretikern vorherrscht, würde mich interesieren, ob das bei Richtern und Staatsanwälten ebenso ist.

Burkhardt kritisiert des weiteren noch, es gebe keine experimentellen Belege für die Behauptung (einiger Hirnforscher usw.), der Begriff der Willensfreiheit im Sinne des „Unter-denselben-physiologischen-Bedingungen-willentlich-andershandeln-Könnens“ herrsche auch alltagspsychologisch vor (dazu später). Andererseits schreibt er selbst wenige Zeilen später:
Zitat:
Tatsache ist: Menschen müssen entscheiden, und sie müssen so entscheiden, als ob sie in einem indeterministischen Sinne frei wären.


Bleibt die Frage, selbst wenn dies tatsächlich die mehrheitliche Meinung unter modernen Strafrechtlern ist, was denn stattdessen seit 2001 die Grundlage des strafrechtlichen Schuldvorwurfs sei. Oder, wie Burkhardt schreibt:
Zitat:
Es bleibt [die] drängende Frage, ob sich die Zufügung eines Strafübels legitimieren läßt, wenn der Täter nicht anders handeln konnte, als er gehandelt hat. Alle kompatibilistischen Schuldkonzepte müssen sich dieser Frage stellen, und sie haben damit erhebliche Schwierigkeiten

Burkhard schließt sich hier folgendem modernen Schuldkonzept an (Hervorhebung von mir):

Zitat:
Die im Strafrecht vorherrschende Meinung hat den Verzicht auf den Begriff der persönlichen Schuld, den einige Hirnforscher fordern, längst erklärt. Sie hat das persönliche Dafürkönnen (die individuelle Vorwerfbarkeit) durch ein Konzept ersetzt, das als „sozialer (sozialvergleichender, pragmatisch-sozialer, generalisierend-normativer) Schuldbegriff“ bezeichnet wird. Strafrechtliche Schuld bedeutet danach „keineswegs wirkliche Schuld“ (Stratenwerth/Kuhlen 2004, 6), und der strafrechtliche Schuldvorwurf ist dementsprechend kein individualethischer, sondern „nur ein sozialer Tadel wegen
des Zurückbleibens hinter Verhaltensanforderungen, die der freiheitlich verfaßte und daher menschliche Freiheit anerkennende Staat an seine Bürger [...] stellen muß“ (...). Voraussetzung für einen solchen sozialen Tadel sei nicht individuelles Andershandelnkönnen, nicht persönliches Dafür-
Können, sondern „nur die normale Motivierbarkeit durch soziale Normen“ (...).

Das entspricht ja ziemlich genau dem Zuweisungskonzept ohne persönliche Schuld, das ich hier schon öfter vorgeschlagen habe. Und auch die folgende Formulierung stimmt, wenn sie auch viel ungenauer ist als meine, tendenziell mit meiner hier geäußerten Ansicht überein, die Illusion des Anders-Handeln-Könnens entstehe aus der Erfahrung, daß Andere in ähnlichen Situationen zuweilen anders handeln:

Zitat:
der Täter hätte, in der Situation, in der er sich befand, in dem Sinne anders handeln können, als nach unserer Erfahrung mit gleichliegenden Fällen ein anderer an seiner Stelle bei Anspannung der Willenskraft, die dem Täter möglicherweise gefehlt hat [sic!], unter den konkreten Umständen anders gehandelt hätte“

Bleibt allerdings die Frage, wieweit ein solcher nichtpersönlicher "sozialer Tadel" in Strafübelzufügung ausarten darf. Burkhardt selbst erkennt, zitierend:

Zitat:
[Die Befürworter eines sozialen Schuldkonzepts] geh[en] augenscheinlich davon aus, daß sich das geltende Strafrecht auch dann rechtfertigen läßt, wenn es keine persönliche Schuld gibt. Was als Rechtfertigung angeboten wird, ist freilich defizitär. Der soziale Schuldbegriff ist für sich genommen nicht
geeignet, die Legitimationslücke zu schließen, die bei einem Verzicht auf den Begriff der persönlichen Schuld entsteht: Die „normale Motivierbarkeit durch soziale Normen“ ist kein ausreichender Grund für die Zufügung eines Strafübels bzw. für einen wie auch immer ausgedünnten Schuldvorwurf, wenn gleichzeitig zugestanden wird, daß der Täter (möglicherweise) nicht anders handeln konnte, als er gehandelt hat. Und ein Schuldstrafrecht, das die subjektive (!) Zurechnung darauf gründet, daß ein durchschnittlicher Anderer in der Situation des Täters die Tat nicht begangen hätte, verdient seinen Namen nicht (...).

Dies ist einer der Glanzpunkte des Papiers!

Kommen wir jedoch zur Auflösung des Dilemmas aus Burkhardts Sicht (Hervorhebung von mir):

Zitat:
Strafrechtliche (persönliche) Schuld setzt voraus, daß der Täter seine rechtswidrige Tat im Bewußtsein des Anderskönnens vollzogen hat. Anders ... formuliert: Mit dem Unwerturteil der Schuld wird dem Täter vorgeworfen, daß er sich nicht rechtmäßig verhalten, daß er sich für das Unrecht entschieden hat, obwohl es ihm aus seiner Sicht möglich war, sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden. Der innere Grund des Schuldvorwurfs ist darin zu sehen, daß der Mensch darauf angelegt ist, im Bewußtsein der Freiheit zu handeln und sich als Urheber seiner Entscheidungen zu begreifen.

Nach dem ersten Lesen bedeutet das für mich, daß Voraussetzung für die Schuldfähigkeit sein soll, daß der Täter nicht wußte, daß er sich die Möglichkeiten nur vorstellte, daß der Täter also dümmer ist als der (moderne) Strafrechtler und der Hirnforscher. Und wenn Burkhardts o.g. Zweifel zutreffen, daß nämlich alltagspsychologisch gar nicht die Meinung vorherrsche, man hätte auch anders handeln können, dann gibt es nur sehr wenige Täter, die dumm genug sind.

Burkhardt verteidigt mit dem Argument, alltagspsychologisch herrsche eben doch die Meinung vor, auch anders gehandelt haben zu können, nur eben nicht auf mikroskopisch-physiologischer Ebene, was also wieder nichts anderes als die kompatibilistische Behauptung ist, die er doch tatsächlich zu 4 (ich würde sagen so gut wie identischen) Punkten aufbläst:

Zitat:
Das Bewußtsein des Anderskönnens hat im wesentlichen vier Aspekte, nämlich: (1) das Erleben von Handlungsfreiheit, (2) das Erleben doxastischer Offenheit (3) das Erleben psychologischer (!) Unterdeterminiertheit und (4) das Gefühl der Autorschaft. Es hat unter keinem dieser Aspekte einen indeterministischen Gehalt. Es kann unter allen diesen Aspekten mit der Wirklichkeit übereinstimmen ...

Burkhardt plädiert also mit anderen Worten dafür, daß der Täter Kompatibilist zu sein hat, damit man ihn verurteilen kann, und begründet das letztlich damit, daß der normale Mensch sich nun mal frei fühlt, oder wie Burkhardt schreibt, daß
Zitat:
... bei der Schuldfrage die Innenperspektive des handelnden Subjekts der maßgebliche Beurteilungsgegenstand ist.


Und wie begründet nun Burkhardt das Strafmaß, das über die Spezialprävention hinausgeht? Die einzige indirekte Einlassung dazu findet sich hier:

Zitat:
Das Schuldprinzip hat die Aufgabe, die staatlichen Strafen so zu begrenzen, daß sie der Täter persönlich als richtig und gerecht empfinden kann (Pawlowski 1999, 280)

... Und das tut er ja genau dann, wenn er glaubt, daß er selber schuld ist und anders hätte handeln können. Na also!

Alles in allem hat mich einerseits überrascht, wie viele Strafrechtler offensichtlich inzwischen nicht mehr an die Willensfreiheit glauben und Deterministen sind. Es würde mich interesieren, ob das in Frankreich, Rußland oder USA auch so ist. Andererseits enttäuscht mich, daß Burkhardt als Begründung für die Unbeeindrucktheit des Strafrechts letztlich nur wieder die kompatibilistische These anführt, also auf das (bei mikroskopischer Betrachtung als Illusion entlarvte) makroskopische Freiheitsgefühl verweist.


Zuletzt bearbeitet von step am 31.08.2009, 12:07, insgesamt einmal bearbeitet

#2: Re: Modernes Strafrecht Autor: AntagonisTWohnort: 2 Meter über dem Boden BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 11:50
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:


weißt du was echt cool ist? Wenn man den ganzen dreckslangen Eingangspost in der 1. Antwort komplett zitiert... Mit den Augen rollen

zum Thema: Was ich mich frage (ich habe keinen der Links auch nur angelesen): Warum sollte Determiniertheit etwas am Strafrecht ändern? Es macht doch keinen Sinn, strafbare Handlungen zu legalisieren, nur weil der Täter nicht anders konnte.


Zuletzt bearbeitet von AntagonisT am 31.08.2009, 12:02, insgesamt einmal bearbeitet

#3: Re: Modernes Strafrecht Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 12:20
    —
AntagonisT hat folgendes geschrieben:
Was ich mich frage (ich habe keinen der Links auch nur angelesen): Warum sollte Determiniertheit etwas am Strafrecht ändern? Es macht doch keinen Sinn, strafbare Handlungen zu legalisieren, nur weil der Täter nicht anders konnte.

Das fordert ja auch niemand. Mir, und auch einigen Hirnforschern, geht es darum, ein modernes Konzept zu haben, mit welchem Ziel man wie mit Normverletzern umgeht. Konkret bin ich der Ansicht, daß ein modernes Strafrecht keinen vergeltenden und möglicherweise auch keinen generalpräventiven Aspekt mehr ethisch begründen kann.

In der Diskussion hier geht es darum, ein relativ neues, kompatibilistisches Schuldkonzept zu bewerten, demzufolge nichts am Strafrecht geändert werden müsse.

#4: Re: Modernes Strafrecht Autor: AntagonisTWohnort: 2 Meter über dem Boden BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 12:33
    —
step hat folgendes geschrieben:
Das fordert ja auch niemand. Mir, und auch einigen Hirnforschern, geht es darum, ein modernes Konzept zu haben, mit welchem Ziel man wie mit Normverletzern umgeht. Konkret bin ich der Ansicht, daß ein modernes Strafrecht keinen vergeltenden und möglicherweise auch keinen generalpräventiven Aspekt mehr ethisch begründen kann.

In der Diskussion hier geht es darum, ein relativ neues, kompatibilistisches Schuldkonzept zu bewerten, demzufolge nichts am Strafrecht geändert werden müsse.


du willst 1.)"ein modernes Konzept" (ich lese da auch ein "anderes" heraus) und 2.) muss aber nichts am Strafrecht geändert werden? Am Kopf kratzen

Geht es also nur darum, die Begründungen für die Existenz des StGB zu überdenken, die Strafen selbst bleiben gleich? Verstehe ich das richtig?

#5: Re: Modernes Strafrecht Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 12:51
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AntagonisT hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Das fordert ja auch niemand. Mir, und auch einigen Hirnforschern, geht es darum, ein modernes Konzept zu haben, mit welchem Ziel man wie mit Normverletzern umgeht. Konkret bin ich der Ansicht, daß ein modernes Strafrecht keinen vergeltenden und möglicherweise auch keinen generalpräventiven Aspekt mehr ethisch begründen kann.

In der Diskussion hier geht es darum, ein relativ neues, kompatibilistisches Schuldkonzept zu bewerten, demzufolge nichts am Strafrecht geändert werden müsse.
du willst 1.)"ein modernes Konzept" (ich lese da auch ein "anderes" heraus)

und 2.) muss aber nichts am Strafrecht geändert werden? Am Kopf kratzen

Geht es also nur darum, die Begründungen für die Existenz des StGB zu überdenken, die Strafen selbst bleiben gleich? Verstehe ich das richtig?

Der von AP verlinkte Strafrechtler argumentiert, daß man die Begründung (das Schuldkonzept) ändern müsse (und daß dies bereits geschehen sei), aber das Strafrecht gleichlassen könne. Ich dagegen meine, daß man sowohl die Begründung wie auch das Strafrecht (z.B. das Strafmaß) ändern müsse.

#6:  Autor: HeizölrückstoßabdämpfungWohnort: Stralsund BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 13:05
    —
OT abgetrennt und hierher verschoben.

#7:  Autor: AntagonisTWohnort: 2 Meter über dem Boden BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 13:11
    —
step hat folgendes geschrieben:
Ich dagegen meine, daß man sowohl die Begründung wie auch das Strafrecht (z.B. das Strafmaß) ändern müsse.


Wie würdest du das Strafmaß ändern? Eher verringern oder höhere Strafen?

Ich sehe immer noch nicht den Zusammenhang. Strafe soll abschrecken, ob ich jetzt aber determiniert abgeschreckt werde oder aus freiem Willen, ist doch egal?

#8:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 13:23
    —
AntagonisT hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Ich dagegen meine, daß man sowohl die Begründung wie auch das Strafrecht (z.B. das Strafmaß) ändern müsse.

Wie würdest du das Strafmaß ändern? Eher verringern oder höhere Strafen?

Mag sein, dass ich komplett falsch damit liege, aber so wie ich step verstehe, will er weg von der Straf-Macht hin zur Bio-Macht.
Also weg von der bloßen Bestrafung hin zu verstärkt direkter Einflussnahme auf die determinierenden Faktoren.

#9:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 13:27
    —
Im englischsprachigen Raum gibt es sehr gute Diskussionsforen zum Thema Freier Wille und Strafrecht. Eine hervorragende Seite, wenn auch recht anspruchsvoll, ist

http://gfp.typepad.com/the_garden_of_forking_pat/

#10:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 13:33
    —
AntagonisT hat folgendes geschrieben:
Wie würdest du das Strafmaß ändern? Eher verringern oder höhere Strafen?

Letztlich gar keine Strafen mehr im vergeltenden Sinne.

AntagonisT hat folgendes geschrieben:
Ich sehe immer noch nicht den Zusammenhang. Strafe soll abschrecken, ob ich jetzt aber determiniert abgeschreckt werde oder aus freiem Willen, ist doch egal?

Heute will das Strafrecht

1. vergelten

2. abschrecken
2a. den Täter vor der Tat durch Androhung
2b. Dritte durch Statuierung eines Exempels am Täter

3. die Gesellschaft schützen (Verwahrung)

4. den Täter resozialisieren

Aus meiner Sicht sind nur 3. und 4., sowie grundsätzlichere präventive Maßnahmen, heute noch ethisch begründbar. Insbesondere wehre ich mich gegen (1.) und (2b.).

#11:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 13:50
    —
Wieso (emp)findet auch ein Inkompatibilist, daß ein Vergewaltiger seiner Tochter Vergeltung verdient hat, und wie kann er diesem Dilemma entkommen?

http://gfp.typepad.com/the_garden_of_forking_pat/2009/02/to-hell-with-the-tnr-principle-1.html

#12:  Autor: Xamanoth BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 14:19
    —
step hat folgendes geschrieben:

2. abschrecken
2a. den Täter vor der Tat durch Androhung
2b. Dritte durch Statuierung eines Exempels am Täter


Was spricht denn Deiner Ansicht nach gegen 2b? Auch auf basis einer angenommenen Determinierbarkeit.

Zitat repariert, Heizöl.

#13:  Autor: Danol BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 14:29
    —
Xamanoth hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:

2. abschrecken
2a. den Täter vor der Tat durch Androhung
2b. Dritte durch Statuierung eines Exempels am Täter


Was spricht denn Deiner Ansicht nach gegen 2b? Auch auf basis einer angenommenen Determinierbarkeit.


Die Empirik. Soweit ichs mitbekommen habe sind die Vertreter dieser These den Nachweis ihrer Korrektheit immer noch schuldig. Siehe als Beispiel die USA, die mit härteren Strafen dennoch mehr Kriminalität haben.

#14: Re: Modernes Strafrecht Autor: PataPataWohnort: Toscana BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 14:31
    —
step hat folgendes geschrieben:
Der von AP verlinkte Strafrechtler argumentiert, daß man die Begründung (das Schuldkonzept) ändern müsse (und daß dies bereits geschehen sei), aber das Strafrecht gleichlassen könne. Ich dagegen meine, daß man sowohl die Begründung wie auch das Strafrecht (z.B. das Strafmaß) ändern müsse.
Meine Meinung ist, dass das Konzept "Strafe" gänzlich aus dem Recht verschwinden sollte. Die Idee, welche dahinter steckt ist doch, dass per "Strafe" eine erzieherische und abschreckende Wirkung erreicht werden sollte - also eine rein instrumentelle Massnahme. Weiter enthält "Strafe" noch den Sinn von Vergeltung oder Rache, was menschenunwürdig ist. Wie sattsam bekannt ist, funktionieren beide Wirkungen nicht (vorbestrafte Menschen werden in sehr hohem Prozentsatz wieder straffällig; an anderen ausgeübte Strafe schreckt niemanden davor ab, straffällig zu werden). Es sollten nur noch Konzepte wie Verhinderung von Kriminalität (Verwahrung) und therapeutische Massnahmen im Recht gelten. Diese Überlegungen würden eigentlich unabhängig davon gelten, ob Kriminalität deterministisch oder nicht interpretiert wird.

Edit: Sorry, ich habe nicht gesehen, dass praktisch dieselben Ideen schon von step vorgeschlagen worden sind...

#15:  Autor: L.E.N.Wohnort: Hamburg BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 14:37
    —
step hat folgendes geschrieben:
AntagonisT hat folgendes geschrieben:
Wie würdest du das Strafmaß ändern? Eher verringern oder höhere Strafen?

Letztlich gar keine Strafen mehr im vergeltenden Sinne.

AntagonisT hat folgendes geschrieben:
Ich sehe immer noch nicht den Zusammenhang. Strafe soll abschrecken, ob ich jetzt aber determiniert abgeschreckt werde oder aus freiem Willen, ist doch egal?

Heute will das Strafrecht

1. vergelten

2. abschrecken
2a. den Täter vor der Tat durch Androhung
2b. Dritte durch Statuierung eines Exempels am Täter

3. die Gesellschaft schützen (Verwahrung)

4. den Täter resozialisieren

Aus meiner Sicht sind nur 3. und 4., sowie grundsätzlichere präventive Maßnahmen, heute noch ethisch begründbar. Insbesondere wehre ich mich gegen (1.) und (2b.).


Daumen hoch!

#16:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 14:49
    —
What is a conservative? A liberal who was mugged in the streets.

#17:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 14:51
    —
Danol hat folgendes geschrieben:
Xamanoth hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
2. abschrecken
2a. den Täter vor der Tat durch Androhung
2b. Dritte durch Statuierung eines Exempels am Täter
Was spricht denn Deiner Ansicht nach gegen 2b? Auch auf basis einer angenommenen Determinierbarkeit.
Die Empirik. Soweit ichs mitbekommen habe sind die Vertreter dieser These den Nachweis ihrer Korrektheit immer noch schuldig. Siehe als Beispiel die USA, die mit härteren Strafen dennoch mehr Kriminalität haben.

1. Fehlender Nutzen besonders bei Schwerverbrechen (siehe Danol)
2. ethisch fragwürdig: indem jemand stellvertretend für Andere mehr leiden muß, wird er als Mittel zum Zweck benutzt.

#18: Re: Modernes Strafrecht Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 14:54
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PataPata hat folgendes geschrieben:
Diese Überlegungen würden eigentlich unabhängig davon gelten, ob Kriminalität deterministisch oder nicht interpretiert wird.

Darüber könnte man streiten, und viele Leib-Seele-Dualisten sehen das sicher anders. Aber das möchte ich lieber nicht hier ausdiskutieren.

#19:  Autor: Xamanoth BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 15:29
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step hat folgendes geschrieben:
Danol hat folgendes geschrieben:
Xamanoth hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
2. abschrecken
2a. den Täter vor der Tat durch Androhung
2b. Dritte durch Statuierung eines Exempels am Täter
Was spricht denn Deiner Ansicht nach gegen 2b? Auch auf basis einer angenommenen Determinierbarkeit.
Die Empirik. Soweit ichs mitbekommen habe sind die Vertreter dieser These den Nachweis ihrer Korrektheit immer noch schuldig. Siehe als Beispiel die USA, die mit härteren Strafen dennoch mehr Kriminalität haben.

1. Fehlender Nutzen besonders bei Schwerverbrechen (siehe Danol)

Moment. Es ist zwar zutreffend, dass eine Strafverschärfung ab einem gewissen Grad der Strafe nicht mehr zu einer erhöhten Präventionswirkung führt (schon eher eine effektive Verbrechensaufklärung und Bekämpfung). Das Strafe aber an sich in gewissem maße abschreckend wirkt (zumindest bei "Bilanzverbrechen" wie Wirtschaftkriminalität, Betrugstraftaten und ähnliches) finde ich durchaus plausibel.


Zitat:
2. ethisch fragwürdig: indem jemand stellvertretend für Andere mehr leiden muß, wird er als Mittel zum Zweck benutzt.

Ja. Aber eine "Menschheitszweckformel" ist doch letztlich ein quasimetaphysisches in den Raum geworfenes Postulat. Gerade aus utilitaristischer Perspektive sehe ich dies nicht als zwingend.

#20:  Autor: neinguar BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 15:32
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step hat folgendes geschrieben:
Heute will das Strafrecht

1. vergelten

2. abschrecken
2a. den Täter vor der Tat durch Androhung
2b. Dritte durch Statuierung eines Exempels am Täter

3. die Gesellschaft schützen (Verwahrung)

4. den Täter resozialisieren

Die Aufzählung ist unvollständig (die seit Jahrzehnten in der strafrechtlichen Diskussion in Deutschland wichtigste Punkt fehlt) und systematisch nicht ganz stimmig.:

Nr. 1 (Vergeltung) kann man als eigenen Punkt stehenlassen.

Nr. 2 (Abschreckung) und 4 (Resozialisierung) fallen unter Prävention, und die lässt einerseits unterteilen

- nach ihrem Objekt (Täter -> Spezialprävention; Gesellschaft -> Generalprävention)

- nach ihrer Wirkungsweise (Abschreckung = negative Prävention; Stärkung der Identifikation mit Normen = positive Prävention)

Danach spricht man von

- negativer Spezialprävention (der Täter begeht in Zukunft keine Straftaten mehr, um die Sanktion zu vermeiden),
- positiver Spezialprävention (Resozialisierung; der Täter begeht keine Straftaten mehr, weil er es für falsch hält),
- negativer Generalprävention (die übrigen Mitglieder der Gesellschaft begehen keine Straftaten, um Sanktionen zu vermeiden),
- positiver Generalprävention (die übrigen Mitglieder der Gesellschaft werden dadurch, dass auf Normübertretungen sichtbare Sanktionen erfolgen, in ihrer Identifikation mit den Normen gestärkt).

Den letzten Punkt habe ich fett markiert, weil er kaum einem Nichtjuristen bekannt ist, aber in der Diskussion unter Strafrechtlern seit langem dominiert.

Dazu hatten wir schon einmal einen Thread; ich werde versuchen, ihn nochmal rauszusuchen.

EDIT:

Diesen hier meinte ich. Der Ausgangspunkt war derselbe wie hier. Weiter unten wird es auch ein bisschen konkreter.

Auch die Forensuche (Suchbegriffe: "positive Generalprävention") zeigt, dass es das Thema davor auch schon des öfteren gab; auch der Komplex Determinismus/freier Wille/Schuld/Strafe wurde schon des öfteren behandelt.

EDIT 2:

Was ich oben noch vergessen hatte: Der Schutz der Gesellschaft durch Verwahrung (bei step Nr. 3) wird zwar im Strafrecht mitgeregelt, fällt aber nicht unter "Strafe".


Zuletzt bearbeitet von neinguar am 31.08.2009, 15:50, insgesamt 2-mal bearbeitet

#21:  Autor: jagy BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 15:40
    —
Bzgl Eingangspost.

Guter Beitrag Step! Hab mich mit dem Thema auch schon mal etwas auseinandergesetzt.

Wer sich grundsätzlich einlesen will, dem sei der Abschnitt in Roxin, Strafrecht AT Band 1, empfohlen, zu finden in der Uni-Bib oder eine gut sortierten Bibliothek (vermutlich aber eher ersteres).

Das ganze Problem an den Ideen wie "sozialer Tadel", "normative Ansprechbarkeit" etc, ist meines erachtens, dass es meist auf folgendes Hinausläuft: "Wir wissen zwar, dass wir Strafe nicht wirklich auf Schuld und Willensfreiheit begründen können, da wir aber kein Alternativkonzept haben, nennen wir es einfach anders und hoffen, dass es niemandem auffällt". (Es gibt auch das Zitat "Schuld ist eine staatsnotwendige Fiktion" von E. Kohlrausch)

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist Schuld übrigens immer noch auf dem Indeterminismus begründet - konsequenterweise müssten also ALLE Angeklagten in dubio pro reo freigesprochen werden, da Schuld eine Voraussetzung der Strafbarkeit ist.

Letztlich würde ich persönlich dazu tendieren, zur Strafbegründung auf Schuld im Sinne von "Andershandelnkönnen ..." oder "normativer Ansprechbarkeit/sozialer Tadel etc." ganz zu verzichten. Das hieße aber nicht, dass man auf die entwickelten Grundsätze der Schuld zur Strafbegrenzung verzichten müsste. Im Gegenteil, denn WENN eine Strafe selbst bei freiem Willen nicht mehr angemessen ist und ein Verhalten nicht vorwerfbar, dann ERST RECHT nicht, wenn es keinen freien Willen gibt.

#22:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 15:59
    —
neinguar hat folgendes geschrieben:
Die Aufzählung ist unvollständig ...

- positiver Generalprävention (die übrigen Mitglieder der Gesellschaft werden dadurch, dass auf Normübertretungen sichtbare Sanktionen erfolgen, in ihrer Identifikation mit den Normen gestärkt).

Den letzten Punkt habe ich fett markiert, weil er kaum einem Nichtjuristen bekannt ist, aber in der Diskussion unter Strafrechtlern seit langem dominiert.

Ja, den Punkt hatte ich vergessen, allerdings ändert er an meiner Argumentation nichts Wesentliches. Ich halte es für relativ unerheblich, ob ich jemanden exemplarisch quäle, damit Dritte abgeschreckt, oder damit Dritte motiviert werden.

neinguar hat folgendes geschrieben:
Was ich oben noch vergessen hatte: Der Schutz der Gesellschaft durch Verwahrung (bei step Nr. 3) wird zwar im Strafrecht mitgeregelt, fällt aber nicht unter "Strafe".

Das ist korrekt, ich habe es aus rein didaktischen Gründen in die Liste aufgenommen.

#23: Re: Modernes Strafrecht Autor: PataPataWohnort: Toscana BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 16:03
    —
step hat folgendes geschrieben:
PataPata hat folgendes geschrieben:
Diese Überlegungen würden eigentlich unabhängig davon gelten, ob Kriminalität deterministisch oder nicht interpretiert wird.

Darüber könnte man streiten, und viele Leib-Seele-Dualisten sehen das sicher anders. Aber das möchte ich lieber nicht hier ausdiskutieren.
Streiten möchte ich nicht - aber ein Stück weit kann man schon darüber diskutieren, es ist sicher nicht OT, da Burkhardt ja genau von dieser Diskussion ausgeht. Mein Argument ist, dass "Strafe" einerseits instrumentell ineffizient ist, und anderseits der Menschenwürde widerspricht. Dies sind Argumente, die vom Determinismus unserer Handlungen unabhängig sind. Wenn zu diesem Zweck noch ein deterministisches Weltbild als Schützenhilfe dazu kommt, umso besser, es ist aber nicht notwendig...

#24:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 16:08
    —
Xamanoth hat folgendes geschrieben:
Es ist zwar zutreffend, dass eine Strafverschärfung ab einem gewissen Grad der Strafe nicht mehr zu einer erhöhten Präventionswirkung führt (schon eher eine effektive Verbrechensaufklärung und Bekämpfung). Das Strafe aber an sich in gewissem maße abschreckend wirkt (zumindest bei "Bilanzverbrechen" wie Wirtschaftkriminalität, Betrugstraftaten und ähnliches) finde ich durchaus plausibel.

Ich schrieb ja darum auch von Kapitalverbrechen.

Aber nehmen wir mal an, bei Wirtschaftskriminalität würde eine Strafe abschreckend wirken. Wäre es nicht vernünftiger, die Täter zum Abstottern des Schadens (soweit möglich) inklusive Aufklärungskosten zu verdonnern und ihnen vielleicht noch gewisse Privilegien zu entziehen, begründet mit einem öffentlichen Vertrauensverlust? Oder glaubst Du, nur eine Gefängnis- oder gar körperliche Strafe wirkt hinreichend abschreckend auf Wirtschaftskriminelle?

Xamanoth hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
2. ethisch fragwürdig: indem jemand stellvertretend für Andere mehr leiden muß, wird er als Mittel zum Zweck benutzt.
Ja. Aber eine "Menschheitszweckformel" ist doch letztlich ein quasimetaphysisches in den Raum geworfenes Postulat.

Da stimme ich Dir in gewisser Weise zu, ähnlich wie auch beim Begriff "Menschenwürde".

Xamanoth hat folgendes geschrieben:
Gerade aus utilitaristischer Perspektive sehe ich dies nicht als zwingend.

Zwingend vielleicht nicht, aber sehr gut vertretbar: Menschen nicht zu verzwecken scheint mir ein Prinzip, das sich relativ natürlich aus dem Zusammenleben ethischer Wesen in einer offenen Gesellschaft ergibt.

#25: Re: Modernes Strafrecht Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 16:12
    —
PataPata hat folgendes geschrieben:
Streiten möchte ich nicht - aber ein Stück weit kann man schon darüber diskutieren, es ist sicher nicht OT, da Burkhardt ja genau von dieser Diskussion ausgeht.

Nein, Burkhardt argumentiert im Gegenteil, das nicht einmal die deterministischen Argumente der Hinrforscher sich eignen, um eine Notwendigkeit der Änderung des Strafrechts nahezulegen.

PataPata hat folgendes geschrieben:
Mein Argument ist, dass "Strafe" einerseits instrumentell ineffizient ist, und anderseits der Menschenwürde widerspricht. Dies sind Argumente, die vom Determinismus unserer Handlungen unabhängig sind. Wenn zu diesem Zweck noch ein deterministisches Weltbild als Schützenhilfe dazu kommt, umso besser, es ist aber nicht notwendig...

Dann stimme ich Dir hier einfach mal zu. zwinkern

#26:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 16:43
    —
step hat folgendes geschrieben:
Wäre es nicht vernünftiger, die Täter zum Abstottern des Schadens (soweit möglich) inklusive Aufklärungskosten zu verdonnern und ihnen vielleicht noch gewisse Privilegien zu entziehen, begründet mit einem öffentlichen Vertrauensverlust?


Ist das eigentlich keine Strafe?

#27:  Autor: PataPataWohnort: Toscana BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 16:46
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wäre es nicht vernünftiger, die Täter zum Abstottern des Schadens (soweit möglich) inklusive Aufklärungskosten zu verdonnern und ihnen vielleicht noch gewisse Privilegien zu entziehen, begründet mit einem öffentlichen Vertrauensverlust?


Ist das eigentlich keine Strafe?
Nein ! Es wären einfach die korrekten Konsequenzen der Handlungen des Wirtschaftskriminellen...

#28:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 16:50
    —
PataPata hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wäre es nicht vernünftiger, die Täter zum Abstottern des Schadens (soweit möglich) inklusive Aufklärungskosten zu verdonnern und ihnen vielleicht noch gewisse Privilegien zu entziehen, begründet mit einem öffentlichen Vertrauensverlust?


Ist das eigentlich keine Strafe?
Nein ! Es wären einfach die korrekten Konsequenzen der Handlungen des Wirtschaftskriminellen...


Und wodurch unterscheiden sich im Zusammenhang dieser Diskussion "korrekte Konsequenzen" von nicht korrekten Konsequenzen, sodaß man das eine als Strafe bezeichnen darf und das andere nicht?

#29:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 16:51
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wäre es nicht vernünftiger, die Täter zum Abstottern des Schadens (soweit möglich) inklusive Aufklärungskosten zu verdonnern und ihnen vielleicht noch gewisse Privilegien zu entziehen, begründet mit einem öffentlichen Vertrauensverlust?
Ist das eigentlich keine Strafe?

Ich möchte mich nicht zu sehr in den Begriff verbeißen. Aber eine solche Maßnahme könnte man leichter als Teil eines imaginären Vertrages ansehen, den ein Mitglied einer Gemeinschaft eingeht, wenn er deren Geld in die Hand nimmt. Im Gegensatz zur Gefängnishaft wäre der Nutzen der Rückzahlung für die Gemeinschaft deutlich plausibler, und auch für den Täter einsehbar.

Es ist wie der Unterschied zwischen Schulden und Schuld, zwischen Tilgung und Sühne.

#30:  Autor: PataPataWohnort: Toscana BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 16:53
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zelig hat folgendes geschrieben:
Und wodurch unterscheiden sich im Zusammenhang dieser Diskussion "korrekte Konsequenzen" von nicht korrekten Konsequenzen, sodaß man das eine als Strafe bezeichnen darf und das andere nicht?
Genügt Dir steps Antwort, oder muss ich mich auch noch auslassen ?

#31:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 17:02
    —
step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wäre es nicht vernünftiger, die Täter zum Abstottern des Schadens (soweit möglich) inklusive Aufklärungskosten zu verdonnern und ihnen vielleicht noch gewisse Privilegien zu entziehen, begründet mit einem öffentlichen Vertrauensverlust?
Ist das eigentlich keine Strafe?

Ich möchte mich nicht zu sehr in den Begriff verbeißen. Aber eine solche Maßnahme könnte man leichter als Teil eines imaginären Vertrages ansehen, den ein Mitglied einer Gemeinschaft eingeht, wenn er deren Geld in die Hand nimmt. Im Gegensatz zur Gefängnishaft wäre der Nutzen der Rückzahlung für die Gemeinschaft deutlich plausibler, und auch für den Täter einsehbar.

Es ist wie der Unterschied zwischen Schulden und Schuld, zwischen Tilgung und Sühne.


Man könnte die von Dir vorgeschlagenen gesellschaftlichen Konsequenz unter bestimmten ethischen Gesichtspunkten besser rechtfertigen. Das würde ich gar nicht bestreiten. Aber es bleibt eine Strafe, auch wenn das Wort hässlich ist.
Ich würde gerne wissen, ob jemand tatsächlich für die konsequente Abschaffung des Konzepts der Verantwortlichkeit, der Legitimierung und der Strafe (ja, hässliches Wort) eintreten würde. Ob jemand wirklich in einer solchen Gesellschaft leben möchte. Aber jetzt bekomme ich den Eindruck, daß es eigentlich, wie sonst auch, um den Begriff der Schuld und die Art der Bestrafung geht.

#32:  Autor: jagy BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 17:03
    —
Noch etwas zur Strafmaßfindung in Deutschland (was auch bzgl der Diskussion um Prävention erheblich ist): In Deutschland läuft es so ab (oder sollte theoretisch so ablaufen):

Zuerst wird ein Strafrahmen bestimmt, in dem die Strafe schon und gerade noch schuldangemessen ist (zB 2 Jahre 6 Monate bis 3 Jahre 2 Monate). Innerhalb dieses schuldangemessenen Rahmens können dann präventive Gedanken einfließen.

Von der wohl herrschenden Meinung in der Wissenschaft wird die negative Generalprävention im übrigen überwiegend abgelehnt (ein Exempel zu statuieren ist also kein anerkannter Strafzweck).

#33: Re: Modernes Strafrecht Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 17:04
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step hat folgendes geschrieben:
Burkhard schließt sich hier folgendem modernen Schuldkonzept an (Hervorhebung von mir):

Zitat:
[soziales Schuldkonzept]

Nein, Burkhard schließt sich dem nicht an, er vertritt ein kompatibilistisches persönliches Schuldkonzept.

step hat folgendes geschrieben:
Bleibt allerdings die Frage, wieweit ein solcher nichtpersönlicher "sozialer Tadel" in Strafübelzufügung ausarten darf. Burkhardt selbst erkennt, zitierend:

Zitat:
[Kritik der fehlenden Legitimation des sozialen Schuldkonzeptes]

Dies ist einer der Glanzpunkte des Papiers!

Ein lediglich soziales Schuldkonzept halte ich ebenso wie Burkhard für problematisch.

step hat folgendes geschrieben:
Kommen wir jedoch zur Auflösung des Dilemmas aus Burkhardts Sicht (Hervorhebung von mir):

Zitat:
Strafrechtliche (persönliche) Schuld setzt voraus, daß der Täter seine rechtswidrige Tat im Bewußtsein des Anderskönnens vollzogen hat. Anders ... formuliert: Mit dem Unwerturteil der Schuld wird dem Täter vorgeworfen, daß er sich nicht rechtmäßig verhalten, daß er sich für das Unrecht entschieden hat, obwohl es ihm aus seiner Sicht möglich war, sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden. Der innere Grund des Schuldvorwurfs ist darin zu sehen, daß der Mensch darauf angelegt ist, im Bewußtsein der Freiheit zu handeln und sich als Urheber seiner Entscheidungen zu begreifen.

Nach dem ersten Lesen bedeutet das für mich, daß Voraussetzung für die Schuldfähigkeit sein soll, daß der Täter nicht wußte, daß er sich die Möglichkeiten nur vorstellte, daß der Täter also dümmer ist als der (moderne) Strafrechtler und der Hirnforscher. Und wenn Burkhardts o.g. Zweifel zutreffen, daß nämlich alltagspsychologisch gar nicht die Meinung vorherrsche, man hätte auch anders handeln können, dann gibt es nur sehr wenige Täter, die dumm genug sind.

Mit Dummheit hat das nichts zu tun. Es hat damit zu tun, dass man die überlegten oder auch die verhandelten Alternativen in einem Diskurs für mögliche Alternativen halten muss. Ansonsten wären die Überlegungen oder der Diskurs ja einfach sinnlos. Dass letztlich eine bestimmte Alternative realisiert wird (und sie nicht gleichzeitig nicht realisiert werden kann), ist aber trivial. Das ganze Gerede von "hätte auch anders handeln können" im Sinne von „Unter-denselben-physiologischen-Bedingungen-willentlich-andershandeln-Könnens“ ist schlicht inkohärent und hält einer näheren Betrachtung nun mal nicht stand. Es handelt sich um eine falsche Intuition, weil inkonsistent, ebenso wie die Intuition, aus Determinismus folge automatisch Fatalismus.

Im Nachhinein gesehen kam alles, wie es kam, aber das bedeutet schlicht nicht, dass die Überlegungen daher sinnlos würden. Ohne Überlegungen wäre es nicht so gekommen, wie es gekommen ist.

step hat folgendes geschrieben:
Und wie begründet nun Burkhardt das Strafmaß, das über die Spezialprävention hinausgeht? Die einzige indirekte Einlassung dazu findet sich hier:

Zitat:
Das Schuldprinzip hat die Aufgabe, die staatlichen Strafen so zu begrenzen, daß sie der Täter persönlich als richtig und gerecht empfinden kann (Pawlowski 1999, 280)

... Und das tut er ja genau dann, wenn er glaubt, daß er selber schuld ist und anders hätte handeln können. Na also!

Sein Punkt hier ist, dass das Schuldprinzip insofern begrenzend wirkt, als es als notwendige Voraussetzung für eine Strafe angesehen wird (keine Strafe ohne Schuld) und außerdem die Strafhöhe von der Tat abhängt. Zur Legitimation muss man sich jetzt wieder in die Strafzwecktheorie reinhängen.

Was mich ein bisschen stört an dieser Diskussion: es wird so getan, als ob nur Strafen staatliche Übelzufügung wären und dass man, wenn man das Wort eliminierte, auch das Übel beseitigt hätte. Das erscheint mir aber mehr als fraglich. Definieren wir mal "Strafe" in diesem Zusammenhang: Strafe ist eine staatliche Übelzufügung, die einen sozialen Tadel beeinhaltet (das hättest Du nicht tun dürfen, wir missbilligen Dein Handeln). Die Maßnahmen zur Sicherung und Besserung hingegen sind deswegen keine Strafe, weil der soziale Tadel fehlt (wir rechnen Dir Deine Tat nicht zu, denn Du konntest nicht anders). Jedoch beinhalten sie immer noch eine Übelzufügung (Freiheitsentzug), es wäre mE absurd, das leugnen zu wollen. Auch die Zwangsverpflichtung zum Schadensersatz ist z.B. eine Übelzufügung.

Man müsste jetzt also fragen, ob a) der soziale Tadel unberechtigt ist und ob b) tatsächlich viel gewonnen wäre, wenn auf diesen verzichtet würde und es lediglich bei der Übelzufügung bliebe. Aber auch diese Übelzufügung müsste legitimiert werden. Und das scheint zumindest mir sehr viel schwieriger als die Legitimation des Strafrechtes.

Die generelle Ablehnung von Vergeltung und Strafe als "archaisch" scheint mir übrigens noch nicht so recht plausibel dargelegt. Betrachten wir doch mal eine nichtstaatlichen Umgang miteinander, nämlich die Tit-for-Tat-Strategie aus der Spieltheorie. Diese verwendet Vergeltung / Strafen. Ist sie deswegen abzulehnen?

#34:  Autor: PataPataWohnort: Toscana BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 17:17
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
...Aber es bleibt eine Strafe, auch wenn das Wort hässlich ist...
Nein, das Wort Strafe bezeichnet verhaltenswissenschaftlich ganz spezifisch eine beliebige unangenehme Konsequenz auf eine beliebige Handlung, die in einem System programmiert wird. In einer Skinner-Box könnte das z.B. ein elektrischer Schock an die Pfote bedeuten oder der Entzug einer Belohnung. Gefängnis ist so eine unangenehme Folge einer Tat, welche aber mit der Tat an sich nichts zu tun hat. Jemanden einzusperren, weil er sonst aus psychiatrischen Gründen weiteres Unheil anrichten würde (Verwahrung) ist aber keine Strafe, sondern eine Schutzmassnahme für die Gesellschaft. Eine Verwahrung ist i.A. auch mit therapeutischen Massnahmen verbunden.

Wenn jetzt ein Wirtschaftskrimineller den Schaden, den er angerichtet hat, reparieren muss, ist das auch keine Strafe, sondern eine gerechte Massnahme den Geschädigten gegenüber.

Edit: Strafe

#35:  Autor: L.E.N.Wohnort: Hamburg BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 18:01
    —
mal ne ketzerische frage: kann man das handabhacken für einen diebstahl statt als strafe nicht auch als (zwar überzogene aber dennoch) konsequenz zur verhinderung weiterer eigentumsdelikte betrachten?

#36:  Autor: Danol BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 18:08
    —
L.E.N. hat folgendes geschrieben:
mal ne ketzerische frage: kann man das handabhacken für einen diebstahl statt als strafe nicht auch als (zwar überzogene aber dennoch) konsequenz zur verhinderung weiterer eigentumsdelikte betrachten?


Nicht generell Eigentumsdelikte, aber man kann es als Vorbeugemaßnahme gegen weitere (Taschen-)Diebstähle betrachten. Wo hier allerdings die Verhältnismäßigkeit ist, weiß ich nicht.
Man kann übrigens auch das prophylaktische Ausrotten der Menschheit als Generalprävention gegen jede zukünftige Straftat betrachten. Mit den Augen rollen

#37:  Autor: Spartacus Leto BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 18:23
    —
Nun zuerst müssen wir brtrachten, welche Arten von Verbrechen es gibt.


  1. Kleinkriminalität
  2. Organisierte Kriminalität
  3. Verbrechen von psychisch Kranken


Das erste sind Einbrecher, Bankräuber, Taschendiebe... Die Verelendung des Proletariats bringt sie dazu so zu handeln.

Das zweite ist uns als Mafia, Staat und Kapitalist bekannt. Kurz: Die Kapitallistenklasse und ihre Handlanger.

Das dritte tritt uns als Massenmord, Serienmord, Sexueller Missbrauch u.s.w. gegenüber. Hier ist eine psychische Behandlung der Täter angebracht.

Um die ersten beiden zu beenden, bedarf es der Aufhebung der Verhältnisse, die sie hervorbringen, kurz es bedarf der Aufhebung der Klassengesellschaft.

#38:  Autor: L.E.N.Wohnort: Hamburg BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 18:28
    —
Danol hat folgendes geschrieben:
L.E.N. hat folgendes geschrieben:
mal ne ketzerische frage: kann man das handabhacken für einen diebstahl statt als strafe nicht auch als (zwar überzogene aber dennoch) konsequenz zur verhinderung weiterer eigentumsdelikte betrachten?


Nicht generell Eigentumsdelikte, aber man kann es als Vorbeugemaßnahme gegen weitere (Taschen-)Diebstähle betrachten. Wo hier allerdings die Verhältnismäßigkeit ist, weiß ich nicht.
Man kann übrigens auch das prophylaktische Ausrotten der Menschheit als Generalprävention gegen jede zukünftige Straftat betrachten. Mit den Augen rollen


ja klar, hast ja recht...

#39:  Autor: L.E.N.Wohnort: Hamburg BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 18:30
    —
Spartacus Leto hat folgendes geschrieben:
Nun zuerst müssen wir brtrachten, welche Arten von Verbrechen es gibt.


  1. Kleinkriminalität
  2. Organisierte Kriminalität
  3. Verbrechen von psychisch Kranken


Das erste sind Einbrecher, Bankräuber, Taschendiebe... Die Verelendung des Proletariats bringt sie dazu so zu handeln.

Das zweite ist uns als Mafia, Staat und Kapitalist bekannt. Kurz: Die Kapitallistenklasse und ihre Handlanger.

Das dritte tritt uns als Massenmord, Serienmord, Sexueller Missbrauch u.s.w. gegenüber. Hier ist eine psychische Behandlung der Täter angebracht.

Um die ersten beiden zu beenden, bedarf es der Aufhebung der Verhältnisse, die sie hervorbringen, kurz es bedarf der Aufhebung der Klassengesellschaft.



#40:  Autor: Evilbert BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 18:30
    —
Spartacus Leto hat folgendes geschrieben:
Nun zuerst müssen wir brtrachten, welche Arten von Verbrechen es gibt.


  1. Kleinkriminalität
  2. Organisierte Kriminalität
  3. Verbrechen von psychisch Kranken


Das erste sind Einbrecher, Bankräuber, Taschendiebe... Die Verelendung des Proletariats bringt sie dazu so zu handeln.

Das zweite ist uns als Mafia, Staat und Kapitalist bekannt. Kurz: Die Kapitallistenklasse und ihre Handlanger.

Das dritte tritt uns als Massenmord, Serienmord, Sexueller Missbrauch u.s.w. gegenüber. Hier ist eine psychische Behandlung der Täter angebracht.

Um die ersten beiden zu beenden, bedarf es der Aufhebung der Verhältnisse, die sie hervorbringen, kurz es bedarf der Aufhebung der Klassengesellschaft.


Kleinkriminalität und organisierte Kriminalität gab es bisher in jeder Gesellschaft; auch in größerem Umfang als im Kapitalismus.

Da würde ich eher die Zunahme der psychischen Schäden speziell dem Raubtierkapitalismus zuordnen.

#41:  Autor: jagy BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 18:43
    —
Spartacus Leto hat folgendes geschrieben:


immer die gleiche Leier

Hervorheben möchte ich aber, dass für Leto Bankräuber Kleinkriminelle sind, hingegen vertreter der Marktwirtschaft organisierte Kriminelle... Mit den Augen rollen

#42:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 18:53
    —
Spartacus Leto hat folgendes geschrieben:
Nun zuerst müssen wir brtrachten, welche Arten von Verbrechen es gibt.


  1. Kleinkriminalität
  2. Organisierte Kriminalität
  3. Verbrechen von psychisch Kranken


Das erste sind Einbrecher, Bankräuber, Taschendiebe... Die Verelendung des Proletariats bringt sie dazu so zu handeln.

Das zweite ist uns als Mafia, Staat und Kapitalist bekannt. Kurz: Die Kapitallistenklasse und ihre Handlanger.

Das dritte tritt uns als Massenmord, Serienmord, Sexueller Missbrauch u.s.w. gegenüber. Hier ist eine psychische Behandlung der Täter angebracht.

Um die ersten beiden zu beenden, bedarf es der Aufhebung der Verhältnisse, die sie hervorbringen, kurz es bedarf der Aufhebung der Klassengesellschaft.


Zur organisierten Kriminalität gehören auch Nazihorden oder die Gründung einer Bank, welche wesentlich krimineller ist als der Überfall einer Bank.

Ich verteidige ja auch den Gedanken der Re-Sozialiserung, auch wenn das im Falle von Nazimördern oder Bankmanagern nicht ganz einfach ist. Vielleicht doch erst mal wegsperren für's erste?

Wer sich jetzt beschwert, wie ich dazu komme, Faschisten mit elegant gekleideten Bankern gleichzusetzen, der sehe sich bitte die italienische oder deutsche Geschichte kurz vor Mussolini und Hitler an. Dann wird sich Empörung hoffentlich in so manches "aha!"-Erlebnis verwandeln.

Aber auch heute mordet das brutale System der Weltbank weiter die Massen in der sogenannten "3. Welt". Wie sieht die Prävention dagegen eigentlich aus? Oder geht es nur darum, was der Staat als Subjekt mit Straftätern als Objekten macht?

Müsste nicht der Staat selber auch ein Objekt von Strafprävention sein?

Skeptiker

#43:  Autor: jagy BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 18:55
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Skeptiker hat folgendes geschrieben:


Zur organisierten Kriminalität gehören auch Nazihorden oder die Gründung einer Bank, welche wesentlich krimineller ist als der Überfall einer Bank.

Ich verteidige ja auch den Gedanken der Re-Sozialiserung, auch wenn das im Falle von Nazimördern oder Bankmanagern nicht ganz einfach ist. Vielleicht doch erst mal wegsperren für's erste?

Wer sich jetzt beschwert, ...


Ja, ich beschwere mich.

-----------

Also entschuldigung, ich mein, über das meiste, was von den ewiggestrigen Kommunisten hier kommt, kann man ja einfach nur lachen, aber irgendwann hört auch der Spaß auf. Kann da mal jemand einschreiten?

#44:  Autor: L.E.N.Wohnort: Hamburg BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 18:57
    —
jagy hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:


Zur organisierten Kriminalität gehören auch Nazihorden oder die Gründung einer Bank, welche wesentlich krimineller ist als der Überfall einer Bank.

Ich verteidige ja auch den Gedanken der Re-Sozialiserung, auch wenn das im Falle von Nazimördern oder Bankmanagern nicht ganz einfach ist. Vielleicht doch erst mal wegsperren für's erste?

Wer sich jetzt beschwert, ...


Ja, ich beschwere mich.

-----------

Also entschuldigung, ich mein, über das meiste, was von den ewiggestrigen Kommunisten hier kommt, kann man ja einfach nur lachen, aber irgendwann hört auch der Spaß auf. Kann da mal jemand einschreiten?


du nimmst das noch ernst?

#45:  Autor: jagy BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 19:04
    —
L.E.N. hat folgendes geschrieben:
jagy hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:


Zur organisierten Kriminalität gehören auch Nazihorden oder die Gründung einer Bank, welche wesentlich krimineller ist als der Überfall einer Bank.

Ich verteidige ja auch den Gedanken der Re-Sozialiserung, auch wenn das im Falle von Nazimördern oder Bankmanagern nicht ganz einfach ist. Vielleicht doch erst mal wegsperren für's erste?

Wer sich jetzt beschwert, ...


Ja, ich beschwere mich.

-----------

Also entschuldigung, ich mein, über das meiste, was von den ewiggestrigen Kommunisten hier kommt, kann man ja einfach nur lachen, aber irgendwann hört auch der Spaß auf. Kann da mal jemand einschreiten?


du nimmst das noch ernst?


Natürlich nehme ich es nicht ernst. Aber Skeptiker meint es ja leider ernst. Und irgendwann kommt halt der Punkt, wo ich das nicht mehr nur schweigend nicht ernst nehmen kann, sondern, auch wenn ich es immer noch nicht ernst nehme, meinen Unmut trotzdem Kund tun möchte.
Und dieser Punkt ist eindeutig überschritten, wenn Bankmanager mit Nazimördern gleichgesetzt werden.

#46: Re: Modernes Strafrecht Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 19:10
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Was mich ein bisschen stört an dieser Diskussion: es wird so getan, als ob nur Strafen staatliche Übelzufügung wären und dass man, wenn man das Wort eliminierte, auch das Übel beseitigt hätte.

Letzteres stimmt für mich nicht, da es mir vor allem um konkrete Änderungen geht, z.B. Abschaffung von Freiheitsstrafen. Und Ersteres vertrete ich offensichtlich auch nicht, da natürlich auch eine nichtstrafende Maßnahme als kontrapräferentiell empfunden werden kann, z.B. die Steuerlast oder die Schulpflicht.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Definieren wir mal "Strafe" in diesem Zusammenhang: Strafe ist eine staatliche Übelzufügung, die einen sozialen Tadel beeinhaltet (das hättest Du nicht tun dürfen, wir missbilligen Dein Handeln). Die Maßnahmen zur Sicherung und Besserung hingegen sind deswegen keine Strafe, weil der soziale Tadel fehlt (wir rechnen Dir Deine Tat nicht zu, denn Du konntest nicht anders). Jedoch beinhalten sie immer noch eine Übelzufügung (Freiheitsentzug), es wäre mE absurd, das leugnen zu wollen.

Mal abgesehen davon, daß Besserung nicht durch Freiheitsentzug geschieht: Mein Punkt ist vor allem, daß mir nicht einleuchtet, inwiefern ein sozialer Tadel ethisch überhaupt zur einer vergeltenden Übelzufügung berechtigt. Nur in der Antwort auf Burkhardt habe ich mich auf den anderen Punkt, nämlich seinen Versuch einer Begründung des kompatibilistischen Schuldkonzepts, konzentriert.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Auch die Zwangsverpflichtung zum Schadensersatz ist z.B. eine Übelzufügung.

Dazu habe ich ja schon geschrieben, daß man sie ethisch wesentlich besser rechtfertigen kann.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Man müsste jetzt also fragen, ob a) der soziale Tadel unberechtigt ist ...

Der soziale Tadel im Sinne der Konstatierung eines unerwünschten, nicht normkonformen Verhaltens kann mE sogar sehr berechtigt sein. Er richtet sich im Determinismus aber nicht verurteilend gegen die Person, sondern appellativ an die Person. Die Person ist nicht schuld, sondern falsch gepolt. Und selbstverständlich können Mechanismen "in" der Person angesprochen und genutzt werden, die bei der Besserung eine Rolle spielen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... und ob b) tatsächlich viel gewonnen wäre, wenn auf diesen verzichtet würde und es lediglich bei der Übelzufügung bliebe. Aber auch diese Übelzufügung müsste legitimiert werden. Und das scheint zumindest mir sehr viel schwieriger als die Legitimation des Strafrechtes.

Wie gesagt, ich finde das Schuldkonzept UND die Bestrafung (über eine bessernde Übelzufügug hinaus) unbegründet.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Die generelle Ablehnung von Vergeltung und Strafe als "archaisch" scheint mir übrigens noch nicht so recht plausibel dargelegt. Betrachten wir doch mal eine nichtstaatlichen Umgang miteinander, nämlich die Tit-for-Tat-Strategie aus der Spieltheorie. Diese verwendet Vergeltung / Strafen. Ist sie deswegen abzulehnen?

Guter Punkt. Ich würde sagen, in einer offenen Gesellschaft, in der Kooperation erwünscht ist, ist TitForTat ethisch nicht zu rechtfertigen, und so weit ist ja tatsächlich sogar unser Strafrecht schon lange. Die Spieltheorie simuliert ja in ihrer einfachsten Form gerade eher archaische Mechanismen, wenn man dagegen mehrfach auf denselben Partner trifft, wenn indirekte Reziprozität dazukommt, man auf Dritte angewiesen ist usw., dann ist TitForTat gar nicht mehr die geeignetste Strategie.

#47:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 19:12
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jagy hat folgendes geschrieben:
Und dieser Punkt ist eindeutig überschritten, wenn Bankmanager mit Nazimördern gleichgesetzt werden.

So sehe ich das auch. Bei "Merkel" habe ich ja noch nichts gesagt, ...

#48:  Autor: Spartacus Leto BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 19:12
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Skeptiker hat folgendes geschrieben:


Zur organisierten Kriminalität gehören auch Nazihorden oder die Gründung einer Bank, welche wesentlich krimineller ist als der Überfall einer Bank.

Ich verteidige ja auch den Gedanken der Re-Sozialiserung, auch wenn das im Falle von Nazimördern oder Bankmanagern nicht ganz einfach ist. Vielleicht doch erst mal wegsperren für's erste?
Resozialisierung im geschlossenen stationärem Aufenthalt scheint hier sicherlich angebracht. Bei einigen dürfte das wohl ein sehr langer Aufenthalt werden. Zumindest scheint es mir zu vorgeschichtlich Leute einzusperren und dann den Schüssel wegzuschmeißen.

#49: Der Begriff des "konformen Verhaltens" Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 20:14
    —
Bertolt Brecht, in der Dreigroschenoper hat folgendes geschrieben:
Was ist der Überfall auf eine Bank, gegen die Gründung einer Bank?


jagy hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:


Zur organisierten Kriminalität gehören auch Nazihorden oder die Gründung einer Bank, welche wesentlich krimineller ist als der Überfall einer Bank.

Ich verteidige ja auch den Gedanken der Re-Sozialiserung, auch wenn das im Falle von Nazimördern oder Bankmanagern nicht ganz einfach ist. Vielleicht doch erst mal wegsperren für's erste?

Wer sich jetzt beschwert, ...


Ja, ich beschwere mich.


Worüber?

jagy hat folgendes geschrieben:
Also entschuldigung, ich mein, über das meiste, was von den ewiggestrigen Kommunisten hier kommt, kann man ja einfach nur lachen, aber irgendwann hört auch der Spaß auf. Kann da mal jemand einschreiten?


Weiß nicht. Vielleicht wenn Ruhe die erste Bürgerpflicht wird, dann wird sofort eingeschritten.

Das folgende ist sogar besonders zum Einschreiten, das ist was für den Dorfpfarrer und Dorfpolizisten, zum Wiederherstellen der amtlich zugelassenen Irrenhaus-"Realität", auch als Geschichtsrevisionismus bekannt:

Zitat:
Aufgrund des Erfolges seiner Stoßtruppen gewann Mussolini zu dieser Zeit immer mehr an Unterstützung - besonders finanzieller Art. Industrielle wie Giacomo Toeplitz (Präsident der Mailänder Banca Commerciale) und Gino Olivetti (Sekretär des Industrieverbandes) unterstützten die faschistische Partei genauso wie die Mailänder Freimaurer und der Credito Italiano (eine Bankiersgruppe, die die italienischen Automobilindustrie kontrollierte).

http://www.pnf-eine-untersuchung.de/pnf_italienischer_faschismus.html

Aber nicht nur die Leitung der Staats- und Gemeindegeschäfte ist tatsächlich den kapitalistischen Mächtigen des Landes ausgeliefert. Auch bei der Zusammensetzung und Leitung der Partei selbst haben die Großgrundbesitzer, Fabrikanten und Bankiers ihre Hand im Spiele. Sie haben es natürlich nicht nötig, in eigener Person leitende Stellen in der Partei einzunehmen. (...)

Großgrundbesitzer, Fabrikanten, Bankiers und Professoren, die die neue kapitalistische Politik der Partei gut durchführten, wurden zu „Ehrenmitgliedern" ernannt.


http://nemesis.marxists.org/kurella-mussolini-ohne-maske15.htm


Deshalb wäre also zu fragen, wie man in Zukunft solche korporatistischen Bündnisse zwischen dem Banken- und dem Kleinbürger-Pöbel präventiv verhindern kann. Auch das muss Teil des Themas Kriminalitäts-Prävention sein, wenn man keine blinden Flecken haben will. Brecht erinnert uns wiederholt daran.

Und das schlimme an dem weiterhin ungestörten Agieren dieser Kreise ist, dass sie offenbar als ehrenwerte Bürger gesehen werden, welche sich "konform" (- ein regelmäßiger Begriff von step! -) verhalten. Demnach kann es irgendwie nicht das Ziel sein, "Konformismus" als Kriterium für (Nicht-)Kriminalität zu machen, solange es Verbrechen gibt, welche den Gesetzen gemäß legal sind.

Skeptiker

#50: Re: Der Begriff des "konformen Verhaltens" Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 20:23
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Und das schlimme an dem weiterhin ungestörten Agieren dieser Kreise ist, dass sie offenbar als ehrenwerte Bürger gesehen werden, welche sich "konform" (- ein regelmäßiger Begriff von step! -) verhalten. Demnach kann es irgendwie nicht das Ziel sein, "Konformismus" als Kriterium für (Nicht-)Kriminalität zu machen, ...

Hör auf mit den Verleumdungen!

Ich verwende "konform" neutral im Sinne von "als moralisch gut angesehen" und nicht im Sinne eines Konformismus.

Kein Vergleich zu Deiner pauschal-haßerfüllten, hetzerischen "Kulaken-wegsperren"-Kampfrhetorik.

#51: Re: Der Begriff des "konformen Verhaltens" Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 20:41
    —
step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Und das schlimme an dem weiterhin ungestörten Agieren dieser Kreise ist, dass sie offenbar als ehrenwerte Bürger gesehen werden, welche sich "konform" (- ein regelmäßiger Begriff von step! -) verhalten. Demnach kann es irgendwie nicht das Ziel sein, "Konformismus" als Kriterium für (Nicht-)Kriminalität zu machen, ...

Hör auf mit den Verleumdungen!

Ich verwende "konform" neutral im Sinne von "als moralisch gut angesehen" und nicht im Sinne eines Konformismus.

Kein Vergleich zu Deiner pauschal-haßerfüllten, hetzerischen "Kulaken-wegsperren"-Kampfrhetorik.


step hat folgendes geschrieben:
"Nein, damit kann er sich nicht herausreden. Er kann nicht leugnen, daß sein Gehirn von der sozial erwünschten Funktionsweise (aka "Moral") abgewichen ist."

"Da er diese Abweichung also nicht leugnen kann, kann er auch nicht leugnen, der zugewiesenen Verantwortung (Erwartung) nicht gerecht geworden zu sein. Er kann (je nach Fall) auch nicht leugnen, daß an ihm präventiv gearbeitet werden muß."


http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?p=1282783#1282783


"Er kann nicht leugnen" - das heisst also nichts anderes, als eine gesellschaftkonformistische Moral aufzustellen, die geradezu Selbstzweck und gegenüber den Inhalten quasi blind ist.

Was willst Du uns hier eigentlich verkaufen?

Das ist doch purer Strukturkonservatismus, den Du hier vertrittst.

Ich meine, dann sei auch so ehrlich, lass dieses ganze mühsame physikalistische Brimborium sein und gehe schnurstracks auf Deine politischen Ziele ein. Darauf kann man sachlich antworten.

Aber dieser skurrile Umweg über Determinismus und hastenichgesehen - das ist doch Affentheater ...-!

edit: Wieso soll sich immer nur das Individuum vor der Gesellschaft rechtfertigen, wieso nicht die Gesellschaft (und deren Machthaber) vor dem Individuum?

Skeptiker

#52: Re: Der Begriff des "konformen Verhaltens" Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 20:54
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
"Nein, damit kann er sich nicht herausreden. Er kann nicht leugnen, daß sein Gehirn von der sozial erwünschten Funktionsweise (aka "Moral") abgewichen ist."

"Da er diese Abweichung also nicht leugnen kann, kann er auch nicht leugnen, der zugewiesenen Verantwortung (Erwartung) nicht gerecht geworden zu sein. Er kann (je nach Fall) auch nicht leugnen, daß an ihm präventiv gearbeitet werden muß."

http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?p=1282783#1282783

"Er kann nicht leugnen" - das heisst also nichts anderes, als eine gesellschaftkonformistische Moral aufzustellen, die geradezu Selbstzweck und gegenüber den Inhalten quasi blind ist.

Du redest Unsinn, weil Du, durch Deine Kampfparolen gesteuert, nicht mehr differenzieren kannst.

Ich bin keineswegs gegenüber den Inhalten blind, nur besitze ich die analytische Fähigkeit, Mechanismen und Zusammenhänge bei der Moralbildung und Zuweisung von Verantwortung herauszudestillieren, die unabhängig von den konkreten moralischen Inhalten sind.

Vermutlich ist es auch die etwas "kühle", eher distanziert-wissenschaftliche Ausdrucksweise, die Dir den Kamm schwellen läßt, denn der echte Revolutionär MUSS hinreichend emotional auf ein simples Feindbild fixiert sein.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Wieso soll sich immer nur das Individuum vor der Gesellschaft rechtfertigen, wieso nicht die Gesellschaft ... vor dem Individuum?

Strohmann?

#53: Re: Der Begriff des "konformen Verhaltens" Autor: jagy BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 20:58
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Skeptiker hat folgendes geschrieben:


Sag mal Skeptiker, was mich mal interessieren würde, setzt du eigentlich auch jüdische Anhänger der Marktwirtschaft mit Nazimördern gleich?

#54:  Autor: Danol BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 21:00
    —
Kann nicht mal wieder ein Mod den üblichen Skeptiker-Blödsinn abtrennen? Die Diskusion war eigentlich angenehm interessant, zumindest bevor die gescheiterten Möchtegern-Revoluzzer wieder übernommen haben Mit den Augen rollen

#55: Re: Modernes Strafrecht Autor: Mario HahnaWohnort: München BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 21:05
    —
step hat folgendes geschrieben:
...


Danke für den Link. Die Argumentation gefällt mir, gleichzeitig halte ich deine Einwände für bedenkenswert, da die Argumentation nicht völlig konsistent ist.

Nur kurz zum Thema Schuldbegriff/Willensfreiheit in der Strafrechtswissenschaft: Überschätz die Strafrechtswissenschaft nicht. Die meisten Professoren können das Thema gar nicht richtig einordnen (selbst erlebt an der Uni). Der verlinkte Autor hebt sich davon deutlich ab (immerhin!).

#56: Re: Modernes Strafrecht Autor: PataPataWohnort: Toscana BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 21:09
    —
step hat folgendes geschrieben:
Der soziale Tadel im Sinne der Konstatierung eines unerwünschten, nicht normkonformen Verhaltens kann mE sogar sehr berechtigt sein. Er richtet sich im Determinismus aber nicht verurteilend gegen die Person, sondern appellativ an die Person. Die Person ist nicht schuld, sondern falsch gepolt. Und selbstverständlich können Mechanismen "in" der Person angesprochen und genutzt werden, die bei der Besserung eine Rolle spielen.
Könnte das nicht zu Auswüchsen wie bei der chinesischen Kulturrevolution führen ? Nur so ein Gedanke...

#57:  Autor: PataPataWohnort: Toscana BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 21:11
    —
Danol hat folgendes geschrieben:
Kann nicht mal wieder ein Mod den üblichen Skeptiker-Blödsinn abtrennen? Die Diskusion war eigentlich angenehm interessant, zumindest bevor die gescheiterten Möchtegern-Revoluzzer wieder übernommen haben Mit den Augen rollen
Man soll auch nicht überreagieren - auch Skeptiker darf seine Meinung kundtun und sie passt ja in diesen Rahmen...

#58: Re: Der Begriff des "konformen Verhaltens" Autor: PataPataWohnort: Toscana BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 21:13
    —
jagy hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:


Sag mal Skeptiker, was mich mal interessieren würde, setzt du eigentlich auch jüdische Anhänger der Marktwirtschaft mit Nazimördern gleich?
Was hat jetzt das mit Skeptikers Meinung zu tun ?

#59: Re: Modernes Strafrecht Autor: PataPataWohnort: Toscana BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 21:14
    —
Mario Hahna hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
...


Danke für den Link. Die Argumentation gefällt mir, gleichzeitig halte ich deine Einwände für bedenkenswert, da die Argumentation nicht völlig konsistent ist.

Nur kurz zum Thema Schuldbegriff/Willensfreiheit in der Strafrechtswissenschaft: Überschätz die Strafrechtswissenschaft nicht. Die meisten Professoren können das Thema gar nicht richtig einordnen (selbst erlebt an der Uni). Der verlinkte Autor hebt sich davon deutlich ab (immerhin!).
Aha, Du bist Jurist - das erklärt einiges...

#60: Re: Der Begriff des "konformen Verhaltens" Autor: jagy BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 21:16
    —
PataPata hat folgendes geschrieben:
jagy hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:


Sag mal Skeptiker, was mich mal interessieren würde, setzt du eigentlich auch jüdische Anhänger der Marktwirtschaft mit Nazimördern gleich?
Was hat jetzt das mit Skeptikers Meinung zu tun ?


Du hast recht, ich habe Bankmanager mit Anhänger der Marktwirtschaft verwechselt.

Ich verbessere mich daher:

@ Skeptiker: Setzt du eigentlich auch jüdische Bankmanager mit Nazimördern gleich?

@ PataPata: Hat sich deine Frage damit erledigt, oder soll ich ausführen?

#61: Re: Der Begriff des "konformen Verhaltens" Autor: PataPataWohnort: Toscana BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 21:24
    —
jagy hat folgendes geschrieben:
@ Skeptiker: Setzt du eigentlich auch jüdische Bankmanager mit Nazimördern gleich?

@ PataPata: Hat sich deine Frage damit erledigt, oder soll ich ausführen?
Verrate mir was der Begriff "jüdisch" in diesem Zusammenhang für eine Bedeutung haben soll ?

#62:  Autor: magnusfeWohnort: dunkler Ort : BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 21:31
    —
Habe ich ein Grund Recht auf Strafe oder muss ich dafür erst Leistung erbringen

#63:  Autor: boomkleverWohnort: Stuttgart BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 21:33
    —
magnusfe hat folgendes geschrieben:
Habe ich ein Grund Recht auf Strafe oder muss ich dafür erst Leistung erbringen

Erst dann wenn du Grund und Recht nicht mehr trennst.

#64:  Autor: jagy BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 21:34
    —
Zitat:
Mit dem Unwerturteil der Schuld wird dem Täter vorgeworfen, daß er sich nicht rechtmäßig verhalten, daß er sich für das Unrecht entschieden hat, obwohl es ihm aus seiner Sicht möglich war, sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden. Der innere Grund des Schuldvorwurfs ist darin zu sehen, daß der Mensch darauf angelegt ist, im Bewußtsein der Freiheit zu handeln und sich als Urheber seiner Entscheidungen zu begreifen.

(Aus dem im Anfangsthread angegebenen PDF, S. 11).

Hört sich für mich nicht sehr überzeugend an. Man stelle sich vor, man schreibt ein Computerprogramm, dass es zwar für möglich hält, das es die Option hat, die Festplatte nicht zu schrotten, es aber letztlich doch macht (bzw. machen muss). Und dann macht man dem Programm einen persönlichen Schuldvorwurf, dass es die Festplatte geschrottet hat...

#65:  Autor: Zoff BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 21:35
    —
Spartacus Leto hat folgendes geschrieben:
Nun zuerst müssen wir brtrachten, welche Arten von Verbrechen es gibt.


  1. Kleinkriminalität
  2. Organisierte Kriminalität
  3. Verbrechen von psychisch Kranken


Das erste sind Einbrecher, Bankräuber, Taschendiebe... Die Verelendung des Proletariats bringt sie dazu so zu handeln.

Das zweite ist uns als Mafia, Staat und Kapitalist bekannt. Kurz: Die Kapitallistenklasse und ihre Handlanger.

Das dritte tritt uns als Massenmord, Serienmord, Sexueller Missbrauch u.s.w. gegenüber. Hier ist eine psychische Behandlung der Täter angebracht.

Um die ersten beiden zu beenden, bedarf es der Aufhebung der Verhältnisse, die sie hervorbringen, kurz es bedarf der Aufhebung der Klassengesellschaft.


@ Spartacus Leto:

In diesem Beitrag ( http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?p=1352478#1352478 ) bezeichnest Du die Polizei als Mitglieder der organisierten Kriminalität.

Dies stellt einen Verstoß gegen die Forenregeln dar.

Forumsregeln 2.3 hat folgendes geschrieben:
Das Einstellen von Inhalten, die nach geltendem Recht ungesetzlich sind, einen Rechtsbruch beinhalten oder dazu zu einem Rechtsbruch auffordern, ist selbstverständlich verboten.


Du wirst hiermit verwarnt, das Team behält sich weitere Maßnahmen vor.

#66:  Autor: Zoff BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 21:35
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:


Zur organisierten Kriminalität gehören auch Nazihorden oder die Gründung einer Bank, welche wesentlich krimineller ist als der Überfall einer Bank.

Ich verteidige ja auch den Gedanken der Re-Sozialiserung, auch wenn das im Falle von Nazimördern oder Bankmanagern nicht ganz einfach ist. Vielleicht doch erst mal wegsperren für's erste?

Wer sich jetzt beschwert, wie ich dazu komme, Faschisten mit elegant gekleideten Bankern gleichzusetzen, der sehe sich bitte die italienische oder deutsche Geschichte kurz vor Mussolini und Hitler an. Dann wird sich Empörung hoffentlich in so manches "aha!"-Erlebnis verwandeln.

Aber auch heute mordet das brutale System der Weltbank weiter die Massen in der sogenannten "3. Welt". Wie sieht die Prävention dagegen eigentlich aus? Oder geht es nur darum, was der Staat als Subjekt mit Straftätern als Objekten macht?

Müsste nicht der Staat selber auch ein Objekt von Strafprävention sein?

Skeptiker


@Skeptiker:

In diesem Beitrag ( http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?p=1352501#1352501 ) setzt Du leitende Angestellte von Banken mit Nazimördern gleich.

Dies stellt einen Verstoß gegen die Forenregeln dar.

Forumsregeln 2.3 hat folgendes geschrieben:
Das Einstellen von Inhalten, die nach geltendem Recht ungesetzlich sind, einen Rechtsbruch beinhalten oder dazu zu einem Rechtsbruch auffordern, ist selbstverständlich verboten.


Du wirst hiermit verwarnt, das Team behält sich weitere Maßnahmen vor.

#67:  Autor: Danol BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 21:38
    —
jagy hat folgendes geschrieben:
Man stelle sich vor, man schreibt ein Computerprogramm, dass es zwar für möglich hält, das es die Option hat, die Festplatte nicht zu schrotten, es aber letztlich doch macht (bzw. machen muss). Und dann macht man dem Programm einen persönlichen Schuldvorwurf, dass es die Festplatte geschrottet hat...


Der Vergleich hinkt, selbst noch wenn man von einem Determinismus ausgeht.

#68: Re: Der Begriff des "konformen Verhaltens" Autor: jagy BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 21:42
    —
PataPata hat folgendes geschrieben:
jagy hat folgendes geschrieben:
@ Skeptiker: Setzt du eigentlich auch jüdische Bankmanager mit Nazimördern gleich?

@ PataPata: Hat sich deine Frage damit erledigt, oder soll ich ausführen?
Verrate mir was der Begriff "jüdisch" in diesem Zusammenhang für eine Bedeutung haben soll ?


Es war ein Versuch, Skeptiker zu zeigen, dass sein Vergleich zumindest in einem kleinen Punkt bedenklich hinkt und vielleicht doch etwas zu verallgemeinert.

Dass Skeptiker gröbere Schnitzer seines Vergleiches nicht kapiert, ist mir schon klar, darum versuche ich ihn gar nicht darauf aufmerksam zu machen, dass sein Vergleich nicht nur doch zumindest die meisten Bankmanager aufs übelste diffamiert, sondern dass sein Vergleich auch noch eine Holocaustrelativierung beinhaltet.

#69:  Autor: jagy BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 21:44
    —
Danol hat folgendes geschrieben:
jagy hat folgendes geschrieben:
Man stelle sich vor, man schreibt ein Computerprogramm, dass es zwar für möglich hält, das es die Option hat, die Festplatte nicht zu schrotten, es aber letztlich doch macht (bzw. machen muss). Und dann macht man dem Programm einen persönlichen Schuldvorwurf, dass es die Festplatte geschrottet hat...


Der Vergleich hinkt, selbst noch wenn man von einem Determinismus ausgeht.


Inwiefern?

#70:  Autor: Danol BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 21:46
    —
jagy hat folgendes geschrieben:
Danol hat folgendes geschrieben:
jagy hat folgendes geschrieben:
Man stelle sich vor, man schreibt ein Computerprogramm, dass es zwar für möglich hält, das es die Option hat, die Festplatte nicht zu schrotten, es aber letztlich doch macht (bzw. machen muss). Und dann macht man dem Programm einen persönlichen Schuldvorwurf, dass es die Festplatte geschrottet hat...


Der Vergleich hinkt, selbst noch wenn man von einem Determinismus ausgeht.


Inwiefern?


Bei einem Programm liegt ein konkreter Zwang vor, der durch denjenigen, der es gestartet hat, (evtl. unbeabsichtigt) vermittelt wird. Ein Mensch hat keinen Einschaltknopf.

#71:  Autor: jagy BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 21:48
    —
Danol hat folgendes geschrieben:
jagy hat folgendes geschrieben:
Danol hat folgendes geschrieben:
jagy hat folgendes geschrieben:
Man stelle sich vor, man schreibt ein Computerprogramm, dass es zwar für möglich hält, das es die Option hat, die Festplatte nicht zu schrotten, es aber letztlich doch macht (bzw. machen muss). Und dann macht man dem Programm einen persönlichen Schuldvorwurf, dass es die Festplatte geschrottet hat...


Der Vergleich hinkt, selbst noch wenn man von einem Determinismus ausgeht.


Inwiefern?


Bei einem Programm liegt ein konkreter Zwang vor, der durch denjenigen, der es gestartet hat, (evtl. unbeabsichtigt) vermittelt wird. Ein Mensch hat keinen Einschaltknopf.


Gehen wir beide von der Annahme aus, dass ein Mensch tatsächlich nicht anders handeln konnte, als er gehandelt hat (bzw handelt)?

#72:  Autor: Danol BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 21:51
    —
jagy hat folgendes geschrieben:
Gehen wir beide von der Annahme aus, dass ein Mensch tatsächlich nicht anders handeln konnte, als er gehandelt hat (bzw handelt)?


Ja. Trotzdem ist ein direkt vermittelter Zwang etwas anderes als ein durch blose Existenz gegebener. Wenn jemand ein Verbrechen unter Zwang begeht wird das doch auch anders behandelt?

#73:  Autor: jagy BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 21:57
    —
Danol hat folgendes geschrieben:
jagy hat folgendes geschrieben:
Gehen wir beide von der Annahme aus, dass ein Mensch tatsächlich nicht anders handeln konnte, als er gehandelt hat (bzw handelt)?


Ja. Trotzdem ist ein direkt vermittelter Zwang etwas anderes als ein durch blose Existenz gegebener. Wenn jemand ein Verbrechen unter Zwang begeht wird das doch auch anders behandelt?


Ja (aber die Strafrechtspraxis hat sich auch noch nicht sonderlich mit dem "Zwang durch bloße Existenz" beschäftigt!). Aber die Frage ist doch, ob ein auch als solcher empfundener Zwang und ein nur nicht als solcher empfundener Zwang einen solchen qualitativen Unterschied darstellen, dass es eine unterschiedliche strafrechtliche Reaktion rechtfertigt.

#74: Re: Der Begriff des "konformen Verhaltens" Autor: PataPataWohnort: Toscana BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 22:03
    —
jagy hat folgendes geschrieben:
PataPata hat folgendes geschrieben:
jagy hat folgendes geschrieben:
@ Skeptiker: Setzt du eigentlich auch jüdische Bankmanager mit Nazimördern gleich?

@ PataPata: Hat sich deine Frage damit erledigt, oder soll ich ausführen?
Verrate mir was der Begriff "jüdisch" in diesem Zusammenhang für eine Bedeutung haben soll ?


Es war ein Versuch, Skeptiker zu zeigen, dass sein Vergleich zumindest in einem kleinen Punkt bedenklich hinkt und vielleicht doch etwas zu verallgemeinert.

Dass Skeptiker gröbere Schnitzer seines Vergleiches nicht kapiert, ist mir schon klar, darum versuche ich ihn gar nicht darauf aufmerksam zu machen, dass sein Vergleich nicht nur doch zumindest die meisten Bankmanager aufs übelste diffamiert, sondern dass sein Vergleich auch noch eine Holocaustrelativierung beinhaltet.
Auf die Gefahr hin, dass ich auch dafür verwarnt werde: Wenn Skeptiker empfindet, dass Bankmanager mit ihrem Handeln den Tod von x-Millionen Menschen der dritten Welt bewirken, dann hat er das klar ausgedrückt. Dass dann der Holocaust als Massstab dienen kann ist eigentlich naheliegend. Dass es auch Juden gibt, die als Bankmanager im globalen Business tätig sind, gibt Dir die Antwort auf Deine Frage. Der Holocaust ist jetzt bald 70 Jahre zurück und Israel hat unterdessen eine eigenständige Politik und Wirtschaft entwickelt und ist heute selbst für seine Handlungen verantwortlich...

#75:  Autor: Danol BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 22:05
    —
jagy hat folgendes geschrieben:
Ja (aber die Strafrechtspraxis hat sich auch noch nicht sonderlich mit dem "Zwang durch bloße Existenz" beschäftigt!). Aber die Frage ist doch, ob ein auch als solcher empfundener Zwang und ein nur nicht als solcher empfundener Zwang einen solchen qualitativen Unterschied darstellen, dass es eine unterschiedliche strafrechtliche Reaktion rechtfertigt.


Der Unterschied geht über bloße Empfindungen hinaus. Das merkt man insbesondere daran dass eben keine anderen Individuen in dieser Situation anders handeln konnten (z.B. wenn Dir jemand eine Waffe an den Kopf hält), ohne dass das für sie unzumutbare Folgen nach sich zog.

#76:  Autor: Zoff BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 22:21
    —
Beschwerden zu den Verwarnungen könnt Ihr hier weiter diskutieren.

#77:  Autor: jagy BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 22:24
    —
Danol hat folgendes geschrieben:
jagy hat folgendes geschrieben:
Ja (aber die Strafrechtspraxis hat sich auch noch nicht sonderlich mit dem "Zwang durch bloße Existenz" beschäftigt!). Aber die Frage ist doch, ob ein auch als solcher empfundener Zwang und ein nur nicht als solcher empfundener Zwang einen solchen qualitativen Unterschied darstellen, dass es eine unterschiedliche strafrechtliche Reaktion rechtfertigt.


Der Unterschied geht über bloße Empfindungen hinaus. Das merkt man insbesondere daran dass eben keine anderen Individuen in dieser Situation anders handeln konnten (z.B. wenn Dir jemand eine Waffe an den Kopf hält), ohne dass das für sie unzumutbare Folgen nach sich zog.


Ich glaube, wir vermischen hier gerade psychologischen Zwang und physiologischen Zwang und ich bin mir gerade nicht sicher, ob das hilfreich ist.

#78:  Autor: Danol BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 22:29
    —
jagy hat folgendes geschrieben:
Ich glaube, wir vermischen hier gerade psychologischen Zwang und physiologischen Zwang und ich bin mir gerade nicht sicher, ob das hilfreich ist.


Ich denke es ging generell um Zwang, und nicht nur um bestimmte Formen? So kams hier zumindest an.

#79:  Autor: Danol BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 22:31
    —
Xamanoth hat folgendes geschrieben:
Moment. Es ist zwar zutreffend, dass eine Strafverschärfung ab einem gewissen Grad der Strafe nicht mehr zu einer erhöhten Präventionswirkung führt (schon eher eine effektive Verbrechensaufklärung und Bekämpfung). Das Strafe aber an sich in gewissem maße abschreckend wirkt (zumindest bei "Bilanzverbrechen" wie Wirtschaftkriminalität, Betrugstraftaten und ähnliches) finde ich durchaus plausibel.


Was Du 'findest' ist zunächst mal zweitrangig. Auch sowas muss sich nachweisen lassen ...
Nebenbei muss man bemerken dass schon die Forderungen nach Wiedergutmachung und ggf. Sicherung der Gesellschaft vor dem Täter durch Inhaftierung eine Abschreckungswirkung haben, es wäre also zu untersuchen ob sich eine über dieses Interesse hinausgehende Bestrafung auf die Kriminalität signifikant auswirkt.

#80: Re: Modernes Strafrecht Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 22:35
    —
Mario Hahna hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
...

Danke für den Link.

Der ist eigentlich von AP.

Mario Hahna hat folgendes geschrieben:
Die Argumentation gefällt mir, gleichzeitig halte ich deine Einwände für bedenkenswert, da die Argumentation nicht völlig konsistent ist.

Nur kurz zum Thema Schuldbegriff/Willensfreiheit in der Strafrechtswissenschaft: Überschätz die Strafrechtswissenschaft nicht. Die meisten Professoren können das Thema gar nicht richtig einordnen (selbst erlebt an der Uni). Der verlinkte Autor hebt sich davon deutlich ab (immerhin!).

Ja, ich habe den thread aufgemacht, weil ich seine Argumentaionsweise immerhin für interessant und kommentierenswert halte.

Würdest Du Burkhardt denn zustimmen, daß die "Freier Wille / Hätte auch anders handeln können" - Voraussetzung unter modernen Strafrechtchtlern kaum noch eine Rolle spielt? Richter, Staatsanwälte?

#81: Re: Der Begriff des "konformen Verhaltens" Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 31.08.2009, 22:42
    —
step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
"Nein, damit kann er sich nicht herausreden. Er kann nicht leugnen, daß sein Gehirn von der sozial erwünschten Funktionsweise (aka "Moral") abgewichen ist."

"Da er diese Abweichung also nicht leugnen kann, kann er auch nicht leugnen, der zugewiesenen Verantwortung (Erwartung) nicht gerecht geworden zu sein. Er kann (je nach Fall) auch nicht leugnen, daß an ihm präventiv gearbeitet werden muß."

http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?p=1282783#1282783

"Er kann nicht leugnen" - das heisst also nichts anderes, als eine gesellschaftkonformistische Moral aufzustellen, die geradezu Selbstzweck und gegenüber den Inhalten quasi blind ist.

Du redest Unsinn, weil Du, durch Deine Kampfparolen gesteuert, nicht mehr differenzieren kannst.

Ich bin keineswegs gegenüber den Inhalten blind, nur besitze ich die analytische Fähigkeit, Mechanismen und Zusammenhänge bei der Moralbildung und Zuweisung von Verantwortung herauszudestillieren, die unabhängig von den konkreten moralischen Inhalten sind.

Vermutlich ist es auch die etwas "kühle", eher distanziert-wissenschaftliche Ausdrucksweise, die Dir den Kamm schwellen läßt, denn der echte Revolutionär MUSS hinreichend emotional auf ein simples Feindbild fixiert sein.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Wieso soll sich immer nur das Individuum vor der Gesellschaft rechtfertigen, wieso nicht die Gesellschaft ... vor dem Individuum?

Strohmann?


Ach komm! Larviere nicht so herum. Deine ewige "Zuweisung von Verantwortung" kann auch bedeuten, dass ein Nazi-Staat seinen Untertanen die Mordwerkzeuge in die Hand gibt und an sie entsprechende "moralische" Erwartungen äussert. Und dass gerade Du der große Moral-Relativerer bist, hast Du ja kürzlich explizit zugegeben. Soll ich das Zitat auch noch raussuchen?

Und kühl? Na ja, ich würde sagen gefühlskalt und nicht sonderlich helle. Und der angebliche Strohmann ist deshalb keiner, weil er die Frage beinhaltet, wer denn die "Zuweiser von Verantwortung" eigentlich sind ...-?

Skeptiker

#82: Re: Modernes Strafrecht Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 01.09.2009, 00:59
    —
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Was mich ein bisschen stört an dieser Diskussion: es wird so getan, als ob nur Strafen staatliche Übelzufügung wären und dass man, wenn man das Wort eliminierte, auch das Übel beseitigt hätte.

Letzteres stimmt für mich nicht, da es mir vor allem um konkrete Änderungen geht, z.B. Abschaffung von Freiheitsstrafen.

Hm, aber Du hältst doch Sicherungsverwahrung für legitim oder habe ich das jetzt falsch in Erinnerung? Und Sicherungsverwahrung ist eine Übelzufügung, die sich insofern von einer normalen Freiheitsstrafe unterscheidet, als dass der soziale Tadel fehlt. Und ein ganz wesentlicher Unterschied ist dabei auch noch, dass es dabei nicht um eine konkrete Tat geht, die bestraft wird, sondern um eine lediglich angenommene Gefährdung (wobei mW verfahren wird nach dem Motto: im Zweifel gegen den potentiellen Gefährder - im Gegensatz zur sonstigen entgegengesetzten Prämisse in einem Strafverfahren: im Zweifel für den Angeklagten). D.h., dass die Übelzufügung (der Freiheitsentzug) nicht nach oben begrenzt ist und auch nicht kalkulierbar / vom Verdächtigen nicht beeinflussbar ist. Und daraus folgt für mich, dass eine Sicherungsverwahrung problematischer ist als eine (normale) Freiheitsstrafe. Sie bedarf einer ausführlichen Legitimation. Ich fürchte aber, eine solche gibt es gar nicht. Falls doch, wäre ich für einen Link dankbar.

step hat folgendes geschrieben:
Und Ersteres vertrete ich offensichtlich auch nicht, da natürlich auch eine nichtstrafende Maßnahme als kontrapräferentiell empfunden werden kann, z.B. die Steuerlast oder die Schulpflicht.

Naja, das finde ich in dem Zusammenhang weniger gute Beispiele. Man kann zwar problemlos Schulpflicht und Steuerlast als Übelzufügung ansehen und das sind sie auch, wenn sie gegen die persönliche Präferenz geschehen, jedoch gelten sie für alle gleichermaßen, sie sind keine lediglich ausnahmsweise persönlichen Übelzufügungen (und keine Grundrechtseinschränkungen). Mir scheint dieser Unterschied hier eine wesentliche Rolle zu spielen, denn dadurch wird das Gleichbehandlungsgebot nicht verletzt. Welches zwar zugegebenermaßen schwammig sein mag und einer näheren Betrachtung und Begründung bedarf, aber in Deinen Beispielen scheint es mir, wie gesagt, nicht verletzt zu sein.

step hat folgendes geschrieben:
Mein Punkt ist vor allem, daß mir nicht einleuchtet, inwiefern ein sozialer Tadel ethisch überhaupt zur einer vergeltenden Übelzufügung berechtigt. Nur in der Antwort auf Burkhardt habe ich mich auf den anderen Punkt, nämlich seinen Versuch einer Begründung des kompatibilistischen Schuldkonzepts, konzentriert.

Ein sozialer Tadel an sich reicht mAn noch nicht für eine Übelzufügung. Deswegen gibt es ja auch die Vereinigungstheorie in der Strafzwecktheorie. Lediglich Vergeltung ist darin keine hinreichende Legitimation für eine Strafe, es muss auch präventive Gründe geben. Aber nur präventive Gründe reichen auch nicht aus, mAn hat das Vergeltungsprinzip (immer auf eine konkrete nachgewiesene Tat bezogen) im Strafrecht einen begrenzenden Charakter und ist somit unverzichtbbar. Daher habe ich auch so große Probleme mit den Maßnahmen zur Sicherung und Besserung, die aus diesem Raster herausfallen.

Mal unabhängig davon: worum geht es Dir eigentlich hier in diesem Thread konkret? Möchtest Du über Begründungen des Strafrechtes sprechen, die mit der Willensfreiheit in Zusammenhang stehen und damit argumentieren oder möchtest Du das lieber ausklammern?

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Man müsste jetzt also fragen, ob a) der soziale Tadel unberechtigt ist ...

Der soziale Tadel im Sinne der Konstatierung eines unerwünschten, nicht normkonformen Verhaltens kann mE sogar sehr berechtigt sein. Er richtet sich im Determinismus aber nicht verurteilend gegen die Person, sondern appellativ an die Person. Die Person ist nicht schuld, sondern falsch gepolt. Und selbstverständlich können Mechanismen "in" der Person angesprochen und genutzt werden, die bei der Besserung eine Rolle spielen.

"Mechanismen in der Person" hört sich mal wieder so ein bisschen dualistisch an, so, als ob diese "Mechanismen" nicht Teil der Person seien, sondern etwas außerhalb von ihr. "Wir sprechen nicht die Person an, sondern die Mechanismen in ihr." Fragt sich dann auch mal wieder, wer hier überhaupt der handelnde Akteur ist, wer derjenige ist, der diese "Mechanismen" anspricht. Ob das denn eine Person sein kann oder ob das auch nur "Mechanismen" sind, die das tun. Aber das nur nebenbei.

Mein Einwand hier wäre eher die Frage, wie man überhaupt zu dem Schluss kommen kann, ein sozialer Tadel richte sich nicht verurteilend gegen die Person. Das erscheint mir falsch, denn das ist nun mal das Wesen eines sozialen Tadels: "Du hast falsch gehandelt, wir missbilligen Deine Handlung, die wir Dir zurechnen, tu das nicht mehr!". Denn nur wenn man der Person ihre Handlung hinreichend zurechnet, ist ein solcher sozialer Tadel mE überhaupt gerechtfertigt. Wenn die Person lediglich aufgrund äußerer Umstände gehandelt hat, (z.B.: sie wurde hypnotisiert, jemand hat ihr Gehirn kontrolliert, sie handelte aufgrund eines inneren Zwanges), dann würde ein solcher Tadel wohl gar nicht erst erwogen.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... und ob b) tatsächlich viel gewonnen wäre, wenn auf diesen verzichtet würde und es lediglich bei der Übelzufügung bliebe. Aber auch diese Übelzufügung müsste legitimiert werden. Und das scheint zumindest mir sehr viel schwieriger als die Legitimation des Strafrechtes.

Wie gesagt, ich finde das Schuldkonzept UND die Bestrafung (über eine bessernde Übelzufügug hinaus) unbegründet.

Hm, aber das Schuldkonzept ist auch wesentlich (zumindest im heutigen Zivilrecht) für eine Schadensersatzforderung. Ohne Verschulden kein Schadensersatz (mal generell gesagt, da gibt es jedoch einige Ausnahmen, siehe Gefährdungshaftung). Würdest Du dieses Prinzip ändern wollen? Wenn ja: inwiefern?

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Die generelle Ablehnung von Vergeltung und Strafe als "archaisch" scheint mir übrigens noch nicht so recht plausibel dargelegt. Betrachten wir doch mal eine nichtstaatlichen Umgang miteinander, nämlich die Tit-for-Tat-Strategie aus der Spieltheorie. Diese verwendet Vergeltung / Strafen. Ist sie deswegen abzulehnen?

Guter Punkt. Ich würde sagen, in einer offenen Gesellschaft, in der Kooperation erwünscht ist, ist TitForTat ethisch nicht zu rechtfertigen, und so weit ist ja tatsächlich sogar unser Strafrecht schon lange. Die Spieltheorie simuliert ja in ihrer einfachsten Form gerade eher archaische Mechanismen, wenn man dagegen mehrfach auf denselben Partner trifft, wenn indirekte Reziprozität dazukommt, man auf Dritte angewiesen ist usw., dann ist TitForTat gar nicht mehr die geeignetste Strategie.

Oh. Diese Antwort hätte ich jetzt nicht erwartet. Das war eher als Nebenaspekt gedacht, ich sehe prinzipielle Unterschiede zwischen persönlichen Handlungen und staatlichen Handlungen und hinsichtlich der Legitimationen. Ich halte Tit for Tat für ethisch unbedenklich in persönlichen Beziehungen, jedoch halte ich das Prinzip für eher problematisch in Legitimationen gesellschaftlichen Handelns.

#83:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 01.09.2009, 01:57
    —
Noseman hat folgendes geschrieben:
Spartacus Leto hat folgendes geschrieben:

Um die ersten beiden zu beenden, bedarf es der Aufhebung der Verhältnisse, die sie hervorbringen, kurz es bedarf der Aufhebung der Klassengesellschaft.

Kleinkriminalität und organisierte Kriminalität gab es bisher in jeder Gesellschaft.

Es gab ja bisher auch in jeder uns bekannten Gesellschaft Klassen. zwinkern

#84:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 01.09.2009, 02:11
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Noseman hat folgendes geschrieben:
Spartacus Leto hat folgendes geschrieben:
Um die ersten beiden zu beenden, bedarf es der Aufhebung der Verhältnisse, die sie hervorbringen, kurz es bedarf der Aufhebung der Klassengesellschaft.

Kleinkriminalität und organisierte Kriminalität gab es bisher in jeder Gesellschaft.

Es gab ja bisher auch in jeder uns bekannten Gesellschaft Klassen. zwinkern

Is' dann vielleicht nur eine Definitionssache: eine echte klassenlose Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass es in ihr keine Kleinkriminalität und keine organisierte Kriminalität gibt. Dann ist man auf der sicheren Seite, weil das selbstimmunisierend ist: eine Gesellschaft, in der es derartiges gibt, ist dann eben keine echte klassenlose Gesellschaft.

So, wie Schotten, die nicht dicht sind, keine echten Schotten sein können. Weil echte Schotten immer dicht sein müssen. Weiß man doch. Ist einfach selbstevident.

#85: Bertolt Brecht wird mit verwarnt Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 01.09.2009, 08:17
    —
Zoff hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:


Zur organisierten Kriminalität gehören auch Nazihorden oder die Gründung einer Bank, welche wesentlich krimineller ist als der Überfall einer Bank.

Ich verteidige ja auch den Gedanken der Re-Sozialiserung, auch wenn das im Falle von Nazimördern oder Bankmanagern nicht ganz einfach ist. Vielleicht doch erst mal wegsperren für's erste?

Wer sich jetzt beschwert, wie ich dazu komme, Faschisten mit elegant gekleideten Bankern gleichzusetzen, der sehe sich bitte die italienische oder deutsche Geschichte kurz vor Mussolini und Hitler an. Dann wird sich Empörung hoffentlich in so manches "aha!"-Erlebnis verwandeln.

Aber auch heute mordet das brutale System der Weltbank weiter die Massen in der sogenannten "3. Welt". Wie sieht die Prävention dagegen eigentlich aus? Oder geht es nur darum, was der Staat als Subjekt mit Straftätern als Objekten macht?

Müsste nicht der Staat selber auch ein Objekt von Strafprävention sein?

Skeptiker


@Skeptiker:

In diesem Beitrag ( http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?p=1352501#1352501 ) setzt Du leitende Angestellte von Banken mit Nazimördern gleich.

Dies stellt einen Verstoß gegen die Forenregeln dar.

Forumsregeln 2.3 hat folgendes geschrieben:
Das Einstellen von Inhalten, die nach geltendem Recht ungesetzlich sind, einen Rechtsbruch beinhalten oder dazu zu einem Rechtsbruch auffordern, ist selbstverständlich verboten.


Du wirst hiermit verwarnt, das Team behält sich weitere Maßnahmen vor.


Ich meine z.B. das hier:

Zitat:
Nürnberger Prozesse

Angeklagt waren:
39 Ärzte und Juristen
56 Mitglieder von SS und Polizei
42 Industrielle und Bankiers

26 militärische Führer
22 Minister und hohe Regierungsvertreter

Beispielsweise war die Liste der Angeklagten im Bereich Wirtschaft nur exemplarisch: es fehlten viele von mindestens gleichwertig belasteten Unternehmen. So z. B. die Deutsche Bank, deren Mittäterschaft spätestens seit der Auswertung der OMGUS-Akten (also noch vor der Urteilsverkündung) nachgewiesen wurde.

http://de.wikipedia.org/wiki/Nürnberger_Prozesse


Die haben sich quasi selber gleichgesetzt. Da braucht kein Skeptiker oder Leto zu kommen und die noch gleichzusetzen.

Aber hey! Ich weiß, heute ist das alles ganz anderes in Deutschland. Da würde so etwas nieeee wieder passieren, wie wir doch alle wissen, gelle?

Wer's glaubt, wird selig ...-

edit: Heute ist es z.B. so:

Zitat:
IWF und Weltbank als Geldeintreiber für Großbanken, Großkonzerne und für imperialistische Staaten sind genau genommen zum Instrument für Massenmord geworden. Ihre Gifte klingen harmlos, aber sind durchaus wirkungsvoll. Die Pillen nennen sich meist:

- Währungsabwertung:
Das soll angeblich den Export ankurbeln. Dabei werden aber die heimischen Produkte zum Ausverkauf (eine Art erzwungener Schlussverkauf) an das Ausland angeboten.

- Produktion für den Export:
Produkte für eigenen Konsum machen Platz für Exportprodukte um Devisen für die Schulden-Tilgung zu erwirtschaften.

- Importbeschränkungen:
Nicht etwa Import von Luxuslimousinen, Panzern oder Kampfflugzeugen, sondern von einfachen Medikamenten oder Schulbüchern fallen dieser Politik zum Opfer.

- Senkung der Rohstoffpreise durch erzwungene Überproduktion:
Bei wichtigen Exportprodukten drängen IWF und Weltbank viele Länder dazu, das selbe Produkt anzubieten und den Markt damit zu überschwemmen. So produziert nicht nur Ghana heute Kakao, sondern auch die Elfenbeinküste und Kamerun sind zu Großproduzenten erzogen worden.

- Die sogenannten Anpassungsmaßnahmen:
Öffnung des einheimischen Marktes, Privatisierungen und Verschlankung des Staatsapparates und Streichung der wenigen noch vorhandenen Subventionen wie kostenlose Schulleistungen und so weiter sind die Folgen.


http://www.sozialismus.info/?sid=339


Skeptiker


Zuletzt bearbeitet von Skeptiker am 01.09.2009, 08:58, insgesamt einmal bearbeitet

#86: Die herrschende Moral = Die Moral der Herrschenden Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 01.09.2009, 08:43
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Ach komm! Larviere nicht so herum. Deine ewige "Zuweisung von Verantwortung" kann auch bedeuten, dass ein Nazi-Staat seinen Untertanen die Mordwerkzeuge in die Hand gibt und an sie entsprechende "moralische" Erwartungen äussert. Und dass gerade Du der große Moral-Relativerer bist, hast Du ja kürzlich explizit zugegeben. Soll ich das Zitat auch noch raussuchen?


Hier ist das Zitat, das ich meinte:

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Wenn Du aber nur die Verlässlichkeit als solche meinst, so muss die auch nichts mit Moral zu tun haben. Wenn etwa ein Verbrecherstaat von seinen Untertanen erwartet, diese und jene Verbrechen zu begehen, so versucht er sicherlich die Bevölkerung zu konditionieren und zu "determinieren". Aber Moral? Moral wäre das nicht.

Das sehe ich anders. Was als "gut" oder "legitim" gilt, ist Moral. Auch wenn man es später als "böse" ansieht.


Damit habe ich nachgewissen, dass es Dir um inhaltslosen und blinden Konformismus geht. Denn die jeweilige Moral hinterfragst Du nicht in Deinem Denken. Deine "Zuweisung von Verantwortung" hat nur den Sinn, die Moral der Herrschenden zu festigen. Und wer in einer kapitalistischen Klassengesellschaft wem "Verantwortung" zuweist, ist ja wohl eindeutig *determiniert* ...-! zynisches Grinsen

edit: Ach, so und bevor Du Dich jetzt wieder allzu persönlich angegriffen fühlst: Der gleiche Vorwurf trifft - zumindest zum Teil - auch auf Burkhardt zu.

Skeptiker

#87: Re: Die herrschende Moral = Die Moral der Herrschenden Autor: neinguar BeitragVerfasst am: 01.09.2009, 09:12
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Das sehe ich anders. Was als "gut" oder "legitim" gilt, ist Moral. Auch wenn man es später als "böse" ansieht.


Damit habe ich nachgewissen, dass es Dir um inhaltslosen und blinden Konformismus geht. Denn die jeweilige Moral hinterfragst Du nicht in Deinem Denken.

Das ist doch jetzt nicht Dein Ernst, oder?

EDIT: Zitat geflickt

#88: Re: Die herrschende Moral = Die Moral der Herrschenden Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 01.09.2009, 09:49
    —
neinguar hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Das sehe ich anders. Was als "gut" oder "legitim" gilt, ist Moral. Auch wenn man es später als "böse" ansieht.


Damit habe ich nachgewissen, dass es Dir um inhaltslosen und blinden Konformismus geht. Denn die jeweilige Moral hinterfragst Du nicht in Deinem Denken.

Das ist doch jetzt nicht Dein Ernst, oder?

EDIT: Zitat geflickt


Warum hast Du meine vorherige Aussage gesnippt?

Ich habe vom Moral-Relativismus gesprochen. step dagegen von einer neutralen Moral, die aber nicht neutral sein kann, da sie eben von der Gesellschaftsordnung abhängt.

Burkhardt setzt - zwar strunzbürgerlich, aber immerhin - eine moralisch verfasste Gesellschaft als Voraussetzung für seine Verhaltenserwartungen. step nicht. Das ist der Unterschied.

Skeptiker

#89: Re: Die herrschende Moral = Die Moral der Herrschenden Autor: neinguar BeitragVerfasst am: 01.09.2009, 10:47
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Warum hast Du meine vorherige Aussage gesnippt?

Nur damit die Zitate nicht so lang werden. Sinnentstellend ist das nicht.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Ich habe vom Moral-Relativismus gesprochen. step dagegen von einer neutralen Moral,

Hat er nicht, sondern von Moral als in Bezug auf ihren konkreten Inhalt neutralem Begriff. Daneben gibt es Moral als wertenden Begriff, mit dem man schon einen bestimmte Inhalte voraussetzt, und das ist die Bedeutung, die Du implizit immer unterstellst.

Z.B. ist "katholische Sexualmoral" eine Form von Moral im ersten (neutralen) Sinne. Ich und Du und step und der größte Teil der FGH-Mitglieder teilen diese Moral wahrscheinlich nicht, sie widerspricht unseren moralischen Vorstellungen sogar. Im zweiten Sinne könnten wir also sagen: Sie ist unmoralisch. Kombiniert und widerspruchsfrei: Die katholische Sexualmoral ist eine unmoralische Moral.

Ich kann also ohne weiteres sagen, die katholische Sexualmoral sei eine Moral, ohne mich damit dafür auszusprechen, sie zu befolgen.

Und wenn step von der jeweiligen Moral in einer Gesellschaft spricht, dann heißt das ganz klar erkennbar nicht, dass er sich dafür aussprechen würde, diese zu befolgen bzw. Verstöße zu bestrafen, egal was sie beinhaltet.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Burkhardt setzt - zwar strunzbürgerlich, aber immerhin - eine moralisch verfasste Gesellschaft als Voraussetzung für seine Verhaltenserwartungen. step nicht. Das ist der Unterschied.


Es ist hier einfach nicht das Thema, was konkret Inhalt der Verhaltenserwartungen (Moral) sein sollte, sondern ob und wie man, vorausgesetzt, man hat eine - nicht: eine beliebige - Moral, die Sanktionierung von Verstößen rechtfertigen kann.

Darin Moralrelativismus zu sehen, ist ziemlich abenteuerlich.

#90: Re: Modernes Strafrecht Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 01.09.2009, 19:31
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Was mich ein bisschen stört an dieser Diskussion: es wird so getan, als ob nur Strafen staatliche Übelzufügung wären und dass man, wenn man das Wort eliminierte, auch das Übel beseitigt hätte.
Letzteres stimmt für mich nicht, da es mir vor allem um konkrete Änderungen geht, z.B. Abschaffung von Freiheitsstrafen.
Hm, aber Du hältst doch Sicherungsverwahrung für legitim oder habe ich das jetzt falsch in Erinnerung?

Richtig, das halte ich für legitim, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, die Gesellschaft vor einem Wiederholungstäter zu schützen. Ich sehe aber nicht, wieso ich deshalb meinen würde, daß "nur Strafen staatliche Übelzufügung wären".

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und Sicherungsverwahrung ist eine Übelzufügung, die sich insofern von einer normalen Freiheitsstrafe unterscheidet, als dass der soziale Tadel fehlt.

Hmm ... man sagt zwar in dem Fall nicht "Du hast Dich unerwünscht verhalten", aber man sagt "Wir erwarten, daß Du Dich auch weiter unerwünscht verhalten wirst". In beiden Fällen tadelt man ja nicht die Tat, sondern die Person, wenn mn denn überhaupt tadeln will.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... D.h., dass die Übelzufügung (der Freiheitsentzug) nicht nach oben begrenzt ist und auch nicht kalkulierbar / vom Verdächtigen nicht beeinflussbar ist.

Eine Begrenzung nach oben könnte durch Verhältnismäßigkeit gegeben sein. Wenn jemand vermutlich immer wieder betrügen wird, darf er nicht sicherheitsverwahrt werden, sondern eine andere Sicherungsmaßnahme wäre verhältnismäßiger, etwa daß er bestimmte Berufe nicht ausüben darf oder daß er seine Finanzen offenlegen muß. Selbst für Vergewaltiger gibt es u.U. verhältnismäßigere Lösungen, z.B. elektronische Fußfesseln oder sowas.

Und beeinflußbar ist es auch, z.B. könnte zuerst eine mildere Sanktion verhängt werden, die dem Verdächtigen erlaubt, überhaupt Vertrauen zurückzugewinnen, etwa im Fall des Betrügers eine Begrenzung der Prokura oder eine freiwillige Offenlegung der Finanzen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und daraus folgt für mich, dass eine Sicherungsverwahrung problematischer ist als eine (normale) Freiheitsstrafe. Sie bedarf einer ausführlichen Legitimation.

Die Legitimation kann z.B. darin liegen, das gesamte Leiden zu verringern. Ich sage nicht, daß das im Einzelfall leicht ist. Wenn man aber eine normverletzende Tat eher als "Fehlfunkion" denn als "persönliche Schuld" ansieht, ist mglw. auch der Stigmatisierungseffekt geringer.

Übrigens ist die "normale Freiheitsstrafe" mE überhaupt nicht gut begründet, Du stehst hier also in einer ähnlichen Pflicht.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
... da natürlich auch eine nichtstrafende Maßnahme als kontrapräferentiell empfunden werden kann, z.B. die Steuerlast oder die Schulpflicht.
Naja, das finde ich in dem Zusammenhang weniger gute Beispiele. ... gelten sie für alle gleichermaßen, sie sind keine lediglich ausnahmsweise persönlichen Übelzufügungen (und keine Grundrechtseinschränkungen). ...

Das scheint mir ein schwaches Argument. Weder die Steuerlast noch die Schulpflicht ist für alle gleich, ähnlich wie auch der Wehr-und Zivildienst. Zudem geht es, meine ich, eher um die Frage, ob und mit welcher Begründung die Gemeinschaft die Freiheit des Einzelnen einschränken und ihm sogar empfundenes Übel zufügen darf. Ist es ein hinreichender Grund, daß die Mehrheit meint, es sei zu aller Bestem? Oder muß es zu desjenigem Besten sein?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Mein Punkt ist vor allem, daß mir nicht einleuchtet, inwiefern ein sozialer Tadel ethisch überhaupt zur einer vergeltenden Übelzufügung berechtigt. ...
Ein sozialer Tadel an sich reicht mAn noch nicht für eine Übelzufügung. Deswegen gibt es ja auch die Vereinigungstheorie in der Strafzwecktheorie. Lediglich Vergeltung ist darin keine hinreichende Legitimation für eine Strafe, es muss auch präventive Gründe geben. Aber nur präventive Gründe reichen auch nicht aus, mAn hat das Vergeltungsprinzip (immer auf eine konkrete nachgewiesene Tat bezogen) im Strafrecht einen begrenzenden Charakter und ist somit unverzichtbbar ...

Mir scheint diese "Vereinigungstheorie" nur ein Nebelbegriff zu dem Zweck, die Vergeltung mit unterzubringen. Und mehrjährige Gefängnisstrafen lassen in keinster Weise erkennen, daß sie wesentlich auf Prävention beruhen. Dann auch noch zu behaupten, ohne Vergeltungsprinzip wären die Strafen noch drakonischer (so verstehe ich Dich), finde ich absurd.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Mal unabhängig davon: worum geht es Dir eigentlich hier in diesem Thread konkret? Möchtest Du über Begründungen des Strafrechtes sprechen, die mit der Willensfreiheit in Zusammenhang stehen und damit argumentieren oder möchtest Du das lieber ausklammern?

Eigentlich ging es mir bei diesem thread um eine Kritik an Burkhardts Versuch, mittels eines kompatibilistischen Schuldkonzepts der Forderung entgegenzutreten, das Strafrecht müsse geändert werden, nachdem es kein "hätte-sich-auch-anders-entscheiden-können" mehr gibt. Da hatte ich das Gefühl, noch etwas Neues beitragen zu können. Wir sind dann aber auf eine konkretere Diskussion über die Strafzwecke gekommen, was mich auch sehr interessiert.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Man müsste jetzt also fragen, ob a) der soziale Tadel unberechtigt ist ...
Der soziale Tadel im Sinne der Konstatierung eines unerwünschten, nicht normkonformen Verhaltens kann mE sogar sehr berechtigt sein. Er richtet sich im Determinismus aber nicht verurteilend gegen die Person, sondern appellativ an die Person. Die Person ist nicht schuld, sondern falsch gepolt. Und selbstverständlich können Mechanismen "in" der Person angesprochen und genutzt werden, die bei der Besserung eine Rolle spielen.
... Mein Einwand hier wäre eher die Frage, wie man überhaupt zu dem Schluss kommen kann, ein sozialer Tadel richte sich nicht verurteilend gegen die Person. Das erscheint mir falsch, denn das ist nun mal das Wesen eines sozialen Tadels: "Du hast falsch gehandelt, wir missbilligen Deine Handlung, die wir Dir zurechnen, tu das nicht mehr!". Denn nur wenn man der Person ihre Handlung hinreichend zurechnet, ist ein solcher sozialer Tadel mE überhaupt gerechtfertigt. Wenn die Person lediglich aufgrund äußerer Umstände gehandelt hat, (z.B.: sie wurde hypnotisiert, jemand hat ihr Gehirn kontrolliert, sie handelte aufgrund eines inneren Zwanges), dann würde ein solcher Tadel wohl gar nicht erst erwogen.

Naja, Du definierst "sozialen Tadel" jetzt extra so persönlich und schuldmäßig, daß er sich natürlich an die Person richtet. Mir ging es darum, den sozialen Tadel in der Form zu nutzen: "Du hast falsch gehandelt, wir missbilligen diese Fehlfunktion, wir erwarten von Dir, daß Du dabei mithilfst, daß das nicht mehr vorkommt." Auf diese Weise kann die Person sich gewissermaßen außer sich selbst stellen und "an sich arbeiten" oder auch Hilfe annehmen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... aber das Schuldkonzept ist auch wesentlich (zumindest im heutigen Zivilrecht) für eine Schadensersatzforderung. Ohne Verschulden kein Schadensersatz (mal generell gesagt, da gibt es jedoch einige Ausnahmen, siehe Gefährdungshaftung). Würdest Du dieses Prinzip ändern wollen? Wenn ja: inwiefern?

Das hatte ich oben schon angedeutet: "Schulden" hat für mich einen anderen Fokus als "Schuld". Schadensersatzforderungen kann man begründen, indem man allen Mitgliedern der Gemeinschaft einen virtuellen Vertrag unterstellt, der u.a. beinhaltet, für Schaden ökonomisch und nach Mitteln zu haften. Eine Haftstrafe nützt dem Geschädigten aber gar nichts, sondern schadet allen Beteiligten sogar.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich halte Tit for Tat für ethisch unbedenklich in persönlichen Beziehungen, jedoch halte ich das Prinzip für eher problematisch in Legitimationen gesellschaftlichen Handelns.

Ich halte es auch in persönlichen Beziehungen für problematisch, außer evtl. bei eher "ökonomischen" Einmalkontakten mit anonymen Unbekannten. Um mal ein Beispiel zu nennen: Ich würde niemals mein Kind zurückboxen, damit es "mal merkt, wie das so ist" und es sich fortan zweimal überlegt oder nur noch bei Schwächeren anwendet. Und das ist eine sehr pesönliche Beziehung. Aber das Beispiel wird Dir sicher wieder nicht gefallen ...

#91: Re: Die herrschende Moral = Die Moral der Herrschenden Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 01.09.2009, 19:38
    —
neinguar hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Burkhardt setzt - zwar strunzbürgerlich, aber immerhin - eine moralisch verfasste Gesellschaft als Voraussetzung für seine Verhaltenserwartungen. step nicht. Das ist der Unterschied.
Es ist hier einfach nicht das Thema, was konkret Inhalt der Verhaltenserwartungen (Moral) sein sollte, sondern ob und wie man, vorausgesetzt, man hat eine - nicht: eine beliebige - Moral, die Sanktionierung von Verstößen rechtfertigen kann. Darin Moralrelativismus zu sehen, ist ziemlich abenteuerlich.

Danke, @neinguar, auch für Deine anderen postings, Skeptikers Angriffe betreffend, Du triffst den Nagel auf den Kopf.

Und @Skeptiker: Wie kommst Du darauf, daß ich anders als Burkhardt, keine "moralisch verfasste Gesellschaft als Voraussetzung für ... Verhaltenserwartungen" setze? Im Gegenteil schrieb ich doch schon mehrfach, gerade die in einer Gesellschaft geltende Moral setze die Verhaltenserwartungen.

#92: Re: Die herrschende Moral = Die Moral der Herrschenden Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 01.09.2009, 20:12
    —
step hat folgendes geschrieben:
neinguar hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Burkhardt setzt - zwar strunzbürgerlich, aber immerhin - eine moralisch verfasste Gesellschaft als Voraussetzung für seine Verhaltenserwartungen. step nicht. Das ist der Unterschied.
Es ist hier einfach nicht das Thema, was konkret Inhalt der Verhaltenserwartungen (Moral) sein sollte, sondern ob und wie man, vorausgesetzt, man hat eine - nicht: eine beliebige - Moral, die Sanktionierung von Verstößen rechtfertigen kann. Darin Moralrelativismus zu sehen, ist ziemlich abenteuerlich.

Danke, @neinguar, auch für Deine anderen postings, Skeptikers Angriffe betreffend, Du triffst den Nagel auf den Kopf.

Und @Skeptiker: Wie kommst Du darauf, daß ich anders als Burkhardt, keine "moralisch verfasste Gesellschaft als Voraussetzung für ... Verhaltenserwartungen" setze? Im Gegenteil schrieb ich doch schon mehrfach, gerade die in einer Gesellschaft geltende Moral setze die Verhaltenserwartungen.


Die in einer Gesellschaft herrschende (- nicht bloß "geltende" -) Moral ist immer die Moral der Herrschenden und somit noch lange keine Moral als solche - etwa aus der Sicht der Menschenrechte.

Da Du aber forderst, dass das Individuum sich an die gesellschaftliche "Moral" anpassen solle, legst Du damit eben gerade keinen moralischen, sondern - wie ich schon sagte - einen konformistischen Maßstab an. Das hast Du noch mal unterstrichen, indem Du betont hast, dass das, was hier und heute "Gut" und "Böse" heisst, in einer anderen Gesellschaft zu einer anderen Zeit keineswegs das gleiche "Gut" und "Böse" und trotzdem (!) Moral sei! (siehe oben, mein Zitat Deiner Aussagen!).

Es kann aber ja sein, dass nicht-konformes Verhalten gegenüber einer amoralischen Gesellschaft legitim ist. Deiner Ansicht nach, sollen dann trotzdem die Konformismus-Erzwinger kommen und die Querulanten richtig "determinieren", weil die ja - wie Du wörtlich schreibst - nicht erwartungsgemäß "funktionieren".

Da frage ich noch mal: wer zum Teufel hat das Recht dazu, menschliche Grundrechte auf diese Weise ggf. auszuhebeln? Und was hat eine unausgegorene, physikalistische These in der Justiz verloren?

Noch mal zu Burckhardt:

Burckhardt hat folgendes geschrieben:
Die im Strafrecht vorherrschende Meinung hat den Verzicht auf den Begriff der persönlichen Schuld, den einige Hirnforscher fordern, längst erklärt. Sie hat das persönliche Dafürkönnen (die individuelle Vorwerfbarkeit) durch ein Konzept ersetzt, das als „sozialer (sozialvergleichender, pragmatisch-sozialer, generalisierend-normativer) Schuldbegriff“ bezeichnet wird. Strafrechtliche Schuld bedeutet danach „keineswegs wirkliche Schuld“ (Stratenwerth/Kuhlen 2004, 6), und der strafrechtliche Schuldvorwurf ist dementsprechend kein individualethischer, sondern „nur ein sozialer Tadel wegen des Zurückbleibens hinter Verhaltensanforderungen, die der freiheitlich verfaßte und daher menschliche Freiheit anerkennende Staat an seine Bürger [...] stellen muß“ (...). Voraussetzung für einen solchen sozialen Tadel sei nicht individuelles Andershandelnkönnen, nicht persönliches Dafür-Können, sondern „nur die normale Motivierbarkeit durch soziale Normen“ (...).


Man könnte auch "Bevormundung für Leute, die nicht anders können" schreiben. Dass dies eine geringere Diskriminierung wäre, indem man Menschen mit dysfunktionalen Automaten gleichsetzt, um sie dann per Gehirnwäsche gleichzuschalten, das wage ich zu bezweifeln.

Und wie Burckhardt darauf kommt, dass dies das Kennzeichen eines "freiheitlich verfaßten und daher menschliche Freiheit anerkennenden Staates" sein soll, gehört wohl zu den Geheimnissen von Juristen, die sich heuer als "fortschrittlich" ausgeben, aber bei denen man den Verdacht nicht los wird, dass sie mit anderen, verschleiernden Begriffen und Paradigmen an der Fortsetzung einer dunklen deutschen Geschichte arbeiten ...-

Skeptiker

#93:  Autor: neinguar BeitragVerfasst am: 01.09.2009, 20:48
    —
@Skeptiker:

Es ist nicht zu fassen. Du ignorierst einfach, dass step den Begriff Moral deskriptiv verwendet hat und dass das in eine andere Kategorie gehört als das, was er selbst (oder Du oder ich) gut und richtig findet. Wenn Dir der Begriff "Moral" dafür nicht passt, verwende einen anderen ("Normen", "Verhaltensanforderungen"....), aber unterstelle einem anderen nicht die Verwendung, die Du für richtig hältst, wenn das ganz offensichtlich nicht seine Intention war.

Niemand hat gefordert, dass sich der Einzelne der jeweils herrschenden Moral unabhängig von ihrem Inhalt/ihrer Legitimität unterwerfen solle. Die Behauptung wird durch penetrante Wiederholung nicht wahrer.

Zur Legitimation von Sanktionen gehören 2 Ebenen:

- Ist die Norm/Verhaltensanforderung/Moral legitim? Wenn nicht, ist auch die Sanktionierung eines Verstoßes natürlich nicht legitim.

- Vorausgesetzt, die Norm ist legitim: Ist die Sanktion legitim?

Hier geht es nur um die zweite Ebene, konkret darum, welche Konsequenzen bestimmte Annahmen über Determiniertheit, Willensfreiheit u.ä. für die Beantwortung dieser Frage haben.

Punkt.

#94: Re: Modernes Strafrecht Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 01.09.2009, 21:45
    —
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Was mich ein bisschen stört an dieser Diskussion: es wird so getan, als ob nur Strafen staatliche Übelzufügung wären und dass man, wenn man das Wort eliminierte, auch das Übel beseitigt hätte.
Letzteres stimmt für mich nicht, da es mir vor allem um konkrete Änderungen geht, z.B. Abschaffung von Freiheitsstrafen.
Hm, aber Du hältst doch Sicherungsverwahrung für legitim oder habe ich das jetzt falsch in Erinnerung?

Richtig, das halte ich für legitim, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, die Gesellschaft vor einem Wiederholungstäter zu schützen. Ich sehe aber nicht, wieso ich deshalb meinen würde, daß "nur Strafen staatliche Übelzufügung wären".

Wenn wir uns dabei einig sind und auch darin, dass beides der Legitimation bedarf, dann ist das ja erst mal gut, da wir dann dabei übereinstimmen.

Ich hatte bei meiner Aussage oben auch nicht speziell nur Dich im Sinne, sondern auch die Beiträge von PataPata, dessen Aussagen ich so verstanden habe, als ob sich selbstverständlich die Gesellschaft schützen dürfe und als ob in diesem Zusammenhang Legitimationen zur Einschränkung von Grundrechten gar nicht erforderlich seien. Hauptsache nur, man nennt es nicht "Strafe". Dann sei alles erlaubt, einfach so, und alles gebongt, wegen der Sicherheit und so. Aber so ist das nun mal nicht.

Eine Legitimation einer Gefängnisstrafe beruht in meiner Sicht durchaus (auch) darauf, dass ein verurteilter Täter nachgewiesenermaßen (im Prozess) seine Tat bewusst und absichtlich vollzogen hat und daher eine Strafe verdient hat, er ist moralisch verantwortlich für sein Handeln und hat daher eine persönliche Schuld dafür, weil es seine, vom ihm gewollte und deswegen durchgeführte Tat war.

Wäre es das nicht, hätte er überhaupt nichts (oder zu wenig) damit zu tun oder wäre er gezwungen worden, durch Umstände, die außerhalb seiner Kontrolle lagen, dann könnte er in meiner Sicht weder verantwortlich noch schuldig sein.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und Sicherungsverwahrung ist eine Übelzufügung, die sich insofern von einer normalen Freiheitsstrafe unterscheidet, als dass der soziale Tadel fehlt.

Hmm ... man sagt zwar in dem Fall nicht "Du hast Dich unerwünscht verhalten", aber man sagt "Wir erwarten, daß Du Dich auch weiter unerwünscht verhalten wirst". In beiden Fällen tadelt man ja nicht die Tat, sondern die Person, wenn mn denn überhaupt tadeln will.

Aber nein. Man tadelt bei Letzterem nicht die Person, sondern man spricht ihr ihre Kontrollfähigkeit ab, man stuft sie zu einem reinen Objekt ab, über das man meint, verfügen zu können. Da gibt es keinen persönlichen Vorwurf.

Wenn man aber sagt: "Du hast Dich unerwünscht verhalten", dann ist das natürlich ein persönlicher Vorwurf.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und daraus folgt für mich, dass eine Sicherungsverwahrung problematischer ist als eine (normale) Freiheitsstrafe. Sie bedarf einer ausführlichen Legitimation.

Die Legitimation kann z.B. darin liegen, das gesamte Leiden zu verringern. Ich sage nicht, daß das im Einzelfall leicht ist. Wenn man aber eine normverletzende Tat eher als "Fehlfunkion" denn als "persönliche Schuld" ansieht, ist mglw. auch der Stigmatisierungseffekt geringer.

Eine Legitimation für eine Grundrechtseinschränkung kann mE nicht in einer Wahrscheinlichkeitsberechnung der Zukunft liegen. Zumindest nicht einer solchen Wahrscheinlichkeitsberechnung, die bei einer Sicherungsverwahrung angewendet wird (im Zweifel gegen den potentiellen Gefährder). Das wäre nur ein Primitivst-Utilitarismus, den ich ablehne, denn der legitimiert Eingriffe in Grundrechte, die mAn letztlich schädlich sind. (Was man auch als utilitaristische Argumentation ansehen kann - ich habe nichts generell gegen Utilitarismus, nur gegen bestimmte Ausprägungen.)

Und mit dem Ausdruck "Fehlfunktion" habe ich grundsätzliche Probleme. Ein Mensch ist keine Maschine, er hat daher gar keine "richtige" Funktion. Man kann Menschen nicht reparieren.

Na gut, das hört sich erst mal schwammig an, zugegeben, vielleicht können wir das später im Thread noch besser klären.

step hat folgendes geschrieben:
Übrigens ist die "normale Freiheitsstrafe" mE überhaupt nicht gut begründet, Du stehst hier also in einer ähnlichen Pflicht.

Ja, es ist richtig, dass jegliches Eingreifen staatlicher Organe in Grundrechte einer ausführlichen Legitimation bedarf. Wenn wir uns einig sind, dass auch die Legitimation von Sicherungsverwahrung nicht mit dem lapidaren Satz: "aber wir müssen uns doch schützen, is' nun mal so!" abgehandelt sein kann.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
... da natürlich auch eine nichtstrafende Maßnahme als kontrapräferentiell empfunden werden kann, z.B. die Steuerlast oder die Schulpflicht.
Naja, das finde ich in dem Zusammenhang weniger gute Beispiele. ... gelten sie für alle gleichermaßen, sie sind keine lediglich ausnahmsweise persönlichen Übelzufügungen (und keine Grundrechtseinschränkungen). ...

Das scheint mir ein schwaches Argument. Weder die Steuerlast noch die Schulpflicht ist für alle gleich, ähnlich wie auch der Wehr-und Zivildienst.

Doch, die Steuerlast und auch die Schulpflicht ist für alle in vergleichbaren Situationen gleich (X, der genausoviel verdient wie ich, muss genausoviele Steuern bezahlen). Sollte sie zumindest sein.

Wehr- und Zivildienst ist ein neuer Aspekt. Stimmt, der ist nicht für alle gleich, jedoch in dieser Beziehung mAn nicht mit Steuern oder Schulpflicht zu vergleichen. Die Wehrgerechtigkeit ist nicht gegeben, was insofern ein Problem ist.

step hat folgendes geschrieben:
Zudem geht es, meine ich, eher um die Frage, ob und mit welcher Begründung die Gemeinschaft die Freiheit des Einzelnen einschränken und ihm sogar empfundenes Übel zufügen darf.

Ja, darum geht es, genau. Denn der Urzustand, der Naturzustand gewissermaßen ist es mAn, dass Grundrechte, grundlegende Freiheiten nicht eingeschränkt werden dürfen ohne dass es eine gute Begründung dafür gibt. Denn wäre dem nicht so, dann wäre es mir nicht einsichtig, wieso ich diese Gesellschaft überhaupt akzeptieren sollte.

step hat folgendes geschrieben:
Ist es ein hinreichender Grund, daß die Mehrheit meint, es sei zu aller Bestem? Oder muß es zu desjenigem Besten sein?

Weder noch. Eine Begründung, eine Legitimation muss unabhängig davon plausibel sein.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
[...] Deswegen gibt es ja auch die Vereinigungstheorie in der Strafzwecktheorie. [...]

Mir scheint diese "Vereinigungstheorie" nur ein Nebelbegriff zu dem Zweck, die Vergeltung mit unterzubringen. Und mehrjährige Gefängnisstrafen lassen in keinster Weise erkennen, daß sie wesentlich auf Prävention beruhen. Dann auch noch zu behaupten, ohne Vergeltungsprinzip wären die Strafen noch drakonischer (so verstehe ich Dich), finde ich absurd.

Nein, wie gesagt, hat das Vergeltungsprinzip bzw. das Schuldkonzept mAn einen begrenzenden Charakter im Strafrecht. Es verhindert, (bzw. es sollte verhindern - im Falle der Sicherungsverwahrungen wird es ja nicht angewendet), dass "Unschuldigen" des reinen Zweckes wegen (der zukünftigen angenommenen Leidvermeidung wegen) ein Übel vom Staat zugefügt werden darf.

Die Frage, ob mehrjährige Gefängnisstrafen berechtigt sind, ist dabei eine andere Frage. Allerdings meine ich, dass sie es sind. Jedoch dürfen sie als einziges Übel nur den Freiheitsentzug beinhalten, nicht mehr. Jegliche Haft, in der der Inhaftierte zusätzlich sonstigen Übeln ausgesetzt ist, halte ich für unberechtigt.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Mein Einwand hier wäre eher die Frage, wie man überhaupt zu dem Schluss kommen kann, ein sozialer Tadel richte sich nicht verurteilend gegen die Person. Das erscheint mir falsch, denn das ist nun mal das Wesen eines sozialen Tadels: "Du hast falsch gehandelt, wir missbilligen Deine Handlung, die wir Dir zurechnen, tu das nicht mehr!". Denn nur wenn man der Person ihre Handlung hinreichend zurechnet, ist ein solcher sozialer Tadel mE überhaupt gerechtfertigt. Wenn die Person lediglich aufgrund äußerer Umstände gehandelt hat, (z.B.: sie wurde hypnotisiert, jemand hat ihr Gehirn kontrolliert, sie handelte aufgrund eines inneren Zwanges), dann würde ein solcher Tadel wohl gar nicht erst erwogen.

Naja, Du definierst "sozialen Tadel" jetzt extra so persönlich und schuldmäßig, daß er sich natürlich an die Person richtet. Mir ging es darum, den sozialen Tadel in der Form zu nutzen: "Du hast falsch gehandelt, wir missbilligen diese Fehlfunktion, wir erwarten von Dir, daß Du dabei mithilfst, daß das nicht mehr vorkommt." Auf diese Weise kann die Person sich gewissermaßen außer sich selbst stellen und "an sich arbeiten" oder auch Hilfe annehmen.

Ja, aber ich sehe jetzt den Unterschied nicht zu dem, was ich gesagt habe. Nur wenn eine Tat der Person persönlich zugerechnet wird (und nicht den determinierten Umständen - so sie außerhalb seiner Kontrolle lagen) ist doch ein solcher Tadel berechtigt. Ansonsten wäre die "Handlung" (in Anführungszeichen deswegen, weil ich das nicht mehr Handlung nennen würde) dann gleich zu bewerten wie ein Vulkanausbruch oder ein sonstiges Naturereignis, für das niemand was könnte.

Es geht doch immer in einem Strafverfahren (und auch in einem Zivilverfahren gegen jemanden) darum, festzustellen, ob jemand verantwortlich war für seine Handlung oder nicht, ob es eben seine Handlung war oder ein Ereignis außerhalb seiner Kontrolle. Falls Letzteres, dann wäre er ja nicht moralisch verantwortlich und könnte auch nicht schuldig sein. Und jemand, der unschuldig ist, kann auch nicht bestraft werden (das folgt aus dem Prinzip: keine Strafe ohne Schuld). Und ob er dennoch irgendwelchen freiheitseinschränkenden "Maßnahmen" unterworfen werden dürfte, ist doch auch erst mal fraglich und versteht sich keineswegs von selber.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... aber das Schuldkonzept ist auch wesentlich (zumindest im heutigen Zivilrecht) für eine Schadensersatzforderung. Ohne Verschulden kein Schadensersatz (mal generell gesagt, da gibt es jedoch einige Ausnahmen, siehe Gefährdungshaftung). Würdest Du dieses Prinzip ändern wollen? Wenn ja: inwiefern?

Das hatte ich oben schon angedeutet: "Schulden" hat für mich einen anderen Fokus als "Schuld". Schadensersatzforderungen kann man begründen, indem man allen Mitgliedern der Gemeinschaft einen virtuellen Vertrag unterstellt, der u.a. beinhaltet, für Schaden ökonomisch und nach Mitteln zu haften.

Nö, Dein Verweis auf "Schulden" hilft hier überhaupt nicht weiter, denn solche sind vertraglich im Vorneherein geregelt. Aber um solche Fälle geht es hier doch nicht. Die Frage ist hier, wann jemand überhaupt Schulden hat (und zwar abseits von konkreten Verträgen - solche Schulden, die zum Schadensersatz verpflichten) und wann nicht. Die momentane Rechtsprechung ist hier eindeutig: nur wer vorsätzlich oder fahrlässig jemandem einen Schaden zufügt, ist schadensersatzpflichtig. Das bedeutet aber nun mal, dass nur derjenige schadensersatzpflichtig ist, der schuldhaft einen Schaden zufügt.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich halte Tit for Tat für ethisch unbedenklich in persönlichen Beziehungen, jedoch halte ich das Prinzip für eher problematisch in Legitimationen gesellschaftlichen Handelns.

Ich halte es auch in persönlichen Beziehungen für problematisch, außer evtl. bei eher "ökonomischen" Einmalkontakten mit anonymen Unbekannten. Um mal ein Beispiel zu nennen: Ich würde niemals mein Kind zurückboxen, damit es "mal merkt, wie das so ist" und es sich fortan zweimal überlegt oder nur noch bei Schwächeren anwendet. Und das ist eine sehr pesönliche Beziehung. Aber das Beispiel wird Dir sicher wieder nicht gefallen ...

Natürlich gefällt mir das nicht. Ein Kind ist nicht verantwortlich für sein Handeln, ihm fehlt die mAn dafür notwendige Einsichtsfähigkeit. Tit-for-Tat ist mE nur eine legitime Strategie in einer persönlichen Beziehung zwischen Gleichen.

Eine kurze Anmerkung noch, weil das eh schon zu lang ist: ein sozialer Tadel richtet sich übrigens nicht nur an den Verurteilten und an seine Einsicht, sondern auch an die restliche Gesellschaft. Es ist ein Signal, dass Normverletzung X nicht geduldet wird und dass dem Opfer der Normverletzung X die Solidarität der Gesellschaft gezeigt wird.


Zuletzt bearbeitet von AgentProvocateur am 01.09.2009, 22:59, insgesamt einmal bearbeitet

#95: moralisch entkernter Konformismus Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 01.09.2009, 22:33
    —
neinguar hat folgendes geschrieben:
@Skeptiker:

Es ist nicht zu fassen. Du ignorierst einfach, dass step den Begriff Moral deskriptiv verwendet hat und dass das in eine andere Kategorie gehört als das, was er selbst (oder Du oder ich) gut und richtig findet. Wenn Dir der Begriff "Moral" dafür nicht passt, verwende einen anderen ("Normen", "Verhaltensanforderungen"....), aber unterstelle einem anderen nicht die Verwendung, die Du für richtig hältst, wenn das ganz offensichtlich nicht seine Intention war.


Noch einmal: Es ist ein Unterschied, ob man eine Abweichung von einem moralisch-menschenrechtlichen Maßstab oder eine Abweichung von gesellschaftlichen "Erwartungen" (- so ein Originalbegriff von step -) vorliegt.

Dazu kommt, dass hier die Qualität der Abweichung entscheidend ist. Ich kann doch nicht ein Schwerverbrechen (- etwa einem kaltblütigen Mord -) wie ein Kavaliersdelikt (- kleiner Diebstahl -) in einen Topf werfen.

neinguar hat folgendes geschrieben:
Niemand hat gefordert, dass sich der Einzelne der jeweils herrschenden Moral unabhängig von ihrem Inhalt/ihrer Legitimität unterwerfen solle.


Es war immer die Rede von - ich zitiere:

step hat folgendes geschrieben:
"Nein, damit kann er sich nicht herausreden. Er kann nicht leugnen, daß sein Gehirn von der sozial erwünschten Funktionsweise (aka "Moral") abgewichen ist."


Da lese ich nirgendwo die Forderung, dass jene gesellschaftliche Erwünschtheit auch legitim sein soll. Oder liest Du das irgendwo? Und da Gesellschaftennun mal sehr unterschiedlich verfasst sein können, lassen sich eine Menge Forderungen der Gesellschaft an die Individuen denken, welche alles andere als menschenrechtlich-moralisch sind.

neinguar hat folgendes geschrieben:
Zur Legitimation von Sanktionen gehören 2 Ebenen:

- Ist die Norm/Verhaltensanforderung/Moral legitim? Wenn nicht, ist auch die Sanktionierung eines Verstoßes natürlich nicht legitim.


Wie gesagt, von Legitimität lese ich hier bislang nur bei Dir etwas. step hat dieses Wort noch nie in den Mund genommen.

Mir jedenfalls geht es darum wie das Verhältnis zwischen Gesellschaft/Staat und Individuum/Bevölkerung aussieht. Wenn immer nur der Staat fordert, dann ist die Legitimität der Forderungen sowieso nicht gegeben. Vielmehr bedeutet Demokratie, dass die Menschen den Staat kontrollieren und nicht umgekehrt.

Das heisst natürlich nicht, dass man nicht von Verbrechen sprechen könne. Nur sollte man diese mit einem universellen Maßstab bewerten und nicht mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Maßstäben.

neinguar hat folgendes geschrieben:
- Vorausgesetzt, die Norm ist legitim: Ist die Sanktion legitim?


Eine Norm als Norm muss immer hinterfragt werden, wenn sie vor allem dazu dient, "die Gesellschaft" über das Individuum zu stellen, so als sei das Individuum für die Gesellschaft da und nicht die Gesellschaft für das Individuum.

Deshalb muss auch darüber nachgedacht werden, wie man mit Verbrechern verfährt, die nicht nur gegen keine gesellschaftliche Norm verstoßen, sondern nur aufgrund einer gesellschaftlichen Doppelnorm legale Verbrechen mit dem Segen des Staates begehen zu können.

Ansonsten geht es darum, Verbrechen in all ihren Bestandteilen zu erklären, damit man sie beurteilen kann.

neinguar hat folgendes geschrieben:
Hier geht es nur um die zweite Ebene, konkret darum, welche Konsequenzen bestimmte Annahmen über Determiniertheit, Willensfreiheit u.ä. für die Beantwortung dieser Frage haben.


Das ist zu simpel. Man muss sich ja auch vor Augen halten, dass bestimmte Gesellschaftsverhältnisse auf systematische Weise dafür sorgen, dass legale Verbrechen systematisch produziert werden von seiten der Herrschenden selber.

Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Zufallsverbrechen, welche mehr oder weniger unkontrollierbar sind für die Obrigkeit. Diese reagiert verstärkt mit Ordnungs- und Kontrollwahn, während umgekehrt die Bevölkerung den Herrschenden bei ihren systematischen Verbrechen nicht das Handwerk legen kann.

Ich sehe die Ausführungen diverser Hirnforscher und Deterministen auch unter dem Blickwinkel, dass sich dort ein Kreis von konservativen Akademkern gesammelt hat, welche die staatliche Gewalt der Justiz dafür einsetzen wollen, Menschen in neuartige, geordnet Kategorien einzuteilen. Man muss diese Entwicklung beobachten. Aber es scheint mir eine "alternative" Form der sozialen Kontrolle zu sein.

Allein schon solche Ausdrucksweisen wie jemand "funktioniere" nicht o.ä. deutet auf Parallelen zu gewissen biologistischen Eigenschaftszuschreibungen hin, während man dagegen wichtige Bedingungen sozialer Faktoren außer Betracht lässt.

Aber denk halt selbst ...-

Skeptiker

#96:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 02.09.2009, 02:49
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Is' dann vielleicht nur eine Definitionssache.

Nö. zwinkern

#97: Re: moralisch entkernter Konformismus Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 02.09.2009, 10:37
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
"Nein, damit kann er sich nicht herausreden. Er kann nicht leugnen, daß sein Gehirn von der sozial erwünschten Funktionsweise (aka "Moral") abgewichen ist."
Da lese ich nirgendwo die Forderung, dass jene gesellschaftliche Erwünschtheit auch legitim sein soll.

Weil es da nicht hingehört! Das kann doch nicht so schwer zu verstehen sein. In einem thread über das korrekte postalische Versenden von Geschenken würdest Du vermutlich auch ständig darauf herumhacken, daß das Geschenk aber in einem volkseigenen Betrieb herhestellt sein müsse.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Mir jedenfalls geht es darum wie das Verhältnis zwischen Gesellschaft/Staat und Individuum/Bevölkerung aussieht. Wenn immer nur der Staat fordert, dann ist die Legitimität der Forderungen sowieso nicht gegeben. Vielmehr bedeutet Demokratie, dass die Menschen den Staat kontrollieren und nicht umgekehrt.

Du kannst ja einen eigenen thread aufmachen zum Thema "Legitimität moralischer Inhalte" oder zum Thema "Verhältnis von Individuum und Gesellschaft", das sind bestimmt interessante Themen.

Das Strafrecht, sozialer Tadel usw. dagegen wirkt immer in die Richtung auf das Individuum.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Ich sehe die Ausführungen diverser Hirnforscher und Deterministen auch unter dem Blickwinkel, dass sich dort ein Kreis von konservativen Akademkern gesammelt hat, welche die staatliche Gewalt der Justiz dafür einsetzen wollen, Menschen in neuartige, geordnet Kategorien einzuteilen.

Lächerlich.

#98: Re: Modernes Strafrecht Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 02.09.2009, 12:04
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Eine Legitimation einer Gefängnisstrafe beruht in meiner Sicht durchaus (auch) darauf, dass ein verurteilter Täter nachgewiesenermaßen (im Prozess) seine Tat bewusst und absichtlich vollzogen hat und daher eine Strafe verdient hat, er ist moralisch verantwortlich für sein Handeln und hat daher eine persönliche Schuld dafür, weil es seine, vom ihm gewollte und deswegen durchgeführte Tat war.

Dieses "und daher eine Strafe verdient hat" leuchtet mir nicht ein, selbst wenn die Tat präferent ("absichtlich") begangen wurde .

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und Sicherungsverwahrung ist eine Übelzufügung, die sich insofern von einer normalen Freiheitsstrafe unterscheidet, als dass der soziale Tadel fehlt.
Hmm ... man sagt zwar in dem Fall nicht "Du hast Dich unerwünscht verhalten", aber man sagt "Wir erwarten, daß Du Dich auch weiter unerwünscht verhalten wirst". In beiden Fällen tadelt man ja nicht die Tat, sondern die Person, wenn mn denn überhaupt tadeln will.
Aber nein. Man tadelt bei Letzterem nicht die Person, sondern man spricht ihr ihre Kontrollfähigkeit ab, man stuft sie zu einem reinen Objekt ab, über das man meint, verfügen zu können. Da gibt es keinen persönlichen Vorwurf.

Das sehe ich anders. Die Person wird ja nicht als komplett kontrollunfähig eingestuft (und daher auch nicht zum "reinen Objekt herabgestuft"), sondern man appelliert an andere Teile, Instanzen, Präferenzen dieser Person, von denen man meint, daß sie kontrollfähig sind oder zumindest dazu beitragen können.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Eine Legitimation für eine Grundrechtseinschränkung kann mE nicht in einer Wahrscheinlichkeitsberechnung der Zukunft liegen.

Grundrechte werden aber andauernd aufgrund von Zukunftssimulationen präventiv eingeschränkt, z.B. bei Notwehr, beim Wehrdienst, bei Abschiebungen, bei Suizidgefährdeten oder beim Verbot verfassungsfeindlicher Parteien und der Überwachung von Islamisten. Zudem kann ich Deine prinzipiellen Bedenken nicht teilen, solange die Verhältnismäßigkeit zwischen Gefahr und Maßnahme gewahrt bleibt.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Zumindest nicht einer solchen Wahrscheinlichkeitsberechnung, die bei einer Sicherungsverwahrung angewendet wird (im Zweifel gegen den potentiellen Gefährder).

Jetzt muß ich aber doch fragen, wie denn Du der Gefahr einer (mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit prognostizierten) Wiederholungstat etwa bei einem Kindervergewaltiger begegnen willst. Warten, bis die Zukunft Vergangenheit wird?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und mit dem Ausdruck "Fehlfunktion" habe ich grundsätzliche Probleme. Ein Mensch ist keine Maschine, er hat daher gar keine "richtige" Funktion. Man kann Menschen nicht reparieren.

Der Ausdruck ist zugegeben etwas funktionalistisch, und manche empfinden das bereits als Verletzung ihrer "Wesenswürde". Aber der Ausdruck hat auch seine Vorteile, denn er weist keine metaphysische Schuld zu und läßt die "Reparaturmaßnahmen" als etwas erscheinen, bei dem man sein Gesicht (und damit seine zugewiesene Würde) nicht verliert, ähnlich wie eine Operation oder Psychotherapie.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ja, es ist richtig, dass jegliches Eingreifen staatlicher Organe in Grundrechte einer ausführlichen Legitimation bedarf. Wenn wir uns einig sind, dass auch die Legitimation von Sicherungsverwahrung nicht mit dem lapidaren Satz: "aber wir müssen uns doch schützen, is' nun mal so!" abgehandelt sein kann.

Da sind wir uns einig, ich hatte ja bereits z.B. auf die Verhältnismäßigkeit hingewiesen. Es ist vielleicht auch ein Mißverständnis: Ich will nicht mehr Sicherungsverwahrung, sondern höchstens mehr Spezialprävention, und vor allem weniger (vergeltende und abschreckende) Bestrafung.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Doch, die Steuerlast und auch die Schulpflicht ist für alle in vergleichbaren Situationen gleich (X, der genausoviel verdient wie ich, muss genausoviele Steuern bezahlen). Sollte sie zumindest sein.

Wenn Du jetzt auf "vergleichbare Situationen" einschränkst, gilt Dein ursprüngliches Argument nicht mehr, denn auch präventive Maßnahmen könnten (und müßten) sich an vergleichbaren Situationen (Vorgeschichte, Persönlichkeitsprofil ...) orientieren.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Zudem geht es, meine ich, eher um die Frage, ob und mit welcher Begründung die Gemeinschaft die Freiheit des Einzelnen einschränken und ihm sogar empfundenes Übel zufügen darf.
Ja, darum geht es, genau. Denn der Urzustand, der Naturzustand gewissermaßen ist es mAn, dass Grundrechte, grundlegende Freiheiten nicht eingeschränkt werden dürfen ohne dass es eine gute Begründung dafür gibt. Denn wäre dem nicht so, dann wäre es mir nicht einsichtig, wieso ich diese Gesellschaft überhaupt akzeptieren sollte.

Naja, ob das der Urzustand ist, möchte ich mal bezweifeln, meinst Du vielleicht eher den Idealzustand? ANsonsten aber OK.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Ist es ein hinreichender Grund, daß die Mehrheit meint, es sei zu aller Bestem? Oder muß es zu desjenigem Besten sein?
Weder noch. Eine Begründung, eine Legitimation muss unabhängig davon plausibel sein.

Das wird aber sehr schwierig.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Die Frage, ob mehrjährige Gefängnisstrafen berechtigt sind, ist dabei eine andere Frage.

Gerade heute in der Zeitung: Amerikaner, der 16 Möchtegernmodels sexuell mißbraucht hat, zu 59 Jahren Haft veruteilt. Was bringt das??

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Allerdings meine ich, dass sie es sind. Jedoch dürfen sie als einziges Übel nur den Freiheitsentzug beinhalten, nicht mehr. Jegliche Haft, in der der Inhaftierte zusätzlich sonstigen Übeln ausgesetzt ist, halte ich für unberechtigt.

Abgesehen mal davon, daß dies in unseren Gefängnissen nicht der Fall ist: Wieso ist gerade der Freiheitsentzug als solcher legitim? Also wieso darf der Knacki 59 Jahre lang um 22:00 eingeschlossen werden? Wenn nicht zur Vergeltung?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
"Schulden" hat für mich einen anderen Fokus als "Schuld". Schadensersatzforderungen kann man begründen, indem man allen Mitgliedern der Gemeinschaft einen virtuellen Vertrag unterstellt, der u.a. beinhaltet, für Schaden ökonomisch und nach Mitteln zu haften.
Nö, Dein Verweis auf "Schulden" hilft hier überhaupt nicht weiter, denn solche sind vertraglich im Vorneherein geregelt. Aber um solche Fälle geht es hier doch nicht. Die Frage ist hier, wann jemand überhaupt Schulden hat (und zwar abseits von konkreten Verträgen - solche Schulden, die zum Schadensersatz verpflichten) und wann nicht. Die momentane Rechtsprechung ist hier eindeutig: nur wer vorsätzlich oder fahrlässig jemandem einen Schaden zufügt, ist schadensersatzpflichtig. Das bedeutet aber nun mal, dass nur derjenige schadensersatzpflichtig ist, der schuldhaft einen Schaden zufügt.

Das widerspricht meinem Argument aber nicht unbedingt, denn hier wird "Schuld" auf die Verursachung des Schadens bezogen und damit die Haftung begründet. Man könnte vielleicht "deterministisch" noch sauberer begründen: Der Schaden sollte von der Gesellschaft getragen werden, die sich aber das Budget dafür von ihrem virtuellen Vertragspartner (nach Mitteln) zurückholen kann.

Du könntest natürlich einwenden: Warum vom Täter und nicht von allen Steuerzahlern, wäre doch viel konsequenter? Ich denke, daß hängt davon ab, wie wir unseren Gesellschaftsvertrag gestalten. Ich persönlich fände hier eine individuelle Schadenswiedergutmachung angemessen, da persönliche Vertrgstreue bei uns eine moralische Norm darstellt.

Aber vor allem soll der Schadensersatz ja den Schaden ersetzen, das scheint mir das Wichtigste. Es ist also nicht einzusehen, warum jemand, der den Schaden nicht ersetzen kann, "ersatzweise" in den Knast sollte.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich halte Tit for Tat für ethisch unbedenklich in persönlichen Beziehungen, jedoch halte ich das Prinzip für eher problematisch in Legitimationen gesellschaftlichen Handelns.
Ich halte es auch in persönlichen Beziehungen für problematisch, außer evtl. bei eher "ökonomischen" Einmalkontakten mit anonymen Unbekannten. Um mal ein Beispiel zu nennen: Ich würde niemals mein Kind zurückboxen, damit es "mal merkt, wie das so ist" und es sich fortan zweimal überlegt oder nur noch bei Schwächeren anwendet. Und das ist eine sehr pesönliche Beziehung. Aber das Beispiel wird Dir sicher wieder nicht gefallen ...
Natürlich gefällt mir das nicht. Ein Kind ist nicht verantwortlich für sein Handeln, ihm fehlt die mAn dafür notwendige Einsichtsfähigkeit.

Hmm ... ich finde es hat graduell immer mehr Einsichtsfähigkeit.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Tit-for-Tat ist mE nur eine legitime Strategie in einer persönlichen Beziehung zwischen Gleichen.

Auch da sehe ich das anders. Erstens kommst Du in den Wald, denn was ist schon "gleich"? Zweitens hätte ich auch da ein Gegenbeispiel: A schlägt B's Hund, weil der ihn geärgert hat. Soll B jetzt auch A's Hund schlagen? Oder nur, wenn ihn A's Hund ärgert? Oder?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Eine kurze Anmerkung noch, weil das eh schon zu lang ist: ein sozialer Tadel richtet sich übrigens nicht nur an den Verurteilten und an seine Einsicht, sondern auch an die restliche Gesellschaft. Es ist ein Signal, dass Normverletzung X nicht geduldet wird und dass dem Opfer der Normverletzung X die Solidarität der Gesellschaft gezeigt wird.

Ja, das wäre in meinem Modell ebenso.


Zuletzt bearbeitet von step am 02.09.2009, 20:06, insgesamt einmal bearbeitet

#99: Re: moralisch entkernter Konformismus Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 02.09.2009, 13:06
    —
step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
"Nein, damit kann er sich nicht herausreden. Er kann nicht leugnen, daß sein Gehirn von der sozial erwünschten Funktionsweise (aka "Moral") abgewichen ist."
Da lese ich nirgendwo die Forderung, dass jene gesellschaftliche Erwünschtheit auch legitim sein soll.

Weil es da nicht hingehört! Das kann doch nicht so schwer zu verstehen sein. In einem thread über das korrekte postalische Versenden von Geschenken würdest Du vermutlich auch ständig darauf herumhacken, daß das Geschenk aber in einem volkseigenen Betrieb herhestellt sein müsse.


Was hat das Versenden von Geschenken mit strafbaren Handlungen zu tun?

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Mir jedenfalls geht es darum wie das Verhältnis zwischen Gesellschaft/Staat und Individuum/Bevölkerung aussieht. Wenn immer nur der Staat fordert, dann ist die Legitimität der Forderungen sowieso nicht gegeben. Vielmehr bedeutet Demokratie, dass die Menschen den Staat kontrollieren und nicht umgekehrt.

Du kannst ja einen eigenen thread aufmachen zum Thema "Legitimität moralischer Inhalte" oder zum Thema "Verhältnis von Individuum und Gesellschaft", das sind bestimmt interessante Themen.


Das gehört hierzu. Wer stellt welche Erwartungen an wen und warum?

(und wer darf keine Erwartungen an die Erwartungssteller stellen und warum nicht?)

step hat folgendes geschrieben:
Das Strafrecht, sozialer Tadel usw. dagegen wirkt immer in die Richtung auf das Individuum.


Und was ist mit kriminellen Organisationen, die systematisch Verbrechen produzieren? Reicht es da aus, nur gegen einzelne Personen vorzugehen?

Wer von Prävention redet, der muss doch auch die Bedingungen betrachten, die zu Verbrechen führen, übrigens auch die sozialen Bedingungen.

Aber Du siehst nur isolierte Einheiten, die "funktionieren" oder nicht. Du internalisierst dann die "Abweichung" vom "sozial Erwünschten" in die jeweiligen "Funktionseinheiten". (Menschen braucht man die ja nicht mehr zu nennen.) Dabei sind Dir Wechselbeziehungen, Lebensbedingungen, Sozialisation egal.

Des weiteren machst Du Dir überhaupt keinen Kopf darüber, dass "Abweichungen" legitim sein können.

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Ich sehe die Ausführungen diverser Hirnforscher und Deterministen auch unter dem Blickwinkel, dass sich dort ein Kreis von konservativen Akademkern gesammelt hat, welche die staatliche Gewalt der Justiz dafür einsetzen wollen, Menschen in neuartige, geordnet Kategorien einzuteilen.

Lächerlich.


Schön wär's. ich bin da nicht so sicher, wenn ich mir Deine Kronzeugen so angucke ...-

Skeptiker

#100: Re: moralisch entkernter Konformismus Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 02.09.2009, 13:11
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Wer von Prävention redet, der muss doch auch die Bedingungen betrachten, die zu Verbrechen führen, übrigens auch die sozialen Bedingungen.


Aber Du siehst nur isolierte Einheiten, die "funktionieren" oder nicht. Du internalisierst dann die "Abweichung" vom "sozial Erwünschten" in die jeweiligen "Funktionseinheiten". (Menschen braucht man die ja nicht mehr zu nennen.) Dabei sind Dir Wechselbeziehungen, Lebensbedingungen, Sozialisation egal. [/quote]
So ein Unsinn. Wer vertritt denn hier das Primat der deterministischen Umstände anstelle eines persönlichen Schuldkonzepts?

#101: Re: moralisch entkernter Konformismus Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 02.09.2009, 13:18
    —
step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Wer von Prävention redet, der muss doch auch die Bedingungen betrachten, die zu Verbrechen führen, übrigens auch die sozialen Bedingungen.
Aber Du siehst nur isolierte Einheiten, die "funktionieren" oder nicht. Du internalisierst dann die "Abweichung" vom "sozial Erwünschten" in die jeweiligen "Funktionseinheiten". (Menschen braucht man die ja nicht mehr zu nennen.) Dabei sind Dir Wechselbeziehungen, Lebensbedingungen, Sozialisation egal.

So ein Unsinn. Wer vertritt denn hier das Primat der deterministischen Umstände anstelle eines persönlichen Schuldkonzepts?


Dann ergibt der Begriff "Funktionieren" keinen Sinn. Denn dieser Begriff hat ausschließlich nur mit dem Individuum zu tun, dem ein internalisierter Defekt zugeschrieben wird.

Das hört sich an wie "Der Vergaser meines Autos ist kaputt."

Skeptiker

#102: Re: moralisch entkernter Konformismus Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 02.09.2009, 13:24
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wer vertritt denn hier das Primat der deterministischen Umstände anstelle eines persönlichen Schuldkonzepts?
Dann ergibt der Begriff "Funktionieren" keinen Sinn. Denn dieser Begriff hat ausschließlich nur mit dem Individuum zu tun, dem ein internalisierter Defekt zugeschrieben wird. Das hört sich an wie "Der Vergaser meines Autos ist kaputt."

Auch das kann externe Ursachen haben, etwa wenn der [strike]Besitzer[/strike] Nutzer des Autos aufgrund sozialistischer Mißwirtschaft nicht an hochwertigen Kraftstoff herankam.

Und in diesem thread hatte ich "interne" Ursachen konzentriert, weil es um Strafrecht geht (die Strafe kommt immer beim Individuum an) und weil Burkhardt ein Konzept persönlicher Schuld vorgab.

#103: Re: moralisch entkernter Konformismus Autor: neinguar BeitragVerfasst am: 02.09.2009, 14:57
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Das hört sich an wie "Der Vergaser meines Autos ist kaputt."

Dieser Satz zeigt das Kommunikationsproblem hier m.E. ganz gut.

Du liest etwas und beurteilst es auf der Basis von "das hört sich an wie", d.h. auf der Basis von Assoziationen, die Du mit bestimmten Begriffen verbindest ("Moral", "funktionieren"....), ohne dass diese Begriffe das zwingend beinhalten, und stemmst Dich tapfer dagegen, Deine Interpretation anhand des Kontextes, in dem die Begriffe gefallen sind, zu überprüfen.

#104: Re: moralisch entkernter Konformismus Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 02.09.2009, 17:11
    —
step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wer vertritt denn hier das Primat der deterministischen Umstände anstelle eines persönlichen Schuldkonzepts?
Dann ergibt der Begriff "Funktionieren" keinen Sinn. Denn dieser Begriff hat ausschließlich nur mit dem Individuum zu tun, dem ein internalisierter Defekt zugeschrieben wird. Das hört sich an wie "Der Vergaser meines Autos ist kaputt."

Auch das kann externe Ursachen haben, etwa wenn der [strike]Besitzer[/strike] Nutzer des Autos aufgrund sozialistischer Mißwirtschaft nicht an hochwertigen Kraftstoff herankam.


Ich wies oben darauf hin, dass Du Teil eines ultrakonservativen und antisozialistischen Philosophen-Konsortiums bist und Du bestätigst es mit solchen "wirtschaftpolitischen" Fantasien.

Selbst, wenn das ein Witz sein sollte, so zeigt er den Mangel an Fantasie bei Dir. Wenn wir schon mal bei Mangelwirtschaft sind.

step hat folgendes geschrieben:
Und in diesem thread hatte ich "interne" Ursachen konzentriert, weil es um Strafrecht geht (die Strafe kommt immer beim Individuum an) und weil Burkhardt ein Konzept persönlicher Schuld vorgab.


Da Du statt von Strafe lieber von "Prävention" (- im Sinne des Schutzes der Gesellschaft vor dem Individuum -) sprichst, habe ich das aufgegriffen und gefragt, wieso Du nicht - was ja stringent wäre! - auch dafür eintrittst, dass man z.B. gesetzes- oder "erwartungs"-konforme Verbrechen präventiert.

Ist der Grund für Dein Ignorieren dieser Frage einfaches Unverständnis oder Parteinahme für doppelte Norm-Standards? Oder denkst Du, dass bestimmte Maßnahmen der Mächtigen per definitionem keine Verbrechen sein können, sofern sie den Regeln entsprechen, welche diese Mächtigen selber entwerfen oder selber in ihrem Sinne auslegen oder sonstwie zur Wirkungslosigkeit bringen?

Es geht hier nicht um Straßenverkehrsregeln, sondern um "Erwartungen" bestimmter gesellschaftlicher Gruppen gegen andere gesellschaftliche Gruppen.

Was die Internalisierung der "Fehlfunktion" angeht, da hast Du sogar geschrieben:

step hat folgendes geschrieben:
"Nein, damit kann er sich nicht herausreden. Er kann nicht leugnen, daß sein Gehirn von der sozial erwünschten Funktionsweise (aka "Moral") abgewichen ist."


Also so ein Satz zeigt, dass Deine Ersetzung des Schuldbegriffs zu noch viel reaktionäreren Folgen führt als es der bisherige, klassische Schuldbegriff überhaupt vermag. Du schließt damit explizit soziale Verhältnisse aus Deiner Betrachtung aus und errichtest eine 1:1-Parallele zu biologistischen Diskriminierungs-Konzepten.

Skeptiker

#105: Re: moralisch entkernter Konformismus Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 02.09.2009, 17:14
    —
neinguar hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Das hört sich an wie "Der Vergaser meines Autos ist kaputt."

Dieser Satz zeigt das Kommunikationsproblem hier m.E. ganz gut.

Du liest etwas und beurteilst es auf der Basis von "das hört sich an wie", d.h. auf der Basis von Assoziationen, die Du mit bestimmten Begriffen verbindest ("Moral", "funktionieren"....), ohne dass diese Begriffe das zwingend beinhalten, und stemmst Dich tapfer dagegen, Deine Interpretation anhand des Kontextes, in dem die Begriffe gefallen sind, zu überprüfen.


Das ist eine Fehleinschätzung.

Skeptiker

#106: Re: Modernes Strafrecht Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 02.09.2009, 18:54
    —
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Eine Legitimation einer Gefängnisstrafe beruht in meiner Sicht durchaus (auch) darauf, dass ein verurteilter Täter nachgewiesenermaßen (im Prozess) seine Tat bewusst und absichtlich vollzogen hat und daher eine Strafe verdient hat, er ist moralisch verantwortlich für sein Handeln und hat daher eine persönliche Schuld dafür, weil es seine, vom ihm gewollte und deswegen durchgeführte Tat war.

Dieses "und daher eine Strafe verdient hat" leuchtet mir nicht ein, selbst wenn die Tat präferent ("absichtlich") begangen wurde .

Ja, natürlich leuchtet Dir das nicht ein, denn genau das ist ja wohl der Knackpunkt in unseren Ansichten.

Im Strafrecht (und auch im Zivilrecht) wird unterschieden zwischen absichtlichen und gewollten Handlungen und unabsichtlichen / außerhalb der persönlichen Kontrolle liegenden Handlungen. Erstere werden als schuldhaft angesehen, zweitere nicht.

Verzichtete man ganz auf diesen Schuldbegriff, dann würde man zu einem reinen Präventivstrafrecht überwechseln, mit all den Problemen, die das mAn mit sich bringt. Mehr dazu unten.

Aber Du verzichtest ja gar nicht darauf, was man an Deiner Einstellung zur Schadensersatzverpflichtung sehen kann. Deine Einwände dazu treffen den eigentlichen Punkt bisher gar nicht: wann genau kann / soll jemand zum Schadensersatz verpflichtet werden? Wenn jemand lediglich die "Ursache" für einen Schaden ist, egal, ob der Schaden absichtlich oder ohne eigenes Zutun entstand? Nehmen wir mal ein Beispiel dazu: A möchte C verletzen. Er schubst daher B, so dass dieser auf C fällt und Letzterer einen Schaden erleidet. Die Ursache für den Schaden von C ist nun B, der aber nichts dafür kann (unschuldig ist), der deswegen heute nicht belangt werden dürfte, weder zivil- noch strafrechtlich. A würde belangt werden, obgleich er nur die indirekte Ursache des Schadens wäre und nicht die direkte Ursache.

Kommen wir mal zu einem anderen Punkt: mAn werden bei Maßnahmen zur Sicherung und Besserung die dort Behandelten letztlich sehr wohl als Unmündige / als Objekte behandelt (er kann - wahrscheinlich - halt nicht anders und daher setzen wir ihn zur Sicherheit fest). Ich sage ja gar nicht, dass das prinzipiell unzulässig sei, es mag tatsächlich in bestimmten Fällen keine Alternative dazu geben. Aber stören tut es mich dennoch, ich meine, die heutigen Bestimmungen dazu müssten nochmal sorgfältig überprüft und auch geändert werden (im Zweifel für die Freiheit und nicht im Zweifel für die Sicherheit). Und eine Übertragung dieses Prinzipes auf alle, so wie es letztlich ein Präventivstrafrecht vorsehen würde, lehne ich ab.

Denn Präventivstrafrecht bedeutet mAn:

- Einschränkungen von Grundrechten auf einen bloßen Verdacht hin
- Die Einschränkungen sind von einer konkreten Tat unabhängig und beziehen sich nur auf eine angenommene Gefährdung
- Alle die folgenden Prinzipien wären hinfällig (die jedoch mAn ganz wesentlich für einen Rechtsstaat sind):
-- Keine Strafe ohne Schuld
-- Keine Strafe ohne Gesetz
-- Unschuldsvermutung
-- Im Zweifel für den Angeklagten
-- Gleichheit vor dem Gesetz
-- Doppelbestrafungsverbot
-- Rückwirkungsverbot
-- Willkürverbot
-- Vertrauensschutz

Dabei ist es mAn völlig unerheblich, ob man eine Übelzufügung "Strafe" oder ob man sie (euphemistisch) "Maßnahme" nennt.

P.S.: ich habe das mal etwas abgekürzt, der Übersicht halber. Falls Deiner Ansicht nach ein wesentlicher Punkt von oben fehlt / offen ist, dann musst Du den halt nochmal aufs Tapet bringen.

#107: Re: Modernes Strafrecht Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 02.09.2009, 20:55
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
wann genau kann / soll jemand zum Schadensersatz verpflichtet werden? Wenn jemand lediglich die "Ursache" für einen Schaden ist, egal, ob der Schaden absichtlich oder ohne eigenes Zutun entstand? Nehmen wir mal ein Beispiel dazu: A möchte C verletzen. Er schubst daher B, so dass dieser auf C fällt und Letzterer einen Schaden erleidet. Die Ursache für den Schaden von C ist nun B, der aber nichts dafür kann (unschuldig ist), der deswegen heute nicht belangt werden dürfte, weder zivil- noch strafrechtlich. A würde belangt werden, obgleich er nur die indirekte Ursache des Schadens wäre und nicht die direkte Ursache.

OK, ich skizziere mal noch einen - evtl. unausgereiften - Vorschlag:

1. Der Schaden, sofern überhaupt ersetzbar, wird grundsätzlich von der Gemeinschaft getragen, z.B. in Form einer Versicherung.

2. Zusätzlich wird untersucht, welcher der Beteiligten sich in Zukunft in ähnlichen Situationen anders verhalten soll. In Deinem Fall wird das sicher A, evtl. C, und sicher nicht B sein.

3. Je nach Erfolgswahrscheinlichkeit und Verhältnismäßigkeit wird mit diesen Personen präventiv gearbeitet.

4. Ein Aspekt, um Vertrauen wiederherzustellen, kann sein, daß A sich an den Gemeinskosten für Schadensersatz und Prävention beteiligt.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Kommen wir mal zu einem anderen Punkt: mAn werden bei Maßnahmen zur Sicherung und Besserung die dort Behandelten letztlich sehr wohl als Unmündige / als Objekte behandelt (er kann - wahrscheinlich - halt nicht anders und daher setzen wir ihn zur Sicherheit fest)

Wenn ich jemand zur vergeltenden oder gar zur abschreckenden Strafe 59 Jahre einsperre, mache ich ihn damit mindestens genauso zum Objekt. Ein bißchen Abgabe von Mündigkeit (= Verantwortung) muß sein, wenn man überhaupt Prävention will. Demjenigen können dennoch viele Rechte bleiben, die ihm als Schuldgestempeltem und im Knast aber aberkannt werden.

Im übrigen wären ja nur sehr wenige Extremgefährliche in meinem Modell wirklich weggesperrt, viel weniger als jetzt zur Vergeltung und Abschreckung im Knast sitzen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich sage ja gar nicht, dass das prinzipiell unzulässig sei, es mag tatsächlich in bestimmten Fällen keine Alternative dazu geben. Aber stören tut es mich dennoch, ich meine, die heutigen Bestimmungen dazu müssten nochmal sorgfältig überprüft und auch geändert werden (im Zweifel für die Freiheit und nicht im Zweifel für die Sicherheit). Und eine Übertragung dieses Prinzipes auf alle, so wie es letztlich ein Präventivstrafrecht vorsehen würde, lehne ich ab.

Überprüfen gern. Und man bräuchte auch abgestuftere Techniken, bei denen z.B. wesentlich weniger und gezielter eingwchränkt wird als beim "wegsperren". Und zudem könnte man, um Deinen Bedenken entgegenzukommen, Präventionsmaßnahmen bei Wiederholungstätern anders nennen und anders abstufen als bei Ersttätern und noch anders bei bisher nichtüberführten Menschen. Zum Beispiel "Wiederholungsprävention" vs. "psychologische Fortbildung" oder so. Man kann dann empirisch feststellen, welche Maßnahme wieviel bringt.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Denn Präventivstrafrecht bedeutet mAn:

- Einschränkungen von Grundrechten auf einen bloßen Verdacht hin

Ist der Verdacht sehr gut begründet, ist er von Wissen nicht zu unterscheiden. Ist der Verdacht weniger gut begründet, dürften auch wesentliche Grundrechte nicht eingeschränkt werden. Ich gehe jede Wette ein, daß ein potenzieller Wiederholungstäter lieber ein paar Rechte abgibt (etwa sich eine Zeitlang überwachen läßt o.ä.), als zur Strafe ein paar Jahre in den Bau zu gehen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
- Die Einschränkungen sind von einer konkreten Tat unabhängig und beziehen sich nur auf eine angenommene Gefährdung

Eine angenommene Gefährdung ist die einzige Situation überhaupt, in der noch was zu retten ist. Nachträgliche Strafe dagegen nützt keinem etwas. Die Folgen einer präventiven Maßnahme für den potenziellen Täter wären zudem auch sozial viel geringer, da ihm keine Schuld anhaftet, im Gegenteil erhält z.B. sein neuer Arbeitgeber eine gewisse Sicherheit im Vergleich mit jemand, der einfach nur seine vergeltende Strafe abgesessen hat.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
- Alle die folgenden Prinzipien wären hinfällig (die jedoch mAn ganz wesentlich für einen Rechtsstaat sind):
-- Keine Strafe ohne Schuld

Es gäbe weder Schuld noch Strafe.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Keine Strafe ohne Gesetz

Es gälte: Keine präventive Maßnahme ohne Gesetz.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Unschuldsvermutung

Es gälte mehr als das: Jeder wäre unschuldig. Übrigens: Würdest Du dafür plädieren, auch eine "Nichtwiederholungsvermutung" einzuführen? Warum nicht? Warum überhaupt Prävention, wenn wir über die Zukunft nichts sagen können?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Im Zweifel für den Angeklagten

Es ist ja niemand angeklagt. Hier könnte man sagen: Im Zweifel für die weniger restriktive Maßnahme. So befürworte ich es auch in der Erziehung: Wenn ich mir nicht sicher bin, ob mein Kind etwas, das es möchte, überhaupt kann, tendiere ich zum Erlauben und nehme damit ein gewisses Risiko inkauf. So könnte man es auch bei der Prävention machen, um die Verhältnismäßigkeit zu wahren und nicht unnötige Übelzufügungen zu haben.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Gleichheit vor dem Gesetz

Bleibt gültig.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Doppelbestrafungsverbot

Wird ersetzt durch das einfache Bestrafungsverbot.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Rückwirkungsverbot

Bleibt gültig, siehe "Keine Strafe ohne Gesetz".

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Willkürverbot

Bleibt gültig.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Vertrauensschutz

Ist mir idZ unklar.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Dabei ist es mAn völlig unerheblich, ob man eine Übelzufügung "Strafe" oder ob man sie (euphemistisch) "Maßnahme" nennt.

Meiner Ansicht nach ist das keineswegs unerheblich, da sich eine Strafe (auch) auf Vergeltung der Vergangenheit bezieht und (meist) niemandem nutzt, während eine Präventivmaßnahme sich immer auf die Zukunft bezieht und der Nutzen einsichtig ist. Für mich ist das ein wesentlicher Unterschied.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
P.S.: ich habe das mal etwas abgekürzt, der Übersicht halber. Falls Deiner Ansicht nach ein wesentlicher Punkt von oben fehlt / offen ist, dann musst Du den halt nochmal aufs Tapet bringen.

OK, die anderen Sachen sind nicht so wichtig bzw. ich habe meinen Senf dazu gesagt. Aber es fehlt immer noch die Begründung, warum man jemand zur Vergeltung bzw. Abschreckung bestrafen darf, selbst wenn er absichtlich gehandelt hat.

#108: Re: Modernes Strafrecht Autor: Mario HahnaWohnort: München BeitragVerfasst am: 02.09.2009, 21:36
    —
step hat folgendes geschrieben:

Würdest Du Burkhardt denn zustimmen, daß die "Freier Wille / Hätte auch anders handeln können" - Voraussetzung unter modernen Strafrechtchtlern kaum noch eine Rolle spielt? Richter, Staatsanwälte?


In der Praxis (Gerichte) spielt dieser Gedanke nach meiner Einschätzung nach wie vor eine ganz wesentliche Rolle. Dennoch ist vielen Juristen natürlich in besonders plakativen Einzelfällen durchaus bewußt, dass eine Möglichkeit, anders zu handeln tatsächlich nicht bestand (Junkie klaut etc.). Trotzdem werden auch in solchen Fällen Strafen ausgesprochen, obwohl der Richter oftmals weiß, dass es völlig sinnlos ist.

Was in der wissenschaftlichen Diskussion Stand der Dinge ist, kann ich nicht sagen, da bin ich nicht mehr auf dem aktuellen Stand. Das hat aber mit der Praxis ohnehin nur bedingt zu tun.

Btw; nur kurz zum Thema positive Spezialprävention: Gibt es effektiv nur auf dem Papier. Justizvollzug soll heute billig sein und möglichst wenige Schlagzeilen produzieren. Sprich billig wegsperren, Freigang etc. möglichst auf ein absolutes Minimum begrenzen. Das ist das Konzept (mein Vater arbeitet in einer JVA in leitender Position).

#109: Re: Modernes Strafrecht Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 02.09.2009, 22:11
    —
Mario Hahna hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Würdest Du Burkhardt denn zustimmen, daß die "Freier Wille / Hätte auch anders handeln können" - Voraussetzung unter modernen Strafrechtchtlern kaum noch eine Rolle spielt? Richter, Staatsanwälte?


In der Praxis (Gerichte) spielt dieser Gedanke nach meiner Einschätzung nach wie vor eine ganz wesentliche Rolle. Dennoch ist vielen Juristen natürlich in besonders plakativen Einzelfällen durchaus bewußt, dass eine Möglichkeit, anders zu handeln tatsächlich nicht bestand (Junkie klaut etc.). Trotzdem werden auch in solchen Fällen Strafen ausgesprochen, obwohl der Richter oftmals weiß, dass es völlig sinnlos ist.

Was in der wissenschaftlichen Diskussion Stand der Dinge ist, kann ich nicht sagen, da bin ich nicht mehr auf dem aktuellen Stand. Das hat aber mit der Praxis ohnehin nur bedingt zu tun.

Btw; nur kurz zum Thema positive Spezialprävention: Gibt es effektiv nur auf dem Papier. Justizvollzug soll heute billig sein und möglichst wenige Schlagzeilen produzieren. Sprich billig wegsperren, Freigang etc. möglichst auf ein absolutes Minimum begrenzen. Das ist das Konzept (mein Vater arbeitet in einer JVA in leitender Position).

Ja, so in etwa hatte ich mir das vorgestellt, danke.

#110: Re: Modernes Strafrecht Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 02.09.2009, 22:33
    —
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Nehmen wir mal ein Beispiel dazu: A möchte C verletzen. Er schubst daher B, so dass dieser auf C fällt und Letzterer einen Schaden erleidet. Die Ursache für den Schaden von C ist nun B, der aber nichts dafür kann (unschuldig ist), der deswegen heute nicht belangt werden dürfte, weder zivil- noch strafrechtlich. A würde belangt werden, obgleich er nur die indirekte Ursache des Schadens wäre und nicht die direkte Ursache.

OK, ich skizziere mal noch einen - evtl. unausgereiften - Vorschlag: [...]

Ja, aber, egal, wie das nun im Einzelnen ausgestaltet ist: dem liegt doch letztlich das Schuldkonzept des Rechtes zugrunde. Es ist nicht das Ursachenprinzip und auch nicht das: "niemand kann was für gar nichts"-Prinzip.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Kommen wir mal zu einem anderen Punkt: mAn werden bei Maßnahmen zur Sicherung und Besserung die dort Behandelten letztlich sehr wohl als Unmündige / als Objekte behandelt (er kann - wahrscheinlich - halt nicht anders und daher setzen wir ihn zur Sicherheit fest)

Wenn ich jemand zur vergeltenden oder gar zur abschreckenden Strafe 59 Jahre einsperre, mache ich ihn damit mindestens genauso zum Objekt.

Mal unabhängig davon, dass ich das Strafrechtssystem in den USA nicht gutheiße, keine Ahnung, wieso Du immer wieder mit diesem Beispiel ankommst: jemand wird mE dann als Objekt behandelt, wenn man ihn lediglich als Getriebenen seiner Umständen ansieht und nicht als eigenverantwortliches Subjekt. Ich weiß ja nun nicht, ob Du das (für alle Fälle) tun willst, ich tue das aber bekanntlich nicht. Wiewohl es Fälle geben mag, in denen das der Fall ist. Aber die Frage wäre hier: ist das tatsächlich gleichermaßen immer so?

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Denn Präventivstrafrecht bedeutet mAn:

- Einschränkungen von Grundrechten auf einen bloßen Verdacht hin

Ist der Verdacht sehr gut begründet, ist er von Wissen nicht zu unterscheiden.

Egal, ob das stimmt oder nicht: das spielt heute keine Rolle. Eine Grundrechtseinschränkung aufgrund eines Verdachtes auf zukünftige kriminelle Handlung ist nicht zulässig.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
- Alle die folgenden Prinzipien wären hinfällig (die jedoch mAn ganz wesentlich für einen Rechtsstaat sind):
-- Keine Strafe ohne Schuld

Es gäbe weder Schuld noch Strafe.

Damit machst Du es Dir aber verdammt einfach. Es gibt auch in Deinem System Übelzufügungen (Grundrechtseinschränkungen).

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Keine Strafe ohne Gesetz

Es gälte: Keine präventive Maßnahme ohne Gesetz.

Aber worauf bezöge sich das Gesetz, wenn nicht auf eine konkrete Handlung / Tat?

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Unschuldsvermutung

Es gälte mehr als das: Jeder wäre unschuldig.

Mit den Augen rollen

Aber Du hast doch oben bei meinem Beispiel auch das Schuldkonzept vertreten.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Im Zweifel für den Angeklagten

Es ist ja niemand angeklagt.

Nö, aber jemand soll "behandelt" werden, es sollen "Maßnahmen" an ihm vollzogen werden. Da muss es ein ähnliches Prinzip geben, wie könnte das aussehen? Oder gar nix? Verteidigung, Anwälte? Wer bestimmt's? Experten im weißen Kittel? Nicht nachvollziehbar, nicht im Vorneherein abschätzbar, nicht kalkulierbar, für niemanden, für den Deliquenten nicht und auch nicht für die Öffentlichkeit?

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Gleichheit vor dem Gesetz

Bleibt gültig.

Ja, aber anders als heute. Aber wie und inwiefern?

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Doppelbestrafungsverbot

Wird ersetzt durch das einfache Bestrafungsverbot.

Aber, wie gesagt, die Übelzufügung, die Grundrechtseinschränkungen bleiben doch. Ist mir ein komplettes Rätsel, wie Du das einfach so leugnen kannst.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Rückwirkungsverbot

Bleibt gültig, siehe "Keine Strafe ohne Gesetz".

Ja, aber ein Gesetz, das aussagte: "wir tun einfach, was wir für richtig halten", wäre sinnlos. Das könnte man sich sparen.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Willkürverbot

Bleibt gültig.

Nur könnte es niemand nachvollziehen. Und was niemand nachvollziehen kann, ist letztlich Willkür, da gibt es keinen Unterschied.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Vertrauensschutz

Ist mir idZ unklar.

Vertrauensschutz

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Dabei ist es mAn völlig unerheblich, ob man eine Übelzufügung "Strafe" oder ob man sie (euphemistisch) "Maßnahme" nennt.

Meiner Ansicht nach ist das keineswegs unerheblich, da sich eine Strafe (auch) auf Vergeltung der Vergangenheit bezieht und (meist) niemandem nutzt, während eine Präventivmaßnahme sich immer auf die Zukunft bezieht und der Nutzen einsichtig ist. Für mich ist das ein wesentlicher Unterschied.

Doch, das ist deswegen unerheblich, weil die Übelzufügung sich nicht wesentlich unterscheidet. Obwohl, genau genommen, unterscheidet sie sich doch: eine reine Präventionsmaßnahme (z.B. Sicherungsverwahrung) wird vollzogen, ohne dass die Zielperson eine Möglichkeit zur Einflussnahme hätte / hatte. Sie ist unbegrenzt (kann unbegrenzt sein) und hängt insofern nicht von (früheren) Handlungen der Person ab. Sie wird über sie verhängt, es gibt keine Möglichkeit der Verteidigung, das normale Strafrechtsverfahren wird außer Kraft gesetzt.

step hat folgendes geschrieben:
Aber es fehlt immer noch die Begründung, warum man jemand zur Vergeltung bzw. Abschreckung bestrafen darf, selbst wenn er absichtlich gehandelt hat.

Wie gesagt, ist der Vergeltungsaspekt ein begrenzender Faktor in einem Strafverfahren und insofern mAn notwendig.

Und wenn jemand nicht absichtlich gehandelt hat, dann verbieten sich Grundrechtseinschränkungen mAn eh, denn Unschuldige dürfen nicht bestraft werden (es sei denn, sie würden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als ernste Sicherheitsgefährdungen angesehen werden können).

Und, übrigens: wir behandeln hier zwei unterschiedliche Themen. Das eine ist eher prinzipiell (ist jemand für bestimmte Handlungen verantwortlich oder nicht? Kann er zur Rechenschaft gezogen werden oder nicht?) und das andere ist konkreter: wie könnte ein Rechts- / Strafrechtssystem aussehen, wenn man davon ausgeht, dass Menschen nur Produkte ihrer Umstände sind und sie keinen Einfluss auf ihre Handlungen haben?

Wir müssen hier erst mal Frage 1 klären. Frage 2 ist eher uninteressant, denn die Folgerungen, die Du ziehst, ziehen andere anscheinend nicht. Sie können mit der Begründung für 1, falls es tatsächlich richtig / zwingend ist, dass die Naturgesetze persönliche Zuschreibungen von Handlungen ausschließen, auch ganz andere Schlüsse ziehen. Nämlich zum Beispiel den, dass zwar niemand böse sein kann, aber total gefährlich und daher für alle Zeiten hinter Gitter gehört. Der Sicherheit wegen und sicher ist nun mal sicher. Fragte sich nur, ob das dann eine Verbesserung wäre und wenn ja, inwiefern.

Noch ein anderes Thema sind die heutigen Zustände in den Gefängnissen. Ob die gerechtfertigt sind oder nicht. Sie sind es mE nicht.

#111:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 03.09.2009, 00:00
    —
Ach, und naja, mir kommt das hier tatsächlich so vor, als ob es nur um den Tadelanteil / den Vorwurf in dem Wort "Strafe" ginge, der, wenn er eliminiert würde, alles in einem ganz anderen Lichte erscheinen ließe und dann automatisch alles völlig in Ordnung wäre und somit schon jegliche Übelzufügung aufgrund von Zukunftsabschätzungen gerechtfertigt sei.

So in folgender Art (Beispiel):

Zwei Väter. Vater A und Vater B. Beide haben 8-jährige Söhne.

Vater A ist der Meinung, dass bestimmte Handlungen böse sind und der Strafe bedürfen. Zum Beispiel Nasenbohren. Jedesmal, wenn er seinen Sohn beim Nasenbohren erwischt, legt er ihn "übers Knie" und verprügelt ihn. Er sagt: "Du hast es schon wieder getan, Du bist schuldig".

Vater B ist der Meinung, dass es kein gut und böse gibt, dass einfach alles nur so ablaufen muss, wie es abläuft, aber er denkt auch, dass Kinder Respekt haben müssen, weil dieser ihnen später in der Gesellschaft helfen wird, so dass es ihnen gesamt gesehen besser gehen wird. Um diesen Respekt herzustellen, hält er eine Tracht Prügel für nützlich. Er hat ein Messgerät, das, wissenschaftlich korrekt, den aktuellen Respekt des Sohnes anzeigt. Er legt also, wenn das Messgerät ausschlägt, was der Sohn aber nicht vorhersehen und auch nicht beeinflussen kann, diesen "übers Knie" und verprügelt ihn gleichermaßen wie Vater A. Er sagt: "Du kannst ja nix dafür, niemand kann etwas für irgendwas, ich auch nichts dafür, dass ich diese Maßnahme an Dir vollziehe. Es ist nur zu deinem Besten, mir tut das ja am meisten weh."

Ohne dass dieses Beispiel jetzt direkt auf die konkrete Diskussion übertragen werden könnte, ohne dass man bestimmte Positionen daraus ablesen könnte, könnte man fragen, welche Vorgehensweise schlimmer wäre, (wobei hier wohl beide eklig / abzulehnen sind).

Ich finde den Fall B schlimmer. Wegen des Willküraspektes, der Nichtvorhersehbarkeit, der Unbeeinflussbarkeit der Übelzufügung. Sohn A hat es wenigstens durch sein Verhalten in der Hand, wann ihm eine "Tracht Prügel" verabreicht wird. Sohn B aber nicht. Er muss jederzeit mit dem Schlimmsten rechnen. Und dann erwartet Vater B auch noch, dass Sohn B ein Einsehen / Verständnis hat: "ist ja keine Strafe, sieh' das doch ein, sieh' doch mal meine Seite, ich will doch nur Dein Bestes".

Sohn A hingegen mag vielleicht durch die Schuldzuweisung einen Selbsthass bekommen. Was einen auch fertig machen kann, durch das Gefühl "ich bin böse, unwürdig, nichtsnutz".

Aber dennoch würde ich B schlimmer finden. Und mir scheint, dass aber andere hier A grundsätzlich viel schlimmer finden. Weil bei A eventuell was Metaphysisches / was Religiösen mitschwingt vielleicht; ich kann das noch nicht so richtig deuten, was eigentlich der Grund dessen ist.

#112: Re: Modernes Strafrecht Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 03.09.2009, 12:35
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
OK, ich skizziere mal noch einen - evtl. unausgereiften - Vorschlag: [...]
Ja, aber, egal, wie das nun im Einzelnen ausgestaltet ist: dem liegt doch letztlich das Schuldkonzept des Rechtes zugrunde.

Nö, sehe nicht, wo ich da ein Schuldkonzept habe einfließen lassen. Die zugrundeliegenden Konzepte sind "wie kann man die Zukunft verbessern?" und natürlich die Unterstützung des Opfers.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
jemand wird mE dann als Objekt behandelt, wenn man ihn lediglich als Getriebenen seiner Umständen ansieht und nicht als eigenverantwortliches Subjekt.

Ich finde, manchmal ist es besser, in bezug auf einen bestimmten Aspekt (z.B. eine Krankheit (Patient), ein Unwissen (Schüler) oder ein Fehlverhalten (Täter)) zu einem Objekt zu werden, als daß man als Gesamtsubjekt das Etikett "böse", "schuldig" verpaßt bekommt und dafür auch noch vergeltend gequält wird. Die Objektivierung eines Aspekts des Subjekts ist mE nicht nur nützlich, sondern kann auch psychisch von Vorteil sein.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich weiß ja nun nicht, ob Du das (für alle Fälle) tun willst, ich tue das aber bekanntlich nicht. Wiewohl es Fälle geben mag, in denen das der Fall ist. Aber die Frage wäre hier: ist das tatsächlich gleichermaßen immer so?

Im Prinzip immer, allerdings gibt es mE je nach Situation Unterschiede in der Frage, inwieweit der Täter durch andere, besser funktionierende Aspekte seiner Persönlichkeit an dieser arbeiten kann.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Eine Grundrechtseinschränkung aufgrund eines Verdachtes auf zukünftige kriminelle Handlung ist nicht zulässig.

Bist Du Dir da sicher? Und findest Du das optimal so?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Es gäbe weder Schuld noch Strafe.
Damit machst Du es Dir aber verdammt einfach. Es gibt auch in Deinem System Übelzufügungen (Grundrechtseinschränkungen).

Das bestreite ich nirgends, aber es gibt eben keine Schuld und keine Strafe. Die wirklich dann noch gebotenen Grundrechtseinschränkungen hätten einen neutraleren Charakter als das eher "fluchartige" Schuld/Straf-Konzept. Und vor allem wären alle Grundrechtseinschränkungen verboten, die nach Vergeltung und Abschreckung Dritter bemessen sind.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Aber worauf bezöge sich das Gesetz, wenn nicht auf eine konkrete Handlung / Tat?

Das Gesetz würde z.B. regeln, welche (rein präventiven) Maßnahmen bei einer bestimmten Tat und einer bestimmten Wiederholungsgefahr infragekämen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Aber Du hast doch oben bei meinem Beispiel auch das Schuldkonzept vertreten.

Nein, habe ich definitiv nicht.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... Nicht nachvollziehbar, nicht im Vorneherein abschätzbar, nicht kalkulierbar, für niemanden, für den Deliquenten nicht und auch nicht für die Öffentlichkeit?

Natürlich opfert man etwas von der archaischen Simplizität eines vergeltenden Strafrechts, wenn man komplexere Abhängigkeiten und präventive Aspekte stärker berücksichtigt. Ich sehe aber nicht ein, warum das prinzipiell schlecht sein soll. Der von MH genannte stehlende Junkie oder gar der "Kinderschänder" - fragte man die Öffentlichkeit, wäre ein archaischeres Strafrecht als das heute existierende sicher angemessen.

Zudem würden ja alle eher davon profitieren. Warum hackst Du eigentlich die ganze Zeit auf den Schwierigkeiten herum, die bei bestimmten Aspekten der Prävention entstehen? Vielleicht könnten wir uns sogar auf eine sehr vorsichtige Vorgehensweise bei präventiven Maßnahmen einigen. Was mir erstmal viel wichtiger ist, ist die Abschaffung des vergeltenden (und evtl. auch des generalpräventiven) Aspekts im Strafrecht, denn für den gibt es keinerlei Legitimation mehr.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Doppelbestrafungsverbot

Wird ersetzt durch das einfache Bestrafungsverbot.
Aber, wie gesagt, die Übelzufügung, die Grundrechtseinschränkungen bleiben doch. Ist mir ein komplettes Rätsel, wie Du das einfach so leugnen kannst.

Ich muß doch sehr bitten. Wo leugne ich Übelzufügung oder Grundrechtseinschränkungen? Der Unterschied ist, daß Übelzufügungen in meinem Modell nicht mit "Schuld", "Abschreckung Dritter" und "Vergeltung" begründet werden dürfen, sondern wenn überhaupt nur mit Spezialprävention.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Vertrauensschutz

Ist mir idZ unklar.
Vertrauensschutz

Ja, da hatte ich bereits nachgelesen. Aber wo siehst Du den Zusammenhang mit Strafrecht vs. Präventivrecht?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Dabei ist es mAn völlig unerheblich, ob man eine Übelzufügung "Strafe" oder ob man sie (euphemistisch) "Maßnahme" nennt.
Meiner Ansicht nach ist das keineswegs unerheblich, da sich eine Strafe (auch) auf Vergeltung der Vergangenheit bezieht und (meist) niemandem nutzt, während eine Präventivmaßnahme sich immer auf die Zukunft bezieht und der Nutzen einsichtig ist. Für mich ist das ein wesentlicher Unterschied.
Doch, das ist deswegen unerheblich, weil die Übelzufügung sich nicht wesentlich unterscheidet.

Die unterscheidet sich aber ganz gewaltig. Es gäbe überhaupt niemand mehr, der im Gefängnis sitzt, außer evtl. U-Haft, Ausnüchterungszelle und ein paar wenige Extremtäter in Sicherungsverwahrung.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Obwohl, genau genommen, unterscheidet sie sich doch: eine reine Präventionsmaßnahme (z.B. Sicherungsverwahrung) wird vollzogen, ohne dass die Zielperson eine Möglichkeit zur Einflussnahme hätte / hatte. Sie ist unbegrenzt (kann unbegrenzt sein) und hängt insofern nicht von (früheren) Handlungen der Person ab. Sie wird über sie verhängt, es gibt keine Möglichkeit der Verteidigung, das normale Strafrechtsverfahren wird außer Kraft gesetzt.

Das ist falsch. Die allermeisten Präventionsmaßnahmen (wenn nicht sogar alle) wären begrenzt, wären keine "Verwahrung", wären durch das Verhalten der Zielperson beeinflußbar und hingen zumindest teilweise vom früheren Verhalten der Person ab. Wichtig wäre idZ ein durchlässiger, dynamischer Maßnahmenkatalog, in dem immer wieder die Chance gegeben werden muß, graduell wieder mit weniger Einschränkungen zu leben.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Aber es fehlt immer noch die Begründung, warum man jemand zur Vergeltung bzw. Abschreckung bestrafen darf, selbst wenn er absichtlich gehandelt hat.
Wie gesagt, ist der Vergeltungsaspekt ein begrenzender Faktor in einem Strafverfahren und insofern mAn notwendig.

Das leuchtet mir bis jetzt nicht ein. Warum kann jemand, der absichtlich einen umgebracht hat, zur Strafe 20 Jahre eingesperrt werden? "Weil er schuld ist" reicht mir nicht als Begründung.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und, übrigens: wir behandeln hier zwei unterschiedliche Themen. Das eine ist eher prinzipiell (ist jemand für bestimmte Handlungen verantwortlich oder nicht? Kann er zur Rechenschaft gezogen werden oder nicht?) und das andere ist konkreter: wie könnte ein Rechts- / Strafrechtssystem aussehen, wenn man davon ausgeht, dass Menschen nur Produkte ihrer Umstände sind und sie keinen Einfluss auf ihre Handlungen haben?

Wir müssen hier erst mal Frage 1 klären.

Ja. Und während ich bei "verantwortlich" eine kompatibilistische Deutung evtl. noch durchgehen lassen würde (wegen der stark lokalen Präferenzen und weil ich ein Konzept der Verantwortung widerspruchsfrei nennen kann), sehe ich (siehe meinen Kommentar zu Burkhardt) keine nachvollziehbare Begründung des Schlusses auf Legitimität einer vergeltenden Übelzufügung. Auch Du schreibst ja als Begründung letztlich nur "weil er es verdient hat".

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Frage 2 ist eher uninteressant, denn die Folgerungen, die Du ziehst, ziehen andere anscheinend nicht. Sie können mit der Begründung für 1, falls es tatsächlich richtig / zwingend ist, dass die Naturgesetze persönliche Zuschreibungen von Handlungen ausschließen, auch ganz andere Schlüsse ziehen. Nämlich zum Beispiel den, dass zwar niemand böse sein kann, aber total gefährlich und daher für alle Zeiten hinter Gitter gehört. Der Sicherheit wegen und sicher ist nun mal sicher. Fragte sich nur, ob das dann eine Verbesserung wäre und wenn ja, inwiefern.

Hier mischst Du mE einiges durcheinander. Zum Beispiel kann den Schluß, jemand sei gefährlich und daher wegzusperren, ebensogut ein Freier-Wille-Anhänger ziehen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Noch ein anderes Thema sind die heutigen Zustände in den Gefängnissen. Ob die gerechtfertigt sind oder nicht. Sie sind es mE nicht.

Wenn es den Insassen aber wesentlich besser ginge, wär's dem Volk sicher auch nicht recht. Oder?

#113:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 03.09.2009, 13:17
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ach, und naja, mir kommt das hier tatsächlich so vor, als ob es nur um den Tadelanteil / den Vorwurf in dem Wort "Strafe" ginge, ...

Für mich wäre der soziale Tadel ok, wenn er sich auf die Zukunft bezieht: "Das war unerwünscht, wir erwarten von Dir, ...".

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Zwei Väter. Vater A und Vater B. Beide haben 8-jährige Söhne.

Vater A ist der Meinung, dass bestimmte Handlungen böse sind und der Strafe bedürfen. Zum Beispiel Nasenbohren. Jedesmal, wenn er seinen Sohn beim Nasenbohren erwischt, legt er ihn "übers Knie" und verprügelt ihn. Er sagt: "Du hast es schon wieder getan, Du bist schuldig".

Meine Kritik an diesem Verhalten:
1. Der Vater hat keine nachvollziehbare Begründung für die Bestrafung, denn der Sohn ist nicht schuldig, sondern hat sich nur unerwünscht verhalten, und auch das nur, weil seine Präferenz zum Nasebohren eben so stark war.
2. Der Vater wirft sich alttestamentarisch auf zum Herrn über Gut und Böse, anstatt den Sohn zur Einsicht zu bewegen. Er will Gehorsam statt Einsicht.
3. Sollte der Vater aus rein präventiven Gründen gestraft haben (mit der Tat als "Anlaß"), wäre ihm die Härte und Ungeeignetheit der Maßnahme vorzuwerfen.
4. Ich stimme zudem Deiner Vermutung zu:


AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Sohn A hingegen mag vielleicht durch die Schuldzuweisung einen Selbsthass bekommen. Was einen auch fertig machen kann, durch das Gefühl "ich bin böse, unwürdig, nichtsnutz".


AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Vater B ist der Meinung, dass es kein gut und böse gibt, dass einfach alles nur so ablaufen muss, wie es abläuft, aber er denkt auch, dass Kinder Respekt haben müssen, weil dieser ihnen später in der Gesellschaft helfen wird, so dass es ihnen gesamt gesehen besser gehen wird. Um diesen Respekt herzustellen, hält er eine Tracht Prügel für nützlich. Er hat ein Messgerät, das, wissenschaftlich korrekt, den aktuellen Respekt des Sohnes anzeigt. Er legt also, wenn das Messgerät ausschlägt, was der Sohn aber nicht vorhersehen und auch nicht beeinflussen kann, diesen "übers Knie" und verprügelt ihn gleichermaßen wie Vater A. Er sagt: "Du kannst ja nix dafür, niemand kann etwas für irgendwas, ich auch nichts dafür, dass ich diese Maßnahme an Dir vollziehe. Es ist nur zu deinem Besten, mir tut das ja am meisten weh."

Vorweg: "Ich kann auch nichts dafür" - wie in dem Richterwitz - gehört hier nicht hin, auch wenn Du, ballancer usw. das immer wieder schreiben, um eine zynische Bösartigkeit von Deterministen zu suggerieren.

Meine Kritik am Verhalten von Vater B:
1. Respekt als Erziehungsziel ist sehr fragwürdig. Hinterfragen, Offenheit/Ehrlichkeit, vertrauensvoller Umgang wäre besser.
3. Siehe 3. oben - Maßnahme ungeeinet.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... (wobei hier wohl beide eklig / abzulehnen sind).

Sehe ich ebenso. Die eigentlich zugrundeliegende Frage wird völlig überschattet von den in beiden Fällen völlig unmöglichen Härte der Maßnahmen, sowie dem extrem konservativen Erziehungsziel von Vater B. Präventivsanktionen, über die wir hier im thread reden, wären ja von weit weniger entwürdigendem Charakter.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich finde den Fall B schlimmer. Wegen des Willküraspektes, der Nichtvorhersehbarkeit, der Unbeeinflussbarkeit der Übelzufügung. Sohn A hat es wenigstens durch sein Verhalten in der Hand, wann ihm eine "Tracht Prügel" verabreicht wird. Sohn B aber nicht. Er muss jederzeit mit dem Schlimmsten rechnen.

Sehe ich anders: Sohn A hat es nicht in der Hand, denn der Trieb zum Nasebohren ist einfach zu stark. Und Sohn B: Warum sollte er Respekt gegenüber dem Vater nicht ebenso (oder ebensowenig) kontrollieren können wie den Trieb zum Nasenbohren?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und dann erwartet Vater B auch noch, dass Sohn B ein Einsehen / Verständnis hat: "ist ja keine Strafe, sieh' das doch ein, sieh' doch mal meine Seite, ich will doch nur Dein Bestes".

Ja, das hat etwas Heuchlerisches. Unter anderem deswegen, weil der Sohn nicht einsehen kann, warum eine körperliche Züchtigung gut für ihn sein soll. Fairerweise muß man allerdings dazusagen, daß Eltern vom Typ A oft analog argumentieren: "Ist eine verdiente Strafe, Strafe muß sein, eine Tracht Prügel hat noch keinem geschadet".

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Aber dennoch würde ich B schlimmer finden. Und mir scheint, dass aber andere hier A grundsätzlich viel schlimmer finden. Weil bei A eventuell was Metaphysisches / was Religiösen mitschwingt vielleicht; ich kann das noch nicht so richtig deuten, was eigentlich der Grund dessen ist.

Mir gefällt bei dem Beispiel u.a. nicht, daß Du Strafe und Prävention analog setzt. Denn Prävention ist ein eigenes Thema, das eigentlich unabhängig davon ist, ob man (vergeltende) Strafe ablehnt oder befürwortet.

Daher vielleicht ein aus meiner Sicht geeigneteres Beispiel, in dem ich die Schwerpunkte etwas ... anders ... lege:

Sohn A und Sohn B zerkratzen mutwillig Nachbars geliebtes Auto.

Vater A nimmt seinen Gürtel und verprügelt seinen Sohn (zur vergeltenden Strafe) ordentlich. Danach sagt er ihm (Prävention), daß er ihn, sollte das nochmal vorkommen, noch viel schlimmer verprügeln wird, daß ihm Hören und Sehen vergeht. Außerdem überlegt er sich, daß er den jüngeren Bruder schon bei viel kleineren Vergehen härter bestrafen sollte, damit sich die Situation mit ihm nicht wiederholt.

Vater B simmt seinen Sohn ins Gebet (sozialer Tadel). Hat aber das Gefühl, daß das irgendwie zur Prävention nicht ausreicht. Daher überlegt er sich eine Beschäftigung, die den Sohn auf andere Gedanken bringt und sein Selbstbewußtsein und seine Rücksichtnahme stärkt, z.B. einen anstrengenden Sport. Außerdem überlegt er sich, was er vielleicht vorher hätte besser machen müssen, mit dem Ziel, daß sich die Situation mit dem jüngeren Bruder nicht wiederholt.

#114:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 03.09.2009, 22:05
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Also, ich bin jetzt etwas verwirrt, weil ich Deine Argumentation gar nicht richtig einordnen kann.

Ginge sie nur über die Schiene: das heutige Strafrechtssystem und die heutigen Strafen sind ungerecht, zu hoch, die Zustände in den Gefängnissen sind teilweise unakzeptabel, äußere und innere Zwänge werden bei den Urteilen nicht genügend berücksichtigt, alternative (humanere) Strafen sollten erwogen werden usw., dann wäre das eine Sache, über die man durchaus reden könnte und auch immer muss, denn da liegt sicher Einiges im Argen, das kann und muss immer verbessert werden.

Aber das ist es ja nicht. Es geht Dir irgendwie darum, das Schuldkonzept abzulehnen und ein anderes Verantwortungskonzept zu etablieren. Was ich aber beides nicht verstehe, denn "Schuld" bedeutet für mich dies:

Schuld (Ethik) hat folgendes geschrieben:
Der Zustand der Schuld entsteht, wenn jemand für einen Verstoß gegenüber einer sittlichen, ethisch-moralischen oder gesetzlichen Wertvorstellung verantwortlich ist.

D.h., sobald man eine Handlung danach unterschiedlich beurteilt, ob sie a) wissentlich und absichtlich oder aber z.B. b) unter Zwang oder unabsichtlich geschah, dann ist das genau dieser Unterschied, dieses Schuldkonzept. Dann ist der eine (a) schuldig und der andere (b) nicht. Auch Dein Verantwortungskonzept unterscheidet sich mE nicht wesentlich von meinem.

Was sich nun unterscheidet, ist anscheinend folgendes: Du sagst a) jemand darf nicht aufgrund einer vergangenen Tat verurteilt werden und b) jemand hat keine Strafe aufgrund einer bestimmten Tat verdient.

Aber das verstehe ich auch nicht, denn Du sprichst Dich doch gleichermaßen dafür aus, die "Maßnahmen" 1. erst mal von der Schuldfeststellung abhängig zu machen und 2. sie in der Höhe und Art an die konkrete Tat zu binden. Hm, dann setze vielleicht halt für "verdient" "ist notwendige Voraussetzung", wenn Dir das besser schmeckt. Ist aber mE kein wesentlicher Unterschied.

In dem Link zu den gardeners, den Du oben gegeben hast, (interessant übrigens, danke), wird ja von Seiten der "anti-realists" anders argumentiert. Sie behaupten das Fehlen von Verantwortung in einer determinierten Welt (z.B. wegen TNR, des "transfer of non-responsibility"-Prinzipes). Argumentierte man auf diese Art, (so tun (bzw. taten) das ja auch Singer und Roth), wäre also Verantwortung tatsächlich wegen des Determinismus ausgeschlossen, dann gäbe es natürlich auch keine Schuld im obigen Sinne, d.h. die Unterscheidung zwischen absichtlicher und unabsichtlicher Handlung wäre sinnlos und müsste fallen gelassen werden.

Aber so argumentierst Du ja gar nicht, mir ist daher ein bisschen unklar, worauf Deine Argumentation eigentlich beruht. Ich finde sie ziemlich widersprüchlich.

Du findest es nicht richtig, jemanden insofern verantwortlich für gewisse Handlungen zu machen, als dass man ihm deswegen Konsequenzen dafür zumutet? Hm, nein, das tust Du ja nicht, Du möchtest ja Maßnahmen aufgrund der Tat ergreifen. Und dann setzt Du aber wieder Krankheit, Unwissenheit und Fehlverhalten gleich. Das ist sehr verwirrend.

Kommen wir mal zu den Punkten, an denen wir anscheinend nicht übereinstimmen:

- meiner Ansicht nach wäre es (auch psychisch / psychologisch) in keiner Hinsicht von Vorteil, andere immer zu behandeln wie Unmündige (wiewohl man / ich das in bestimmten Fällen - z.B. jemand ist tatsächlich psychisch gestört oder ein Junkie - tut / tue. Aber: Das hat keinen Vorteil für denjenigen. Von Junkies z.B. halte ich mich fern (da kenne ich leider ein konkretes Beispiel, eine Ex-Bekannte). Die tun mir zwar leid, die können nix dafür, ich sehe sie lediglich als Getriebene, aber das nutzt ihnen doch gar nichts.)

- außerdem halte ich es für unmöglich, das zu tun, wer das glaubt, lügt sich mE in die eigene Tasche

- freiheitseinschränkende (zusätzlich zu heute) Maßnahmen ohne absichtlich begangene Tat (= Schuld) halte ich für unzulässig (z.B. flächendeckende Untersuchungen auf "kriminelle Adern") - das wäre ein Prämissenwechsel, der einer freiheitlichen Gesellschaft nicht zusteht

- Grundrechtseinschränkungen aufgrund einer lediglich statistisch wahrscheinlichen Annahme einer zukünftigen Normverletzung halte ich für extrem problematisch

- eine Abschreckung Dritter halte ich für notwendige Determinierungen zukünftigen Verhaltens; außerdem halte ich auch eine gewisse Konsequenz im Strafrecht für notwendig, um Willkür zu vermeiden (wiewohl man das sicher auch in der heutigen Praxis mehr oder weniger ankreiden kann - was aber eine Erhöhung der Willkür noch nicht rechtfertigt)

- ich glaube, dass ein Übergang vom Schuldstrafrecht auf ein Präventivstrafrecht insofern sehr negativ wäre, als dass alle gewachsenen Rechtsstaatsprinzipien (siehe oben) plötzlich entsorgt würden. Deine Einwände dazu haben mich nicht im Geringsten überzeugt. Deine konkreten Vorstellungen der Ausgestaltung würden sich übrigens mAn nicht durchsetzen, es würde eher ein "der ist gefährlich, weg für immer, sicher ist sicher" durchsetzen. Ich finde es übrigens sehr erschreckend, wie auch Leute, die ich für sehr intelligent / klug halte, das gar nicht mehr hinterfragen und einfach so hinnehmen (ich meine jetzt nicht Dich, ich habe jemanden anderen im Sinne, von dem ich das heute zufällig gelesen habe). Nach dem Motto: "wir haben keine Strafe mehr, ist nicht mehr religiös / metaphysisch, es schwingt kein persönlicher Vorwurf mehr mit, sind nur noch objektive Sachzwänge - also ist alles in Butter, das muss ja so sein".

- ich halte es für falsch, die Sprache ändern zu wollen. Ich meine, das Wort "Strafe" ist weiterhin unerlässlich, da es eben eine Übelzufügung bedeutet, zu der man stehen sollte und die daher legitimiert werden muss. Durch eine Umbenennung in (mE ein Euphemismus und in dem Zusammenhang auch noch furchtbar schwammig und vielbedeutend) "Maßnahme" wird das nur verschleiert und führt zu der Ansicht, eine Legitimation sei nicht mehr nötig. Siehe obigen Punkt. Ich halte es für besser, die Bedeutung des Begriffes zu ändern. Für mich hat er wohl auch gar nicht die Bedeutung, die er anscheinend für Dich hat. Was immer das ist, das weiß ich jetzt auch nicht so genau.

#115:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 03.09.2009, 22:46
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Erstmal nur zwei Punkte:

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
In dem Link zu den gardeners, den Du oben gegeben hast, (interessant übrigens, danke), wird ja von Seiten der "anti-realists" anders argumentiert. Sie behaupten das Fehlen von Verantwortung in einer determinierten Welt (z.B. wegen TNR, des "transfer of non-responsibility"-Prinzipes). Argumentierte man auf diese Art, (so tun (bzw. taten) das ja auch Singer und Roth), wäre also Verantwortung tatsächlich wegen des Determinismus ausgeschlossen, dann gäbe es natürlich auch keine Schuld im obigen Sinne, d.h. die Unterscheidung zwischen absichtlicher und unabsichtlicher Handlung wäre sinnlos und müsste fallen gelassen werden.

Aus diesem Grunde habe ich mich ja schon auf eine extrem kompatibilistische Definition von "Verantwortung" und "Absicht" eingelassen. "absichtlich" bedeutet bei mir nicht mehr, als daß das Gehirn eine Handlungsentscheidung aufgrund einer Entscheidung traf, deren Präferenzgrundlage bewußt wurde. Und "Verantwortung" bedeutet bei mir nicht mehr als die Erwartung moralisch konformer Entscheidungen.

Diese (mglw. nicht gängigen) Definitionen passen zu obiger Darstellung. Eine Unterschiedung zwischen "absichtlich" und "unabsichtlich" ist zwar nicht mehr so zentral wie bei Vergeltungsstrafen (wo sie es übrigens früher auch nicht war), aber kann auch für die Auswahl der besten Präventionsmethode immer noch eine Rolle spielen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
- ich halte es für falsch, die Sprache ändern zu wollen. Ich meine, das Wort "Strafe" ist weiterhin unerlässlich, da es eben eine Übelzufügung bedeutet, zu der man stehen sollte und die daher legitimiert werden muss. Durch eine Umbenennung in (mE ein Euphemismus und in dem Zusammenhang auch noch furchtbar schwammig und vielbedeutend) "Maßnahme" wird das nur verschleiert und führt zu der Ansicht, eine Legitimation sei nicht mehr nötig. Siehe obigen Punkt. Ich halte es für besser, die Bedeutung des Begriffes zu ändern. Für mich hat er wohl auch gar nicht die Bedeutung, die er anscheinend für Dich hat. Was immer das ist, das weiß ich jetzt auch nicht so genau.

Eine Strafe ist aber nicht eine beliebige Übelzufügung, sondern eine ganz bestimmte, teilweise auf Sühne einer Schuld gerichtete und von einer Sicherungsmaßnahme deutlich getrennte:

wikipedia hat folgendes geschrieben:
Die Strafe ist ein aggressiver Akt gegenüber dem zu Strafenden, der als Folge eines normenverletzenden Verhaltens durch den zu Strafenden vollzogen wird und deshalb im Unterschied zu anderen Formen von Aggression als legitim angesehen wird. In der Regel wird Strafe heute begründet

* mit der Veränderung des Zöglings zum Besseren
* mit dem Ziel der Abschreckung potentieller anderer Straftäter
* mit dem Ziel des Schutzes anderer (z. B. der sonstigen Bevölkerung)
* mit der Wiederherstellung der Gerechtigkeit (Sühne).

Strafe kann aber auch in schwierigen bzw. komplexen sozialen Situationen mit zu Erziehenden eine Notlösung aus der Ausweglosigkeit sein, die im Zusammenhang mit dem Mangel an Orientierung des Erziehers zu sehen ist.

wikipedia hat folgendes geschrieben:
Strafe im Sinne des Strafrechts ist nach einer vorherrschenden Definition ein Übel, das einer Person, (dem „Täter“), für ihr eigenes, vergangenes, tatbestandsmäßiges, rechtswidriges und schuldhaftes Handeln (Tun oder Unterlassen) von der Gesellschaft auferlegt wird und mit dem ein sozialethischer Tadel gegenüber dieser Person verbunden ist. Der Begriff der Strafe setzt sich damit von dem der Maßregel der Besserung und Sicherung ab, für die eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige Tat ausreicht. ...

Der Begriff der Strafe als einer Sanktion, durch welche die Gesellschaft dem Täter gegenüber einen sittlichen Tadel aussendet, wurde in den Häresieprozessen des Hochmittelalters entwickelt und gelangte erst im 16. Jahrhundert, zur Zeit der spanischen Inquisition, über die moraltheologische Diskussion über das Kirchenrecht (Kanonistik) in das weltliche Strafrecht ...

Daher ist es aus meiner Sicht kein Euphemismus und keine Vernebelung, sondern ganz bestimmte Aspekte, die es nur bei einer Strafe gibt, sollen wegfallen. Strafe wäre dann ähnlich tabu wie Folter oder Mißbrauch.

#116:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 03.09.2009, 23:55
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step hat folgendes geschrieben:
Erstmal nur zwei Punkte:

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
In dem Link zu den gardeners, den Du oben gegeben hast, (interessant übrigens, danke), wird ja von Seiten der "anti-realists" anders argumentiert. Sie behaupten das Fehlen von Verantwortung in einer determinierten Welt (z.B. wegen TNR, des "transfer of non-responsibility"-Prinzipes). Argumentierte man auf diese Art, (so tun (bzw. taten) das ja auch Singer und Roth), wäre also Verantwortung tatsächlich wegen des Determinismus ausgeschlossen, dann gäbe es natürlich auch keine Schuld im obigen Sinne, d.h. die Unterscheidung zwischen absichtlicher und unabsichtlicher Handlung wäre sinnlos und müsste fallen gelassen werden.

Aus diesem Grunde habe ich mich ja schon auf eine extrem kompatibilistische Definition von "Verantwortung" und "Absicht" eingelassen. "absichtlich" bedeutet bei mir nicht mehr, als daß das Gehirn eine Handlungsentscheidung aufgrund einer Entscheidung traf, deren Präferenzgrundlage bewußt wurde.

"Deshalb habe ich mich auf eine 'extrem kompatibilistische Definition' eingelassen"? Das ist nun sehr merkwürdig. Entweder findest Du es plausibel, dass man zwischen beiden Fällen unterscheidet (dann bist Du mE Kompatibilist und kein "harter" Determinist mehr [denn der denkt, dass alles wegen TNR unbeeinflussbar geschieht]) oder Du findest es nicht richtig. Ent- oder weder. Oder Du gestehst das nur wegen irgendwelcher strategischen Überlegungen zu, meinst aber eigentlich was anderes. Was irgendwie, hm, seltsam wäre und für mich gänzlich unverständlich. Das fände ich auch dann sehr unredlich von Dir. Sag' doch einfach, was Du wirklich denkst. Sonst wird das hier nur unerquicklich.

step hat folgendes geschrieben:
Und "Verantwortung" bedeutet bei mir nicht mehr als die Erwartung moralisch konformer Entscheidungen.

Hm. Naja. Das glaube ich jetzt nicht. Erwartungen hängen von bestimmten Kriterien ab. Von einem Junkie erwartet man z.B. nicht, dass er einen nicht bestiehlt. Weil, wenn man Junkies kennt, das gar nicht erwarten kann.

Von einem normalen Menschen aber erwartet man das und man glaubt, dass diese Erwartung erfüllt werden kann. Dabei könnte man sich natürlich immer noch irren, wenn er vielleicht Kleptomane oder auch Junkie ist. Wenn er das aber nicht ist und wenn er sonst keine Entschuldigungsgründe vorbringen kann und die auch kein Psychologe in einem Prozess feststellen kann, dann rechnet man sie ihm normalerweise zu. So, wie man seinem Mitbewohner in einer WG einen Vorwurf machen würde, wenn er nie abwaschen würde. Niemand kann mir erzählen, er würde das nicht tun. Auch der härteste aller Deterministen nicht. Das glaube ich nämlich nicht, ich hielte diese Aussage für eine Lüge. Wenn ich gleichzeitig wüsste, dass dieser härteste Determinist aller Zeiten wüsste, dass der Abwaschverweigerer in allen früheren WGs regelmäßig abgewaschen hätte. Dass dieser Hardcore-Determinist dann tatsächlich annehmen würde, derjenige könnte nicht abwaschen, anstatt dass er annehmen würde, derjenige wollte es einfach nicht, das glaube ich kaum. Und ich glaube auch nicht, dass der Hardcore-Determinist da keinen Unterschied zwischen "nicht wollen" (absichtlich / beeinflussbar) und "nicht können" (unabsichtlich / nicht beeinflussbar) sehen würde.

step hat folgendes geschrieben:
Diese (mglw. nicht gängigen) Definitionen passen zu obiger Darstellung. Eine Unterschiedung zwischen "absichtlich" und "unabsichtlich" ist zwar nicht mehr so zentral wie bei Vergeltungsstrafen (wo sie es übrigens früher auch nicht war), aber kann auch für die Auswahl der besten Präventionsmethode immer noch eine Rolle spielen.

Das ist nicht ganz korrekt, wenn ich Deine obigen Ausführungen betrachte (die Kriterien für eine Schadensersatzverpflichtung), denn dabei geht es eben nicht um Prävention, sondern um den Ausgleich eines entstandenen Schadens. Für den muss wohl auch deiner Ansicht nach erst mal eine verschuldete Handlung festgestellt werden, es gibt bestimmte Kriterien, die festgelegt sind und demnach überprüft werden müssen. Und dabei spielt der Unterschied zwischen absichtlichen / unabsichtlichen Handlung die grundlegende Rolle. Und das bedeutet eben schuldhaftes Verhalten in meinem Sinne.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
- ich halte es für falsch, die Sprache ändern zu wollen. Ich meine, das Wort "Strafe" ist weiterhin unerlässlich, da es eben eine Übelzufügung bedeutet, zu der man stehen sollte und die daher legitimiert werden muss.

Eine Strafe ist aber nicht eine beliebige Übelzufügung, sondern eine ganz bestimmte, teilweise auf Sühne einer Schuld gerichtete und von einer Sicherungsmaßnahme deutlich getrennte:

wikipedia hat folgendes geschrieben:
Die Strafe ist ein aggressiver Akt gegenüber dem zu Strafenden, der als Folge eines normenverletzenden Verhaltens durch den zu Strafenden vollzogen wird und deshalb im Unterschied zu anderen Formen von Aggression als legitim angesehen wird. [...]

wikipedia hat folgendes geschrieben:
Strafe im Sinne des Strafrechts ist nach einer vorherrschenden Definition ein Übel, das einer Person, (dem „Täter“), für ihr eigenes, vergangenes, tatbestandsmäßiges, rechtswidriges und schuldhaftes Handeln (Tun oder Unterlassen) von der Gesellschaft auferlegt wird und mit dem ein sozialethischer Tadel gegenüber dieser Person verbunden ist. Der Begriff der Strafe setzt sich damit von dem der Maßregel der Besserung und Sicherung ab, für die eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige Tat ausreicht. ... [...]

Daher ist es aus meiner Sicht kein Euphemismus und keine Vernebelung, sondern ganz bestimmte Aspekte, die es nur bei einer Strafe gibt, sollen wegfallen. Strafe wäre dann ähnlich tabu wie Folter oder Mißbrauch.

Na gut. In diesem Punkt sind wir dann wohl extrem gegensätzlicher Meinung und ich sehe dann hier auch erst mal keinerlei Möglichkeit zur Annäherung. Dazu sind die Ansichten wohl zu unterschiedlich.

Eine Strafe ist ein aggressiver Akt. Ganz genau, so ist es. Und ein aggressiver Akt bedarf der Legitimation, er darf mE nicht "einfach so" staatlicherseits vollzogen werden. Es wäre aber eben mE ein sich-in-die-Tasche-lügen, dass eine "Maßnahme" in Deinem Sinne das nicht wäre und daher weniger einer Legitimation bedürfte. Und es ist ebenso ein sich-in-die Tasche-lügen, dass eine "Maßregel der Sicherung und Besserung" kein Übel / ein geringeres Übel als eine Strafe wäre.

#117:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 04.09.2009, 12:24
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
... "absichtlich" bedeutet bei mir nicht mehr, als daß das Gehirn eine Handlungsentscheidung aufgrund einer Entscheidung traf, deren Präferenzgrundlage bewußt wurde.
... Entweder findest Du es plausibel, dass man zwischen beiden Fällen unterscheidet (dann bist Du mE Kompatibilist und kein "harter" Determinist mehr [denn der denkt, dass alles wegen TNR unbeeinflussbar geschieht]) oder Du findest es nicht richtig.

Natürlich existiert auch für den Deterministen faktisch ein Unterschied zwischen "absichtlich" und "unabsichtlich", wie ich ja bereits schrieb. Der Unterschied liegt in der Art der (jeweils komplett determinierten) Entscheidungsvorgänge. Nur ist dieser Unterschied eben mE nicht mehr "fundamentaler" Natur und begründet nicht per se eine vergeltende Bestrafung im präferenten Fall.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Und "Verantwortung" bedeutet bei mir nicht mehr als die Erwartung moralisch konformer Entscheidungen.
Hm. Naja. Das glaube ich jetzt nicht. Erwartungen hängen von bestimmten Kriterien ab. Von einem Junkie erwartet man z.B. nicht, dass er einen nicht bestiehlt. Weil, wenn man Junkies kennt, das gar nicht erwarten kann.

Eben. Man erwartet von ihm kein konformes Verhalten, also mißt man ihm in diesem Punkt keine Verantwortung zu.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Von einem normalen Menschen aber erwartet man das und man glaubt, dass diese Erwartung erfüllt werden kann. Dabei könnte man sich natürlich immer noch irren, wenn er vielleicht Kleptomane oder auch Junkie ist. Wenn er das aber nicht ist und wenn er sonst keine Entschuldigungsgründe vorbringen kann und die auch kein Psychologe in einem Prozess feststellen kann, dann rechnet man sie ihm normalerweise zu. So, wie man seinem Mitbewohner in einer WG einen Vorwurf machen würde, wenn er nie abwaschen würde.

Abgesehen von der schuldbeladenen Ausdrucksweise ist das doch genau, was ich sage: Einem als normal eingeschätzen Mitmenschen weist man diese Verantwortung zu, weil/indem man erwartet, daß er sich diesbezüglich konform verhält.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... Wenn ich gleichzeitig wüsste, dass dieser härteste Determinist aller Zeiten wüsste, dass der Abwaschverweigerer in allen früheren WGs regelmäßig abgewaschen hätte. Dass dieser Hardcore-Determinist dann tatsächlich annehmen würde, derjenige könnte nicht abwaschen, anstatt dass er annehmen würde, derjenige wollte es einfach nicht, das glaube ich kaum. Und ich glaube auch nicht, dass der Hardcore-Determinist da keinen Unterschied zwischen "nicht wollen" (absichtlich / beeinflussbar) und "nicht können" (unabsichtlich / nicht beeinflussbar) sehen würde.

Er würde keinen Unterschied machen auf neurologischer, physikalischer Ebene: nicht wollen = nicht können. Er würde aber natürlich einen Unterschied machen in bezug auf die Art der zu wählenden Maßnahme, denn wenn der Abwaschverweigerer etwa eine körperliche Blockade (z.B. keine Arme) hat, muß die anders gelöst werden, als wenn er eine psychische Blockade (z.B. Spülmittelphobie) oder eine für die Anderen ungünstig determinierte Präferenz (z.B. mangelnde Hilfsbereitschaft) hat.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Diese (mglw. nicht gängigen) Definitionen passen zu obiger Darstellung. Eine Unterschiedung zwischen "absichtlich" und "unabsichtlich" ist zwar nicht mehr so zentral wie bei Vergeltungsstrafen (wo sie es übrigens früher auch nicht war), aber kann auch für die Auswahl der besten Präventionsmethode immer noch eine Rolle spielen.
Das ist nicht ganz korrekt, wenn ich Deine obigen Ausführungen betrachte (die Kriterien für eine Schadensersatzverpflichtung), denn dabei geht es eben nicht um Prävention, sondern um den Ausgleich eines entstandenen Schadens. Für den muss wohl auch deiner Ansicht nach erst mal eine verschuldete Handlung festgestellt werden, es gibt bestimmte Kriterien, die festgelegt sind und demnach überprüft werden müssen. Und dabei spielt der Unterschied zwischen absichtlichen / unabsichtlichen Handlung die grundlegende Rolle. Und das bedeutet eben schuldhaftes Verhalten in meinem Sinne.

Sehe ich anders. Ich habe oben extra versucht (jedenfalls in dem formaleren Beitrag mit den Punkten 1.-4.), den Schadensausgleichsaspekt von der Verursacherfrage zu trennen und letztere nur für die Ermittlung geeigneter Präventionsmaßnahmen heranzuziehen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Eine Strafe ist ein aggressiver Akt. Ganz genau, so ist es. Und ein aggressiver Akt bedarf der Legitimation, er darf mE nicht "einfach so" staatlicherseits vollzogen werden.

Ja, genau. Aber außer "er verdient das" kam da bisher nicht viel, auch bei Burkhardt.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Es wäre aber eben mE ein sich-in-die-Tasche-lügen, dass eine "Maßnahme" in Deinem Sinne das nicht wäre und daher weniger einer Legitimation bedürfte. Und es ist ebenso ein sich-in-die Tasche-lügen, dass eine "Maßregel der Sicherung und Besserung" kein Übel / ein geringeres Übel als eine Strafe wäre.

Aber dieser Vorwurf kann sich ja wohl kaum an mich richten. Ich habe das ja jetzt schon mehrfach bestätigt und zumindest einen mE schwerwiegenden Begründungskandidaten angegeben, nämlich den Zweck, den man damit für die Zukunft erreichen kann, wenn man einegewisse Verhältnismäßigkeit wahrt. Übelzufügung als "Maßnahme" kann man eben aus meiner ethisch-rationalen Sicht nicht so einfach vom Tisch wischen wie vergeltende Strafe.

#118: Abschaffung der Justiz mit Hilfe von "Hirnforschung" und "Physik& Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 04.09.2009, 17:49
    —
Zitat:
Möge bitte niemand glauben, der unerschrockene Gedankenaustausch über die Jugendkriminalität käme auf Dauer ohne die Hirnforschung aus! Verknüpft man den jederzeit ausbaufähigen Gedanken der Prävention mit der neurowissenschaftlichen These vom „geborenen Verbrecher“, dann kommt man zu überraschend sauberen Schlussfolgerungen.

Axel Boetticher, Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe, macht darauf in der neuen Ausgabe von „Psychologie heute“ aufmerksam. Er stellt sich probeweise den Forderungen namhafter Hirnforscher, die die Abschaffung des Schuldstrafrechts fordern zugunsten einer präventiven Sicherheitsverwahrung für Menschen mit kriminologisch auffälligem Hirn. (...)

Im politischen Diskurs der Härte könnte nächstens eine Vision heranschweben, die Boetticher so beschreibt: „Es ist eine unglaubliche Vorstellung, aus präventiven Gründen flächendeckend die Gehirne von Kindern und Jugendlichen zu scannen, so wie manche Neurowissenschaftler sich das ausmalen.“ (...)

Raus aus dem Richterstaat, rein in den Neuro-Staat! Wenn man das weiterdenkt, ließen sich Kriminelle allein aufgrund einer Hirndiagnose einsperren - noch dazu, bevor sie straffällig werden. Ein Traum würde wahr: Deutschland wäre sicher! Markowitsch weist den Weg: „Die Hirnforschung könnte das Rechtssystem insgesamt auf ein objektiveres Fundament stellen. Ein wissenschaftlich fundiertes Maßnahmerecht wäre das Ziel.“


Quelle: F.A.Z., 09.01.2008, Nr. 7 / Seite 29


Die Zukunft kommt. Sie sieht aus wie die Vergangenheit, nur in giftgrün ...- nichts sehen, nichts hören, nichts sagen

Skeptiker

#119: Re: Abschaffung der Justiz mit Hilfe von "Hirnforschung" und "Phy Autor: SanneWohnort: Nordschland BeitragVerfasst am: 04.09.2009, 18:08
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:

Quelle: F.A.Z., 09.01.2008, Nr. 7 / Seite 29
[/r


Geschockt

Danke für den Link.
Was sind denn das für Idioten? Das Gehirn alleine reicht ja wohl nicht aus, um kriminelle oder sonstige Taten zu begehen, dafür braucht man ja nun auch noch die entsprechenden Umweltbedingungen. Und ich bezweifle, daß ein Neurologe anhand eines Gehirnscans sämtliche Umweltbedingungen voraussehen kann.
Und erst recht nicht bei den Gehirnen von Kleinkindern oder Ungeborenen: Da müßte man sämtliche Umstände und Umweltbedingungen voraussagen, unter welchen sich das Gehirn erstmal entwickeln wird, bis es überhaupt in dem Alter ist, eine kriminelle Tat zu begehen.

Die Annahme, menschliches Verhalten sei determiniert, ist von der Behauptung, man könne exakte Vorhersagen über das Verhalten eines bestimmten Menschen in ferner Zukunft treffen, logischerweise eigentlich ein paar Galaxien weit entfernt, weil man eben für exakte Vorhersagen unendlich viele Informationen benötigt.

#120:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 04.09.2009, 18:17
    —
@Skeptiker: Linkes oder rechtes Hetzblatt, macht dann auch schon keinen Unterschied mehr, gell?

- die "neurowissenschaftliche These vom „geborenen Verbrecher“" - welcher angesehene Neurowissenschaftler vertritt die, bitte Beleg. Von Roth und Singer habe ich das noch nie gelesen.

- Und wer hier im Forum vertritt die These, "dass menschliche Handlungen vom limbischen System gesteuerte Naturgeschehen sind, deren Abläufe bereits vor der Geburt determiniert sind"?

- Und wie kommt es, daß ständig von Sicherungsverwahrung geschrieben wird, als ob die Hirnforscher nichts lieber täten? Schreib Du jetzt mal konkret, was Du mit einem hochgradig wiederholungsgefährdeten Sexualstraftäter im Sozialismus machen würdest!

#121: Re: Abschaffung der Justiz mit Hilfe von "Hirnforschung" und "Phy Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 04.09.2009, 18:21
    —
Sanne hat folgendes geschrieben:
Was sind denn das für Idioten?

Ich sehe da genau 3 Idioten: Den Verfasser des Artikels, den Richter und diesen Markowitsch. Und fast alles komplett spekulativ und auf Bildzeitunsniveau.

#122:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 04.09.2009, 19:03
    —
Deine Distanzierung von Markowitisch finde ich wohltuend.

Hier ist nochmal ein Ausschnitt eines Gesprächs mit ihm aus dem Spiegel, welches nach meiner Einschätzung überhaupt ihn und den von ihm vertretenen Standpunkt einigermaßen bekannt machten.

Zitat:
Markowitsch: Etwas Ähnliches soll, noch nach Tony Blairs Plänen, in Großbritannien eingeführt werden: Tests für alle Schulkinder, um diejenigen mit besonders vielen Risikofaktoren für späteres kriminelles Verhalten zu erkennen. Für diese Kinder gibt es dann gezielte Präventionsprogramme.

SPIEGEL: Der Plan brachte Blair den Vorwurf ein, einen "wild gewordenen Gouvernantenstaat" installieren zu wollen.

Markowitsch: Kriminelles Verhalten lässt sich aber tatsächlich ziemlich gut voraussagen. In einer älteren Studie hat man in den USA 15-jährige Schüler auf Variablen untersucht, die prädiktiv für die spätere Straffälligkeit sein könnten. Man zeigt ihnen viele normale, harmlose Bilder und dazwischen ab und zu ein nacktes Mordopfer, Unfallopfer, alle möglichen Gewaltszenen. Bei einigen dieser jungen Menschen maß man kaum psychophysische Reaktionen auf diese Reize: Die Pulsrate blieb niedrig, die Muskelaktivität auch, die Leitfähigkeit der Haut veränderte sich nicht.

Und tatsächlich wurde die überwiegende Mehrzahl dieser Jugendlichen später straffällig. Gerade der Typus des Soziopathen ist sehr gut identifizierbar. Wenn wir ihn im frühen Stadium erkennen könnten, wie eine somatische Krankheit - müssen wir nicht sogar versuchen, auf ihn einzuwirken?

SPON-Link

Ich finde das veranschaulicht ganz gut, warum eine gehörige Portion Skepsis gegenüber falschen Schlüssen und den daraus abgeleiteten Forderungen nach praktischen Konsequenzen begründet ist. Der Mensch soll schon im Kindesalter auf sein kriminelles Potential gescannt werden, und bei Bedarf präventiv behandelt werden. Und zwar nicht erst aufgrund irgendeines konkreten Anhaltspunktes, sondern als Objekt einer Maßnahme, der generell alle Kinder unterworfen sein sollen. Die Begründung dafür im weiteren Gespräch ("Ritalin damit Kinder nicht rumzappeln") spricht Bände. Das sind genau die Äußerungen und Standpunkte, die einer innerwissenschaftlichen Erörterung und derer Kritik bedürfen. Schon im Interesse der Naturwissenschaften selber. Leider, soweit ich das beurteilen kann, Fehlanzeige.

#123:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 04.09.2009, 19:17
    —
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
... "absichtlich" bedeutet bei mir nicht mehr, als daß das Gehirn eine Handlungsentscheidung aufgrund einer Entscheidung traf, deren Präferenzgrundlage bewußt wurde.

... Entweder findest Du es plausibel, dass man zwischen beiden Fällen unterscheidet (dann bist Du mE Kompatibilist und kein "harter" Determinist mehr [denn der denkt, dass alles wegen TNR unbeeinflussbar geschieht]) oder Du findest es nicht richtig.

Natürlich existiert auch für den Deterministen faktisch ein Unterschied zwischen "absichtlich" und "unabsichtlich", wie ich ja bereits schrieb. Der Unterschied liegt in der Art der (jeweils komplett determinierten) Entscheidungsvorgänge.

Inwiefern spielt die "Art" hier eine Rolle und inwiefern unterscheiden sich die Arten?

Übrigens spielt der Unterschied zwischen "absichtlich" und "unabsichtlich" für einen "harten" Deterministen eigentlich keine Rolle (könnte bei Bedarf ein Zitat von Singer hier bringen, der sagt: "beruht alles gleichemaßen auf neuronalen Prozessen und es gibt daher keinen Unterschied - ist alles eins").

Meine Unterscheidung ("Determinist" <-> "harter Determinist") sollte man übrigens beachten, keine Ahnung, wieso Du das permanent nicht tust.

step hat folgendes geschrieben:
Nur ist dieser Unterschied eben mE nicht mehr "fundamentaler" Natur und begründet nicht per se eine vergeltende Bestrafung im präferenten Fall.

Doch, der ist fundamentaler Natur, darauf basiert nämlich moralische Verantwortung, d.h. persönliche Zuschreibung von Handlungen. Zum Beispiel beim Schadensersatz. Ob das aber auch vergeltende Bestrafung begründen kann, ist eine andere Frage. Diese Fragen sollte man aber nicht vermischen.

step hat folgendes geschrieben:
Man erwartet von ihm kein konformes Verhalten, also mißt man ihm in diesem Punkt keine Verantwortung zu. [...] Einem als normal eingeschätzen Mitmenschen weist man diese Verantwortung zu, weil/indem man erwartet, daß er sich diesbezüglich konform verhält. [...] Er ["wollen" und "können"] würde keinen Unterschied machen auf neurologischer, physikalischer Ebene: nicht wollen = nicht können. Er würde aber natürlich einen Unterschied machen in bezug auf die Art der zu wählenden Maßnahme, denn wenn der Abwaschverweigerer etwa eine körperliche Blockade (z.B. keine Arme) hat, muß die anders gelöst werden, als wenn er eine psychische Blockade (z.B. Spülmittelphobie) oder eine für die Anderen ungünstig determinierte Präferenz (z.B. mangelnde Hilfsbereitschaft) hat.

Mein Problem ist nun aber immer noch, dass ich nicht so recht sehen kann, inwiefern sich Deine Auffassung von "Verantwortung" von der üblichen Auffassung unterscheidet.

Nehmen wir doch mal die Wiki-Definition:

Verantwortung hat folgendes geschrieben:
Verantwortung bedeutet die Möglichkeit, dass eine Person für die Folgen eigener oder fremder Handlungen Rechenschaft ablegen muss. Sie drückt sich darin aus, bereit und fähig zu sein, später Antwort auf mögliche Fragen zu deren Folgen zu geben. Eine Grundvoraussetzung hierfür ist die Fähigkeit zur bewussten Entscheidung.

Du betrachtest nun eher die Nutzenfunktion, aber das an sich ist ja noch kein Unterschied, sondern das bestätigt das Konzept doch wohl eher. Wo genau siehst Du nun die Differenz?

Auch wird mir immer weniger klar, was Du gegen den im Eingangsbeitrag verlinkten Aufsatz einzuwenden hast.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Das ist nicht ganz korrekt, wenn ich Deine obigen Ausführungen betrachte (die Kriterien für eine Schadensersatzverpflichtung), denn dabei geht es eben nicht um Prävention, sondern um den Ausgleich eines entstandenen Schadens. Für den muss wohl auch deiner Ansicht nach erst mal eine verschuldete Handlung festgestellt werden, es gibt bestimmte Kriterien, die festgelegt sind und demnach überprüft werden müssen. Und dabei spielt der Unterschied zwischen absichtlichen / unabsichtlichen Handlung die grundlegende Rolle. Und das bedeutet eben schuldhaftes Verhalten in meinem Sinne.

Sehe ich anders. Ich habe oben extra versucht (jedenfalls in dem formaleren Beitrag mit den Punkten 1.-4.), den Schadensausgleichsaspekt von der Verursacherfrage zu trennen und letztere nur für die Ermittlung geeigneter Präventionsmaßnahmen heranzuziehen.

Du meinst wohl diesen:

step hat folgendes geschrieben:
OK, ich skizziere mal noch einen - evtl. unausgereiften - Vorschlag:

1. Der Schaden, sofern überhaupt ersetzbar, wird grundsätzlich von der Gemeinschaft getragen, z.B. in Form einer Versicherung.
2. Zusätzlich wird untersucht, welcher der Beteiligten sich in Zukunft in ähnlichen Situationen anders verhalten soll. In Deinem Fall wird das sicher A, evtl. C, und sicher nicht B sein.
3. Je nach Erfolgswahrscheinlichkeit und Verhältnismäßigkeit wird mit diesen Personen präventiv gearbeitet.
4. Ein Aspekt, um Vertrauen wiederherzustellen, kann sein, daß A sich an den Gemeinskosten für Schadensersatz und Prävention beteiligt.

Da stellen sich natürlich ein paar Fragen.

zu 1.: Welche Schäden genau sollen eigentlich von der Gesellschaft ersetzt werden? Wenn ich mir zum Beispiel selber absichtlich ein Loch ins Knie bohre oder wenn ein Orkan das Dach meines Hauses wegbläst? Doch wohl kaum, also: was sind eigentlich die Kriterien hierbei?
zu 2.: Warum? Genauer gefragt: warum nur die und warum nicht beliebige andere, die zwar nichts getan haben, von denen man aber annehmen könnte, dass sie sich in Zukunft falsch verhalten könnten?
zu 3.:
- Was bedeutet "Verhältnismäßigkeit" in diesem Zusammenhang? Worauf bezieht sich das? Auf die konkrete Tat, deren Ablehnungswürdigkeit? Oder auf die angenommene zukünftige Gefährdung? Oder auf die Höhe des entstandenen Schadens?
- Was geschieht, wenn die Person nicht zusammenarbeiten will, sich verweigert? Wird dann einfach gesagt: "dann halt nicht" und das war's?
4.: Was heißt denn "kann sein"? Ist das so oder nicht oder hängt das von weitere Kriterien ab? Wenn ja: welchen?

----

Und, noch 'ne Frage zu einer anderen Differenz von uns, nämlich dazu, dass Du Generalprävention ablehnst.

Mal ein simples Beispiel (Du möchtest ja gerne ausschließlich Kapitalverbrechen betrachten, ansonsten hätte ich auch ein anderes Beispiel nehmen können) dazu: X tötet seine Schwester, weil er meint, die habe die Familienehre beschmutzt. Seine Familie hat ihn vielleicht dabei unterstützt, aber das weiß man nicht so genau, man kann es jedenfalls nicht nachweisen. Von X geht keinerlei weitere Gefahr aus, er ist keine Bedrohung für andere, negative Spezialprävention fällt flach. Nur die Familienehre, nach seiner moralischen Auffassung leicht endgültig verloren durch weibliche unverheiratete Familienmitglieder, war wichtig. Aber er hatte nur eine Schwester, die jedoch nun tot ist. Positive Spezialprävention (Therapie oder dergleichen) kommt auch nicht in Frage, denn X verweigert sich in der Hinsicht. Er ist von der Rechtmäßigkeit seines Tuns überzeugt.

Was schlägst Du vor?

#124:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 05.09.2009, 11:42
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Deine Distanzierung von Markowitisch finde ich wohltuend. Hier ist nochmal ein Ausschnitt eines Gesprächs mit ihm aus dem Spiegel, welches nach meiner Einschätzung überhaupt ihn und den von ihm vertretenen Standpunkt einigermaßen bekannt machten.[...]

Ich hatte außer in diesem Interview nie von ihm gehört, obwohl ich mich durchaus für das Thema interessiere und schon einiges darüber gelesen habe. Ich muß Dich aber gleich wieder enttäuschen, nachdem ich das Interview jetzt noch einmal gelesen habe. Idiotisch finde ich eigentlich nur die Vorstellung, durch einfache Hirnscans ließen sich flächendeckend Verbrechen voraussagen, sowie das auch schon von Dir erwähnte Ritalin (idZ hätte man durchaus auf Nebenwirkungen und auch Mißbrauch hinweisen können).

Aber nochmal: Ich verstehe nicht, warum Ihr Euch alle so an der Präventivmaßnahmendiskussion festbeißt, obwohl es mir primär darum geht, das vergeltende Strafrecht abzuschaffen. Anstatt bißfeste Begründungen für Haftstrafen zu liefern, werden ständig Orwell-Horrorszenarien an die Wand gemalt.

Daher jetzt zu der immer noch fehlenden Begründung für vergeltende Strafe. Schauen wir mal, was Reemtsma, Markowitsch's Gegner im o.g. Interview, dazu sagt:

Zitat:
Reemtsma: Wir strafen, um abzuschrecken und um gesellschaftliche Normen zu bestätigen. ...

Letzteres ist ja ein Euphemismus für "Vergeltung", jedenfalls wenn es nicht bei einer Bestätigung bleibt, sondern zu einer Bestrafung kommt. Und beides ist keine Begründung für jahrelange Haftstrafen. So gehen wir nichtmal mit Hunden um.

Tja, und dann noch die Idee, den Schuldbegriff (im Sinne des schlechten Gewissens) aufrechtzuhalten. Da sind sich beide einig:

Zitat:
Reemtsma: Im Übrigen wird dabei auch ein erzieherisches Strafrecht nie auf den Schuldbegriff verzichten können, schon deshalb, weil er in unserer Innenperspektive so real ist. Man wird zu einem jugendlichen Tunichtgut nicht sagen: Du fühlst dich zwar schuldig, aber tröste dich, du kannst nichts dafür, dein Hirn war's.

Markowitsch: Das sehe ich ähnlich. Schuld kann durchaus kultiviert werden. Als Gefühl hat es ja evolutionär einen Sinn.

Ich persönlich sehe das allerdings etwas radikaler, ich würde auch in der Erziehung lieber ein Gefühl kultivieren, das reflektiert an Kooperation und Hilfsbereitschaft appelliert, ohne den scheinbar einfachen und wirkmächtigen Umweg über Schuldgefühle.

Danach wird dann wieder kräftig auf das Volksbedürfnis nach Rache verwiesen:

Zitat:
Reemtsma: Dann werden Sie große Probleme bekommen, Menschen zu erklären, warum ein Raser, der ihre Familie ausgerottet hat, die gleiche Umerziehung bekommt wie einer, der bloß geblitzt wurde. Eine wichtige Einsicht in der Juristerei ist, dass das Gerechtigkeitsgefühl und die tatsächliche Rechtsprechung nicht allzu weit auseinanderdriften dürfen.

Dabei wäre die Erklärung ganz einfach und plausibel: Gleiche Behandlung, weil die Gefahr für die Zukunft die gleiche ist.

Also wieder nichts.

#125: Absicht, Verantwortung, Schuld Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 05.09.2009, 12:26
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Natürlich existiert auch für den Deterministen faktisch ein Unterschied zwischen "absichtlich" und "unabsichtlich", wie ich ja bereits schrieb. Der Unterschied liegt in der Art der (jeweils komplett determinierten) Entscheidungsvorgänge.
Inwiefern spielt die "Art" hier eine Rolle und inwiefern unterscheiden sich die Arten?

- Die "Art" des E-Vorgangs spielt eine Rolle bei der Beurteilung, wie man ihn für die Zukunft optimal beeinflußt. Z.B. ob gar keine, eine physiologische oder eine psychologische Therapie Sinn macht.

- Unterschiede auf emergenter Ebene liegen z.B. in der Präferenzbasiertheit und Bewußtheit der Entscheidung. Vereinfacht ausgedrückt, findet das IF()-ELSE() woanders statt und hat auch andere Inputparameter.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Übrigens spielt der Unterschied zwischen "absichtlich" und "unabsichtlich" für einen "harten" Deterministen eigentlich keine Rolle (könnte bei Bedarf ein Zitat von Singer hier bringen, der sagt: "beruht alles gleichemaßen auf neuronalen Prozessen und es gibt daher keinen Unterschied - ist alles eins"). Meine Unterscheidung ("Determinist" <-> "harter Determinist") sollte man übrigens beachten, keine Ahnung, wieso Du das permanent nicht tust.

Weil es keine wirkliche Rolle spielt. Ob man einen faktischen Unterschied einen "wirklichen Unterschied" nennt oder nicht, ist reine Geschmackssache oder Konvention.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Verantwortung hat folgendes geschrieben:
Verantwortung bedeutet die Möglichkeit, dass eine Person für die Folgen eigener oder fremder Handlungen Rechenschaft ablegen muss. Sie drückt sich darin aus, bereit und fähig zu sein, später Antwort auf mögliche Fragen zu deren Folgen zu geben. Eine Grundvoraussetzung hierfür ist die Fähigkeit zur bewussten Entscheidung.
Du betrachtest nun eher die Nutzenfunktion, aber das an sich ist ja noch kein Unterschied, sondern das bestätigt das Konzept doch wohl eher. Wo genau siehst Du nun die Differenz?

Die Unterschiede scheinen auf den ersten Blick in der Tat klein, solange man nicht eine Bestrafung daraus folgert (sondern nur das Beantworten von Fragen).

- Konzentration auf die Vergangenheit statt Zukunft (wiki: Rechenschaft ablegen - ich: Erwartung erfüllen)

- inkonsistente Definition: "Möglichkeit", "muss" usw. definieren nicht wirklich, was Verantwortung ist, ob es eine Wesenseigenschaft, eine Zuweisung durch Dritte, oder eine Begleiterscheinung bewußter Entscheidungen ist.

- Ich bin mir nicht sicher, ob die "Fähigkeit zur bewussten Entscheidung" wirklich eine Voraussetzung für die Zuweisung von Verantwortung ist. Ich denke eher nicht. Für einfache Formen von Verantwortung reicht mE das (auch unbewußte) Wissen darüber, was die Anderen von mir erwarten.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Auch wird mir immer weniger klar, was Du gegen den im Eingangsbeitrag verlinkten Aufsatz einzuwenden hast.

Das habe ich ja ausführlich dargelegt. Burkhardt scheitert mE an dem Versuch, mittels kompatibilistischer Deutungen zu zeigen, warum sich die vergeltenden Aspekte des Strafrechts bei deterministischer Sichtweise nicht ändern müssen. Oder anders ausgedrückt, er scheitert mE daran, eine plausible Legitimation für vergeltende Strafen anzugeben.


Zuletzt bearbeitet von step am 05.09.2009, 12:28, insgesamt einmal bearbeitet

#126: Schadensersatz Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 05.09.2009, 12:27
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Ich habe oben extra versucht ..., den Schadensausgleichsaspekt von der Verursacherfrage zu trennen und letztere nur für die Ermittlung geeigneter Präventionsmaßnahmen heranzuziehen.

Du meinst wohl diesen:

step hat folgendes geschrieben:
OK, ich skizziere mal noch einen - evtl. unausgereiften - Vorschlag:

1. Der Schaden, sofern überhaupt ersetzbar, wird grundsätzlich von der Gemeinschaft getragen, z.B. in Form einer Versicherung.
2. Zusätzlich wird untersucht, welcher der Beteiligten sich in Zukunft in ähnlichen Situationen anders verhalten soll. In Deinem Fall wird das sicher A, evtl. C, und sicher nicht B sein.
3. Je nach Erfolgswahrscheinlichkeit und Verhältnismäßigkeit wird mit diesen Personen präventiv gearbeitet.
4. Ein Aspekt, um Vertrauen wiederherzustellen, kann sein, daß A sich an den Gemeinkosten für Schadensersatz und Prävention beteiligt.

zu 1.: Welche Schäden genau sollen eigentlich von der Gesellschaft ersetzt werden? Wenn ich mir zum Beispiel selber absichtlich ein Loch ins Knie bohre oder wenn ein Orkan das Dach meines Hauses wegbläst? Doch wohl kaum, also: was sind eigentlich die Kriterien hierbei?

Einziges Kriterium wäre, daß der Schaden als hinreichend schädlich angesehen wird. Also in den beiden von Dir genannten Fällen wäre das wohl der Fall.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
zu 2.: Warum? Genauer gefragt: warum nur die und warum nicht beliebige andere, die zwar nichts getan haben, von denen man aber annehmen könnte, dass sie sich in Zukunft falsch verhalten könnten?

Das wäre eine rein pragmatisch-wahrscheinlichkeitsgetriebene Entscheidung. Es wäre also tatsächlich auch denkbar, daß ein solcher Vorfall, besonders wenn er häufiger vorkommt, zum Anlaß genommen wird, über eine Änderung von Lehrplänen, über Schutzimpfungskampagnen, Rauchverbote oder über die allgemeine Gurtpflicht nachzudenken.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
zu 3.: - Was bedeutet "Verhältnismäßigkeit" in diesem Zusammenhang? Worauf bezieht sich das? Auf die konkrete Tat, deren Ablehnungswürdigkeit? Oder auf die angenommene zukünftige Gefährdung? Oder auf die Höhe des entstandenen Schadens?

Das bezieht sich auf Übelzufügung durch die Maßnahme vs. angenommene zukünftige Gefährdung.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
- Was geschieht, wenn die Person nicht zusammenarbeiten will, sich verweigert? Wird dann einfach gesagt: "dann halt nicht" und das war's?

Dann muß man wieder abwägen: mehr Übelzufügung durch die Maßnahme vs. Inkaufnahme zukünftiger Gefährdung

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
4.: Was heißt denn "kann sein"? Ist das so oder nicht oder hängt das von weitere Kriterien ab? Wenn ja: welchen?

Naja, das kann ja nur dann ein Aspekt sein,
- wenn A die dazu nötigen Mittel hat oder zukünftig aufbringen kann
- wenn es eine vermutete Korrelation zwischen den Determinanten der Tat und der Rücksichtslosigkeit gegenüber Anderen gibt (z.B. bei Betrügern)
- evl. weitere Kriterien, habe ich noch nicht im Detail darüber nachgedacht

#127:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 05.09.2009, 12:29
    —
step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Deine Distanzierung von Markowitisch finde ich wohltuend. Hier ist nochmal ein Ausschnitt eines Gesprächs mit ihm aus dem Spiegel, welches nach meiner Einschätzung überhaupt ihn und den von ihm vertretenen Standpunkt einigermaßen bekannt machten.[...]

Ich hatte außer in diesem Interview nie von ihm gehört, obwohl ich mich durchaus für das Thema interessiere und schon einiges darüber gelesen habe. Ich muß Dich aber gleich wieder enttäuschen, nachdem ich das Interview jetzt noch einmal gelesen habe. Idiotisch finde ich eigentlich nur die Vorstellung, durch einfache Hirnscans ließen sich flächendeckend Verbrechen voraussagen, sowie das auch schon von Dir erwähnte Ritalin (idZ hätte man durchaus auf Nebenwirkungen und auch Mißbrauch hinweisen können).

Aber nochmal: Ich verstehe nicht, warum Ihr Euch alle so an der Präventivmaßnahmendiskussion festbeißt, obwohl es mir primär darum geht, das vergeltende Strafrecht abzuschaffen. Anstatt bißfeste Begründungen für Haftstrafen zu liefern, werden ständig Orwell-Horrorszenarien an die Wand gemalt.

Daher jetzt zu der immer noch fehlenden Begründung für vergeltende Strafe. Schauen wir mal, was Reemtsma, Markowitsch's Gegner im o.g. Interview, dazu sagt:

Zitat:
Reemtsma: Wir strafen, um abzuschrecken und um gesellschaftliche Normen zu bestätigen. ...

Letzteres ist ja ein Euphemismus für "Vergeltung", jedenfalls wenn es nicht bei einer Bestätigung bleibt, sondern zu einer Bestrafung kommt. Und beides ist keine Begründung für jahrelange Haftstrafen. So gehen wir nichtmal mit Hunden um.

Tja, und dann noch die Idee, den Schuldbegriff (im Sinne des schlechten Gewissens) aufrechtzuhalten. Da sind sich beide einig:

Zitat:
Reemtsma: Im Übrigen wird dabei auch ein erzieherisches Strafrecht nie auf den Schuldbegriff verzichten können, schon deshalb, weil er in unserer Innenperspektive so real ist. Man wird zu einem jugendlichen Tunichtgut nicht sagen: Du fühlst dich zwar schuldig, aber tröste dich, du kannst nichts dafür, dein Hirn war's.

Markowitsch: Das sehe ich ähnlich. Schuld kann durchaus kultiviert werden. Als Gefühl hat es ja evolutionär einen Sinn.

Ich persönlich sehe das allerdings etwas radikaler, ich würde auch in der Erziehung lieber ein Gefühl kultivieren, das reflektiert an Kooperation und Hilfsbereitschaft appelliert, ohne den scheinbar einfachen und wirkmächtigen Umweg über Schuldgefühle.

Danach wird dann wieder kräftig auf das Volksbedürfnis nach Rache verwiesen:

Zitat:
Reemtsma: Dann werden Sie große Probleme bekommen, Menschen zu erklären, warum ein Raser, der ihre Familie ausgerottet hat, die gleiche Umerziehung bekommt wie einer, der bloß geblitzt wurde. Eine wichtige Einsicht in der Juristerei ist, dass das Gerechtigkeitsgefühl und die tatsächliche Rechtsprechung nicht allzu weit auseinanderdriften dürfen.

Dabei wäre die Erklärung ganz einfach und plausibel: Gleiche Behandlung, weil die Gefahr für die Zukunft die gleiche ist.

Also wieder nichts.


Zum Horrorszenario. Diese Ängste werden doch durch solcherart Vorschläge wie den Generalscann erst geschürt. Ich habe keine prinzipiellen Vorbehalte gegen in Einzelfällen begründete, und zudem der Freiwilligkeit unterliegenden präventiven Maßnahmen. Ein gutes Beispiel dafür, das ich befürworte, ist das Angebot der Charité in Berlin an Menschen mit pädophilen Neigungen, sich präventiv behandeln zu lassen, um einer Straftat vorzubeugen. Das finde ich absolut sinnvoll. Das ist freiwillig und auf begründete Einzellfälle beschränkt. Wenn Du sowas vor Augen hast, dann bin ich auf deiner Seite.

Zur Schuld. Ich finde die Verwendung dieses Begriffs im Kontext von rechtsphilosophischen Diskussionen sowieso antiquiert. Man kann nach meinem Dafürhalten darauf verzichten. Worauf wir nicht verzichten können, ist das Verantwortungs-Prinzip.

Zur Rache. Auch der Rachegedanke ist mir im Kontext dieser Diskussionen fremd. Können wir drauf verzichten.

#128: Generalprävention Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 05.09.2009, 12:29
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und, noch 'ne Frage zu einer anderen Differenz von uns, nämlich dazu, dass Du Generalprävention ablehnst.

Mal ein simples Beispiel ...: X tötet seine Schwester, weil er meint, die habe die Familienehre beschmutzt. Seine Familie hat ihn vielleicht dabei unterstützt, aber das weiß man nicht so genau, man kann es jedenfalls nicht nachweisen.

Naja, in jedem Fall haben sie ihm den kulturellen Kontext weitergegeben. Ein möglicher Ansatz für eine Maßnahme, falls die Familie noch weitere Söhne hat.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Von X geht keinerlei weitere Gefahr aus, er ist keine Bedrohung für andere, negative Spezialprävention fällt flach. Nur die Familienehre, nach seiner moralischen Auffassung leicht endgültig verloren durch weibliche unverheiratete Familienmitglieder, war wichtig. Aber er hatte nur eine Schwester, die jedoch nun tot ist.

Das sehe ich anders, X wird diese Auffassung vermutlich an seine Söhne weitergeben. Es sollte versucht werden, hier erzieherisch einzugreifen, ob nun bei X (was schwierig wird, siehe Deine Bemerkung unten), bei seinen Kindern, oder bei allen Kindern.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Positive Spezialprävention (Therapie oder dergleichen) kommt auch nicht in Frage, denn X verweigert sich in der Hinsicht. Er ist von der Rechtmäßigkeit seines Tuns überzeugt. Was schlägst Du vor?

Wenn alle spezialpräventiven Maßnahmen unmöglich sind und diese Situation mit einer gewissen Regelmäßigkeit auftritt, schlage ich vor, positive Generalprävention (heißt das so?) zu betreiben, also z.B. (nagel mich nicht auf diese Maßnahme fest, ist nur ein Beispiel) Ganztagsschulen mit spezieller Berücksichtigung der Ehre/Macho/Schlampe-Thematik.

Und Du bzw. unser heutiges Strafrecht?

PS/Edit: Übrigens ist das Beispiel keineswegs simpel, da es den Bereich divergierender Grundwerte (Kulturen) berührt. Da funktionieren viele unserer sozialen Determinations-Mechanismen nicht mehr richtig, bis hin zu scheinbar allgültigen Faustregeln wie etwa dem kategorischen Imperativ.


Zuletzt bearbeitet von step am 05.09.2009, 12:46, insgesamt einmal bearbeitet

#129:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 05.09.2009, 12:43
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Zum Horrorszenario: Diese Ängste werden doch durch solcherart Vorschläge wie den Generalscann erst geschürt.

Ja, und zwar vor allem durch Medien und Politiker, selten durch einen Forscher vielleicht. Aber wie gesagt: Mein eigentlicher Punkt war, daß präventive Maßnahmen wenigstens prinzipiell begründbar sind, vergeltende Strafe dagegen nicht (mehr).

zelig hat folgendes geschrieben:
... Zur Schuld. Ich finde die Verwendung dieses Begriffs im Kontext von rechtsphilosophischen Diskussionen sowieso antiquiert. Man kann nach meinem Dafürhalten darauf verzichten.

Burkhardt baut aber seine ganze Begründung darauf auf. Und er durchzieht nicht nur unsere Rechtssprechung, sondern auch unsere Religionen, unsere Erziehung usw.

zelig hat folgendes geschrieben:
Worauf wir nicht verzichten können, ist das Verantwortungs-Prinzip.

Das sehe ich ebenso und habe deshalb eine kompatibilistische Variante des V-Prinzips angeboten, die ohne Schuld und ohne metaphysische Wesensmerkmale auskommt.

zelig hat folgendes geschrieben:
Zur Rache. Auch der Rachegedanke ist mir im Kontext dieser Diskussionen fremd. Können wir drauf verzichten.

Im Prinzip gern. Ich benutze den Begriff "Rache" manchmal polemisch, um herauszustellen, daß der Vergeltungsaspekt im heutigen Strafrecht im Prinzip dieses archaische Bedürfnis bedient, wenn auch in einer institutionalisierten, teilweise gezähmten Form. Sowohl Reemtsmas wie auch Burkhardts Einlassungen belegen das.

Ach, und wo wir schon mal bei den pejorativen Begriffen sind: Ich werde mal drauf achten und habe dann bestimmt auch noch ein paar Vorschläge ...

#130:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 05.09.2009, 13:13
    —
step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Zum Horrorszenario: Diese Ängste werden doch durch solcherart Vorschläge wie den Generalscann erst geschürt.

Ja, und zwar vor allem durch Medien und Politiker, selten durch einen Forscher vielleicht. Aber wie gesagt: Mein eigentlicher Punkt war, daß präventive Maßnahmen wenigstens prinzipiell begründbar sind, vergeltende Strafe dagegen nicht (mehr).

zelig hat folgendes geschrieben:
... Zur Schuld. Ich finde die Verwendung dieses Begriffs im Kontext von rechtsphilosophischen Diskussionen sowieso antiquiert. Man kann nach meinem Dafürhalten darauf verzichten.

Burkhardt baut aber seine ganze Begründung darauf auf. Und er durchzieht nicht nur unsere Rechtssprechung, sondern auch unsere Religionen, unsere Erziehung usw.

zelig hat folgendes geschrieben:
Worauf wir nicht verzichten können, ist das Verantwortungs-Prinzip.

Das sehe ich ebenso und habe deshalb eine kompatibilistische Variante des V-Prinzips angeboten, die ohne Schuld und ohne metaphysische Wesensmerkmale auskommt.

zelig hat folgendes geschrieben:
Zur Rache. Auch der Rachegedanke ist mir im Kontext dieser Diskussionen fremd. Können wir drauf verzichten.

Im Prinzip gern. Ich benutze den Begriff "Rache" manchmal polemisch, um herauszustellen, daß der Vergeltungsaspekt im heutigen Strafrecht im Prinzip dieses archaische Bedürfnis bedient, wenn auch in einer institutionalisierten, teilweise gezähmten Form. Sowohl Reemtsmas wie auch Burkhardts Einlassungen belegen das.

Ach, und wo wir schon mal bei den pejorativen Begriffen sind: Ich werde mal drauf achten und habe dann bestimmt auch noch ein paar Vorschläge ...


Frage. Das von mir genannte Beispiel, hast Du solche oder so ähnliche Maßnahmen im Sinn, wenn Du darüber diskutierst? Und lehnst Du den Vorschlag Markowitschs also ab?

Damit keine Missverständnisse aufkommen. Ich verzichte nicht vollständig auf den Schuldbegriff. Sondern nur im Kontext dieser Diskussion. Auch ich halte Schuld für ein metaphysisches Konzept. Das aber hier keine Rolle spielen sollte.

#131:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 05.09.2009, 13:35
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Zum Horrorszenario: Diese Ängste werden doch durch solcherart Vorschläge wie den Generalscann erst geschürt.
Ja, und zwar vor allem durch Medien und Politiker, selten durch einen Forscher vielleicht. Aber wie gesagt: Mein eigentlicher Punkt war, daß präventive Maßnahmen wenigstens prinzipiell begründbar sind, vergeltende Strafe dagegen nicht (mehr).
Das von mir genannte Beispiel, hast Du solche oder so ähnliche Maßnahmen im Sinn, wenn Du darüber diskutierst? Und lehnst Du den Vorschlag Markowitschs also ab?

Du meinst einen allgemeinen Gehirnscan, aus dem dann irgendwelche Maßnahmen abgeleitet werden? - Das lehne ich nicht prinzipiell ab, man muß bedenken, daß es eben nicht mit einer stigmatisierenden Schuldzuweisung durch Generalverdacht oder einer sozialen Selektion verbunden wäre (obwohl wir das natürlich immer sofort assoziieren), sondern eher den Charakter einer Vorsorgeuntersuchung hätte. Ich halte es aber für wenig erfolgversprechend, weil ich meine, daß die Determinanten für zukünftige Straftaten vorerst (und evtl. sogar dauerhaft) gar nicht durch neurologische Scans erkannt werden können, außer vielleicht in ganz extremen Einzelfällen wie den genannten Tumoren.

Wenn wir also schon bei flächendeckenden Maßnahmen sind, würde ich im Moment eher für eine Verstärkung pädagogischer Bemühungen eintreten, durch die ja soziale Auffälligkeiten verminderbar und auch auffindbar sind.

#132:  Autor: L.E.N.Wohnort: Hamburg BeitragVerfasst am: 05.09.2009, 15:22
    —
step hat folgendes geschrieben:
@Skeptiker: Linkes oder rechtes Hetzblatt, macht dann auch schon keinen Unterschied mehr, gell?

- die "neurowissenschaftliche These vom „geborenen Verbrecher“" - welcher angesehene Neurowissenschaftler vertritt die, bitte Beleg. Von Roth und Singer habe ich das noch nie gelesen.

- Und wer hier im Forum vertritt die These, "dass menschliche Handlungen vom limbischen System gesteuerte Naturgeschehen sind, deren Abläufe bereits vor der Geburt determiniert sind"?

- Und wie kommt es, daß ständig von Sicherungsverwahrung geschrieben wird, als ob die Hirnforscher nichts lieber täten? Schreib Du jetzt mal konkret, was Du mit einem hochgradig wiederholungsgefährdeten Sexualstraftäter im Sozialismus machen würdest!


du weisst doch, strohmänner eignen sich besser zum abfackeln. Lachen

#133: Vorsorgeuntersuchungen Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 05.09.2009, 15:45
    —
step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Zum Horrorszenario: Diese Ängste werden doch durch solcherart Vorschläge wie den Generalscann erst geschürt.
Ja, und zwar vor allem durch Medien und Politiker, selten durch einen Forscher vielleicht. Aber wie gesagt: Mein eigentlicher Punkt war, daß präventive Maßnahmen wenigstens prinzipiell begründbar sind, vergeltende Strafe dagegen nicht (mehr).
Das von mir genannte Beispiel, hast Du solche oder so ähnliche Maßnahmen im Sinn, wenn Du darüber diskutierst? Und lehnst Du den Vorschlag Markowitschs also ab?

Du meinst einen allgemeinen Gehirnscan, aus dem dann irgendwelche Maßnahmen abgeleitet werden? - Das lehne ich nicht prinzipiell ab, man muß bedenken, daß es eben nicht mit einer stigmatisierenden Schuldzuweisung durch Generalverdacht oder einer sozialen Selektion verbunden wäre (obwohl wir das natürlich immer sofort assoziieren), sondern eher den Charakter einer Vorsorgeuntersuchung hätte.


Der war jetzt gut! Manchmal bist Du wirklich ein Komiker. Gröhl...

step hat folgendes geschrieben:
Ich halte es aber für wenig erfolgversprechend, weil ich meine, daß die Determinanten für zukünftige Straftaten vorerst (und evtl. sogar dauerhaft) gar nicht durch neurologische Scans erkannt werden können, außer vielleicht in ganz extremen Einzelfällen wie den genannten Tumoren.

Wenn wir also schon bei flächendeckenden Maßnahmen sind, würde ich im Moment eher für eine Verstärkung pädagogischer Bemühungen eintreten, durch die ja soziale Auffälligkeiten verminderbar und auch auffindbar sind.


Warum schiebst Du eigentlich alles den Menschen in die Schuhe? Um die Verhältnisse aus der Schusslinie zu nehmen und Sündenböcke zu finden? Das ist eine ganz alte Methode, die früher nur anders "begründet" wurde, z.B. mit "Biologie" oder mit "Besessenheit" oder einfach mit dem "Wesen".

Mit diesen Ansätzen kann man die sozialen Ursachen von Gewalt und Verbrechen einfach ausblenden und lässt alles so, wie es ist. Deshalb sind diese Schuldabschaffer auch durch die Bank extrem strukturkonservativ. Man lese dazu auch:

Zitat:
Es gibt eine neues unternehmensnahes Expertengremium, das Reformvorschläge für Deutschland erarbeiten soll, den „Frankfurter Zukunftsrat“. Gegründet hat es der Historiker Manfred Pohl, der früher für alle Stiftungsaktivitäten der Deutschen Bank verantwortlich war. Der Zukunftsrat soll Deutschland auf „Reformkurs“ bringen und zunächst zu folgenden drei Themen arbeiten: Erziehung und Bildung, Integration und Migration sowie Wirtschaft und Politik. „Es muss ein Ruck durch das Volk gehen“, forderte Pohl laut Medienberichten – und verweist damit auf die Ruck-Rede des ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog. Dieser ist seit 2003 die Galionsfigur des Konvents für Deutschland, den Pohl mit dem ehemaligen BDI-Präsidenten Hans-Olaf Henkel und dem Unternehmensberater Roland Berger ins Leben gerufen hatte (mehr zum Konvent weiter unten). (...)

Wer steckt hinter dem Zukunftsrat?

Neben Manfred Pohl und dem Unternehmensberater Roland Berger finden sich die üblichen Verdächtigen aus der Politik wieder:
der frühere Grüne Oswald Metzger (...), der noch SPDler Wolfgang Clement, ebenfalls Mitglied im Konvent für Deutschland und früherer INSM-Botschafter, und Friedrich Merz von der CDU, u.a. für eine große Wirtschaftskanzlei tätig und Mitglied im Förderverein der INSM.

Ebenfalls dabei ist Rudolf Scharping, der inzwischen seine eigene Beratungs- und Lobbyagentur betreibt (Rudolf Scharping Beratung Kommunikation, RSBK) und für Public Private Partnerships Lobbyarbeit macht.

Dazu kommen eine Reihe von Wissenschaftlern wie der Hirnforscher Wolf Singer, der Philosoph Peter Sloterdijk, der Arzt Dietrich Grönemeyer oder der konservative Bildungsforscher Bernhard Bueb („Das Lob der Disziplin“), Wirtschaftsvertreter und Leute aus dem Kulturbereich, die auch im Frankfurter Kultur Komitee tätig sind.


http://www.lobbycontrol.de/blog/index.php/2008/03/der-frankfurter-zukunftsrat-eine-neue-altvertraute-reforminitiative/


Das Paradigma der Zeit ist eine verstärkte politische Prävention sprich Kontrolle der Bevölkerung bis hin zu Versuchen, die politische Dispositon per Hirnscans zu ermitteln.

Zu Deiner Frage von oben:

step hat folgendes geschrieben:
@Skeptiker: Linkes oder rechtes Hetzblatt, macht dann auch schon keinen Unterschied mehr, gell?


Mir ging es um die sachlichen Infos. Gut finde ich übrigens auch die Kommentare dort:

Kommentare

step hat folgendes geschrieben:
- die "neurowissenschaftliche These vom „geborenen Verbrecher“" - welcher angesehene Neurowissenschaftler vertritt die, bitte Beleg. Von Roth und Singer habe ich das noch nie gelesen.


Der "geborene Verbrecher" ist nur eine andere Formulierung für den "determinierten Verbrecher". Die Idee dahinter ist identisch.

step hat folgendes geschrieben:
- Und wer hier im Forum vertritt die These, "dass menschliche Handlungen vom limbischen System gesteuerte Naturgeschehen sind, deren Abläufe bereits vor der Geburt determiniert sind"?


Es geht um die angebliche Determination als solche und weniger darum, wie die zustande gekommen sein soll. Im Endeffekt kommt es auf das Gleiche heraus.

Dabei liegt einer unter diversen Widersprüchen darin, dass man 1. zugibt, dass man die Determination (- von der man genau wisse, dass es sie gibt -) nicht berechnen könne, welche aber 2. trotzdem dafür herhalten muss, Individuen als Individuen zu prognistizieren und "richtig" , also konform zu "determinieren", bzw. deren Gehirn, wie Du schreibst..

step hat folgendes geschrieben:
- Und wie kommt es, daß ständig von Sicherungsverwahrung geschrieben wird, als ob die Hirnforscher nichts lieber täten? Schreib Du jetzt mal konkret, was Du mit einem hochgradig wiederholungsgefährdeten Sexualstraftäter im Sozialismus machen würdest!


Zunächst mal geht es um die Qualität einer Straftat. Ein Gewalttäter ist anders zu bewerten als ein Parksünder oder Kaufhausdieb. Je gefährlicher jemand nachgewiesenermaßen ist, desto drastischer müssen auch die Maßnahmen ausfallen zum Schutz der Menschen (oder ggf. Tiere).

In dem Bereich gibt es aber bereits ganz gute Methoden, etwa - vorbildhaft - in der Schweiz, betreffend Sexualstraftätern. Die dort angestellten Therapien sollen auch wirksam sein.

Das hängt aber davon ab, wie hoch das Aggressions- und Destruktionspotenzial von jemandem ist. Es ist also in jedem Fall zu prüfen. Aber nur verwahren kann es auch nicht sein.

Insgesamt holt sich ein moderner Sozialismus die modernsten und besten Methoden aus der alten Gesellschaft, um nicht von Null an zu beginnen. (Es sei denn es ist nötig.)

Zusammenfassend: Wirklich verbrecherische Täter werden selbstverständlich eingesperrt, kranke Täter werden therapiert sofern möglich. Das entspricht den modernsten juristischen Standards.

Skeptiker


Zuletzt bearbeitet von Skeptiker am 05.09.2009, 15:58, insgesamt einmal bearbeitet

#134: Re: Abschaffung der Justiz mit Hilfe von "Hirnforschung" und "Phy Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 05.09.2009, 15:55
    —
Sanne hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:

Quelle: F.A.Z., 09.01.2008, Nr. 7 / Seite 29
[/r


Geschockt

Danke für den Link.
Was sind denn das für Idioten? Das Gehirn alleine reicht ja wohl nicht aus, um kriminelle oder sonstige Taten zu begehen, dafür braucht man ja nun auch noch die entsprechenden Umweltbedingungen.


Völlig richtig. Aber eine neue Gattung von "Forschern" wollen ihren Reduktionismus aka Gehirnfetischismus zur Grundlage für ein "modernes" Strafrecht machen.

Sanne hat folgendes geschrieben:
Und ich bezweifle, daß ein Neurologe anhand eines Gehirnscans sämtliche Umweltbedingungen voraussehen kann. Und erst recht nicht bei den Gehirnen von Kleinkindern oder Ungeborenen: Da müßte man sämtliche Umstände und Umweltbedingungen voraussagen, unter welchen sich das Gehirn erstmal entwickeln wird, bis es überhaupt in dem Alter ist, eine kriminelle Tat zu begehen.

Die Annahme, menschliches Verhalten sei determiniert, ist von der Behauptung, man könne exakte Vorhersagen über das Verhalten eines bestimmten Menschen in ferner Zukunft treffen, logischerweise eigentlich ein paar Galaxien weit entfernt, weil man eben für exakte Vorhersagen unendlich viele Informationen benötigt.


Dabei ist es bekannt, dass die soziale Prävention die mit Abstand wirksamste und wissenschaftlich am besten begründete Methode ist, die man auch politisch umsetzen könnte, wenn man das nur wollte ...-!

Skeptiker

#135: Re: Vorsorgeuntersuchungen Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 05.09.2009, 16:18
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Warum schiebst Du eigentlich alles den Menschen in die Schuhe?

So ein Unsinn, in meinem Weltbild spielten die Einflüsse des Umfelds (seien sie nun genetisch, sozial oder sonstwie) schon immer eine in Summe viel größere Rolle als der Freie Wille und die aktuelle persönliche Absicht. Und erinnerst Du Dich noch, wer von uns beiden hier gegen das Konzept der persönlichen Schuld antritt, und wer im Gegensatz dazu ständig Menschen beschuldigt, wenn auch natürlich nur ganz bestimmte?

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
... Zukunftsrat ...

Was hat mein Strafrechtsthema damit zu tun? Mach doch nen neuen thread auf zum Thema "Die sinistren Ziele des Zukunftsrats".

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
- die "neurowissenschaftliche These vom „geborenen Verbrecher“" - welcher angesehene Neurowissenschaftler vertritt die, bitte Beleg. Von Roth und Singer habe ich das noch nie gelesen.
Der "geborene Verbrecher" ist nur eine andere Formulierung für den "determinierten Verbrecher". Die Idee dahinter ist identisch.

So ein Quatsch - "determiniert" umfaßt auch gesellschaftliche Einflüsse, Erziehung, Hirntumoren, usw. - der Vorwurf ist also unhaltbar.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
- Und wer hier im Forum vertritt die These, "dass menschliche Handlungen vom limbischen System gesteuerte Naturgeschehen sind, deren Abläufe bereits vor der Geburt determiniert sind"?
Es geht um die angebliche Determination als solche und weniger darum, wie die zustande gekommen sein soll. Im Endeffekt kommt es auf das Gleiche heraus.

Auch diese Beahuptung ist also unhalbar. Nein, derartige Falschdarstellungen und haltlose Übertreibungen sind bei diesem sensiblem Thema unangebracht. Ich würde fast sagen, Du bist überhaupt nicht geeignet, um ein solches Thema zu diskutieren.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Dabei liegt einer unter diversen Widersprüchen darin, dass man 1. zugibt, dass man die Determination (- von der man genau wisse, dass es sie gibt -) nicht berechnen könne, welche aber 2. trotzdem dafür herhalten muss, Individuen als Individuen zu prognistizieren und "richtig" , also konform zu "determinieren", bzw. deren Gehirn, wie Du schreibst..

Ich sehe da keinen WIderspruch. Analoges macht man jetzt auch schon, z.B. in der Erziehung, Psychotherapie oder Werbung. Nur mit anderen Mitteln. Und (teilweise!) zu anderen Zwecken

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
- Und wie kommt es, daß ständig von Sicherungsverwahrung geschrieben wird, als ob die Hirnforscher nichts lieber täten? Schreib Du jetzt mal konkret, was Du mit einem hochgradig wiederholungsgefährdeten Sexualstraftäter im Sozialismus machen würdest!
Zunächst mal geht es um die Qualität einer Straftat. Ein Gewalttäter ist anders zu bewerten als ein Parksünder oder Kaufhausdieb. Je gefährlicher jemand nachgewiesenermaßen ist, desto drastischer müssen auch die Maßnahmen ausfallen zum Schutz der Menschen (oder ggf. Tiere). In dem Bereich gibt es aber bereits ganz gute Methoden, etwa - vorbildhaft - in der Schweiz, betreffend Sexualstraftätern. Die dort angestellten Therapien sollen auch wirksam sein. Das hängt aber davon ab, wie hoch das Aggressions- und Destruktionspotenzial von jemandem ist. Es ist also in jedem Fall zu prüfen. Aber nur verwahren kann es auch nicht sein. ... Zusammenfassend: Wirklich verbrecherische Täter werden selbstverständlich eingesperrt, kranke Täter werden therapiert sofern möglich. Das entspricht den modernsten juristischen Standards.

Schön. Dazu zwei Fragen:
- Wie willst Du die Gefährlichkeit "nachweisen", da sie sich doch immer auf die Zukunft bezieht?
- Wo habe ich drastischere Maßnahmen gefordert?

#136:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 06.09.2009, 00:02
    —
@step

Fassen wir mal zusammen.

Wenn ich richtig verstehe, kann es Deiner Auffassung nach in einer determinierten Welt nicht das geben, was man normalerweise unter moralischer Verantwortung versteht. Du möchtest zwar das Wort an sich beibehalten, möchtest aber die Bedeutung ungefähr so ändern:

"Verantwortung = Zuschreibung von Rechten aufgrund einer Erwartungshaltung zukünftigen Verhaltens. Daraus folgt kein Anspruch auf Rechtfertigung vergangenen Verhaltens, (denn eine solche kann es dAn in einem Determinismus nicht geben, ist daher überflüssig, bzw. nur die Frage: "wie kam es faktisch dazu?" - die Klärung der reinen Umstände insofern sie eventuell für Zukünftiges eine Bedeutung haben können - ergibt noch Sinn, nicht mehr die Frage: "wie stehst Du zu Deiner Handlung, warum hast Du das getan, obwohl Du wusstest, dass das falsch war, wie bewertest Du das?"); daraus folgt jedoch das Recht für die Gesellschaft, bei Fehlverhalten Rechte zu entziehen, der Sicherheit wegen."

Und wenn ich richtig verstehe, lehnst Du auch Schadensersatz im üblichen Sinne, (persönliche Verpflichtung zur Ersetzung eines entstandenen Schadens bei schuldhaftem - d.i. absichtliches und willentliches, nicht unter Zwang geschehenem - Verhalten), in einer determinierten Welt ab. Das ist natürlich konsequent, denn wenn man dabei nicht unterscheiden will zwischen absichtlichen und unabsichtlichen Handlungen, (bzw. lediglich insofern, als man eventuell die Absicht im konkreten Falle als Zukunftsprognose bezüglich der künftigen Gefährlichkeit einschätzt), dann kann man auch keinen persönlichen Vorwurf wegen bewussten Fehlverhaltens mehr erheben, auf dem eine Schadensersatzforderung heute beruht.

Nur Deine Aussage: "Naja, das [jemand soll Schadensersatz bezahlen] kann ja nur dann ein Aspekt sein, [...] wenn es eine vermutete Korrelation zwischen den Determinanten der Tat und der Rücksichtslosigkeit gegenüber Anderen gibt (z.B. bei Betrügern)" passt jetzt noch nicht so richtig dazu. Dein Grund dafür: "das kann Vertrauen herstellen" wäre mE nur bei freiweilliger Zahlung evtl. plausibel, nicht bei einer zwangsweiser. Naja, man könnte jedoch mE berechtigterweise anzweifeln, ob bei einer hypothetischen zukünftigen allgemeinen Meinung, niemand könnte etwas für seine Handlungen, weil die determiniert seien, das tatsächlich Vertrauen herstellen könnte. Aber diesen letzten Einwand nur nebenbei; und ich finde Deine Ansicht, die Gesellschaft solle unbesehen für alle "hinreichend schädlichen" Schäden aufkommen, übrigens erst mal ziemlich fragwürdig. Aber das ist wohl ein anderer Thread.

Conclusio wäre jetzt für mich, dass Du Schadensersatz im üblichen Sinne ablehnst, Deine Punkte haben damit mE nichts mehr zu tun. Das solltest Du auch fürderhin so sagen. Was ja auch, wie gesagt, konsequent bei deiner Ansicht ist, denn eine Schadensersatzverpflichtung wird ja auch heute nur bei vorwerfbarem Verhalten als gerechtfertigt angesehen, wenn es also keine Vorwerfbarkeit mehr gibt, dann folgerichtigerweise auch keine Schadensersatzpflicht mehr.

Eine Sache mal zwischendurch, die mich hier an der Diskussion ein bisschen stört: es gibt sehr verschiedene Ausprägungen von "Prävention", die man nicht alle einfach in einen Topf schmeißen sollte. Es sollte doch hoffentlich evident sein, dass primäre Prävention (Sanierung von Slums, sexuelle Aufklärung, Drogenprävention etc.) etwas anderes ist als bestimmte Arten von tertiärer Prävention (Strafen, Entziehung des Sorgerechtes, Maßnahmen der Sicherung und Besserung etc.) denn Letztere sind Einschränkungen von persönlichen Rechten / Übelzufügungen, Erstere nicht. Es ist mE ziemlich unredlich, so zu tun, als ob dennoch Beides gleich zu bewerten sei, nur weil es gleichermaßen "Prävention" heißt.

Jetzt mal zu meinem Beispiel mit dem Kapitalverbrechen (X tötet seine Schwester wegen einer von ihm gesehenen Beschmutzung der Familienehre).

Wenn ich richtig verstehe, würdest Du folgendermaßen vorgehen: es soll geprüft werden, ob die Familie verpflichtet werden kann, an einem Aufklärungskurs über die hiesigen Moralvorstellungen teilzunehmen. Obgleich nichts Konkretes hinreichend nachgewiesen werden kann. Was ist mit anderen Familien aus vergleichbaren kulturellen Kontexten, vielleicht aus dem selben Dorf? Sollten die auch solchen Maßnahmen unterworfen werden dürfen?

Dann soll bei X erzieherisch eingegriffen werden und auch bei seinen Kindern (zwangsweise oder freiwillig)?

Und dann sollten eventuell noch primäre präventive Maßnahmen ergriffen werden (wenn sich solche Fälle häufen).

Du fragst, wie ich und wie unser heutiges Strafrecht diesen Fall bewerten würde und wie vorgegangen werden sollte. Zum Strafrecht kann ich jetzt nichts sagen, da bin ich nicht kompetent. Das sollte wohl besser ein Jurist machen.

Aber meine Einschätzung als Otto Normalbürger kann ich natürlich geben: die Handlung von X geschah absichtlich und willentlich. Sie war geplant und geschah nicht im Affekt. X kannte, wie er selber zugab, die Unrechtmäßigkeit seines Handeln. Dass er sich selber im Recht wähnte, ist daher unerheblich. Es kann von jedem freien Bürger erwartet werden, sich an die geltenden Gesetze zu halten. Selbstjustiz ist nicht zulässig und kann nicht geduldet werden. Die Tat ist somit X persönlich vorwerfbar, da alle Voraussetzungen dafür gegeben sind, Entschuldigungsgründe sind nicht ersichtlich und wurden nicht vorgetragen. Daher ist er des Mordes schuldig. Er wird zu einer Gefängnisstrafe im Rahmen des Gesetzes verurteilt. Eine Aussetzung der Strafe kommt aufgrund der Höhe der Schuld nicht in Frage, sie wäre ein Signal an andere mit derselben moralischen Auffassung und auch an potentielle Opfer, dass diese Art Verbrechen hier geduldet würde. Der Familie von X konnte eine Tatbeteiligung nicht nachgewiesen werden. Sie kann daher nicht belangt werden.

#137: Re: Vorsorgeuntersuchungen Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 06.09.2009, 00:27
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step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Warum schiebst Du eigentlich alles den Menschen in die Schuhe?

So ein Unsinn, in meinem Weltbild spielten die Einflüsse des Umfelds (seien sie nun genetisch, sozial oder sonstwie) schon immer eine in Summe viel größere Rolle als der Freie Wille und die aktuelle persönliche Absicht. Und erinnerst Du Dich noch, wer von uns beiden hier gegen das Konzept der persönlichen Schuld antritt, und wer im Gegensatz dazu ständig Menschen beschuldigt, wenn auch natürlich nur ganz bestimmte?


Du hattest oben irgendwas in Richtung Eugenik gesagt. Schon vergessen?

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
... Zukunftsrat ...

Was hat mein Strafrechtsthema damit zu tun? Mach doch nen neuen thread auf zum Thema "Die sinistren Ziele des Zukunftsrats".


Hirnforscher Singer ist als wichtiger Repräsentant der "neuen Philosophie" des unfreien Willens Mitglied einer politischen Agentur zur rücksichtslosen Durchsetzung von Kapitalinteressen. Wo bitte schön bleiben da die Interessen des Humanum?

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
- die "neurowissenschaftliche These vom „geborenen Verbrecher“" - welcher angesehene Neurowissenschaftler vertritt die, bitte Beleg. Von Roth und Singer habe ich das noch nie gelesen.
Der "geborene Verbrecher" ist nur eine andere Formulierung für den "determinierten Verbrecher". Die Idee dahinter ist identisch.

So ein Quatsch - "determiniert" umfaßt auch gesellschaftliche Einflüsse, Erziehung, Hirntumoren, usw. - der Vorwurf ist also unhaltbar.


Jedes zweite Wort von Dir ist "Quatsch". Wenn Du "gesellschaftliche Einflüsse" so wichtig findest, wieso hast Du noch nie eine Silbe von sozialer Prävention verloren und sprichst statt dessen von Genen und Gehirnen und anderen rein biologischen Faktoren?

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
- Und wer hier im Forum vertritt die These, "dass menschliche Handlungen vom limbischen System gesteuerte Naturgeschehen sind, deren Abläufe bereits vor der Geburt determiniert sind"?
Es geht um die angebliche Determination als solche und weniger darum, wie die zustande gekommen sein soll. Im Endeffekt kommt es auf das Gleiche heraus.

Auch diese Beahuptung ist also unhalbar. Nein, derartige Falschdarstellungen und haltlose Übertreibungen sind bei diesem sensiblem Thema unangebracht. Ich würde fast sagen, Du bist überhaupt nicht geeignet, um ein solches Thema zu diskutieren.


Das hättest Du sicher gerne, dass man Dich nicht beim Wort nimmt. Warum weichst Du ständig aus vor Deinen eigenen Aussagen?

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Dabei liegt einer unter diversen Widersprüchen darin, dass man 1. zugibt, dass man die Determination (- von der man genau wisse, dass es sie gibt -) nicht berechnen könne, welche aber 2. trotzdem dafür herhalten muss, Individuen als Individuen zu prognistizieren und "richtig" , also konform zu "determinieren", bzw. deren Gehirn, wie Du schreibst..

Ich sehe da keinen WIderspruch. Analoges macht man jetzt auch schon, z.B. in der Erziehung, Psychotherapie oder Werbung. Nur mit anderen Mitteln. Und (teilweise!) zu anderen Zwecken


Du siehst da keinen Widerspruch? Ich würde sagen, es ist ein gefährlicher Widerspruch, der durch die Begriffe "Anmaßung" bis "Größenwahn" zu bezeichnen wäre. Nicht umsonst sprach ich vom "großen Determinator".

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
- Und wie kommt es, daß ständig von Sicherungsverwahrung geschrieben wird, als ob die Hirnforscher nichts lieber täten? Schreib Du jetzt mal konkret, was Du mit einem hochgradig wiederholungsgefährdeten Sexualstraftäter im Sozialismus machen würdest!
Zunächst mal geht es um die Qualität einer Straftat. Ein Gewalttäter ist anders zu bewerten als ein Parksünder oder Kaufhausdieb. Je gefährlicher jemand nachgewiesenermaßen ist, desto drastischer müssen auch die Maßnahmen ausfallen zum Schutz der Menschen (oder ggf. Tiere). In dem Bereich gibt es aber bereits ganz gute Methoden, etwa - vorbildhaft - in der Schweiz, betreffend Sexualstraftätern. Die dort angestellten Therapien sollen auch wirksam sein. Das hängt aber davon ab, wie hoch das Aggressions- und Destruktionspotenzial von jemandem ist. Es ist also in jedem Fall zu prüfen. Aber nur verwahren kann es auch nicht sein. ... Zusammenfassend: Wirklich verbrecherische Täter werden selbstverständlich eingesperrt, kranke Täter werden therapiert sofern möglich. Das entspricht den modernsten juristischen Standards.

Schön. Dazu zwei Fragen:
- Wie willst Du die Gefährlichkeit "nachweisen", da sie sich doch immer auf die Zukunft bezieht?
- Wo habe ich drastischere Maßnahmen gefordert?


Die Gefährlichkeit zeigte sich in der Vergangenheit. Bei kranken Tätern geht es darum, diese Vergangenheit zuerst aufzuarbeiten, bevor man in die Zukunft guckt. Dies erfordert ein aktives Mitwirken des Straftäters und ist nicht mit einem "Scan" des Therapeuten zu machen.

Die Maßnahmen, die angewendet werden, müssen zum Fall passen und den modernsten juristischen Erkenntnissen angemessen sein. Die sogenannte "Hirnforschung" bietet zwar moderne technische Verfahren, ist aber von der Philosophie ihrer Vertreter her mittelalterlich.

Skeptiker

#138:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 06.09.2009, 09:37
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@AP, ich kommentiere mal in Deinem Text:

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wenn ich richtig verstehe, kann es Deiner Auffassung nach in einer determinierten Welt nicht das geben, was man normalerweise unter moralischer Verantwortung versteht. Du möchtest zwar das Wort an sich beibehalten, möchtest aber die Bedeutung ungefähr so ändern:

"Verantwortung = Zuschreibung von Rechten [step: und Pflichten] aufgrund einer Erwartungshaltung zukünftigen Verhaltens. Daraus folgt kein Anspruch auf Rechtfertigung vergangenen Verhaltens, (denn eine solche kann es dAn in einem Determinismus nicht geben, ist daher überflüssig, bzw. nur die Frage: "wie kam es faktisch dazu?" - die Klärung der reinen Umstände insofern sie eventuell für Zukünftiges eine Bedeutung haben können - ergibt noch Sinn, nicht mehr die Frage: "wie stehst Du zu Deiner Handlung, warum hast Du das getan, obwohl Du wusstest, dass das falsch war, wie bewertest Du das?") [step: doch, auch die Frage nach den subjektiven Motiven macht noch Sinn, wenn sie dem Verständnis der Determinanten und Ansatzpunkte für die Zukunft dient]; daraus folgt jedoch das Recht für die Gesellschaft, bei Fehlverhalten Rechte zu entziehen, der Sicherheit wegen." [step: Dieses Recht folgt nicht daraus, sondern aus der Maxime der Minimierung des Gesamtübels für die Zukunft.]


AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und wenn ich richtig verstehe, lehnst Du auch Schadensersatz im üblichen Sinne, (persönliche Verpflichtung zur Ersetzung eines entstandenen Schadens bei schuldhaftem - d.i. absichtliches und willentliches, nicht unter Zwang geschehenem - Verhalten), in einer determinierten Welt ab. [step: Ja, wobeil ich hier selbst die Schwierigkeit sehe, wie man etwa bei vertraglichen Situationen damit umgehen sollte.] Das ist natürlich konsequent, denn wenn man dabei nicht unterscheiden will zwischen absichtlichen und unabsichtlichen Handlungen, (bzw. lediglich insofern, als man eventuell die Absicht im konkreten Falle als Zukunftsprognose bezüglich der künftigen Gefährlichkeit einschätzt), dann kann man auch keinen persönlichen Vorwurf wegen bewussten Fehlverhaltens mehr erheben, auf dem eine Schadensersatzforderung heute beruht.

Nur Deine Aussage: "Naja, das [jemand soll Schadensersatz bezahlen] kann ja nur dann ein Aspekt sein, [...] wenn es eine vermutete Korrelation zwischen den Determinanten der Tat und der Rücksichtslosigkeit gegenüber Anderen gibt (z.B. bei Betrügern)" passt jetzt noch nicht so richtig dazu. Dein Grund dafür: "das kann Vertrauen herstellen" wäre mE nur bei freiweilliger Zahlung evtl. plausibel, nicht bei einer zwangsweiser. [step: Ja, genau.] Naja, man könnte jedoch mE berechtigterweise anzweifeln, ob bei einer hypothetischen zukünftigen allgemeinen Meinung, niemand könnte etwas für seine Handlungen, weil die determiniert seien, das tatsächlich Vertrauen herstellen könnte. [step: Du kannst statt "Vertrauen gewinnen" auch "Hinweis auf geänderte Präferenzen erhalten" einsetzen.] Aber diesen letzten Einwand nur nebenbei; und ich finde Deine Ansicht, die Gesellschaft solle unbesehen für alle "hinreichend schädlichen" Schäden aufkommen, übrigens erst mal ziemlich fragwürdig. Aber das ist wohl ein anderer Thread. [step: Ja. Aber Du solltest Dir abgewöhnen, in einer scheinbar ergebnisoffen geführten Diskussion immer wieder kleine Übertreibungen, Schlechtmacher usw. einzufügen, z.B. "unbesehen", "unterworfen".]

Conclusio wäre jetzt für mich, dass Du Schadensersatz im üblichen Sinne ablehnst, Deine Punkte haben damit mE nichts mehr zu tun. Das solltest Du auch fürderhin so sagen. [step: Damit habe ich, auch bei Dir, schon schlechte Erfahrung gemacht. Wenn ich schreibe, ich lehne Schadensersatz ab, kommt sofort jemand und unterstellt mir, ich würde die Opfer hängen lassen!] Was ja auch, wie gesagt, konsequent bei deiner Ansicht ist, denn eine Schadensersatzverpflichtung wird ja auch heute nur bei vorwerfbarem Verhalten als gerechtfertigt angesehen, wenn es also keine Vorwerfbarkeit mehr gibt, dann folgerichtigerweise auch keine Schadensersatzpflicht mehr. [step: Genau.]


AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Eine Sache mal zwischendurch, die mich hier an der Diskussion ein bisschen stört: es gibt sehr verschiedene Ausprägungen von "Prävention", die man nicht alle einfach in einen Topf schmeißen sollte. Es sollte doch hoffentlich evident sein, dass primäre Prävention (Sanierung von Slums, sexuelle Aufklärung, Drogenprävention etc.) etwas anderes ist als bestimmte Arten von tertiärer Prävention (Strafen, Entziehung des Sorgerechtes, Maßnahmen der Sicherung und Besserung etc.) denn Letztere sind Einschränkungen von persönlichen Rechten / Übelzufügungen, Erstere nicht. Es ist mE ziemlich unredlich, so zu tun, als ob dennoch Beides gleich zu bewerten sei, nur weil es gleichermaßen "Prävention" heißt. [step: Unredlich finde ich es nicht, da es doch hier um Begründungen geht und alle diese Präventionsarten letztlich dieselbe, zukunftsgerichtete Begründung haben. Sie unterscheiden sich in bezug auf das Maß der individuellen Übelzufügung (da appelliere ich immer an die Verhältnismäßigkeit) und in bezug auf die Identität von Präventionsziel vs. Präventionsobjekt. Wenn diese Unterschiede relevant sind für die Begründung, dann kann und muß man sie natürlich auch ansprechen. Umgekehrt empfinde ich es als unredlich, wenn ich den Begriff Prävention verwende und mir sofort unterstellt wird, ich wolle alle Kinder gehirnscannen und danach in Sicherheitsverwahrung sperren.]


AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Jetzt mal zu meinem Beispiel mit dem Kapitalverbrechen (X tötet seine Schwester wegen einer von ihm gesehenen Beschmutzung der Familienehre).

Wenn ich richtig verstehe, würdest Du folgendermaßen vorgehen: es soll geprüft werden, ob die Familie verpflichtet werden kann, an einem Aufklärungskurs über die hiesigen Moralvorstellungen teilzunehmen. Obgleich nichts Konkretes hinreichend nachgewiesen werden kann. Was ist mit anderen Familien aus vergleichbaren kulturellen Kontexten, vielleicht aus dem selben Dorf? Sollten die auch solchen Maßnahmen unterworfen werden dürfen? [step: Wie ich bereits schrieb, muß abgewogen werden zwischen Kosten, Nutzen und Übelzufügung. Macht eine Schulung überhaupt Sinn? Ist das Problem so verbreitet, daß man flächendeckend etwas unternehmen muß?]

Dann soll bei X erzieherisch eingegriffen werden und auch bei seinen Kindern (zwangsweise oder freiwillig)? [step: Bei den Kindern im Rahmen der Primärpravention. Du selbst hast mal geschrieben, daß bei Kindererzeihung Freiwilligkeit kein Thema sei, weil der Zwang für alle gelte und Kinder sowieso unmündig seien. Ich sehe das zwar anders, aber für hier sollte es reichen, daß dies im Rahmen von Integrations- und Schulmaßnahmen für alle stattfinden sollte. Und Eingriffe bei X hattest Du selbst bereits durch die Startbedingungen (nützt nichts) ausgeschlossen.]

Und dann sollten eventuell noch primäre präventive Maßnahmen ergriffen werden (wenn sich solche Fälle häufen). [step: Genau.]


AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... Aber meine Einschätzung als Otto Normalbürger kann ich natürlich geben: die Handlung von X geschah absichtlich und willentlich. Sie war geplant und geschah nicht im Affekt. X kannte, wie er selber zugab, die Unrechtmäßigkeit seines Handeln. Dass er sich selber im Recht wähnte, ist daher unerheblich. Es kann von jedem freien Bürger erwartet werden, sich an die geltenden Gesetze zu halten. Selbstjustiz ist nicht zulässig und kann nicht geduldet werden. Die Tat ist somit X persönlich vorwerfbar, da alle Voraussetzungen dafür gegeben sind, Entschuldigungsgründe sind nicht ersichtlich und wurden nicht vorgetragen. Daher ist er des Mordes schuldig. Er wird zu einer Gefängnisstrafe im Rahmen des Gesetzes verurteilt.

Es spielt demnach für Dich keine Rolle, daß er "mit dieser Schande nicht leben konnte" (z.B. weil er so erzogen wurde), sondern es zählt nur, daß er wußte, daß es verboten war. Und da ist unser Dissens, ich finde das eine - ethsich gesehen - schlechte Begründung, bzw. gar keine.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Eine Aussetzung der Strafe kommt aufgrund der Höhe der Schuld nicht in Frage, sie wäre ein Signal an andere mit derselben moralischen Auffassung und auch an potentielle Opfer, dass diese Art Verbrechen hier geduldet würde.

Auch das kann ich als ethische Begründung nicht nachvollziehen, auch wenn glaube, daß die meisten Leute tatsächlich so empfinden, aufgrund ihres Bedürfnisses nach "Heimzahlung". Warum muß der soziale Tadel eine ansonsten völlig nutzlose lange Haftstrafe beinhalten? Wären verstärkte Präventionsbemühungen nicht ein ebensogutes Signal, daß wir dieses Verhalten nicht wünschen?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Der Familie von X konnte eine Tatbeteiligung nicht nachgewiesen werden. Sie kann daher nicht belangt werden.

Sie kann nicht betstraft werden.

Interessanterweise äußerst Du Dich überhaupt nicht dazu, wie Du in diesem Fall die Prävention (deren verschiedene Arten) siehst. Handelt es sich um ein flächendeckendes Problem oder reicht Dir die harte Bestrafung des Einzeltäters X? Wo sollte man eingreifen, bei der Erziehung? Oder immer warten, bis man wieder einen bestrafen kann?

#139: Re: Vorsorgeuntersuchungen Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 06.09.2009, 09:48
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Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Warum schiebst Du eigentlich alles den Menschen in die Schuhe?
So ein Unsinn, in meinem Weltbild spielten die Einflüsse des Umfelds (seien sie nun genetisch, sozial oder sonstwie) schon immer eine in Summe viel größere Rolle als der Freie Wille und die aktuelle persönliche Absicht. Und erinnerst Du Dich noch, wer von uns beiden hier gegen das Konzept der persönlichen Schuld antritt, und wer im Gegensatz dazu ständig Menschen beschuldigt, wenn auch natürlich nur ganz bestimmte?
Du hattest oben irgendwas in Richtung Eugenik gesagt. Schon vergessen?

Du meinst meine Frage, ob der Sozialist zur Änderung der gesellschaftlichen Zustände und der Errichtung der klassenlosen Gesellschaft auch bereit wäre, das menschliche Genom zu verändern, gesetzt das wäre technisch machbar und würde den Menschen weniger kapitalistisch machen? Was hat das mit meiner persönlichen Meinung zur primären sozialen Prävention zu tun?

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Wenn Du "gesellschaftliche Einflüsse" so wichtig findest, wieso hast Du noch nie eine Silbe von sozialer Prävention verloren und sprichst statt dessen von Genen und Gehirnen und anderen rein biologischen Faktoren?

Ich vermute deshalb, weil wir uns in diesem thread (AP, Burkhardt, zelig, ich ...) bei der primären sozialen Prävention alle prinzipiell einig sind. Gestritten wird hier ja über die Legitimation vegeltender Strafe durch persönliche Schuld.

Wie siehst Du das eigentlich? Ein Verbrecher (jetzt mal egal aus welcher Klasse), der eine Tat absichtlich beging: Schuld und Sühne? Oder nur Arbeiten an den (gesellschaftlichen und sonstigen) Umständen?

#140: Re: Vorsorgeuntersuchungen Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 06.09.2009, 12:59
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step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Warum schiebst Du eigentlich alles den Menschen in die Schuhe?
So ein Unsinn, in meinem Weltbild spielten die Einflüsse des Umfelds (seien sie nun genetisch, sozial oder sonstwie) schon immer eine in Summe viel größere Rolle als der Freie Wille und die aktuelle persönliche Absicht. Und erinnerst Du Dich noch, wer von uns beiden hier gegen das Konzept der persönlichen Schuld antritt, und wer im Gegensatz dazu ständig Menschen beschuldigt, wenn auch natürlich nur ganz bestimmte?
Du hattest oben irgendwas in Richtung Eugenik gesagt. Schon vergessen?

Du meinst meine Frage, ob der Sozialist zur Änderung der gesellschaftlichen Zustände und der Errichtung der klassenlosen Gesellschaft auch bereit wäre, das menschliche Genom zu verändern, gesetzt das wäre technisch machbar und würde den Menschen weniger kapitalistisch machen?


Das mit den Kommunisten hast Du ja nachgeschoben zuerst fragtest Du:

step hat folgendes geschrieben:
Hab nicht den gesamten thread gelesen, aber wude schon diskutiert, ob es zur Veränderung der herrschenden Verhältnisse und Verbesserung des Menschen auch legitim wäre, an seiner genetischen Disposition zu arbeiten, gesetzt den Fall das wäre technisch möglich?


Die "genetische Disposition" - sofern man sich mal darauf einlässt - wäre nicht hinreichend, um die meisten & wesentlichen Verbrechen zu erklären. Auch ist es keine "genetische Disposition", die den Menschen zu einem Kapitalisten oder Kapitalistenanhänger macht, ganz sicher nicht.

Dabei denkst Du aber wahrscheinlich an den "neuen Menschen", wie ihn sich Trotzky und Lenin vorstellen. Nun, dann hängst Du der üblichen bürgerlichen Vulgarisierung dieses Wortes an:

Zitat:
Um dort eine sozialistische Gesellschaft zu errichten, sah Trotzki zwei Hebel. Zum einen galt es, die Revolution in den entwickelten Ländern Europas voranzutreiben, um Sowjetrußland aus der Isolation zu befreien. Innerhalb des Landes war gleichzeitig die Hebung des kulturellen Niveaus, eine Kulturrevolution, notwendig, um die Massen zu aktiven Trägern des sozialistischen Aufbaus zu machen.

Dieses in den ersten Jahren der Sowjetmacht von Trotzki und den Bolschewiki vertretene Konzept von der Schaffung des »neuen Menschen« unterschied sich gewaltig von der »Umgestaltung des Menschen«, wie sie in den 30er Jahren unter Stalin propagiert wurde. Dabei wendet sich Trotzki sowohl gegen diejenigen Utopisten, die vertreten, daß sich als Voraussetzung für den Sozialismus zuerst die egoistische Psyche des Menschen ändern müsse, wie auch gegen das später unter Stalin praktizierte Modell einer Erziehungsdiktatur durch die »Schreckensgestalt des Gebieters mit dem großen Knüttel«.

Trotzkis Schlußfolgerung lautete im Sinne der Marxschen Erkenntnis, wonach das gesellschaftliche Sein das Bewußtsein bestimmt, daß die Schaffung sozialistischer Lebensbedingungen die Voraussetzung einer sozialistischen Psychologie des Menschen ist. »Die Entwicklung der Produktivkräfte ist kein Selbstzweck. Nicht zuletzt benötigen wir sie, um eine Persönlichkeit heranzubilden, einen bewußten Menschen, der keinen Herren auf der Erde über sich hat und keinen Herren, aus der Furcht geboren, im Himmel; einen Menschen, der alles Schöne und Gute, das die verflossenen Jahrhunderte schufen, in sich aufnimmt, der solidarisch mit allen anderen vorwärts schreitet, neue kulturelle Kostbarkeiten schafft, neue persönliche Beziehungen anknüpft und die bestehenden in der Familie neu orientiert, höhere, vornehmere als die, die auf dem Boden der Versklavung der Klassen entstanden sind.«


http://www.nikolaus-brauns.de/Der_neue_Mensch_Trotzki_Moral_Alltagsleben.htm


Demnach ist es Ausdruck von Wahnsinn, wenn man meint, man könne, um die Gesellschaft zu verbessern (- hier: von Verbrechen zu befreien -), ihre Gehirne konformer determinieren oder die berüchtigten Menschenzuchtsfantasien von der Leine lassen.

Ohne grundlegende gesellschaftliche Veränderungen wird man immer der "Kriminalitätsbekämpfung" hinterherhecheln.

Und deshalb ist die Betonung auf Verhaltensprävention einerseits folgererichtig beim bürgerlichen Individuum, andererseits auch dazu da, um den blinden Fleck der großenteils in dieser Maximalprofit-Gesellschaft grundsätzlich unmöglichen Verhältnisprävention zu übertünchen.

Deshalb schallt der Ruf nach den großen Erziehern, den großen Züchtern oder dem großen Determinator durch die hohlen Gänge wie mittelalterliche Klostergesänge.

step hat folgendes geschrieben:
Was hat das mit meiner persönlichen Meinung zur primären sozialen Prävention zu tun?


Wie sieht die nochmal aus?

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Wenn Du "gesellschaftliche Einflüsse" so wichtig findest, wieso hast Du noch nie eine Silbe von sozialer Prävention verloren und sprichst statt dessen von Genen und Gehirnen und anderen rein biologischen Faktoren?

Ich vermute deshalb, weil wir uns in diesem thread (AP, Burkhardt, zelig, ich ...) bei der primären sozialen Prävention alle prinzipiell einig sind. Gestritten wird hier ja über die Legitimation vegeltender Strafe durch persönliche Schuld.


Ich will's mal so sagen: Eine echte soziale Prävention hätte, wenn man sie zuvor betrieben hätte, so manches Unglück verhindern können. Deshalb reicht es nicht, zu sagen: Jetzt vergessen wir die Vergangenheit, jetzt blicken wir nur in die Zukunft. Denn die Wurzeln der Kriminalität bleiben.

Und um an die Wurzeln zu kommen, bleibt einem nichts übrig, als radikal zu sein. (radix=Wurzel)

Alles andere bleibt Ersatz. Die Justiz kann nicht aufräumen, was der Kapitalismus an Scherben immer wieder neu produziert.

step hat folgendes geschrieben:
Wie siehst Du das eigentlich? Ein Verbrecher (jetzt mal egal aus welcher Klasse), der eine Tat absichtlich beging: Schuld und Sühne? Oder nur Arbeiten an den (gesellschaftlichen und sonstigen) Umständen?


Also erstens Analyse der gesamten Ursachen und systematische Erforschung vom Einzelfall verallgemeinernd. Darauf hin Erhebung der entsprechenden politischen Forderungen, die aber sehr teuer sein würden für alle Staaten, die sich darauf einließen.

Beim Verbrecher würde ich gucken, wo sind erklärende, mildernde Umstände, etwa Krankheit oder Stress oder Affekthandlung, so wie das moderne Richter und Gesetze auch vorsehen, wenn auch in ewas vergröberter Weise.

Ansonsten finde ich es schon wichtig, schwere Verbrechen nicht mit Lapalien gleichzusetzen. Deshalb müssen die Strafen auch unterschiedlich und angemessen sein.

Die Strafe als Androhung kann nur wirken, wenn das Individuum auch in der Lage ist, sich diese Androhung zu Herzen zu nehmen. Da müsste man vielleicht etwas mehr Fantasie einsetzen, um die Androhung der Strafe im Bewusstsein der Menschen besser zur Wirkung kommen zu lassen, was vielleicht auch die Arten der Strafen betrifft, welche da angedroht werden. Damit meine ich nicht einfach die Schwere der Strafe, sondern die Unannehmlichkeit im Bewusstsein der Betreffenden je nach Handeln, so dass eine innerliche Abwägung eher präventiv wirkt als es oft der Fall ist. Aber das ist Aufgabe der Abschreckungsforschung. Ich habe den Eindruck, die dort tätigen Leute besitzen nicht besonders viel Fantasie, sondern kennen nur 1 und 0.

Weiter entwickeln können sich die Individuen nur, wenn sich die Gesellschaft weiter entwickelt in Richtung sozialer, demokratischer und atheistischer Gesellschaft. Dann erst können Pädagogik und Justiz ihre Aufgaben erfolgreich und sinnvoll ausüben.

Skeptiker

#141: Re: Vorsorgeuntersuchungen Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 06.09.2009, 13:15
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Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wie siehst Du das eigentlich? Ein Verbrecher (jetzt mal egal aus welcher Klasse), der eine Tat absichtlich beging: Schuld und Sühne? Oder nur Arbeiten an den (gesellschaftlichen und sonstigen) Umständen?
Also erstens Analyse der gesamten Ursachen und systematische Erforschung vom Einzelfall verallgemeinernd. Darauf hin Erhebung der entsprechenden politischen Forderungen, die aber sehr teuer sein würden für alle Staaten, die sich darauf einließen.

Verstehe ich das richtig, Du würdest jedes Verbrechen zu einem internationalen Politikum machen? Geschockt

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Beim Verbrecher würde ich gucken, wo sind erklärende, mildernde Umstände, etwa Krankheit oder Stress oder Affekthandlung, so wie das moderne Richter und Gesetze auch vorsehen, wenn auch in ewas vergröberter Weise. Ansonsten finde ich es schon wichtig, schwere Verbrechen nicht mit Lapalien gleichzusetzen. Deshalb müssen die Strafen auch unterschiedlich und angemessen sein. ...

Jetzt mal konkret, an AP's Beipsiel (Ehrenmord): Soll X wegen Mordes zu einer langen Haftstrafe verknackt werden oder nicht? Und welche präventiven Maßnahmen sollen getroffen werden?

#142:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 06.09.2009, 18:24
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step hat folgendes geschrieben:
Umgekehrt empfinde ich es als unredlich, wenn ich den Begriff Prävention verwende und mir sofort unterstellt wird, ich wolle alle Kinder gehirnscannen und danach in Sicherheitsverwahrung sperren.

In Ordnung, einverstanden. Schmeißen wir also beide nicht mehr alle Arten von Prävention in einen Topf. Folgende Aussage möchte erst mal noch zurückweisen, bevor ich ein bisschen zusammenfasse und Allgemeineres zum Thema sage, denn so habe ich das nicht gesagt:

step hat folgendes geschrieben:
Du selbst hast mal geschrieben, daß bei Kindererzeihung Freiwilligkeit kein Thema sei, weil der Zwang für alle gelte und Kinder sowieso unmündig seien.

Nun mal die zusammenfassenden Anmerkungen:

Ich habe ganz grundsätzliche Einwände gegen Dein Modell, gegen Dein Menschenbild. Die noch nicht einmal etwas damit zu tun haben müssen, ob es durch die Annahme eines Determinismus hinreichend begründet werden kann, (das kann es mE nicht), meine Einwände gehen noch tiefer. Ich halte die Ansicht, Menschen könnten nichts für ihre Handlungen und daher seien sie ihnen auch nicht zurechenbar, für in sich widersprüchlich.

Betrachten wir erst einmal die Konsequenzen dessen: das hieße nicht nur, dass die Begriffe "Schuld", "Strafe", "Schadensersatz" und "moralische Verantwortung" fallen gelassen werden müssten, wie schon besprochen, es bedeutete auch, dass der Begriff "Recht" insgesamt sinnlos würde, Verträge z.B. hätten keine Grundlage mehr. Es ergäbe noch nicht mal mehr Sinn, von einer "Normverletzung" zu reden. Es gäbe auch keine "moralisch / ethisch richtige / falsche" Handlungen mehr. All dies erfordert nämlich die Annahme von rationalen Wesen, die in der Lage dazu sind, eigenverantwortlich zu handeln, d.h. ihre Handlungen bestimmen und zu diesen stehen zu können, d.h. sie nicht lediglich als unbeeinflussbare Ereignisse zu sehen, die ihnen einfach nur zustoßen. Selbst der Begriff "Handlung" in seiner heutigen Bedeutung wäre hinfällig.

Es ist meiner Ansicht nach gar nicht möglich, andere Menschen immer von einem objektiven Standpunkt aus zu betrachten und zu behandeln, so wie man das zum Beispiel gegenüber ganz kleinen Kindern oder gegenüber stark geistig behinderten Menschen oder gegenüber Junkies tut, so man sie für nicht hinreichend selbststeuerungsfähig ansieht. Jedenfalls dann nicht, wenn man auf gleichberechtigte Beziehungen zu anderen Menschen Wert legt. Und man kann mE einen solchen objektiven Standpunkt sich selbst gegenüber nur dann konsistent einnehmen, wenn man Fatalist ist. Weil man sich dann selber als ohnmächtigen Homunkulus sieht, als reinen äußeren Beobachter des Weltgeschehens, als Zuschauer im Film seines Lebens.

Die grundlegenden Fehler in Deinem Modell sind nun Folgende: a) wenn niemand eigenverantwortlich handeln kann, wenn man ihnen also ihre Handlungen nie zuordnen kann, dann kannst Du das für Dich auch nicht tun und daher kommst Du mE aufgrund dessen in arge Argumentationsnöte und b) berücksichtigst Du überhaupt nicht den Wandel in den allgemeinen Einstellungen, der entstehen würde, wenn Dein Modell als gültig akzeptiert werden würde. Du argumentierst teilweise, als ob die heutige Annahme des eigenverantwortlichen Menschen weiter bestehen würde, aber das wäre ja nicht der Fall.

Das Postulat der Möglichkeit eigenverantwortlichen Handels ist mAn schlicht eine grundnotwendige Annahme in einer freiheitlichen Gesellschaft, denn darauf beruht das gesamte Recht. Und es kann mE konsistent auch nicht bestritten werden, denn dabei verheddert man sich unweigerlich in unauflösbare Selbstwidersprüche.

Der einzige Ausweg aus diesem grundlegenden Dilemma wäre vielleicht eine Abschwächung insofern, als dass man sagen würde, man selber habe einen besseren Durchblick als andere, man selber könne selbstbestimmt handeln, aber zum Beispiel Kriminelle könnten das generell nicht, nur die seien falsch entwickelt. Aber das erschiene nun mE auf den ersten Blick nun auch nicht so besonders einleuchtend.

#143:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 06.09.2009, 19:11
    —
Ich habe das mal gesplittet, damit das oben nicht zu lang wird und weil das zwei unterschiedliche Themen sind.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... Aber meine Einschätzung als Otto Normalbürger kann ich natürlich geben: die Handlung von X geschah absichtlich und willentlich. Sie war geplant und geschah nicht im Affekt. X kannte, wie er selber zugab, die Unrechtmäßigkeit seines Handeln. Dass er sich selber im Recht wähnte, ist daher unerheblich. Es kann von jedem freien Bürger erwartet werden, sich an die geltenden Gesetze zu halten. Selbstjustiz ist nicht zulässig und kann nicht geduldet werden. Die Tat ist somit X persönlich vorwerfbar, da alle Voraussetzungen dafür gegeben sind, Entschuldigungsgründe sind nicht ersichtlich und wurden nicht vorgetragen. Daher ist er des Mordes schuldig. Er wird zu einer Gefängnisstrafe im Rahmen des Gesetzes verurteilt.

Es spielt demnach für Dich keine Rolle, daß er "mit dieser Schande nicht leben konnte" (z.B. weil er so erzogen wurde), sondern es zählt nur, daß er wußte, daß es verboten war.

Doch, das spielt schon eine Rolle. Die Anforderung an ihn, sich an die geltenden Gesetze zu halten, ist sicher höher als an jemanden, der das entsprechende Gesetz bzw. die zugehörige moralische Einstellung eh als richtig ansieht und daher gar nicht erst einen solchen Gesetzesbruch erwägen würde. Aber dennoch kann es mAn von einem freien Bürger erwartet werden, sich an die Gesetze zu halten. Ein entschuldigender Faktor kann es mAn nicht sein, dass das Gesetz einfach nicht akzeptiert wird. Aus Freiheit ergeben sich nicht nur Rechte, es ergeben sich auch Pflichten daraus. ("Pflicht" wäre in Deiner Sicht wohl ebenfalls ein hinfälliger Begriff).

step hat folgendes geschrieben:
Und da ist unser Dissens, ich finde das eine - ethsich gesehen - schlechte Begründung, bzw. gar keine.

Ja, natürlich nicht, das unterscheidet uns eben.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Eine Aussetzung der Strafe kommt aufgrund der Höhe der Schuld nicht in Frage, sie wäre ein Signal an andere mit derselben moralischen Auffassung und auch an potentielle Opfer, dass diese Art Verbrechen hier geduldet würde.

Auch das kann ich als ethische Begründung nicht nachvollziehen, auch wenn glaube, daß die meisten Leute tatsächlich so empfinden, aufgrund ihres Bedürfnisses nach "Heimzahlung". Warum muß der soziale Tadel eine ansonsten völlig nutzlose lange Haftstrafe beinhalten? Wären verstärkte Präventionsbemühungen nicht ein ebensogutes Signal, daß wir dieses Verhalten nicht wünschen?

Nein, ich denke nicht. Es geht dabei auch um die Höhe des sozialen Tadels, d.h. um die Einordnung der Schwere des moralischen Fehlverhaltens.

"Sozialer Tadel" wäre noch ein Begriff, der in Deinem Modell entfallen würde.

Und ob die Haftstrafe nutzlos ist, sehe ich erst mal als strittig an.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Der Familie von X konnte eine Tatbeteiligung nicht nachgewiesen werden. Sie kann daher nicht belangt werden.

[...] Interessanterweise äußerst Du Dich überhaupt nicht dazu, wie Du in diesem Fall die Prävention (deren verschiedene Arten) siehst. Handelt es sich um ein flächendeckendes Problem oder reicht Dir die harte Bestrafung des Einzeltäters X? Wo sollte man eingreifen, bei der Erziehung? Oder immer warten, bis man wieder einen bestrafen kann?

Jegliche Prävention, die nicht in Grundrechte eingreift, ist mE zu begrüßen. Da gibt es sicher einige Möglichkeiten, über die man verstärkt nachdenken sollte. Zelig nannte ja z.B. oben das Beispiel des kostenlosen Angebotes der Therapie der Charité.

#144: Re: Vorsorgeuntersuchungen Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 06.09.2009, 19:23
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step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wie siehst Du das eigentlich? Ein Verbrecher (jetzt mal egal aus welcher Klasse), der eine Tat absichtlich beging: Schuld und Sühne? Oder nur Arbeiten an den (gesellschaftlichen und sonstigen) Umständen?
Also erstens Analyse der gesamten Ursachen und systematische Erforschung vom Einzelfall verallgemeinernd. Darauf hin Erhebung der entsprechenden politischen Forderungen, die aber sehr teuer sein würden für alle Staaten, die sich darauf einließen.

Verstehe ich das richtig, Du würdest jedes Verbrechen zu einem internationalen Politikum machen? Geschockt


Es wird doch heute ohnehin schon jeder 10000 Meilen entfernte Terroranschlag zu einem Politikum in der ganzen westlichen Sphäre gemacht, was u.a. den berüchtigten (und teuren) "Krieg gegen Terror" rechtfertigen soll, welcher auch als Vorwand für den Abbau diverser Grundrechte benutzt wird.

Ich will nur, dass die gesellschaftlich verursachten und periodisch auftretenden Verbrechen - ob das Gewaltverbrechen sind oder Kapitalverbrechen - die so typisch sind für die bürgerliche westliche Welt, nicht nur in der kleinen Provinz als jeweiliges unzusammenhängendes Einzelereignis abgehandelt, weggeschlossen oder gar "fehldeterminierten Gehirnen" in die nicht vorhandenen Schuhe geschoben werden, sondern zu politischen und institutionellen Veränderungen all dieser Gesellschaften führen, die sich gewaschen haben!

Als Beispiel nenne ich mal die kriminellen Spekulationsgeschäfte oder auch die Amokläufe, welche untrennbar mit dieser derzeitigen Gesellschaftsstruktur zusammen hängen.

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Beim Verbrecher würde ich gucken, wo sind erklärende, mildernde Umstände, etwa Krankheit oder Stress oder Affekthandlung, so wie das moderne Richter und Gesetze auch vorsehen, wenn auch in ewas vergröberter Weise. Ansonsten finde ich es schon wichtig, schwere Verbrechen nicht mit Lapalien gleichzusetzen. Deshalb müssen die Strafen auch unterschiedlich und angemessen sein. ...

Jetzt mal konkret, an AP's Beipsiel (Ehrenmord): Soll X wegen Mordes zu einer langen Haftstrafe verknackt werden oder nicht? Und welche präventiven Maßnahmen sollen getroffen werden?


So ein Ehrenmord ist ein Verbrechen, gegen das jeder zivile Staat Abschreckungsmittel errichten sollte, ähnlich wie gegen Morde an Ausländern. Es sollte ganz laut und ganz klar für jedermanns Ohren deutlich gemacht werden: Wenn Du so etwas tust, dann werden wir Dir die Ohren so lang ziehen wie noch nie in Denem Leben. Du wirst nicht so einfach davon kommen.

Das sollte einen Einfluss auf die Entscheidung haben, so etwas zu tun.

Des weiteren und grundsätzlicher brauchen wir auf der Welt endlich die Beseitigung rückständiger Ideologien und Kulturen, welche aber wiederum auf der Basis unterentwickelter Ökonomien und Mileus wachsen. Zivile Entwicklungspolitik, das Einreissen der ökonomischen Mauern zwischen Industrie-, Schwellen- und Armutsländern ist die materielle Grundlage für eine nachhaltige Änderung des Bewusstseins, so wie man es in Aserbeidschan oder Kaschstan durch die Sowjetunion sieht. In diesen Regionen kommt so etwas wie "Ehrenmord" nicht mehr vor. Die Religion ist dort genau so unbedeutend geworden wie in Ostdeutschland - zumindest bis dato.

Was die präventiven Maßnahmen nach einem Mord betrifft, so könnten sie sich natürlich auch nur auf Mord beziehen und nicht auf Schwarzfahren oder Steuerhinterziehung. Im übrigen nennt sich das Resozialisierung. Diese kann u.U. gewährt werden. Aber ohne Abschreckung geht es nicht in dieser Gesellschaft hier.

Eventuell könnte man auch solche Gestalten wie Merkel oder Ackermann resozialisieren.

In einer fortschrittlicheren Gesellschaft sollten eine Art Gechworenengerichte samt guten Psychologen über den jeweiligen Einzelfall entscheiden.

Skeptiker


Zuletzt bearbeitet von Skeptiker am 07.09.2009, 08:40, insgesamt 3-mal bearbeitet

#145: step: und Pflichten Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 07.09.2009, 08:31
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Doch, das spielt schon eine Rolle. Die Anforderung an ihn, sich an die geltenden Gesetze zu halten, ist sicher höher als an jemanden, der das entsprechende Gesetz bzw. die zugehörige moralische Einstellung eh als richtig ansieht und daher gar nicht erst einen solchen Gesetzesbruch erwägen würde. Aber dennoch kann es mAn von einem freien Bürger erwartet werden, sich an die Gesetze zu halten. Ein entschuldigender Faktor kann es mAn nicht sein, dass das Gesetz einfach nicht akzeptiert wird. Aus Freiheit ergeben sich nicht nur Rechte, es ergeben sich auch Pflichten daraus. ("Pflicht" wäre in Deiner Sicht wohl ebenfalls ein hinfälliger Begriff).


Nein, AgentProvocateur, da täuscht Du Dich. step ist es in erster Linie an Pflichten des Individuums gelegen. Allerdings wohl weniger gegenüber anderen Individuen und ihren Menschenrechten, sondern mehr gegenüber dem Staat oder einer abstrakt verstandenen Gesellschaft:

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
"Verantwortung = Zuschreibung von Rechten [step: und Pflichten] aufgrund einer Erwartungshaltung zukünftigen Verhaltens.


Und das ist ein klassisches statement der politisch Konservativen, dass sie immer dann, wenn von (Menschen-)Rechten die Rede ist, mit ihren Pflichten (- des Individuums gegenüber dem Staat -) angewedelt kommen. Stichwort: "Konformität".

Ansonsten finde ich Deine Ausführungen interessant und zum großen Teil richtig.

edit: Das ist so ähnlich wie im Christentum, wo der Mensch keine Schuld gegenüber seinen Mitmenschen sondern nur Verantwortung gegenüber "Gott" hat.

Alles läuft auf einen amoralischen Staat hinaus, der sich in die Kumpanei mit Verbrechern begibt und ihnen feuchtfröhlich und augenzwinkernd schon vorab Amnestie zusichert. Da wird ein bewusster Mord mit Schwarzfahren in der U-Bahn gleichgestellt und somit zu einem Kavaliersdelikt. Man könnte auch sagen, das wäre ein echt christlicher Staat ...- zwinkern

Skeptiker

#146:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 07.09.2009, 12:47
    —
@AP: Ich denke, außer Deinem Gundvorwurf (siehe nächster Beitrag) ist nicht mehr viel offen. Bei der Prävention sind wir uns in vielen Teilen einig, und neue Begründungen für vergeltende Strafen gab es auch nicht.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... Aber dennoch kann es mAn von einem freien Bürger erwartet werden, sich an die Gesetze zu halten. ... Aus Freiheit ergeben sich nicht nur Rechte, es ergeben sich auch Pflichten daraus. ("Pflicht" wäre in Deiner Sicht wohl ebenfalls ein hinfälliger Begriff)

In meinem Modell ergeben sich die Rechte und Pflichten ebenfalls, wenn auch nicht aus der Freiheit, sondern aus der Zuweisung durch die Anderen, ähnlich wie auch die Verantwortung. Bei mir ergibt sich allerdings - mangels Schuld - aus eine Pflichtverletzung keine Sühne oder vergeltende Strafe.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
"Sozialer Tadel" wäre noch ein Begriff, der in Deinem Modell entfallen würde.

Nein, wie schon geschrieben. Es wäre auch in meinem Modell wichtig, dem Individuum und den Dreitten zu signalisieren, welches Verhalten moralisch unerwünscht ist.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Jegliche Prävention, die nicht in Grundrechte eingreift, ist mE zu begrüßen. Da gibt es sicher einige Möglichkeiten, über die man verstärkt nachdenken sollte. Zelig nannte ja z.B. oben das Beispiel des kostenlosen Angebotes der Therapie der Charité.

Da sind wir uns einig. Aber jetzt konkret im Fall X: Sollte die Gesellschaft auf die Erziehung von Kindern aus Ehrenmordkulturen (oder kleinen Nazis, oder Fundamentalistenkindern) einwirken, die noch nichts verbrochen haben, auch wenn damit gewisse Grundrechte, z.B. der Eltern, eingeschränkt wären?

#147:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 07.09.2009, 13:17
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... das hieße nicht nur, dass die Begriffe "Schuld", "Strafe", "Schadensersatz" und "moralische Verantwortung" fallen gelassen werden müssten, wie schon besprochen, ...

"moralische Verantwortung" gäbe es weiterhin, wie schon besprochen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... es bedeutete auch, dass der Begriff "Recht" insgesamt sinnlos würde, Verträge z.B. hätten keine Grundlage mehr.

Verträge würden genauso funktionieren wie bisher, nur der Umgang mit Vertragsbrechern wäre ein anderer. Die Grundlage von Verträgen wäre die Prognose (und letztlich die Häufigkeit der Tatsache), daß die Partner verläßlich sind.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Es ergäbe noch nicht mal mehr Sinn, von einer "Normverletzung" zu reden. Es gäbe auch keine "moralisch / ethisch richtige / falsche" Handlungen mehr.

Jetzt übertreibst Du aber, das hatten wir auch schon mehfach: Eine "Normverletzung" liegt effektiv vor, wenn eine Person gegen eine Norm verstößt.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
All dies erfordert nämlich die Annahme von rationalen Wesen, die in der Lage dazu sind, eigenverantwortlich zu handeln, d.h. ihre Handlungen bestimmen und zu diesen stehen zu können, d.h. sie nicht lediglich als unbeeinflussbare Ereignisse zu sehen, die ihnen einfach nur zustoßen. Selbst der Begriff "Handlung" in seiner heutigen Bedeutung wäre hinfällig.

Naja, er würde entschlackt um seinen ehemals letztverursachenden Kontext (den der Kompatibilist ja angeblich sowieso schon überwunden hat). "Individuelle Handlung" als wesentlich lokal umgesetzt, präferente Entscheidung würde bleiben.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... Die grundlegenden Fehler in Deinem Modell sind nun Folgende: a) wenn niemand eigenverantwortlich handeln kann, wenn man ihnen also ihre Handlungen nie zuordnen kann, dann kannst Du das für Dich auch nicht tun und daher kommst Du mE aufgrund dessen in arge Argumentationsnöte ...

Sehe nicht, wo ich da in Nöte komme, die nicht bereits Deine Sicht voraussetzen. Ich benötige ja nur die Zuweisung wesentlicher Teile einer Kausalkette zu funktionalen Instanzen, etwa für die Prävention und auch für den ethischen Diskurs. Zum Beispiel ist es in meinem Modell durchaus wichtig, daß eine präferenzbasierte Entscheidung mit den individuellen Präferenzen zu tun hat. Nicht weil diese nicht durch die Umwelt determiniert wären, sondern weil sie den zentralen Ansatztpunkt (für Lob/Tadel, für Forschung, für Prävention usw.) darstellen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... und b) berücksichtigst Du überhaupt nicht den Wandel in den allgemeinen Einstellungen, der entstehen würde, wenn Dein Modell als gültig akzeptiert werden würde. Du argumentierst teilweise, als ob die heutige Annahme des eigenverantwortlichen Menschen weiter bestehen würde, aber das wäre ja nicht der Fall.

Du argumentierst, also ob Mein Modell dazu führen würde, daß viele Menschen Verbrecher und Fatalisten würden, aber das wäre ja nicht der Fall.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Das Postulat der Möglichkeit eigenverantwortlichen Handels ist mAn schlicht eine grundnotwendige Annahme in einer freiheitlichen Gesellschaft, denn darauf beruht das gesamte Recht.

Glaube ich nicht, daß das grundnotwendig ist, auch wenn das heutige Recht wohl tatsächlich auf der Annahme des "hätte-auch anders-handeln-können" (FW), der Wesenswürde und anderen Anachronismen beruht. Und zwar glaube ich das deshalb nicht, weil es mE ausreichen würde, wenn die Menschen ein hinreichend aufgeklärtes Selbstbild haben und ein bißchen "guten Willen", also Kooperationsbereitschaft und Empathie, mitbringen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Der einzige Ausweg ... wäre vielleicht eine Abschwächung insofern, als dass man sagen würde, man selber habe einen besseren Durchblick als andere, man selber könne selbstbestimmt handeln, aber zum Beispiel Kriminelle könnten das generell nicht, nur die seien falsch entwickelt. Aber das erschiene nun mE auf den ersten Blick nun auch nicht so besonders einleuchtend.

Das wäre für mich nicht akzeptbel.

#148: Re: step: und Pflichten Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 07.09.2009, 13:28
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Skeptiker an AP hat folgendes geschrieben:
step ist es in erster Linie an Pflichten des Individuums gelegen.

Was soll ich dazu noch sagen? Warum verleumdest Du mich ständig?

Skeptiker an AP hat folgendes geschrieben:
Allerdings wohl weniger gegenüber anderen Individuen und ihren Menschenrechten, sondern mehr gegenüber dem Staat oder einer abstrakt verstandenen Gesellschaft:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
"Verantwortung = Zuschreibung von Rechten [step: und Pflichten] aufgrund einer Erwartungshaltung zukünftigen Verhaltens.

Also um den Staat geht es hier offensichtlich schon mal nicht, sondern um eine beliebige, von mir aus auch eine klassenlose, Gesellschaft oder soziale Gruppe. Und die agiert auch nur als Abstraktum, in Wirklichkeit aber repräsentiert sie (in der Ethik) die Interessen jedes "anoymen Dritten". Und so gelten die Rechte und Pflichten letztlich immer Individuen gegenüber, auch wenn die Gesellschaft (und je nach System mglw. durch den Staat) dies schützt und garantiert, wiederum im Auftrag der Mehrheit der Individuen.

Skeptiker an AP hat folgendes geschrieben:
Und das ist ein klassisches statement der politisch Konservativen, dass sie immer dann, wenn von (Menschen-)Rechten die Rede ist, mit ihren Pflichten (- des Individuums gegenüber dem Staat -) angewedelt kommen. Stichwort: "Konformität".... Das ist so ähnlich wie im Christentum ... Alles läuft auf einen amoralischen Staat hinaus, der sich in die Kumpanei mit Verbrechern begibt und ihnen feuchtfröhlich ...

Du bist ja völlig fixiert und merkbefreit ...

#149:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 07.09.2009, 16:37
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step hat folgendes geschrieben:
"moralische Verantwortung" gäbe es weiterhin, wie schon besprochen. [...] Verträge würden genauso funktionieren wie bisher, nur der Umgang mit Vertragsbrechern wäre ein anderer. Die Grundlage von Verträgen wäre die Prognose (und letztlich die Häufigkeit der Tatsache), daß die Partner verläßlich sind.
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Es ergäbe noch nicht mal mehr Sinn, von einer "Normverletzung" zu reden. Es gäbe auch keine "moralisch / ethisch richtige / falsche" Handlungen mehr.

Jetzt übertreibst Du aber, das hatten wir auch schon mehfach: Eine "Normverletzung" liegt effektiv vor, wenn eine Person gegen eine Norm verstößt.

Nein, ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nicht übertreibe. All dies wäre mE die notwendige Konsequenz aus der Ansicht, Menschen könnten ihre Handlungen nicht kontrollieren und deswegen seien sie ihnen nicht persönlich zurechenbar.

Nehmen wir, um das näher zu betrachten, einfach nochmal eines meiner Beispiele von oben: A schubst B absichtlich auf C, C wird verletzt. B beging keine Normverletzung, weil es nicht eine von ihm kontrollierte Handlung war. Darin sind wir uns sicher einig.

Aber in Deiner Sicht beging A ja auch keine Normverletzung, er konnte ja ebenfalls nichts für seine Handlung, (so wie niemand). Und wenn dem so ist, dann ergibt es einfach keinen Sinn mehr, ihn dafür zu tadeln. Oder jemand anderen für etwas zu loben.

Alles geschieht dann nur noch, wie es eben geschieht. Dann bleibt nur noch, zu schauen, ob zukünftige Schäden verhindert bzw. vermindert werden können. Und dennoch entstandene Schäden durch Zahlungen der Gesellschaft zu mindern, so wie es Dein Vorschlag war, aber an jemanden, der nichts kontrollieren kann, überhaupt noch moralische Forderungen zu stellen, wird einfach sinnlos. Man kann versuchen, ihn zu "programmieren", das ja, aber das ist etwas ganz anderes als unser normales heutiges soziales Miteinander. Und Tadel und Lob wäre einfach hinfällig, wenn sich Menschen selber nur als reine Beobachter von sich selber ansähen. Dann könnten sie Lob und Tadel nicht akzeptieren, so wie es B oben nicht akzeptieren würde, wenn man ihn tadelte.

Und Deine Begriffe von "Verantwortung", "Recht" und "Pflicht" haben sich ganz entscheidend zu der heutigen Bedeutung geändert, sie sind mE ihrer Grundbedeutung entkleidet und sollten dann nicht mehr verwendet werden. Die Begriffe kann man dann gleichermaßen auf jedes Tier anwenden. Nehmen wir mal als Beispiel einen Fuchs.

Füchse wären nach Deinem Begriff dafür verantwortlich, Menschen nicht zu beißen. Sie hätten die Pflicht, das nicht zu tun. Sie hätten das Recht, frei im Wald herumzulaufen. Tun sie es doch (edit: das Beißen), dann entzieht man ihnen ihre Verantwortung, man kann einen Vertrag mit dem Fuchs abschließen: all dies kann ich nun einfach so sagen, wenn ich Deine Begriffe verwende. Aber ich finde das absurd, das hat gar nichts mehr mit den ursprünglichen Begriffen zu tun.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... und b) berücksichtigst Du überhaupt nicht den Wandel in den allgemeinen Einstellungen, der entstehen würde, wenn Dein Modell als gültig akzeptiert werden würde. Du argumentierst teilweise, als ob die heutige Annahme des eigenverantwortlichen Menschen weiter bestehen würde, aber das wäre ja nicht der Fall.

Du argumentierst, also ob Mein Modell dazu führen würde, daß viele Menschen Verbrecher und Fatalisten würden, aber das wäre ja nicht der Fall.

Nein, so argumentiere ich nicht.

Ich argumentiere so wie oben gesagt. Meiner Ansicht nach ist es einfach für unseren Umgang miteinander unerlässlich, uns gegenseitig als rationale, selbstbestimmt handelnde Wesen anzusehen. Was genau passieren würde, wenn Menschen glaubten, sie seien nur ohnmächtige Zuschauer im Film ihres Lebens, nur ein kleines Männchen in ihrem Kopf ohne Handlungsmöglichkeit, weiß ich nicht im Einzelnen.

Ich bin mir aber ziemlich sicher, wie oben schon gesagt, dass moralische Forderungen, Lob, Tadel usw. dann ins Leere laufen würden.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Das Postulat der Möglichkeit eigenverantwortlichen Handels ist mAn schlicht eine grundnotwendige Annahme in einer freiheitlichen Gesellschaft, denn darauf beruht das gesamte Recht.

Glaube ich nicht, daß das grundnotwendig ist, auch wenn das heutige Recht wohl tatsächlich auf der Annahme des "hätte-auch anders-handeln-können" (FW), der Wesenswürde und anderen Anachronismen beruht. Und zwar glaube ich das deshalb nicht, weil es mE ausreichen würde, wenn die Menschen ein hinreichend aufgeklärtes Selbstbild haben und ein bißchen "guten Willen", also Kooperationsbereitschaft und Empathie, mitbringen.

Was ist aber ein "hinreichend aufgeklärtes Selbstbild"? Dass alles für den Einzelnen unbeeinflussbar abläuft wie ein Uhrwerk, dass der Einzelne völlig ohnmächtig dem nur zuschauen kann, dass das Gefühl, man selber oder andere sei/en insofern moralisch verantwortlich für sein/ihr Tun, als dass man es sich/ihnen auch zurechnen kann, nur eine Illusion sei?

#150:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 07.09.2009, 18:09
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
A schubst B absichtlich auf C, C wird verletzt. B beging keine Normverletzung, weil es nicht eine von ihm kontrollierte Handlung war. Darin sind wir uns sicher einig.

Jawohl.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Aber in Deiner Sicht beging A ja auch keine Normverletzung, ...

Doch, er entscheidet zwar determiniert, aber "falsch" - also in diesem Fall wissentlich unerwünscht, daher Normverletzung.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... Und wenn dem so ist, dann ergibt es einfach keinen Sinn mehr, ihn dafür zu tadeln. Oder jemand anderen für etwas zu loben. ... Und Tadel und Lob wäre einfach hinfällig, wenn sich Menschen selber nur als reine Beobachter von sich selber ansähen. Dann könnten sie Lob und Tadel nicht akzeptieren, so wie es B oben nicht akzeptieren würde, wenn man ihn tadelte.

Der Sinn von Lob/Tadel besteht dann (idealisiert betrachtet) einzig darin, verstärkend oder verhindernd determinierenden Einfluß zu nehmen. Der Mensch (und zwar nicht dessen kompatibilistisches Zerrbild) würde sich in der Tat mehr als bisher als Beobachter seiner selbst ansehen, aber nicht nur, denn er weiß, daß er von Entscheidungen betroffen ist, die "in" ihm ablaufen. Er kann (und muß mE sogar) seine Entscheidungsfunktionen (Präferenzen usw.) hinterfragen und ggf. beeinflussen, angestoßen (determiniert) u.a. von sozial kommunizierten Erwartungen. Moral als Agent der Anderen im Individuum. Warum sollte dieses Modell dem Menschen nicht stimmig und würdig erscheinen, wenn er mal ein paar narzisstische Fehlschlüsse überwunden hat?

Warum akzeptieren eigentlich die Menschen im heutigen Verantwortungsmodell Tadel und Lob?
- weil Tadel mit Gefängnisstrafen verbunden ist?
- weil sie an die freie Wahl glauben?
- ...?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und Deine Begriffe von "Verantwortung", "Recht" und "Pflicht" haben sich ganz entscheidend zu der heutigen Bedeutung geändert, sie sind mE ihrer Grundbedeutung entkleidet und sollten dann nicht mehr verwendet werden. Die Begriffe kann man dann gleichermaßen auf jedes Tier anwenden. Nehmen wir mal als Beispiel einen Fuchs. Füchse wären nach Deinem Begriff dafür verantwortlich, Menschen nicht zu beißen.

Nein, denn Verantwortung bedeutet in meinem Modell wie schon oft geschrieben, von einem Mitglied einer sozialen Gruppe moralisch konformes Verhalten zu erwarten. Erwarten bedeutet hier natürlich nicht nur wünschen, sondern auch für wahrscheinlich halten. Da ich von dem Fuchs nicht erwarte, daß er die Nichtbeißnorm versteht, geschweige denn hinreichend wahrscheinlich ist, daß seine Präferenzen konform determiniert sind, und ich auch nicht erwarten kann, daß er seine Präferenzen ändert, z.B. weil er mich als empathisches Mitwesen hinreichend gut simulieren kann, weise ich ihm idZ keine Verantwortung zu.

Übigens war das nicht immer und überall so. Tieren wurde auch Verantwortung, ja sogar Schuld zugewiesen, und sie wurden bestraft.

Interessant übrigens idZ, wie Leute mit Haustieren, insb. Hunden umgehen. Sind sie einemal "erzogen" und einigermaßen berechenbar, neigen viele Leute intuitiv dazu, ihnen eine Personalität bis hin zu Verantwortung und Schuld zuzuweisen, auch wenn sie im Recht wie Sachen behandelt werden.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Was genau passieren würde, wenn Menschen glaubten, sie seien nur ohnmächtige Zuschauer im Film ihres Lebens, nur ein kleines Männchen in ihrem Kopf ohne Handlungsmöglichkeit, weiß ich nicht im Einzelnen.

Das ist doch schon wieder ein Strohmann. Das kleine autonome Männchen entspricht ja eher der klassisch-libertätren FW-Sichtweise, in meinem Modell würde sich niemand als kleines Männchen im Kopf ansehen, und auch nicht als ohnmächtig, sondern als determinierter (und von außen und innen determinierbarer) Entscheider, als lernendes Expertensystem, das temporär Teile von sich selbst beobachten und analysieren kann.

#151: Re: step: und Pflichten Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 07.09.2009, 19:40
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step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker an AP hat folgendes geschrieben:
Und das ist ein klassisches statement der politisch Konservativen, dass sie immer dann, wenn von (Menschen-)Rechten die Rede ist, mit ihren Pflichten (- des Individuums gegenüber dem Staat -) angewedelt kommen. Stichwort: "Konformität".... Das ist so ähnlich wie im Christentum ... Alles läuft auf einen amoralischen Staat hinaus, der sich in die Kumpanei mit Verbrechern begibt und ihnen feuchtfröhlich ...

Du bist ja völlig fixiert und merkbefreit ...


Nun sei doch nicht immer so snip-isch!

Skeptiker

#152:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 08.09.2009, 00:42
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step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... Und wenn dem so ist, dann ergibt es einfach keinen Sinn mehr, ihn dafür zu tadeln. Oder jemand anderen für etwas zu loben. ... Und Tadel und Lob wäre einfach hinfällig, wenn sich Menschen selber nur als reine Beobachter von sich selber ansähen. Dann könnten sie Lob und Tadel nicht akzeptieren, so wie es B oben nicht akzeptieren würde, wenn man ihn tadelte.

Der Sinn von Lob/Tadel besteht dann (idealisiert betrachtet) einzig darin, verstärkend oder verhindernd determinierenden Einfluß zu nehmen. Der Mensch (und zwar nicht dessen kompatibilistisches Zerrbild) würde sich in der Tat mehr als bisher als Beobachter seiner selbst ansehen, aber nicht nur, denn er weiß, daß er von Entscheidungen betroffen ist, die "in" ihm ablaufen. Er kann (und muß mE sogar) seine Entscheidungsfunktionen (Präferenzen usw.) hinterfragen und ggf. beeinflussen, angestoßen (determiniert) u.a. von sozial kommunizierten Erwartungen. Moral als Agent der Anderen im Individuum. Warum sollte dieses Modell dem Menschen nicht stimmig und würdig erscheinen, wenn er mal ein paar narzisstische Fehlschlüsse überwunden hat?

Naja, von ein paar Kleinigkeiten mal abgesehen, (Entscheidungen laufen mE nicht "in" einer Person ab, sondern eine Person trifft nach meiner Auffassung Entscheidungen; ich sehe Personen nicht lediglich als die Summe ihrer bewussten Abläufe an), kann ich doch dem nun als Kompatibilist zustimmen. Dass jemand sich selber beobachtet und seine Entscheidungen daraufhin beeinflussen kann, damit habe ich doch gar kein Problem, im Gegenteil. Mein Problem entsteht nur dann, wenn jemand behauptet, Personen seien ausschließlich reine Beobachter, ohne Einflussmöglichkeit.

Aber wenn jemand das nicht vertritt, sondern Kontrollfähigkeit einräumt, so wie Du hier, dann habe ich eher das Problem, unsere Gegensätze noch zu sehen. Denn das ist eben die kompatibilistische Auffassung, die ich ja auch vertrete.

step hat folgendes geschrieben:
Warum akzeptieren eigentlich die Menschen im heutigen Verantwortungsmodell Tadel und Lob?
- weil Tadel mit Gefängnisstrafen verbunden ist?
- weil sie an die freie Wahl glauben?
- ...?

Lob und Tadel werden mAn nur akzeptiert für Handlungen, die man sich selber zurechnet, über die man eine hinreichende Kontrolle hatte, bzw. das zumindest annimmt.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und Deine Begriffe von "Verantwortung", "Recht" und "Pflicht" haben sich ganz entscheidend zu der heutigen Bedeutung geändert, sie sind mE ihrer Grundbedeutung entkleidet und sollten dann nicht mehr verwendet werden. Die Begriffe kann man dann gleichermaßen auf jedes Tier anwenden. Nehmen wir mal als Beispiel einen Fuchs. Füchse wären nach Deinem Begriff dafür verantwortlich, Menschen nicht zu beißen.

Nein, denn Verantwortung bedeutet in meinem Modell wie schon oft geschrieben, von einem Mitglied einer sozialen Gruppe moralisch konformes Verhalten zu erwarten. Erwarten bedeutet hier natürlich nicht nur wünschen, sondern auch für wahrscheinlich halten.

Nein, eben nicht, das reicht nicht.

"Mitglied der moralischen Gemeinschaft" zu sein, bedeutet, dass man annimmt, dass die anderen dieser Gemeinschaft moralische Normen verstehen und akzeptieren und aufgrund dessen durchführen können. Und diese moralischen Normen entstehen nicht aus dem Nichts, es muss eine Einigung geben, d.h. die Mitglieder der moralischen Gemeinschaft werden auch dazu in der Lage gesehen, Wesentliches dazu beizutragen, als gleichberechtigte Mitspieler. So, wie Du Dein Konzept von "Verantwortung" bisher beschrieben hast, spielte das alles überhaupt keine Rolle. Es ging nur um "Annahmen", "Berechnung zukünftigen Verhaltens", "Wahrscheinlichkeit bestimmten Verhaltens". Und all das das könnte man eben auch auf den Fuchs anwenden. Aber der Fuchs ist kein Mitglied dieser Gemeinschaft, ihm fehlen alle die benötigten Fähigkeiten, angefangen vom Verstehen bis hin zur Äußerung seiner Meinung bis zu Vorschlägen der Ausgestaltung / Änderung der moralischen Gemeinschaft.

Und akzeptiert man diese Vorstellung einer (hier erst mal idealisierten) moralischen Gemeinschaft, dann greift Dein Konzept überhaupt nicht mehr. Denn dann geht es eben nicht mehr nur darum, "konformes Verhalten" zu erwarten, (das kann man auch von einer Sonnenblume oder einem Computer), sondern um die sozialen Beziehungen in einer moralischen Gemeinschaft, die persönliche Zurechnungen von Handlungen mE notwendigerweise beinhalten.

Und in einer solchen Gemeinschaft kann man andere nicht lediglich als zu programmierende Dinge ansehen, irgendwoher ein durchzuführendes Programm zaubern, das dann zu normgerechtem Verhalten führen soll.

Wenn (ein normaler erwachsener Mensch) zu der Auffassung gelangt, ein anderer wolle ihn nur manipulieren oder "determinieren" und nicht an seine Vernunft mithilfe von Gründen appellieren, ihm irgendwas einreden wollen, dann wird das, denke ich, oft wenig begeistert aufgenommen werden. Und das mAn zu Recht. Denn das bedeutete, dass er nicht als Person ernst genommen würde.

Wenn man jetzt Lob und Tadel nur in Hinsicht auf die Nutzenfunktion betrachtet und nicht das sieht, was zusätzlich dahinterstecken muss, dann wird man ganz sicher über kurz oder lang auf diese Reaktion treffen. Kaum jemand wird Lob und Tadel von jemandem akzeptieren wollen, der der Meinung ist, das sei nur Mittel zum Zweck und die Grundvoraussetzung, nämlich, dass man die gelobte / getadelte Handlung tatsächlich auch der Person zurechnet, sei gar nicht gegeben (wiewohl bei einem Lob wohl viel mehr Leute dazu geneigt sein werden, da mal ein Auge zuzudrücken).

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Was genau passieren würde, wenn Menschen glaubten, sie seien nur ohnmächtige Zuschauer im Film ihres Lebens, nur ein kleines Männchen in ihrem Kopf ohne Handlungsmöglichkeit, weiß ich nicht im Einzelnen.

Das ist doch schon wieder ein Strohmann. Das kleine autonome Männchen entspricht ja eher der klassisch-libertätren FW-Sichtweise, in meinem Modell würde sich niemand als kleines Männchen im Kopf ansehen, und auch nicht als ohnmächtig, sondern als determinierter (und von außen und innen determinierbarer) Entscheider, als lernendes Expertensystem, das temporär Teile von sich selbst beobachten und analysieren kann.

Der Hinweis auf Determination ist in diesem Zusammenhang absolut irrelevant.

Wenn meine Aussage ein Strohmann sein sollte, dann bin ich verwirrt. Du willst also doch eine kompatibilistische Ansicht vertreten?

Ich fasse die unterschiedlichen Ansichten dazu, so wie ich sie sehe, mal zusammen:

Jemand, der Menschen als ohnmächtig in einer determinierten Welt ansieht und zusätzlich glaubt, die Welt sei determiniert ist "harter Determinist".

Jemand, der Menschen als fähig dazu ansieht, ihre Handlungen zu kontrollieren und in einem Determinismus eine Kontrolle der Handlungen als unmöglich ansieht, ist "Libertarier".

Jemand, der Menschen als fähig dazu ansieht, ihre Handlungen zu kontrollieren (in dem Sinne, als dass man sie hinreichend als ihre Handlungen ansehen kann) und die Frage nach Determinismus / Indeterminismus der Welt in diesem Zusammenhang als (ziemlich) irrelevant ansieht, ist "Kompatibilist".

Jemand, der Menschen als unfähig dazu ansieht, ihre Handlungen zu kontrollieren und die Frage nach Determinismus / Indeterminismus der Welt in diesem Zusammenhang als (ziemlich) irrelevant ansieht, ist "harter Inkompatibilist".

#153:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 08.09.2009, 11:39
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
... Moral als Agent der Anderen im Individuum. Warum sollte dieses Modell dem Menschen nicht stimmig und würdig erscheinen, wenn er mal ein paar narzisstische Fehlschlüsse überwunden hat?
... wenn jemand ... Kontrollfähigkeit einräumt, so wie Du hier, dann habe ich eher das Problem, unsere Gegensätze noch zu sehen. ...

Es war ja zwischen uns noch nie strittig, daß ein Individuum moralisch angesprochen werden kann, formbare Präferenzen hat, Entscheidungen trifft, ein begleitendes Bewußtsein ausbildet und zuweilen über seine Präferenzen und Entscheidungen reflektiert. Strittig ist - gesetzt all diese Vorgänge laufen deterministisch ab -

- ob man, etwa aufgrund der Komplexität und Individualität dieser Vorgänge, das Individuum auch zukünftig noch als "autonome, freiwillige Person" verstehen sollte, obwohl alles komplett determiniert ist;

- ob die genannten Umstände in irgendweiner Form ausreichen, um eine Begründung für ein klassisches Schuld- und Strafkonzept zu liefern (das Hauptthema in diesem thread);

- ob eine soziale Gemeinschaft (und Moral) noch funktionieren kann, wenn man beide oberen Fragen verneint.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Warum akzeptieren eigentlich die Menschen im heutigen Verantwortungsmodell Tadel und Lob?
- weil Tadel mit Gefängnisstrafen verbunden ist?
- weil sie an die freie Wahl glauben?
- ...?
Lob und Tadel werden mAn nur akzeptiert für Handlungen, die man sich selber zurechnet, über die man eine hinreichende Kontrolle hatte, bzw. das zumindest annimmt.

Wieso sollte es nicht funktionieren, ein deterministisch "aufgelöstes", weniger atomistisches (Ich in der Welt) Bild der Person zu haben und z.B. an seinen Präferenzen ebenso zu arbeiten (arbeiten zu lassen) wie etwa an seinem Bierbauch oder seinem Bizeps?

Abgesehen davon finde ich den letzten Zusatz "... oder das zumindest annimmt" interessant im Hinblick auf die vieldiskutierte "staatsnotwendige Fiktion".

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... Und diese moralischen Normen entstehen nicht aus dem Nichts, es muss eine Einigung geben, d.h. die Mitglieder der moralischen Gemeinschaft werden auch dazu in der Lage gesehen, Wesentliches dazu beizutragen, als gleichberechtigte Mitspieler. So, wie Du Dein Konzept von "Verantwortung" bisher beschrieben hast, spielte das alles überhaupt keine Rolle.

Natürlich, weil das zwei verschiedene (wenn auch letztlich überlappende) Themen sind:

- die Bewertung von Handlungen auf Basis einer existierenden Moral

- der ethische Konsens, das Entstehen und Ändern von Normen im Diskurs usw.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Aber der Fuchs ist kein Mitglied dieser Gemeinschaft, ihm fehlen alle die benötigten Fähigkeiten, angefangen vom Verstehen bis hin zur Äußerung seiner Meinung bis zu Vorschlägen der Ausgestaltung / Änderung der moralischen Gemeinschaft.

Wie schon geschrieben, auch für meine Definition von Verantwortung muss z.B. die Bedingung des Verstehens wohl erfüllt sein, da ich sonst bei einer relativ komplexen Norm nicht erwarten kann, daß sie erfüllt wird. Und bezüglich der Entwicklung/Änderungen von Normen ist es auch innerhalb der menschlichen Gesellschaft de facto so, daß nur eine Minderheit Normen weiterentwickelt, und die meisten sie nur beachten (oder eben nicht). Auch Kinder lernen zuerst, Normen zu beachten, und erst später, Normen zu verstehen und zu ändern (mal abgesehen von der Frage, ob das so gut ist).

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und akzeptiert man diese Vorstellung einer (hier erst mal idealisierten) moralischen Gemeinschaft, dann greift Dein Konzept überhaupt nicht mehr. Denn dann geht es eben nicht mehr nur darum, "konformes Verhalten" zu erwarten, (das kann man auch von einer Sonnenblume oder einem Computer), sondern um die sozialen Beziehungen in einer moralischen Gemeinschaft, die persönliche Zurechnungen von Handlungen mE notwendigerweise beinhalten.

Ich habe bereits begründet, warum man voneiner Sonnenblume bzw. einem Fuchs kein (moralisch) konformes Verhalten erwarten kann. Ein Computer (wenn auch kein heutiger) könnte das möglicherweise wenigstens prinzipiell.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wenn (ein normaler erwachsener Mensch) zu der Auffassung gelangt, ein anderer wolle ihn nur manipulieren oder "determinieren" und nicht an seine Vernunft mithilfe von Gründen appellieren, ihm irgendwas einreden wollen, dann wird das, denke ich, oft wenig begeistert aufgenommen werden. Und das mAn zu Recht. Denn das bedeutete, dass er nicht als Person ernst genommen würde.

Hast Du nicht mal ziemlich genervt reagiert auf die Behauptung, der Determinismus stelle nach Heliozentrismus und Evolution eine weitere kopernikanische Kränkung dar? Wie auch immer: In bezug auf Manipulation gebe ich Dir da Recht, weil da versteckte Motive mitschwingen. Ich sehe das aber nicht als Problem in meinem Modell, da ja auch in meinem Modell ein ethischer Diskurs stattfände, vermutlich sogar rationaler als in Deinem, so daß natürlicherweise nachvollziehbare, an den Gemeinnutzen oder Win/Win Situationen appellierende Argumente mehr Chancen hätten, zu wirken.

Wenn Du schreibst, ich sei sozusagen "automatisch" Kompatibilist, wenn ich auch ein Verantwortungskonzept und einen ethischen Diskurs vertrete, so will ich darauf nicht näher eingehen, das bringt nichts.

#154:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 08.09.2009, 18:07
    —
step hat folgendes geschrieben:
Es war ja zwischen uns noch nie strittig, daß ein Individuum moralisch angesprochen werden kann, formbare Präferenzen hat, Entscheidungen trifft, ein begleitendes Bewußtsein ausbildet und zuweilen über seine Präferenzen und Entscheidungen reflektiert. Strittig ist - gesetzt all diese Vorgänge laufen deterministisch ab -

- ob man, etwa aufgrund der Komplexität und Individualität dieser Vorgänge, das Individuum auch zukünftig noch als "autonome, freiwillige Person" verstehen sollte, obwohl alles komplett determiniert ist;
- ob die genannten Umstände in irgendweiner Form ausreichen, um eine Begründung für ein klassisches Schuld- und Strafkonzept zu liefern (das Hauptthema in diesem thread);
- ob eine soziale Gemeinschaft (und Moral) noch funktionieren kann, wenn man beide oberen Fragen verneint.

Ja.

(Wobei ich jedoch den vorläufigen Verdacht habe, dass Du unter "moralisch ansprechbar" etwas entscheidend Anderes verstehst als ich. Dazu unten mehr.)

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Lob und Tadel werden mAn nur akzeptiert für Handlungen, die man sich selber zurechnet, über die man eine hinreichende Kontrolle hatte, bzw. das zumindest annimmt.

Wieso sollte es nicht funktionieren, ein deterministisch "aufgelöstes", weniger atomistisches (Ich in der Welt) Bild der Person zu haben und z.B. an seinen Präferenzen ebenso zu arbeiten (arbeiten zu lassen) wie etwa an seinem Bierbauch oder seinem Bizeps?

Klar kann man ein anderes Bild einer Person haben, weniger individualistisch zum Beispiel. Individualismus ist wohl eher etwas Westliches, der westlichen Tradition entsprungen. Zwingend ist dieses Bild natürlich nicht, in östlichen Gesellschaften mag es anders sein.

step hat folgendes geschrieben:
Abgesehen davon finde ich den letzten Zusatz "... oder das zumindest annimmt" interessant im Hinblick auf die vieldiskutierte "staatsnotwendige Fiktion".

Eine Begründung, die eine "staatsnotwendige Fiktion" proklamiert, halte ich für unsinnig. Das würde mE auch nicht funktionieren.

step hat folgendes geschrieben:
Wie schon geschrieben, auch für meine Definition von Verantwortung muss z.B. die Bedingung des Verstehens wohl erfüllt sein, da ich sonst bei einer relativ komplexen Norm nicht erwarten kann, daß sie erfüllt wird. [...] Ich habe bereits begründet, warum man voneiner Sonnenblume bzw. einem Fuchs kein (moralisch) konformes Verhalten erwarten kann. Ein Computer (wenn auch kein heutiger) könnte das möglicherweise wenigstens prinzipiell.

Normen sind aber nicht unbedingt komplex. "Beiße keinen Menschen" ist nicht komplex. Was der Fuchs aber natürlich dennoch nicht verstehen würde. Ich kann aber trotzdem locker erwarten, dass ein Fuchs das "erfüllt", denn Füchse halten sich normalerweise lieber von Menschen fern. In den meisten Fällen werde ich mit meiner Erwartung richtig liegen, dass sich der Fuchs moralisch konform verhält.

Oder nehmen wir doch mal einen heutigen Computer, bzw. Roboter. Nehmen wir an, es würden Kampfroboter entwickelt, die auch zur Niederschlagung von Aufständen eingesetzt werden sollen. Sie werden darauf programmiert, dass sie (zumindest bei der Aufstandsbekämpfung, für den Kriegseinsatz kann man das umstellen) möglichst nicht töten oder schwer verletzen. Das entspringt einer moralischen Norm, d.h. von diesem Roboter wird moralisch konformes Verhalten erwartet, das Verhalten wird ihm einprogrammiert, (der aktuelle Status des moralischen Verhaltens könnte auch über eine Sprachschnittstelle eingestellt werden, falls das einen Unterschied macht). Er wäre dann "moralisch ansprechbar" in Deinem Sinne, oder? Wäre er in Deinem Sinne verantwortlich? Wenn nein: warum nicht?

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wenn (ein normaler erwachsener Mensch) zu der Auffassung gelangt, ein anderer wolle ihn nur manipulieren oder "determinieren" und nicht an seine Vernunft mithilfe von Gründen appellieren, ihm irgendwas einreden wollen, dann wird das, denke ich, oft wenig begeistert aufgenommen werden. Und das mAn zu Recht. Denn das bedeutete, dass er nicht als Person ernst genommen würde.

Hast Du nicht mal ziemlich genervt reagiert auf die Behauptung, der Determinismus stelle nach Heliozentrismus und Evolution eine weitere kopernikanische Kränkung dar?

Ja, das stimmt zwar, aber ich sehe den Zusammenhang jetzt nicht.

step hat folgendes geschrieben:
In bezug auf Manipulation gebe ich Dir da Recht, weil da versteckte Motive mitschwingen. Ich sehe das aber nicht als Problem in meinem Modell, da ja auch in meinem Modell ein ethischer Diskurs stattfände, vermutlich sogar rationaler als in Deinem, so daß natürlicherweise nachvollziehbare, an den Gemeinnutzen oder Win/Win Situationen appellierende Argumente mehr Chancen hätten, zu wirken.

Mein Punkt dabei war aber folgender: genausowenig, wie das mit der "staatsnotwendigen Fiktion" funktionieren kann, kann es funktionieren, einen Diskurs nur zu simulieren, nur so zu tun, als ob man die Anderen als eigenverantwortliche Subjekte ansieht, weil man das für nützlich hält.

#155:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 08.09.2009, 20:24
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Abgesehen davon finde ich den letzten Zusatz "... oder das zumindest annimmt" interessant im Hinblick auf die vieldiskutierte "staatsnotwendige Fiktion".
Eine Begründung, die eine "staatsnotwendige Fiktion" proklamiert, halte ich für unsinnig. Das würde mE auch nicht funktionieren.

Richtig, außer vielleicht, es würde eben nicht proklamiert, sondern wäre nur einer Führungselite bekannt. Immerhin kommt aber regelmäßig dieses Argument, ein eingebildeter Freier Wille würde ausreichen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Oder nehmen wir doch mal einen heutigen Computer, bzw. Roboter. Nehmen wir an, es würden Kampfroboter entwickelt, die auch zur Niederschlagung von Aufständen eingesetzt werden sollen. Sie werden darauf programmiert, dass sie (zumindest bei der Aufstandsbekämpfung, für den Kriegseinsatz kann man das umstellen) möglichst nicht töten oder schwer verletzen. Das entspringt einer moralischen Norm, d.h. von diesem Roboter wird moralisch konformes Verhalten erwartet, das Verhalten wird ihm einprogrammiert, (der aktuelle Status des moralischen Verhaltens könnte auch über eine Sprachschnittstelle eingestellt werden, falls das einen Unterschied macht). Er wäre dann "moralisch ansprechbar" in Deinem Sinne, oder? Wäre er in Deinem Sinne verantwortlich? Wenn nein: warum nicht?

Meine Erachtens ist ein Roboter nur dann moralisch ansprechbar in meinem Sinne, wenn er wenigstens rudimentäre Fähgkeiten hat, die Interessen Anderer zu simulieren (Empathie) und seine Aktionen entsprechend abzuwägen. Um Dein (wieder mal suggestiverweise aus einem tendenziell amoralischen Bereich gewähltes, pfui) Beispiel etwas geradezurücken und daurch meine Antwort im Voraus zu erläutern, möchte ich zwei andere Agenten zum Vergleich aufbieten:

1. Ein menschlicher Soldat im Kriegseinsatz, der auf dieselben Normen gedrillt wurde wie der von Dir genannte Roboter.

2. Ein Kind, das moralisch programmiert wurde, nicht zu naschen, weil es sonst Prügel bekommt.

Und jeweils dieselben Fragen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
In bezug auf Manipulation gebe ich Dir da Recht, weil da versteckte Motive mitschwingen. Ich sehe das aber nicht als Problem in meinem Modell, da ja auch in meinem Modell ein ethischer Diskurs stattfände, vermutlich sogar rationaler als in Deinem, so daß natürlicherweise nachvollziehbare, an den Gemeinnutzen oder Win/Win Situationen appellierende Argumente mehr Chancen hätten, zu wirken.
Mein Punkt dabei war aber folgender: genausowenig, wie das mit der "staatsnotwendigen Fiktion" funktionieren kann, kann es funktionieren, einen Diskurs nur zu simulieren, nur so zu tun, als ob man die Anderen als eigenverantwortliche Subjekte ansieht, weil man das für nützlich hält.

Moment, der ethische Diskurs würde in meinem Modell nicht nur simuliert, da auch die Interessen und Präferenzen real sind.

#156: Preisausschreiben: Die blödste Programmier-Frage der Woche Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 08.09.2009, 21:37
    —
step hat folgendes geschrieben:
Um Dein (wieder mal suggestiverweise aus einem tendenziell amoralischen Bereich gewähltes, pfui) Beispiel etwas geradezurücken und daurch meine Antwort im Voraus zu erläutern, möchte ich zwei andere Agenten zum Vergleich aufbieten:

1. Ein menschlicher Soldat im Kriegseinsatz, der auf dieselben Normen gedrillt wurde wie der von Dir genannte Roboter.

2. Ein Kind, das moralisch programmiert wurde, nicht zu naschen, weil es sonst Prügel bekommt.


Ich biete mit:

3. Ein Staubsauger, der auf Selbstzerstörung programmiert ist, sobald er voll ist.

4. Ein Terminatorbaby, welches ein Wildschweinröhren imitiert, während es aus der Eihülle kriecht, worauf es gar nicht programmiert war, was die Terminatormutter schon mal ärgert.

Ansonsten: Dieselben Fragen wie immer!

Skeptiker

#157:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 08.09.2009, 22:05
    —
step hat folgendes geschrieben:
Immerhin kommt aber regelmäßig dieses Argument, ein eingebildeter Freier Wille würde ausreichen.

Ja, aber von mir nicht.

step hat folgendes geschrieben:
Meine Erachtens ist ein Roboter nur dann moralisch ansprechbar in meinem Sinne, wenn er wenigstens rudimentäre Fähgkeiten hat, die Interessen Anderer zu simulieren (Empathie) und seine Aktionen entsprechend abzuwägen.

Ja, eben. Und das wäre dann mE der gebräuchliche Verantwortungsbegriff, denn der verlangt hinreichende Einsichts-, Reflexions- und Steuerungsfähigkeit. Mehr nicht, er benötigt mE keinen Freien Willen im inkompatibilistischen Sinne. Ebensowenig wie der Schuldbegriff des Strafrechtes, der verlangt lediglich Verantwortlichkeit in diesem Sinne. Und ist eine Normverletzung derart verantwortlich begangen worden, dann ist das mE "Schuld" (im rechtlichen Sinne). Mehr steckt da nicht hinter. Daraus ergibt sich allerdings unausweichlich, dass man die entsprechende Handlung deswegen dem Ausführenden (hinreichend) persönlich zuordnet.

step hat folgendes geschrieben:
Um Dein (wieder mal suggestiverweise aus einem tendenziell amoralischen Bereich gewähltes, pfui) Beispiel

War so aber nicht beabsichtigt. Denn Aufruhrbekämpfung und Krieg sind mE gar nicht per se unmoralisch / böse. Ein anderes Beispiel aus dem moralischem Bereich mit Robotern fiel mir auf die Schnelle nicht ein.

step hat folgendes geschrieben:
etwas geradezurücken und daurch meine Antwort im Voraus zu erläutern, möchte ich zwei andere Agenten zum Vergleich aufbieten:

1. Ein menschlicher Soldat im Kriegseinsatz, der auf dieselben Normen gedrillt wurde wie der von Dir genannte Roboter.

2. Ein Kind, das moralisch programmiert wurde, nicht zu naschen, weil es sonst Prügel bekommt.

Ein Kind ist mAn nicht moralisch verantwortlich. Denn ihm fehlen die oben angegebenen Fähigkeiten (noch mehr oder weniger), die mE für eine Verantwortungszuschreibung notwendig sind. Auch im Strafrecht werden Kinder unter 14 als noch nicht strafmündig angesehen.

Ein Soldat ist jedoch mE normalerweise verantwortlich für seine Handlungen. Es sei denn, er wäre einer außergewöhnlichen Gehirnwäche unterlegen, die die notwendigen Fähigkeiten zu sehr unterdrücken würden.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Mein Punkt dabei war aber folgender: genausowenig, wie das mit der "staatsnotwendigen Fiktion" funktionieren kann, kann es funktionieren, einen Diskurs nur zu simulieren, nur so zu tun, als ob man die Anderen als eigenverantwortliche Subjekte ansieht, weil man das für nützlich hält.

Moment, der ethische Diskurs würde in meinem Modell nicht nur simuliert, da auch die Interessen und Präferenzen real sind.

Na gut. Aber ein ethischer Diskurs ist nun mal mE nicht möglich, wenn man die anderen nicht als eigenverantwortliche / selbstbestimmte Subjekte ansieht. Und wenn man die Präferenzen und Interessen als Teil der Person ansieht und nicht als getrennte Faktoren von ihr, die sie bestimmen und steuern. Denn dann bliebe nichts von einer Person übrig. Und da ich selber mich als nicht getrennt davon ansehe, weigere ich mich, andere so zu sehen (hier die Person und da drüben ihre Präferenzen und Interessen). Ich rede dann eben mit dem entsprechenden Präferenzen- und Interessenbündel und nenne das insgeheim für mich "Person". Egal, wie Homunkulusmäßig sich der andere selber sieht.

#158:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 08.09.2009, 22:47
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magnusfe hat folgendes geschrieben:
Habe ich ein Grund Recht auf Strafe oder muss ich dafür erst Leistung erbringen


Du musst Dich erst wie ein Staugsaubär benehmen. Vorher läuft nichts!

Skeptiker

#159: In der Bundeswehr-Einform da gibt's ka' Sünd'! Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 08.09.2009, 23:14
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Ein menschlicher Soldat im Kriegseinsatz, der auf dieselben Normen gedrillt wurde wie der von Dir genannte Roboter.


Ein Soldat ist jedoch mE normalerweise verantwortlich für seine Handlungen. Es sei denn, er wäre einer außergewöhnlichen Gehirnwäche unterlegen, die die notwendigen Fähigkeiten zu sehr unterdrücken würden.


Zumal wenn er unsere Interessen am Hindukusch verteidigt und dabei Tanklastzüge mal eben so in die Luft sprengt und weil sein Chef das so gesagt hat. Und Befehl ist Befehl.

Menschen, die wie Roboter morden und/oder foltern und denen die Empathie ausgetrieben wird, haben nun mal physikalisch gesehen null Verantwortung. Und Schuld? Ha! Was'n das'n?

Das bisschen Krieg und Aufstandsbekämpfung. Da ist doch nix dabei. Wenn sie wieder zu Hause sind dann gibt's neue Verantwortungen zum Zuweisen und weiter geht's ...-!

Skeptiker

#160:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 08.09.2009, 23:37
    —
@Skeptiker

Mir kommt es so vor, als ob Du steps Aussagen so negativ wie möglich interpretierst und meine Aussagen möglichst positiv. Daher scheint Du zu Deinen polemischen Vorwürfen zu kommen. Aber das ist mE letztlich inkonsequent. Lies' doch vielleicht alles nochmal, mit umgekehrten Vorzeichen, mit umgekehrtem Bonus, dann wirst Du es eventuell anders herum interpretieren. Ich denke übrigens nicht, dass step und ich politisch (und auch sonst) so weit auseinander liegen; dass wir uns wahrscheinlich prima über Grundlegendes einigen könnten. Obgleich das hier vielleicht auf den ersten Blick nicht so aussehen mag.

Du hast anscheinend einiges von mir überlesen. Ich halte z.B. "Krieg" und "Aufstandsbekämfung" nicht für per se unmoralisch, um das explizit nochmal zu sagen. Und Roboter können mAn nicht "morden". Und dergleichen mehr.

Ich bin ein konservativer Spießbürger (was nicht heißen soll, dass step das auch ist, das gilt jetzt nur für mich). Es ist mir langsam ziemlich unangenehm, dass Du mich falsch einzuschätzen scheinst.

#161:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 09.09.2009, 09:08
    —
Mir kam letztens beim Lesen eines Artikels über die Sinnhaftigkeit von Belohnungen in einem spieltheoretischen Zusammenhang die Frage, inwiefern es eigentlich möglich ist, Handlungen eindeutig als Strafe oder Belohnung einzustufen. Ein einfaches Beispiel: Ein Elter möchte ganz auf strafende Methoden verzichten und stattdessen nur durch Belohnung erziehen. Es hat 2 Kinder. Einmal in der Woche sollen diese das Zimmer aufräumen. Wenn sie das getan haben, gibt es zur Belohnung ein Eis. Wenn ein Kind das Zimmer nicht aufräumt, geschieht nichts. Nach dem bisherigen Diskussionsverlauf (den ich allerdings nicht vollständig nachvollzogen habe), scheint hier keine Strafe stattzufinden. Allerdings wird das Kind, das mitbekommt, wie sein Geschwister mit einem Eis belohnt wird, während es selber keins bekommt, dies als Übelzufügung empfinden. Möglicherweise sogar als sehr starke Übelzufügung, wenn man sich vorstellt, daß die Kinder zueinander ein konkurrierendes Verhältnis haben.
Das lässt meines Erachtens den Schluss zu, daß, wenn wir andere dazu bringen wollen etwas zu tun oder zu unterlassen, niemals ganz auf den strafenden Aspekt verzichten werden können, auch wenn die beeinflussende Handlung nach den jeweils allgemein anerkannten Normen, in deren Rahmen sie stattfindet, an sich sogar als Belohnung bewertet würde.
Das bedeutet für mich wiederum, daß wir prinzipiell nicht in der Lage sind auf Übelzufügung zu verzichten, weil sich die Erwartung der Menschen an das Verhalten ihnen gegenüber nicht ausschließlich an der Tat und dessen Bewertung orientiert, sondern ebenso daran, wie andere Menschen in vergleichbaren Situationen behandelt werden. Und sie also ihr Verhalten ändern, weil sie eine unterlassene Belohnung als Übelzufügung empfinden.
Da ich meine, daß wie nicht vollkommen auf diesen strafenden Aspekt verzichten können, auch wenn wir es wollen, müssten wir uns in der Praxis darauf verlegen, auszudiskutieren, welche Strafmethoden nach dieser erweiterten Auffassung wir als gerechtfertigt betrachten und welche nicht. Und da meine ich, kämen wir dann bald dahin, daß das Einsperren bei aller Grausamkeit eigentlich einen zivilisatorischen Fortschritt bedeutet. In den Gesellschaften wohlgemerkt, die auf körperliche Züchtigung, Todesstrafe und dergleichen barbarische Handlungen verzichten. Letztere Anmerkungen machen übrigens klar, daß ich ebenso in die Reihe der spießigen Kleinbürger gehöre. ; )

#162: Aldi-Diskussion über "modernes Strafrecht" Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 09.09.2009, 09:34
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Mir kam letztens beim Lesen eines Artikels über die Sinnhaftigkeit von Belohnungen in einem spieltheoretischen Zusammenhang die Frage, inwiefern es eigentlich möglich ist, Handlungen eindeutig als Strafe oder Belohnung einzustufen. Ein einfaches Beispiel: Ein Elter möchte ganz auf strafende Methoden verzichten und stattdessen nur durch Belohnung erziehen. Es hat 2 Kinder. Einmal in der Woche sollen diese das Zimmer aufräumen. Wenn sie das getan haben, gibt es zur Belohnung ein Eis. Wenn ein Kind das Zimmer nicht aufräumt, geschieht nichts. Nach dem bisherigen Diskussionsverlauf (den ich allerdings nicht vollständig nachvollzogen habe), scheint hier keine Strafe stattzufinden. Allerdings wird das Kind, das mitbekommt, wie sein Geschwister mit einem Eis belohnt wird, während es selber keins bekommt, dies als Übelzufügung empfinden. Möglicherweise sogar als sehr starke Übelzufügung, wenn man sich vorstellt, daß die Kinder zueinander ein konkurrierendes Verhältnis haben.
Das lässt meines Erachtens den Schluss zu, daß, wenn wir andere dazu bringen wollen etwas zu tun oder zu unterlassen, niemals ganz auf den strafenden Aspekt verzichten werden können, auch wenn die beeinflussende Handlung nach den jeweils allgemein anerkannten Normen, in deren Rahmen sie stattfindet, an sich sogar als Belohnung bewertet würde.
Das bedeutet für mich wiederum, daß wir prinzipiell nicht in der Lage sind auf Übelzufügung zu verzichten, weil sich die Erwartung der Menschen an das Verhalten ihnen gegenüber nicht ausschließlich an der Tat und dessen Bewertung orientiert, sondern ebenso daran, wie andere Menschen in vergleichbaren Situationen behandelt werden. Und sie also ihr Verhalten ändern, weil sie eine unterlassene Belohnung als Übelzufügung empfinden.
Da ich meine, daß wie nicht vollkommen auf diesen strafenden Aspekt verzichten können, auch wenn wir es wollen, müssten wir uns in der Praxis darauf verlegen, auszudiskutieren, welche Strafmethoden nach dieser erweiterten Auffassung wir als gerechtfertigt betrachten und welche nicht. Und da meine ich, kämen wir dann bald dahin, daß das Einsperren bei aller Grausamkeit eigentlich einen zivilisatorischen Fortschritt bedeutet. In den Gesellschaften wohlgemerkt, die auf körperliche Züchtigung, Todesstrafe und dergleichen barbarische Handlungen verzichten. Letztere Anmerkungen machen übrigens klar, daß ich ebenso in die Reihe der spießigen Kleinbürger gehöre. ; )


Aha! So nach und nach outen sich hier die Spießer und Kleinbürger! Das habe ich schon befürchtet. AgentProvocateur mit einem BMI jenseits von Gut und Böse in Ballonseide-Jogginganzug mit Badelatschen bei Aldi an der Kasse mit einer Kiste Bier, um sich auf eine "Diskussion" mit dem arroganten und besserwisserischen Elfenbeinturm-Physiker namens "step" vorzubereiten. zelig, der Pseudo-Softkritiker, dem es vor allem um den "Ton" geht und der inhaltlich zu wirklich radikaler Kritik weder willens noch fähig ist.

Mir fällt auf, dass in diesem thread eigentlich nur Agent, step und hin und wieder mal zelig schreiben. Ein paar Einsprengsel von mir kommen dazu, darauf gehen die Arrogantis, Softies und Ballonseidenjogginganzug-Träger aber inhaltlich kaum ein. Wobei ich zelig zugute halten möchte, dass er sich hin und wieder wirklich mal Mühe gibt.

Dabei wäre dieses Thema eigentlich nicht ganz unwichtig. Und ich würde es begrüßen, dass hier auch mal andere Leute ihren Senf hinzugeben würden. Mario Hahna hat ja nur wenig geschrieben, Tarvoc auch und andere kompetente Leute sind ebenfalls nicht dabei.

Also Leute: Lasst den wackeren Skeptiker nicht allein mit diesen Badelatschen-Philosophen, sondern entfacht mal etwas mehr frischen Wind gegen den spießigen Schwachsinn, der mittlerweile bei der Moral für Roboter angekommen ist ...-! Mit den Augen rollen

Keinen Fußbreit den Badelatschen!

Skeptiker

#163: Re: Aldi-Diskussion über "modernes Strafrecht" Autor: zelig BeitragVerfasst am: 09.09.2009, 09:42
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Mir kam letztens beim Lesen eines Artikels über die Sinnhaftigkeit von Belohnungen in einem spieltheoretischen Zusammenhang die Frage, inwiefern es eigentlich möglich ist, Handlungen eindeutig als Strafe oder Belohnung einzustufen. Ein einfaches Beispiel: Ein Elter möchte ganz auf strafende Methoden verzichten und stattdessen nur durch Belohnung erziehen. Es hat 2 Kinder. Einmal in der Woche sollen diese das Zimmer aufräumen. Wenn sie das getan haben, gibt es zur Belohnung ein Eis. Wenn ein Kind das Zimmer nicht aufräumt, geschieht nichts. Nach dem bisherigen Diskussionsverlauf (den ich allerdings nicht vollständig nachvollzogen habe), scheint hier keine Strafe stattzufinden. Allerdings wird das Kind, das mitbekommt, wie sein Geschwister mit einem Eis belohnt wird, während es selber keins bekommt, dies als Übelzufügung empfinden. Möglicherweise sogar als sehr starke Übelzufügung, wenn man sich vorstellt, daß die Kinder zueinander ein konkurrierendes Verhältnis haben.
Das lässt meines Erachtens den Schluss zu, daß, wenn wir andere dazu bringen wollen etwas zu tun oder zu unterlassen, niemals ganz auf den strafenden Aspekt verzichten werden können, auch wenn die beeinflussende Handlung nach den jeweils allgemein anerkannten Normen, in deren Rahmen sie stattfindet, an sich sogar als Belohnung bewertet würde.
Das bedeutet für mich wiederum, daß wir prinzipiell nicht in der Lage sind auf Übelzufügung zu verzichten, weil sich die Erwartung der Menschen an das Verhalten ihnen gegenüber nicht ausschließlich an der Tat und dessen Bewertung orientiert, sondern ebenso daran, wie andere Menschen in vergleichbaren Situationen behandelt werden. Und sie also ihr Verhalten ändern, weil sie eine unterlassene Belohnung als Übelzufügung empfinden.
Da ich meine, daß wie nicht vollkommen auf diesen strafenden Aspekt verzichten können, auch wenn wir es wollen, müssten wir uns in der Praxis darauf verlegen, auszudiskutieren, welche Strafmethoden nach dieser erweiterten Auffassung wir als gerechtfertigt betrachten und welche nicht. Und da meine ich, kämen wir dann bald dahin, daß das Einsperren bei aller Grausamkeit eigentlich einen zivilisatorischen Fortschritt bedeutet. In den Gesellschaften wohlgemerkt, die auf körperliche Züchtigung, Todesstrafe und dergleichen barbarische Handlungen verzichten. Letztere Anmerkungen machen übrigens klar, daß ich ebenso in die Reihe der spießigen Kleinbürger gehöre. ; )


Aha! So nach und nach outen sich hier die Spießer und Kleinbürger! Das habe ich schon befürchtet. AgentProvocateur mit einem BMI jenseits von Gut und Böse in Ballonseide-Jogginganzug mit Badelatschen bei Aldi an der Kasse mit einer Kiste Bier, um sich auf eine "Diskussion" mit dem arroganten und besserwisserischen Elfenbeinturm-Physiker namens "step" vorzubereiten. zelig, der Pseudo-Softkritiker, dem es vor allem um den "Ton" geht und der inhaltlich zu wirklich radikaler Kritik weder willens noch fähig ist.

Mir fällt auf, dass in diesem thread eigentlich nur Agent, step und hin und wieder mal zelig schreiben. Ein paar Einsprengsel von mir kommen dazu, darauf gehen die Arrogantis, Softies und Ballonseidenjogginganzug-Träger aber inhaltlich kaum ein. Wobei ich zelig zugute halten möchte, dass er sich hin und wieder wirklich mal Mühe gibt.

Dabei wäre dieses Thema eigentlich nicht ganz unwichtig. Und ich würde es begrüßen, dass hier auch mal andere Leute ihren Senf hinzugeben würden. Mario Hahna hat ja nur wenig geschrieben, Tarvoc auch und andere kompetente Leute sind ebenfalls nicht dabei.

Also Leute: Lasst den wackeren Skeptiker nicht allein mit diesen Badelatschen-Philosophen, sondern entfacht mal etwas mehr frischen Wind gegen den spießigen Schwachsinn, der mittlerweile bei der Moral für Roboter angekommen ist ...-! Mit den Augen rollen

Keinen Fußbreit den Badelatschen!

Skeptiker


Köstlich! Echt. : )

#164: Re: Aldi-Diskussion über "modernes Strafrecht" Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 09.09.2009, 09:47
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
----


Köstlich! Echt. : )


Das musste doch mal gesagt werden! zwinkern

So, muss jetzt los. Schönen Tag wünsche ich Dir!

Skeptiker

#165:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 09.09.2009, 10:12
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Da ich meine, daß wie nicht vollkommen auf diesen strafenden Aspekt verzichten können, auch wenn wir es wollen, müssten wir uns in der Praxis darauf verlegen, auszudiskutieren, welche Strafmethoden nach dieser erweiterten Auffassung wir als gerechtfertigt betrachten und welche nicht.

Wie wäre es in erster Näherung mit einer Art Nutzenprinzip? Wo ist der wesentliche Nutzen einer Haftstrafe, zumal einer langen?

Später noch ein Kommentar zu der Belohnungssache.

#166:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 09.09.2009, 10:32
    —
step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Da ich meine, daß wie nicht vollkommen auf diesen strafenden Aspekt verzichten können, auch wenn wir es wollen, müssten wir uns in der Praxis darauf verlegen, auszudiskutieren, welche Strafmethoden nach dieser erweiterten Auffassung wir als gerechtfertigt betrachten und welche nicht.

Wie wäre es in erster Näherung mit einer Art Nutzenprinzip? Wo ist der wesentliche Nutzen einer Haftstrafe, zumal einer langen?[...]

Versuchen wir es mal. Der Nutzen der Isolierung besteht darin, die Gemeinschaft vor weiteren Regelverstößen zu schützen. Ein weiterer Nutzen liegt darin, daß das Vergeltungsbedürfnis befriedigt wird. Eine Gemeinschaft, die aus Mitgliedern besteht, denen die Vergeltung ein elementares Bedürfnis ist, wird kaum darauf verzichten können, ohne die Gemeinschaft selber zu riskieren. Alles deskriptiv, bitte.

#167:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 09.09.2009, 11:10
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Da ich meine, daß wie nicht vollkommen auf diesen strafenden Aspekt verzichten können, auch wenn wir es wollen, müssten wir uns in der Praxis darauf verlegen, auszudiskutieren, welche Strafmethoden nach dieser erweiterten Auffassung wir als gerechtfertigt betrachten und welche nicht.

Wie wäre es in erster Näherung mit einer Art Nutzenprinzip? Wo ist der wesentliche Nutzen einer Haftstrafe, zumal einer langen?[...]
Versuchen wir es mal. Der Nutzen der Isolierung besteht darin, die Gemeinschaft vor weiteren Regelverstößen zu schützen. Ein weiterer Nutzen liegt darin, daß das Vergeltungsbedürfnis befriedigt wird. Eine Gemeinschaft, die aus Mitgliedern besteht, denen die Vergeltung ein elementares Bedürfnis ist, wird kaum darauf verzichten können, ohne die Gemeinschaft selber zu riskieren. Alles deskriptiv, bitte.

Immerhin ... entwaffnend ehrlich.

Für Herrn X aus AP's Beispiel, den Ehrenmörder, käme demnach dE nur das "elementare Vergeltungsbedürfnis" als Begründung für eine Haftstrafe infrage, da eine Wiederholungstat laut AP ausgeschlossen war.

#168:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 09.09.2009, 11:40
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Mir kam letztens beim Lesen eines Artikels über die Sinnhaftigkeit von Belohnungen in einem spieltheoretischen Zusammenhang die Frage, inwiefern es eigentlich möglich ist, Handlungen eindeutig als Strafe oder Belohnung einzustufen.

In bezug auf den Einzelnen schient mir da in der Tat kein großer Unterschied, denn in beiden Fällen haben wir potenziell einen vergeltenden, einen generalpräventiven und einen spezialpräventiven Aspekt.

Die Diskussion, die ich hier in bezug auf Strafrechtsaspekte führe, gibt es denn auch ebenso in bezug auf (evtl. ebenso unbegründete) Belohnungsaspekte. So ist es z.B. eigentlich bekannt, daß Gehaltserhöhungen ab einem gewissen Niveau aufwärts nicht mehr oder nur noch für sehr kurze Zeit spezialpräventiv (motivierend, leistungssteigernd, abwanderungshemmend) wirken.

Allerdings gibt es einen wesentlichen Unterschied: Der Vergeltungsaspekt bei Bestrafungen (Dritter) wird sehr viel emotionaler wahrgenomen als der Vergeltungsaspekt bei Belohnungen (Dritter) - das liegt mE daran, daß Bestrafungen Dritter und Rache an Übeltätern archaisch-instinktiv als persönlicher Gewinn verbucht wird.

zelig hat folgendes geschrieben:
Ein einfaches Beispiel: Ein Elter möchte ganz auf strafende Methoden verzichten und stattdessen nur durch Belohnung erziehen. Es hat 2 Kinder. Einmal in der Woche sollen diese das Zimmer aufräumen. Wenn sie das getan haben, gibt es zur Belohnung ein Eis. Wenn ein Kind das Zimmer nicht aufräumt, geschieht nichts. Nach dem bisherigen Diskussionsverlauf (den ich allerdings nicht vollständig nachvollzogen habe), scheint hier keine Strafe stattzufinden. Allerdings wird das Kind, das mitbekommt, wie sein Geschwister mit einem Eis belohnt wird, während es selber keins bekommt, dies als Übelzufügung empfinden. Möglicherweise sogar als sehr starke Übelzufügung, wenn man sich vorstellt, daß die Kinder zueinander ein konkurrierendes Verhältnis haben.

Vielleicht etwas OT, aber pädagogisch betrachtet muß ich hier einwerfen, daß dieser Elter mit diesem Setup dem Kind signalisiert, daß das Zimmeraufräumen eine verhandelbare Leistung mit dem derzeitigen Marktwert von 2 Eis ist. Ich würde hier ein Setup vorziehen, bei dem der Gegenwert inhaltlich mit dem Zimmeraufräumen verbunden ist (z.B. mehr Vertrauen, es darf mehr selbständig, o.ä.), damit das Kind das Zimmeraufräumen nicht nur als Arbeitsleistung, sondern als für die Allgemeinheit sinnvolle Kompetenz erfährt, und damit es die Belohnung nicht als willkürlich, sondern als inhaltlich begründet erfährt.

zelig hat folgendes geschrieben:
Das lässt meines Erachtens den Schluss zu, daß, wenn wir andere dazu bringen wollen etwas zu tun oder zu unterlassen, niemals ganz auf den strafenden Aspekt verzichten werden können, auch wenn die beeinflussende Handlung nach den jeweils allgemein anerkannten Normen, in deren Rahmen sie stattfindet, an sich sogar als Belohnung bewertet würde.

Deshalb hatte ich ja auch oben in der Diskussion mit AP geschrieben, daß ein "sozialer Tadel" durchaus vertretbar und sogar notwendig ist.

zelig hat folgendes geschrieben:
Das bedeutet für mich wiederum, daß wir prinzipiell nicht in der Lage sind auf Übelzufügung zu verzichten, weil sich die Erwartung der Menschen an das Verhalten ihnen gegenüber nicht ausschließlich an der Tat und dessen Bewertung orientiert, sondern ebenso daran, wie andere Menschen in vergleichbaren Situationen behandelt werden. Und sie also ihr Verhalten ändern, weil sie eine unterlassene Belohnung als Übelzufügung empfinden.

Ja, es muß Verhältnismäßigkeit (Fairness) geben, und auch Übelzufügung läßt sich wohl nicht vermeiden, z.B. bei der Prävention oder auch einfach durch die Tatsache, daß wir niemandem völlig vor sozialer Anstrengung, Schmerz und Enttäuschung bewahren können. Das ist aber keine Begründung für ein vergeltendes Strafrecht. Auch in Deinem Beispiel "unterlassener Belohnung" geht es ja nicht um Vergeltung, sondern Du argumentierst mit positiver bzw. negativer Spezialprävention. Das wäre ja immerhin noch eine Begründung, auch wenn ich dieses Vorgehen (s.o.) bei Kindern nicht optimal finde. Noch schlimmer sind Geldbelohnungen für Einser im Zeugnis u.ä.

#169: Re: Aldi-Diskussion über "modernes Strafrecht" Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 09.09.2009, 12:23
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Mir fällt auf, dass in diesem thread eigentlich nur Agent, step und hin und wieder mal zelig schreiben. Ein paar Einsprengsel von mir kommen dazu, darauf gehen die Arrogantis, Softies und Ballonseidenjogginganzug-Träger aber inhaltlich kaum ein. Wobei ich zelig zugute halten möchte, dass er sich hin und wieder wirklich mal Mühe gibt.

Dabei wäre dieses Thema eigentlich nicht ganz unwichtig. Und ich würde es begrüßen, dass hier auch mal andere Leute ihren Senf hinzugeben würden. Mario Hahna hat ja nur wenig geschrieben, Tarvoc auch und andere kompetente Leute sind ebenfalls nicht dabei.

Also Leute: Lasst den wackeren Skeptiker nicht allein mit diesen Badelatschen-Philosophen, sondern entfacht mal etwas mehr frischen Wind gegen den spießigen Schwachsinn, der mittlerweile bei der Moral für Roboter angekommen ist ...-! Mit den Augen rollen

Auf deine Beiträge bin ich nicht eingegangen, weil ich die nicht relevant fand. Sorry, aber manchmal, wenn mich ein Thema interessiert, springe ich nur auf Argumente an, die mir relevant erscheinen und nicht auf Sonstiges wie z.B. reine Polemik oder ad hominems oder reine Unterstellungen.

Aber Deinen Aufruf finde ich gut. Ich denke, ich kann eh nicht viel mehr zum Thema sagen, mir scheint, die Standpunkte von step und mir sind halbwegs klar, die Argumente sind ausgetauscht, das kann jetzt nur noch auf Wiederholungen hinauslaufen.

Also, frischer Wind, andere Gesichtspunkte und dergleichen wären schön. Falls das hier überhaupt jemanden interessiert.

#170:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 09.09.2009, 12:32
    —
step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Da ich meine, daß wie nicht vollkommen auf diesen strafenden Aspekt verzichten können, auch wenn wir es wollen, müssten wir uns in der Praxis darauf verlegen, auszudiskutieren, welche Strafmethoden nach dieser erweiterten Auffassung wir als gerechtfertigt betrachten und welche nicht.

Wie wäre es in erster Näherung mit einer Art Nutzenprinzip? Wo ist der wesentliche Nutzen einer Haftstrafe, zumal einer langen?[...]
Versuchen wir es mal. Der Nutzen der Isolierung besteht darin, die Gemeinschaft vor weiteren Regelverstößen zu schützen. Ein weiterer Nutzen liegt darin, daß das Vergeltungsbedürfnis befriedigt wird. Eine Gemeinschaft, die aus Mitgliedern besteht, denen die Vergeltung ein elementares Bedürfnis ist, wird kaum darauf verzichten können, ohne die Gemeinschaft selber zu riskieren. Alles deskriptiv, bitte.

Immerhin ... entwaffnend ehrlich.

Für Herrn X aus AP's Beispiel, den Ehrenmörder, käme demnach dE nur das "elementare Vergeltungsbedürfnis" als Begründung für eine Haftstrafe infrage, da eine Wiederholungstat laut AP ausgeschlossen war.


Schwierig. Zunächst, ich habe das nicht zwischen euch verfolgt, besteht gegenüber jemandem, von dem bekannt ist, daß er jemand anders ermordet hat, weil sie das Ehrgefühl des Mörders verletzt hat, der begründete Verdacht, in einer ähnlich gelagerten Situation wieder ähnlich zu handeln. Falls dies aber aus irgendeinem Grund ausgeschlossen ist -was ich mir gerade praktisch schwer vorstellen kann-, dann reagiert die Gemeinschaft auf den Verlust eines ihrer Mitglieder. Das dies eine universelle menschliche Verhaltensweise ist, kann man ohne weiteres beobachten, denke ich. Soweit die Deskription. Und da ist jetzt glaube ich gar nichts enwaffnend ehrlich, wenn man die Wirklichkeit beschreibt wie sie ist. Und daher stimmt das auch, wie Du schreibst, de Facto wird so begründet. Zunächst jedoch ohne daß ich mir diese Begründung als Rechtfertigung zu eigen mache.
Jetzt normativ. Grundsätzlich vertrete ich auch das Recht des oder der Geschädigten auf eine Reaktion der Gesellschaft auf das Verbrechen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das anders funktionieren soll, wenn wir Selbstjustiz ablehnen.
Nun reden wir hier aber über eine spezielle Art von Reaktion, [edit: nämlich die,] die dem Empfinden des Opfers geschuldet ist. Zugegebenermaßen. Ich möchte das nur von dem Empfinden des Lynchmobs auseinanderhalten, das wir, davon gehe ich aus, alle nicht als Grundlage für eine Begründung für die Vergeltung akzeptieren. Ich denke, daß das Empfinden des Opfers eine hinreichende Bedingung für die Rechtfertigung der Reaktion der Gesellschaft auf einen Mord bietet. Damit ist jedoch kein Einfluss auf die Art der Reaktion gerechtfertigt. Wir sind uns wohl einig darüber, daß es besser ist, wenn das Opfer kein Richter ist. Aber es befriedet eine Gesellschaft, wenn das Opfer einer Tat sich der formalen Solidarisierung sicher sein kann.
Zum schwierigen Teil. Eine langjährige Hafstrafe wäre nach diesem Schema damit noch nicht gerechtfertigt. Welches Repertoire an Sanktionsmöglichkeiten eine Gesellschaft vorhält, hängt nicht von den konkreten Taten ab, das geht gar nicht. Es hängt viel mehr davon ab, wieweit es mit dem kulturellen Sebstverständnis dieser Gesellschaft übereinstimmt. Dies müsste der Versuch einer Einflussnahme auf das Strafrepertoire berücksichtigen. Ich möchte zwar nicht wissen, wie hoch der Anteil der Bevölkerung wäre, die gegebenenfalls für die Einführung der Todesstrafe votieren würde. Aber nur ein gesellschaftlicher Konsens darüber, zumindest der Konsens einer Mehrheit scheint mir halbwegs gewährleisten zu können, daß die Todesstrafe abgeschafft bleibt. Ämh, ja.
Um das zu einem Abschluss zu bringen, falls der Vergeltungsaspekt keine Relevanz haben soll, dann muss die Gemeinschaft sich um die Belange der Geschädigten kümmern. Eine Gemeinschaft, die sich um die Betroffenen kümmert und sie aufhebt, könnte sich vielleicht von der Vergeltung lösen.

kleines edit in den text eingefügt

#171:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 09.09.2009, 12:41
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
etwas geradezurücken und daurch meine Antwort im Voraus zu erläutern, möchte ich zwei andere Agenten zum Vergleich aufbieten:

1. Ein menschlicher Soldat im Kriegseinsatz, der auf dieselben Normen gedrillt wurde wie der von Dir genannte Roboter.

2. Ein Kind, das moralisch programmiert wurde, nicht zu naschen, weil es sonst Prügel bekommt.

Ein Kind ist mAn nicht moralisch verantwortlich. Denn ihm fehlen die oben angegebenen Fähigkeiten (noch mehr oder weniger), die mE für eine Verantwortungszuschreibung notwendig sind. Auch im Strafrecht werden Kinder unter 14 als noch nicht strafmündig angesehen.

Das ist mir bekannt. Aber Deine Argumentation hatte ich so verstanden, daß Verantwortlichkeit wesentlich auf moralischer Ansprechbarkeit basiert. Ist das Kind also "moralisch ansprechbar", oder wird es erstmal nur "programmiert", oder etwas dazwischen?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ein Soldat ist jedoch mE normalerweise verantwortlich für seine Handlungen. Es sei denn, er wäre einer außergewöhnlichen Gehirnwäche unterlegen, die die notwendigen Fähigkeiten zu sehr unterdrücken würden.

Die Vorgesetzten erwarten aber von einem Soldaten (auch wenn das immer wieder kontrovers diskutiert wird), daß er gehorcht und Befehle ausführt, anstatt abzuwägen, moralisch zu hinterfragen und "autonom" zu agieren. Und dementsprechend wird er gedrillt.

#172:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 09.09.2009, 12:46
    —
step hat folgendes geschrieben:
Allerdings gibt es einen wesentlichen Unterschied: Der Vergeltungsaspekt bei Bestrafungen (Dritter) wird sehr viel emotionaler wahrgenomen als der Vergeltungsaspekt bei Belohnungen (Dritter) - das liegt mE daran, daß Bestrafungen Dritter und Rache an Übeltätern archaisch-instinktiv als persönlicher Gewinn verbucht wird.


Nur mal so nebenbei. Das erinnert mich an einen Aufsatz über die Experimentelle Philosophie (ich kenne die sonst überhaupt nicht), in deren Rahmen wohl nachgewiesen wurde, daß das Urteil, ob jemand in einem Szenario als Akteur wahrgenommen wird oder nicht, sehr stark von der moralischen Wertung seiner Handlung abhängt. Leider finde ich dazu nichts mehr. Wenn mir das Beispiel wieder halbwegs plausibel einfällt, dann setze ich es hier rein.

#173:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 09.09.2009, 12:50
    —
Wie gesagt: ich halte dann und nur dann Verantwortungszuweisung für richtig, wenn man von einer hinreichenden Einsichts-, Reflexions- und Steuerungsfähigkeit ausgehen kann. Denn nur dann würde ich bestimmte Handlungen als hinreichend der Kontrolle der Person unterlegen sehen, diese also als Urheber der Handlung ansehen. Ein kleines Kind hat diese Fähigkeiten noch nicht im hinreichenden Sinne, die entstehen erst nach und nach, auch durch "Programmierung", wenn Du das so ausdrücken willst, ja.

Soldaten können dabei Grenzfälle sein. Könnte in bestimmten Situationen sein, dass man ihnen keine Verantwortung zuweist, sondern eher den Vorgesetzten, die die Befehle gegeben haben. Aber ein simpler Verweis auf einen Befehl reicht dazu mE nicht.

#174:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 09.09.2009, 13:47
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Allerdings gibt es einen wesentlichen Unterschied: Der Vergeltungsaspekt bei Bestrafungen (Dritter) wird sehr viel emotionaler wahrgenomen als der Vergeltungsaspekt bei Belohnungen (Dritter) - das liegt mE daran, daß Bestrafungen Dritter und Rache an Übeltätern archaisch-instinktiv als persönlicher Gewinn verbucht wird.
Nur mal so nebenbei. Das erinnert mich an einen Aufsatz über die Experimentelle Philosophie (ich kenne die sonst überhaupt nicht), in deren Rahmen wohl nachgewiesen wurde, daß das Urteil, ob jemand in einem Szenario als Akteur wahrgenommen wird oder nicht, sehr stark von der moralischen Wertung seiner Handlung abhängt. Leider finde ich dazu nichts mehr. Wenn mir das Beispiel wieder halbwegs plausibel einfällt, dann setze ich es hier rein.

Ja, ich erinnere ein ähnliches Esperiment, da ging es um einen Jack, der seine Frau umbringt (oder so ähnlich). Je nachdem, wie den Probanden dieselbe Situation (dieselben Fakten) geschildert wurde (also z.B. mehr oder weniger persönlich involviert), desto eher neigten sie zu einer inkompatibilistischen oder einer autonom-schuldhaften Deutung.

#175:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 09.09.2009, 14:08
    —
Ich meinte dieses hier (ok, er hieß Bill und nicht Jack, aber egal):

http://www.unc.edu/~knobe/Nichols-Knobe.pdf

Ich finde, es lohnt sich wirklich zu lesen.

Ein Beispiel:

Fragt man Studenten, ob Menschen in einem deterministischen Universum moralisch verantwortlich sein können, sagen über die Hälfte "nein" - sind also Inkompatibilisten.

Erzählt man jedoch eine niederträchtige Mordgeschichte in einem deterministischen (!) Universum und fragt, ob der Täter moralisch verantwortlich war, sagt die Mehrheit "ja".

Die Menschen scheinen also abstrakte, rationale Inkompatibilisten zu sein, aber in konkreten, emotional involvierten Situation werden sie Kompatibilisten - wohl um ein inneres Schuldkonzept, eine Identifikation aufrechterhalten zu können.

Und ähnliches.

#176:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 09.09.2009, 15:44
    —
Ich habe Deinen Link noch nicht gelesen. Aber was ich im Gedächtnis habe, geht ungefähr so:

Zwei Gruppen wird ein jeweils leicht voneinander abweichendes Szenario geschildert:

1.
Ein Fabrikant beauftragt einen Mitarbeiterstab mit einer möglichst günstigen Planung für einen Fabrikerweiterungsbau. Das Team legt ihm nach einiger Zeit zwei Entwürfe vor. Der zweite Entwurf ist noch etwas günstiger als der erste. Ein Mitarbeiter des Stabs weist darauf hin, daß die Umweltbelastung beim zweiten Entwurf höher liegt als beim ersten. Der Fabrikant sagt, diese Frage interessiere ihn nicht. Es käme ihm nur darauf an, daß die Lösung günstig wäre.

[An dieser Stelle wäre es eigentlich interessant, das Experiment im Forum durchuführen. Ist mir aber jetzt zu aufwendig. : )]

2.
Ein Fabrikant beauftragt einen Mitarbeiterstab mit einer möglichst günstigen Planung für einen Fabrikerweiterungsbau. Das Team legt ihm nach einiger Zeit zwei Entwürfe vor. Der zweite Entwurf ist noch etwas günstiger als der erste. Ein Mitarbeiter des Stabs weist darauf hin, daß die Umweltbelastung beim zweiten Entwurf niedriger liegt als beim ersten. Der Fabrikant sagt, diese Frage interessiere ihn nicht. Es käme ihm nur darauf an, daß die Lösung günstig wäre.


Ok.
Nun wurden die Gruppenmitglieder jeweils befragt, wie sie das Verhalten des Fabrikanten hinsichtlich der Umweltfrage beurteilen. Das Ergebnis war, daß dem Fabrikanten in 1. eindeutig ein umweltschädigendes Verhalten zugeordnet wurde. Wogegen das Verhalten des Fabrikanten in 2. vorwiegend als indifferent beurteilt wurde.


Nur aus dem Gedächtnis, Fehler in meiner Darstellung nicht ausgeschlossen.

#177:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 09.09.2009, 15:57
    —
Ah ja, das ist ähnlich, aber doch anders. Dein Beispiel wäre allerdings auch so zu deuten, daß eine aktuelle Normverletzung stärker negativ gewertet wird als eine nur indirekt zu schließende.

#178:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 17.09.2009, 02:18
    —
Paradigmenwechsel im Strafverfahren - Die Konsequenzen der Hirnforschung im Sanktionenrecht

#179:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 19.09.2009, 22:41
    —
Greifen die Argumente der Hirnforscher zu kurz? hat folgendes geschrieben:
Wir suchen nach erklärenden und rechtfertigenden Gründen für unser Handeln, fordern solche Gründe von uns selber und von anderen Personen, nehmen über die Diskussion solcher Gründe wechselseitig auf unser eigenes wie das Handeln anderer Personen Einfluss und verändern es dadurch immer wieder. Welche Alternative sollte es zu dieser altbewährten und weiterhin ununterbrochen geübten Praxis im Ernst geben? Auch die Hirnforschung hat eine solche Alternative nicht zu bieten, im Gegenteil, ohne diese Praxis gäbe es sie selber ja gar nicht. Wenn diese Praxis den Kern dessen ausmacht, was die Begriffe Willens- und Handlungsfreiheit am Ende sinnvollerweise beinhalten, hat die Hirnforschung weder in der theoretischen Analyse etwas nennenswert Neues an der recht verstandenen Willensfreiheit entdeckt noch für die alltägliche Praxis etwas verändert. Und wie man angesichts der enormen Komplexität des Gehirns mit empirisch triftigen Gründen vermuten darf, wird das auch in der weiteren Zukunft so bleiben. Warum also die Aufgeregtheit?

Straftheoretische Anmerkungen
zur Debatte um Hirnforschung und Verantwortung
hat folgendes geschrieben:
Danach bildet die Inpflichtnahme durch den strafrechtlichen Schuldvorwurf die untrennbare Kehrseite der Zuerkennung derjenigen Fähigkeiten, die sich – wie die bereits erwähnte Einwilligungs- und Geschäftsfähigkeit, aber auch die Testierfähigkeit (§ 2229 BGB) oder die Grundrechtsmündigkeit – für unser freiheitliches, auf Menschenwürde, Privatautonomie und Mitbestimmung gegründetes Gemeinwesen als schlechthin konstituierend erweisen. Ein überzeugendes Gegenmodell, das die Zuschreibung von Verantwortung als maßgebliches Orientierungsmuster in unserer Selbstwahrnehmung, im täglichen sozialen Miteinander und schließlich im Gerichtssaal ersetzen könnte, sind die Vertreter der modernen Neurowissenschaften bislang schuldig geblieben.

Diese Argumente sind strukturell gleich und führen mAn die Behauptung der (zumindest derjenigen, die in den Medien am meisten behandelten, als da wären Singer, Roth und Markowitsch) Hirnforscher, man solle aufhören, von Freiheit zu sprechen und müsse alles nur als Naturabläufe interpretieren, als unabänderliche kausale Abläufe, deren Beobachter wir unweigerlich nur sein könnten, man dürfe nur noch Mitleid mit Tätern haben, denn die hätten keinerlei Einfluss auf ihr Handeln, sie seien eigentlich nur Opfer ihrer Taten, sehr schön ad absurdum. Es ist mir bis heute völlig unbegreiflich, wieso das von den Hirnforschern nicht gesehen wird. Denn all ihre moralischen Forderungen setzen unweigerlich Ansprechpartner in einem Diskurs voraus, die aufgrund von Argumenten etwas in Gang setzen können, sie proklamieren also eine Möglichkeit, ein Sollen. Wobei sie aber gleichzeitig bestreiten, dass das möglich wäre, weil gar keine Kontrolle möglich sei, es ja nur Naturabläufe gäbe und mit diesen alles hinreichend erklärt sei. Einfach nur absurd erscheint mir das. Ein so offensichtlicher performativer Selbstwiderspruch.

Und abgesehen davon stellt sich auch die Frage, ob eine Gesellschaft in irgend einem Sinne humaner wäre, die (normale erwachsene) Menschen nicht mehr als freie selbstbestimmte Personen ansieht, sondern Normabweicher generell als "krank", "unzurechnungsfähig" und daraus eine Legitimation zur "Erziehung, Umerziehung und Besserung" über deren Köpfe hinweg ableiten würde. Ich meine das nicht, ganz im Gegenteil. Nur dadurch, dass man Handlungen jemandem zuordnet, so er sie absichtlich und willentlich ausführt, (d.h. ihn für verantwortlich hält und im Falle einer Normverletzung für schuldig), wird er als Person anerkannt, die Rechte und Pflichten hat, zu einem gleichberechtigten Bürger, dessen Grundrechte nicht verletzt werden dürfen. Es ist mE notwendiger Teil des Gesellschaftsvertrages in einer moralischen Gemeinschaft, dass Rechte mit Pflichten verknüpft sind. Das sieht man auch sehr schön an den Ansichten der Befürworter eines Sicherheitsrechtes, in dem die Rechte des Einzelnen nicht mehr vorkommen, der lediglich als zu behandelndes Objekt ("krank", "annormal", "falsch gepolt", whatever) angesehen wird, dem dann, falls eine Behandlung nicht möglich ist, auf unbestimmte Zeit die Freiheit entzogen werden darf. Aber dafür gibt es mE in einer freiheitlichen Gessellschaft wie unserer gar keine Legitimation.

Und das "Böse" verschwindet dadurch auch gar nicht, dass man keine selbstbestimmte Personen mehr anerkennen will, das ist ein mir unverständlicher Fehlschluss; es wird lediglich von der "bösen Tat" (für die der Täter verantwortlich ist) auf die "böse Veranlagung" (für die niemand etwas kann) verlagert. Was unweigerlich zur Folge hat, dass das heutige regelgeleitete (im Vorneherein festgelegte) und somit für jeden berechenbare und in die Kalkulation der eigenen Handlungen einbeziehbare Recht der reinen Willkür weicht. Und das wird der Tod des Rechtes sein. Und wie sollte man einem Richter vorwerfen, dass er jemanden zu 50 Jahren Haft, zum Tode, zur endlosen Folter verurteilt? Er muss und kann ja keine Rechenschaft mehr ablegen, so wie niemand das dann für vergangene Taten tun kann.

Oder aber Richter, Staatsanwalt und Verteidiger werden abgelöst durch unbestechliche Wissenschaftler, die objektiv die künftige Gefährdung der Gesellschaft durch den Delinquenten bestimmen und ihm daraufhin eine Behandlung zu einem besseren Menschen anbieten, oder, falls er das ablehnt, ihn auf unbestimmte, für ihn nicht beeinflussbare Zeit festsetzen. Er wird dann zum Objekt, das behandelt wird. Die Frage nach Rechtfertigungen, Legitimationen, Verantwortung, Schuld wird irrelevant.

Dies wäre dann eine andere Gesellschaft, als die, die wir (ich zumindest) heute anstreben. Nicht nachvollziebare Willkür würde das Recht (nicht nur das Strafrecht, sondern das Recht insgesamt) ersetzen. Die Ersetzung des normativen Rechtes durch die "objektive Wissenschaft", die nur das Beste für alle will, aber leider nicht nachvollziehbar wäre. Und dann fragte sich auch erst mal, ob es tatsächlich möglich ist, Normen naturwissenschaftlich objektiv festzulegen. Ich bezweifele und bestreite das energisch. Meiner Ansicht nach können Normen nur in einem Gesellschaftsvertrag, in einem Diskurs unter gleichberechtigten moralischen Akteuren festgelegt werden und Normen sind daraufhin weder objektiv, noch können sie überhaupt einen Anspruch auf Objektivität erheben. Das ist mE grundsätzlich nicht möglich.

All dies, das ganze Thema ist keine Frage, die mit naturwissenschaftlichen Mitteln gelöst werden könnte. Es ist eine normative Frage, die Frage danach, was wir für eine Gesellschaft wollen, wie wir Individuen sehen wollen, was wir ihnen zutrauen, welche Rechte und Pflichten wir ihnen (und somit immer uns selber auch) geben wollen, welche Normen wir wollen. Und diese sind, wie gesagt, letztlich Vereinbarungssache, mehr nicht, ohne Anspruch auf objektive Geltung. Weder naturwissenschaftlich nachweisbar noch widerlegbar. Sie können lediglich mehr oder weniger plausibel gemacht werden.

Für mich jedenfalls wäre ein solcher Prämissenwechsel nicht akzeptabel. Ich bin natürlich ein Kind des westlichen Denkens, dadurch beeinflusst, durch die Aufklärung, durch Philosophen wie Hobbes, Kant und Hegel. Für mich sind festgelegte individuelle Rechte, auf denen ich bestehen kann und die durchgesetzt werden, (auch gegen mich), unverzichtbar in einer Gesellschaft, diese sind der Grund, warum ich eine Gesellschaft akzeptiere und für notwendig halte. Man muss natürlich nicht so denken wie ich, man kann auch individuelle Freiheit für verzichtbar halten und diese dem Gemeinschaftswohl / einem höheren Ziel opfern. Aber für mich, so wie ich bin, mit meiner Sozialisation, wäre das nicht annehmbar.

Und was ich auch nicht verstehe an dieser Diskussion, ist, dass nicht gesehen und nicht berücksichtigt wird, dass der Umbau von einem Schuldstrafrecht in ein Sicherheits- / Polizeirecht längst begonnen hat. Auch getragen von den (mE falschen, nicht hinreichend begründbaren, leider dennoch wirkungsmächtigen) Thesen der Hirnforscher. "Wir wollen Sicherheit". Präventive Überwachung, präventive Aufweichung des Datenschutzes, präventive Festsetzung von potentiellen Gefährdern, schrittweise Ausweitung der Sicherungsverwahrung - all dies passiert doch gerade. Ich sehe aber keinen Fortschritt darin, das ist lediglich ein immer weiter fortschreitender Abbau des Rechtsstaates, ein Prämissenwechsel von Freiheit zur Sicherheit. Was aber, wie gesagt, mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen rein gar nichts zu tun hat, damit nicht begründet werden kann. Was aber dennoch als Legitimation all dessen dient.

Man sollte aufpassen, dass man sich da nicht vor den falschen Karren spannen lässt. Bei allem Verständnis für die Ablehnung von Religion und Metaphysik: aber diese Entwicklung bereitet mir große Sorge. Die Welt ist nicht binär; ich bin auch Atheist, ich habe mit Religion nichts am Hut, aber es ist mE überhaupt nichts gewonnen, sondern alles verloren, wenn unsere Gesellschaft wegen angeblicher wissenschaftlicher Erkenntnisse auf Freiheit verzichtet und in eine präventive Überwachungsgesellschaft umgewandelt wird. Ganz egal, wie säkular die dann wäre.

#180:  Autor: neinguar BeitragVerfasst am: 20.09.2009, 00:58
    —
@AgentProvocateur: Interessante Texte, Danke! (wobei ich bisher nur Frommel und Lindemann gelesen habe. Das Philosophengespräch muss ich mir noch in Ruhe zu Gemüte führen)

Eine Bemerkung am Rande:

Ein "strenger" Determinismus - soll hier heißen, eine Sicht, die aus einem grundsätzlichen Determinismus den Abschied von einem Konzept individueller Verantwortlichkeit, ob man das nun Schuld nennt oder wie auch immer, fordert - hätte nicht nur im Strafrecht, sondern im gesamten Recht Konsequenzen. Dein Zitat aus dem Text von Lindemann (in dem er auf den Ansatz von Frister Bezug nimmt (s. S. 8)), weist indirekt darauf hin:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Straftheoretische Anmerkungen
zur Debatte um Hirnforschung und Verantwortung
hat folgendes geschrieben:
Danach bildet die Inpflichtnahme durch den strafrechtlichen Schuldvorwurf die untrennbare Kehrseite der Zuerkennung derjenigen Fähigkeiten, die sich – wie die bereits erwähnte Einwilligungs- und Geschäftsfähigkeit, aber auch die Testierfähigkeit (§ 2229 BGB) oder die Grundrechtsmündigkeit – für unser freiheitliches, auf Menschenwürde, Privatautonomie und Mitbestimmung gegründetes Gemeinwesen als schlechthin konstituierend erweisen. (....)

Was sagen Hirnforscher, die eine andere Begründung von Strafe fordern, z.B. zu diesen Punkten?

#181:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 20.09.2009, 01:23
    —
neinguar hat folgendes geschrieben:
Was sagen Hirnforscher, die eine andere Begründung von Strafe fordern, z.B. zu diesen Punkten?

Naja, zum Teil kann das beantwortet werden mit einem Zitat aus eben diesem Link:

Straftheoretische Anmerkungen zur Debatte um Hirnforschung und Verantwortung hat folgendes geschrieben:
Auch nach Roth bedeutet der Abschied vom Begriff der persönlichen Schuld im Sinne eines „Andershandelnkönnens“ keineswegs den zwangsläufigen Verzicht auf Bestrafung einer Tat als Verletzung gesellschaftlicher Normen; die Gesellschaft müsse sehr wohl in der Lage sein, „durch geeignete Erziehungsmaßnahmen ihren Mitgliedern das Gefühl der Verantwortung für das eigene Tun einzupflanzen, und zwar nicht aufgrund freier Willensentscheidung, sondern aus der durch Versuch und Irrtum herbeigeführten Einsicht heraus, dass ohne ein solches Gefühl der Verantwortung das gesellschaftliche Zusammenleben nachhaltig gestört ist.“ Menschen seien zwar nicht für ihr Tun im moralischen Sinne verantwortlich, könnten aber zur Verantwortung erzogen werden, indem Eltern, Schule oder Gesellschaft sie bei der Ausbildung bestimmter Persönlichkeitsmerkmale unterstützten, die sie zu einem abwägenden Entscheidungsverhalten befähigten. Die Begriffe „Willensfreiheit“ und „Schuld“ seien hierbei zu vermeiden und die Praxis des Umgangs mit abweichendem Verhalten stattdessen stärker als bisher an „Erziehung, Umerziehung und Besserung“ auszurichten, weshalb es ein unverzichtbares Forschungsprogramm sei, herauszufinden, wie und in welchem Ausmaß dies möglich sei und wann nur die Entfernung aus der Gesellschaft („Wegsperren“) als Ausweg bleibe.

Mit anderen Worten: man soll die Leute dennoch zur Verantwortung erziehen, ihnen wider besseres Wissen suggerieren, sie seien für ihre Handlungen verantwortlich. Man soll es nur nicht so nennen. Aber wie man es sonst nennen soll, bleibt erst mal offen. "Strafen" kann man wohl auch, aber soll es vielleicht auch nicht mehr "Strafe" nennen.

#182:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 20.09.2009, 13:27
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Paradigmenwechsel im Strafverfahren - Die Konsequenzen der Hirnforschung im Sanktionenrecht

Anbei ein paar kritische Anmerkungen:

- strafrechtliche Schuld setze (im Gegensatz zum alltags-moralischen Schuldbegriff) keine übergeordnete Entscheidungsinstanz voraus, sondern nur eine Verstoß gegen das Gesetz. Im Folgenden vermeidet die Autorin sogar mehrfach den Begriff "Schuld", als sei er im modernen Strafrecht peinlich, und ersetzt ihn durch "Zurechnungsfähigkeit" o.ä.. Es wird tatsächlich sogar eine negative Umschreibung gewählt, ein bißchen so als wäre jeder (wie bei der Erbsünde) schuldig, bis das Gegenteil bewiesen ist:

Zitat:
Klaus Günter (Kritische Justiz 2/2006, S. 116 – 133) zeigt, dass in keinem Strafgesetzbuch ein Satz zu finden sei, wonach die Schuld eines Täters positiv festzustellen sei. Es werde nur negativ umschrieben, wann man sie verneinen könne.


- Daß "modernes Strafrecht [] nicht indeterministisch konstruiert" sei, möchte ich bezweifeln, denn, wie auch Burkhardt im Ursprungsbeitrag dieses threads zeigt, war ein großer Teil der Strafrechtler, bis vor wenigen Jahrzehnten wohl sogar die Mehrheit, da anderer Meinung. Die kompatibilistischen Rettungsversuche stammen zumeist aus jüngster Zeit. Selbst beim Bundesgerichtshof ist der Determinimsus erst seit 2001 erlaubt:

Burkhardt hat folgendes geschrieben:
In dem für die Strafrechtspraxis wohl bedeutendsten Kommentar zum Strafgesetzbuch war bis zur 50. Auflage (2001) noch zu lesen, das geltende Strafrecht könne nur indeterministisch verstanden werden.


- Der Vorwurf "schlechter Philosophie" an die Naturwissenschaftler wird wieder mal mit dem Spiegel-Interview und Markowitsch begründet - nicht sehr überzeugend. Umgekehrt wird nicht erwähnt, daß Strafrechtlern i.a. in keiner Weise an wissenschaftlicher Fundierung gelegen ist.

- Frommel leugnet den vergeltenden Aspekt des Strafrechts und behauptet, es gäbe seit ca. 100 Jahren nur einen generalpräventiven und einen spezialpräventiven Strafzweck, aus meiner Sicht steht das im Widerspruch zu vielen wesentlichen Publikationen, zu Urteilssprüchen, zu staatsanwaltlichen Forderungen, zur öffentlichen Meinung. Das Folgende spielt die Rolle des Schuldprinzips mE fälschlich herunter:

Zitat:
Die Systemkategorie Schuld war bis 1945 eher bedeutungslos. Sie wurde dann kurzfristig in den 1950er Jahren wertphilosophisch aufgeladen und damit erheblich überschätzt und spielt mittlerweile lediglich die Rolle eines Korrektivs gegen eine zu stromlinienförmige Ausrichtung des Strafrechts an präventiven Zwecken.

Abgesehen davon, daß das mE nicht mit der Realität übereinstimmt: Dieses kleine "Korrektiv" kann Jahrzehnte Haft ausmachen!

- Es werden 2 Zweige der Strafe genant: 1. Bestrafung und 2. Maßnahmen:

Zitat:
Wer in einer psychiatrischen Klinik des Maßregelvollzugs weder stationär noch ambulant behandelt werden kann, wird nicht deshalb freigesprochen
werden, weil er „nicht anders handeln konnte“, sondern wird präventiv wegen seiner Gefährlichkeit sanktioniert (untergebracht bzw. ambulant kontrolliert).

Das begründet jedoch wieder nur die evtl. Unterbringung gefährlicher Straftäter (auch wenn sie jetzt je nach mangelnder Unzurechnungsfähigkeit und Therapierbarkeit 1. oder 2. zugeordnet wird), nicht jedoch die drakonische Bestrafung nicht besonders wiederholungsgefährdeter Täter.

- Es ist trivial richtig, daß die Hirnforschung kein Argument gegen eine Bestrafung liefert, deren zugrundeliegendes Schuldprinzip kompatibilistisch entkernt wurde. Allerdings ist ein solches Argument dann auch gar nicht mehr notwendig, da ein solches Schuldkonzept eine Bestrafung gar nicht nehr begründen kann.

- Etwas unverschämt finde ich den (nicht nur hier vertretenen) Vorwurf, der Gedanke, Schuld sei eine Kategorie der Vergangenheit, führe zur Ausgrenzung von risikobehafteten oder „gefährlichen Tätern“ und zur Verschärfung der Präventionsmaßnahmen. Zumal gerade zuvor betont wird, daß ein gefährlicher Straftäter, der nicht resozialisierbar ist, eben stattdessen "zur STrafe" eingesperrt wird. Das ist Heuchelei!

- Man kann auch nicht den Hirnforscher allgemein vorwerfen, ihre Erkenntnisse führten zur "Dramatisierung von Einzelfällen", zu härteren Strafen und mehr Sicherheitsverwahrung zusätzlich zu langen Haftstrafen. Wenn überhaupt, ist das den Medien, den Stammtischen, den Staatsanwälten, den Politikern und ihren Wählern vorzuwerfen.

- Der letzte Satz gibt noch eine dezenten Hinweis auf die eingentliche Motivation:

Zitat:
Wer bürgerliche Werte auch in einer post-bürgerlichen Gesellschaft erhalten will, sollte vorsichtig sein mit allzu naiven Attacken und mit deskriptiven Bemerkungen zu askriptiven Sätzen.


Alles in allem scheint mir die Warnung vor zuviel "Wegsperren" berechtigt, aber leider enthält das Pöädoyer wieder keine Begründung für das Schuldprinzip bzw. die Bestrafung. Dieses wird einfach geleugnet, damit sich der gesamte 2.Teil des Plädoyers mit den Maßnahmen - und natürlich der Nazikeule - beschäftigen kann. Das ist, im Sinne meines Eingangspostings, Thema verfehlt.

#183:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 20.09.2009, 13:32
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
neinguar hat folgendes geschrieben:
Was sagen Hirnforscher, die eine andere Begründung von Strafe fordern, z.B. zu diesen Punkten?

Naja, zum Teil kann das beantwortet werden mit einem Zitat aus eben diesem Link:

Straftheoretische Anmerkungen zur Debatte um Hirnforschung und Verantwortung hat folgendes geschrieben:
Auch nach Roth bedeutet der Abschied vom Begriff der persönlichen Schuld im Sinne eines „Andershandelnkönnens“ keineswegs den zwangsläufigen Verzicht auf Bestrafung einer Tat als Verletzung gesellschaftlicher Normen; die Gesellschaft müsse sehr wohl in der Lage sein, „durch geeignete Erziehungsmaßnahmen ihren Mitgliedern das Gefühl der Verantwortung für das eigene Tun einzupflanzen, und zwar nicht aufgrund freier Willensentscheidung, sondern aus der durch Versuch und Irrtum herbeigeführten Einsicht heraus, dass ohne ein solches Gefühl der Verantwortung das gesellschaftliche Zusammenleben nachhaltig gestört ist.“ Menschen seien zwar nicht für ihr Tun im moralischen Sinne verantwortlich, könnten aber zur Verantwortung erzogen werden, indem Eltern, Schule oder Gesellschaft sie bei der Ausbildung bestimmter Persönlichkeitsmerkmale unterstützten, die sie zu einem abwägenden Entscheidungsverhalten befähigten. Die Begriffe „Willensfreiheit“ und „Schuld“ seien hierbei zu vermeiden und die Praxis des Umgangs mit abweichendem Verhalten stattdessen stärker als bisher an „Erziehung, Umerziehung und Besserung“ auszurichten, weshalb es ein unverzichtbares Forschungsprogramm sei, herauszufinden, wie und in welchem Ausmaß dies möglich sei und wann nur die Entfernung aus der Gesellschaft („Wegsperren“) als Ausweg bleibe.

Mit anderen Worten: man soll die Leute dennoch zur Verantwortung erziehen, ihnen wider besseres Wissen suggerieren, sie seien für ihre Handlungen verantwortlich. Man soll es nur nicht so nennen. Aber wie man es sonst nennen soll, bleibt erst mal offen. "Strafen" kann man wohl auch, aber soll es vielleicht auch nicht mehr "Strafe" nennen.

Deine Umschreibung "ihnen wider besseres Wissen suggerieren, sie seien für ihre Handlungen verantwortlich" ist grob falsch. Die genannte Erziehung kann (und sollte) offen beinhalten, daß es sich um eine (z.B. mit dem Allgemeinwohl begründete) Prägung handelt, und daß Verantwortlichkeit die Erwartung konformen Verhaltens infolge dieser Prägung bedeutet.

#184:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 20.09.2009, 13:52
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
...

Alles in allem ein Plädoyer für den Kompatibilismus und gegen neurologisch basierte Prävention, ohne jegliche ethische Begründung für Bestrafung.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und was ich auch nicht verstehe an dieser Diskussion, ist, dass nicht gesehen und nicht berücksichtigt wird, dass der Umbau von einem Schuldstrafrecht in ein Sicherheits- / Polizeirecht längst begonnen hat.

Doch, es wird gesehen, daß das Schuldstrafrecht langsam abgebaut wird, siehe mein Kommentar zu Burkhardt und Frommel. Es wäre ja schonmal etwas erreicht, wenn dieser Aspekt weiter vorangetrieben würde und wir uns da einig wären.

Was Du mit "Umbau" genau meinst, weiß ich nicht. Es wird mW nicht gefordert, z.B. vergeltende Gefängnisstrafen durch Wegsperren zu ersetzen, sondern das Hauptstoßrichtung ist eine Verfeinerung der Präventivmaßnahmen. Wie auch aus Deinem Roth-Zitat hervorgeht, geht es da nur im Extremfall ums Wegsperren, viel effizienter ist aber der Einsatz pädagogischer und evtl. eines Tages auch neurologischer Maßnahmen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Auch getragen von den (mE falschen, nicht hinreichend begründbaren, leider dennoch wirkungsmächtigen) Thesen der Hirnforscher. "Wir wollen Sicherheit". Präventive Überwachung, präventive Aufweichung des Datenschutzes, präventive Festsetzung von potentiellen Gefährdern, schrittweise Ausweitung der Sicherungsverwahrung - all dies passiert doch gerade. Ich sehe aber keinen Fortschritt darin, das ist lediglich ein immer weiter fortschreitender Abbau des Rechtsstaates, ein Prämissenwechsel von Freiheit zur Sicherheit. Was aber, wie gesagt, mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen rein gar nichts zu tun hat, damit nicht begründet werden kann. Was aber dennoch als Legitimation all dessen dient.

Willst Du im Ernst Leute wie Roth oder Singer verantwortlich machen für die Überwachungsphantasien von Schäuble & Co, oder für die durchgeknallten Medien und Stammtische?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Man sollte aufpassen, dass man sich da nicht vor den falschen Karren spannen lässt. Bei allem Verständnis für die Ablehnung von Religion und Metaphysik: aber diese Entwicklung bereitet mir große Sorge. Die Welt ist nicht binär; ich bin auch Atheist, ich habe mit Religion nichts am Hut, aber es ist mE überhaupt nichts gewonnen, sondern alles verloren, wenn unsere Gesellschaft wegen angeblicher wissenschaftlicher Erkenntnisse auf Freiheit verzichtet und in eine präventive Überwachungsgesellschaft umgewandelt wird. Ganz egal, wie säkular die dann wäre.

Da stimme ich natürlich zu. Und in meinem Modell würde die Freiheit ja sogar zunehmen, da es z.B. keine langen Gefängnisstrafen mehr gäbe. Präventive Maßnahmen unterlägen ebenfalls der Verhältnismäßigkeit und dem Minimalgebot (Zuwendung in der Jugend statt Wegsperren der Erwachsenen).

#185: Minority Report - Der Film zum thread Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 20.09.2009, 14:42
    —
Deterministische Wahnvorstellungen werden auch im Film "Minority Report" thematisiert:

Zitat:
„Der Film ist vieles in einem und keines ganz: deterministische Gesellschaftsvision, individuelles Schuld-und-Sühne-Drama und effektvolle Fluchtgeschichte. Technisch brillant und fesselnd im Konzept, wenn auch sicher nicht für jeden Zuschauer überzeugend.“

Auszeichnungen

Richard Hymns und Gary Rydstrom wurden im Jahr 2003 für den Tonschnitt für den Filmpreis Oscar nominiert.

Der Film gewann 2003 den Saturn Award in vier Kategorien: Beste Regie (Steven Spielberg), Bester Science-Fiction-Film, Beste weibliche Nebenrolle (Samantha Morton) und Bestes Drehbuch (Scott Frank und Jon Cohen). Er erhielt außerdem sieben Nominierungen für den Saturn Award, darunter die Nominierungen für Tom Cruise und Max von Sydow.

Realitätsbezug

Die britische Homicide Prevention Unit (HPU), eine 2004 (also nach der Entstehung des Films) gegründete Abteilung des Metropolitan Police Service, versucht mithilfe von Persönlichkeitsprofilen potentielle Gewalttäter zu finden. Seit 2006 wird geplant, so als potentielle Gewalttäter eingestufte Personen auch unter Umständen präventiv zu verhaften. Bei Nachrichtenmeldungen zu diesem Thema wurde wiederholt auf diesen Film verwiesen.


http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Minority_Report&printable=yes


Skeptiker

#186: Re: Minority Report - Der Film zum thread Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 20.09.2009, 14:55
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Deterministische Wahnvorstellungen werden auch im Film "Minority Report" thematisiert ...

Abgesehen davon, daß auch Du schon wieder das Thema verfehlst (es geht hier nicht um Prävention, sondern um die Begründung von Strafe):

Wie wird eigentlich begründet, daß die voraussichtlichen Verbrecher eingeschläfert werden dürfen? Ist das nicht zum einen eine völlig überzogene Maßnahme, und andererseits ein Widerspruch in sich, denn wie könnten die "Precogs" (so ein Schwachsinn überhaupt) eine Tat voraussehen, die verhindert wird?

Ich finde, ein unlogischer Scifi ist - unter aufgeklärten Leuten - kein gutes Argument zur Hetze gegen Deterministen.

#187: Re: Minority Report - Der Film zum thread Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 20.09.2009, 15:27
    —
step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Deterministische Wahnvorstellungen werden auch im Film "Minority Report" thematisiert ...

Abgesehen davon, daß auch Du schon wieder das Thema verfehlst (es geht hier nicht um Prävention, sondern um die Begründung von Strafe):

Wie wird eigentlich begründet, daß die voraussichtlichen Verbrecher eingeschläfert werden dürfen? Ist das nicht zum einen eine völlig überzogene Maßnahme, und andererseits ein Widerspruch in sich, denn wie könnten die "Precogs" (so ein Schwachsinn überhaupt) eine Tat voraussehen, die verhindert wird?

Ich finde, ein unlogischer Scifi ist - unter aufgeklärten Leuten - kein gutes Argument zur Hetze gegen Deterministen.


Ich schreibe deshalb so, weil ich die von AgentProvocateur auch gut benannten Tendenzen als gefährlich einstufe. Deshalb geht es nicht gegen Dich als Person, aber schon gegen sehr sehr gewagte und voreilige Schlussfolgerungen für eine "Erneuerung" der Justiz.

Vorsichtig! Das ist alles noch lange nicht ausgereift oder auch nur ausdiskutiert.

SciFi-Filme sind oft unlogisch und unplausibel, sogar Star Trek. Aber der Film sensibilisiert für das Thema - nicht nur aufgeklärte Leute - sondern auch die breite Masse. Und warum soll die nicht mitdiskutieren?

Mir wird das Schwergewicht bei der sogenannten Verbrechensbekämpfung zu sehr auf die reine Verhaltens- und zu wenig auf die Verhältnis-Prävention gelegt. Damit wird Kriminalität aus dem Kontext einer Gesellschaft gerissen, die für viele Verbrechen erst den Nährboden legt - übrigens auch für Verbrechen in den oberen Etagen dieser Society.

Herrschende Kreise haben die Absicht, immer mehr zu kontrollieren. Die Piratenpartei ist nicht ohne Grund entstanden und hat dies zum zentralen Thema. Es steht zu befürchten, dass Schäuble und co. sich diese Hirnforscher als Hofschranzen-Philosophen ins Haus holen und als "wissenschaftliches" Alibi für eine verstärkte Vor-Kontrolle verdächtiger Individuen benutzen. Da ist die Zukunft leider auch in dieser Richtung viel zu offen ...-

Skeptiker

edit: Ein Beispiel für den Kontrollwahn:

Hirnforscher scannen politische Gesinnung

Dass man auch andere Dinge wird zu scannen versuchen, etwa sexuelle Vorlieben etc., das kann man sich ausmalen.

#188: Re: Minority Report - Der Film zum thread Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 20.09.2009, 17:18
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Mir wird das Schwergewicht bei der sogenannten Verbrechensbekämpfung zu sehr auf die reine Verhaltens- und zu wenig auf die Verhältnis-Prävention gelegt.

Das liegt daran, daß es in solchen Diskussionen ja um die Bestrafung von Individuen geht, und die verhalten sich nunmal. "Den Kapitalismus" oder "die Gier des Menschen" kannst Du ja nicht in den Knast stecken.

Gerade ich als Determinist bin aber EXTREM vorsichtig damit, Personen aktuell die Schuld zuzuweisen, das sollte hinreichend klargeworden sein. Und auch bei der Prävention habe ich schon mehrfach angemerkt, daß ich Maßnahmen in der frühen Erziehung, sowie auch Maßnahmen am gesellschaftlichen Umfeld, für wesentlich effizienter halte (auch im Sinne der Minimierung der Leidzufügung), als irgendwelche Aktionen, wenn jemand schon ein wiederholungsgefährdeter Straftäter ist.

#189: Re: Minority Report - Der Film zum thread Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 20.09.2009, 17:20
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Hirnforscher scannen politische Gesinnung

Lachen - na, da würdest Du sicher als sehr konservativ entlarvt, im Gegensatz zu mir ...

#190: Re: Minority Report - Der Film zum thread Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 20.09.2009, 18:28
    —
step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Mir wird das Schwergewicht bei der sogenannten Verbrechensbekämpfung zu sehr auf die reine Verhaltens- und zu wenig auf die Verhältnis-Prävention gelegt.

Das liegt daran, daß es in solchen Diskussionen ja um die Bestrafung von Individuen geht, und die verhalten sich nunmal. "Den Kapitalismus" oder "die Gier des Menschen" kannst Du ja nicht in den Knast stecken.

Gerade ich als Determinist bin aber EXTREM vorsichtig damit, Personen aktuell die Schuld zuzuweisen, das sollte hinreichend klargeworden sein. Und auch bei der Prävention habe ich schon mehrfach angemerkt, daß ich Maßnahmen in der frühen Erziehung, sowie auch Maßnahmen am gesellschaftlichen Umfeld, für wesentlich effizienter halte (auch im Sinne der Minimierung der Leidzufügung), als irgendwelche Aktionen, wenn jemand schon ein wiederholungsgefährdeter Straftäter ist.


Maßnahmen am gesellschaftlichen Umfeld können vieles bedeuten. Mehr Wachtmeister in Ghettos? Oder umfassende soziale Reformen, die dann über das "Umfeld" hinaus gehen würden.

Die Überschrift dieses threads lautet: "Modernes Strafrecht".

Dieses soll auf Basis fragwürdiger Interpretationen (!) von Hirnforschungen dadurch gekennzeichnet sein, dass Schuld und Strafe abgeschafft werden. An deren Stelle sollen "Sicherheitsverwahrung" und Prävention treten. Verkauft wird das Ganze als anti-autoritär, was wie ein kleines süßes Bonbon wirken soll, um die bittere Pille zu schlucken, die dahinter stecken könnte.

Worin besteht diese?

Znächst einmal geht es hier um eine nicht mehr hinterfragte Anpassungsleistung an eine ebenso unhinterfragte Gesellschaft. Kritik? Widerstand? Rebellion? Gibt's nicht, höchstens in Gedanken, wenn überhaupt. Konformität ist oberste Leitlinie und Abweichung ist schon unzulässig, und das im Zeitalter des angeblichen Individualismus.

Es wird also damit geworben, dass die normabweichenden Individuen *milder* behandelt werden. Dafür gibt es eine umfassendere Kontrolle.

Basis dieser Kontrolle ist etwas, was gar nicht "modern" ist; nämlich die Annahme, das nonkonforme Individuum könne gar nicht anders.

Das hat man eigentlich schon zu früheren, voraufklärerischen Zeiten auch schon bestimmten Individuen und Gruppen in die Schuhe geschoben. Da gab es die vom "Bösen" Besessenen. Da gab es die geborenen Verbrecher. Da gab es die "fremdrassigen", die "anderen", usw. Ich brauche die Gruppen wohl nicht explizit zu benennen. Jeder kennt sie.

Nun hat man das selbe nur auf vermeintlich wissenschaftlicher Basis, in Wirklichkeit nach wie vor auf Basis von Philosophie.

Und selbst wenn auf dieser Grundlage zunächst einmal die Behandlung der Delinquenten human und milde ist. Es ist eine erneute Bresche in jene verhängnisvolle, misstrauische Sicht von Normbrechern. Und übrigens dieser Normbruch hat mit Moral und Menschenrechten nicht unbedingt sehr viel zu tun. Es kann sich auch um Normbrüche einer faschistischen Gesellschaft handeln.

Irgendwann kann sich dann die "freundliche" Behandlung der Abweichler ändern. Denn hat man erst einmal wieder die Menschen zu willenlosen Automaten degradiert - so wie einst - dann ergeben sich sehr schnell wieder Rechtfertigungen, gegen diese "Unverbesserlichen" härtere Maßnahmen zu ergreifen. Nehmen wir mal an, jemand schlägt eine neuartige "Schocktherapie" oder dergleichen vor. Selbstverständlich auf Grundlage neuester "Forschungen".

Das ist so wie mit den umfangreichen Datensammlungen der Bundesregierung. Erst mal ist der Datenschützer davor und verhindert Missbrauch. Dann heisst es plötzlich, ja, man brauche Zugriff auf die Daten, weil der Krieg gegen Terror dies erfordere. Oder so.

Deshalb sage ich: Das Ganze ist sowieso pseudowissenschaftlich und man sollte hier bereits den Anfängen wehren! (oder auch: Der Rückkehr in eine unselige Vergangenheit!)

Skeptiker


Zuletzt bearbeitet von Skeptiker am 20.09.2009, 18:33, insgesamt einmal bearbeitet

#191: Re: Minority Report - Der Film zum thread Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 20.09.2009, 18:29
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step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Hirnforscher scannen politische Gesinnung

Lachen - na, da würdest Du sicher als sehr konservativ entlarvt, im Gegensatz zu mir ...


Genau! Wir überlisten sie! Dann wirst Du sicherheitsverwahrt ...- Cool

Skeptiker

#192:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 20.09.2009, 21:10
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step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Straftheoretische Anmerkungen zur Debatte um Hirnforschung und Verantwortung hat folgendes geschrieben:
Auch nach Roth bedeutet der Abschied vom Begriff der persönlichen Schuld im Sinne eines „Andershandelnkönnens“ keineswegs den zwangsläufigen Verzicht auf Bestrafung einer Tat als Verletzung gesellschaftlicher Normen; die Gesellschaft müsse sehr wohl in der Lage sein, „durch geeignete Erziehungsmaßnahmen ihren Mitgliedern das Gefühl der Verantwortung für das eigene Tun einzupflanzen, und zwar nicht aufgrund freier Willensentscheidung, sondern aus der durch Versuch und Irrtum herbeigeführten Einsicht heraus, dass ohne ein solches Gefühl der Verantwortung das gesellschaftliche Zusammenleben nachhaltig gestört ist.“ Menschen seien zwar nicht für ihr Tun im moralischen Sinne verantwortlich, könnten aber zur Verantwortung erzogen werden, indem Eltern, Schule oder Gesellschaft sie bei der Ausbildung bestimmter Persönlichkeitsmerkmale unterstützten, die sie zu einem abwägenden Entscheidungsverhalten befähigten. Die Begriffe „Willensfreiheit“ und „Schuld“ seien hierbei zu vermeiden und die Praxis des Umgangs mit abweichendem Verhalten stattdessen stärker als bisher an „Erziehung, Umerziehung und Besserung“ auszurichten, weshalb es ein unverzichtbares Forschungsprogramm sei, herauszufinden, wie und in welchem Ausmaß dies möglich sei und wann nur die Entfernung aus der Gesellschaft („Wegsperren“) als Ausweg bleibe.

Mit anderen Worten: man soll die Leute dennoch zur Verantwortung erziehen, ihnen wider besseres Wissen suggerieren, sie seien für ihre Handlungen verantwortlich. Man soll es nur nicht so nennen. Aber wie man es sonst nennen soll, bleibt erst mal offen. "Strafen" kann man wohl auch, aber soll es vielleicht auch nicht mehr "Strafe" nennen.

Deine Umschreibung "ihnen wider besseres Wissen suggerieren, sie seien für ihre Handlungen verantwortlich" ist grob falsch. Die genannte Erziehung kann (und sollte) offen beinhalten, daß es sich um eine (z.B. mit dem Allgemeinwohl begründete) Prägung handelt, und daß Verantwortlichkeit die Erwartung konformen Verhaltens infolge dieser Prägung bedeutet.

Nein. Entweder ist jemand moralisch verantwortlich für sein Handeln oder er ist es nicht. Wenn er seine Handlungen nicht kontrollieren kann, weil die komplett auf Umwelteinflüsse zurückführbar / reduzierbar wären (-> TNR = Transfer of Non Responsibility), dann kann man nicht mehr von Verantwortung sprechen. "Wir prägen Dich jetzt und hoffen daraufhin, dass Du das machst, was wir erwarten" -> ja, klar, das kann man noch sagen. Aber das ist keine Verantwortung mehr. Entweder tut er es dann oder nicht. Wenn nicht - Pech gehabt, kann niemand was für, waren dann halt die Umstände, die dagegen sprachen.

Sobald sich jemand seine Handlungen nicht selber zuschreibt, wird er sich auch nicht verantwortlich fühlen. Wenn die künftige Lehre sein soll, dass Personen nur Homunkuli seien, nur Beobachter ihrer selbst, dann ist Verantwortung damit gegessen.

Wenn Du etwas von mir erwartest und gleichzeitig sagst, ich könne nicht für meine Handlungen, die seien mir gar nicht zuzuordnen, sondern dem Weltgeist oder wem oder was auch immer, wie sollte ich mich da verantwortlich fühlen können?

#193:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 20.09.2009, 21:17
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step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
...

Alles in allem ein Plädoyer für den Kompatibilismus und gegen neurologisch basierte Prävention, ohne jegliche ethische Begründung für Bestrafung.

Nein, das ist nicht nur ein Plädoyer, da sind meine Argumente nochmal zusammenfasst. In Kurzform:

- Die Behauptungen gewisser Hirnforscher / deren Apologeten (z.B.: WOLFGANG PRINZ: Wir «tun (…) nicht, was wir wollen (…), sondern wir wollen, was wir tun». Oder, ein bisschen subtiler: «Entscheidungen kommen zustande, ohne dass da jemand wäre, der sie trifft») sind performativ selbstwidersprüchlich, denn sie müssen sie selbstverständlich auch auf sich selber anwenden (= Irgendjemand / Irgendwas ist da, was Entscheidungen und Aussagen trifft, Behauptungen aufstellt und eben das ist die Person - nichts anderes, kein "Ich", "Selbst" oder "Selbstmodell")

- Der Verzicht auf das Schuld- / das Verantwortungsprinzip (d.h. Handlungen der Person zuzuordnen) ist mE weniger human als die heutige Vorgehensweise, denn sie spricht allen per se ihre Kontrollfähigkeit und somit ihre Persönlichkeit ab; dann werden Personen als Objekte Behandlungen unterworfen, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen

- Eine (evtl. präventive) Einteilung in "gesunde" und "kranke" Mitglieder der Gesellschaft wird eine sehr viel größere Stigmatisierung bedeuten als die heutige Anwendung des Schuldprinzipes, das nämlich auf eine Tat bezogen wird und nicht auf den Menschen als Ganzes

- Gleichzeitig wird unserem Gesellschaftsmodell die Grundlage entzogen. Kein Recht, keine Pflicht, keine Verteidigung, keine Rechtfertigung, keine Legitimation, keine Verträge mehr

- Ein Sicherheitsrecht, das unvorhersehbar (und nicht nachvollziehbar) nach Einzelfall entscheidet, wird der Willkür Tür und Tor öffnen

- Für diese Forderungen nach einem Umbau der Gesellschaft gibt es keineswegs (natur-)wissenschaftliche Grundlagen, wie dennoch implizit ständig behauptet

- Der Umbau von einem Strafrecht in ein Sicherheitsrecht hat begonnen und kann sich auf die (aber mE unbegründeten) Behauptungen der (einiger exponierter) Hirnforscher stützen

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und was ich auch nicht verstehe an dieser Diskussion, ist, dass nicht gesehen und nicht berücksichtigt wird, dass der Umbau von einem Schuldstrafrecht in ein Sicherheits- / Polizeirecht längst begonnen hat.

[...] Was Du mit "Umbau" genau meinst, weiß ich nicht. Es wird mW nicht gefordert, z.B. vergeltende Gefängnisstrafen durch Wegsperren zu ersetzen, sondern das Hauptstoßrichtung ist eine Verfeinerung der Präventivmaßnahmen. Wie auch aus Deinem Roth-Zitat hervorgeht, geht es da nur im Extremfall ums Wegsperren, viel effizienter ist aber der Einsatz pädagogischer und evtl. eines Tages auch neurologischer Maßnahmen.

Mit "Umbau" meine ich die Veränderung des Schuldstrafrechtes in ein Präventivrecht, ein Sicherheitsrecht. Und, sorry, aber ich halte es für furchtbar naiv, anzunehmen, man könnte mal hier und da 'ne Therapie durchführen und dann wäre alles prima. Das funktioniert jedoch nicht, nicht heute und nicht hier. Menschen sind keine Maschinen, die man mal schnell (oder langsam) reparieren könnte. In den 70er Jahren glaubte man das auch, aber inzwischen ist da einige Ernüchterung eingekehrt. Bleibt also letztlich nur das Wegsperren. Und "neurologische Maßnahmen", naja. Auch ganz schöne Zukunftsmusik. Da können wir uns drüber unterhalten, wenn es da Fortschritte gibt. Was heute möglich ist, ist Ruhigstellung mit Medikamenten. Das wird ja auch gemacht, aber davon bin ich nicht so besonders begeistert, um es mal vorsichtig auszudrücken.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Auch getragen von den (mE falschen, nicht hinreichend begründbaren, leider dennoch wirkungsmächtigen) Thesen der Hirnforscher. "Wir wollen Sicherheit". Präventive Überwachung, präventive Aufweichung des Datenschutzes, präventive Festsetzung von potentiellen Gefährdern, schrittweise Ausweitung der Sicherungsverwahrung - all dies passiert doch gerade. Ich sehe aber keinen Fortschritt darin, das ist lediglich ein immer weiter fortschreitender Abbau des Rechtsstaates, ein Prämissenwechsel von Freiheit zur Sicherheit. Was aber, wie gesagt, mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen rein gar nichts zu tun hat, damit nicht begründet werden kann. Was aber dennoch als Legitimation all dessen dient.

Willst Du im Ernst Leute wie Roth oder Singer verantwortlich machen für die Überwachungsphantasien von Schäuble & Co, oder für die durchgeknallten Medien und Stammtische?

Du hast Markowitsch vergessen. Und, naja, böse Absicht möchte ich ihnen nicht unterstellen. Wahrscheinlich ist es eher der gute Wille, die Überzeugung der Wahrheit der eigenen Thesen, der Böses schafft. Fakt ist mE aber, dass all diese Maßnahmen sich auf eben diese Ansicht der Kontrollunfähigkeit, der grundsätzlichen Unfreiheit der Person berufen können. Der "geborene Terrorist" usw., der zwar nichts dafür kann, dass er so ist, wie er ist, der aber schlicht aus dem Verkehr gezogen werden muss, weil, "wir müssen uns ja schützen". Ohne persönlichen Vorwurf. Aber das nutzt einem Verdächtigen ja gar nichts, im Gegenteil, er kann sich noch nicht einmal mehr verteidigen.

Edit: Merkels Hirn

step hat folgendes geschrieben:
Und in meinem Modell würde die Freiheit ja sogar zunehmen, da es z.B. keine langen Gefängnisstrafen mehr gäbe. Präventive Maßnahmen unterlägen ebenfalls der Verhältnismäßigkeit und dem Minimalgebot (Zuwendung in der Jugend statt Wegsperren der Erwachsenen).

Ja, mag zwar sein, denke ich aber nicht, denn ich halte schon präventive Untersuchungen auf potentielle Gefährdungen (und darauf bei negativer Prognose evtl. folgende Maßnahmen erst recht) für unzulässige Freiheitseinschränkungen. Aber es kümmert sich eh keiner um Dein Modell, es ist nur eine Möglichkeit, aber so wird es nicht kommen. Die Prämissen werden statt dessen jedoch herangezogen, um Freiheitseinschränkungen zu begründen. Das ist der Punkt.

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Nochmal kurz zu dem obigen Link von Frommel:

- Sie schwingt keineswegs die Nazikeule
- Sie leugnet nicht den vergeltenden Aspekt des Strafrechtes
- Es ist richtig, dass die Auffassungen darüber, ob das Schuldprinzip eine indeterministische Willensfreiheit erforderten, auseinandergehen. Ich kann Dir 100 Links geben, in denen das abgestritten wird, ich kann ebenso 100 Links geben, in denen das behauptet wird, keine Ahnung, was "richtig" ist. Aber es ist letztlich irrelevant, was jemand behauptet, es kommt nur auf die zugehörigen Argumente an. Wert lege ich allerdings darauf, dass die Behauptung nicht richtig ist, dass die einhellige Meinung dazu die sei, indeterministische Willensfreiheit sei unverzichtbar für das heutige Strafrecht.

#194:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 21.09.2009, 13:43
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... dann kann man nicht mehr von Verantwortung sprechen.

Doch, das kann man sehrwohl. Das ist analog dazu, daß ich meine, ohne die Möglichkeit, in derselben Situation auch anders gehandelt haben zu können, könne man nicht mehr von "Freiem Willen" sprechen. Du akzeptierst das nicht und bezeichnest mit "Freiem Willen" die Tatsache, daß keine direkten Zwänge bekannt sind und daß andere Individuen in ähnlichen Situationen anders handeln. Und ich bezeichne eben Verantwortung als die Erwartung an das Individuum, konform zu handeln. Aber das ist hier eigentlich OT, und zudem Definitionssache. Mir geht es ja hier um die ethische Legitimität vergeltender Strafrechtsaspekte.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
"Wir prägen Dich jetzt und hoffen daraufhin, dass Du das machst, was wir erwarten" -> ja, klar, das kann man noch sagen. Aber das ist keine Verantwortung mehr. Entweder tut er es dann oder nicht. Wenn nicht - Pech gehabt, kann niemand was für, waren dann halt die Umstände, die dagegen sprachen.

Wenn es die Umstände waren, muß man die Umstände ändern. Wenn es die Präferenzen waren, muß man die Präferenzen ändern. Kann man nichts ändern, sollte man die Verantwortung nicht mehr zuweisen. Ich sehe das Problem nicht, außer daß man eben keine Schuld, sondern nur noch Änderungsbedrf ableiten kann.

Irgendwie habe ich das Gefühl, Du meinst, eine solche Zuweisung von Verantwortung führe beim Handelnden nicht zu einem hinreichend starken Schuld- oder Verbindlichkeitsgefühl, sondern zu Fatalismus. Das erscheint mir aber unlogisch, denn wieso sollten die Erwartungen der Anderen nicht ein starker Treiber sein?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... Wenn Du etwas von mir erwartest und gleichzeitig sagst, ich könne nicht für meine Handlungen, die seien mir gar nicht zuzuordnen, sondern dem Weltgeist oder wem oder was auch immer, wie sollte ich mich da verantwortlich fühlen können?

Das mit dem Weltgeist mußte nicht sein, oder?

Du ignorierst beharrlich, daß Dein Bewußtsein nicht NUR ein Beobachter Deiner Entscheidungen ist, sondern auch eine Inputschnittstelle für Appelle und ein Teil eines Regelkreises, der auf die Präferenzen Einfluß hat. Etwa wenn Du eine Handlung unterläßt, weil ich Dir einen Nachteil bewußt mache.

Wenn ich also etwas von Dir möchte, aber nicht erwarte, dann weise ich Dir entweder nicht die Verantwortung zu (sondern mache es selbst oder nehme die Folgen inkauf oder ...), oder ich appelliere an Dich, daß ich das von Dir möchte, weil (Vorteile, Gemeinnutzen, ...). Im letzteren Fall hätte ich die Hoffnung, daß sich daraufhin Deine Präferenzen entsprechend ändern. Ich sehe nicht, wieso das schlechter funktionieren sollte, wenn alle Beteiligten wissen, daß es sich bei dieser Prägung, diesem Appell usw. umn einen deterministischen Vorgang handelt.

#195:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 21.09.2009, 14:37
    —
Ich nehme mal nur das heraus, was sich wenigstens irgndwie auf die Begründung des Schuldprinzips bezieht. Und auch die diversen Strohmänner à la "Menschen sind keine Maschinen, die man mal eben repariert" ignoriere ich besser.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
- Der Verzicht auf das Schuld- / das Verantwortungsprinzip (d.h. Handlungen der Person zuzuordnen) ist mE weniger human als die heutige Vorgehensweise, denn sie spricht allen per se ihre Kontrollfähigkeit und somit ihre Persönlichkeit ab; dann werden Personen als Objekte Behandlungen unterworfen, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen

- wie bereits an anderer Stelle begründet, würde keineswegs die Persönlichkeit abgesprochen, denn diese besteht ja nach wie vor aus den Präferenzen, ihrer Bewußtwerdung, den Erinnerungen, den Körperwahrnehmungen usw.

- eine Änderung von Präferenzen, eine Erziehung oder Prägung also, und sei es nur in der Form eines moralischen Appelles, ist immer mit einer teilweisen Objektivierung verbunden. Dies ist sogar dann der Fall, wenn die Änderung aufgrund von aktuell internen Einflüssen geschieht. Das zu leugnen ist naiv.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Und in meinem Modell würde die Freiheit ja sogar zunehmen, da es z.B. keine langen Gefängnisstrafen mehr gäbe. Präventive Maßnahmen unterlägen ebenfalls der Verhältnismäßigkeit und dem Minimalgebot (Zuwendung in der Jugend statt Wegsperren der Erwachsenen).
Ja, mag zwar sein, denke ich aber nicht, denn ich halte schon präventive Untersuchungen auf potentielle Gefährdungen (und darauf bei negativer Prognose evtl. folgende Maßnahmen erst recht) für unzulässige Freiheitseinschränkungen.

Schlag doch mal vor, wie man mit einem "überführten" Kindesmißbraucher in bezug auf Prävention umgehen sollte. Soll man darauf vertrauen, daß ein Psychologe vor Wiederholungsgefahr warnt? Ist diese Freiheitseinschränkung zulässig, und warum? Ist das nicht Willkür im Einzelfall?

Ich habe kein Problem damit, bei der Zulässigkeit präventiver Maßnahmen sehr defensiv vorzugehen, um Freiheitseinschränkungen und vor allem ihren Mißbrauch zu vermeiden. Die ganze Präventions-, Hirnscan- und Wegsperrgeschichte kommt übrigens NIE von mir, sondern wird immer von meinen Diskussionsgegnern aufgebracht. Das einzige, was ich von mir aus ursprünglich dazu gesagt habe - wenn ich mich nicht täusche - war, daß ich den Spezialpräventionsaspekt des Strafrechts (oder Maßnahmenrechts) ethisch immerhin prinzipiell nachvollziehen kann.

Aber nehmen wir mal an, wir könnten uns auf ein sehr defensives Präventionsmodell einigen, das sehr wenige Freiheiten einschränkt und im Zweifelsfall lieber Wiederholungstaten inkaufnimmt.

Bleibt immer noch mein Hauptanliegen, das aus meiner Sicht ethisch unbegründete Strafrecht / Strafmaß.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Nochmal kurz zu dem obigen Link von Frommel:

- Sie schwingt keineswegs die Nazikeule

OK, ein Keulchen:

Frommel hat folgendes geschrieben:
Man kann also Kontinuitäten bilden von Franz von Liszt zur sog. Sonderbehandlung im KZ und den Sicherungsgedanken als besonders anfällig für inhumane Ausgrenzung identifizieren. Aber man kann auch die Diskontinuität betonen. [...] Aber ein Schatten fällt auf diese Tradition dennoch und umso interessanter ist es, dass die moderne Hirnforschung an solchen Paradigmen anknüpfen möchte, während die gegenwärtige Strafrechtswissenschaft den negativen Schuldbegriff stützt.


AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
- Sie leugnet nicht den vergeltenden Aspekt des Strafrechtes

Naja, sie nennt erstens nur die anderen Aspekte, und spielt zweitens den Aspekt der Schuld generell herunter. Neben den bereits von mir zitierten Stellen hier noch eine weitere:

Frommel hat folgendes geschrieben:
Schuld ist eine von Laien überschätzte Systemkategorie des modernen Strafrechts. Wertphilosophische Konzepte gab es, aber sie prägen die Geschichte des Strafrechts nicht, sondern Präventionsmodelle. Schuldangemessenheit ist ein Korrektiv gegen ein allzu stromlinienförmiges Präventionsstrafrecht und als solches verfassungsrechtlich unverzichtbar.

(Vergeltende) Strafe wird also immer nur als Begrenzung präventiver Maßnahmen angeführt (was man auch auf anderem Wege erreichen könnte), es wird aber nie begründet, warum sie überhaupt legitim ist. Denn wenn man etwa einen Mörder 25 Jahre oder einen Dealer 2 Jahre in den Knast steckt, welchen Nutzen hat das? Weder "korrigiert" es irgendwelche Präventivmaßnahmen nach unten, noch funktioniert es selbst als Präventivmaßnahme. Im Gegenteil, eine solche Strafe bedarf selbst eines Korrektivs, und zwar eines ethischen und eines Nutzenkorrektivs.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
- [...] Wert lege ich allerdings darauf, dass die Behauptung nicht richtig ist, dass die einhellige Meinung dazu die sei, indeterministische Willensfreiheit sei unverzichtbar für das heutige Strafrecht.

Habe ich auch nicht behauptet. Übrigens sieht selbst Frommel den Kompatibilismus nur im (modernen) Strafrecht, nicht jedoch im alltagsmoralischen Schuldbegriff. Daher oben meine von Mario Hahna beantwortete Frage, ob denn der 08/15 Richter und Staatsanwalt vielleicht das Schuld- und Vergeltungsprinzip als wichtiger einschätze, als das Frommel behauptet, und mgle. auch eher dem alltagsmoralischen Schuldbegriff anhänge.

#196: Verbrechensbekämpfung im Anstaltsstaat Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 21.09.2009, 16:55
    —
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
- Sie schwingt keineswegs die Nazikeule

OK, ein Keulchen:

Frommel hat folgendes geschrieben:
Man kann also Kontinuitäten bilden von Franz von Liszt zur sog. Sonderbehandlung im KZ und den Sicherungsgedanken als besonders anfällig für inhumane Ausgrenzung identifizieren. Aber man kann auch die Diskontinuität betonen. [...] Aber ein Schatten fällt auf diese Tradition dennoch und umso interessanter ist es, dass die moderne Hirnforschung an solchen Paradigmen anknüpfen möchte, während die gegenwärtige Strafrechtswissenschaft den negativen Schuldbegriff stützt.


Frommel hat aber richtig erkannt, dass die Ansichten bestimmter Hirnforscher ein reaktionäres Zurück bedeuten, wie ich auch oben - auf dieser Seite - beschrieben habe.

Ganz gut finde ich auch den folgenden Text:

Zitat:
Die (kritische) bio-politische Perspektive verleitet dazu, die Geschichte der Kriminalitätsbekämpfung als stets zunehmende Pathologisierung und Biologisierung abweichenden Verhaltens zu verstehen, die darin mündet, im Verbrecher eine Rasse sui generis zu sehen, die letztlich den biologischen Bestand der Gesellschaft gefährdet. (...)

Die Hirnforschung arbeitet daran, die Täter(innen)kreise zu identifizieren, die mangels eines rationalen Kalküls von der Regierbarkeit durch Abschreckung (die in der ökonomischen Theorie des Strafens als Kosten-Nutzen-Abwägung unterstellt ist) ausgeschlossen sind. Ihr Wirkungsfeld wird die Hirnforschung also dort finden, wo nicht der falsch gebildete Wille, sondern der Zustand der Täter/innen die Grundlage für die staatliche Übelszufügung bildet, mithin in den schuldunabhängigen Maßnahmen der Sicherung und Besserung. Dies deckt sich mit dem zeitgemäßen kriminalpolitischen Bedürfnis, die Sicherungsverwahrung verstärkt anzuwenden.


http://www.bdwi.de/forum/archiv/archiv/2040433.html


Hier kann man sich allerdings fragen, was es bedeutet, die Macht von den Gerichten auf die psychiatrischen Gutachter übergehen zu lassen. Gerade am Beispiel der "begutachteten" Frankfurter Steuerfahnder lässt sich mit nicht mit Fantasie mutmaßen, dass einer Ausweitung dieser Methode zwecks Kaltstellung solcher Gruppen stattfinden kann, deren mangelnder Konformismus dem Staat einfach nicht in den Kram passt.

Auf der anderen Seite kann man sich vorstellen, dass gesetzes- und normkonforme Verbrechen an den Menschenrechten, an der Menschheit damit belohnt werden, dass die entsprechenden Täter ohne Sanktionen davon kommen oder nur mit solchen, die auch Parksünder hinnehmen müssen, weil sie ja schließlich nur getan haben, was das Schicksal befohlen habe - neckisch als "Determinismus" verbrämt.

So gehen dann u.U. sämtliche Maßstäbe verloren.

Interessant finde ich ohnehin das oben zitierte Buch von Christian Müller. Hier eine passende Stelle zum Streit zwischen dem Vergeltungsstrafrecht und dem Paradigma des - deterministisch auffassbaren - "geborenen Verbrechers":

Verbrechensbekämpfung im Anstaltsstaat Von Christian Müller

Die Sichtweisen des hier beschriebenen Physikalismus sowie der genannten ultrakonservativen Hirnforscher laufen in der Tat auf so etwas ähnliches hinaus wie einen Anstaltsstaat. Der ist allerdings alles andere als "modern" ...-

Skeptiker

#197: Re: Verbrechensbekämpfung im Anstaltsstaat Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 21.09.2009, 18:09
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Ganz gut finde ich auch den folgenden Text:
Zitat:
... Die Hirnforschung arbeitet daran, die Täter(innen)kreise zu identifizieren, die mangels eines rationalen Kalküls von der Regierbarkeit durch Abschreckung (die in der ökonomischen Theorie des Strafens als Kosten-Nutzen-Abwägung unterstellt ist) ausgeschlossen sind.

Glaubst Du wirklich, daß die Hirnforschung daran arbeitet? Ich dachte immer, denen geht es um die Erklärung des Gehirns und des Bewußtseins. Und wer sind diese ominösen "Kreise ohne rationales Kalkül"? Sind das die Revolutionäre?

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
... Auf der anderen Seite kann man sich vorstellen, dass gesetzes- und normkonforme Verbrechen an den Menschenrechten, an der Menschheit damit belohnt werden, dass die entsprechenden Täter ohne Sanktionen davon kommen ...

Moment mal, ist das nicht gerade ein feature des geltenden Strafrechts: nulla poena sine lege?

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Interessant finde ich ohnehin das oben zitierte Buch von Christian Müller. Hier eine passende Stelle ...

Ein Blick genügt: auf der ersten Seite 3x "Lombroso", 3x "geborener Verbrecher", da brauch ich wg. Strohmann gar nicht weiterlesen.

#198: Re: Verbrechensbekämpfung im Anstaltsstaat Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 21.09.2009, 20:27
    —
step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Ganz gut finde ich auch den folgenden Text:
Zitat:
... Die Hirnforschung arbeitet daran, die Täter(innen)kreise zu identifizieren, die mangels eines rationalen Kalküls von der Regierbarkeit durch Abschreckung (die in der ökonomischen Theorie des Strafens als Kosten-Nutzen-Abwägung unterstellt ist) ausgeschlossen sind.

Glaubst Du wirklich, daß die Hirnforschung daran arbeitet? Ich dachte immer, denen geht es um die Erklärung des Gehirns und des Bewußtseins. Und wer sind diese ominösen "Kreise ohne rationales Kalkül"? Sind das die Revolutionäre?


Ich habe nur den o.a. Text zitiert. Dort steht, dass sich diejenigen Hirnforscher, die sich für Strafrecht interessieren (- und das scheint bemerkenswert oft der Fall zu sein! -), auf die zwei Gebiete der Impuls- sowie der Kalkülkriminalität zurückziehen müssen, um überhaupt im Bereich der Kriminologie noch Gehör zu finden.

Wenn Du meinst, dass Revolutionäre ohne Kalkül vorgehen können, dann weiß ich nicht, was für seltsame Revolutionäre das sein sollen. Aber das ist ja auch nicht das Thema.

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
... Auf der anderen Seite kann man sich vorstellen, dass gesetzes- und normkonforme Verbrechen an den Menschenrechten, an der Menschheit damit belohnt werden, dass die entsprechenden Täter ohne Sanktionen davon kommen ...

Moment mal, ist das nicht gerade ein feature des geltenden Strafrechts: nulla poena sine lege?


Dass (der Bruch der) Gesetze damit als notwendige, jedoch nicht als hinreichende Bedingung für eine Strafe bezeichnet werden, entspricht für bestimmte Milieus durchaus der Realität bürgerlicher Gesellschaften.

Aber etwas anderes ist viel entscheidender: Wie sehen die Gesetze selber aus? Wer macht sie, wer legt sie aus? Verbrechen gegen die Menschheit können leicht legalisiert werden; das ist oft genug geschehen und verfolgt werden dann anschließend keine Verbrechen mehr, sondern *Abweichungen* von just jenen Gesetzen.

Was das bedeutet ist klar: Die Schonung von Verbrechern und die Verfolgung von Abweichlern. Da hilft dann auch Deine schonende Behandlung nichts mehr. Die Gerechtigkeit hat dann verloren.

Dahin kann eine Justiz kommen, die keinen Begriff mehr von Verbrechen hat, sondern einen zunächst unmerklichen, jedoch drastisch wirksamen Pardigmenwechsel von der Kriminalitäts- zur Abweichungsbekämpfung vollzieht.

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Interessant finde ich ohnehin das oben zitierte Buch von Christian Müller. Hier eine passende Stelle ...

Ein Blick genügt: auf der ersten Seite 3x "Lombroso", 3x "geborener Verbrecher", da brauch ich wg. Strohmann gar nicht weiterlesen.


Na, nun maul nicht wieder rum. Hier gibt's weiterführende Betrachtungen im selben Buch, die Dich vielleicht mehr interessieren:

Verbrechensbekämpfung im Anstaltsstaat, S. 137 ff.

Skeptiker

#199:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 21.09.2009, 21:07
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
... Auf der anderen Seite kann man sich vorstellen, dass gesetzes- und normkonforme Verbrechen an den Menschenrechten, an der Menschheit damit belohnt werden, dass die entsprechenden Täter ohne Sanktionen davon kommen ...
Moment mal, ist das nicht gerade ein feature des geltenden Strafrechts: nulla poena sine lege?
Dass (der Bruch der) Gesetze damit als notwendige, jedoch nicht als hinreichende Bedingung für eine Strafe bezeichnet werden, entspricht für bestimmte Milieus durchaus der Realität bürgerlicher Gesellschaften.

Das klingt, als würdest Du diesen Grundsatz gern abgeschafft sehen, passend zu Deinem absoluten Verständnis von Moral als etwas überkulturell Eindeutigem.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Aber etwas anderes ist viel entscheidender: Wie sehen die Gesetze selber aus? Wer macht sie ...

Da rutschst Du jetzt aber in die Legislative ab. Oder ist die Gewaltenteilung auch nur eine "Milieu-Realität bürgerlicher Gesellschaften"?

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Interessant finde ich ohnehin das oben zitierte Buch von Christian Müller. Hier eine passende Stelle ...
Ein Blick genügt: auf der ersten Seite 3x "Lombroso", 3x "geborener Verbrecher", da brauch ich wg. Strohmann gar nicht weiterlesen.
Na, nun maul nicht wieder rum. Hier gibt's weiterführende Betrachtungen im selben Buch, die Dich vielleicht mehr interessieren: Verbrechensbekämpfung im Anstaltsstaat, S. 137 ff.

Naja, ein geschichtlicher Abriß des Schulenstreits ... aber ich habe tatsählich auch ein paar interessante Einschätzungen gefunden, etwa die, daß die zweisäulige Basierung des Rechts auf vergeltender Strafe und Sicherungsmaßnahmen gar nicht korrigierend wirkt/wirkte, sondern im Gegenteil enthemmend, und zwar in beide Richtungen, jedenfalls in Kaiserreich und Weimarer Republik: So dürfe eine Sicherungsmaßnahme den vergeltenden Strafrahmen überschreiten, ebenso aber überschreite eine vergeltende Strafe oft das präventiv sinnvolle Maß.

Aber eine Begründung für (nichtpräventive) Strafe habe ich wieder nicht gefunden.

#200:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 22.09.2009, 01:58
    —
@step

Mit dem "Nazikeulchen" hast Du recht. Das hätte sie sich wirklich sparen können.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Und in meinem Modell würde die Freiheit ja sogar zunehmen, da es z.B. keine langen Gefängnisstrafen mehr gäbe. Präventive Maßnahmen unterlägen ebenfalls der Verhältnismäßigkeit und dem Minimalgebot (Zuwendung in der Jugend statt Wegsperren der Erwachsenen).
Ja, mag zwar sein, denke ich aber nicht, denn ich halte schon präventive Untersuchungen auf potentielle Gefährdungen (und darauf bei negativer Prognose evtl. folgende Maßnahmen erst recht) für unzulässige Freiheitseinschränkungen.

Schlag doch mal vor, wie man mit einem "überführten" Kindesmißbraucher in bezug auf Prävention umgehen sollte. Soll man darauf vertrauen, daß ein Psychologe vor Wiederholungsgefahr warnt? Ist diese Freiheitseinschränkung zulässig, und warum? Ist das nicht Willkür im Einzelfall?

Ich habe kein Problem damit, bei der Zulässigkeit präventiver Maßnahmen sehr defensiv vorzugehen, um Freiheitseinschränkungen und vor allem ihren Mißbrauch zu vermeiden. Die ganze Präventions-, Hirnscan- und Wegsperrgeschichte kommt übrigens NIE von mir, sondern wird immer von meinen Diskussionsgegnern aufgebracht. Das einzige, was ich von mir aus ursprünglich dazu gesagt habe - wenn ich mich nicht täusche - war, daß ich den Spezialpräventionsaspekt des Strafrechts (oder Maßnahmenrechts) ethisch immerhin prinzipiell nachvollziehen kann.

Aber nehmen wir mal an, wir könnten uns auf ein sehr defensives Präventionsmodell einigen, das sehr wenige Freiheiten einschränkt und im Zweifelsfall lieber Wiederholungstaten inkaufnimmt.

Bleibt immer noch mein Hauptanliegen, das aus meiner Sicht ethisch unbegründete Strafrecht / Strafmaß.

Ja, also, den "überführten" Kindesmißbraucher aufgrund eines psychologischen Gutachtens festzusetzen, (jenseits seiner im Gesetz festgelegten Strafe für eine nachgewiesene Tat), finde ich sehr problematisch. Die zusätzliche Freiheitseinschränkung ist mE nicht zulässig. Und, ja, das riecht nach Willkür.

Bei der Zulässigkeit der präventiven Maßnahmen sehr defensiv vorzugehen ist gut. Jedoch spukt einfach meinem Hinterkopfe dabei nicht nur das herum, was Du dazu meinst, welches Model Du hast, sondern auch das, was gewissen Hirnforschern dazu vorschwebt. Einen ausführlichen Link dazu habe ich noch, Das Ich und sein Gehirn, (Seite 53 oben eingeben, bis Seite 60 - das ganze Buch ist aber auch sonst nicht uninteressant). Wenn Du zumindest diesen Ausschnitt mal liest, kannst Du vielleicht meine Sorgen und Bedenken besser verstehen.

Aber, nun gut, lassen wir das erst mal beiseite, kommen wir also zu Deinem Anliegen, eine Legitimation für ein vergeltendes Strafrecht zu bekommen.

Ich werde das mal versuchen, obgleich meine Versuche dazu erst mal sehr fragmentarisch bleiben müssen. Ich werde das stichpunktartig machen (und muss noch hinzufügen, dass alles auf meiner westlich sozialisierten Sichtweise beruht, die individualistisch ist).

- Menschen sind autonome, freie "Systeme", weil sie sich eine Welt selber konstruieren (müssen), die ohne sie gar nicht existieren würde
- Menschen sind gleichzeitig Teil eines sozialen Systemes, einer Gesellschaft, ohne das / ohne die sie gar nicht, bzw. auf völlig andere Art existieren würden
- Es muss jedoch eine Motivation für ein Individuum dazu geben, sich in Gesellschaften zusammenzuschließen, bzw. die Gesellschaft zu akzeptieren
- Die Motivation ist mE nur dann gegeben, wenn die Gesellschaft den Einzelnen als gleichberechtigtes, freies Subjekt akzeptiert
- Es gibt gewisse Grundrechte, die dazu von den anderen / der Gesellschaft notwendigerweise akzeptiert / zugestanden werden müssen, das sind z.B. das Recht auf Leben, das Recht auf körperliche Unversehrtheit, das Recht auf Befriedigung wichtiger Grundbedürfnisse (Dach über dem Kopf, Nahrung, Teilnahme am sozialen Leben)
- Diese Rechte müssen von der Gesellschaft insofern garantiert werden, als dass sie einklagbar sind und auch durchgesetzt werden
- Neben diesen Grundrechten gibt es zusätzlich andere Rechte, die ebenfalls auf der Annahme des autonomen Menschen beruhen, zum Beispiel die Vertragsfreiheit
- Die Kehrseite dieser Rechte ist notwendigerweise, dass man sich im Gegenzuge verpflichten muss, die spiegelbildlichen Rechte der Anderen ebenfalls zu respektieren
- Alle Rechte werden durch die Gesellschaft garantiert, dazu gibt man sein Recht auf Selbstjustiz ab (Gewaltmonopol des Staates)
- Dies alles kann nur dann funktionieren, wenn man sich selber (und die anderen) als selbstbestimmt handelnde Akteure sieht (das ist gewissermaßen die Prämisse des ganzen Gedankengebäudes) und also Handlungen einem Subjekt zuschreibt
- Und das bedeutet nun mE, dass sich die Subjekte für ihre Handlungen rechtfertigen müssen, d.h. die (moralische) Verantwortung für ihre Handlungen übernehmen müssen
- Ein Recht, das nicht durchgesetzt wird, das sozusagen nur eine Empfehlung ist, ist nutzlos, nicht verlässlich, dadurch letztlich überflüssig
- Ein Recht, das willkürlich (d.h. nicht allgemein nachvollziehbar) nur nach Gusto durchgesetzt wird, ist ebenso unakzeptabel, da unberechenbar
- Manche Menschen akzeptieren diese Prämisse nicht (ich meine hier die Prämisse, dass es nicht akzeptabel ist, Rechte für sich zu beanspruchen und gleichzeitig die gleichen Rechte Anderer missachten zu dürfen)
- Sofern sie daraufhin gegen die Rechtsordnung verstoßen, werden Sanktionen vorgesehen, um ihre Entscheidung hinsichtlich der Normeinhaltung zu beeinflussen
- Da sie auch (im Rahmen des Prämissengebäudes) als ebenso freie Menschen angesehen werden wie alle anderen auch, wird ihnen ihr Normverstoß persönlich zugerechnet
- Um die Rechtsordnung zu erhalten, müssen die angedrohten Sanktionen auch duchgeführt werden, denn ansonsten wäre die Rechtsordnung sinnlos
- An dieser Stelle ist die Vergeltung für eine begangene Tat zu finden
- Sanktionen sollten nach der Bewertung der Ablehnungswürdigkeit, dem Stellenwert der Wichtigkeit des verletzten Rechtes abgestuft sein
- Eine Sanktion nur um der Vergeltung willen, um des reines Prinzipes willen, ist jedoch mE sinnlos und nicht zulässig
- Es muss also immer zusätzliche Aspekte geben, um eine Bestrafung zu rechtfertigen, das sind die üblichen (negative / postive Spezialprävention, negative / positive Generalprävention)
- Sollte jemand aus diesem Raster des hier angenommenen autonomen selbstbestimmten Menschen herausfallen, indem er ungenügende Kontrollfähigkeit über seine Handlungen hatte (§20 StGB), d.h. ihm die Tat nicht zugerechnet werden kann, dann kann er nicht unter die obigen Argumente fallen
- Sollte es Maßnahmen geben, die den Erhalt der Rechtsordnung auf weniger übelzufügende Weise ermöglichen können, dann sind diese unbedingt durchzuführen (speziell primäre / sekundäre Prävention)

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Das ist erst mal ziemlich abstrakt, es gibt nun sicher einige Fragen, die offen bleiben, (auch unabhägig davon, ob man dem nun zustimmt oder nicht), wenn man das aktuelle System der Strafverfolgung betrachtet, z.B.:

- Warum drängt sich immer wieder der Verdacht auf, dass nur die Armen, Dummen und Kleinen im Knast sitzen und die Reichen und Mächtigen im Vergleich dazu ziemlich ungeschoren davonkommen und nicht zur Verantwortung gezogen werden?
- Wie kann es sein, dass die Zustände in Gefängnissen teilweise derart sind, dass dort Folterungen und Morde vorkommen können (z.B. der Fall im Jugendgefängnis in Hessen, wenn ich mich recht erinnere)?

Diese Fragen sind mehr als berechtigt, sie beschreiben in meiner Sicht eine große Gerechtigkeitslücke. Aber ich meine dennoch, sie könnten innerhalb des bestehenden Systemes gelöst werden, ohne dass man auf ein reines Präventiv- / Sicherheitsrecht umsteigen müsste, das mAn zu viele strukturelle Nachteile hat. Vor allem natürlich den, dass es meine (für mich jedenfalls unverzichtbare) Grundprämisse negiert.

#201:  Autor: arcalexxWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 30.09.2009, 11:28
    —
Hier eine schöne Zusammenfassung der aktuellen Debatte und ein sinnvoller Lösungsvorschlag:

http://archiv.jura.uni-sb.de/projekte/Bibliothek2/text.php?id=535&show

#202:  Autor: PataPataWohnort: Toscana BeitragVerfasst am: 30.09.2009, 12:08
    —
arcalexx hat folgendes geschrieben:
Hier eine schöne Zusammenfassung der aktuellen Debatte und ein sinnvoller Lösungsvorschlag:

http://archiv.jura.uni-sb.de/projekte/Bibliothek2/text.php?id=535&show
Ist ein .php - file und auf meinem iMac nicht lesbar...

#203:  Autor: arcalexxWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 30.09.2009, 17:40
    —
@ Patapata: Sorry, hab's durch Googeln ("Strafrecht willensfreiheit Stuckenberg") gefunden - vielleicht findest Du eine Mac-kompatible Version...

In dem Vortrag ist schön herausgearbeitet, welcher Unsinn herauskommt, wenn man trotz deterministischer Auffassung von der Welt und dem menschlichen Geist trotzdem an der Willensfreiheit festhält: Der Mensch ist dann nicht mehr letzter Urheber seiner Tat, sondern nur ein Glied in einer Äonen zurückreichenden Ursachenkette. Genausogut wie ihn hätte man auch seiner Großmutter vorwerfen können, warum sie seine Mutter geboren hat, oder etwa dem Dinosaurier, der durch seinen Furz (Dinos haben meistens Grünzeug gefuttert) ein paar prähistorische Wüstenmäuse von Kopulieren abhielt und dadurch letztlich Jahrmillionen später die Geburt ebenjener Großmutter verursacht hat.

Man kann die Schuld als Strafgrundlage ja andererseits auch nicht einfach so abtun mit der Begründung "Es gibt ja noch andere Strafzwecke (Prävention etc.)". Denn persönliche Schuld ist nicht nur irgendein, sondern ein zentraler Strafzweck und auch die Hauptgrundlage der Strafzumessung (s. § 46 StGB). Sollte man sich vom Schuldstrafrecht verabschieden, wird man also ein völlig anderes System staatlicher Reaktionen auf begangenes Unrecht herausarbeiten müssen, und nicht nur das gegenwärtige System "etwas abwandeln". Bin selbst im Strafrecht tätig und kann Euch sagen, dass dies aber in der Praxis im Gerichtssaal noch nie irgendjemand auch nur annähernd interessiert hat.

Nimmt man den Determinismus ernst, kann man das Schuldstrafrecht mE nur auf eine einzige Art und Weise begründen (der anfangs zitierte Vorschlag von Burkhardt überzeugt mich nicht): Man kann - und das macht der Autor des von mir verlinkten Beitrags - auf den Zusammenhang zwischen Schuld und "objektiv gesehen abwesender" Willensfreiheit verzichten. Will heißen: Da wir die Willensfreiheit subjektiv erleben, müssen wir uns auch das deswegen gesellschaftlich akzeptierte Konstrukt einer Verantwortlichkeit wegen Anders-Handeln-Könnens gefallen lassen. Eine (staatstragende) Fiktion, ein Spiel, das wir alle spielen, und das für unser Zusammenleben grundlegend ist.

Diese Begründung hat deshalb was für sich, da aus dem Sein (Abwesenheit von Willensfreiheit) noch nicht automatisch das Sollende (Abwesenheit von persönlicher, normativ gesehener Verantwortung) folgt. Da wir im täglichen Leben nun mal Personen als Urheber ihrer Handlungen ansehen, und nicht furzende Dinos, könnte man das Schuldstrafrecht als Konzept aufrechterhalten, und mag es eine Willensfreiheit "objektiv" nicht geben.

Letztlich überzeugt bin ich aber auch noch nicht - freue mich auf Eure Beiträge!

#204:  Autor: arcalexxWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 30.09.2009, 17:54
    —
Allerdings - und nicht ganz ernst gemeint - müsste man bei Fehlen der persönlichen Verantwortlichkeit ja auch auf jegliches Lob verzichten: Man will ja nicht Kausalprozesse preisen, sondern die Entscheidung eines anderen, einer alten Dame über die Straße zu helfen, als seine persönliche Errungenschaft hervorheben. Ein wenig würde die Welt dann, scheint mir, von ihrer Abwechslung verlieren

#205:  Autor: PataPataWohnort: Toscana BeitragVerfasst am: 30.09.2009, 20:48
    —
arcalexx hat folgendes geschrieben:
@ Patapata: Sorry, hab's durch Googeln ("Strafrecht willensfreiheit Stuckenberg") gefunden - vielleicht findest Du eine Mac-kompatible Version...

Ja, per Google erscheint es, wenn man auf "Anzeigen" klickt - danke !

Edit: Es ist doch : Carl-Friedrich Stuckenberg, Willensfreiheit und strafrechtliche Schuld

#206:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 30.09.2009, 21:30
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ja, also, den "überführten" Kindesmißbraucher aufgrund eines psychologischen Gutachtens festzusetzen, (jenseits seiner im Gesetz festgelegten Strafe für eine nachgewiesene Tat), finde ich sehr problematisch. Die zusätzliche Freiheitseinschränkung ist mE nicht zulässig. Und, ja, das riecht nach Willkür.

Gut. Und mit demselben Argument müßtest Du im Prinzip auch mildere Präventionsmaßnahmen ablehnen, z.B. überwachter Freigang oder das Verbot, sich an Kinderspielplätzen aufzuhalten, oder?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... kommen wir also zu Deinem Anliegen, eine Legitimation für ein vergeltendes Strafrecht zu bekommen.

Ich habe ne Menge Kleinigkeiten auszusetzen, aber ich reiße mich zusammen und antworte nur dort, wo ich zentrale Meinungsverschiedenheiten vermute.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
[...] - Es gibt gewisse Grundrechte, die dazu von den anderen / der Gesellschaft notwendigerweise akzeptiert / zugestanden werden müssen, ... Diese Rechte müssen von der Gesellschaft insofern garantiert werden, als dass sie einklagbar sind und auch durchgesetzt werden
...

Zustimmung.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
- Alle Rechte werden durch die Gesellschaft garantiert, dazu gibt man sein Recht auf Selbstjustiz ab (Gewaltmonopol des Staates)

Moment mal, die Justiz (oder Selbstjustiz) garantiert diese Rechte ja ohne weiteres gar nicht, sondern die Gesetze bzw. das verläßliche Verhalten der Anderen tun das primär.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
[...] - Ein Recht, das nicht durchgesetzt wird, das sozusagen nur eine Empfehlung ist, ist nutzlos, nicht verlässlich, dadurch letztlich überflüssig

Eine vergeltende Bestrafung ist aber keine Durchsetzung eines Rechtes im obigen Sinne. Deine Argumentation gilt nur für die echte Durchsetzung von Rechten, z.B. wenn ein Gericht einem Schüler Recht gibt (und dieses auch durchsetzt), daß er in der Pause beten darf.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
[...] - Um die Rechtsordnung zu erhalten, müssen die angedrohten Sanktionen auch duchgeführt werden, denn ansonsten wäre die Rechtsordnung sinnlos. [...]

Nicht die Rechtsordnung, sondern nur die Androhung von Sanktionen wäre sonst sinnlos. Eine Rechtsordung, deren Ziel das Schützen von Rechten durch Prävention wäre, bliebe immer noch sinnvoll.

AgentProvocateur, weiter oben hat folgendes geschrieben:
- Sofern sie daraufhin gegen die Rechtsordnung verstoßen, werden Sanktionen vorgesehen, um ihre Entscheidung hinsichtlich der Normeinhaltung zu beeinflussen

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
- Eine Sanktion nur um der Vergeltung willen, um des reines Prinzipes willen, ist jedoch mE sinnlos und nicht zulässig

Genaugenommen hast Du die Strafe ja jetzt überhaupt nicht mehr mit Vergeltung begründet, sondern nur damit, daß die Abschreckung sonst nicht funktionieren würde.

#207:  Autor: PataPataWohnort: Toscana BeitragVerfasst am: 30.09.2009, 21:35
    —
arcalexx hat folgendes geschrieben:
In dem Vortrag ist schön herausgearbeitet, welcher Unsinn herauskommt, wenn man trotz deterministischer Auffassung von der Welt und dem menschlichen Geist trotzdem an der Willensfreiheit festhält: Der Mensch ist dann nicht mehr letzter Urheber seiner Tat, sondern nur ein Glied in einer Äonen zurückreichenden Ursachenkette. Genausogut wie ihn hätte man auch seiner Großmutter vorwerfen können, warum sie seine Mutter geboren hat, oder etwa dem Dinosaurier, der durch seinen Furz (Dinos haben meistens Grünzeug gefuttert) ein paar prähistorische Wüstenmäuse von Kopulieren abhielt und dadurch letztlich Jahrmillionen später die Geburt ebenjener Großmutter verursacht hat.
Ich habe den Vortrag nur angelesen, werde ihn mir aber noch genemigen. Zu Deiner Zusammenfassung : Der Furz des Dinos ist das Pendant zum Schmetterling, der einen Orkan auslöst. Man kann ihm auch nicht anlasten, dass er Städte verwüstet hat. Die Menschheit ist chaotisch in ihrer Entwicklung und als Gesellschaft - und jeder Mensch ist ein Chaot. Wenn ein Dino-Furz einen Mord auslöst oder einen Weltkrieg, dann ist das inhärent im sonst recht ruhigen Wetter-(Menschheits-)System. Totaler Unsinn ist das mitnichten...

arcalexx hat folgendes geschrieben:
Man kann die Schuld als Strafgrundlage ja andererseits auch nicht einfach so abtun mit der Begründung "Es gibt ja noch andere Strafzwecke (Prävention etc.)". Denn persönliche Schuld ist nicht nur irgendein, sondern ein zentraler Strafzweck und auch die Hauptgrundlage der Strafzumessung (s. § 46 StGB). Sollte man sich vom Schuldstrafrecht verabschieden, wird man also ein völlig anderes System staatlicher Reaktionen auf begangenes Unrecht herausarbeiten müssen, und nicht nur das gegenwärtige System "etwas abwandeln". Bin selbst im Strafrecht tätig und kann Euch sagen, dass dies aber in der Praxis im Gerichtssaal noch nie irgendjemand auch nur annähernd interessiert hat.
Meinst Du, dass ein Verbrecher den Staat einklagen kann, weil keine Prävention gegen das von ihm begangene Verbrechen unternommen worden ist ?

arcalexx hat folgendes geschrieben:
Nimmt man den Determinismus ernst, kann man das Schuldstrafrecht mE nur auf eine einzige Art und Weise begründen (der anfangs zitierte Vorschlag von Burkhardt überzeugt mich nicht): Man kann - und das macht der Autor des von mir verlinkten Beitrags - auf den Zusammenhang zwischen Schuld und "objektiv gesehen abwesender" Willensfreiheit verzichten. Will heißen: Da wir die Willensfreiheit subjektiv erleben, müssen wir uns auch das deswegen gesellschaftlich akzeptierte Konstrukt einer Verantwortlichkeit wegen Anders-Handeln-Könnens gefallen lassen. Eine (staatstragende) Fiktion, ein Spiel, das wir alle spielen, und das für unser Zusammenleben grundlegend ist.

Diese Begründung hat deshalb was für sich, da aus dem Sein (Abwesenheit von Willensfreiheit) noch nicht automatisch das Sollende (Abwesenheit von persönlicher, normativ gesehener Verantwortung) folgt. Da wir im täglichen Leben nun mal Personen als Urheber ihrer Handlungen ansehen, und nicht furzende Dinos, könnte man das Schuldstrafrecht als Konzept aufrechterhalten, und mag es eine Willensfreiheit "objektiv" nicht geben.
Sehr guter Gedanke - besonders da zudem die Unmöglichkeit der Willensfreiheit in meinen Augen noch lange nicht nachgewiesen ist...

Anderseits bin ich persönlich dafür, dass das Schuld- und Straf-Prinzip aus der Rechtssprechung entfernt wird und nur noch die Verantwortung für die Folgen einer Handlung weiter besteht. Dies unabhängig davon, ob eine Willensfreiheit möglich ist oder nicht.

#208:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 30.09.2009, 22:56
    —
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ja, also, den "überführten" Kindesmißbraucher aufgrund eines psychologischen Gutachtens festzusetzen, (jenseits seiner im Gesetz festgelegten Strafe für eine nachgewiesene Tat), finde ich sehr problematisch. Die zusätzliche Freiheitseinschränkung ist mE nicht zulässig. Und, ja, das riecht nach Willkür.

Gut. Und mit demselben Argument müßtest Du im Prinzip auch mildere Präventionsmaßnahmen ablehnen, z.B. überwachter Freigang oder das Verbot, sich an Kinderspielplätzen aufzuhalten, oder?

Ja, natürlich, falls Du Dich hier immer noch auf den "überführten" Kindesmissbraucher beziehst, der seine Strafe verbüßt hat.

Aber, sieh mal, es mag ja eventuell Gründe geben, in bestimmten Einzelfällen einzelnen Leuten ihre (normalerweise notwendigerweise angenommene) Autonomie abzusprechen und sie somit außerhalb der Gesellschaft / der moralischen Gemeinschaft zu setzen, (genau das bedeutet das mE), sie (in bestimmten Umständen) für nicht steuerungsfähig zu erklären. Und ihnen daraufhin Rechte zu entziehen, die man normalerweise nicht entziehen würde, solche, die man normalerweise genau deswegen allen gewährt, weil man diese Steuerungsfähigkeit annimmt.

Aber das wären dann immer noch Einzelfälle und die sind nun keineswegs geeignet, das auf alle gleichermaßen anwenden zu können. Das kann man gar nicht, das ist nämlich ein logischer Widerspruch in sich, denn Normen müssen nun mal von autonomen Wesen mit guten Begründungen vereinbart werden, müssen nachvollziehbar sein und dann kann man nun mal nicht gleichzeitig annehmen, dass Handlungen prinzipiell nicht gesteuert werden könnten, dass alles nur Ereignisse seien, die komplett von der Vergangenheit gesteuert würden, auf die man keinen Einfluss hätte, also Personen in Wirklichkeit nur Beobachter ihrer selbst seien. Dass Gründe bedeutungslos wären, nicht real, Epiphänomene, in Wirklichkeit seien nur Kausalketten real. Oder so. Eine solche Argumentation kann prinzipiell nicht funktionieren, weil sie nämlich mit den Gründen auch Argumente gänzlich ausschließt, keine Geltung mehr beanspruchen kann. Wenn man nur noch Kausalketten als das "einzig Reale" gelten lassen will, dann gäbe es nur noch Beschreibungen, aber keine Erklärungen mehr. Und auch keine Normen mehr.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
- Alle Rechte werden durch die Gesellschaft garantiert, dazu gibt man sein Recht auf Selbstjustiz ab (Gewaltmonopol des Staates)

Moment mal, die Justiz (oder Selbstjustiz) garantiert diese Rechte ja ohne weiteres gar nicht, sondern die Gesetze bzw. das verläßliche Verhalten der Anderen tun das primär.

Hm, ich sehe jetzt erst mal keinen Widerspruch.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
[...] - Ein Recht, das nicht durchgesetzt wird, das sozusagen nur eine Empfehlung ist, ist nutzlos, nicht verlässlich, dadurch letztlich überflüssig

Eine vergeltende Bestrafung ist aber keine Durchsetzung eines Rechtes im obigen Sinne. Deine Argumentation gilt nur für die echte Durchsetzung von Rechten, z.B. wenn ein Gericht einem Schüler Recht gibt (und dieses auch durchsetzt), daß er in der Pause beten darf.

Naja, ich meine das vielleicht etwas anders, als wie Du es verstanden hast. Eine Durchsetzung von Rechten verlangt mE nicht nur, dass jemand in allen Fällen ein bisschen gerüffelt wird, ("das wollen wir aber zukünftig nicht mehr tun, nicht wahr?"), sondern es verlangt meiner Auffassung nach in gravierenderen Fällen eine explizitere Missachtensbekundung. Als Signal für andere, dass dies eine gesellschaftlich nicht akzeptierte Normverletzung ist, als Bestätigung für das / die Opfer, dass diesem / diesen Unrecht geschehen ist und als Bekräftigung, dass es nicht akzeptiert wird, die gemeinsame Rechtsordnung nach Belieben zu ändern / zu missachten.

Wenn unsere Welt so beschaffen wäre, dass ein leichter Tadel schon ausreichte, dass jemand zukünftig davon absieht, Rechte anderer zu verletzen, dann wäre das eine andere Sache. Aber so ist unsere Welt nun mal nicht beschaffen.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
[...] - Um die Rechtsordnung zu erhalten, müssen die angedrohten Sanktionen auch duchgeführt werden, denn ansonsten wäre die Rechtsordnung sinnlos. [...]

Nicht die Rechtsordnung, sondern nur die Androhung von Sanktionen wäre sonst sinnlos. Eine Rechtsordung, deren Ziel das Schützen von Rechten durch Prävention wäre, bliebe immer noch sinnvoll.

Naja, wenn es eine Rechtsordnung gäbe, die Rechtsverletzungen durch Prävention erfolgreich vermeiden könnte, dann bräuchten die Sanktionen ja auch niemals angewendet werden. Dann könnte man diese Rechtsordung ja einfach einführen und bräuchte gar nicht auf die Androhung von Sanktionen zu verzichten. Jedoch solange es Rechtsverletzungen gibt, braucht es mE auch Sanktionen. Und die müssen dann auch angewendet werden, sonst ist die Androhung sinnlos.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur, weiter oben hat folgendes geschrieben:
- Sofern sie daraufhin gegen die Rechtsordnung verstoßen, werden Sanktionen vorgesehen, um ihre Entscheidung hinsichtlich der Normeinhaltung zu beeinflussen

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
- Eine Sanktion nur um der Vergeltung willen, um des reines Prinzipes willen, ist jedoch mE sinnlos und nicht zulässig

Genaugenommen hast Du die Strafe ja jetzt überhaupt nicht mehr mit Vergeltung begründet, sondern nur damit, daß die Abschreckung sonst nicht funktionieren würde.

Es ist eine Kombination. Kein Entweder-Oder. Sanktionen sind mE nur dann berechtigt, wenn jemand schuldhaft gehandelt hat (oder evtl. auch dann, wenn man jemandem mit hinreichenden Gründen - und die sind heutzutage mE oft leider nicht hinreichend, trotzdem "Maßnahmen" ergriffen werden, auf einen mE oft unzureichenden Verdacht hin - seine Autonomie / seine Fähigkeit, nach Vernunftgründen zu handeln absprechen kann und ihn nicht mehr als eigenmächtig / vernünftig handelnde Person, sondern als Gefahrenquelle ansieht - aber, wie gesagt, das auf alle übertragen zu wollen, halte ich für selbstwidersprüchlich, prinzipiell nicht begründbar).

#209:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 25.05.2010, 19:10
    —
Im SdW 10/06 zwei Aufsätze
- Edgar Dahl zu einer Moral ohne Willensfreiheit und Vergeltung
- Michael Pauens Entgegnung darauf

http://www.spektrum.de/artikel/1030087

Für die, welche die bisherige Diskussion verfolgt haben: Man kann sagen, daß ich Dahl recht nahestehe, und AP Pauen.

#210:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 25.05.2010, 19:12
    —
Und hier ein kurzer Leserbrief meinerseits als Entgegnung auf Pauen:

Zitat:
Zukunft statt Vergeltung

Bei den Themen Verantwortung, Schuld und Strafe baut Michael Pauen mehrere falsche Dichotomien auf und übersieht allgemein die Möglichkeiten, die sich aus einer rationaleren, rein zukunftsgerichteten Handlungsbewertung ergeben, obwohl diese von Dahl bereits angedeutet werden.

So ist es nicht einzusehen, wieso es mit dem Verlust der Willensfreiheit auch keine Verantwortung mehr geben sollte. Man könnte etwa die Zuweisung von Verantwortung verstehen als die Erwartung, daß eine Person sich zukünftig konform verhält. Wird diese Erwartung enttäuscht, sollte man dieser Person je nach Situation weniger Verantwortung zuweisen.

Auch bei der Reaktion der Gemeinschaft auf nichtkonforme Handlungen gibt es außer Schuldzuweisung und "allenfalls bedauern" eine dritte Möglichkeit: die Ableitung zielführender Maßnahmen. Nur diese, auch unter dem Begriff der Prävention bekannt, sind ethisch begründbar. Rein vergeltende Strafrechtsaspekte dagegen bedienen vor allem ein archaisches Rachebedürfnis und sind ethisch schwer zu rechtfertigen, ob man nun Kompatibilist ist oder nicht.

Zum Freiheitsbegriff: Die von Pauen geforderte Ersetzung des intuitiv-falschen Willensfreiheitsbegriffs existiert bereits, es ist die ganz unstrittige Handlungsfreiheit: also zuweilen gemäß seiner Präferenzen zu handeln. Und wenn wir ehrlich sind, wünschen wir uns ja gerade das für die Menschen: daß sie verlässlich (also moralisch determiniert) handeln, dabei aber möglichst nicht das Gefühl haben, dies unter Zwang zu tun.

Pauens Ansatz, Freiheit als die rationale Kontrolliertheit einer Entscheidung anzusehen, halte ich für fragwürdig, wie man an seinem Beispiel des Bankers sieht: Wenn dieser in vollem Wissen über die Konsequenzen ein verbotenes Geschäft macht, so ist zwar sein Entscheidungsprozess komplex, jedoch spricht sein Verhalten weniger für Kontrolle und Freiheit, als vielmehr für eine stärkere Beeinflussung durch Gier oder Druck.

#211:  Autor: Waschmaschine777 BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 06:27
    —
step hat folgendes geschrieben:
Im SdW 10/06 zwei Aufsätze
- Edgar Dahl zu einer Moral ohne Willensfreiheit und Vergeltung
- Michael Pauens Entgegnung darauf




Was mich erstaunt ist der sprachliche Konservativismus der Kompatibilisten.
Es wird von ihnen versucht die alte Begrifflichkeit auf Teufel komm raus, beizubehalten, obwohl es ein leichtes wäre neue Begriffe für die kompatibilistische Schuld, die erheblich von dem abweicht was der Liberitarier unter Schuld versteht, und die erheblich davon abweicht was der Großteil der Bevölkerung unter Schuld versteht, zu erfinden. Stattdessen nimmt man einen begrifflichen overstretch in Kauf. Sätze mit "Schuld" und "Freiheit" sind gar nicht verständlich, solange der diese Worte Verwendende nicht definiert was er darunter versteht bzw. sich als Vertreter einer kompatibilistischen bzw. libertaristischen Position zu erkennen gibt. So stiftet man bei den einen heillose Verwirrung, während den anderen suggeriert wird -da sich die Begrifflichkeit nicht geändert hat- dass das intuitiv verstandene Schuldkonzept in Philosophiekreisen weiterhin von vielen Philosophen vertreten wird.

#212:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 11:16
    —
Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Im SdW 10/06 zwei Aufsätze
- Edgar Dahl zu einer Moral ohne Willensfreiheit und Vergeltung
- Michael Pauens Entgegnung darauf

Was mich erstaunt ist der sprachliche Konservativismus der Kompatibilisten.
Es wird von ihnen versucht die alte Begrifflichkeit auf Teufel komm raus, beizubehalten, obwohl es ein leichtes wäre neue Begriffe für die kompatibilistische Schuld, die erheblich von dem abweicht was der Liberitarier unter Schuld versteht, und die erheblich davon abweicht was der Großteil der Bevölkerung unter Schuld versteht, zu erfinden. Stattdessen nimmt man einen begrifflichen overstretch in Kauf. Sätze mit "Schuld" und "Freiheit" sind gar nicht verständlich, solange der diese Worte Verwendende nicht definiert was er darunter versteht bzw. sich als Vertreter einer kompatibilistischen bzw. libertaristischen Position zu erkennen gibt. So stiftet man bei den einen heillose Verwirrung, während den anderen suggeriert wird -da sich die Begrifflichkeit nicht geändert hat- dass das intuitiv verstandene Schuldkonzept in Philosophiekreisen weiterhin von vielen Philosophen vertreten wird.

Yep.

#213:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 13:32
    —
Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben:
Was mich erstaunt ist der sprachliche Konservativismus der Kompatibilisten.
Es wird von ihnen versucht die alte Begrifflichkeit auf Teufel komm raus, beizubehalten, obwohl es ein leichtes wäre neue Begriffe für die kompatibilistische Schuld, die erheblich von dem abweicht was der Liberitarier unter Schuld versteht, und die erheblich davon abweicht was der Großteil der Bevölkerung unter Schuld versteht, zu erfinden. Stattdessen nimmt man einen begrifflichen overstretch in Kauf. Sätze mit "Schuld" und "Freiheit" sind gar nicht verständlich, solange der diese Worte Verwendende nicht definiert was er darunter versteht bzw. sich als Vertreter einer kompatibilistischen bzw. libertaristischen Position zu erkennen gibt. So stiftet man bei den einen heillose Verwirrung, während den anderen suggeriert wird -da sich die Begrifflichkeit nicht geändert hat- dass das intuitiv verstandene Schuldkonzept in Philosophiekreisen weiterhin von vielen Philosophen vertreten wird.

Nun, man könnte das in der Tat so interpretieren, dass das Ganze ein Streit um Begriffe, um ihre (jetzige) Bedeutung ist.

Streitpunkt ist dabei natürlich, was damit gemeint ist, wenn man 'Schuld' oder 'Freiheit' sagt, was also der Großteil der Bevölkerung darunter versteht.

Beide Seiten reklamieren die Deutungshoheit für sich, mit mehr oder weniger guten Argumenten. Ein weniger gutes Argument ist es dabei, einfach zu behaupten, es sei so, wie man sage, man habe einfach so recht, denn das ist gar kein Argument.

Ich verstehe unter 'sprachlichem Konservatismus' nun anscheinend etwas anderes als Du. Die Bedeutung von Wörtern kann sich im Laufe der Zeit ändern, die ist nicht statisch. Sprachlich konservativ würde ich daher eher eine Auffassung nennen, die darauf beharrte, es gäbe eine 'eigentliche' Bedeutung und daher könne es theoretisch sein, dass ein Wort allgemein falsch gebraucht werde. Aber die Bedeutung ergibt sich nun mal aus seinem jetzigen Gebrauch. Und der kann von einem früheren Gebrauch ein wenig oder auch viel abweichen.

Ein Kompatibilist sieht natürlich nicht ein, wieso er darauf verzichten sollte, die Worte 'Freiheit' und 'Schuld' zu verwenden, denn er sieht ja seine Analyse, seine Beschreibung der Bedeutung dieser Worte als richtig, die allgemeinen heutigen Intuitionen einfangend, an. Und den Freiheits- und Schuldbegriff der Inkompatibilisten sieht er folglich als wenig adäquat an.

Nun, das eben ist ja der Streit. Und der kann sicher nicht irgendwie gelöst werden, indem eine Seite einfach so behauptet, sie hätte aber recht, mit den Nicht-Argumenten: "ihr seid konservativ, ihr macht einen begrifflichen Overstretch, ihr erfindet bloß etwas, ihr stiftet heillose Verwirrung, weil wir nämlich die echte, wahre Bedeutung der Begriffe 'Schuld' und 'Freiheit' vertreten und ihr nicht".

#214:  Autor: Waschmaschine777 BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 15:19
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Aber die Bedeutung ergibt sich nun mal aus seinem jetzigen Gebrauch. Und der kann von einem früheren Gebrauch ein wenig oder auch viel abweichen.


Die Kompatibilisten stellen nicht die Mehrheit der Bevölkerung. Nur Elfenbeinturmbewohner glauben, dass ein großer Teil der Bevölkerung die Debatte um den freien Willen so genau verfolgt, dass sie wissen, dass der Kompatibilist die Worte "Schuld" und "Freiheit" in anderer Bedeutung gebraucht als diese intuitiv verstanden werden.

Für Otto-Normal-Wort-Gebraucher ist der Begriff "Freiheit" untrennbar mit der Vorstellung des in identischen Situationen anders Handeln Könnens , und mit "Schuld" der Vorwurf eben nicht anders gehandelt zu haben, verbunden.
"Schuld" gehört zu den Folterinstrumenten der Sprache. Über sehr lange Zeit in eindeutiger, schlechtes Gewissen machender Weise verwendet. Wer solche Worte gebraucht, braucht sich nicht zu beschweren, wenn er mißverstanden wird. Denn das ist unvermeidbar.

#215:  Autor: Waschmaschine777 BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 15:36
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Michael Pauen schreibt in dem Artikel: Personen, die ihr Handeln nicht in der skizzierten Weise kontrollieren können, können wir daher auch nicht verantwortlich machen. Genau dies tun wir ja mit kleinen Kindern, mit Abhängigen und mit Personen, die an schweren psychischen Störungen leiden.

Kinder und psychisch Kranke aus dem Verantwortungszuschreibungsbereich herauszunehmen erscheint plausibel. Aber Abhängige könnte nicht nur ein Anhänger eines absolut freien Willens, sondern auch ein Kompatibilist für Verantwortlich halten. Man muss nur die Schuld verlagern auf das Abhängig werden. Wer z.B. so viel Alkohol trinkt, dass er irgendwann nicht mehr in der Lage ist seinen Alkoholkonsum zu kontrollieren und unter Alkoholeinfluß ein kontrolliertes Verhalten zu zeigen, könnte für seine Taten voll verantwortlich gehalten werden, da die Schuld begangen worden wäre als er noch voll zurechnungsfähig war, d.h. vor seiner Alkoholabhängigkeit. Seine Schuld bestünde im Süchtigwerden und er wäre deshalb voll verantwortlich für die Taten die er im süchtigen Zustand produziert.

#216:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 15:46
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Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Aber die Bedeutung ergibt sich nun mal aus seinem jetzigen Gebrauch. Und der kann von einem früheren Gebrauch ein wenig oder auch viel abweichen.

Die Kompatibilisten stellen nicht die Mehrheit der Bevölkerung. Nur Elfenbeinturmbewohner glauben, dass ein großer Teil der Bevölkerung die Debatte um den freien Willen so genau verfolgt, dass sie wissen, dass der Kompatibilist die Worte "Schuld" und "Freiheit" in anderer Bedeutung gebraucht als diese intuitiv verstanden werden.

Für Otto-Normal-Wort-Gebraucher ist der Begriff "Freiheit" untrennbar mit der Vorstellung des in identischen Situationen anders Handeln Könnens , und mit "Schuld" der Vorwurf eben nicht anders gehandelt zu haben, verbunden.

Weiß nicht, ob jemand behauptet, dass ein großer Teil der Bevölkerung die Debatte um den freien Willen verfolgt. Ich glaube das jedenfalls nicht.

Jedoch ist der Streitpunkt immer noch, wie die Begriffe 'Schuld' und 'Freiheit' denn intuitiv verstanden werden, also was sie bedeuten, was man damit meint.

Sieh' doch einfach mal bei Wikipedia unter 'Freiheit' und unter 'Schuld' nach. Dann hast Du zumindest einen ersten Ansatzpunkt.

Wenn Du behauptest, zu wissen, was Otto Nomalbürger so denkt, dann musst Du das belegen. Eine einfache Behauptung Deinerseits reicht da nicht.

Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben:
"Schuld" gehört zu den Folterinstrumenten der Sprache. Über sehr lange Zeit in eindeutiger, schlechtes Gewissen machender Weise verwendet. Wer solche Worte gebraucht, braucht sich nicht zu beschweren, wenn er mißverstanden wird. Denn das ist unvermeidbar.

Vielleicht mal ein Beispiel für eine heutige Verwendung des Wortes 'Schuld' als Folterinstrument?

#217:  Autor: Waschmaschine777 BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 15:58
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Vielleicht mal ein Beispiel für eine heutige Verwendung des Wortes 'Schuld' als Folterinstrument?


Der Satz "Du bist schuld." ausgesprochen in tausenden Wohnzimmern von Eltern gegen ihre Kinder, von Kindern gegen ihre Eltern, von Männern gegen ihre Frauen, von Frauen gegen ihre Männer. Im Tonfall keinen Zweifel über den enthaltenen Vorwurf aufkommen lassend. Ebensowenig die Verletzungsabsicht verschleiernd.

#218:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 16:22
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Nun bin ich nicht Gast in tausenden Wohnzimmern. Aber zumindest kann ich sagen: der Satz 'Du bist schuld' ergibt meiner Auffassung nach keinen Sinn. Es muss immer heißen: 'Du bist schuld an XY'.

Nehmen wir mal ein konkretes Beispiel: eine Ehefrau sagt zu ihrem Mann: 'Du bist schuld, dass meine Nase und mein Schlüsselbein gebrochen sind, weil Du so hart zugeschlagen hast'.

Nun ist es sicher richtig, dass dabei ein Vorwurf mitschwingt. Vielleicht ist sie auch wütend und zornig. Vielleicht möchte sie ihn auch damit verletzen, allerdings weiß ich nicht so recht, ob er sich dadurch wirklich verletzt fühlen wird.

Und nun? Ist er nicht schuld an den Verletzungen der Frau? Soll sie keinen Vorwurf erheben? Darf sie nicht wütend und zornig sein?

#219:  Autor: Waschmaschine777 BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 16:36
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Nun bin ich nicht Gast in tausenden Wohnzimmern. Aber zumindest kann ich sagen: der Satz 'Du bist schuld' ergibt meiner Auffassung nach keinen Sinn. Es muss immer heißen: 'Du bist schuld an XY'.


Solche Vorwürfe werden ja nicht einmal getätigt, sondern des öfteren. Das XY wird die ersten paar Male ausgesprochen, danach kann auf Verbalisierung verzichtet werdern, da es unausgesprochen im Raum steht, und jeder der Beteiligten weiß um was es geht.
Greifen wir mal ein Beispiel auf: Eine Mutter ist frustriert, macht ihr Kind dafür verantwortlich, dass sie keine Karriere machen konnte. Aus einer derartigen Situation ergibt sich leicht eine perpetuierte Vorwurfssituation. Das Kind kann sich schuldig fühlen, weil es geboren wurde. Und nun?

#220:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 16:46
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Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben:
Greifen wir mal ein Beispiel auf: Eine Mutter ist frustriert, macht ihr Kind dafür verantwortlich, dass sie keine Karriere machen konnte. Aus einer derartigen Situation ergibt sich leicht eine perpetuierte Vorwurfssituation. Das Kind kann sich schuldig fühlen, weil es geboren wurde. Und nun?

Diese Mutter handelt meiner Ansicht nach falsch, denn das Kind ist, nach meinen Begriffen von 'Verantwortung' und 'Schuld', nicht schuld daran, dass die Mutter keine Karriere machte. Man kann ihr deswegen einen Vorwurf machen. Sie ist schuld, wenn es ihrem Kind schlecht geht. Sie sollte das künftig unterlassen.

#221:  Autor: Waschmaschine777 BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 16:56
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben:
Greifen wir mal ein Beispiel auf: Eine Mutter ist frustriert, macht ihr Kind dafür verantwortlich, dass sie keine Karriere machen konnte. Aus einer derartigen Situation ergibt sich leicht eine perpetuierte Vorwurfssituation. Das Kind kann sich schuldig fühlen, weil es geboren wurde. Und nun?

Diese Mutter handelt meiner Ansicht nach falsch, denn das Kind ist, nach meinen Begriffen von 'Verantwortung' und 'Schuld', nicht schuld daran, dass die Mutter keine Karriere machte. Man kann ihr deswegen einen Vorwurf machen. Sie ist schuld, wenn es ihrem Kind schlecht geht. Sie sollte das künftig unterlassen.



Sie handelt vielleicht falsch, aber sie handelt so. Die Ausgangsfrage war ja die, wo Schuld als "Folter" eingesetzt wird. Und in Frustrationssituationen ist das häufig der Fall. Man versucht andere durch Schuldvorwürfe leiden zu machen.

#222:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 17:17
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Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben:
Sie handelt vielleicht falsch, aber sie handelt so. Die Ausgangsfrage war ja die, wo Schuld als "Folter" eingesetzt wird. Und in Frustrationssituationen ist das häufig der Fall. Man versucht andere durch Schuldvorwürfe leiden zu machen.

Na schön. Die Mutter macht also ihrem Kind Vorwürfe, erzeugt in ihm Schuldgefühle, Minderwertigkeitskomplexe, die noch dadurch verstärkt werden, dass sich das Kind von der eigenen Mutter abgelehnt / ungeliebt fühlt.

Nehmen wir nun mal weiter an, jemand Außenstehendes, vielleicht Verwandte oder Freunde, bekämen das mit. Wie, meinst Du, würden sie reagieren? Würden sie sagen: 'ja, klar, natürlich, das Kind ist schuld, dass Du keine Karriere machen konntest, hey, Kind, Du bist schuld, schäme Dich'? Oder würden sie nicht doch vielleicht eher versuchen, der Mutter gut zuzureden, dass diese einsieht, dass sie das Kind nicht für ihre eigenen Entscheidungen verantwortlich machen kann? Welchem Verantwortungs- / Schuldbegriff also würden die meisten Deiner Ansicht nach wohl eher zustimmen?

#223:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 18:35
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Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben:
Für Otto-Normal-Wort-Gebraucher ist der Begriff "Freiheit" untrennbar mit der Vorstellung des in identischen Situationen anders Handeln Könnens , und mit "Schuld" der Vorwurf eben nicht anders gehandelt zu haben, verbunden.

So isses. Und das gilt nicht nur für Otto-Normalverbraucher, sondern auch für das deutsche Strafrecht (das ja entsprechend volksnah sein muß). Erst in letzter Zeit wird das zunehmend infragegestellt:

http://de.wikipedia.org/wiki/Schuld_%28Strafrecht%29

http://de.wikipedia.org/wiki/Schuld_%28Strafrecht%29 hat folgendes geschrieben:
Das deutsche Strafgesetzbuch enthält keine Legaldefinition des Begriffs [der Schuld]. Heute herrschend ist der von Frank begründete normative Schuldbegriff, wonach Schuld die Vorwerfbarkeit vorsätzlichen oder fahrlässigen Verhaltens bedeutet. Diese Vorwerfbarkeit des schuldhaften Verhaltens beruht auf dem Gedanken der Willensfreiheit, soweit sie die Tatschuld berührt. ... Vorwerfbarkeit des Verhaltens setzt voraus, dass der Täter sich anders hätte entscheiden können.


http://de.wikipedia.org/wiki/Schuld_%28Strafrecht%29 hat folgendes geschrieben:
Nach der Theorie des Determinismus ... ist in Ermangelung der Fähigkeit des Menschen, sich frei zwischen Recht und Unrecht zu entscheiden, dem Schuldprinzip der Boden entzogen. Die Verantwortlichkeit des einsichtsfähigen und gesunden Menschen wird dadurch aber nicht berührt.

Genau. Man kann also Verantwortung vernünftig definieren, auch wenn man die Vorstellungen von (Willens-)Freiheit und Schuld überwunden hat.

http://de.wikipedia.org/wiki/Schuld_%28Strafrecht%29 hat folgendes geschrieben:
... Ob sich vor diesem Hintergrund aber der Schuldvorwurf auf Willensfreiheit als „staatsnotwendige Fiktion“ (Kohlrausch) stützen lässt, erscheint sehr fraglich und wird in den letzten Jahren zunehmend kritisch diskutiert.

Das faßt den staatsnotwendigen Wahnsinn nochmal schön zusammen.

Übrigens machen die Schuldbegriffe aus anderen Bereichen natürlich nach wie vor Sinn, z.B. der psychologische (Schuldgefühl) oder der ökonomische (Schulden).

#224:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 18:41
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step hat folgendes geschrieben:
Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben:
Für Otto-Normal-Wort-Gebraucher ist der Begriff "Freiheit" untrennbar mit der Vorstellung des in identischen Situationen anders Handeln Könnens , und mit "Schuld" der Vorwurf eben nicht anders gehandelt zu haben, verbunden.

So isses. Und das gilt nicht nur für Otto-Normalverbraucher, sondern auch für das deutsche Strafrecht (das ja entsprechend volksnah sein muß).

Beweis durch Behauptung? Dir zumindet sollte doch hoffentlich klar sein, dass das ganz schön dünn ist.

"Steht aber in der Wikipedia, also ist es so". Naja. Hehe. Das ist doch lächerlich.

#225:  Autor: jagy BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 18:55
    —
step hat folgendes geschrieben:

http://de.wikipedia.org/wiki/Schuld_%28Strafrecht%29 hat folgendes geschrieben:
Nach der Theorie des Determinismus ... ist in Ermangelung der Fähigkeit des Menschen, sich frei zwischen Recht und Unrecht zu entscheiden, dem Schuldprinzip der Boden entzogen. Die Verantwortlichkeit des einsichtsfähigen und gesunden Menschen wird dadurch aber nicht berührt.

Genau. Man kann also Verantwortung vernünftig definieren, auch wenn man die Vorstellungen von (Willens-)Freiheit und Schuld überwunden hat.

Wie die Verantwortlichkeit damit nicht berührt werden soll, ist mir allerdings nicht ersichtlich. Vor allem, da Schuld und Verantwortlichkeit/Verantwortungsprinzip quasi Synonyme sind.

Es wird zwar oft geschrieben, dass Schuldstrafrecht und Determinismus kompatibel sind - die Erklärungen hören sich aber m.E.n. nicht wirklich schlüssig an.
Oder so Floskeln wie "das Prinzip der Verantwortlichkeit ... ist eine unumstößliche Realität unserer sozialen Existenz". Aha - es muss also so sein, weil es nicht anders sein kann...

#226:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 18:56
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Aber das hatten wir ja alles schon. Ich habe Belege dafür gebracht, dass Strafrechtler in der Mehrheit Kompatibilisten sind, also keineswegs als Voraussetzung für Verantwortlichkeit und somit Schuld ein So-Und-Gleichzeitig-Nicht-So-Handeln ansehen. Das, was in der Wikipedia steht, ist falsch, (zumindest keineswegs Konsens unter Strafrechtlern), wenn dort mit 'Willensfreiheit' eben dieses merkwürdige So-Und-Gleichzeitig-Nicht-So-Handeln gemeint sein sollte.

Und übrigens: auch ein Gerhard Roth scheint da ja in letzter Zeit seine Auffassung revidiert zu haben, indem auch er inzwischen ins Lager der Kompatibilisten gewechselt ist. Siehe dort (ganz unten).

#227:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 19:26
    —
jagy hat folgendes geschrieben:
Es wird zwar oft geschrieben, dass Schuldstrafrecht und Determinismus kompatibel sind - die Erklärungen hören sich aber m.E.n. nicht wirklich schlüssig an.

Hören sich denn Erklärungen schlüssig an, die Schuldstrafrecht und Indeterminismus für vereinbar halten? Oder die Indeterminismus als notwendige Voraussetzung eines Schuldstrafrechtes proklamieren? Wenn ja: wo? Wo finde ich die, wo sind die? Wo ist die Begründung dafür? Ich meine Argumente, keine schlichten Behauptungen (-> steht doch in der Wikipedia, die scheinen das also auch zu meinen, oder: Waschmaschine777 meint das doch auch).

Und dass im Strafrecht ein Inkompatibilismus vorherrschen würde, ist eine reine Behauptung, die, obgleich sie zwar in der Wikipedia steht, bzw. dort herausgelesen werden könnte, falsch ist.

Jedoch gibt es auch unter Strafrechtlern Inkompatibilisten, zum Beispiel Gunnar Spilgies. Das Lustige bei ihm ist, dass er erst behauptet, dass Strafrecht sei inkompatibilistisch und dann 6 Punkte aufführt, inwiefern es nicht inkompatibilistisch ist, (siehe Link). Auf die Idee, daraus messerscharf zu schlussfolgern, was ja wohl naheläge, dass das Strafrecht gar nicht inkompatibilistisch ist, kommt er merkwürdigerweise nicht. Tatsächlich beründet er letztlich sehr gut, dass unser heutiges Strafrecht eben nicht auf dem Begriff der 'absoluten' Willensfreiheit (X muss A und gleichzeitig Nicht-A tun können) basieren kann. Und es schlicht ein Irrtum ist, zu meinen, es täte es doch.

#228:  Autor: jagy BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 19:35
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
jagy hat folgendes geschrieben:
Es wird zwar oft geschrieben, dass Schuldstrafrecht und Determinismus kompatibel sind - die Erklärungen hören sich aber m.E.n. nicht wirklich schlüssig an.

Hören sich denn Erklärungen schlüssig an, die Schuldstrafrecht und Indeterminismus für vereinbar halten?

Ja.
Zitat:
Mit dem Unwerturteil der Schuld wird dem Täter vorgeworfen, daß er sich nicht rechtmäßig verhalten, daß er sich für das Unrecht entschieden hat, obwohl er sich rechtmäßig verhalten, sich für das Recht hätte entscheiden können

Für mich hört sich das schlüssig bzgl der Annahme Schuldstrafrecht und Indeterminismus an.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Oder die Indeterminismus als notwendige Voraussetzung eines Schuldstrafrechtes proklamieren? Wenn ja: wo? Wo finde ich die, wo sind die? Wo ist die Begründung dafür? Ich meine Argumente, keine schlichten Behauptungen (-> steht doch in der Wikipedia, die scheinen das also auch zu meinen, oder: Waschmaschine777 meint das doch auch).

Und dass im Strafrecht ein Inkompatibilismus vorherrschen würde, ist eine reine Behauptung, die, obgleich sie zwar in der Wikipedia steht, bzw. dort herausgelesen werden könnte, falsch ist.

Habe ich das irgendwo behauptet? Im Gegenteil, ich habe doch gerade gesagt, dass oft behauptet wird, dass Determinismus und Schuldstrafrecht kompatibel sind.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Jedoch gibt es auch unter Strafrechtlern Inkompatibilisten, zum Beispiel Gunnar Spilgies. Das Lustige bei ihm ist, dass er erst behauptet, dass Strafrecht sei inkompatibilistisch und dann 6 Punkte aufführt, inwiefern es nicht inkompatibilistisch ist, (siehe Link). Auf die Idee, daraus messerscharf zu schlussfolgern, was ja wohl naheläge, dass das Strafrecht gar nicht inkompatibilistisch ist, kommt er merkwürdigerweise nicht. Tatsächlich beründet er letztlich sehr gut, dass unser heutiges Strafrecht eben nicht auf dem Begriff der 'absoluten' Willensfreiheit (X muss A und gleichzeitig Nicht-A tun können) basieren kann. Und es schlicht ein Irrtum ist, zu meinen, es täte es doch.

Bin gerade noch am lesen des Artikels.

#229:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 19:57
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
auch ein Gerhard Roth scheint da ja in letzter Zeit seine Auffassung revidiert zu haben, indem auch er inzwischen ins Lager der Kompatibilisten gewechselt ist. Siehe dort (ganz unten).

Tja, das ist schade. Ich hoffe, er mußte das nicht aus politischen Gründen (staatsnotwendige Fiktion) tun ...

G.Roth hat folgendes geschrieben:
Meine Persönlichkeit ... muss Optionen zulassen. Diese Optionen ergeben sich erstens aus der Vielfalt möglichen Handelns – und die ist bei uns Menschen fast unbegrenzt - ...

Das ist irreführend ausgedrückt. Eine "Vielfalt" besteht nur

- in der Zahl der VORGESTELLTEN Handlungsmöglichkeiten (von denen ber aufgrund der Persönlichkeit nur eine einzige realisiert werden kann)
- in der Erfahrung, daß in oberflächlich ähnlichen Situationen Menschen unterschiedlich handeln

G.Roth hat folgendes geschrieben:
... und zweitens daraus, dass mein Gehirn bewusst oder unbewusst Alternativen und ihre Konsequenzen nach ihrer Wünschbarkeit abwägt.

Genau. Und diese Berechnung der Handlungssteuerung ist eine Form der [/i]Handlungsfreiheit[/i], also daß wir zuweilen und gern tun, was wir bewußt präferieren.

Handlungsfreiheit und Determinismus lassen sich natürlich vereinbaren, in dem Sinne wäre sogar ich Kompatibilist. Jeder kan "Willensfreiheit" so definieren, daß er Kompatibilist wird.

#230:  Autor: jagy BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 20:04
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Jedoch gibt es auch unter Strafrechtlern Inkompatibilisten, zum Beispiel Gunnar Spilgies. Das Lustige bei ihm ist, dass er erst behauptet, dass Strafrecht sei inkompatibilistisch und dann 6 Punkte aufführt, inwiefern es nicht inkompatibilistisch ist, (siehe Link). Auf die Idee, daraus messerscharf zu schlussfolgern, was ja wohl naheläge, dass das Strafrecht gar nicht inkompatibilistisch ist, kommt er merkwürdigerweise nicht. Tatsächlich beründet er letztlich sehr gut, dass unser heutiges Strafrecht eben nicht auf dem Begriff der 'absoluten' Willensfreiheit (X muss A und gleichzeitig Nicht-A tun können) basieren kann. Und es schlicht ein Irrtum ist, zu meinen, es täte es doch.


Also ich lese das nicht, was Du da liest.
In den 6 Punkten sagt er, dass unser heutiges Strafrecht eigentlich nicht mal mit dem Indeterminismus i.S.e. absoluten Willensfreiheit kompatibel ist.
Warum dass gleichzeitig eine Aussage sein soll, unser Strafrecht sei mit dem Determinismus kompatibel, müsstest Du noch mal erläutern.

#231:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 20:05
    —
jagy hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
http://de.wikipedia.org/wiki/Schuld_%28Strafrecht%29 hat folgendes geschrieben:
Nach der Theorie des Determinismus ... ist in Ermangelung der Fähigkeit des Menschen, sich frei zwischen Recht und Unrecht zu entscheiden, dem Schuldprinzip der Boden entzogen. Die Verantwortlichkeit des einsichtsfähigen und gesunden Menschen wird dadurch aber nicht berührt.
Genau. Man kann also Verantwortung vernünftig definieren, auch wenn man die Vorstellungen von (Willens-)Freiheit und Schuld überwunden hat.
Wie die Verantwortlichkeit damit nicht berührt werden soll, ist mir allerdings nicht ersichtlich. Vor allem, da Schuld und Verantwortlichkeit/Verantwortungsprinzip quasi Synonyme sind.

Ja, weil Verantwortlichkeit, Schuld und Freierwille als Eingenschaften von Personen angesehen werden. Wenn man aber die Zuweisung von Verantwortung definiert als Erwartung der Allgemeinheit, daß sich jemand moralisch konform verhält, und der tut das dann nicht, dann ist er offensichtlich für die Zuweisung einer solchen Verantwortung derzeit nicht geeignet.

EIn solches Verständnis von Verantworung kommt ohne Schuld und Freierwille aus, eignet sich allerdings erst recht nicht mehr als Begründung für vergeltende Strafrechtsaspekte.

jagy hat folgendes geschrieben:
Es wird zwar oft geschrieben, dass Schuldstrafrecht und Determinismus kompatibel sind - die Erklärungen hören sich aber m.E.n. nicht wirklich schlüssig an. Oder so Floskeln wie "das Prinzip der Verantwortlichkeit ... ist eine unumstößliche Realität unserer sozialen Existenz". Aha - es muss also so sein, weil es nicht anders sein kann...

Jo.

#232:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 20:51
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jagy hat folgendes geschrieben:
Also ich lese das nicht, was Du da liest.
In den 6 Punkten sagt er, dass unser heutiges Strafrecht eigentlich nicht mal mit dem Indeterminismus i.S.e. absoluten Willensfreiheit kompatibel ist.

Ja, das ist es, was ich sagte. Und er behauptet eben gleichzeitig, es basiere auf Indeterminismus. Und das ist offensichtlich falsch, ein Widerspruch, durch seine Punkte hat er sich selbst widerlegt, denn täte es das, dürften seine Punkte schlicht nicht im Strafrecht Niederschlag finden. Aber sie sind dennoch da.

jagy hat folgendes geschrieben:
Warum dass gleichzeitig eine Aussage sein soll, unser Strafrecht sei mit dem Determinismus kompatibel, müsstest Du noch mal erläutern.

Er sagt das natürlich nicht, er ist ja Inkompatibilist. Aber es ist einfach eine Frage der Logik, dass, wenn es Punkte im Strafrecht gibt, (z.B. Prävention), die der Auffassung eines inkompatibilistischen Willens (d.h. ein merkwürdiger von allem unabhängiger 'Wille') widersprechen, es somit nicht auf Inkompatiblilismus beruht, es eben auch de fakto nicht im Widerspruch zum Determinismus steht, sondern eben logischerweise deterministische Ansichten beinhaltet.
_________________________

Wenn Du mal nun bitte mal 'absolute Willensfreiheit' definieren würdest. Die notwendige Voraussetzung scheint für Dich Interminismus zu sein. (Warum genau? Mit welchem Argument?)

Und was ist (sind) die hinreichende(n) Voraussetzung(en)? Kannst Du eine Entscheidung einer Person mal im Ansatz skizzieren, die Deiner Meinung nach 'frei' zu nennen wäre? Wenn man Dich oder mich lediglich in eine indeterminierte Welt versetzen würde, (und wir bleiben sonst gleich), würde alleine dadurch unsere Entscheidung sicher noch nicht in Deinem Sinne 'frei', nicht? Was also genau müsste noch hinzukommen?

Ich meine, ein Inkompatibilist ist in der Verpflichtung, 'Freiheit' in seinem Sinne mal explizit darzulegen. Damit man mal sehen kann, was dem kompatibilistischen Begriff von Freiheit fehlt, woran es dem mangelt, womit er nicht die allgemeine Intuition von Freiheit bedienen kann.

Wie genau kann man sich also eine 'echt' freie Entscheidung vorstellen?

Nehmen wir z.B. an, jemand hätte Abitur gemacht und überlegt, was er daraufhin tut. Er überlegt hin und her, wägt ab, informiert sich, holt sich andere Meinungen ein, schläft ein paar Mal darüber etc. pp. und entscheidet sich letztlich für X.

Diese Entscheidung wäre nun Deiner Meinung nach nicht frei, stimmt's? Wann aber sonst? Wie genau könnte das ablaufen, um von Dir 'frei' genannt zu werden? Was fehlt, was muss hinzu kommen?

Sieh' mal: Du kannst hundertmal sagen, das eine höre sich für Dich schlüssig an und das andere nicht und tausend andere Leute können sagen: jo, isso. Nur ist es nun mal bei mir umgekehrt, eine solche Behauptung / Kundtuung überzeugt mich also nicht. Und ich kann tausend Leute benennen, die es so sehen wie ich. Und daher wären Argumente an dieser Stelle wirklich ganz furchtbar zauberhaft. Bzw. überhaupt erst mal eine Definition: eine Entscheidung ist genau dann frei, wenn was?

#233:  Autor: jagy BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 21:02
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
jagy hat folgendes geschrieben:
Also ich lese das nicht, was Du da liest.
In den 6 Punkten sagt er, dass unser heutiges Strafrecht eigentlich nicht mal mit dem Indeterminismus i.S.e. absoluten Willensfreiheit kompatibel ist.

Ja, das ist es, was ich sagte. Und er behauptet eben gleichzeitig, es basiere auf Indeterminismus. Und das ist offensichtlich falsch, ein Widerspruch, durch seine Punkte hat er sich selbst widerlegt, denn täte es das, dürften seine Punkte schlicht nicht im Strafrecht Niederschlag finden. Aber sie sind dennoch da.


Also ich habe das eher so verstanden, dass es dem Strafrecht bzw seinen Anwendern noch gar nicht aufgefallen ist, dass da eine Inkompatibilität von Indeterminismus und Strafrecht bestehen könnte.

Er widerlegt sich also nicht selbst, sondern kritisiert vielmehr, dass ein Problembewusstsein von Seiten der Strafrechtler, die keine Inkompatibilität von Indeterminismus und Strafrecht sehen, völlig fehlt.
In seinen 6 Punkten zeigt er dann, warum ein Problembewusstsein da sein sollte.

Das die Punkte, die er anspricht, im Strafrecht Niederschlag finden, heißt ja nicht, dass sie dass nicht widersprüchlicherweise tun. Man darf, würde ich mal behaupten, auch annehmen, dass sich der Gesetzgeber keine besondern Gedanken um Determinismus oder Indeterminismus macht bzw gemacht hat, wenn er materielles Strafrecht erlässt.

#234:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 21:03
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step hat folgendes geschrieben:
Handlungsfreiheit und Determinismus lassen sich natürlich vereinbaren, in dem Sinne wäre sogar ich Kompatibilist. Jeder kan "Willensfreiheit" so definieren, daß er Kompatibilist wird.

Ja, nun. Auch Du bist in der Pflicht, Willensfreiheit so zu definieren, dass klar wird, was dem kompatibilistischen Freiheitsbegriff fehlt. Also gehen auch alle meine Fragen, die ich jagy gestellt habe, an Dich.

#235:  Autor: jagy BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 21:07
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Nehmen wir z.B. an, jemand hätte Abitur gemacht und überlegt, was er daraufhin tut. Er überlegt hin und her, wägt ab, informiert sich, holt sich andere Meinungen ein, schläft ein paar Mal darüber etc. pp. und entscheidet sich letztlich für X.

Diese Entscheidung wäre nun Deiner Meinung nach nicht frei, stimmt's? Wann aber sonst? Wie genau könnte das ablaufen, um von Dir 'frei' genannt zu werden? Was fehlt, was muss hinzu kommen?

Sieh' mal: Du kannst hundertmal sagen, das eine höre sich für Dich schlüssig an und das andere nicht und tausend andere Leute können sagen: jo, isso. Nur ist es nun mal bei mir umgekehrt, eine solche Behauptung / Kundtuung überzeugt mich also nicht. Und ich kann tausend Leute benennen, die es so sehen wie ich. Und daher wären Argumente an dieser Stelle wirklich ganz furchtbar zauberhaft. Bzw. überhaupt erst mal eine Definition: eine Entscheidung ist genau dann frei, wenn was?


Eine notwendiges Kriterium der Willensfreiheit wäre für mich, dass man eine Entscheidung, hypothetisch zurück in die gleiche Situation in der Vergangenheit versetzt, nicht hätte treffen müssen, sondern sich hätte auch anders entscheiden können.

Genau, was der BGH als Grundlage der Schuld normiert:
Zitat:
Mit dem Unwerturteil der Schuld wird dem Täter vorgeworfen, daß er sich nicht rechtmäßig verhalten ... hat, obwohl er sich rechtmäßig verhalten ... hätte ... können


edit: Zumindest ich habe das immer so verstanden, und ich glaube so ist das auch gemeint, das mit dem anders-hätte-handeln-können nicht ein hypothetisches, sondern eine tatsächliche andere Handlungsmöglichkeit gemeint ist.


Zuletzt bearbeitet von jagy am 15.06.2010, 21:13, insgesamt 2-mal bearbeitet

#236:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 21:10
    —
jagy hat folgendes geschrieben:
Also ich habe das eher so verstanden, dass es dem Strafrecht bzw seinen Anwendern noch gar nicht aufgefallen ist, dass da eine Inkompatibilität von Indeterminismus und Strafrecht bestehen könnte.

Er widerlegt sich also nicht selbst, sondern kritisiert vielmehr, dass ein Problembewusstsein von Seiten der Strafrechtler, die keine Inkompatibilität von Indeterminismus und Strafrecht sehen, völlig fehlt.
In seinen 6 Punkten zeigt er dann, warum ein Problembewusstsein da sein sollte.

Das die Punkte, die er anspricht, im Strafrecht Niederschlag finden, heißt ja nicht, dass sie dass nicht widersprüchlicherweise tun. Man darf, würde ich mal behaupten, auch annehmen, dass sich der Gesetzgeber keine besondern Gedanken um Determinismus oder Indeterminismus macht bzw gemacht hat, wenn er materielles Strafrecht erlässt.

Ja, Letzteres ist wahrscheinlich richtig. Nur müsste halt jemand, der meint, der Gesetzgeber sollte das aber tun, das sei seine Pflicht, das auch begründen können.

Und zum ersten Punkt: dass es eine Inkompatibilität von Strafrecht und Indeterminismus gibt, (und die gibt es), wäre das erst dann ein Problem, wenn man annähme, (und das begründen könnte), Strafrecht müsse inkompatibilistisch sein. Aber da die meisten Strafrechtler nun mal keine Inkompatibilisten sind, sondern Kompatibilisten, ergibt sich das Problem schlicht nicht.

#237:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 21:12
    —
jagy hat folgendes geschrieben:
Eine notwendiges Kriterium der Willensfreiheit wäre für mich, dass man eine Entscheidung, hypothetisch zurück in die gleiche Situation in der Vergangenheit versetzt, nicht hätte treffen müssen, sondern sich hätte auch anders entscheiden können.

Könntest Du das bitte noch genauer ausführen? Darunter kann ich mir erst mal nichts vorstellen. Vielleicht könntest Du das an dem Beispiel mit dem Abiturienten mal konkret machen.

Edit:

jagy hat folgendes geschrieben:
Genau, was der BGH als Grundlage der Schuld normiert:
Zitat:
Mit dem Unwerturteil der Schuld wird dem Täter vorgeworfen, daß er sich nicht rechtmäßig verhalten ... hat, obwohl er sich rechtmäßig verhalten ... hätte ... können


edit: Zumindest ich habe das immer so verstanden, und ich glaube so ist das auch gemeint, das mit dem anders-hätte-handeln-können nicht ein hypothetisches, sondern eine tatsächliche andere Handlungsmöglichkeit gemeint ist.


Ja, aber was bedeutet das nun konkret? Wie kann ich mir das vorstellen? Wie läuft also der Entscheidungsprozess des Abiturienten 'echt frei' ab?

#238:  Autor: jagy BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 21:18
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
jagy hat folgendes geschrieben:
Eine notwendiges Kriterium der Willensfreiheit wäre für mich, dass man eine Entscheidung, hypothetisch zurück in die gleiche Situation in der Vergangenheit versetzt, nicht hätte treffen müssen, sondern sich hätte auch anders entscheiden können.

Könntest Du das bitte noch genauer ausführen? Darunter kann ich mir erst mal nichts vorstellen. Vielleicht könntest Du das an dem Beispiel mit dem Abiturienten mal konkret machen.


Bei mir kam irgendwann mal der Punkt, wo ich mich, nach dem von Dir entschiedenen Abwägungsvorgang, für ein Jurastudium entschieden habe.

Für einen freien Willen würde ich es aber voraussetzen, dass ich mich, hypothetisch in der Zeit zurückversetzt, auch anders hätte entscheiden können. Dass ich mich statt für Jura auch für Religionswissenschaft oder Informstik hätte entscheiden können. Vielleicht ein Kriterium anders hätte abwägen oder gewichten können und dadurch zu einer anderen Entscheidung hätte kommen können.

Oder, um zum Strafrecht zurückzukommen, wie schon Welzel schrieb: "Schuld ... begründet den persönlichen Vorwurd gegen den Täter, dass er die rechtswidrige Handlung nicht unterlassen hat, obwohl er sie unterlassen konnte".

Wenn ich mich nicht anders hätte entscheiden können, macht es für mich keinen Sinn, von einem freien Willen zu sprechen.

#239:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 21:31
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Handlungsfreiheit und Determinismus lassen sich natürlich vereinbaren, in dem Sinne wäre sogar ich Kompatibilist. Jeder kann "Willensfreiheit" so definieren, daß er Kompatibilist wird.

Ja, nun. Auch Du bist in der Pflicht, Willensfreiheit so zu definieren, dass klar wird, was dem kompatibilistischen Freiheitsbegriff fehlt. Also gehen auch alle meine Fragen, die ich jagy gestellt habe, an Dich.

Hab ich aber shon oft gemacht:

Man wäre willensfrei - und nicht nur handlungsfrei oder gefühlt frei - wenn der individuelle Entscheidungsapparat wesentlich akausal wäre, bzw. wenn sich eine exakte Reproduktion der Entscheidungssituation eine nichttriviale Verteilung der Entscheidungen ergäbe.

Du antwortest dann immer sinngemäß, das es dies ja nicht gebe (was ich ebenso sehe), und selbst wenn, daß Zufälligkeit ja eine blöde Freiheit wäre, weil da kann man ja auch keinen bestrafen.

Dem kompatibilistischen Freiheitsbegriff fehlt also sozusagen der zusätzliche Freiheitsgrad im Vergleich zur (unstrittigen) Handlungsfreiheit. Das allein fände ich allerdings gar nicht so schlimm, wenn der K. nicht auf der Welle der libertaristisch-intuitiven Deutung reiten würde (absichtlich oder unanbsichtlich). Er suggeriert, daß beim Schuldkonzept alles beim alten bleiben könne. Dabei macht die Tatsache, daß man Präferenzdeterminismus jetzt "Willensfreiheit" nennt, die Begründung etwa für vergeltendes Strafrecht in keiner Weise besser. Das ist nur nicht mehr so auffällig.

#240:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 21:33
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jagy hat folgendes geschrieben:
Bei mir kam irgendwann mal der Punkt, wo ich mich, nach dem von Dir entschiedenen Abwägungsvorgang, für ein Jurastudium entschieden habe.

Für einen freien Willen würde ich es aber voraussetzen, dass ich mich, hypothetisch in der Zeit zurückversetzt, auch anders hätte entscheiden können. Dass ich mich statt für Jura auch für Religionswissenschaft oder Informstik hätte entscheiden können. Vielleicht ein Kriterium anders hätte abwägen oder gewichten können und dadurch zu einer anderen Entscheidung hätte kommen können.

Wenn ich mich nicht anders hätte entscheiden können, macht es für mich keinen Sinn, von einem freien Willen zu sprechen.

Das verstehe ich noch nicht.

Nehmen wir jetzt einmal hypothetisch an, just for the sake of argument, unsere Welt wäre nicht determiniert, sondern (teilweise) indeterminiert. Nehmen wir also an, dass, wenn man Dich in der Zeit zurückversetzte, sagen wir mal 5 Tage bevor Du Deine Entscheidung, Jura zu studieren, getroffen hast, es irgend einen indeterminierten Vorgang in der Welt gegeben hätte, der Dich dazu bewog, sagen wir mal, Wirtschaft zu studieren, (für Religion oder Informatik müsste man die Welt vielleicht viel weiter zurückdrehen).

Und nun? Wärest Du dadurch freier gewesen? Doch wohl kaum, nicht?

Du schuldest mir also immer noch die hinreichende Bedingung für Deinen Begriff von Freiheit.

Nehmen wir an, Du hast Dich nach bestem Wissen und Gewissen entschieden, Du hast Dich vielseitig informiert, andere Meinungen eingeholt, diese abgewogen, auch Deine Intuition befragt und dann letztlich entschieden. Angenommen, Du standest nicht unter ungewöhnlichem äußerem oder innerem Druck. Deine Entscheidung war daher meiner Ansicht nach eine freie. Deiner Ansicht nach wohl nicht. Gut, aber was muss denn nun dazu kommen, wie kann ich mir das konkret vorstellen, was Du meinst, wenn Du 'echt frei' sagst? Alleine der (hypothetisch angenommene) Fakt, dass, wenn man die Welt zurückdrehte, die Entscheidung anders hätte ausfallen können, kann es jedenfalls nicht sein.

Edit: die gleiche Frage geht an step. Just for the sake of argument können wir auch eine Akausalität (wenn damit etwas anderes als Indeterminiertheit gemeint ist) des Entscheidungsapparates mal hypothetisch annehmen. Die aber mE an sich noch keine Freiheit gewährleisten würde, bzw. die Freiheit des Abiturienten im Beispiele nicht erhöhen könnte. Zumindest ist mir nicht klar, wie. Das bedarf einer zusätzlichen Erklärung.


Zuletzt bearbeitet von AgentProvocateur am 15.06.2010, 21:42, insgesamt einmal bearbeitet

#241:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 21:42
    —
AgentProvocateur an jagy hat folgendes geschrieben:
Nehmen wir jetzt einmal hypothetisch an, just for the sake of argument, unsere Welt wäre nicht determiniert, sondern (teilweise) indeterminiert. Nehmen wir also an, dass, wenn man Dich in der Zeit zurückversetzte, sagen wir mal 5 Tage bevor Du Deine Entscheidung, Jura zu studieren, getroffen hast, es irgend einen indeterminierten Vorgang in der Welt gegeben hätte, der Dich dazu bewog, sagen wir mal, Wirtschaft zu studieren, (für Religion oder Informatik müsste man die Welt vielleicht viel weiter zurückdrehen).

Und nun? Wärest Du dadurch freier gewesen?

Da es diesen indeterminierten Auslöser nicht im individuellen Entscheidungskomplex, sondern 5 Tage vorher außerhalb gab, müßte man sagen:

Ja, das System, das diesen Zufallstrigger enthielt, war freier (= unterlag weniger Zwängen) .

#242:  Autor: jagy BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 21:44
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
jagy hat folgendes geschrieben:
Bei mir kam irgendwann mal der Punkt, wo ich mich, nach dem von Dir entschiedenen Abwägungsvorgang, für ein Jurastudium entschieden habe.

Für einen freien Willen würde ich es aber voraussetzen, dass ich mich, hypothetisch in der Zeit zurückversetzt, auch anders hätte entscheiden können. Dass ich mich statt für Jura auch für Religionswissenschaft oder Informstik hätte entscheiden können. Vielleicht ein Kriterium anders hätte abwägen oder gewichten können und dadurch zu einer anderen Entscheidung hätte kommen können.

Wenn ich mich nicht anders hätte entscheiden können, macht es für mich keinen Sinn, von einem freien Willen zu sprechen.

Das verstehe ich noch nicht.

Nehmen wir jetzt einmal hypothetisch an, just for the sake of argument, unsere Welt wäre nicht determiniert, sondern (teilweise) indeterminiert. Nehmen wir also an, dass, wenn man Dich in der Zeit zurückversetzte, sagen wir mal 5 Tage bevor Du Deine Entscheidung, Jura zu studieren, getroffen hast, es irgend einen indeterminierten Vorgang in der Welt gegeben hätte, der Dich dazu bewog, sagen wir mal, Wirtschaft zu studieren, (für Religion oder Informatik müsste man die Welt vielleicht viel weiter zurückdrehen).

Und nun? Wärest Du dadurch freier gewesen? Doch wohl kaum, nicht?


Du hast mich missverstanden. Ich meine, ein indeterminierter Vorgang "in" mir wäre nötig, um Willensfreiheit zu bejahen. Ein "Gespenst in der Maschine" oder was auch immer.
Willensfreiheit ist ja etwas per definitionem übernatürliches.

Wenn ich alle Fakten kenne, muss ich die Möglichkeit haben, tatsächlich mehr als eine Entscheidung treffen zu können. Dann würde ich von Willensfreiheit sprechen.

#243:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 21:51
    —
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur an jagy hat folgendes geschrieben:
Und nun? Wärest Du dadurch freier gewesen?

Da es diesen indeterminierten Auslöser nicht im individuellen Entscheidungskomplex, sondern 5 Tage vorher außerhalb gab, müßte man sagen:

Ja, das System, das diesen Zufallstrigger enthielt, war freier (= unterlag weniger Zwängen) .

Das beantwortet aber nicht meine Frage, denn die lautet genau genommen selbstverständlich so: wärest Du als Person in Deiner Entscheidung freier gewesen? Denn das ist mE die Frage nach der Willens- / Entscheidungsfreiheit.

Und die Antwort ist: selbstverständlich nicht. Wenn eine Person aus unserer Welt plötzlich in eine (teilweise) indeterminierte Welt versetzt würde und diese Person ansonsten gleich bliebe, dann wäre sie nicht einfach durch den Fakt, sich nun in einer indeterminierten Welt zu befinden, in ihren Überlegungen und Entscheidungen freier. Zumindest ist mir nicht einsichtig, wieso das gelten könnte.

#244:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 22:04
    —
jagy hat folgendes geschrieben:
Du hast mich missverstanden. Ich meine, ein indeterminierter Vorgang "in" mir wäre nötig, um Willensfreiheit zu bejahen. Ein "Gespenst in der Maschine" oder was auch immer.
Willensfreiheit ist ja etwas per definitionem übernatürliches.

Wenn ich alle Fakten kenne, muss ich die Möglichkeit haben, tatsächlich mehr als eine Entscheidung treffen zu können. Dann würde ich von Willensfreiheit sprechen.

Kannst Du zwar machen, aber das ist dann eben genau das, was ein Kompatibilist bestreitet, als nicht sinnvoll ansieht. 'Sinnvoll' hier im Sinne von wünschenswert, Freiheit erhöhend', als notwendige Voraussetzung für Verantwortlichkeit und somit auch Schuld.

Im Gegenteil meint nun ein Kompatibilist, dass, wäre dem so, wäre eine Person reines Werkzeug eines solchen für sie unvorhersehbaren und unkontrollierbaren Willens, sie nicht verantwortlich und somit auch nicht schuldig sein könne, es unfair wäre, ihr Verantwortung und Schuld zuzuweisen. (Zumindest dann, wenn dieser Wille auch noch handlungsauslösend wäre - was Kontrolle völlig ausschließt). Ein Kompatibilist hält also für eine Zuweisung von Schuld eine Kontrolle über die eigenen Entscheidungen und Handlungen für eine notwendige Voraussetzung.

Edit: was meinst Du eigentlich genau mit 'tatsächlich mehr als eine Entscheidung treffen zu können'? Nehmen wir mal die Entscheidung X (oder meinetwegen 'Jura studieren'). Meinst Du nun, Du müsstest fähig sein, sowohl X als auch gleichzeitig die Entscheidung Nicht-X treffen zu können, um als 'echt' frei gelten zu können? Wie kann ich mir das aber konkret vorstellen? Das hat nun zwar was mit Logik zu tun, (es ist schlicht logisch unmöglich, gleichzeitig sowohl X als auch Nicht-X zu tun), aber was eigentlich mit Indeterminismus?

#245:  Autor: Ilmor BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 22:27
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur an jagy hat folgendes geschrieben:
Und nun? Wärest Du dadurch freier gewesen?

Da es diesen indeterminierten Auslöser nicht im individuellen Entscheidungskomplex, sondern 5 Tage vorher außerhalb gab, müßte man sagen:

Ja, das System, das diesen Zufallstrigger enthielt, war freier (= unterlag weniger Zwängen) .

Das beantwortet aber nicht meine Frage, denn die lautet genau genommen selbstverständlich so: wärest Du als Person in Deiner Entscheidung freier gewesen? Denn das ist mE die Frage nach der Willens- / Entscheidungsfreiheit.

Und die Antwort ist: selbstverständlich nicht. Wenn eine Person aus unserer Welt plötzlich in eine (teilweise) indeterminierte Welt versetzt würde und diese Person ansonsten gleich bliebe, dann wäre sie nicht einfach durch den Fakt, sich nun in einer indeterminierten Welt zu befinden, in ihren Überlegungen und Entscheidungen freier. Zumindest ist mir nicht einsichtig, wieso das gelten könnte.


Das sehe ich auch so. Es kann gar keinen freien Willen geben. Entweder ist unsere Entscheidung schon vom Anbeginn der Zeit an deterministisch festgelegt, oder es gibt einen Zufallsgenerator, der unsere Entscheidungen rausspuckt. So oder so sind wir nicht frei.

Was mich im Bezug auf ein Strafrecht, dass nicht von der Schuld ausgeht interessieren würde (habe jetzt nicht den ganzen Thread gelesen, bitte also um Entschuldigung, falls mein Punkt schon vorher dagebracht wurde):
Mal angenommen, eine Frau wird von einem Mann vergewaltigt. Der Mann wird verurteilt, jedoch nachdem er seine Zeit abgesessen hat, beschließt die Frau, Rache zu nehmen, und tötet den Mann. Wie soll man nun mit der Frau verfahren? Einerseits kann man nicht davon ausgehen, dass sie eine Gefahr für andere Mitmenschen darstellt, also würde das ihren Haft nicht rechtfertigen. Andererseits kann man sie ja auch nicht laufen lassen, das wäre ein Freischein für Mord aus Rachemotiven. Soll man sie nun als Abschreckung einsperren? Würde ein solches modernes Strafrecht auf Abschreckung beruhen?

#246:  Autor: jagy BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 22:29
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
jagy hat folgendes geschrieben:
Du hast mich missverstanden. Ich meine, ein indeterminierter Vorgang "in" mir wäre nötig, um Willensfreiheit zu bejahen. Ein "Gespenst in der Maschine" oder was auch immer.
Willensfreiheit ist ja etwas per definitionem übernatürliches.

Wenn ich alle Fakten kenne, muss ich die Möglichkeit haben, tatsächlich mehr als eine Entscheidung treffen zu können. Dann würde ich von Willensfreiheit sprechen.


Edit: was meinst Du eigentlich genau mit 'tatsächlich mehr als eine Entscheidung treffen zu können'? Nehmen wir mal die Entscheidung X (oder meinetwegen 'Jura studieren'). Meinst Du nun, Du müsstest fähig sein, sowohl X als auch gleichzeitig die Entscheidung Nicht-X treffen zu können, um als 'echt' frei gelten zu können? Wie kann ich mir das aber konkret vorstellen? Das hat nun zwar was mit Logik zu tun, (es ist schlicht logisch unmöglich, gleichzeitig sowohl X als auch Nicht-X zu tun), aber was eigentlich mit Indeterminismus?


Mit "tatsächlich" meine ich nur, dass nicht nur gemeint ist, dass ein anderer Mensch in gleicher Situation eine andere Entscheidung hätte treffen können.

#247:  Autor: jagy BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 22:31
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
jagy hat folgendes geschrieben:
Du hast mich missverstanden. Ich meine, ein indeterminierter Vorgang "in" mir wäre nötig, um Willensfreiheit zu bejahen. Ein "Gespenst in der Maschine" oder was auch immer.
Willensfreiheit ist ja etwas per definitionem übernatürliches.

Wenn ich alle Fakten kenne, muss ich die Möglichkeit haben, tatsächlich mehr als eine Entscheidung treffen zu können. Dann würde ich von Willensfreiheit sprechen.

Kannst Du zwar machen, aber das ist dann eben genau das, was ein Kompatibilist bestreitet, als nicht sinnvoll ansieht. 'Sinnvoll' hier im Sinne von wünschenswert, Freiheit erhöhend', als notwendige Voraussetzung für Verantwortlichkeit und somit auch Schuld.

Im Gegenteil meint nun ein Kompatibilist, dass, wäre dem so, wäre eine Person reines Werkzeug eines solchen für sie unvorhersehbaren und unkontrollierbaren Willens, sie nicht verantwortlich und somit auch nicht schuldig sein könne, es unfair wäre, ihr Verantwortung und Schuld zuzuweisen. (Zumindest dann, wenn dieser Wille auch noch handlungsauslösend wäre - was Kontrolle völlig ausschließt). Ein Kompatibilist hält also für eine Zuweisung von Schuld eine Kontrolle über die eigenen Entscheidungen und Handlungen für eine notwendige Voraussetzung.

Das versteh ich jetzt momentan um diese Uhrzeit nicht zwinkern
Bin erst am Montag nächste Woche wieder online, werde dann aber antworten, wenn ich hoffentlich daran denke.

#248:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 22:36
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur an jagy hat folgendes geschrieben:
Und nun? Wärest Du dadurch freier gewesen?
Da es diesen indeterminierten Auslöser nicht im individuellen Entscheidungskomplex, sondern 5 Tage vorher außerhalb gab, müßte man sagen:

Ja, das System, das diesen Zufallstrigger enthielt, war freier (= unterlag weniger Zwängen) .
Das beantwortet aber nicht meine Frage, denn die lautet genau genommen selbstverständlich so: wärest Du als Person in Deiner Entscheidung freier gewesen? Denn das ist mE die Frage nach der Willens- / Entscheidungsfreiheit.

Wenn Du den indeterministischen Agenten in der Person annimmst (und nicht in der Außenwelt), könnte ich tatsächlich sagen: "Meine Entscheidung ist freier gewesen (= unterlag weniger Zwängen)".

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und die Antwort ist: selbstverständlich nicht.

Die Antwort mußt Du schon mir überlassen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wenn eine Person aus unserer Welt plötzlich in eine (teilweise) indeterminierte Welt versetzt würde und diese Person ansonsten gleich bliebe, dann wäre sie nicht einfach durch den Fakt, sich nun in einer indeterminierten Welt zu befinden, in ihren Überlegungen und Entscheidungen freier. Zumindest ist mir nicht einsichtig, wieso das gelten könnte.

Das würde auch ich so nicht behaupten. Das intuitive Verständnis von Freiheit ist mE inkonsistent. Beim näheren Hinschauen fällt uns auf, daß wir weder indeterminiert noch determiniert sein möchten.

Nehmen wir aber mal ein Beispiel ohne Indeterminismus:

Nehmen wir mal an, diese Person unterläge plötzlich nicht mehr den Zwängen, die ihr Gewissen ihr auferlegt, also den Zwängen, konform zur geltenden oder anerzogenen Moral zu handeln. Sie würde sich dann freier (von moralischen Zwängen) verhalten. Manchmal nennt man das treffend "Willkür" oder "Unberechenbarkeit". Die Person würde sich aber nicht unbedingt freier fühlen, denn die meisten Menschen internalisieren moralische Zwänge und empfinden konforme Entscheidungen als präferent und damit freiwillig.

#249:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 22:44
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jagy hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Edit: was meinst Du eigentlich genau mit 'tatsächlich mehr als eine Entscheidung treffen zu können'? Nehmen wir mal die Entscheidung X (oder meinetwegen 'Jura studieren'). Meinst Du nun, Du müsstest fähig sein, sowohl X als auch gleichzeitig die Entscheidung Nicht-X treffen zu können, um als 'echt' frei gelten zu können? Wie kann ich mir das aber konkret vorstellen? Das hat nun zwar was mit Logik zu tun, (es ist schlicht logisch unmöglich, gleichzeitig sowohl X als auch Nicht-X zu tun), aber was eigentlich mit Indeterminismus?

Mit "tatsächlich" meine ich nur, dass nicht nur gemeint ist, dass ein anderer Mensch in gleicher Situation eine andere Entscheidung hätte treffen können.

Das beantwortet meine Frage nicht. Ich will ja nicht wissen, was Du nicht meinst, sondern was Du nun eigentlich meinst.

Der Abiturient. Oder auch Deine Entscheidung für Dein Studium. Wie genau müssen (oder könnten) die ablaufen, damit Du sie als 'frei' klassifizieren würdest?

#250:  Autor: jagy BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 23:00
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
jagy hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Edit: was meinst Du eigentlich genau mit 'tatsächlich mehr als eine Entscheidung treffen zu können'? Nehmen wir mal die Entscheidung X (oder meinetwegen 'Jura studieren'). Meinst Du nun, Du müsstest fähig sein, sowohl X als auch gleichzeitig die Entscheidung Nicht-X treffen zu können, um als 'echt' frei gelten zu können? Wie kann ich mir das aber konkret vorstellen? Das hat nun zwar was mit Logik zu tun, (es ist schlicht logisch unmöglich, gleichzeitig sowohl X als auch Nicht-X zu tun), aber was eigentlich mit Indeterminismus?

Mit "tatsächlich" meine ich nur, dass nicht nur gemeint ist, dass ein anderer Mensch in gleicher Situation eine andere Entscheidung hätte treffen können.

Das beantwortet meine Frage nicht. Ich will ja nicht wissen, was Du nicht meinst, sondern was Du nun eigentlich meinst.

Der Abiturient. Oder auch Deine Entscheidung für Dein Studium. Wie genau müssen (oder könnten) die ablaufen, damit Du sie als 'frei' klassifizieren würdest?


Ich weiß ehrlich gesagt nicht ganz, wie ich es noch genauer beschreiben sollte. Mit "ich hätte mich anders entscheiden können müssen" finde ich es eigentlich ziemlich treffend beschrieben. Ich persönlich, als Determinist, glaube aber nicht, dass ich mich hätte anders entscheiden können. Deswegen war meine Entscheidung nicht willensfrei.

Wir müssen als Beispiel nicht das Studium mit einen langwierigen Informations- und Abwägungsprozess nehmen. Nehmen wir an, ich stehe beim Bäcke und überlege, ob ich eine Bretzel oder ein Brötchen kaufe. Ich überlege kurz und entscheide mich für die Bretzel. Hätte ich mich auch für das Brötchen entscheiden können, würde ich von Willensfreiheit sprechen. Ich glaube aber, ich hätte mich nicht anders entscheiden können. Die Summe aus meinen Genen, meinem Gehirn, meiner Sozialisation, meines konkreten Tagesablaufs und sonstigen Faktoren hat es mir aber tatsächlich unmöglich gemacht, eine andere Entscheidung zu treffen, als die, die ich tatsächlich getroffen habe. Deswegen glaube ich nicht an einen freien Willen. Alles ist ein - wenn auch fast unendlich großer - Zusammenhang von Ursache und Wirkung.

#251:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 23:05
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step hat folgendes geschrieben:
Wenn Du den indeterministischen Agenten in der Person annimmst (und nicht in der Außenwelt), könnte ich tatsächlich sagen: "Meine Entscheidung ist freier gewesen (= unterlag weniger Zwängen)".

Nö, ich denke ganau das Gegenteil: eine Entscheidung, die indeterminiert erfolgt, ist nicht meine Entscheidung, genau genommen ist das deswegen überhaupt keine Entscheidung, sondern es ist lediglich ein Impuls in mir. Wobei es bei einem reinen Impuls mE überhaupt keine Rolle spielt, ob dieser determiniert oder indeterminiert entstanden ist. Da, an genau dieser Stelle, besteht nun starker Begründungsbedarf für einen Inkompatibilisten, so er da einen Unterschied sieht. Worin sollte der also bestehen?

step hat folgendes geschrieben:
Nehmen wir aber mal ein Beispiel ohne Indeterminismus:

Nehmen wir mal an, diese Person unterläge plötzlich nicht mehr den Zwängen, die ihr Gewissen ihr auferlegt, also den Zwängen, konform zur geltenden oder anerzogenen Moral zu handeln. Sie würde sich dann freier (von moralischen Zwängen) verhalten. Manchmal nennt man das treffend "Willkür" oder "Unberechenbarkeit". Die Person würde sich aber nicht unbedingt freier fühlen, denn die meisten Menschen internalisieren moralische Zwänge und empfinden konforme Entscheidungen als präferent und damit freiwillig.

Zu Letzterem: genau, so sehe ich das auch. Die meisten Menschen fühlen sich als Person, mit Merkmalen, die ihre Person ausmachen, als da sind: ihre Sozialisation, ihre Geschichte, ihre Werte / Bewertungen, ihre Überlegungen, ihre Meinungen etc. pp. Woraus sich nun mal auch ihr Gewissen ergibt, das, was sie für falsch und das, was sie für richtig halten.

Das Gedankenexperiment, man könne einer Person diese Grundlagen entziehen, erscheint mir einfach nur absurd. Denn täte man das, gäbe es die Person schlicht nicht mehr.

Und ob die andere Person, die dann entstünde, sich freier fühlen würde, ist mE eine ziemlich uninteressante Frage. Wenn es aber interessant werden soll, dann müsste man mal genauer spezifizieren, was genau diese Person ist, was sie ausmacht, was ihre Grundlagen, ihre Meinungen, ihre Interessen, ihre Bedürfnisse etc. sind.

Wenn Du mir mein Gewissen, d.h. meine Fähigkeit dazu, abzuwägen, Interessen zu erkennen und zu beurteilen, mich in Bezug zu anderen zu setzen, meine Erfahrungen, meine Sozialisation, all das, worauf meine Fähigkeit, zu werten, basiert, nimmst, was bleibt dann von mir? Hört sich für mich erst mal absurd, nicht nachvollziehbar, an.

#252:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 15.06.2010, 23:25
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jagy hat folgendes geschrieben:
Ich weiß ehrlich gesagt nicht ganz, wie ich es noch genauer beschreiben sollte. Mit "ich hätte mich anders entscheiden können müssen" finde ich es eigentlich ziemlich treffend beschrieben.

Ich aber nicht. Ich verstehe das schlicht nicht. skeptisch

jagy hat folgendes geschrieben:
Wir müssen als Beispiel nicht das Studium mit einen langwierigen Informations- und Abwägungsprozess nehmen. Nehmen wir an, ich stehe beim Bäcke und überlege, ob ich eine Bretzel oder ein Brötchen kaufe. Ich überlege kurz und entscheide mich für die Bretzel. Hätte ich mich auch für das Brötchen entscheiden können, würde ich von Willensfreiheit sprechen. Ich glaube aber, ich hätte mich nicht anders entscheiden können. Die Summe aus meinen Genen, meinem Gehirn, meiner Sozialisation, meines konkreten Tagesablaufs und sonstigen Faktoren hat es mir aber tatsächlich unmöglich gemacht, eine andere Entscheidung zu treffen, als die, die ich tatsächlich getroffen habe. Deswegen glaube ich nicht an einen freien Willen. Alles ist ein - wenn auch fast unendlich großer - Zusammenhang von Ursache und Wirkung.

Ja, aber, wenn es Dir wichtig wäre, Dich beliebig, ohne Rückgriff auf Deine Vorlieben, entscheiden zu können, dann hättest Du doch würfeln können? Oder ist es Dir gar nicht so wichtig, Dich gegen deine Vorlieben entscheiden zu können? Wärest Du verantwortlich für Deine Entscheidung gewesen, wenn Du gewürfelt hättest, (Dich entschieden hättest, zu würfeln und dann das zu tun, was der Würfel ergeben hätte)? Oder nur dann, wenn das kein normaler Würfel, sondern ein (indeterminierter) Quantenwürfel gewesen wäre? Aber wieso, was machte das für einen Unterschied: normaler Würfel oder Quantenwürfel?

Ich verstehe das wirklich nicht. Du bist mir eine Erklärung schuldig.

Wann bist Du also verantwortlich für eine Entscheidung / Handlung, wann hältst Du Dich selber für verantwortlich, wann akzeptierst Du, wenn andere Dir Verantwortung zuschreiben? Und wann nicht, wann hältst Du das für falsch? Was sind Deine Kriterien dafür?

Entscheidungsfreiheit / keine (übermäßige) Manipulation von Dritten, die Deinen Willen gekapert haben? Handlungsfreiheit / kein Zwang? Eine hinreichende Fähigkeit zu rationalen Entscheidungen / Überlegungen / Abwägungen? Würfel? Quantenwürfel? Nie in einer determinierten Welt? Falls Letzteres: wann genau würdest Du dann jemandem Verantwortung (und somit ggf. Schuld) zuweisen wollen in einer indeterminierten Welt)? Oder ist der Begriff 'Verantwortung' für Dich ein per se leerer, in keiner Welt logisch möglich?

Ist die Frage wirklich so schwer zu beantworten? Verstehst Du wirklich nicht, dass Du da was erklären musst, was keineswegs selbstevident ist, was nicht mit "ich hätte mich anders entscheiden können" dargestellt werden kann? Du hättest dich anders als was entscheiden können? Anders als für das, was Du eigentlich wolltest? Oder anders als für das, für was Du Dich letztlich entschieden hast? Was aber dann absolut nix mit Determinismus / Indeterminismus zu tun hat, sondern nur mit Logik. Wenn Du aber nun tatsächlich behaupten willst, ein 'echter' freier Wille sei kein Widerspruch zum Determinismus, sondern zur Logik: warum sagst Du das dann nicht auch mal so? Da könnte man doch dann mal anknüpfen.

Wie meinst Du es also?

#253:  Autor: Waschmaschine777 BeitragVerfasst am: 16.06.2010, 10:39
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben:
Sie handelt vielleicht falsch, aber sie handelt so. Die Ausgangsfrage war ja die, wo Schuld als "Folter" eingesetzt wird. Und in Frustrationssituationen ist das häufig der Fall. Man versucht andere durch Schuldvorwürfe leiden zu machen.

Na schön. Die Mutter macht also ihrem Kind Vorwürfe, erzeugt in ihm Schuldgefühle, Minderwertigkeitskomplexe, die noch dadurch verstärkt werden, dass sich das Kind von der eigenen Mutter abgelehnt / ungeliebt fühlt.

Nehmen wir nun mal weiter an, jemand Außenstehendes, vielleicht Verwandte oder Freunde, bekämen das mit. Wie, meinst Du, würden sie reagieren? Würden sie sagen: 'ja, klar, natürlich, das Kind ist schuld, dass Du keine Karriere machen konntest, hey, Kind, Du bist schuld, schäme Dich'? Oder würden sie nicht doch vielleicht eher versuchen, der Mutter gut zuzureden, dass diese einsieht, dass sie das Kind nicht für ihre eigenen Entscheidungen verantwortlich machen kann? Welchem Verantwortungs- / Schuldbegriff also würden die meisten Deiner Ansicht nach wohl eher zustimmen?



In diesem Fall wären Außenstehende der Meinung, dass die Mutter den Schuldvorwurf zu unrecht macht.
Aber wenn man ein anderes Beispiel nimmt: Ein Zwölfjähriger macht Unfug (Grill, Spiritus u.ä.), in dessen Verlauf sich seine Mutter schwere Verbrennungen im Gesicht zuzieht. Diese bleibt entstellt und macht fortan ihrem Sohn schwere Schuldvorwürfe. In diesem Fall würden viele Außenstehende das Vorgehen der Mutter nicht als ungerechtfertigt empfinden, da sie der Meinung wären den Sohn träfe Schuld, weil er als nicht mehr so junges Kind auch anders handeln hätte können.

#254:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 16.06.2010, 13:43
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wenn Du den indeterministischen Agenten in der Person annimmst (und nicht in der Außenwelt), könnte ich tatsächlich sagen: "Meine Entscheidung ist freier gewesen (= unterlag weniger Zwängen)".
Nö, ich denke ganau das Gegenteil: eine Entscheidung, die indeterminiert erfolgt, ist nicht meine Entscheidung, genau genommen ist das deswegen überhaupt keine Entscheidung, sondern es ist lediglich ein Impuls in mir.

Der gesamte Entscheidungsvorgang ist derselbe, nur daß irgendwo ein zufälliger Schalter sitzt. Es ist also sehrwohl eine Entscheidung, allerdings mit einer Zufallsvariable. Von der Du möglicherweise nichtmal was merkst, da Du Dir natürlich einen Begründungskontext zu der Entscheidung bastelst.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wobei es bei einem reinen Impuls mE überhaupt keine Rolle spielt, ob dieser determiniert oder indeterminiert entstanden ist.

Da stimme ich zu.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Da, an genau dieser Stelle, besteht nun starker Begründungsbedarf für einen Inkompatibilisten, so er da einen Unterschied sieht. Worin sollte der also bestehen?

Umgekehrt wird ein Schuh draus: Auch im Fall eines deterministischen Auslösers (z.B. Präferenz) ist es - wenn man schon so argumentiert - nur ein Impuls.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Nehmen wir mal an, diese Person unterläge plötzlich nicht mehr den Zwängen, die ihr Gewissen ihr auferlegt, also den Zwängen, konform zur geltenden oder anerzogenen Moral zu handeln. Sie würde sich dann freier (von moralischen Zwängen) verhalten. Manchmal nennt man das treffend "Willkür" oder "Unberechenbarkeit". Die Person würde sich aber nicht unbedingt freier fühlen, denn die meisten Menschen internalisieren moralische Zwänge und empfinden konforme Entscheidungen als präferent und damit freiwillig.

Zu Letzterem: genau, so sehe ich das auch. Die meisten Menschen fühlen sich als Person, mit Merkmalen, die ihre Person ausmachen, als da sind: ihre Sozialisation, ihre Geschichte, ihre Werte / Bewertungen, ihre Überlegungen, ihre Meinungen etc. pp. Woraus sich nun mal auch ihr Gewissen ergibt, das, was sie für falsch und das, was sie für richtig halten.

Soweit Zustimmung.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Das Gedankenexperiment, man könne einer Person diese Grundlagen entziehen, erscheint mir einfach nur absurd. Denn täte man das, gäbe es die Person schlicht nicht mehr.

Warum sollte man in Gedankenexperimenten die Welt/Physik, nicht aber die Person ändern dürfen? - Egal, Du kannst Dir ja stattdessen auch eine zweite Person vorstellen, die weniger moralischen Zwängen unterliegt.

Ich möchte idZ nochmal auf den psychologischen Schuldbegriff zurückkommen, also Schuld = Schuldgefühl. Eine Person mit weniger moralischen Zwängen, die deterministisch präferent aber nichtkonform handelt, trägt ja keine psychologische Schuld. Sie weiß zwar u.U., daß sie nichtkonform handelt, aber andere Präferenzen sind stärker und sie hat bei der Abwägung der Tat kein Schuldgefühl.

Ein Vertreter deterministisch präferenten Entscheidens muß an dieser Stelle mE Schwierigkeiten mit der Begründung von Schuld und vergeltender Strafe bekommen, egal ob er die determinierten Präferenzen nun Freierwille nennt oder nicht, also egal ob er Kompatibilist ist oder nicht.

#255:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 17.06.2010, 21:11
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step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wenn Du den indeterministischen Agenten in der Person annimmst (und nicht in der Außenwelt), könnte ich tatsächlich sagen: "Meine Entscheidung ist freier gewesen (= unterlag weniger Zwängen)".
Nö, ich denke ganau das Gegenteil: eine Entscheidung, die indeterminiert erfolgt, ist nicht meine Entscheidung, genau genommen ist das deswegen überhaupt keine Entscheidung, sondern es ist lediglich ein Impuls in mir.

Der gesamte Entscheidungsvorgang ist derselbe, nur daß irgendwo ein zufälliger Schalter sitzt. Es ist also sehrwohl eine Entscheidung, allerdings mit einer Zufallsvariable. Von der Du möglicherweise nichtmal was merkst, da Du Dir natürlich einen Begründungskontext zu der Entscheidung bastelst.

Ah, so meinst Du das. Das hatte ich dann falsch verstanden, wohl, weil Du von einem 'Agenten' sprachst, (worunter ich ein rational handelndes Wesen verstehe).

Wenn hier die letztliche Entscheidung durch die Person getroffen wird, stimme ich zu. Mit anderen Worten: wenn meine Entscheidungen durch zufällige Einflüsse beeinflusst werden, (egal, ob 'echt' zufällig oder nicht), dann bedeutet das noch nicht per se eine Freiheitseinschränkung nach meinem Begriff von Freiheit. Weil die Person sowieso nicht alle Einflüsse überschauen kann, das ist mE prinzipiell unmöglich. Ein indeterminierter Faktor bedeutet aber eben auch nicht schon per se eine Freiheitserhöhung und das war ja mein Punkt hier, darauf zielte meine Frage ab.

Eigentlich wollte ich hier auf folgendes hinaus: wenn die letztliche Entscheidung durch Zufallsfaktoren erzeugt wurde, (ohne dass die noch revidiert werden könnte, man also irgendwie daran unausweichlich gebunden wäre - wobei dieses 'Revidieren' mAn eine hinreichende Fähigkeit zur Reflexion voraussetzt und die kann nicht indeterminiert ablaufen - weil das nämlich 'völlig beliebig' bedeutete), dann kann es (nach meinem Begriff von 'Entscheidung') keine Entscheidung sein. Dann würde ich das daraus folgende nur 'Verhalten' nennen und nicht 'Handlung'.

Diejenige Art von Zufall, die ich nicht per se als Freiheitseinschränkung ansehen würde, würde ich nicht 'Agent (in mir)' nennen wollen. Die würde ich schlicht 'Faktor' nennen.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Da, an genau dieser Stelle, besteht nun starker Begründungsbedarf für einen Inkompatibilisten, so er da einen Unterschied sieht. Worin sollte der also bestehen?

Umgekehrt wird ein Schuh draus: Auch im Fall eines deterministischen Auslösers (z.B. Präferenz) ist es - wenn man schon so argumentiert - nur ein Impuls.

Nun, dann verstehe ich unter 'Impuls' anscheinend auch etwas anderes als Du. Ein Impuls ist für mich ein plötzlicher, unvorhergesehener, unwillkürlicher Gedanke, der 'einfach so' (ohne für mich erkennbaren Zusammenhang) entsteht. Zum Beispiel: ich habe plötzlich Lust auf saure Gurken. Unter einer Präferenz hingegen verstehe ich etwas Längerfristiges, (aber nicht unbedingt 'Ewiges', 'Unveränderliches'), etwas, das mich als Person erst ausmacht, z.B. eine Meinung, eine Einstellung, eine Vorliebe.

'Impulse' sehe ich nicht per se als Freiheitseinschränkung an, wenn a) ich nicht diesem Impuls nachgeben muss, ihn verwerfen kann und b) diese Impulse nicht überhand nehmen, zu viele werden.

Beispiele: jemand möchte eine Zigarette rauchen, es überkommt ihn die Lust, zu rauchen. Wenn er nun gleichzeitig sagte: 'wenn ich wollte, müsste ich nicht rauchen, ich könnte jederzeit aufhören' und ich aber auch sehe, dass er jedesmal diesem Impuls nachgibt, dann würde ich das als unfrei einordnen und seine Behauptung als Selbsttäuschung / Schutzbehauptung einordnen. Oder nehmen wir an, jemand würde unter Waschzwang leiden. Er hätte also den ganzen Tag immer wieder in kurzen Abständen den plötzlichen Gedanken, seine Hände seien schmutzig und müssten jetzt gewaschen werden. Auch das würde ich als Freiheitseinschränkung ansehen, auch dann, wenn er diesem Gedanken nicht immer oder auch nie nachkommt.

Nun ist meine Frage immer noch offen: ein Inkompatibilist behauptet ja, dass Indeterminismus, also irgend ein indeterminierter Vorgang irgendwo eine notwendige Voraussetzung für eine freie Entscheidung sei. Nun bedeutet 'notwendig' nicht 'hinreichend', d.h. ein beliebiger indeterminierter Vorgang muss noch nicht für Freiheit reichen, aber falls nicht, dann muss noch etwas hinzukommen, ein zusätzliches Kriterium. Und was das sein könnte, wie man sich das vorstellen kann: das würde ich gerne mal wissen wollen. Ein Inkompatibilist muss einen Freiheitsbegriff skizzieren können, der plausiblerweise mehr beinhaltet als der Freiheitsbegriff der Kompatibilisten. Und außerdem muss dieser Freiheitsbegriff noch als unverzichtbare Komponente mindestens einen indeterminierten Prozess beinhalten, denn darauf beruht ja letztlich die Einstellung des Inkompatibilisten, er behauptet ja: Determinismus und Freiheit seien unvereinbare Gegensätze.

Wäre er ein Impossibilist, würde er also Freiheit als per se logisch unmögliches Konzept ansehen, dann wäre es unredlich von ihm, mit Determinismus zu argumentieren, dann wäre sein Inkompatibilismus nur vorgeschoben, seine eigentliche Einstellung verschleiernd. Denn Determinismus / Indeterminismus spielte in einem sowieso logisch unmöglichen Konzept schlicht keine Rolle. Ein Impossibilist hat's da einfacher: der definiert einfach Freiheit mal schnell so, dass sie logisch unmöglich wird, er sagt also zum Beispiel: a) 'Freiheit' bedeute notwendigerweise 'Unabhängigkeit von allem' und b) ein 'Wille' müsse abhängig von der Person / deren Persönlichkeit sein, um überhaupt als 'Wille' gelten zu können. Und da dabei nun sich a) (= völlige unbedingte absolute Unabhängigkeit von allem) und b) (Abhängigkeit von der Person) schlicht widersprechen, also per se logisch unmöglich vereinbar sind, ist damit der Käse gegessen. Bzw. dann kann man sich auf Frage konzentrieren, ob und inwiefern diese Auffassung plausibel / verständlich / allgemein einsichtig ist. Bzw.: er könnte auch Gründe / Argumente für seine Ansicht vorbringen, wieso er also das glaubt, was er behauptet.

Aber der harte Determinist (für die eventuellen Mitleser: ein 'harter Determinist' ist jemand, der eine Unvereinbarkeit von Willensfreiheit und Determinismus behauptet) hat's erst mal schwerer als der Impossibilist: er muss einen plausiblen, logisch möglichen Begriff von 'Freiheit' vorweisen können, der einem Determinismus widerspricht und in einer hypothetischen indeterminierten Welt logisch möglich ist. Kann er das nicht, dann hat er verloren, dann ist seine Argumentation mit dem Determinismus offensichtlich nur ein red herring.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Das Gedankenexperiment, man könne einer Person diese Grundlagen entziehen, erscheint mir einfach nur absurd. Denn täte man das, gäbe es die Person schlicht nicht mehr.

Warum sollte man in Gedankenexperimenten die Welt/Physik, nicht aber die Person ändern dürfen? - Egal, Du kannst Dir ja stattdessen auch eine zweite Person vorstellen, die weniger moralischen Zwängen unterliegt.

Gut, ich stelle mir also zwei unterschiedliche Personen vor und formuliere die Frage wie folgt:

Ist eine Person, die für sie unverständliche, lediglich internalisierte Moralvorstellungen hat, die sie nicht erkennen und daher auch nicht überdenken kann, freier als eine Person, die ihre Moralvorstellungen erkennt, einer Prüfung unterzieht und sie daraufhin akzeptiert (oder auch verwirft)?

Und meine Antwort darauf ist: nein, die zweite Person wäre meiner Ansicht nach freier als die erste Person.

Nun gut, das war zugegebenermaßen wohl nicht Deine Frage. Könntest Du sie bitte nochmal neu formulieren.

Übrigens stimme ich gar nicht Deiner impliziten Behauptung zu, jede persönliche Moral / persönliche Wertvorstellung / moralische Einstellung (wie auch immer man das nennen will) sei schon per se ein Zwang. Ich sehe nicht, woraus das folgen könnte.

Unter 'Zwang' verstehe ich, mal grob gesagt, folgendes: Umstände / Faktoren, die mich dabei hindern, das zu tun, was ich will oder die mich daran hindern, erkennen zu können, wie ich meine Ziele erreichen kann. Oder die mich daran hindern, meine Ziele abzuwägen, zu justieren. Rational zu überlegen. Oder auch meinen Intuitionen zu folgen. Oder die mich daran hindern, meine Ziele zu erreichen.

Alleine den Fakt, dass ich als Person existiere und somit notwendigerweise Merkmale habe, die mich als Person erst zu einer Person machen, sehe ich jedoch nicht als Zwang an.

step hat folgendes geschrieben:
Ich möchte idZ nochmal auf den psychologischen Schuldbegriff zurückkommen, also Schuld = Schuldgefühl. Eine Person mit weniger moralischen Zwängen, die deterministisch präferent aber nichtkonform handelt, trägt ja keine psychologische Schuld. Sie weiß zwar u.U., daß sie nichtkonform handelt, aber andere Präferenzen sind stärker und sie hat bei der Abwägung der Tat kein Schuldgefühl.

Ein Vertreter deterministisch präferenten Entscheidens muß an dieser Stelle mE Schwierigkeiten mit der Begründung von Schuld und vergeltender Strafe bekommen, egal ob er die determinierten Präferenzen nun Freierwille nennt oder nicht, also egal ob er Kompatibilist ist oder nicht.

Nach meinem Begriff von 'Schuld' gibt es folgende zwei Voraussetzungen für die Zuweisung von Schuld: a) der mutmaßliche Delinquent hat im Wissen um seinen Normverstoß gehandelt, es war ihm also bewusst war, dass er eine Handlung beabsichtigte, die gesellschaftlich mit einer Sanktion belegt ist und b) er war hinreichend dazu fähig, seine Handlung zu steuern / kontrollieren.

a) ist nun Deine Voraussetzung hier, (er weiß es). Wenn nun auch noch b) zutrifft, dann wäre er zumindest schuldig im Sinne des juristischen Schuldbegriffes. Eine psychologische Schuld mag zwar nun etwas anderes sein, (jemand kann sich auch dann schuldig fühlen, wenn er juristisch nicht belangt werden kann), aber mein persönlicher Schuldbegriff ist dann wohl eher an den juristischen angelehnt als an den, den Du für den psychologischen hältst. Wenn jemand einfach nur skrupellos ist, es ihm schlicht egal ist, was er anrichtet, dann spricht alleine das ihn nach meinem Verständnis noch nicht frei von Schuld.

Wenn aber jemand nicht unter meine beiden oben genannten Kriterien fällt, dann hätte er meiner Auffassung nach keine Schuld und dann würde ich eher versuchen, ihm seine eventuellen Schuldgefühle auszureden. (Beispiel: jemand wird kriminell. Seine Eltern machen sich daraufhin Vorwürfe, fühlen sich (mit-)schuldig).

Wie ich selber in einer solchen Situation reagieren würde, die zwar keinen juristischen Schuldvorwurf erlaubt, die aber dennoch Selbstvorwürfe hervorrufen kann, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Mag sein, dass meine Rationalität dann am Ende wäre und meine Gefühle die Überhand gewinnen, ohne dass ich mich dagegen wehren kann, ohne dass mich meine eigene Rationalität überzeugen könnte. Für so frei, dass mir das nicht passieren könnte, halte ich mich nicht.

Aber das hat, wie gesagt, wohl eher weniger mit dem zu tun, was Du anscheinend unter 'psychologischer Schuld' verstehst. Jemand, der weiß, was er tut, das mit Wissen um die Folgen tut, der die Auswirkungen seiner Handlung abschätzen und diese auch steuern kann, dem es aber einfach nur schlicht gleichgültig ist: ja, den würde ich für verantwortlich halten, Rechenschaft von ihm verlangen.

#256:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 18.06.2010, 14:58
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Prinz Poldi hatte beim Strafstoß wohl auch auch den falschen Impuls.

Ist ja eh keine Person ...-

Skeptiker

#257:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 18.06.2010, 19:50
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
jemand möchte eine Zigarette rauchen, es überkommt ihn die Lust, zu rauchen. Wenn er nun gleichzeitig sagte: 'wenn ich wollte, müsste ich nicht rauchen, ich könnte jederzeit aufhören' und ich aber auch sehe, dass er jedesmal diesem Impuls nachgibt, dann würde ich das als unfrei einordnen und seine Behauptung als Selbsttäuschung / Schutzbehauptung einordnen. Oder nehmen wir an, jemand würde unter Waschzwang leiden. Er hätte also den ganzen Tag immer wieder in kurzen Abständen den plötzlichen Gedanken, seine Hände seien schmutzig und müssten jetzt gewaschen werden. Auch das würde ich als Freiheitseinschränkung ansehen, auch dann, wenn er diesem Gedanken nicht immer oder auch nie nachkommt.

Bleiben wir mal beim Süchtigen. Entweder man interpretiert das akute Rauchen als die akute Präferenz des Rauchers, dann hätte man ein Problem, hier einen Zwang zu begründen und Du müßtest ihn als frei in Deinem Sinne ansehen. Oder man interpretiert es so, daß der Raucher eigentlich (reflektiert) nicht rauchen will, das aber nicht schafft. Dann steht er unter einem Zwang, und seine Handlungsfreiheit ist eingeschränkt, denn er kann ja nicht präferent handeln.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Nun ist meine Frage immer noch offen: ein Inkompatibilist behauptet ja, dass Indeterminismus, also irgend ein indeterminierter Vorgang irgendwo eine notwendige Voraussetzung für eine freie Entscheidung sei.

:seufz: Nochmal - ein Inkompatibilist (oder jedenfalls ich) leugnet nicht die Unvereinbarkeit von Determinismus mit jeder Art von Freiheit. So hält er z.B. eine Freiheit für kompatibel, die wir im allgemeinen als Handlungsfreiheit bezeichnen, also daß wir zuweilen gemäß unserer Präferenzen (entscheiden und) handeln. Hier ist klar, wovon die Situation frei ist, nämlich sie ist frei von die präferente Handlung verhindernden Umständen.

Behauptet wird nur, daß es keine wesentliche Freiheit darüberhinaus gebe (die sogenannte Willensfreiheit), und daß eine solche, gäbe es sie, entweder einen Indeterminismus erforderte oder eine metaphysische Letztursache. Dass der Indeterminismus nicht wirklich das befriedigen würde, was man sich als Freiheit intuitiv wünscht, steht außer Frage.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Nun gut, das war zugegebenermaßen wohl nicht Deine Frage. Könntest Du sie bitte nochmal neu formulieren.

Kein Problem: Eine Person, der enge Moralvorstellungen anerzogen wurden, wird diese i.a. auch reflektiert bejahen. Sie unterliegt aber objektiv gesehen stärkeren Zwängen als eine Person, die weniger oder liberalere Moralvorstellungen eingeprägt bekommen hat. Letztere wäre demnach nach Deiner Definition freier. Oder?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Übrigens stimme ich gar nicht Deiner impliziten Behauptung zu, jede persönliche Moral / persönliche Wertvorstellung / moralische Einstellung (wie auch immer man das nennen will) sei schon per se ein Zwang. Ich sehe nicht, woraus das folgen könnte.

Der Zwang ensteht durch die Manipulation, etwa im Rahmen der Erziehung oder durch die Kommunikation der Erwartung Anderer.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Unter 'Zwang' verstehe ich, mal grob gesagt, folgendes: Umstände / Faktoren, die mich dabei hindern, das zu tun, was ich will oder die mich daran hindern, erkennen zu können, wie ich meine Ziele erreichen kann. Oder die mich daran hindern, meine Ziele abzuwägen, zu justieren. Rational zu überlegen. Oder auch meinen Intuitionen zu folgen. Oder die mich daran hindern, meine Ziele zu erreichen.

Oder die meine Ziele so justieren, daß ich sie erreichen will.

#258:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 18.06.2010, 19:51
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Ich möchte idZ nochmal auf den psychologischen Schuldbegriff zurückkommen, also Schuld = Schuldgefühl. Eine Person mit weniger moralischen Zwängen, die deterministisch präferent aber nichtkonform handelt, trägt ja keine psychologische Schuld. Sie weiß zwar u.U., daß sie nichtkonform handelt, aber andere Präferenzen sind stärker und sie hat bei der Abwägung der Tat kein Schuldgefühl.

Ein Vertreter deterministisch präferenten Entscheidens muß an dieser Stelle mE Schwierigkeiten mit der Begründung von Schuld und vergeltender Strafe bekommen, egal ob er die determinierten Präferenzen nun Freierwille nennt oder nicht, also egal ob er Kompatibilist ist oder nicht.

Nach meinem Begriff von 'Schuld' gibt es folgende zwei Voraussetzungen für die Zuweisung von Schuld: a) der mutmaßliche Delinquent hat im Wissen um seinen Normverstoß gehandelt, es war ihm also bewusst war, dass er eine Handlung beabsichtigte, die gesellschaftlich mit einer Sanktion belegt ist und b) er war hinreichend dazu fähig, seine Handlung zu steuern / kontrollieren.

a) ist nun Deine Voraussetzung hier, (er weiß es). Wenn nun auch noch b) zutrifft, dann wäre er zumindest schuldig im Sinne des juristischen Schuldbegriffes.

Ja, der juristische Schuldbegriff ignoriert eben den psychologischen Schuldbegriff. Weil der psych. Schuldbegriff dazu führen würde, daß jemand, der sich schuldig fühlt, schuldiger wäre als jemand, der sich nicht schuldig fühlt, etwa weil er weniger Empathie hat oder weniger moralisch erzogen wurde. Der jur. Schuldbegriff bestraft eine determinierte Präferenz (unter bestimmten Umständen, z.B. Handlungsfreiheit und Wissen).

Mein Haupteinwand ist allerdings, daß b) nicht gilt: Durch den Zustand seiner Präferenz war er ja eben nicht dazu fähig, seine Handlung zu steuern, jedenfalls nicht, sie in eine andere Richtung zu steuern. Wir glauben das nur fälschlicherweise aufgrund unseres intuitiv libertaristischen Selbstmodells. Ein System erkennen wir nicht, weil sich Andere in ähnlichen Situationen konform verhalten und weil die genauen Ursachen oft zu komplex sind.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Eine psychologische Schuld mag zwar nun etwas anderes sein, (jemand kann sich auch dann schuldig fühlen, wenn er juristisch nicht belangt werden kann), aber mein persönlicher Schuldbegriff ist dann wohl eher an den juristischen angelehnt als an den, den Du für den psychologischen hältst.

Ja, und so kann jemand juristisch belangt werden, obwohl er sich gar nicht schuldig fühlt.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wenn jemand einfach nur skrupellos ist, es ihm schlicht egal ist, was er anrichtet, dann spricht alleine das ihn nach meinem Verständnis noch nicht frei von Schuld.

Das sehe ich anders. Man kann ihm maximal unerwünschtes Verhalten attestieren. Wie soll er sich denn anders verhalten als nach seinen verkorksten Präferenzen? Das geht doch nur, wenn wir ihn zwingen, gegen seine Präferenzen zu handeln, oder wenn wir seine Präferenzen ändern. Vergeltende Strafe ist dadurch nicht gerechtfertigt, im Gegenteil könnte man argumentieren, daß wir beim Verhindern der Straftat gepatzt haben.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Jemand, der weiß, was er tut, das mit Wissen um die Folgen tut, der die Auswirkungen seiner Handlung abschätzen und diese auch steuern kann, dem es aber einfach nur schlicht gleichgültig ist: ja, den würde ich für verantwortlich halten, Rechenschaft von ihm verlangen.

Was, wenn er glaubhaft argumentiert, ihm fehle es an Empathie und Moral?

#259:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 18.06.2010, 22:13
    —
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
jemand möchte eine Zigarette rauchen, es überkommt ihn die Lust, zu rauchen. Wenn er nun gleichzeitig sagte: 'wenn ich wollte, müsste ich nicht rauchen, ich könnte jederzeit aufhören' und ich aber auch sehe, dass er jedesmal diesem Impuls nachgibt, dann würde ich das als unfrei einordnen und seine Behauptung als Selbsttäuschung / Schutzbehauptung einordnen. [...]

Bleiben wir mal beim Süchtigen. Entweder man interpretiert das akute Rauchen als die akute Präferenz des Rauchers, dann hätte man ein Problem, hier einen Zwang zu begründen und Du müßtest ihn als frei in Deinem Sinne ansehen. Oder man interpretiert es so, daß der Raucher eigentlich (reflektiert) nicht rauchen will, das aber nicht schafft. Dann steht er unter einem Zwang, und seine Handlungsfreiheit ist eingeschränkt, denn er kann ja nicht präferent handeln.

Ja, na klar. Aber für Frage nach der Willensfreiheit halte ich die von mir aufgeworfene Frage interessanter, nämlich den Fall, dass er, (meiner Ansicht nach), fälschlich der Überzeugung ist, er könnte jederzeit aufhören, seine Handlungen aber seine Behauptungen Lügen strafen. Das wäre dann ein Beispiel für jemanden, der sich selber für (diesbezüglich) frei hielte, das aber meiner Meinung nach zu Unrecht.

step hat folgendes geschrieben:
:seufz: Nochmal - ein Inkompatibilist (oder jedenfalls ich) leugnet nicht die Unvereinbarkeit von Determinismus mit jeder Art von Freiheit. So hält er z.B. eine Freiheit für kompatibel, die wir im allgemeinen als Handlungsfreiheit bezeichnen, also daß wir zuweilen gemäß unserer Präferenzen (entscheiden und) handeln. Hier ist klar, wovon die Situation frei ist, nämlich sie ist frei von die präferente Handlung verhindernden Umständen.

Behauptet wird nur, daß es keine wesentliche Freiheit darüberhinaus gebe (die sogenannte Willensfreiheit), und daß eine solche, gäbe es sie, entweder einen Indeterminismus erforderte oder eine metaphysische Letztursache. Dass der Indeterminismus nicht wirklich das befriedigen würde, was man sich als Freiheit intuitiv wünscht, steht außer Frage.

Was 'man', (zumindest ich), sich an Freiheit (mehr oder weniger intuitiv) wünscht, ist folgendes:

Willensfreiheit 3: Das Marionettentheater hat folgendes geschrieben:
Richard Carrier hat etwas Wichtiges zu sagen:

"Es ist zentral für unser Selbstverständnis, dass wir keine Puppen sind; dass wir unser Schicksal durch die Entscheidungen, die wir treffen, kontrollieren; dass wir uns verändern können; dass wir uns entschließen können, sorgfältig durchdachte, anstelle von irrationalen oder gedankenlosen Entscheidungen zu treffen; dass wir keine Sklaven unserer Emotionen sind; dass wir über die Umstände hinauswachsen können, in die wir hineingeboren wurden; dass wir uns deshalb korrigieren und verbessern und aus schlechten Umständen entkommen können; dass unsere Emotionen uns gehören und niemandem sonst; dass unsere Handlungen unsere Persönlichkeit demonstrieren; dass wir verantwortlich sind für die Entscheidungen, die wir treffen; und so weiter. Und doch: Jeder einzelne Eintrag auf dieser Liste ist wahr. CCF [der kontra-kausale/libertarische freie Wille] hat tatsächlich nichts mit all dem zu tun."

Und dazu kann nun weder ein CCF etwas beitragen, (jedenfalls sehe ich nicht, inwiefern, darauf basierte ja meine Frage, sowas behauptet ein Inkomptibilist ja anscheinend, das muss er aber auch zeigen können), noch ist das mit einem simplen Verweis auf Handlungsfreiheit erledigt, denn diese bedeutet gemeinhin nun mal schlicht: tun können, was man will, (egal, was das ist und woher das kommt).

Nun nennt zwar MSS zum Beispiel diese Art von Freiheit 'innere Handlungsfreiheit', aber das widerspricht sehr meinem Sprachgefühl, denn ich 'handle' nicht 'innen'. 'Innen' überlege und entscheide ich. Ich mag mich dem daher nicht anschließen. Nennen wir es vielleicht 'Entscheidungsfreiheit', damit könnte ich mich anfreunden.

Aber ich halte das nach wie vor für eine wesentliche Freiheit, die über das hinausgeht, was man gemeinhin unter 'Handlungsfreiheit' versteht.

Was mich nun sehr stört, ist Deine implizite, lediglich behauptete, aber nicht belegte Dichotomie: entweder gibt es CCF-Willensfreiheit oder es gibt nur Handlungsfreiheit. Meiner Ansicht nach gibt es diese Dichotomie aber gar nicht, man kann mE auch abseits eines per se in sich unlogischen CCF-Freien-Willens sinnvoll von Kontrolle, Selbstkontrolle und somit von (gradueller) Entscheidungsfreiheit sprechen. Und die ist etwas anderes als schlichte Handlungsfreiheit, auch der 'glückliche Sklave', dem es schlicht an Erkenntnisfähigkeit seiner Situation mangelt, kann dennoch hochgradige Handlungsfreiheit haben.

Wenn Du behauptest, Indeterminismus sei notwendige Grundvoraussetzung für eine wünschenswerte Freiheit, dann musst Du das belegen, irgendwie plausibel machen können. Es reicht ja nicht, wenn Du immerfort nur behauptest, die meisten anderen würden das angeblich glauben, das sei einfach so und Du hättest alleine deswegen recht, weil Du das glaubst. Ich glaube das nämlich nicht.

step hat folgendes geschrieben:
Eine Person, der enge Moralvorstellungen anerzogen wurden, wird diese i.a. auch reflektiert bejahen. Sie unterliegt aber objektiv gesehen stärkeren Zwängen als eine Person, die weniger oder liberalere Moralvorstellungen eingeprägt bekommen hat. Letztere wäre demnach nach Deiner Definition freier. Oder?

Nein, das käme, wie oben schon gesagt, darauf an, inwieweit diese Personen dazu in der Lage sind, diese Moralvorstellungen zu erkennen und sie zu reflektieren, sie anzunehmen oder zu verwerfen.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Übrigens stimme ich gar nicht Deiner impliziten Behauptung zu, jede persönliche Moral / persönliche Wertvorstellung / moralische Einstellung (wie auch immer man das nennen will) sei schon per se ein Zwang. Ich sehe nicht, woraus das folgen könnte.

Der Zwang ensteht durch die Manipulation, etwa im Rahmen der Erziehung oder durch die Kommunikation der Erwartung Anderer.

Eine Manipulation oder gar Erziehung an sich sehe ich nicht per se als Zwang an. Sobald man nämlich erkennt, worauf das hinausläuft, verliert der Zwang seine Wirkung. Erkennt man eine Manipulation aber nicht, meint man gar, man habe einen bestimmten Willen selber entwickelt, der jedoch tatsächlich von außen induziert wurde, um den Interessen anderer zu dienen, die den eigenen widersprechen, wenn man einen Schritt beiseite träte und das betrachtete: dann ist Manipulation Zwang.

Und Erziehung kann zu Selbstständigkeit führen, genau genommen würde ich das auch als wesentliches Ziel von Erziehung ansehen. Dass Erziehung oft auch anders abläuft, manipulativ, lediglich auf die Interessen anderer, aber nicht des Zöglings ausgerichtet, ist unbestritten. Oder man kann auch 'nur das Beste für den anderen' wollen und dennoch nicht das Richtige machen, was auch Manipulation wäre. Es erscheint mir nur wenig plausibel, daraus schließen zu wollen, Erziehung sei immer in diesem Sinne manipulativ. Oder aber Du verstehst unter 'Manipulation' mal wieder etwas anderes als ich, anscheinend wohl das: jegliche soziale Interaktion sei automatisch Manipulation. Das erscheint mir aber wenig sinnvoll, das würde alles zu einem unterschiedlosen Brei zusammenrühren.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Unter 'Zwang' verstehe ich, mal grob gesagt, folgendes: Umstände / Faktoren, die mich dabei hindern, das zu tun, was ich will oder die mich daran hindern, erkennen zu können, wie ich meine Ziele erreichen kann. Oder die mich daran hindern, meine Ziele abzuwägen, zu justieren. Rational zu überlegen. Oder auch meinen Intuitionen zu folgen. Oder die mich daran hindern, meine Ziele zu erreichen.

Oder die meine Ziele so justieren, daß ich sie erreichen will.

Ja, richtig, der glückliche Sklave zum Beispiel, der, würde man ihn aufklären über seine Situation, diese eventuell in einem ganz anderen Licht betrachten würde.


Zuletzt bearbeitet von AgentProvocateur am 18.06.2010, 22:54, insgesamt 2-mal bearbeitet

#260:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 18.06.2010, 22:29
    —
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Nach meinem Begriff von 'Schuld' gibt es folgende zwei Voraussetzungen für die Zuweisung von Schuld: a) der mutmaßliche Delinquent hat im Wissen um seinen Normverstoß gehandelt, es war ihm also bewusst war, dass er eine Handlung beabsichtigte, die gesellschaftlich mit einer Sanktion belegt ist und b) er war hinreichend dazu fähig, seine Handlung zu steuern / kontrollieren.

a) ist nun Deine Voraussetzung hier, (er weiß es). Wenn nun auch noch b) zutrifft, dann wäre er zumindest schuldig im Sinne des juristischen Schuldbegriffes.

Ja, der juristische Schuldbegriff ignoriert eben den psychologischen Schuldbegriff. Weil der psych. Schuldbegriff dazu führen würde, daß jemand, der sich schuldig fühlt, schuldiger wäre als jemand, der sich nicht schuldig fühlt, etwa weil er weniger Empathie hat oder weniger moralisch erzogen wurde. Der jur. Schuldbegriff bestraft eine determinierte Präferenz (unter bestimmten Umständen, z.B. Handlungsfreiheit und Wissen).

Mein psychologischer Schuldbegriff ist dann schlicht ein anderer als Deiner. Wenn z.B. jemand absichtlich in ein Hochhaus fliegt, dann halte ich ihn für schuld an der daraus folgenden Katastrophe. Sofern die beiden von mir genannten Kriterien zutreffen. Ich halte es für diese Zuweisung aber nicht für erforderlich, dass er selber sich danach Selbstvorwürfe machen muss oder sein Handeln für unrechtrechtmäßig halten muss.

step hat folgendes geschrieben:
Mein Haupteinwand ist allerdings, daß b) nicht gilt: Durch den Zustand seiner Präferenz war er ja eben nicht dazu fähig, seine Handlung zu steuern, jedenfalls nicht, sie in eine andere Richtung zu steuern. Wir glauben das nur fälschlicherweise aufgrund unseres intuitiv libertaristischen Selbstmodells. Ein System erkennen wir nicht, weil sich Andere in ähnlichen Situationen konform verhalten und weil die genauen Ursachen oft zu komplex sind.

Nein, wir können unsere Handlungen steuern. Abschätzen, was aus ihnen erfolgen könnte und daraufhin abwägen, was wir tun. Wenn Du in diesem Zusammenhang etwas anderes unter 'steuern' verstehst, dann weiß ich nicht, was. Wenn jemand etwas absichtlich tut, im besten Wissen und Gewissen, weiß, was daraus folgen / sich ergeben könnte, (bzw. sich sehr wahrscheinlich ergibt), dann würde ich das als absichtliche Handlung klassifizieren. (Obgleich das genau genommen wohl eine Art Pleonasmus ist, denn tut jemand etwas nicht absichtlich, dann würde man wohl eher 'Verhalten' sagen. Zum Beispiel ist ein unwillkürliches Zucken keine Handlung.)

Und auch, (wie sollte es anders sein), verstehen wir offensichtlich unter 'Fähigkeit' etwas Unterschiedliches. Jemand, der Klavier spielen kann, hat die Fähigkeit, Klavier zu spielen. Wenn es nun gerade kein Klavier weit und breit gibt, dann kann er jetzt nicht seine Fähigkeit ausüben. Aber das ändert nichts an seiner Fähigkeit, alleine deswegen verliert er sie nicht.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Eine psychologische Schuld mag zwar nun etwas anderes sein, (jemand kann sich auch dann schuldig fühlen, wenn er juristisch nicht belangt werden kann), aber mein persönlicher Schuldbegriff ist dann wohl eher an den juristischen angelehnt als an den, den Du für den psychologischen hältst.

Ja, und so kann jemand juristisch belangt werden, obwohl er sich gar nicht schuldig fühlt.

Ja, aber wieso sollte man denn eigentlich den obigen Menschen, der mit voller Absicht in ein Hochhaus geflogen ist, (und, nehmen wir mal an, irgendwie selber überlebt hat), und danach kein Unrechtsbewusstein hat, für weniger schuldig halten sollen als jemanden, dem die gleiche Handlung nachträglich furchtbar leid tut und der Gewissensbisse hat? Jedenfalls nach meinem Begriff von 'Schuld' wäre nicht lediglich Letzterer an dem Desaster schuld und Ersterer nicht. Und ich glaube nicht, dass mein Begriff von 'Schuld' ein Ungebräuchlicher ist.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wenn jemand einfach nur skrupellos ist, es ihm schlicht egal ist, was er anrichtet, dann spricht alleine das ihn nach meinem Verständnis noch nicht frei von Schuld.

Das sehe ich anders. Man kann ihm maximal unerwünschtes Verhalten attestieren. Wie soll er sich denn anders verhalten als nach seinen verkorksten Präferenzen? Das geht doch nur, wenn wir ihn zwingen, gegen seine Präferenzen zu handeln, oder wenn wir seine Präferenzen ändern. Vergeltende Strafe ist dadurch nicht gerechtfertigt, im Gegenteil könnte man argumentieren, daß wir beim Verhindern der Straftat gepatzt haben.

Was in meiner Nomenklatur bedeutete: wenn jemand in ein Hochhaus fliegt, sind 'wir' daran schuld. Aber das ist mE schlicht absurd, das ist vielleicht der Punkt, den ich am wenigsten verstehe bei Deiner Ansicht. 'Wir' (weder als Individuen, noch als 'Superindividuum') können nicht an allem schuld sein, nicht für alles verantwortlich. Du leugnest Verantwortung und Schuld eines Individuums und schaffst Dir als Ausgleich, um nicht in Fatalismus verfallen zu müssen, so eine Art 'Superindividuum'. Aber sowas existiert mE schlicht nicht. Es gibt nur Individuen und Zusammenschlüsse von Individuen. Und jede Gesellschaft besteht aus Individuen, das ignorieren zu wollen erscheint mir, wie gesagt, absurd. Wenn die Individuen selber nicht handeln können, dann kann es die Gesellschaft auch nicht, denn als solche, für sich genommen, als eigenständige Entität, existiert sie nicht. Nur als Zusammenschluss von Individuen: 'Gesellschaft' bezeichnet etwas Abstraktes, nicht etwas Konkretes, ein Ding oder gar eine Person, die als solche handeln könnte.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Jemand, der weiß, was er tut, das mit Wissen um die Folgen tut, der die Auswirkungen seiner Handlung abschätzen und diese auch steuern kann, dem es aber einfach nur schlicht gleichgültig ist: ja, den würde ich für verantwortlich halten, Rechenschaft von ihm verlangen.

Was, wenn er glaubhaft argumentiert, ihm fehle es an Empathie und Moral?

Wie gesagt: solange seine Handlung meinen oben genannten Kriterien entspricht, dann würde ich ihn für verantwortlich halten. Und diesen Kriterien widerspricht nicht schon eine simple Rücksichtslosigkeit. Wenn es aber darüber hinausginge, wenn er z.B. gar nicht in der Lage dazu wäre, erkennen zu können, was er da eigentlich tut und was das für andere bedeutet, dann fiele das unter meinen Punkt a).

#261:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 19.06.2010, 12:40
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Mein psychologischer Schuldbegriff ist dann schlicht ein anderer als Deiner.

Ich bezog mich auf den Schuldbegriff der Psychologie: http://de.wikipedia.org/wiki/Schuld

Zitat:
Schuld, auch Verschuldung, Verschulden, bezeichnet:

* verschiedene ethisch-philosophische Begriffe, siehe Schuld (Ethik)
* in der Psychologie die bewusste oder unbewusste Überzeugung, etwas Falsches getan zu haben, siehe Schuldgefühl
* die Vorwerfbarkeit einer Straftat, siehe Schuld (Strafrecht)
* die Vorwerfbarkeit eines zivilrechtlichen Delikts, siehe Verschulden
* nicht zurückgezahlte finanzielle Verbindlichkeiten, die Leistungspflicht des Schuldners, siehe Schulden
* die Schuld der Anhänger abrahamitischer Religionen vor ihrem Gott, siehe Sünde

... da dieser aus meiner Sicht eine vernünftige Kategorie ist, auch wenn er sich naürlich juristisch nicht zur Bestrafung eignet.

Du dagegen beziehst Dich auf eine Art rechstpositivistischen Schuldbegriff (Kriterien a und b), der traditionell durch einen ethisch-philosophischen Schuldbegriff gedeckt wurde, für den - wie ich oben dargelegt habe - Voraussetzung war, daß man eine sog. "Willensfreiheit" habe, also die Fähigkeit, sich frei zwischen Gut und Böse zu entscheiden, bzw. daß man anders hätte handeln können. Kompatibilistische Strafrechtler versuchen derzeit, den juristischen Schuldbegriff zu retten, auch wenn man nicht anders hätte handeln können.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wenn z.B. jemand absichtlich in ein Hochhaus fliegt, dann halte ich ihn für schuld an der daraus folgenden Katastrophe. Sofern die beiden von mir genannten Kriterien zutreffen.

Nehmen wir konkret die islamistischen Attentäter des 11.September. Wer oder was prägte ihre Präferenzen, wer oder was steuerte ihre Handlungen? Hätten sie anders handeln können? Oder noch extremer: Ist überhaupt a) erfüllt, d.h. ist in ihrer Gemeinschaft (welche ist das?) diese Tat verboten? Gegenüber wem sind sie verantwortlich?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... wieso sollte man denn eigentlich den obigen Menschen, der mit voller Absicht in ein Hochhaus geflogen ist, (und, nehmen wir mal an, irgendwie selber überlebt hat), und danach kein Unrechtsbewusstein hat, für weniger schuldig halten ... als jemanden, dem die gleiche Handlung nachträglich furchtbar leid tut und der Gewissensbisse hat?

Das würde ich auch nicht behaupte. Ersterer hat präferent gehandelt, letzterer offensichtlich nur temporär präferent (später wurde die moralische Präferenz stärker). Bezüglich psychologischer Schuld ein großer Unterschied (evtl. relevant für die Prävention / Resozialisierung), aber in beiden Fällen keine hinreichende ethsche Begründung für juristische Schuld.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und ich glaube nicht, dass mein Begriff von 'Schuld' ein Ungebräuchlicher ist.

Richtig. Wie ich bereits mehrfach schrieb, ist Dein Begriff von Schuld in der Tat sehr verbreitet, ebenso wie sein intuitiver philosophischer Hintergrund, nämlich die Annahme, man hätte auch anders handeln können.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
... Wie soll er sich denn anders verhalten als nach seinen verkorksten Präferenzen? Das geht doch nur, wenn wir ihn zwingen, gegen seine Präferenzen zu handeln, oder wenn wir seine Präferenzen ändern. Vergeltende Strafe ist dadurch nicht gerechtfertigt, im Gegenteil könnte man argumentieren, daß wir beim Verhindern der Straftat gepatzt haben.
Was in meiner Nomenklatur bedeutete: wenn jemand in ein Hochhaus fliegt, sind 'wir' daran schuld. Aber das ist mE schlicht absurd, ...

Naja, es klingt absurd, weil Du auf meine Einschätzung Deine Nomenklatur anwendest. 'Wir' sind eben nicht daran "schuld", sondern 'wir' könnten es am ehesten zukünftig beeinflussen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... das ist vielleicht der Punkt, den ich am wenigsten verstehe bei Deiner Ansicht. 'Wir' (weder als Individuen, noch als 'Superindividuum') können nicht an allem schuld sein, nicht für alles verantwortlich. Du leugnest Verantwortung und Schuld eines Individuums und schaffst Dir als Ausgleich, um nicht in Fatalismus verfallen zu müssen, so eine Art 'Superindividuum'.

Ich weise aber der Allgemeinheit keineswegs ersatzweise eine Schuld zu. Im Gegenteil scheinen mir gerade Verfechter des traditionellen Schuldbegriffs unbedingt einen Schuldigen zu benötigen: Wenn es nicht der eine ist, muß es jemand Anderer sein. Und das Hauptargument gegen Fatalismus ist bei mir eben gerade nicht eine "Schuld" der Allgemeinheit, sondern der Blick auf die Beeinflussung der Zukunft - in der die Allgemeinheit natürlich eine wesentliche Rolle spielt.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Aber sowas existiert mE schlicht nicht. Es gibt nur Individuen und Zusammenschlüsse von Individuen. Und jede Gesellschaft besteht aus Individuen, das ignorieren zu wollen erscheint mir, wie gesagt, absurd.

Ja, mir natürlich auch. Die "Allgemeinheit" in einer offenen, aufgeklärten Gesellschaft konstituiert sich natürlich aus den Interessen, Diskursen und Beschlüssen denkender und präferierender Einzelmitglieder. Jedenfalls solange wir noch individuelle Gehirne haben.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Was, wenn er glaubhaft argumentiert, ihm fehle es an Empathie und Moral?
Wie gesagt: solange seine Handlung meinen oben genannten Kriterien entspricht, dann würde ich ihn für verantwortlich halten. Und diesen Kriterien widerspricht nicht schon eine simple Rücksichtslosigkeit. Wenn es aber darüber hinausginge, wenn er z.B. gar nicht in der Lage dazu wäre, erkennen zu können, was er da eigentlich tut und was das für andere bedeutet, dann fiele das unter meinen Punkt a).

Vorsicht: a) besagt nur, daß er um die Strafbarkeit weiß, nicht daß der Wille der Allgemeinheit auch die nötige Verankerung in seinen Präferenzen hat (Empathie, Moral ...). Wenn jedoch auch dies erfüllt wäre, dann hätte er ja die starke Präferenz, empathisch und moralisch konform zu handeln. Dann würde er ja ein solches Verbrechen gar nicht absichtlich begehen.

#262:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 19.06.2010, 13:21
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Aber für Frage nach der Willensfreiheit halte ich die von mir aufgeworfene Frage interessanter, nämlich den Fall, dass [der Süchtige], (meiner Ansicht nach), fälschlich der Überzeugung ist, er könnte jederzeit aufhören, seine Handlungen aber seine Behauptungen Lügen strafen. Das wäre dann ein Beispiel für jemanden, der sich selber für (diesbezüglich) frei hielte, das aber meiner Meinung nach zu Unrecht.

Ja, sehe ich ebenso. Allerdings paßt auch das wieder gut unter "Handlungsfreiheit".

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Was 'man', (zumindest ich), sich an Freiheit (mehr oder weniger intuitiv) wünscht, ist folgendes:

Willensfreiheit 3: Das Marionettentheater hat folgendes geschrieben:
Richard Carrier hat etwas Wichtiges zu sagen:

"Es ist zentral für unser Selbstverständnis, dass wir keine Puppen sind; ...

Dieser Ausdruck "Puppen" suggeriert, die Wahl bestehe zwischen "freier Mensch" und "Marionenette eines Puppenspielers" - keins von beiden ist korrekt, die meisten Menschen glauben intuitiv ersteres.

Richard Carrier hat folgendes geschrieben:
... dass wir unser Schicksal durch die Entscheidungen, die wir treffen, kontrollieren; dass wir uns verändern können; dass wir uns entschließen können, sorgfältig durchdachte, anstelle von irrationalen oder gedankenlosen Entscheidungen zu treffen; dass wir keine Sklaven unserer Emotionen sind; dass wir über die Umstände hinauswachsen können, in die wir hineingeboren wurden; dass wir uns deshalb korrigieren und verbessern und aus schlechten Umständen entkommen können; dass unsere Emotionen uns gehören und niemandem sonst; ...

Das beschreibt Eigenschaften wie Entscheidungsalgorhithmen, Dynamik, Veränderbarkeit, Lernfähigkeit, Berechnungsstärke, Rationalität usw. - schön und gut, aber was zeigt das?

Richard Carrier hat folgendes geschrieben:
... dass unsere Handlungen unsere Persönlichkeit demonstrieren;

das ist trivial, ja es gilt sogar für Tiere, wenn nicht gar für Programme.

Richard Carrier hat folgendes geschrieben:
... dass wir verantwortlich sind für die Entscheidungen, die wir treffen;

Huch! Das ist plötzlich keine Eigenschaft, sondern eine moralische (oder juristische) Setzung.

Richard Carrier hat folgendes geschrieben:
...CCF [der kontra-kausale/libertarische freie Wille] hat tatsächlich nichts mit all dem zu tun."

Richtig! Das liegt jedoch daran, daß in obiger Aufzählung (bis auf die fälschlich hereingemogelte Verantwortung) nur Eigenschaften von Entscheidungsalgorhitmen aufgeführt werden, es wird aber vermieden, die intuitiv wesentliche Eigenschaft einer freien Entscheidung aufzuführen, daß man nämlich auch anders hätte handeln können.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... man kann mE auch abseits eines per se in sich unlogischen CCF-Freien-Willens sinnvoll von Kontrolle, Selbstkontrolle und somit von (gradueller) Entscheidungsfreiheit sprechen. Und die ist etwas anderes als schlichte Handlungsfreiheit, auch der 'glückliche Sklave', dem es schlicht an Erkenntnisfähigkeit seiner Situation mangelt, kann dennoch hochgradige Handlungsfreiheit haben.

Da stimme ich teilweise zu: Insbesondere kann man natürlich (mit enstprechender Begründung) argumentieren, daß wir gerade diese Unterschiede zum 'glücklichen Sklaven' für besonders wichtig halten. Was wir damit herausstellen, würde ich aber schärfer und weniger libertaristisch formulieren. Wenn man nämlich nochmal oben durch die Liste geht, ist das Ganze nicht viel anderes als ein Plädoyer für mehr Intelligenz und vor allem mehr Individualismus - Du hast auch früher schon mal von "Autonomie" gesprochen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Übrigens stimme ich gar nicht Deiner impliziten Behauptung zu, jede persönliche Moral / persönliche Wertvorstellung / moralische Einstellung (wie auch immer man das nennen will) sei schon per se ein Zwang. Ich sehe nicht, woraus das folgen könnte.
Der Zwang ensteht durch die Manipulation, etwa im Rahmen der Erziehung oder durch die Kommunikation der Erwartung Anderer.
Eine Manipulation oder gar Erziehung an sich sehe ich nicht per se als Zwang an. Sobald man nämlich erkennt, worauf das hinausläuft, verliert der Zwang seine Wirkung. Erkennt man eine Manipulation aber nicht, meint man gar, man habe einen bestimmten Willen selber entwickelt, der jedoch tatsächlich von außen induziert wurde, um den Interessen anderer zu dienen, die den eigenen widersprechen, wenn man einen Schritt beiseite träte und das betrachtete: dann ist Manipulation Zwang.

Aber wenn man ehrlich ist und die Moral der meisten tatsächlichen Menschen betrachtet, dann können die gar nicht wirklich beiseitetreten und ihre Moral ablegen. Sie meinen aber trotzdem, sie stünden reflektiert dazu. Und ich denke, anders würde moralische Erziehung auch gar nicht funktionieren.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und Erziehung kann zu Selbstständigkeit führen, genau genommen würde ich das auch als wesentliches Ziel von Erziehung ansehen. ...

Ja, wobei man darunter meist versteht, daß jemand nicht auf die Hilfe Anderer angewiesen ist, selbst intelligente Entscheidungen trifft usw. - wenn Du allerdings mit "Selbständigkeit" auch meinst, daß man die gesellschaftlich vorgegebene Moral frei beurteilen und auch ablegen können soll, dann würde das bedeuten, daß man Kinder möglichst nicht moralisch vorprägen (und schon gar nicht beschuldigen oder bestrafen) sollte, so daß sie sich später selbst reflektiert für eine Moral entscheiden können.

#263:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 19.06.2010, 21:42
    —
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Mein psychologischer Schuldbegriff ist dann schlicht ein anderer als Deiner.

Ich bezog mich auf den Schuldbegriff der Psychologie: http://de.wikipedia.org/wiki/Schuld

Zitat:
Schuld, auch Verschuldung, Verschulden, bezeichnet:

* verschiedene ethisch-philosophische Begriffe, siehe Schuld (Ethik)
* in der Psychologie die bewusste oder unbewusste Überzeugung, etwas Falsches getan zu haben, siehe Schuldgefühl
* die Vorwerfbarkeit einer Straftat, siehe Schuld (Strafrecht)
[...]

... da dieser aus meiner Sicht eine vernünftige Kategorie ist, auch wenn er sich naürlich juristisch nicht zur Bestrafung eignet.

Der juristische Schuldbegriff baut nicht auf einem Schuldgefühl auf, ist nicht davon abhängig, (in dem Sinne: nur dann könne jemand juristisch schuldig sein, im Sinne der Vorwerfbarkeit einer Straftat, wenn er selber auch Schuldgefühle hat).

step hat folgendes geschrieben:
Du dagegen beziehst Dich auf eine Art rechstpositivistischen Schuldbegriff (Kriterien a und b), der traditionell durch einen ethisch-philosophischen Schuldbegriff gedeckt wurde, für den - wie ich oben dargelegt habe - Voraussetzung war, daß man eine sog. "Willensfreiheit" habe, also die Fähigkeit, sich frei zwischen Gut und Böse zu entscheiden, bzw. daß man anders hätte handeln können. Kompatibilistische Strafrechtler versuchen derzeit, den juristischen Schuldbegriff zu retten, auch wenn man nicht anders hätte handeln können.

Nein, man benötigt dafür eben mAn nach keine CCF-Willensfreiheit. Ich wüsste nicht, wieso und inwiefern. Ich verstehe ja noch nicht einmal, wie ein CCF-Wille eine Verantwortlichkeit erhöhen könnte, (auf eine Definition / Darlegung der Bedeutung / Darlegung der notwendigen Voraussetzungen für einen CCF-Willen warte ich auch noch, ich tue erst mal so, als ob das was Sinnvolles bedeuten könnte, was es aber mE gar nicht tut), geschweige denn, dass mir auch nur in Ansätzen klar ist, wieso sie eine notwendige Voraussetzung für eine Zuschreibung für moralische Verantwortlichkeit sein könnte. Dazu müsstest Du darlegen, was Du eigentlich genau unter 'anders handeln können' verstehst, was Du damit meinst. Anders als was? Das wäre die erste Frage.

Meiner Ansicht nach kann man den Begriff 'anders handeln können' nur so sinnvoll füllen: 'anders handeln können, wenn er gewollt hätte, (und für sein Nicht-Wollen gab es keine von ihm nicht beeinflussbaren Gründe, d.h. er hätte sich entscheiden können, anders zu handeln, dass er es nicht tat, lag an ihm)'. Mit anderen Worten: er hat absichtlich so gehandelt, wie er handelte, seine Fähigkeit, anders zu handeln war nicht durch äußere oder innere Zwänge außer Kraft gesetzt.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wenn z.B. jemand absichtlich in ein Hochhaus fliegt, dann halte ich ihn für schuld an der daraus folgenden Katastrophe. Sofern die beiden von mir genannten Kriterien zutreffen.

Nehmen wir konkret die islamistischen Attentäter des 11.September. Wer oder was prägte ihre Präferenzen, wer oder was steuerte ihre Handlungen? Hätten sie anders handeln können? Oder noch extremer: Ist überhaupt a) erfüllt, d.h. ist in ihrer Gemeinschaft (welche ist das?) diese Tat verboten? Gegenüber wem sind sie verantwortlich?

Ihre Präferenzen wurden durch die Gesellschaft, in der sie aufgewachsen sind und ihre eigenen, darauf aufbauenden Überlegungen, gebildet. Wie immer halt. Sie sind gegenüber derjenigen Gesellschaft verantwortlich, deren Recht sie verletzt haben.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... wieso sollte man denn eigentlich den obigen Menschen, der mit voller Absicht in ein Hochhaus geflogen ist, (und, nehmen wir mal an, irgendwie selber überlebt hat), und danach kein Unrechtsbewusstein hat, für weniger schuldig halten ... als jemanden, dem die gleiche Handlung nachträglich furchtbar leid tut und der Gewissensbisse hat?

Das würde ich auch nicht behaupte.

Naja, oben hast Du das sehr wohl behauptet.

step hat folgendes geschrieben:
Ersterer hat präferent gehandelt, letzterer offensichtlich nur temporär präferent (später wurde die moralische Präferenz stärker). Bezüglich psychologischer Schuld ein großer Unterschied (evtl. relevant für die Prävention / Resozialisierung), aber in beiden Fällen keine hinreichende ethsche Begründung für juristische Schuld.

'Juristische Schuld' bedeutet schlicht: ein Nicht-Nachkommen / Verletzung einer erwarteten (und bekannten) Verantwortlichkeit, (für Verantwortlichkeit gelten ebenso meine obigen beiden Kriterien - 'Schuld' ist mE ein Spezialfall von Verantwortlichkeit). Und dies ist in einer freien Gesellschaft vorwerfbar, die auf Freiheit des Einzelnen und somit folgerichtig auf (Selbst-)Verantwortung setzt.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und ich glaube nicht, dass mein Begriff von 'Schuld' ein Ungebräuchlicher ist.

Richtig. Wie ich bereits mehrfach schrieb, ist Dein Begriff von Schuld in der Tat sehr verbreitet, ebenso wie sein intuitiver philosophischer Hintergrund, nämlich die Annahme, man hätte auch anders handeln können.

Ja, aber in meinem Sinne, der nämlich unterscheidet zwischen: 'er konnte nicht anders' und 'er wollte nicht anders' und der nicht einfach nur implizit behauptet, Handeln und Verhalten sei ein und dasselbe, (es gäbe nur Verhalten / unbeeinflussbare Geschehnisse), niemand könne handeln, alles stoße einem unterschiedslos nur zu.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
... Wie soll er sich denn anders verhalten als nach seinen verkorksten Präferenzen? Das geht doch nur, wenn wir ihn zwingen, gegen seine Präferenzen zu handeln, oder wenn wir seine Präferenzen ändern. Vergeltende Strafe ist dadurch nicht gerechtfertigt, im Gegenteil könnte man argumentieren, daß wir beim Verhindern der Straftat gepatzt haben.
Was in meiner Nomenklatur bedeutete: wenn jemand in ein Hochhaus fliegt, sind 'wir' daran schuld. Aber das ist mE schlicht absurd, ...

Naja, es klingt absurd, weil Du auf meine Einschätzung Deine Nomenklatur anwendest. 'Wir' sind eben nicht daran "schuld", sondern 'wir' könnten es am ehesten zukünftig beeinflussen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... das ist vielleicht der Punkt, den ich am wenigsten verstehe bei Deiner Ansicht. 'Wir' (weder als Individuen, noch als 'Superindividuum') können nicht an allem schuld sein, nicht für alles verantwortlich. Du leugnest Verantwortung und Schuld eines Individuums und schaffst Dir als Ausgleich, um nicht in Fatalismus verfallen zu müssen, so eine Art 'Superindividuum'.

Ich weise aber der Allgemeinheit keineswegs ersatzweise eine Schuld zu.
Im Gegenteil scheinen mir gerade Verfechter des traditionellen Schuldbegriffs unbedingt einen Schuldigen zu benötigen: Wenn es nicht der eine ist, muß es jemand Anderer sein. Und das Hauptargument gegen Fatalismus ist bei mir eben gerade nicht eine "Schuld" der Allgemeinheit, sondern der Blick auf die Beeinflussung der Zukunft - in der die Allgemeinheit natürlich eine wesentliche Rolle spielt.

Nun gut, Du hast nun natürlich insofern recht, (das war von mir zu schlampig ausgedrückt): das muss nicht unbedingt eine Schuld sein, (denn diese muss ja, wie gesagt, meinen obigen beiden Kriterien genügen). Wenn etwas geschieht, was beim besten Willen nicht vorhersehbar war, dann handelt es sich nicht um Schuld in meinem Sinne. Wenn jedoch etwas geschieht, was vorhersehbar war und hätte vermieden werden können, (und auch sollen, d.h. es gab eine moralische Verpflichtung dazu), dann handelt es sich nun mal um Schuld in meiner Nomenklatur. Die einen Vorwurf, ein Unwerturteil, (= das war moralisch falsch) und die moralische Aufforderung zu einem Anders-Handeln in Zukunft beinhaltet.

D.h.: ich kann sehr wohl berechtigt nun aus Deinen Ausführungen schließen, dass Deine Ansicht auf folgendes hinausläuft: der Einzelne, das Individuum kann nie schuld sein, (weil es determiniert ist und dadurch handlungsunfähig, es kann nur zuschauen, ein reiner Betrachter eines unbeeinflussbaren Geschehens), aber die Gesellschaft kann es sehr wohl, sie kann falsch handeln, sie ist Ansprechpartner eines moralischen Appelles, von ihr nimmst Du an, dass sie diesen befolgen kann. Was aber das Individuum nicht kann. Und weil es das nicht kann, darf ihm gegenüber kein Unwerturteil bezüglich seiner Handlungen geäußert werden, (bzw. zum Zwecke der reinen Indoktrination / Manipulation im Interesse des 'Supersubjektes' [= Gesellschaft] ist das problemlos zulässig, aber nicht, wenn man es als handlungsfähiges, selbstbestimmtes Subjekt ansieht). Aber da niemand, der moralische Appelle äußert, ohne Ansprechpartner auskommt, ohne handlungsfähiges / erkennendes Subjekt, das einem moralischen Appell auch zustimmen und umsetzen kann, (jedes 'Sollen' erfordert auch ein 'Können'), erfindest Du Dir das 'Supersubjekt', die Gesellschaft.

Die Gesellschaft soll z.B. verhindern, dass Rache geübt wird und sie soll das Strafrecht ändern. Aber wenn ein Individuum nur ein Betrachter des von ihm unbeeinflussbaren determiniert ablaufenden Geschehens ist, dann ist es nun mal die Gesellschaft folgerichterweise ebenso. Und dann läuft jeder moralische Appell schlicht ins Leere.

Irgendwas / irgend jemand muss da sein, der beeinflussen kann. Wie Du ja auch selber sagst. Das Individuum hältst Du aber für dazu nicht in der Lage, das kann Deiner Auffasung nach gar nichts beeinflussen, nur zuschauen, was so passiert. Konnte es das jedoch auf der anderen Seite, dann könnte es auch unter meine beiden Kriterien fallen. (Es sei denn nun, folgendes würde gelten: ein Individuum kann andere, seine gesamte Umwelt beinflussen, aber nicht sich selber. Aber das bedürfte auch einer plausiblen Erklärung / Begründung.)

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Was, wenn er glaubhaft argumentiert, ihm fehle es an Empathie und Moral?
Wie gesagt: solange seine Handlung meinen oben genannten Kriterien entspricht, dann würde ich ihn für verantwortlich halten. Und diesen Kriterien widerspricht nicht schon eine simple Rücksichtslosigkeit. Wenn es aber darüber hinausginge, wenn er z.B. gar nicht in der Lage dazu wäre, erkennen zu können, was er da eigentlich tut und was das für andere bedeutet, dann fiele das unter meinen Punkt a).

Vorsicht: a) besagt nur, daß er um die Strafbarkeit weiß, nicht daß der Wille der Allgemeinheit auch die nötige Verankerung in seinen Präferenzen hat (Empathie, Moral ...). Wenn jedoch auch dies erfüllt wäre, dann hätte er ja die starke Präferenz, empathisch und moralisch konform zu handeln. Dann würde er ja ein solches Verbrechen gar nicht absichtlich begehen.

Ja, sicher, aber darum geht es hier doch gar nicht. Du hast oben behauptet, es müsse einen Zusammenhang zwischen einem Schuldgefühl und der Zuweisung von juristischer Schuld geben. Den ich aber jetzt immer noch nicht sehe. Ein Fehlen von Empathie und Moral, (und somit das Fehlen von Schuldgefühlen), bedeutet ja noch lange nicht das Fehlen der Erkenntnis um die Unrechtmäßgkeit der Straftat. Wieso also könnte ein fehlendes Schuldgefühl, (was ja nicht dasselbe wie eine fehlende Unrechtserkenntnis ist), eine Straftat entschuldigen?

#264:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 19.06.2010, 23:50
    —
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Aber für Frage nach der Willensfreiheit halte ich die von mir aufgeworfene Frage interessanter, nämlich den Fall, dass [der Süchtige], (meiner Ansicht nach), fälschlich der Überzeugung ist, er könnte jederzeit aufhören, seine Handlungen aber seine Behauptungen Lügen strafen. Das wäre dann ein Beispiel für jemanden, der sich selber für (diesbezüglich) frei hielte, das aber meiner Meinung nach zu Unrecht.

Ja, sehe ich ebenso. Allerdings paßt auch das wieder gut unter "Handlungsfreiheit".

Ähm, nein, das war ja von mir gedacht als ein Beispiel für fälschlich angenommene Willensfreiheit. Er irrt ja mE, wenn er meint, er könne seinen Willen unbeeinflusst von seiner Sucht steuern, (bzw. sein Wille / seine Entscheidung sei stärker als die Sucht), er würde sozusagen darüber erhaben sein. Was er selber merken würde, wenn er sich vornähme, aufzuhören, und das nicht schaffen könnte. Weil seine Sucht dagegen steht. Nun kann man zwar sagen: er kann dann nicht tun, was er will, aber der Punkt ist dabei mE eigentlich der, dass er dann nicht wollen kann, was er will, (auf einer anderen Stufe als die des unwillkürlichen Bedürfnisses nach einer Zigarette). Und dann müsste er an dem Punkt erkennen, dass er diesbezüglich unfrei ist, seine Sucht stärker als seine Entscheidung, mit dem Rauchen aufzuhören. Er also dann nicht wollen (= bestimmen / steuern / kontrollieren) kann, was er will.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Was 'man', (zumindest ich), sich an Freiheit (mehr oder weniger intuitiv) wünscht, ist folgendes:

Willensfreiheit 3: Das Marionettentheater hat folgendes geschrieben:
Richard Carrier hat etwas Wichtiges zu sagen:

"Es ist zentral für unser Selbstverständnis, dass wir keine Puppen sind; ...

Dieser Ausdruck "Puppen" suggeriert, die Wahl bestehe zwischen "freier Mensch" und "Marionenette eines Puppenspielers" - keins von beiden ist korrekt, die meisten Menschen glauben intuitiv ersteres.

Ja, Letzteres mag zwar Deine Behauptung / Dein Glaube sein. Ebenso wie die Behauptung, es gäbe nichts Wesentliches zwischen einem CCF-Willen und Handlungsfreiheit. Aber eine Behauptung ist erst mal nur eine Behauptung, nicht mehr. Ich glaube das nun nicht. Und mehr als das brauche ich gar nicht, ich kann jetzt locker darauf warten, dass Du Deine Behauptung plausibel machst. In der Zwischenzeit kann ich mal wieder auf diese empirische Untersuchung hinweisen, die Deiner Behauptung schlicht widerspricht, die eher meine Ansicht belegt.

Aber so oder so müsstest Du eh mal darlegen, was a) 'kann auch anders handeln' genau bedeuten soll und b) was 'CCF-Wille' genau bedeuten soll, was also die notwendigen und hinreichenden Voraussetzungen für einen 'CCF-Willen' sind.

step hat folgendes geschrieben:
Richard Carrier hat folgendes geschrieben:
... dass wir unser Schicksal durch die Entscheidungen, die wir treffen, kontrollieren; dass wir uns verändern können; dass wir uns entschließen können, sorgfältig durchdachte, anstelle von irrationalen oder gedankenlosen Entscheidungen zu treffen; dass wir keine Sklaven unserer Emotionen sind; dass wir über die Umstände hinauswachsen können, in die wir hineingeboren wurden; dass wir uns deshalb korrigieren und verbessern und aus schlechten Umständen entkommen können; dass unsere Emotionen uns gehören und niemandem sonst; ...

Das beschreibt Eigenschaften wie Entscheidungsalgorhithmen, Dynamik, Veränderbarkeit, Lernfähigkeit, Berechnungsstärke, Rationalität usw. - schön und gut, aber was zeigt das?

Das zeigt das, was mE den Freiheitsbegriff der meisten Menschen beinhaltet. Der sowohl etwas anderes ist als der 'CCF-Wille', als auch etwas anderes als Handlungsfreiheit, (zumindest das, was ich darunter verstehe [-> tun können, was man will - egal, was, und egal, wie der Wille entstanden ist] ).

step hat folgendes geschrieben:
Richard Carrier hat folgendes geschrieben:
... dass unsere Handlungen unsere Persönlichkeit demonstrieren;

das ist trivial, ja es gilt sogar für Tiere, wenn nicht gar für Programme.

Nein, denn es ist erst mal fraglich, ob Tiere handeln. Ein Verhalten ist keine Handlung. Und ob heutige Programme handeln können, ist wenig fraglich: das können sie nicht.

Aber eigentlich trifft mE auch das den Punkt von Carrier noch nicht so recht. Ich bin nicht das, was ich denke, was ich bin, sondern ich bin so, wie meine Handlungen es darstellen. Ich kann mich ob meiner Motive und meiner Einstellungen irren, mag z.B. sein, dass ich mich für feige halte, aber dennoch mutig reagiere, (oder auch umgekehrt). Und wenn ich dann in eine Situation gerate, in der eigentlich Mut gefordert wäre, ich den aber nicht aufbringe, dann muss ich schmerzlich erkennen, dass ich mich in mir, meinen Fähigkeiten / Eigenschaften geirrt habe, (so ich mich fälschlich in einer solchen Situation für mutiger gehalten hätte).

step hat folgendes geschrieben:
Richard Carrier hat folgendes geschrieben:
... dass wir verantwortlich sind für die Entscheidungen, die wir treffen;

Huch! Das ist plötzlich keine Eigenschaft, sondern eine moralische (oder juristische) Setzung.

Nein, Verantwortlichkeit, (die Annahme, dass die anderen fähig und berechtigt dazu sind, ihre Interessen unbeeinflusst von anderen zu verfolgen, solange sie nicht Interessen Dritter maßgeblich verletzen), ist mE schlicht eine unabdingbare Voraussetzung für eine freie Gesellschaft und somit für die Freiheit des Individuums. Freiheit wäre in einer unfreien, totalitären Gesellschaft, die alles kontrollierte, dem Individuum keine eigenen rationalen Entscheidungen zutraute, alles von oben kontrollieren wollte, nicht vorhanden.

step hat folgendes geschrieben:
Richard Carrier hat folgendes geschrieben:
...CCF [der kontra-kausale/libertarische freie Wille] hat tatsächlich nichts mit all dem zu tun."

Richtig! Das liegt jedoch daran, daß in obiger Aufzählung (bis auf die fälschlich hereingemogelte Verantwortung) nur Eigenschaften von Entscheidungsalgorhitmen aufgeführt werden, es wird aber vermieden, die intuitiv wesentliche Eigenschaft einer freien Entscheidung aufzuführen, daß man nämlich auch anders hätte handeln können.

Anders als was? Anders, als man letzlich entschieden hat? Wenn ja: wieso und wie? wenn nein: wie sonst?

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... man kann mE auch abseits eines per se in sich unlogischen CCF-Freien-Willens sinnvoll von Kontrolle, Selbstkontrolle und somit von (gradueller) Entscheidungsfreiheit sprechen. Und die ist etwas anderes als schlichte Handlungsfreiheit, auch der 'glückliche Sklave', dem es schlicht an Erkenntnisfähigkeit seiner Situation mangelt, kann dennoch hochgradige Handlungsfreiheit haben.

Da stimme ich teilweise zu: Insbesondere kann man natürlich (mit enstprechender Begründung) argumentieren, daß wir gerade diese Unterschiede zum 'glücklichen Sklaven' für besonders wichtig halten. Was wir damit herausstellen, würde ich aber schärfer und weniger libertaristisch formulieren. Wenn man nämlich nochmal oben durch die Liste geht, ist das Ganze nicht viel anderes als ein Plädoyer für mehr Intelligenz und vor allem mehr Individualismus - Du hast auch früher schon mal von "Autonomie" gesprochen.

Naja, mit 'Intelligenz' kann ich in diesem Zusammenhang nicht so viel anfangen, dieser Begriff scheint mir zu sehr auf ziemlich eingegrenzte Fähigkeiten beschränkt, die nicht automatisch auch das ergeben müssen, was mir für Freiheit wichtig scheint. Für Freiheit in meinem Sinne fehlt da wesentliches, zum Beispiel soziale Kompetenzen, z.B. die Fähigkeit zur Abschätzung der Reaktionen anderer. Das ist AFAIK kein Bestandteil des Intelligenz-Begriffes, wäre aber ein wichtiger Bestandteil einer Selbstständigkeit.

Mein Punkt hier war nun aber eigentlich der: Handlungsfreiheit alleine erachte ich noch nicht für hinreichend, um die mir wesentliche Freiheit zu bestimmen. Nun bin ich nur etwas verwirrt, dass Du mir dabei zustimmst, denn das ist doch eigentlich, so wie ich das bisher verstanden habe, unser Hauptdissens. So wie ich das verstehe, behauptest Du, es könne aufgrund des Determinismus nicht mehr als Handlungsfreiheit geben. Aber da der 'glückliche Sklave' im Sinne meiner Definition von Handlungsfreiheit, (= kann tun, was er will), sogar größere Handlungsfreiheit haben kann, als jemand, der selten verwirklichen kann, was er will, den ich aber evtl. dennoch als freier als den Sklaven ansehen könnte, (ob seines größeren Durchblickes), folgt daraus mE anscheinend, dass wir auch etwas Unterschiedliches unter 'Handlungsfreiheit' verstehen. Oder? Aber wenn ja: wie definierst Du dann 'Handlungsfreiheit'? Und wenn nicht: wieso stimmst Du mir zu, dass der glückliche Sklave unfreier könnte als jemand, der nicht so ein glücklicher Sklave ist?

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Eine Manipulation oder gar Erziehung an sich sehe ich nicht per se als Zwang an. Sobald man nämlich erkennt, worauf das hinausläuft, verliert der Zwang seine Wirkung. Erkennt man eine Manipulation aber nicht, meint man gar, man habe einen bestimmten Willen selber entwickelt, der jedoch tatsächlich von außen induziert wurde, um den Interessen anderer zu dienen, die den eigenen widersprechen, wenn man einen Schritt beiseite träte und das betrachtete: dann ist Manipulation Zwang.

Aber wenn man ehrlich ist und die Moral der meisten tatsächlichen Menschen betrachtet, dann können die gar nicht wirklich beiseitetreten und ihre Moral ablegen. Sie meinen aber trotzdem, sie stünden reflektiert dazu. [...]

Ja, aber das ist hier erst mal irrelevant, das wäre eine Frage, die man weiter erörtern könnte, wenn die grundsätzliche Frage geklärt ist, über die wir ja, (so wie mir scheint), einen Dissens haben: gibt es zwischen 'CCF-Wille' und 'Handlungsfreiheit' eine sinnvolle Art von Freiheit, die sowohl logisch möglich ist, als auch mehr beinhaltet als schlichte Handlungsfreiheit?

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und Erziehung kann zu Selbstständigkeit führen, genau genommen würde ich das auch als wesentliches Ziel von Erziehung ansehen. ...

Ja, wobei man darunter meist versteht, daß jemand nicht auf die Hilfe Anderer angewiesen ist, selbst intelligente Entscheidungen trifft usw. - wenn Du allerdings mit "Selbständigkeit" auch meinst, daß man die gesellschaftlich vorgegebene Moral frei beurteilen und auch ablegen können soll, dann würde das bedeuten, daß man Kinder möglichst nicht moralisch vorprägen (und schon gar nicht beschuldigen oder bestrafen) sollte, so daß sie sich später selbst reflektiert für eine Moral entscheiden können.

Naja, meiner Ansicht nach ist es gar nicht möglich, Kinder nicht zu prägen. Alles, was man tut, prägt; Kinder sind abhängig, auf die Bezugspersonen angewiesen, diese können gar nicht Nichts-Tun, (hier gemeint im Sinne von: ein Tun, das nicht prägt).

Kinder halte ich aber für nur in sehr engen Grenzen für verantwortlich, es erscheint mir wenig sinnvoll, Kinder für voll verantwortliche Erwachsene zu halten und mit ihnen auch so umzugehen. Was auf der einen Seite bedeutet: je nach Alter ist mE eine Verantwortungs- (und somit auch Schuld-)Zuweisung schlicht falsch, denn meine für erforderlich gehaltenen Voraussetzungen dazu sind mE noch nicht gegeben. Und auf der anderen Seite bedeutet es jedoch auch, dass ich für die Kinder Entscheidungen treffen muss, weil sie noch nicht den hinreichenden Überblick über die Auswirkungen ihrer Entscheidungen / Handlungen haben. D.h.: einen gewissen Paternalismus halte ich in der Erziehung für unabdingbar, der aber, je älter das Kind wird, immer mehr zurückgenommen werden sollte, die Fähigkeit zu einer eigenständigen Entscheidungsfindung fördern sollte.

Naja, hört sich ziemlich abstrakt an, zugegeben. Und dabei kann man auch viel falsch machen.

Aber, um jetzt nochmal auf Deine Frage explizit zurückzukommen: ja, in der Tat wäre es mE das Ideal einer Erziehung, dass das Kind im Folgenden selbstständig sein könnte. Und Selbstständigkeit beinhaltet, (zumindest für mich), selbstverständlich eine Unabhängigkeit auch von meinen Moralvorstellungen. Mein (erwachsenes) Kind, das nur täte, was ich ihm vorgegeben habe, ohne das zu hinterfragen, wäre wenig selbstständig. Und ich bin ja nicht das Maß aller Dinge, wieso sollten ausgerechnet meine Moralvorstellungen die Richtigen sein? Wie könnte ich die Legitimation einer solchen Manipulation begründen, wenn ich selber gar nicht davon überzeugt bin, einzig recht zu haben?

#265:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 20.06.2010, 10:42
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... D.h.: ich kann sehr wohl berechtigt nun aus Deinen Ausführungen schließen, dass Deine Ansicht auf folgendes hinausläuft: der Einzelne, das Individuum kann nie schuld sein, ...

Richtig.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... (weil es determiniert ist und dadurch handlungsunfähig, es kann nur zuschauen, ein reiner Betrachter eines unbeeinflussbaren Geschehens), ...

Falsch: Das Individuum ist sehrwohl handlungsfähig, es hat zuweilen Handlungsfreiheit, handelt also zuweilen präferent.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... aber die Gesellschaft kann es sehr wohl, sie kann falsch handeln, sie ist Ansprechpartner eines moralischen Appelles, von ihr nimmst Du an, dass sie diesen befolgen kann. Was aber das Individuum nicht kann....

Auch falsch: Die Gesellschaft kann falsch handeln, das Individuum ebenso. "Falsch handeln" bedeutet: Nichtkonform handeln oder auch suboptimal in bezug auf die konsenten Interessen. "Falsch handeln" bedeutet verbesserungswürdig handeln.

Große Teile Deines Beitrags beruhen nmV auf folgendem Mißverständnis:

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Du hast oben behauptet, es müsse einen Zusammenhang zwischen einem Schuldgefühl und der Zuweisung von juristischer Schuld geben.

Das habe ich nicht behauptet, sondern nur, daß der psychologische Schuldbegriff aus meiner Sicht sinnvoll ist. Ich habe sogar extra darauf hingewiesen, daß er sich nicht für Strafzwecke eignet, höchstens in bezug auf Prävention und Resozialisierung. Vielleicht habe ich es jedoch nicht klar genug ausgedrückt.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... Meiner Ansicht nach kann man den Begriff 'anders handeln können' nur so sinnvoll füllen: 'anders handeln können, wenn er gewollt hätte, (und für sein Nicht-Wollen gab es keine von ihm nicht beeinflussbaren Gründe, d.h. er hätte sich entscheiden können, anders zu handeln, dass er es nicht tat, lag an ihm)'.

Das finde ich unlogisch. Er hätte sich doch eben nicht entscheiden können, anders zu handeln. Außer er wäre eine andere Person (= hätte andere Präferenzen).

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Mit anderen Worten: er hat absichtlich so gehandelt, wie er handelte, seine Fähigkeit, anders zu handeln war nicht durch äußere oder innere Zwänge außer Kraft gesetzt.

Daß er absichtlich gehandelt hat, steht ja außer Frage. Absichtlich bedeutet ja nur, daß er irgendwie zielgerichtet, geplant handelte.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Nehmen wir konkret die islamistischen Attentäter des 11.September. Wer oder was prägte ihre Präferenzen, wer oder was steuerte ihre Handlungen? Hätten sie anders handeln können? Oder noch extremer: Ist überhaupt a) erfüllt, d.h. ist in ihrer Gemeinschaft (welche ist das?) diese Tat verboten? Gegenüber wem sind sie verantwortlich?
Ihre Präferenzen wurden durch die Gesellschaft, in der sie aufgewachsen sind und ihre eigenen, darauf aufbauenden Überlegungen, gebildet. Wie immer halt. Sie sind gegenüber derjenigen Gesellschaft verantwortlich, deren Recht sie verletzt haben.

Wie begründest Du das? Wäre es nicht erstmal logischer, eine Vernatwortlichkeit derjenigen Gesellschaft gegenüber anzunehmen, die sie moralisiert / ihre Präferenzen geprägt hat? Und falls Du tatsächlich eine Begründung findest (gern genannt werden ja universale Menschenrechte und dgl.): Wären sie dann nicht in einem Vernatwortungsdilemma, würden sich also in jedem Fall gegenüber mindestens einer Gesellschaft/Gruppe schuldig machen?

#266:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 20.06.2010, 17:27
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... Er also dann nicht wollen (= bestimmen / steuern / kontrollieren) kann, was er will.

Netter Kunstgriff, weitere Ebenen der Handlungssteuerung einzuführen, um den Freiwillen zu retten: Die Steuerung der Steuerung zu steuern - oder so.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Was 'man', (zumindest ich), sich an Freiheit (mehr oder weniger intuitiv) wünscht, ist folgendes:

Willensfreiheit 3: Das Marionettentheater hat folgendes geschrieben:
Richard Carrier hat etwas Wichtiges zu sagen:

"Es ist zentral für unser Selbstverständnis, dass wir keine Puppen sind; ...
Dieser Ausdruck "Puppen" suggeriert, die Wahl bestehe zwischen "freier Mensch" und "Marionenette eines Puppenspielers" - keins von beiden ist korrekt, die meisten Menschen glauben intuitiv ersteres.
Ja, Letzteres mag zwar Deine Behauptung / Dein Glaube sein.

Darum ging es mir hier aber gar nicht primär. Eher darum, daß Carrier fälschlicherweise suggeriert, Inkompatibilisten würden Menschen für Puppen halten.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Richard Carrier hat folgendes geschrieben:
... dass unsere Handlungen unsere Persönlichkeit demonstrieren;
das ist trivial, ja es gilt sogar für Tiere, wenn nicht gar für Programme.
Nein, denn es ist erst mal fraglich, ob Tiere handeln. Ein Verhalten ist keine Handlung.

Zweifelst Du daran, daß manche Tiere präferent entscheiden? Dazu bräuchten sie genaugenommen noch nicht einmal Intentionalität.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und ob heutige Programme handeln können, ist wenig fraglich: das können sie nicht.

Wieso? Sie haben (eingebaute und/oder erlernte) Präferenzen, simulieren die Folgen und entscheiden dann. Einige Programme handeln sogar an den Finanzmärkten.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Richard Carrier hat folgendes geschrieben:
...CCF [der kontra-kausale/libertarische freie Wille] hat tatsächlich nichts mit all dem zu tun."
Richtig! Das liegt jedoch daran, daß in obiger Aufzählung (bis auf die fälschlich hereingemogelte Verantwortung) nur Eigenschaften von Entscheidungsalgorhithmen aufgeführt werden, es wird aber vermieden, die intuitiv wesentliche Eigenschaft einer freien Entscheidung aufzuführen, daß man nämlich auch anders hätte handeln können.
Anders als was? Anders, als man letzlich entschieden hat? Wenn ja: wieso ...

Wenn man nicht anders entscheiden konnte, ist damit ethisch keine Schuld begründbar. Mindestens müßte man diesen Passus ("hätte auch anders handeln können") und alles, was aus ihm folgt, aus sämtlichen Begründungen streichen. Jede Wette aber, ich finde ihn noch in allen möglichen rechtsphilosophischen Ergüssen, zum Beispiel habe ich hier im Forum mal ein Papier von einem Herrn namens Burkhardt kommentiert, das ganz in diese Richtung ging. Auch der wikipedia-Artikel über Schuld (Ethik) verwendet dieses zentrale Motiv (ja ich weiß, Du findest ihn deswegen gar nicht gut).

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... und wie?

Das geht eben nicht. Und ich wüßte auch nicht, wieso ich eine Alternative zeigen müßte, die das rettet.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
... Wenn man nämlich nochmal oben durch die Liste geht, ist das Ganze nicht viel anderes als ein Plädoyer für mehr Intelligenz und vor allem mehr Individualismus - Du hast auch früher schon mal von "Autonomie" gesprochen.
Naja, mit 'Intelligenz' kann ich in diesem Zusammenhang nicht so viel anfangen, dieser Begriff scheint mir zu sehr auf ziemlich eingegrenzte Fähigkeiten beschränkt, die nicht automatisch auch das ergeben müssen, was mir für Freiheit wichtig scheint.

Für viele in der Liste genannte Eigenschaften benötigst Du hinreichende Intelligenz.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Für Freiheit in meinem Sinne fehlt da wesentliches, zum Beispiel soziale Kompetenzen, z.B. die Fähigkeit zur Abschätzung der Reaktionen anderer. Das ist AFAIK kein Bestandteil des Intelligenz-Begriffes, wäre aber ein wichtiger Bestandteil einer Selbstständigkeit.

In Carriers Liste tauchen soziale Kompetenzen nunmal nicht auf, und darauf bezog ich mich.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... wieso stimmst Du mir zu, dass der glückliche Sklave unfreier könnte als jemand, der nicht so ein glücklicher Sklave ist?

Ich habe eigentlich nur dieser Aussage zugestimmt:

AP hat folgendes geschrieben:
... auch der 'glückliche Sklave', dem es schlicht an Erkenntnisfähigkeit seiner Situation mangelt, kann dennoch hochgradige Handlungsfreiheit haben.

Denn "hochgradig" ist seine Handlungsfreiheit ja in der Tat, wenn er nur wenig will, das aber zu hohem Prozentsatz umsetzt. Um bei Carrier's Liste zu bleiben: Selbst deren meiste Einträge wären erfüllt, auch wenn der Grad an Individualität und vor allem an Intelligenz nicht besonders hoch wäre, denn sonst würde der Sklave ja seine Situation erkennen und evtl. ganz neue, individuelle Präferenzen entwickeln.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... gibt es zwischen 'CCF-Wille' und 'Handlungsfreiheit' eine sinnvolle Art von Freiheit, die sowohl logisch möglich ist, als auch mehr beinhaltet als schlichte Handlungsfreiheit?

Also natürlich gibt es etwas, das über eine sehr einfache Form von Handlungsfreiheit hinausgeht. Z.B. eine etwas komplexere Form von Handlungsfreiheit, eine Handlungsfreiheit "zweiten Grades", wie Du sie oben beschrieben hast: Die Steuerung der Steuerung. Oder die Tatsache, daß sich dynamische Präferenzen, also Geschmack, Moral usw. zeitlich ändern können, u.a. unter dem Einfluß von Erlebnissen oder weiterer Präferenzen. Ich sehe nur nicht, inwiefern dies zu einer Begründung von Schuld taugen könnte, da es ja - wie wir uns offensichtlich einig sind - nicht dazu führt, daß man hätte anders handeln können.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... Aber, um jetzt nochmal auf Deine Frage explizit zurückzukommen: ja, in der Tat wäre es mE das Ideal einer Erziehung, dass das Kind im Folgenden selbstständig sein könnte. Und Selbstständigkeit beinhaltet, (zumindest für mich), selbstverständlich eine Unabhängigkeit auch von meinen Moralvorstellungen. Mein (erwachsenes) Kind, das nur täte, was ich ihm vorgegeben habe, ohne das zu hinterfragen, wäre wenig selbstständig. Und ich bin ja nicht das Maß aller Dinge, wieso sollten ausgerechnet meine Moralvorstellungen die Richtigen sein? Wie könnte ich die Legitimation einer solchen Manipulation begründen, wenn ich selber gar nicht davon überzeugt bin, einzig recht zu haben?

Ja, da kann ich nur zustimmen.

#267:  Autor: WilsonWohnort: Swift Tuttle BeitragVerfasst am: 27.03.2014, 00:54
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Sternstunde Philosophie - Verbrechen, Schuld und Strafe
http://www.youtube.com/watch?v=XfQhDdy_Fuw


nochmal gut dargelegt.

#268: Re: Modernes Strafrecht Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 27.03.2014, 18:15
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step hat folgendes geschrieben:
Mir, und auch einigen Hirnforschern, geht es darum, ein modernes Konzept zu haben, mit welchem Ziel man wie mit Normverletzern umgeht. Konkret bin ich der Ansicht, daß ein modernes Strafrecht keinen vergeltenden und möglicherweise auch keinen generalpräventiven Aspekt mehr ethisch begründen kann.


Naja, zum Thema Generalprävention würde ich mal behaupten, daß es auch auf die Straftat ankommt.

Bei Eigentumsdelikten würde ich z.b. auf jeden Fall einen starken präventiven Charakter annehmen. Ich würde sogar behaupten, je härter die zu erwartende Strafe, desto größer die Abschreckung und damit die präventive Wirkung. Wenn ein Jugendlicher im Fall eines Ladendiebstahls keine oder nur sehr geringe Konsequenzen zu befürchten hat, ist die Hemmschwelle doch wesentlich geringer mal eine CD oder einen Computerspiel mitgehen zu lassen, als wenn man davon ausgehen muss, dass einem dafür die Hand abgehackt wird, um mal eine sehr übertriebenes Beispiel zu nennen.

Ausschliessen kann man eine präventive Wirkung wohl nur bei psychisch kranken Menschen, die gar nicht in der Lage sind ihr Handeln irgendwie rational zu kontrollieren und zu bestimmen, z.B. schwer gestörte Triebtäter.

Zum Thema "Vergeltung":

Ich denke das Gerechtigkeit ein allgemeines, menschliches Bedürfnis ist. Und Gerechtigkeit lässt sich nur dadurch herstellen, dass ein Täter für seine Taten angemessen "büßen" muss.

Wenn ein Mörder nicht bestraft wird, empfinden das wohl alle Menschen als Ungerechtigkeit, ganz besonders die Menschen, die unmittelbar von der Tat des Mörders schwer betroffen sind.

Ich bin der Meinung, dass "Vergeltung" im Sinne von Gerechtigkeit im Strafrecht zwingend eine wichtige Rolle spielen muss.

#269: Re: Modernes Strafrecht Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 27.03.2014, 19:20
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Schöngeist hat folgendes geschrieben:

Ich denke das Gerechtigkeit ein allgemeines, menschliches Bedürfnis ist. Und Gerechtigkeit lässt sich nur dadurch herstellen, dass ein Täter für seine Taten angemessen "büßen" muss.

Non sequitur.

#270: Re: Modernes Strafrecht Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 27.03.2014, 21:48
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Schöngeist hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Mir, und auch einigen Hirnforschern, geht es darum, ein modernes Konzept zu haben, mit welchem Ziel man wie mit Normverletzern umgeht. Konkret bin ich der Ansicht, daß ein modernes Strafrecht keinen vergeltenden und möglicherweise auch keinen generalpräventiven Aspekt mehr ethisch begründen kann.
Naja, zum Thema Generalprävention würde ich mal behaupten, daß es auch auf die Straftat ankommt. Bei Eigentumsdelikten würde ich z.b. auf jeden Fall einen starken präventiven Charakter annehmen. Ich würde sogar behaupten, je härter die zu erwartende Strafe, desto größer die Abschreckung und damit die präventive Wirkung.

Du hast aber nicht genau gelesen. Ich habe hier Zweifel an der ethischen Begründung angemeldet, nicht an der abschreckenden Wirkung selbst.

Damit Du verstehst, was ich meine: Nehmen wir mal an, es trete tatsächlich eine signifikant abschreckende Wirkung ein, wenn ...
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
... einem dafür die Hand abgehackt wird, um mal eine sehr übertriebenes Beispiel zu nennen.

Die Wirkung träte ja nur dann ein, wenn man gerade all denen, bei denen sie nicht eintritt, tatsächlich die Hand abhackt. Ist es aber ethisch vertretbar, gerade diejenigen besonders überhart zu quälen, bei denen die Prävention des Staates versagt hat?

Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Ich denke das Gerechtigkeit ein allgemeines, menschliches Bedürfnis ist. Und Gerechtigkeit lässt sich nur dadurch herstellen, dass ein Täter für seine Taten angemessen "büßen" muss. Wenn ein Mörder nicht bestraft wird, empfinden das wohl alle Menschen als Ungerechtigkeit, ganz besonders die Menschen, die unmittelbar von der Tat des Mörders schwer betroffen sind. Ich bin der Meinung, dass "Vergeltung" im Sinne von Gerechtigkeit im Strafrecht zwingend eine wichtige Rolle spielen muss.

Ich sehe das komplett anders und habe das ja schon hinreichend ausführlich begründet. Du argumentierst rein mit der Natürlichkeit / Nachenmpfindbarkeit des Rachebedürfnisses Geschädigter.

Es ist ethisch jedoch mE nicht überzeugend, warum der Geschädigte einen Anspruch auf quälende Behandlung des Schädigers haben sollte, etwa im Sinne einer lebenslangen Einknastung. Wenn Du Dich durch sagen wir einen windigen Geschäftsmann abgezockt fühlst, hast Du auch nachempfindbare Rachegefühle, aber keinen ethischen Anspruch darauf, daß der zur Strafe verprügelt wird. Eine lebenslange Haftstrafe ist kein geeigneter Gegenwert z.B. zu einer ermordeten Person. Man muß nach anderen Wegen suchen, die Wunden in den Seelen der Hinterbliebenen zu heilen.

Dazu kommt mE, daß der individuelle Racheinstinkt stark verbunden ist mit der intuitiven Annahme, daß der Verbrecher freiwillig, schuldhaft gehandelt habe. Falls seine Handlung jedoch - durch was auch immer - determiniert war (wie ich meine), ist diese Annahme schon grundsätzlich falsch und eher als ein evolutionäres Überbleibsel zu betrachten.

#271: Re: Modernes Strafrecht Autor: Fake BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 10:05
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step hat folgendes geschrieben:
Dazu kommt mE, daß der individuelle Racheinstinkt stark verbunden ist mit der intuitiven Annahme, daß der Verbrecher freiwillig, schuldhaft gehandelt habe. Falls seine Handlung jedoch - durch was auch immer - determiniert war (wie ich meine), ist diese Annahme schon grundsätzlich falsch und eher als ein evolutionäres Überbleibsel zu betrachten.

Dann dürfte ein Staat aber konsequent zu Ende gedacht gar nicht strafen.

Mich hat schon im Studium keine der Straftheorien überzeugt. Wenn man ehrlich ist, kann man auf eine ethische Legitimation von Strafe auch ganz verzichten und durch eine demokratische Entscheidung ersetzen. Trotz aller schönen Worte ist Recht doch letzten Endes immer nur das Recht des Stärkeren.

Der Mörder hat gemordet, weil er es wollte und konnte. Die Gesellschaft bestraft den Mörder, weil sie es will und kann. Mehr ist an der Sache im Grunde nicht dran und mehr braucht auch die berufliche Praxis nicht.

#272: Re: Modernes Strafrecht Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 11:06
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Fake hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Dazu kommt mE, daß der individuelle Racheinstinkt stark verbunden ist mit der intuitiven Annahme, daß der Verbrecher freiwillig, schuldhaft gehandelt habe. Falls seine Handlung jedoch - durch was auch immer - determiniert war (wie ich meine), ist diese Annahme schon grundsätzlich falsch und eher als ein evolutionäres Überbleibsel zu betrachten.
Dann dürfte ein Staat aber konsequent zu Ende gedacht gar nicht strafen.

Ja, genau. Der Staat dürfte (demnach) nur Maßnahmen verhängen, die (auch in ihrerm Ausmaß) nur durch ihren überragenden Nutzen, vor allem spezialpräventiv, belegt sind, nicht aber durch den Straf-/Schuld-/Vergeltungsaspekt. Ein Mörder etwa dürfte nur dann eingesperrt werden, wenn es eine große Wiederholungsgefahr gibt und wenn die nicht anders verhindert werden kann. Und selbst dann dürfte er im Knast nicht schlecht behandelt werden.

Fake hat folgendes geschrieben:
... Der Mörder hat gemordet, weil er es wollte und konnte. Die Gesellschaft bestraft den Mörder, weil sie es will und kann. Mehr ist an der Sache im Grunde nicht dran und mehr braucht auch die berufliche Praxis nicht.

Das sehe ich zwar de facto und de jure ähnlich, aber da fehlt die ethische Dimension. Eine hinreichend aufgeklärte, fortschrittliche Gesellschaft kann das mE eben nicht mehr einfach so wollen. Wer (in zurechnungsfähigem Zustand, also als Wähler z.B.) Verbrecher quälen will, verliert bei mir Vertrauenspunkte.

#273: Re: Modernes Strafrecht Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 11:11
    —
step hat folgendes geschrieben:

Das sehe ich zwar de facto und de jure ähnlich, aber da fehlt die ethische Dimension. Eine hinreichend aufgeklärte, fortschrittliche Gesellschaft kann das mE eben nicht mehr einfach so wollen. Wer (in zurechnungsfähigem Zustand, also als Wähler z.B.) Verbrecher quälen will, verliert bei mir Vertrauenspunkte.

und wie willst du unter diesem Gesichtspunkt verhindern, dass jemand mordet, der z.B. seine Ehefrau oder einen einmaligen einzigartigen Feind loswerden will - bei dem also Wiederholungsgefahr ausgeschlossen ist?

Die Antwort lautet nicht "durch Aufklärung", oder?

#274: Re: Modernes Strafrecht Autor: Ralf Rudolfy BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 11:32
    —
step hat folgendes geschrieben:
Ein Mörder etwa dürfte nur dann eingesperrt werden, wenn es eine große Wiederholungsgefahr gibt und wenn die nicht anders verhindert werden kann.

Und selbst, wenn er mit vollem Vorsatz gehandelt hat? Auch, wenn er stolz auf seine Tat ist und sich ihrer brüstet? Das dürfte kaum zu vermitteln sein.

Nach der Logik müßtest du auch einen NS-Massenmörder laufenlassen, da ja das System und die Umstände, die seine Taten ermöglicht haben, nicht mehr existieren.

step hat folgendes geschrieben:
Und selbst dann dürfte er im Knast nicht schlecht behandelt werden.

Kommt drauf an, was unter schlechter Behandlung zu verstehen ist. Wenn es heißt, daß er jeden Tag Prügel bekommt: sicher nicht.

Das heißt aber nicht, daß er von seiner eingeschränkten Freizügigkeit abgesehen im Knast ein gutes Leben mit allem, was das für ihn ausmacht, haben muß.

#275: Re: Modernes Strafrecht Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 12:15
    —
step hat folgendes geschrieben:
Die Wirkung träte ja nur dann ein, wenn man gerade all denen, bei denen sie nicht eintritt, tatsächlich die Hand abhackt. Ist es aber ethisch vertretbar, gerade diejenigen besonders überhart zu quälen, bei denen die Prävention des Staates versagt hat?


Warum sollte das denn ethisch nicht vertretbar sein? Du drehst die Sachlage um und stellst Straftäter erstmal als "Opfer" dar, weil die Strafandrohung sie nicht von der Begehung der Straftat abgehalten hat.

Dieser Sichtweise kann ich überhaupt nicht folgen. Es gibt klare Gesetze, die transparent und allgemein bekannt sind. Es ist auch allgemein bekannt welche Konsequenzen man von der Justiz zu erwarten hat, wenn man gegen Gesetze verstösst.

Wer also gegen Gesetze bewusst verstösst, nimmt damit auch die Konsequenzen in Kauf und bekommt sie dann auch aufgezwungen, wenn er erwischt wird.

Mal abgesehen davon: Was meinst du würde geschehen, wenn man Diebstahl und Raub an heute straffrei stellen würde? Frage

step hat folgendes geschrieben:
Es ist ethisch jedoch mE nicht überzeugend, warum der Geschädigte einen Anspruch auf quälende Behandlung des Schädigers haben sollte, etwa im Sinne einer lebenslangen Einknastung.


Der Geschädigte und im Übrigen die Gesellschaft im Allgemeinen hat einen Anspruch auf Gerechtigkeit. Natürlich kann Gerechtigkeit nie vollkommen sein, aber Justiz sollte zumindest den Versuch unternehmen, durch Urteile Gerechtigkeit herzustellen. Dadurch wird z.B. auch verhindert, dass Menschen Selbstjustiz betreiben. Der Sinn nach Gerechtigkeit wird in geordnete Bahnen geleitet und durch die Justiz in Form von rechtkräftigen Urteilen umgesetzt.

Wenn z.b. ein Mörder keine Strafe bekommt, verletzt das in erheblichem Ausmaß das Gerechtigkeinssinn der Hinterbliebenen und der Gesellschaft.

Klar, man kann darüber diskutieren, welche Strafe nun für einen Mörder angemessen wäre. Dazu gibt es in Gesellschaften verschiedene Ansichten. Wobei ich ehrlich gesagt glaube, dass die Justiz in Deutschland bereits zu milde und gesellschaftlich eigentlich in manchen Teilen auch schon mit mehr konsensfähig ist.

Aber wenn ich Dich richtig verstehe geht es Dir auch nicht darum, über die Angemessenheit von Strafen in Realition zur Straftat nachzudenken, sondern Du lehnst Strafe im Sinne von "Wiederherstellung von Gerechtigkeit" generell ab? Frage

step hat folgendes geschrieben:
Wenn Du Dich durch sagen wir einen windigen Geschäftsmann abgezockt fühlst, hast Du auch nachempfindbare Rachegefühle, aber keinen ethischen Anspruch darauf, daß der zur Strafe verprügelt wird.


Naja, die Justiz kann natürlich nicht sämtliche Eventualitäten im Leben irgendwie regeln. Wenn der Geschäftsmann mich mit legalen Mitteln geschickt übers Ohr haut, dann habe ich wohl einfach Pech gehabt. Ich kann mich aber z.B. trotzdem beim ihm mit legalen Mitteln rächen. zwinkern

Wenn der Geschäftsmann mich illegal abgezockt hat, dann kann ich ihn anzeigen und dann habe ich auch ein Recht darauf, dass die Justiz für Gerechtigkeit sorgt, indem sie den Geschäftsmann bestraft, z.B. mit einer hohen Geldstrafe, diei hn dann ebenfalls finanziell schwer schädigt.

step hat folgendes geschrieben:

Man muß nach anderen Wegen suchen, die Wunden in den Seelen der Hinterbliebenen zu heilen.


Zum Beispiel?

step hat folgendes geschrieben:

Dazu kommt mE, daß der individuelle Racheinstinkt stark verbunden ist mit der intuitiven Annahme, daß der Verbrecher freiwillig, schuldhaft gehandelt habe. Falls seine Handlung jedoch - durch was auch immer - determiniert war (wie ich meine), ist diese Annahme schon grundsätzlich falsch und eher als ein evolutionäres Überbleibsel zu betrachten.


Das wird doch in der Strafjustiz heute schon berücksichtigt. Wenn ein Täter z.B. geistig stark behindert ist oder psychiatrisch erkrankt, dann kann ggf. eine mangelnde Schuldfähigkeit festgestellt werden und der Täter wird nicht bestraft.

Wobei das doch nur einen sehr geringen Teil der Straftaten ausmacht.

#276: Re: Modernes Strafrecht Autor: Fake BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 12:38
    —
step hat folgendes geschrieben:
Das sehe ich zwar de facto und de jure ähnlich, aber da fehlt die ethische Dimension. Eine hinreichend aufgeklärte, fortschrittliche Gesellschaft kann das mE eben nicht mehr einfach so wollen. Wer (in zurechnungsfähigem Zustand, also als Wähler z.B.) Verbrecher quälen will, verliert bei mir Vertrauenspunkte.

Wir sind uns ja um Grunde einig, mir fehlt allerdings an der ethischen Dimension die handwerlichen Komponente. Die juristische Methode unterscheidet sich von denen aller anderen Geisteswissenschaften dadurch, dass sie immer ein Ergebnis produziert. Das kann unbefriedigend sein oder sogar falsch. Aber man kann damit arbeiten. Ethik zeichnet sich demgegenüber dadurch aus, dass sie auch Jahrhunderte lang problemlos ohne Ergebnisse zurecht kommt. Sowas kann sich ein Staat aber nicht leisten.

Die einzige mir bekannte Methode, unterschiedliche ethische Ansichten sicher zusammenzuführen, ist die Abstimmung. Es ist, so traurig das auch sein mag, nicht die Diskussion.

#277: Re: Modernes Strafrecht Autor: Fake BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 12:45
    —
Ralf Rudolfy hat folgendes geschrieben:
Und selbst, wenn er mit vollem Vorsatz gehandelt hat? Auch, wenn er stolz auf seine Tat ist und sich ihrer brüstet?


Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Du drehst die Sachlage um und stellst Straftäter erstmal als "Opfer" dar, weil die Strafandrohung sie nicht von der Begehung der Straftat abgehalten hat.


Wenn man sich von der Idee der Handlungsfreiheit verabschiedet, gibt es keine Täter und keine Opfer mehr. Nur noch Menschen die sich so verhalten, wie sich sich aufgrund ihrer gesamten Lebensumstände verhalten müssen.

Das ist erst mal eine wertfreie naturwissenschaftliche Feststellung.

Wie eine Gesellschaft mit dieser Erkenntnis (so sie sich denn weiter bestätigt) umgeht, ist eine völlig andere Frage. Strafen kann man selbstverständlich weiterhin. Man kann es nur redlicherweise nicht mehr mit der persönlichen Schuld des Straftäters begründen, weil die stets ein rechtmäßiges Alternativverhalten voraussetzt.

Habt ihr das Video überhaupt angesehen? Am Kopf kratzen

#278: Re: Modernes Strafrecht Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 13:09
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Wobei ich ehrlich gesagt glaube, dass die Justiz in Deutschland bereits zu milde und gesellschaftlich eigentlich in manchen Teilen auch schon mit mehr konsensfähig ist.

Beispiele?

#279: Re: Modernes Strafrecht Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 13:10
    —
Fake hat folgendes geschrieben:
Wenn man sich von der Idee der Handlungsfreiheit verabschiedet, gibt es keine Täter und keine Opfer mehr.


Dann gibt es auch keine Menschen als freie, rationale und selbstbestimmte Wesen mehr.

#280: Re: Modernes Strafrecht Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 13:12
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Beispiele?


Och da gibt es viele. Im deutschen Strafrecht gibt es ja z.B. inzwischen auch keine lebenslange Haftstrafe mehr. Nach spätestens 15 Jahren gibt es selbst für den schlimmsten Massenmörder die Chance einer Haftprüfung und ggf. Entlassung, wenn er eine gute Sozialprognose hat.

Ich würde behaupten, dass es dafür einen gesellschaftlichen Konsens gibt bzw. nicht einmal eine knappe Mehrheit gibt.

#281: Re: Modernes Strafrecht Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 13:21
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Beispiele?


Och da gibt es viele. Im deutschen Strafrecht gibt es ja z.B. inzwischen auch keine lebenslange Haftstrafe mehr. Nach spätestens 15 Jahren gibt es selbst für den schlimmsten Massenmörder die Chance einer Haftprüfung und ggf. Entlassung, wenn er eine gute Sozialprognose hat.

Ich würde behaupten, dass es dafür einen gesellschaftlichen Konsens gibt bzw. nicht einmal eine knappe Mehrheit gibt.

1. Gibt es bei den "schlimmsten Massenmördern" regelmäßig die Feststellung der Schwere der Schuld, die das ausschließen.

2. Findet nach 15 Jahren nur eine Prüfung statt, die Entlassung ist keineswegs der Regelfall.

Das eine Entlassung zumindest abstrakt für jeden irgendwann möglich sein muss, halte ich durchaus für Sinnvoll; ein wirkliches und definitives zwangsläufiges lebenslänglich halte ich für bloße Archaik.

#282: Re: Modernes Strafrecht Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 13:21
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Fake hat folgendes geschrieben:
Wenn man sich von der Idee der Handlungsfreiheit verabschiedet, gibt es keine Täter und keine Opfer mehr.


Dann gibt es auch keine Menschen als freie, rationale und selbstbestimmte Wesen mehr.

So ist es. Und?

#283: Re: Modernes Strafrecht Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 13:40
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
1. Gibt es bei den "schlimmsten Massenmördern" regelmäßig die Feststellung der Schwere der Schuld, die das ausschließen.

2. Findet nach 15 Jahren nur eine Prüfung statt, die Entlassung ist keineswegs der Regelfall.


Die durchschnittliche Haftdauer eines zu "lebenslänglich" verurteilten Mörders beträgt noch nicht mal 20 Jahre. Wer mit "besonderer Schwere der Schuld" veurteilt wird, hat durchschnittlich gut 23 Jahre abzusitzen.

Nicht besonders viel, wenn man die Dimensionen und Folgen der Verbrechen bedenkt, die solche Täter begangen und verursacht haben.

Wer mit 20 einen Mord begeht kann mit 35 schon wieder frei sein.

Samson83 hat folgendes geschrieben:
Das eine Entlassung zumindest abstrakt für jeden irgendwann möglich sein muss, halte ich durchaus für Sinnvoll; ein wirkliches und definitives zwangsläufiges lebenslänglich halte ich für bloße Archaik.


Warum?

Findest du 15 oder 20 Jahre Haft wirklich gerecht für jemanden, der z.b. drei kleine Kinder ermordet hat?

#284: Re: Modernes Strafrecht Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 13:44
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
So ist es. Und?


Dann muss man daraus eben die Konsequenzen ziehen.

Wenn morgen jemand ankommt und deine Frau vergewaltigt, dein Haus abfackelt und deine Kinder erschiesst, ist die Konsequenz daraus eben, dass dieser arme Mensch nichts dafür kann, weil er nicht die Freiheit hatte sich bewusst und frei für diese Handlungen zu entscheiden. Also lassen wir ihn eben einfach in Ruhe.

#285: Re: Modernes Strafrecht Autor: WilsonWohnort: Swift Tuttle BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 13:45
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
So ist es. Und?


Dann muss man daraus eben die Konsequenzen ziehen.

Wenn morgen jemand ankommt und deine Frau vergewaltigt, dein Haus abfackelt und deine Kinder erschiesst, ist die Konsequenz daraus eben, dass dieser arme Mensch nichts dafür kann, weil er nicht die Freiheit hatte sich bewusst und frei für diese Handlungen zu entscheiden. Also lassen wir ihn eben einfach in Ruhe.


hör dir meinen obigen link an, dann verstehst du es.
nehme ich an.

#286: Re: Modernes Strafrecht Autor: Fake BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 13:45
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Findest du 15 oder 20 Jahre Haft wirklich gerecht für jemanden, der z.b. drei kleine Kinder ermordet hat?

Das kommt wohl darauf an, wie süß diese Kinder waren, oder? Mit den Augen rollen

#287: Re: Modernes Strafrecht Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 13:45
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Wenn morgen jemand ankommt und deine Frau vergewaltigt, dein Haus abfackelt und deine Kinder erschiesst, ist die Konsequenz daraus eben, dass dieser arme Mensch nichts dafür kann, weil er nicht die Freiheit hatte sich bewusst und frei für diese Handlungen zu entscheiden. Also lassen wir ihn eben einfach in Ruhe.

Nein, das ist nicht die Konsequenz. Aus dem Determinismus folgt überhaupt keine bestimmte Handlungsvorschrift. Wenn ein Richter jemanden, der sowas tut, dafür verurteilt, dann ist das genauso determiniert wie die Tat selbst.

#288: Re: Modernes Strafrecht Autor: Fake BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 13:47
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Wenn morgen jemand ankommt und deine Frau vergewaltigt, dein Haus abfackelt und deine Kinder erschiesst, ist die Konsequenz daraus eben, dass dieser arme Mensch nichts dafür kann, weil er nicht die Freiheit hatte sich bewusst und frei für diese Handlungen zu entscheiden.

Ja.

Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Also lassen wir ihn eben einfach in Ruhe.

Nein.

#289: Re: Modernes Strafrecht Autor: WolfWohnort: Zuhause BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 13:49
    —
Fake hat folgendes geschrieben:
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Wenn morgen jemand ankommt und deine Frau vergewaltigt, dein Haus abfackelt und deine Kinder erschiesst, ist die Konsequenz daraus eben, dass dieser arme Mensch nichts dafür kann, weil er nicht die Freiheit hatte sich bewusst und frei für diese Handlungen zu entscheiden.

Ja.

Nur weil es determiniert war, bedeutet es nicht, dass er nichts dafür kann.

#290: Re: Modernes Strafrecht Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 13:56
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Nein, das ist nicht die Konsequenz. Aus dem Determinismus folgt überhaupt keine bestimmte Handlungsvorschrift. Wenn ein Richter jemanden, der sowas tut, dafür verurteilt, dann ist das genauso determiniert wie die Tat selbst.


Nach dieser Logik wäre die gesamte Geschichte der Menschheit quasi vorherbestimmt. Denn jeder einzelne Mensch der jemals gelebt hat konnte nur so handeln, wie er eben gehandelt hat.

#291: Re: Modernes Strafrecht Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 13:58
    —
Wolf hat folgendes geschrieben:
Nur weil es determiniert war, bedeutet es nicht, dass er nichts dafür kann.


Der Mensch ist doch dann einfach nur ein Objekt, dass inneren und äusseren Einflüssen ausgeliefert ist und von ihnen wie ein Blatt im Wind durchs Leben getragen wird.

#292: Re: Modernes Strafrecht Autor: Fake BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 14:03
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Nein, das ist nicht die Konsequenz. Aus dem Determinismus folgt überhaupt keine bestimmte Handlungsvorschrift. Wenn ein Richter jemanden, der sowas tut, dafür verurteilt, dann ist das genauso determiniert wie die Tat selbst.


Nach dieser Logik wäre die gesamte Geschichte der Menschheit quasi vorherbestimmt. Denn jeder einzelne Mensch der jemals gelebt hat konnte nur so handeln, wie er eben gehandelt hat.

Ganz genau. Das bedeutet Determinismus. Idee

#293: Re: Modernes Strafrecht Autor: WolfWohnort: Zuhause BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 14:08
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Wolf hat folgendes geschrieben:
Nur weil es determiniert war, bedeutet es nicht, dass er nichts dafür kann.


Der Mensch ist doch dann einfach nur ein Objekt, dass inneren und äusseren Einflüssen ausgeliefert ist und von ihnen wie ein Blatt im Wind durchs Leben getragen wird.

Eine Verantwortung kann es nur geben, wenn die Entscheidungen (einigermaßen) determiniert und nicht rein zufällig sind.
Oder fällst du Entscheidungen nach dem Münzwurfprinzip?

#294: Re: Modernes Strafrecht Autor: Kival BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 14:11
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Wolf hat folgendes geschrieben:
Nur weil es determiniert war, bedeutet es nicht, dass er nichts dafür kann.


Der Mensch ist doch dann einfach nur ein Objekt, dass inneren und äusseren Einflüssen ausgeliefert ist und von ihnen wie ein Blatt im Wind durchs Leben getragen wird.


Der Mensch *ist* seine inneren Einflüsse!

#295: Re: Modernes Strafrecht Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 14:34
    —
Wolf hat folgendes geschrieben:
Oder fällst du Entscheidungen nach dem Münzwurfprinzip?


Nein, ich fälle wichtige Entscheidungen durch rationales Denken und Abwägen von Argumenten und schliesslich vielleicht auch zu einem gewissen Teil nach Emotionen.

Fakt ist, dass ich z.B. Emotionen rational kontrollieren kann. Vielleicht auch nicht immer, aber doch in den meisten Fällen. So kann man z.B. Wünsche und Sehnsüchte auch unterdrücken, wenn rationale Argumente dagegen sprechen diesen nachzugehen, z.B. weil ich weiss, dass die Verwirklichung eines Wunschen einem anderen Schaden zufügen würde oder weil ich weiss, dass es für mich negative Konsequenzen haben kann, wenn ich das tue.

Eine Strafjustiz funktioniert vorallem deshalb, weil sie für die meisten Menschen ein Hemmnis darstellt gewisse Dinge zu tun, die anderen bzw. der Gesellschaft insgesamt Schaden zufügen.

Dort wo z.B. der Staat nicht mehr handlungsfähig ist kommt es häufig zu Unruhen, Plünderungen etc. Eben weil das Hemmnis wegfällt, gewisse Dinge nicht zu tun, weil es für einen selbst schlimme Konsequenzen nach sich zieht.

Übrigens verstehe ich auch nicht, warum Dinge wie Rache immer so negativ gesehen werden. Rache ist eine natürliche Empfindung von Menschen. Wird einem selbst Unrecht angetan, verspürt man das dringende Bedürfnis der Rache, um das erlittene Unrecht zu lindern und nicht mehr als so schmerzvoll zu empfinden. Es geht einfach um den menschlichen Sinn nach Gerechtigkeit.

Ohne Justiz wäre es so, dass jeder Mensch die Gerechtigkeit nach seinem Empfinden selbst in die Hand nehmen und "Selbstjustiz" betreiben würde. Die Justiz befriedigt den Sinn nach Gerechtigkeit der Menschen und lenkt diesen in geordnete und zivilisierte Bahnen.

#296: Re: Modernes Strafrecht Autor: Murphy BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 14:35
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:

Der Geschädigte und im Übrigen die Gesellschaft im Allgemeinen hat einen Anspruch auf Gerechtigkeit.

So? Auf welcher Grundlage denn? Und was ist überhaupt Gerechtigkeit? Dürfen dann auch die Armen die Reichen verklagen, weil das ist ja ungerecht, dass die z.B. weniger haben?
Schöngeist hat folgendes geschrieben:

Natürlich kann Gerechtigkeit nie vollkommen sein, aber Justiz sollte zumindest den Versuch unternehmen, durch Urteile Gerechtigkeit herzustellen.

Nein, Justiz sollte vor allem darum bemüht sein geltendes Recht umzusetzen.
Schöngeist hat folgendes geschrieben:

Wenn z.b. ein Mörder keine Strafe bekommt, verletzt das in erheblichem Ausmaß das Gerechtigkeinssinn der Hinterbliebenen und der Gesellschaft.

Ja ja. Außer es ist ein Tyrannenmörder, nicht?
Schöngeist hat folgendes geschrieben:

Klar, man kann darüber diskutieren, welche Strafe nun für einen Mörder angemessen wäre. Dazu gibt es in Gesellschaften verschiedene Ansichten. Wobei ich ehrlich gesagt glaube, dass die Justiz in Deutschland bereits zu milde und gesellschaftlich eigentlich in manchen Teilen auch schon mit mehr konsensfähig ist.

Du meinst also, wenn jemand jemand anderem Leid verursacht, dann ist es gerecht, wenn man noch mehr Leid verursacht? Das ist deine Vorstellung von Gerechtigkeit?

Soweit ich mich erinnere gab es schon in den ersten germanischen codices Ausgleichszahlungen für Körperverletzung, irgendwo sicher auch für Totschlag, ich finde es wirklich bemerkenswert, dass wir nach 14 Jahrhunderten Christentum wieder dahinkommen, dass man den Täter ebenso quälen soll wie das Opfer gelitten hat (wahrscheinlich).

#297: Re: Modernes Strafrecht Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 15:01
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:

Nicht besonders viel, wenn man die Dimensionen und Folgen der Verbrechen bedenkt, die solche Täter begangen und verursacht haben.

Die Dimension des Einschnitts, die eine solche Haftstrafe für den betreffenden bedeutet, wird dabei auch kaum imaginiert.

#298: Re: Modernes Strafrecht Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 15:02
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:

Findest du 15 oder 20 Jahre Haft wirklich gerecht für jemanden, der z.b. drei kleine Kinder ermordet hat?

Unter Umständen.
Warum nicht?

#299: Re: Modernes Strafrecht Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 15:03
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:

Fakt ist, dass ich z.B. Emotionen rational kontrollieren kann.

Wird bestritten.

#300: Re: Modernes Strafrecht Autor: Kival BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 15:05
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Schöngeist hat folgendes geschrieben:

Findest du 15 oder 20 Jahre Haft wirklich gerecht für jemanden, der z.b. drei kleine Kinder ermordet hat?

Unter Umständen.
Warum nicht?


Ist halt nicht gerächt. Auf den Arm nehmen

#301: Re: Modernes Strafrecht Autor: Ralf Rudolfy BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 15:11
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Fake hat folgendes geschrieben:
Wenn man sich von der Idee der Handlungsfreiheit verabschiedet, gibt es keine Täter und keine Opfer mehr.


Dann gibt es auch keine Menschen als freie, rationale und selbstbestimmte Wesen mehr.

So ist es. Und?

Finde ich nicht, daß es so ist. Ohne Annahme des freien Willens ist der Mensch nur für sein Wollen nicht verantwortlich. Für sein Tun und Lassen bleibt er es gleichwohl.

#302: Re: Modernes Strafrecht Autor: Fake BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 15:13
    —
Ralf Rudolfy hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Fake hat folgendes geschrieben:
Wenn man sich von der Idee der Handlungsfreiheit verabschiedet, gibt es keine Täter und keine Opfer mehr.


Dann gibt es auch keine Menschen als freie, rationale und selbstbestimmte Wesen mehr.

So ist es. Und?

Finde ich nicht, daß es so ist. Ohne Annahme des freien Willens ist der Mensch nur für sein Wollen nicht verantwortlich. Für sein Tun und Lassen bleibt er es gleichwohl.

Ich sprach von der Handlungsfreiheit.

#303: Re: Modernes Strafrecht Autor: WolfWohnort: Zuhause BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 15:14
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Wolf hat folgendes geschrieben:
Oder fällst du Entscheidungen nach dem Münzwurfprinzip?


Nein, ich fälle wichtige Entscheidungen durch rationales Denken und Abwägen von Argumenten und schliesslich vielleicht auch zu einem gewissen Teil nach Emotionen.

Meinst du dein rationales Denken + Emotionen ist ein zufälliger Prozess?
Zitat:

Eine Strafjustiz funktioniert vorallem deshalb, weil sie für die meisten Menschen ein Hemmnis darstellt gewisse Dinge zu tun, die anderen bzw. der Gesellschaft insgesamt Schaden zufügen.

Unter anderem. Und weil dem Gerechtigkeitsempfinden in gewissen Maße zur Genüge getan wird.
In Steps Gesellschaft, in der Mörder nicht bestraft werden, wird es vermehrt zur Selbstjustiz kommen.

#304: Re: Modernes Strafrecht Autor: Ralf Rudolfy BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 15:15
    —
Fake hat folgendes geschrieben:
Ralf Rudolfy hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Fake hat folgendes geschrieben:
Wenn man sich von der Idee der Handlungsfreiheit verabschiedet, gibt es keine Täter und keine Opfer mehr.


Dann gibt es auch keine Menschen als freie, rationale und selbstbestimmte Wesen mehr.

So ist es. Und?

Finde ich nicht, daß es so ist. Ohne Annahme des freien Willens ist der Mensch nur für sein Wollen nicht verantwortlich. Für sein Tun und Lassen bleibt er es gleichwohl.

Ich sprach von der Handlungsfreiheit.

Ups, stimmt.

#305: Re: Modernes Strafrecht Autor: WolfWohnort: Zuhause BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 15:18
    —
Kival hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Schöngeist hat folgendes geschrieben:

Findest du 15 oder 20 Jahre Haft wirklich gerecht für jemanden, der z.b. drei kleine Kinder ermordet hat?

Unter Umständen.
Warum nicht?


Ist halt nicht gerächt. Auf den Arm nehmen

Bei Verbrechen in der Gerechtigkeit durch Herstellung des ursprünglichen Zustands nicht mehr hergestellt werden kann, ist es ohnehin sehr subjektiv, welche Strafe angemessen ist.
Ralf Rudolfy hat folgendes geschrieben:
Fake hat folgendes geschrieben:
Ralf Rudolfy hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Fake hat folgendes geschrieben:
Wenn man sich von der Idee der Handlungsfreiheit verabschiedet, gibt es keine Täter und keine Opfer mehr.


Dann gibt es auch keine Menschen als freie, rationale und selbstbestimmte Wesen mehr.

So ist es. Und?

Finde ich nicht, daß es so ist. Ohne Annahme des freien Willens ist der Mensch nur für sein Wollen nicht verantwortlich. Für sein Tun und Lassen bleibt er es gleichwohl.

Ich sprach von der Handlungsfreiheit.

Ups, stimmt.

Trotzdem verschwinden Täter und Opfer nicht mit der Handlungsfreiheit.

#306:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 15:24
    —
Das Konzept der Verantwortlichkeit wird für einen Deterministen nicht automatisch hinfällig. Es erhält eine andere Bedeutung, die jedoch als Regulativ in einem zum Indeterminismus analogen Verhältnis zur Handlung steh(t)en kann.

#307:  Autor: WolfWohnort: Zuhause BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 15:27
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Das Konzept der Verantwortlichkeit wird für einen Deterministen nicht automatisch hinfällig. Es erhält eine andere Bedeutung, die jedoch als Regulativ in einem zum Indeterminismus analogen Verhältnis zur Handlung steh(t)en kann.

Wie es für einen Indeterministen* Verantwortlichkeit geben kann, bleibt mir ein Rätsel.

*auf der Ebene der Willensbildung und nicht der Quantenphysik.


Zuletzt bearbeitet von Wolf am 28.03.2014, 15:28, insgesamt einmal bearbeitet

#308:  Autor: Murphy BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 15:27
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Das Konzept der Verantwortlichkeit wird für einen Deterministen nicht automatisch hinfällig. Es erhält eine andere Bedeutung, die jedoch als Regulativ in einem zum Indeterminismus analogen Verhältnis zur Handlung steh(t)en kann.


Das geht auch einfacher: Für den Deterministen können auch Gesetzgeber, Richter und Ausführende nicht anders handeln.

#309:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 15:41
    —
Wolf hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Das Konzept der Verantwortlichkeit wird für einen Deterministen nicht automatisch hinfällig. Es erhält eine andere Bedeutung, die jedoch als Regulativ in einem zum Indeterminismus analogen Verhältnis zur Handlung steh(t)en kann.

Wie es für einen Indeterministen* Verantwortlichkeit geben kann, bleibt mir ein Rätsel.

*auf der Ebene der Willensbildung und nicht der Quantenphysik.


Verstehe ich nicht. Der Indeterminist hat in seiner Sicht die Freiheit, sich verantwortlich zu verhalten. Begründet, rational. Nicht verursacht, wie die Handlung einer Marionette. Beim Deterministen schließt man schnell auf die Hinfälligkeit der Verantwortung.

#310:  Autor: Murphy BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 16:01
    —
Für den Deterministen gibt es schlicht keinerlei Verantwortung. Dennoch gibt es das Gefühl von Verantwortung und/oder das Gefühl verantwortlich zu handeln, aber man entscheidet sich weder frei dafür noch dagegen. Diese ganze Diskussion ist Schaumschlägerei, weil aus der Erkenntnis, dass alles determiniert ist folgt gar nichts, außer, dass eben alles determiniert ist.

#311:  Autor: WolfWohnort: Zuhause BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 17:05
    —
zelig hat folgendes geschrieben:

Verstehe ich nicht. Der Indeterminist hat in seiner Sicht die Freiheit, sich verantwortlich zu verhalten. Begründet, rational. Nicht verursacht, wie die Handlung einer Marionette.

Die Freiheit einer Münze auf Kopf oder Zahl zu fallen.
Wenn meine Entscheidungen zufällig sind, entziehen sie sich meiner Kontrolle.
Ich wäre eine Marionette des Zufalls. Und für meine Handlungen und Taten wäre nicht, sondern der Zufall verantwortlich.
Murphy hat folgendes geschrieben:
Für den Deterministen gibt es schlicht keinerlei Verantwortung.

Dem widerspreche ich.

#312: Re: Modernes Strafrecht Autor: astarte BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 17:56
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Wolf hat folgendes geschrieben:
Oder fällst du Entscheidungen nach dem Münzwurfprinzip?


Nein, ich fälle wichtige Entscheidungen durch rationales Denken und Abwägen von Argumenten und schliesslich vielleicht auch zu einem gewissen Teil nach Emotionen.

Fakt ist, dass ich z.B. Emotionen rational kontrollieren kann. Vielleicht auch nicht immer, aber doch in den meisten Fällen.

Es ist eher anders herum:

http://www.zfu.ch/service/fartikel/fartikel_03_jub.htm
Zitat:
Das limbische System hat also gegenüber dem rationalen corticalen System das erste und das letzte Wort. Das erste beim Entstehen unserer Wünsche und Zielvorstellungen, das letzte bei der Entscheidung darüber, ob das, was sich Vernunft und Verstand ausgedacht haben, auch wirklich getan werden soll.

Der Grund hierfür ist, dass alles, was Vernunft und Verstand an Ratschlägen erteilen, für denjenigen, der die Handlungsentscheidung trifft, emotional akzeptabel sein, d.h. in unsere vergangene emotionale Erfahrung hineinpassen muss. Es gibt also ein rationales Abwägen von Handlungen und Alternativen und ihren jeweiligen Konsequenzen, es gibt aber kein rein rationales Handeln. Die Chance von Verstand und Vernunft ist es, mögliche Konsequenzen unserer Handlungen so aufzuzeigen, dass damit starke Gefühle verbunden sind, denn nur durch Gefühle kann Verhalten verändert werden.

Toller Artikel finde ich.


Oder: http://dasgehirn.info/denken/emotion/verstand-gegen-gefuehl/
Zitat:
Der Verstand wäre nur dadurch in der Lage, die Handlungsplanung zu beeinflussen, indem er entgegengesetzte Gefühle einkoppelt. Wenn man etwa morgens am Frühstückstisch Appetit auf einen Schokoaufstrich hat, obwohl man eigentlich abnehmen wollte, kann die Vernunft dafür sorgen, das fettige Essen stehen zu lassen. Laut Gerhard Roth gibt es damit keine rationalen Entscheidungen, nur rationale Abwägungen.

Das Beispiel finde ich anschaulich: deswegen funktioniert oft diese Vernunft nicht: wenn sie nicht in der Lage ist ausreichend negative Gefühle zu erzeugen, zB dass man sich unwohl fühlen wird, wenn man den Schokoaufstich nimmt, reichen Verstand und Vernunft nicht aus, die Lust auf Schokaufstrich zu unterdrücken und sich zu motivieren ihn trotz Versuchung nicht zu essen.

Menschen, deren limbisches System, zB die Amylgdala beschädigt ist, haben deswegen übrigens enorme Schwierigkeiten Entscheidungen zu treffen.

#313: Re: Modernes Strafrecht Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 18:06
    —
Kival hat folgendes geschrieben:
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Wolf hat folgendes geschrieben:
Nur weil es determiniert war, bedeutet es nicht, dass er nichts dafür kann.


Der Mensch ist doch dann einfach nur ein Objekt, dass inneren und äusseren Einflüssen ausgeliefert ist und von ihnen wie ein Blatt im Wind durchs Leben getragen wird.


Der Mensch *ist* seine inneren Einflüsse!


So so. Und Natur und Gesellschaft als *Umwelt* existieren nicht, oder was?

Was bist du denn für einer? Denkst du, der Mensch sei ein Automat?

#314: Re: Modernes Strafrecht Autor: astarte BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 18:09
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:

Was bist du denn für einer?

Lachen
Jemand, der viel blickt. Siehe die verlinkten Artikel oben.

#315: Re: Modernes Strafrecht Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 18:10
    —
astarte hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:

Was bist du denn für einer?

Lachen
Jemand, der viel blickt. Siehe die verlinkten Artikel oben.


Hm, mach den Kopf zu.

#316:  Autor: astarte BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 18:16
    —
Nicht gelesen, oder nicht verstanden. Aber rotzig werden. Chinesischer Reissack

#317:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 18:40
    —
astarte hat folgendes geschrieben:
Nicht gelesen, oder nicht verstanden. Aber rotzig werden. Chinesischer Reissack


O.k., o.k., war ein bisschen rotzig. Nehme ich im Ton zurück.

Was ich meinte war: Vorsichtig mit solchen undialektischen Ansichten. Das ist durchaus keine seriöse Wissenschaft, die dahinter steckt.

Kival redet in diesem Punkt einfach Blödsinn. Aber er ist alt genug, um selber zu antworten, woher er solch einen Unsinn hat, dass der Mensch seine Antriebe sei oder so ähnlich.

Da ist mir zuviel irrationalistische Philosophie dahinter.

Aber schau'n wir mal ...- zwinkern

#318:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 18:43
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
undialektischen Ansichten

Wie geil! Das klingt so, wie andere Kreise das Wort "unkatholisch", bzw. "häretisch" benutzen! Lachen

#319:  Autor: Murphy BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 19:12
    —
Wolf hat folgendes geschrieben:
Murphy hat folgendes geschrieben:
Für den Deterministen gibt es schlicht keinerlei Verantwortung.

Dem widerspreche ich.

Na dann lass mal hören.

#320: Re: Modernes Strafrecht Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 28.03.2014, 19:25
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Der Mensch ist doch dann einfach nur ein Objekt, dass inneren und äusseren Einflüssen ausgeliefert ist und von ihnen wie ein Blatt im Wind durchs Leben getragen wird.

Nein, jeder Mensch hat so gehandelt, und dafür gibt es Ursachen. Das Wort "können" gehört hier gar nicht hin.

Samson83 hat folgendes geschrieben:
Schöngeist hat folgendes geschrieben:

Fakt ist, dass ich z.B. Emotionen rational kontrollieren kann.

Wird bestritten.

Vor allem ändert das ja auch gar nichts an der kausalen Bestimmtheit des Ganzen.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Kival hat folgendes geschrieben:
Der Mensch *ist* seine inneren Einflüsse!

So so. Und Natur und Gesellschaft als *Umwelt* existieren nicht, oder was?

Sorry, Skeptiker, aber das war mal wieder ein Schnellschuss. Was du in Kivals Äußerung reinliest, steht da einfach nicht.

#321: Re: Modernes Strafrecht Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 29.03.2014, 00:33
    —
Murphy hat folgendes geschrieben:
Du meinst also, wenn jemand jemand anderem Leid verursacht, dann ist es gerecht, wenn man noch mehr Leid verursacht? Das ist deine Vorstellung von Gerechtigkeit?


Ja, wer anderen Leid verursacht, der muss für diese Tat in einem für das verursachte Leid angemessenen Rahmen "büßen". Und dadurch entsteht Gerechtigkeit. Welche Strafe dann im Einzelnen für welche Tat angemessen ist, darüber kann man wie gesagt diskutieren und einen Konsens suchen.

Aber einige hier lernen Gerechtigkeit im Strafrecht generell ab. Die Frage der Gerechtigkeit und wie man diese durch Strafe wieder herstellen kann, soll gar keine Rolle mehr spielen.

#322: Re: Modernes Strafrecht Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 29.03.2014, 00:44
    —
astarte hat folgendes geschrieben:
Das Beispiel finde ich anschaulich: deswegen funktioniert oft diese Vernunft nicht: wenn sie nicht in der Lage ist ausreichend negative Gefühle zu erzeugen, zB dass man sich unwohl fühlen wird, wenn man den Schokoaufstich nimmt, reichen Verstand und Vernunft nicht aus, die Lust auf Schokaufstrich zu unterdrücken und sich zu motivieren ihn trotz Versuchung nicht zu essen.


Quatsch. Nach dieser Logik könnte man im Leben z.B. überhaupt keinerlei Disziplin aufbringen. Wenn ich abnehmen will (oder aus gesundheitlichen Gründen sogar muss), dann kann ich natürlich meine Gelüste auf Schokolade schlicht unterdrücken. Ich kann mich natürlich auch meinen Gelüsten hingeben, aber das ist dann widerum eine freie Entscheidung, die ich damit treffe.

Um beim Strafrecht zu bleiben:

Wenn ich eine bestimmte CD haben will, aber das notwendige Geld nicht habe sie zu kaufen, dann habe ich mehrere Optionen. Ich kann mir die CD zusammensparen und noch ein wenig warten, bis ich sie mir kaufen kann. Ich kann versuchen mir bei Familie/Freunden Geld zu leihen, um die CD zu kaufen. Ich kann mir die CD aus dem Kopf schlagen und eben komplett auf sie verzichten. Oder ich kann sie eben aus dem Laden stehlen, wissend, dass ich damit gegen ein Gesetz verstosse und bestimmte Konsquenzen dafür zu erwarten habe.

Also habe ich Handlungsmöglichkeiten.

Entscheide ich mich nun für den Diebstahl, kann man doch nicht sagen, dass ich so handeln musste bzw. nicht anders handeln konnte. Natürlich KANN ich anders handeln, aber ich habe mich dann eben für eines entschieden. Und für diese Entscheidung muss ich dann eben die Konsequenzen tragen.

#323: Re: Modernes Strafrecht Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 29.03.2014, 00:51
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Nach dieser Logik könnte man im Leben z.B. überhaupt keinerlei Disziplin aufbringen.

Den Zusammenhang zwischen Disziplin und Freiheit zu erforschen wäre in der Tat interessant.
Es gibt ja von Zizek schon ein paar ganz interessante Überlegungen in diese Richtung.

#324: Re: Modernes Strafrecht Autor: Kival BeitragVerfasst am: 29.03.2014, 00:56
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
astarte hat folgendes geschrieben:
Das Beispiel finde ich anschaulich: deswegen funktioniert oft diese Vernunft nicht: wenn sie nicht in der Lage ist ausreichend negative Gefühle zu erzeugen, zB dass man sich unwohl fühlen wird, wenn man den Schokoaufstich nimmt, reichen Verstand und Vernunft nicht aus, die Lust auf Schokaufstrich zu unterdrücken und sich zu motivieren ihn trotz Versuchung nicht zu essen.


Quatsch. Nach dieser Logik könnte man im Leben z.B. überhaupt keinerlei Disziplin aufbringen. Wenn ich abnehmen will (oder aus gesundheitlichen Gründen sogar muss), dann kann ich natürlich meine Gelüste auf Schokolade schlicht unterdrücken..


Dass das "einfach so" funktioniert, kann man stark bezweifeln.

#325: Re: Modernes Strafrecht Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 29.03.2014, 00:57
    —
Kival hat folgendes geschrieben:
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Wenn ich abnehmen will (oder aus gesundheitlichen Gründen sogar muss), dann kann ich natürlich meine Gelüste auf Schokolade schlicht unterdrücken..

Dass das "einfach so" funktioniert, kann man stark bezweifeln.

Allerdings. Ich hab' zwar in den letzten neun Monaten fünfzehn Kilo abgenommen, aber "einfach so" ging das ganz sicher nicht.

#326: Re: Modernes Strafrecht Autor: astarte BeitragVerfasst am: 29.03.2014, 01:10
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
astarte hat folgendes geschrieben:
Das Beispiel finde ich anschaulich: deswegen funktioniert oft diese Vernunft nicht: wenn sie nicht in der Lage ist ausreichend negative Gefühle zu erzeugen, zB dass man sich unwohl fühlen wird, wenn man den Schokoaufstich nimmt, reichen Verstand und Vernunft nicht aus, die Lust auf Schokaufstrich zu unterdrücken und sich zu motivieren ihn trotz Versuchung nicht zu essen.


Quatsch. Nach dieser Logik könnte man im Leben z.B. überhaupt keinerlei Disziplin aufbringen. Wenn ich abnehmen will (oder aus gesundheitlichen Gründen sogar muss), dann kann ich natürlich meine Gelüste auf Schokolade schlicht unterdrücken. Ich kann mich natürlich auch meinen Gelüsten hingeben, aber das ist dann widerum eine freie Entscheidung, die ich damit treffe.

Um beim Strafrecht zu bleiben:

Wenn ich eine bestimmte CD haben will, aber das notwendige Geld nicht habe sie zu kaufen, dann habe ich mehrere Optionen. Ich kann mir die CD zusammensparen und noch ein wenig warten, bis ich sie
mir kaufen kann. Ich kann versuchen mir bei Familie/Freunden Geld zu leihen, um die CD zu kaufen. Ich kann mir die CD aus dem Kopf schlagen und eben komplett auf sie verzichten. Oder ich kann sie
eben aus dem Laden stehlen, wissend, dass ich damit gegen ein Gesetz verstosse und bestimmte Konsquenzen dafür zu erwarten habe

Also habe ich Handlungsmöglichkeiten.

Entscheide ich mich nun für den Diebstahl, kann man doch nicht sagen, dass ich so handeln musste
bzw. nicht anders handeln konnte. Natürlich KANN ich anders handeln, aber ich habe mich dann eben für eines entschieden. Und für diese Entscheidung muss ich dann eben die Konsequenzen tragen.
wow wie du die Ergebnisse von Hirnforschung mit messerscharfen Argumenten widerlegst ist
schon bemerkenswert. Ich bin überzeugt.

Natürlich sind die nur nicht so diszipliniert wie du, die bösen. Uns drum eins druff, das hilft bestimmt.

Die Welt kann so einfach sein. Lachen

#327: Re: Modernes Strafrecht Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 29.03.2014, 03:06
    —
astarte hat folgendes geschrieben:
wow wie du die Ergebnisse von Hirnforschung mit messerscharfen Argumenten widerlegst ist schon bemerkenswert. Ich bin überzeugt.

Das Beispiel mit der Schokolade hattest du gebracht. Und mit Hirnforschung hat das Beispiel nichts zu tun. Schöngeist kann nun wirklich nichts dafür, dass du so leicht zu widerlegende Beispiele verwendest, um Erkenntnisse der Hirnforschung zu illustrieren. Natürlich ist mit dem Beispiel noch nicht die Erkenntnis widerlegt. Nur halt das Beispiel.

#328: Re: Modernes Strafrecht Autor: astarte BeitragVerfasst am: 29.03.2014, 07:51
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
astarte hat folgendes geschrieben:
wow wie du die Ergebnisse von Hirnforschung mit messerscharfen Argumenten widerlegst ist schon bemerkenswert. Ich bin überzeugt.

Das Beispiel mit der Schokolade hattest du gebracht. Und mit Hirnforschung hat das Beispiel nichts zu tun. Schöngeist kann nun wirklich nichts dafür, dass du so leicht zu widerlegende Beispiele verwendest, um Erkenntnisse der Hirnforschung zu illustrieren. Natürlich ist mit dem Beispiel noch nicht die Erkenntnis widerlegt. Nur halt das Beispiel.

Nein, das habe ich nicht gebracht. Nur weiter geführt. Verständlich ist aber, dass Schongeist lieber nicht auf die verlinkten Artikel eingeht. Nicht dass seine gaaar nicht emotionalen Denkmuster wie seine persönliche Empfindung was gerecht (zb bezüglich Strafen) wäre, ins Wanken kommt... zwinkern

#329:  Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 29.03.2014, 12:05
    —
Ich habe auch ein Beispiel konkret zum Strafrecht gebracht:

"Wenn ich eine bestimmte CD haben will, aber das notwendige Geld nicht habe sie zu kaufen, dann habe ich mehrere Optionen. Ich kann mir die CD zusammensparen und noch ein wenig warten, bis ich sie
mir kaufen kann. Ich kann versuchen mir bei Familie/Freunden Geld zu leihen, um die CD zu kaufen. Ich kann mir die CD aus dem Kopf schlagen und eben komplett auf sie verzichten. Oder ich kann sie
eben aus dem Laden stehlen, wissend, dass ich damit gegen ein Gesetz verstosse und bestimmte Konsquenzen dafür zu erwarten habe

Also habe ich Handlungsmöglichkeiten.

Entscheide ich mich nun für den Diebstahl, kann man doch nicht sagen, dass ich so handeln musste
bzw. nicht anders handeln konnte. Natürlich KANN ich anders handeln, aber ich habe mich dann eben für eines entschieden. Und für diese Entscheidung muss ich dann eben die Konsequenzen tragen."

Also wo liegt da nun die angebliche HandlungsUNfreiheit? Frage

#330:  Autor: WolfWohnort: Zuhause BeitragVerfasst am: 29.03.2014, 13:27
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:

Entscheide ich mich nun für den Diebstahl, kann man doch nicht sagen, dass ich so handeln musste
bzw. nicht anders handeln konnte. Natürlich KANN ich anders handeln, aber ich habe mich dann eben für eines entschieden. Und für diese Entscheidung muss ich dann eben die Konsequenzen tragen."

Die Entscheidung fällst du allerdings nicht zufällig. Aufgrund deiner Erziehung, Sozialisation,
usw. ist aus dir ein anständiger Mensch geworden, der sich (einigermaßen) bestimmt gegen den Diebstahl entscheidet.

Das kann/muss wird hier auf zwei unterschiedlichen Ebenen gebraucht.
(Ebenso die Handlungsfreiheit.)

#331:  Autor: astarte BeitragVerfasst am: 29.03.2014, 15:01
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Ich habe auch ein Beispiel konkret zum Strafrecht gebracht:

"Wenn ich eine bestimmte CD haben will, aber das notwendige Geld nicht habe sie zu kaufen, dann habe ich mehrere Optionen. Ich kann mir die CD zusammensparen und noch ein wenig warten, bis ich sie
mir kaufen kann. Ich kann versuchen mir bei Familie/Freunden Geld zu leihen, um die CD zu kaufen. Ich kann mir die CD aus dem Kopf schlagen und eben komplett auf sie verzichten. Oder ich kann sie
eben aus dem Laden stehlen, wissend, dass ich damit gegen ein Gesetz verstosse und bestimmte Konsquenzen dafür zu erwarten habe

Also habe ich Handlungsmöglichkeiten.

Entscheide ich mich nun für den Diebstahl, kann man doch nicht sagen, dass ich so handeln musste
bzw. nicht anders handeln konnte. Natürlich KANN ich anders handeln, aber ich habe mich dann eben für eines entschieden. Und für diese Entscheidung muss ich dann eben die Konsequenzen tragen."

Also wo liegt da nun die angebliche HandlungsUNfreiheit? Frage

hast du einen der Artikel denn gelesen?
Da steht doch, was deine Entscheidungen beeinflusst und zwar deine Emotionen stärker als dir bewusst ist, und du glauben möchtest. Schulterzucken

#332:  Autor: AlexJWohnort: Köln BeitragVerfasst am: 29.03.2014, 15:44
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Ich habe auch ein Beispiel konkret zum Strafrecht gebracht:

"Wenn ich eine bestimmte CD haben will, aber das notwendige Geld nicht habe sie zu kaufen, dann habe ich mehrere Optionen. Ich kann mir die CD zusammensparen und noch ein wenig warten, bis ich sie mir kaufen kann. Ich kann versuchen mir bei Familie/Freunden Geld zu leihen, um die CD zu kaufen. Ich kann mir die CD aus dem Kopf schlagen und eben komplett auf sie verzichten. Oder ich kann sie eben aus dem Laden stehlen, wissend, dass ich damit gegen ein Gesetz verstosse und bestimmte Konsquenzen dafür zu erwarten habe.

Also habe ich Handlungsmöglichkeiten."


Kommt auf das "Ich" an. Ähnlich wie ein bestimmter Würfel der aus einer bestimmten Position in einer bestimmten Umgeben losgelassen wird keine Möglichkeit hat anders zu fallen. Hat ein bestimmtes Ich in einer bestimmten Situation keine Möglichkeit anders zu handeln. Ist der Würfel jedoch nicht genau bestimmt kann das Ergebnis im Rahmen der durch die Unbestimmtheit des Würfels zugelassene Variabilität jedoch variieren. Sprachlich kann man das als Möglichkeit bezeichnen. Ähnliches gilt für dein Ich.

Das was du als Handlungsmöglichkeit bezeichnest ist nur deine Unwissenheit.

#333:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 29.03.2014, 18:01
    —
Meine Ansicht habe ich ja zu Beginn des Threads schon ausführlich dargelegt. Daher hier nur noch zwei kurze Bemerkungen:

Nehmen wir an, der Verbrecher wäre nochmal exakt in derselben Situation. Würde er sich wieder gleich entscheiden?

Ja -> die Entscheidung ist determiniert (von den Umständen inklusive den Umständen im Gehirn)
Nein -> eine Entscheidung hat eine Zufallskomponente

Man müßte die Schuld also entweder an den Determinationen festmachen oder an der Zufallskomponente. Beides scheint mir unlogisch.


Und noch ein Punkt, auf den ich schon oft hingewiesen habe: Gerade in moralischen Fragen sind wir als Gemeinschaft ja an möglichst großer Determination der Entscheidungen Anderer interessiert. Wir wollen, daß möglicht jeder sich einer entsprechenden Situation gemäß den geltenden Grundregeln verhält (nicht mordet usw.). Wir tun sogar, etwa in der Erziehung, recht viel dafür, daß die Menschen in solchen Situationen gerade nicht frei entscheiden, sondern nach eingepflanzten Präferenzen. Freiheiten sollen sie möglichst nur bei Entscheidungen haben, die keine wesentliche moralische Komponente besitzen, sondern aus Sicht der Gemeinschaft indifferent sind, fast zufällig, könnte man sagen. Zum Beispiel ob jemand ein rotes oder blaues T-Shrt anzieht.

#334:  Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 29.03.2014, 23:28
    —
Wolf hat folgendes geschrieben:
Die Entscheidung fällst du allerdings nicht zufällig. Aufgrund deiner Erziehung, Sozialisation,
usw. ist aus dir ein anständiger Mensch geworden, der sich (einigermaßen) bestimmt gegen den Diebstahl entscheidet.


Na diese Ideologie war doch in den 60ern und 70ern schonmal "in":

"Der Täter kann nichts dafür, er hatte eine schwere Kindheit / kommt aus schwierigen Verhältnissen etc."

Natürlich werden Menschen durch Sozialisation und Erziehung geprägt. Das bedeutet aber nicht, dass man keine Handlungsoptionen hat und nicht eine freie Wahl hat, wie man sich verhält.

Ich halte es für stark ideologisch zu behaupten, dass jede menschliche Entscheidung zwingend sei und der Mensch gar nicht in der Lage gewesen sei eine andere Entscheidung zu fällen.

Das ist in etwa dasselbe wie der Glaube an "Schicksal", so eine Art kosmische Vorherbestimmung allen Geschehens in der Welt. Mit den Augen rollen

#335:  Autor: WolfWohnort: Zuhause BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 01:37
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Wolf hat folgendes geschrieben:
Die Entscheidung fällst du allerdings nicht zufällig. Aufgrund deiner Erziehung, Sozialisation,
usw. ist aus dir ein anständiger Mensch geworden, der sich (einigermaßen) bestimmt gegen den Diebstahl entscheidet.


Na diese Ideologie war doch in den 60ern und 70ern schonmal "in":

"Der Täter kann nichts dafür, er hatte eine schwere Kindheit / kommt aus schwierigen Verhältnissen etc."

Das ist nicht meine. Wir sind uns hier näher als du denkst.
Zitat:

Natürlich werden Menschen durch Sozialisation und Erziehung geprägt. Das bedeutet aber nicht, dass man keine Handlungsoptionen hat und nicht eine freie Wahl hat, wie man sich verhält.

Ich halte es für stark ideologisch zu behaupten, dass jede menschliche Entscheidung zwingend sei und der Mensch gar nicht in der Lage gewesen sei eine andere Entscheidung zu fällen.

Meine Entscheidung keinen Diebstahl zu begehen ist jedenfalls nicht zufällig, sondern bestimmt.
Stell dir doch mal vor, was es bedeuten würde, wenn sie zufällig wäre.
Dann könnte ich bei all meinen Entscheidungen durch ein passendes Zufallsgerät (z.B. Münzwurf) ersetzt werden.

Ansonsten hat die Diskussion wenig Sinn, da verschiedene Ebenen vermischt werden.
Und es schon ellenlange Diskussionen zu den Thema im Forum gibt.

#336:  Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 03:26
    —
Wolf hat folgendes geschrieben:
Meine Entscheidung keinen Diebstahl zu begehen ist jedenfalls nicht zufällig, sondern bestimmt.
Stell dir doch mal vor, was es bedeuten würde, wenn sie zufällig wäre.
Dann könnte ich bei all meinen Entscheidungen durch ein passendes Zufallsgerät (z.B. Münzwurf) ersetzt werden.


Entscheidungen sind kein Zufall, aber auch nicht "vorherbestimmt" in dem Sinn, dass der Person nur eine bestimmte Entscheidung möglich ist und alle anderen Optionen gar nicht gewählt werden können.

Wenn ich mich entscheide einen Diebstahl zu begehen, dann ist das keine Zufallsentscheidung, sondern eben eine, die rational irgendwie begründet und abgewogen ist. Und ich verstehe nicht, warum es dann für diese Handlung keine Verantwortlichkeit geben sollte.

Nur mal so:

Im Strafrecht wird bei der Urteilsfindung und der Strafzumessung auch berücksichtigt, welche Motivation den Täter getrieben hat und aus welcher Situation heraus die Tat begangen wurde.

Es gibt ja z.B. auch Taten, die im Affekt begangen werden. Das wird dann anders beurteilt, als eine Tat, die von langer Hand und rational kalkuliert geplant wurde.

#337:  Autor: astarte BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 09:19
    —
Schongeist: du stehst also immer im Laden und wägst rational ab, ob du jetzt einen Diebstahl begehen sollst oder nicht?

#338:  Autor: WolfWohnort: Zuhause BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 09:50
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:

Entscheidungen sind kein Zufall, aber auch nicht "vorherbestimmt" in dem Sinn, dass der Person nur eine bestimmte Entscheidung möglich ist und alle anderen Optionen gar nicht gewählt werden können.

Als Mensch bin ich in der Lage mir verschiedene Handlungen und ihre Konsequenzen ("Möglichkeiten") vorzustellen, ich wähle allerdings nicht zufällig aus, sondern die Auswahl ist
[zumindest im Wesentlichen] bestimmt, also determiniert.
Sie wird also nicht zufällig ausgewählt.
Zitat:

Wenn ich mich entscheide einen Diebstahl zu begehen, dann ist das keine Zufallsentscheidung, sondern eben eine, die rational irgendwie begründet und abgewogen ist.
Zwischen Zufall(Indeterminismus) und Bestimmtheit(Determinismus) gibt es kein Drittes.
Zitat:

Und ich verstehe nicht, warum es dann für diese Handlung keine Verantwortlichkeit geben sollte.

Ich halte die Menschen für [die meisten] ihre[r] Handlungen verantwortlich. zwinkern

#339:  Autor: WolfWohnort: Zuhause BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 09:53
    —
astarte hat folgendes geschrieben:
Schongeist: du stehst also immer im Laden und wägst rational ab, ob du jetzt einen Diebstahl begehen sollst oder nicht?

Das muss er doch gar nicht.
Wenn er aber einen Diebstahl begeht, ist dies eine bewusste Entscheidung.
Auch wenn sie auf emotionaler Ebene/im Unterbewusstsein/wasauchimmer bereits vorweg genommen wird.

#340:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 09:56
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Ich halte es für stark ideologisch zu behaupten, dass jede menschliche Entscheidung zwingend sei und der Mensch gar nicht in der Lage gewesen sei eine andere Entscheidung zu fällen.

Das ist in etwa dasselbe wie der Glaube an "Schicksal", so eine Art kosmische Vorherbestimmung allen Geschehens in der Welt. Mit den Augen rollen

Man soll sich entscheiden zwischen dem Glauben an freien Willen und dem Glauben an göttliche Providenz?

Das passt mir irgendwie beides nicht. zwinkern

Wolf hat folgendes geschrieben:
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Wenn ich mich entscheide einen Diebstahl zu begehen, dann ist das keine Zufallsentscheidung, sondern eben eine, die rational irgendwie begründet und abgewogen ist.

Zwischen Zufall(Indeterminismus) und Bestimmtheit(Determinismus) gibt es kein Drittes.

Ich hab' das Gefühl, dass bei Schöngeist letztlich Kants Dualismus dahintersteht, der eine zweite, nicht-natürliche bzw. geistige Form der "Kausalität als Freiheit" postuliert, bei der die Vernunft selbst neue Kausalreihen erzeugt.

#341:  Autor: astarte BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 11:35
    —
Wolf hat folgendes geschrieben:
astarte hat folgendes geschrieben:
Schongeist: du stehst also immer im Laden und wägst rational ab, ob du jetzt einen Diebstahl begehen sollst oder nicht?

Das muss er doch gar nicht.
Wenn er aber einen Diebstahl begeht, ist dies eine bewusste Entscheidung.
Auch wenn sie auf emotionaler Ebene/im Unterbewusstsein/wasauchimmer bereits vorweg genommen wird.

Tja eben, das is der Punkt.

Ich denke, wenn man gar nicht versteht, was einen selbst und andere zu Entscheidungen und Verhaltensweisen bewegt, fällt es entsprechend schwerer seine Impulse und Handlungen zu regulieren. Nur ein geringer Bruchteil dessen was sich im Gehirn für Verschaltungen und Vorgänge abspielen, wenn wir im Begriff sind uns zu verhalten oder zu handeln, ist uns bewusst. Um ein paar wichtige Einflüsse, die uns zu einer Sache bewegen, ins Bewusstsein zu holen, muss ich erst mal wissen und akzeptieren, was mich alles beeinflusst. Empfindungen, verknüpft mit Erinnerungen, Fantasien und Gedanken, Ängste, Erwartungen, .... u.v.m.


"Ich entscheide mich fürs Gute, und der halt fürs Böse" oder "ich verhalte mich vernünftig, der andere halt unvernünftig, keine Ahnung warum, wird wohl blöd sein" ist eine sehr schlichte Sichtweise, die niemandem irgendwie weiter hilft. Wieso fällt es denn so vielen Menschen dennoch so schwer ihnen selbst als schädlich verstandenen Verhaltensweisen abzulegen? Man will abnehmen, Rauchen aufhören, unglücklich machende Beziehungsverhaltensweisen ändern?
Es ist nicht vernünftig zu klauen, wenn man schon mehrmals erwischt wurde, und schärfere Strafen zu erwarten hat. Warum tut jemand es dennoch?

#342:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 12:25
    —
astarte hat folgendes geschrieben:
Nur ein geringer Bruchteil dessen was sich im Gehirn für Verschaltungen und Vorgänge abspielen, wenn wir im Begriff sind uns zu verhalten oder zu handeln, ist uns bewusst.

Was sich während meiner Entscheidung in meinem eigenen Gehirn an physikalischen, chemischen, elektrischen, etc. Prozessen abspielt, ist mir selbst nicht zu einem Bruchteil, sondern vielmehr in aller Regel überhaupt nicht bewusst.

#343:  Autor: astarte BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 12:27
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
physikalischen, chemischen, elektrischen, etc. Prozessen


Ok, ich merke niemanden interessiert, wovon ich eigentlich rede, auch wenn es dabei steht, keiner liest (oder kapiert) die Artikel, die ich dazu verlinkt habe.
Und tschüß Winken

#344:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 12:30
    —
astarte hat folgendes geschrieben:
Ok, ich merke niemanden interessiert, wovon ich eigentlich rede, auch wenn es dabei steht, keiner liest (oder kapiert) die Artikel, die ich dazu verlinkt habe.

Doch, ich habe den Artikel gelesen. Ich habe aber nicht auf den Artikel geantwortet, sondern auf deinen Beitrag. Winken

Dass du dich nicht präzise ausdrücken kannst, ist nicht die Schuld der Leser.

#345:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 13:08
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
astarte hat folgendes geschrieben:
Ok, ich merke niemanden interessiert, wovon ich eigentlich rede, auch wenn es dabei steht, keiner liest (oder kapiert) die Artikel, die ich dazu verlinkt habe.

Doch, ich habe den Artikel gelesen. Ich habe aber nicht auf den Artikel geantwortet, sondern auf deinen Beitrag. Winken

Dass du dich nicht präzise ausdrücken kannst, ist nicht die Schuld der Leser.


Ich finde es schon wichtig, darüber zu diskutieren. Nur 1. sind mir solche Erkenntnisse bereits seit langem bekannt und 2. ist die Sache nicht so einfach, wie sie in den Artikeln dargestellt wird.

Wie schon gesagt, hängen Antriebe, Denken und Handeln nicht nur mit internen Bedingungen eines Lebewesens zusammen. Allein schon die Frage, wann ein Lebewesen welche Erkenntnise aus seiner Umwelt gewinnt, ist keine Frage der bloß inneren Anatomie und Physiologie (des Gehirns, u.a. Organe), sondern eine Frage der Wechselwirkung zwischen Lebwesen und Umwelt.

Hier kommt übrigens auf vielfache Weise auch immer wieder der Aspekt des Zufalls ins Spiel. Viele Erkenntnisse werden zufällig gewonnen (oder auch nicht).

Somit kann man für das Gesamtsystem Mensch-Umwelt keinen Determinismus voraus setzen.

Des weiteren ist die Kategorie des Unbewussten im Verhältnis zum Bewussten noch mal was ganz anderes im Verhältnis zu Freiheit und Verantwortung. Das ist nämlich noch mal ein ganz anderes Thema ...-

#346:  Autor: astarte BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 13:58
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Ich habe aber nicht auf den Artikel geantwortet, sondern auf deinen Beitrag. Winken

Nicht wirklich.
Dass dir nicht bewusst ist, von welchem Neuron welches Axon grad elektrische Impulse leitet, und welche Transmitter welchen Synapsenspalt grade überwinden, ist bisschen trivial.

Deswegen habe ich in meinem Beitrag auch nichts davon geschrieben sondern von
Zitat:
Empfindungen, verknüpft mit Erinnerungen, Fantasien und Gedanken, Ängste, Erwartungen, .... u.v.m.

Mit den Augen rollen

#347:  Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 13:59
    —
astarte hat folgendes geschrieben:
Schongeist: du stehst also immer im Laden und wägst rational ab, ob du jetzt einen Diebstahl begehen sollst oder nicht?


Ich wäge nicht jedes Mal, wenn ich im Lade stehe ab:"Soll ich jetzt die CD stehlen oder soll ich nicht?". Diese Abwägung, dass Diebstahl ethisch schlecht ist, habe ich bereits vorher getroffen und verhalte mich entsprechend.

Aber mal theoretisch angenommen eines Tages stehe ich im Laden und denke mir:"Ach komm, steck die CD einfach ein, wird schon keiner mitbekommen."

Inwiefern sollte ich dann für diese Entscheidung nicht verantwortlich sein? Frage

#348:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 14:22
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Aber mal theoretisch angenommen eines Tages stehe ich im Laden und denke mir:"Ach komm, steck die CD einfach ein, wird schon keiner mitbekommen." Inwiefern sollte ich dann für diese Entscheidung nicht verantwortlich sein? Frage

Irgendetwas in den Umständen führt ja zu dieser Entscheidung - eine Summe von Umständen in Deinem Gehirn plus außerhalb. Nehmen wir mal an, die inneren Determinanten sind hier die entscheidenden, z.B. weil Du die Entscheidung ausführlich abwägst. Dein Verständnis von "Verantwortung" hängt offensichtlich wesentlich an dem Punkt,
- daß die Entscheidungsprozesse an einem Ort ablaufen (Gehirn), den Du zur Person gehörig ansiehst und
- daß die Entscheidungsprozesse (z.B. die Abwägung) nicht einfach ablaufen, sondern irgendwie von "Dir", was immer das dann noch ist, kontrolliert werden können.

Tatsächlich ist es aber so,
- daß Deine inneren Determinanten selbst wiederum ursprünglich von außen geprägt wurden (Biologie, Erziehung, Kultur, Erlebnisse usw.)
- daß die Kontrolle der "Person" über das, was sie ausmacht, eine Illusion ist.

Natürlich kann man die Verantwortung retten, indem man sie versteht als Erwartung der Gemeinschaft an das moralische ("verantwortungsbewußte") Handeln des Individuums. Wir messen dann demjenigen Verantwortung zu (und zwar immer im Voraus!), von dem wir meinen, daß er sie erfüllen wird. Tut er es nicht, können wir ggf. schließen, daß wir die falsche Erwartung an sein konformes Handeln hatten, notfalls dürfen wir ihm diese Verantwortung nicht mehr übertragen - sprich wir nehmen ihm etwa den Führerschein ab.

#349:  Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 15:13
    —
step hat folgendes geschrieben:
Tatsächlich ist es aber so,
- daß Deine inneren Determinanten selbst wiederum ursprünglich von außen geprägt wurden (Biologie, Erziehung, Kultur, Erlebnisse usw.)
- daß die Kontrolle der "Person" über das, was sie ausmacht, eine Illusion ist.


Das erklärt aber nicht, warum es keine Verantwortlichkeit für das eigene Handeln geben soll.

Diese Ideologie war doch schon bei den sogenannten "68ern" sehr verbreitet. Ein Straftäter werde nicht als solcher geboren, sondern er werde durch "die Gesellschaft" und seine "Erziehung" dazu gemacht. Ergo ist der Straftäter eigentlich ein Opfer der sozialen Umstände. "Schuld" daran, dass dieser Mensch eine straftat begangen hat ist demnach nicht der Mensch selbst, sondern die Gesellschaft, die Eltern, die Lehrer etc. pp.

Nun ist natürlich klar, dass wir geprägt werden durch Erziehung und soziale Umstände. Sicher lässt der Ursprung von gewissen Verhaltensweisen von Menschen auch damit erklären. Die Frage ist nur, ob mich das von meiner Verantwortlichkeit entbindet.

Nehmen wir z.B. junge SS-Männer im 2. Weltkrieg. Die sind in ihrer Jugend systematisch auf einen gewissen Hass, Gnadenlosigkeit und Brutalität hin gedrillt worden. Im Krieg hat diese "Erziehung" dann dazu geführt, dass viele als regelrechte Killer gehandelt haben. Klar sind diese Männer in gewisser Hinsicht auch "Opfer" einer Gehirnwäsche, die genau das Ziel verfolgte, sie zu funktionierenden Killern zu formen. Wären diese Männer nicht gezielt so systematisch auf dieses Ziel hin gedrillt worden, während sie wohl auch nicht so geworden und hätten wahrscheinlich diese Taten nicht begangen.

Die Frage ist aber doch, ob das letztlich eine Entschuldigung ist, die sie von jeglicher Verantwortlichkeit für ihre Handlungen entbindet.

#350:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 16:18
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Diese Ideologie war doch schon bei den sogenannten "68ern" sehr verbreitet. Ein Straftäter werde nicht als solcher geboren [...]

Wenn er als solcher geboren wird, ist das aber auch deterministisch und eben nicht dein "freier Wille". Mit den Augen rollen

#351:  Autor: AlexJWohnort: Köln BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 16:23
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Tatsächlich ist es aber so,
- daß Deine inneren Determinanten selbst wiederum ursprünglich von außen geprägt wurden (Biologie, Erziehung, Kultur, Erlebnisse usw.)
- daß die Kontrolle der "Person" über das, was sie ausmacht, eine Illusion ist.


Das erklärt aber nicht, warum es keine Verantwortlichkeit für das eigene Handeln geben soll.

Diese Ideologie war doch schon bei den sogenannten "68ern" sehr verbreitet. Ein Straftäter werde nicht als solcher geboren, sondern er werde durch "die Gesellschaft" und seine "Erziehung" dazu gemacht. Ergo ist der Straftäter eigentlich ein Opfer der sozialen Umstände. "Schuld" daran, dass dieser Mensch eine straftat begangen hat ist demnach nicht der Mensch selbst, sondern die Gesellschaft, die Eltern, die Lehrer etc. pp.


Nein. Das was du als Ideologie bezeichnest und hier darstellst hat nur scheinbar mit dem Determinismus zu tun den Step und andere hier versuchen dir zu erklären.
Das sieht man schon allein daran das es keinen Sinn ergibt der Gesellschaft, den Eltern, die Lehrer mehr Schuld zu zuweisen wie dem Individuum der die Straftat begangenen hat. Den diese Gesellschaft besteht aus Menschen die selber von ihrer Umwelt geprägt sind/waren.

Schöngeist hat folgendes geschrieben:

Nun ist natürlich klar, dass wir geprägt werden durch Erziehung und soziale Umstände. Sicher lässt der Ursprung von gewissen Verhaltensweisen von Menschen auch damit erklären. Die Frage ist nur, ob mich das von meiner Verantwortlichkeit entbindet.


Und wie Step bereits erklärte hängt das von der Definition von Verantwortung ab.

#352:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 16:26
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Diese Ideologie war doch schon bei den sogenannten "68ern" sehr verbreitet. Ein Straftäter werde nicht als solcher geboren, sondern er werde durch "die Gesellschaft" und seine "Erziehung" dazu gemacht.

Für meine Argumentation ist es egal, ob jemand "dazu geboren" oder "dazu gemacht" wurde.

Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Ergo ist der Straftäter eigentlich ein Opfer der sozialen Umstände.

"Opfer" ist der falsche Begriff, da er von den Hardlinern wertend zum Gegenbegriff zu "Täter" aufgeblasen wird. Ich würde eher neutral von "Produkt" der sozialen, biologischen usw. Umstände sprechen.

Schöngeist hat folgendes geschrieben:
"Schuld" daran, dass dieser Mensch eine straftat begangen hat ist demnach nicht der Mensch selbst, sondern die Gesellschaft, die Eltern, die Lehrer etc. pp.

Schuld gibt es in meinem Modell gar nicht. Wie ich bereits ausgeführt habe, sollte die Frage nicht lauten: "Wer ist schuld, an wem können wir uns rächen?", sondern "wie kann das Verbrechen am besten verhindert werden?".

Schöngeist hat folgendes geschrieben:
... Die Frage ist aber doch, ob das letztlich eine Entschuldigung ist, die sie von jeglicher Verantwortlichkeit für ihre Handlungen entbindet.

Entschuldigung setzt Schuld voraus, die Du ja erst zeigen willst. Und Verantwortung (für zukünftig konformes Verhalten) möchte ich natürlich schon jedem zuweisen, möglichst so, daß er ihr auch sicher nachkommt.

Verantwortung im Nachhinein zu übernehmen mag insofern sinnvoll sein, als es dabei helfen kann, zukünftig konformes Verhalten zu vermitteln: Wenn ein Verbrecher etwa plausibel machen kann, daß er die Unerwünschtheit seiner Tat einsieht und bereit ist daran mitzuarbeiten, daß dies nicht wieder geschieht, und dies auch vielleicht noch durch Taten (Therapien oder was auch immer) untermauert, dann fällt es mir leichter, ihm auch weiterhin Verantwortung zuzuweisen, also ihm z.B. seinen Führerschein zurückzugeben oder im Extremfall ihn unbeaufsichtigt herumlaufen zu lassen.

#353:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 18:30
    —
step hat folgendes geschrieben:
Wie ich bereits ausgeführt habe, sollte die Frage nicht lauten: "Wer ist schuld, an wem können wir uns rächen?", sondern "wie kann das Verbrechen am besten verhindert werden?"

Am besten natürlich durch flächendeckende Überwachung, die jedes von der Norm abweichende Verhalten sofort registriert und auswertet, sodass man sofort korrigierend einschreiten kann. zwinkern

#354:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 18:37
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wie ich bereits ausgeführt habe, sollte die Frage nicht lauten: "Wer ist schuld, an wem können wir uns rächen?", sondern "wie kann das Verbrechen am besten verhindert werden?"
Am besten natürlich durch flächendeckende Überwachung, die jedes von der Norm abweichende Verhalten sofort registriert und auswertet, sodass man sofort korrigierend einschreiten kann. zwinkern

Ich hab ja schon drauf gewartet, aber nein, das erscheint mir ethisch kontraproduktiv (Mißtrauen) - und auch irgendwie ineffizient. Ich kann kein Schölagwort nennen, das es auf den Punkt bringt - vielleicht "spielerisches Einüben" oder sowas in der Richtung?

#355:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 18:46
    —
step hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Am besten natürlich durch flächendeckende Überwachung, die jedes von der Norm abweichende Verhalten sofort registriert und auswertet, sodass man sofort korrigierend einschreiten kann. zwinkern

Ich hab ja schon drauf gewartet, aber nein, das erscheint mir ethisch kontraproduktiv (Mißtrauen) - und auch irgendwie ineffizient.

Ich weiss schon, dass du das nicht vertrittst. Nur die, die das vertreten oder sogar zu praktizieren versuchen, begründen das z.T. genau mit dem, was du gesagt hast. Stichwort "social engineering".

#356:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 18:51
    —
step hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wie ich bereits ausgeführt habe, sollte die Frage nicht lauten: "Wer ist schuld, an wem können wir uns rächen?", sondern "wie kann das Verbrechen am besten verhindert werden?"
Am besten natürlich durch flächendeckende Überwachung, die jedes von der Norm abweichende Verhalten sofort registriert und auswertet, sodass man sofort korrigierend einschreiten kann. zwinkern

Ich hab ja schon drauf gewartet, aber nein, das erscheint mir ethisch kontraproduktiv (Mißtrauen) - und auch irgendwie ineffizient. Ich kann kein Schölagwort nennen, das es auf den Punkt bringt - vielleicht "spielerisches Einüben" oder sowas in der Richtung?


Anstatt Kindergartenspiele zu machen, könnte man auch an den gesellschaftlichen Verhältnissen weltweit so einiges ändern. Das wäre die beste Prävention.

Aber sicher, es ginge auch so, wie Tarvoc das skizziert hat - und ich befürchte, das ist die Option des Bürgertums, welches ja an den Verhältnissen gerade nichts ändern will, sonst wäre es ja kein Bürgertum ...-

#357:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 18:57
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Aber sicher, es ginge auch so, wie Tarvoc das skizziert hat - und ich befürchte, das ist die Option des Bürgertums, welches ja an den Verhältnissen gerade nichts ändern will, sonst wäre es ja kein Bürgertum ...-

Naja, das Bürgertum hat die Welt auch gesellschaftlich in nur wenigen Jahrhunderten grundlegender verändert als jede sonstige herrschende Klasse bisher. Aber ich weiss, was du meinst.

#358:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 19:08
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
... und ich befürchte, das ist die Option des Bürgertums, welches ja an den Verhältnissen gerade nichts ändern will, sonst wäre es ja kein Bürgertum ...-

Wenn "das Bürgertum" nichts ändern will, warum sollte es nicht beim vergeltenden Strafrecht bleiben? Oder wird dieses eher von anderen ... Schichten bevorzugt? Und Überwachungsstaat kennt man ja ... ach, es hat keinen Sinn.

#359:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 19:14
    —
step hat folgendes geschrieben:
Wenn "das Bürgertum" nichts ändern will, warum sollte es nicht beim vergeltenden Strafrecht bleiben?

Weil "social engineering" zum Machterhalt sehr viel geeigneter ist als die klassischen Formen des Strafens. Nicht dass man das nicht kombinieren könnte...

step hat folgendes geschrieben:
Oder wird dieses eher von anderen ... Schichten bevorzugt?

Wie man's nimmt. Marx zum Beispiel zog tatsächlich das "sühnende" Strafrecht dem erzieherisch-präventiven vor, wobei er allerdings von Strafen insgesamt nicht viel hielt.
Warum er so dachte, kannst du z.B. in seiner Demontage von Eugène Sues Romancharakter Rudolf von Geroldstein aus den Mystères de Paris nachlesen.

Verklärung und Weltgang der kritischen Kritik

#360:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 19:28
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wenn "das Bürgertum" nichts ändern will, warum sollte es nicht beim vergeltenden Strafrecht bleiben?
Weil "social engineering" zum Machterhalt sehr viel geeigneter ist als die klassischen Formen des Strafens.

Mag sein. "Social engineering" ist ja beides. Nur die Methoden sind unterschiedlich. Übrigens bin ich nicht grundsätzlich gegen social engineering, im Gegenteil. Es darf nur nicht darauf hinauslaufen, daß mehr Interessen verletzt als geschützt werden.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Oder wird dieses eher von anderen ... Schichten bevorzugt?
Wie man's nimmt. Marx zum Beispiel zog tatsächlich das "sühnende" Strafrecht dem erzieherisch-präventiven vor, wobei er allerdings von Strafen insgesamt nicht viel hielt. ...

Das war mir nicht bekannt. Ich dachte weniger an Marx, sondern eher an die klassischen Rübe-ab-Stammtischproleten. Anders ausgedrückt, wen trifft Euer Vorwurf denn eigentlich in Deutschland? Die Macht, die der deutsche Bürger erhalten will, hat er im wesentlichen gegenüber der Dritten Welt. Wenn er hier Überwachung einführt, trifft es ihn hauptsächlich selbst.

PS: Verbrechen zieht sich durch alle Schichten.

#361:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 19:38
    —
step hat folgendes geschrieben:
Übrigens bin ich nicht grundsätzlich gegen social engineering, im Gegenteil. Es darf nur nicht darauf hinauslaufen, daß mehr Interessen verletzt als geschützt werden.

Nun, Social Engineering zielt ja auch darauf, "Interessen" überhaupt erst zu produzieren. Diese ganzen Wissensgebiete sind insgesamt nicht unproblematisch, weil sie immer einen beeinflussenden Akteur und einen zu beeinflussenden Bevölkerungsteil voraussetzen.
Social Self-Engineering ist etwas, das eigentlich erst noch zu erfinden wäre. Allerdings besteht an solchen Forschungsunternehmen leider nur wenig Interesse. Im Bereich Überwachung gibt's ja schon Ansätze unter dem Stichwort "Sousveillance".

step hat folgendes geschrieben:
Anders ausgedrückt, wen trifft Euer Vorwurf denn eigentlich in Deutschland?

Tja, wer hat ein Interesse an solchen Techniken in den europäischen Staaten? Erstens die Staaten selbst und zweitens so manche größeren Unternehmen.

#362:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 19:51
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Übrigens bin ich nicht grundsätzlich gegen social engineering, im Gegenteil. Es darf nur nicht darauf hinauslaufen, daß mehr Interessen verletzt als geschützt werden.
Nun, Social Engineering zielt ja auch darauf, "Interessen" überhaupt erst zu produzieren. Diese ganzen Wissensgebiete sind insgesamt nicht unproblematisch, weil sie immer einen beeinflussenden Akteur und einen zu beeinflussenden Bevölkerungsteil voraussetzen.

Ja, das sehe ich ähnlich. Einfach mit dem Holzhammer "umerziehen" geht nicht und wäre auch ethisch fragwürdig. Einflüsse der "Akteure" müssen relativ defensiv erfolgen (Angebote, liberale Erziehung, Aufklärung usw.) - beim Thema Strafrecht etwa könnte man dem Täter in bestimmten Fällen eine Wahl anbieten.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Anders ausgedrückt, wen trifft Euer Vorwurf denn eigentlich in Deutschland?
Tja, wer hat ein Interesse an z.B. Überwachung in den europäischen Staaten? Erstens die Staaten selbst und zweitens so manche größeren Unternehmen.

Genau, hier geht es gar nicht primär um das Bürgertum, sondern wenn dann um ganz andere Akteure.

#363:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 20:01
    —
step hat folgendes geschrieben:
Einflüsse der "Akteure" müssen relativ defensiv erfolgen (Angebote, liberale Erziehung, Aufklärung usw.).

Mir kommt's eher darauf an, dass die so Beeinflussten selbst zu Akteuren werden können. (Emanzipation)

step hat folgendes geschrieben:
Genau, hier geht es gar nicht primär um das Bürgertum, sondern wenn dann um ganz andere Akteure.

Wenn Skeptiker "Bürgertum" sagt, meint er das im Sinne von bourgeois - also von Eigentümer.

#364:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 20:20
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Anders ausgedrückt, wen trifft Euer Vorwurf denn eigentlich in Deutschland?

Tja, wer hat ein Interesse an z.B. Überwachung in den europäischen Staaten? Erstens die Staaten selbst und zweitens so manche größeren Unternehmen.


Ja, und ich hatte vor einiger Zeit ja auf das Projekt INDECT hingewiesen. Zusätzlich gibt es Visionen der genetischen Optimierung (Slojterdijk, "Ideen für einen Menschenpark").

Es sind keine Stammtischproleten, die solche Projekte der "sozialen und genetischen Transparenz" verfolgen und einem "Totalitarismus der Konformität" frönen. Sondern das sind Wissenschaftler, Techniker und Philosophen im Dienste des HERRN - des irdischen, versteht sich, also an der *subjektlosen Gewalt* der bürgerlichen Gesellschaft.

Das Stichwort heisst "Konformismus". Das Problem dabei ist, dass auch die Formung des Individuums, auch wenn sie mit schonenden Verfahren geschieht, die bestehenden Produktionsverhältnisse als das Maß jener Formung betrachtet.

Was bleibt, ist der Wahn, allein den Menschen anpassen zu müssen an die Verhältnisse, anstatt auch umgekehrt.

Diese nahezu totale Einseitigkeit der Anpassungsrichtung bezeichne ich als die bürgerliche Schranke oder auch als das absolute *no go* des gesellschaftlichen Fortschritts.

#365:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 21:01
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Einflüsse der "Akteure" müssen relativ defensiv erfolgen (Angebote, liberale Erziehung, Aufklärung usw.).
Mir kommt's eher darauf an, dass die so Beeinflussten selbst zu Akteuren werden können. (Emanzipation)

Da gehe ich gern mit.

#366:  Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 21:58
    —
step hat folgendes geschrieben:

Verantwortung im Nachhinein zu übernehmen mag insofern sinnvoll sein, als es dabei helfen kann, zukünftig konformes Verhalten zu vermitteln: Wenn ein Verbrecher etwa plausibel machen kann, daß er die Unerwünschtheit seiner Tat einsieht und bereit ist daran mitzuarbeiten, daß dies nicht wieder geschieht, und dies auch vielleicht noch durch Taten (Therapien oder was auch immer) untermauert, dann fällt es mir leichter, ihm auch weiterhin Verantwortung zuzuweisen, also ihm z.B. seinen Führerschein zurückzugeben oder im Extremfall ihn unbeaufsichtigt herumlaufen zu lassen.


Nehmen wir mal ein extremeres Beispiel als Falschparken:

Jemand begeht einen von langer Hand geplanten Mord aus Habgier. Nun wird der Mörder von der Polizei ermittelt und festgenommen. Der Mörder sagt nun:"Ok sorry, war ne blöde Sache. Wird in Zukunft nicht wieder vorkommen, ehrlich."

Dann soll die Justiz nun sagen:"Nagut, dann geh mal wieder nach Hause. Aber schön lieb sein in Zukunft, ja?"

Eine Therapie macht ja keinen Sinn, wenn der Mörder nicht psychisch krank ist. Also einfach laufen lassen. Es wurde zwar ein Mensch umgebracht, aber Schwamm drüber. Der Mörder wird das ja in Zukunft nun nicht mehr tun.

Stellst du dir das so vor? Mit den Augen rollen

#367:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 22:04
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Jemand begeht einen von langer Hand geplanten Mord aus Habgier. Nun wird der Mörder von der Polizei ermittelt und festgenommen. Der Mörder sagt nun:"Ok sorry, war ne blöde Sache. Wird in Zukunft nicht wieder vorkommen, ehrlich."

Dann soll die Justiz nun sagen:"Nagut, dann geh mal wieder nach Hause. Aber schön lieb sein in Zukunft, ja?"

Eine Therapie macht ja keinen Sinn, wenn der Mörder nicht psychisch krank ist. Also einfach laufen lassen. Es wurde zwar ein Mensch umgebracht, aber Schwamm drüber. Der Mörder wird das ja in Zukunft nun nicht mehr tun.

Unfug. Davon, dass er es nicht doch wieder tut, kann man doch nicht mal eben einfach so ausgehen. Und das folgt auch nicht aus dem, was step geschrieben hat.

#368:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 22:06
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Stellst du dir das so vor?

Nein Mit den Augen rollen

#369:  Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 30.03.2014, 22:30
    —
step hat folgendes geschrieben:
Nein Mit den Augen rollen


Dann mach es doch mal konkret, wie das Vorgehen in so einem Fall aussehen sollte/könnte, deiner Vorstellung nach.

#370:  Autor: Fake BeitragVerfasst am: 31.03.2014, 09:48
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:

Nehmen wir mal ein extremeres Beispiel als Falschparken:

Jemand begeht einen von langer Hand geplanten Mord aus Habgier. Nun wird der Mörder von der Polizei ermittelt und festgenommen. Der Mörder sagt nun:"Ok sorry, war ne blöde Sache. Wird in Zukunft nicht wieder vorkommen, ehrlich."

Dann soll die Justiz nun sagen:"Nagut, dann geh mal wieder nach Hause. Aber schön lieb sein in Zukunft, ja?"

Eine Therapie macht ja keinen Sinn, wenn der Mörder nicht psychisch krank ist. Also einfach laufen lassen. Es wurde zwar ein Mensch umgebracht, aber Schwamm drüber. Der Mörder wird das ja in Zukunft nun nicht mehr tun.

Stellst du dir das so vor? Mit den Augen rollen

Ein klassischer Gutmenschendreisatz:

1. Tatsachenbehauptung. Hier: Es gibt keine Handlungsfreiheit.
2. Bewertung. Hier: Der Gedanke ist mir unangenehm, ich fühle mich degradiert.
3. Schlußfolgerung: Tatsachenbehauptung muss falsch sein.

Herzlichen Glückwunsch damit hast du dich für die Sarrazin-Diskussion qualifiziert! Auf den Arm nehmen

Natürlich kann die Tatsachenbehauptung falsch sein. Aber nicht weil sie die nicht gefällt. Deine ganzen "dann-wäre-jas" sind keine Gegenargumente gegen die These, sondern emotionale Reaktionen auf die These. Eins Schlussfolgerung kann aber nie alleine mit einer Bewertung begründet werden.

Ob die Handlungsfreiheit existiert oder nicht, können nur Hirnforscher, Verhaltensbiologen etc. sicher beurteilen. Was auch immer ihr Ergebnis sein wird, für uns ändert sich erst mal nichts. Denn wir verlieren ja nicht plötzliche eine Freiheit, wir gewinnen die Erkenntnis, dass wir sie nie hatten. Idee

Letztlich geht es um die spannende Frage, wie wir funktionieren. Es gab in der Geschichte immer Menschen, die neues Wissen aus Angst vor Veränderungen bekämpft haben. Du solltest dich mal ganz nüchtern fragen, auf welcher Seite du stehen möchtest. zwinkern

siehe auch: Sternstunde Philosophie - Entzaubert die Hirnforschung den Menschen?

#371:  Autor: WolfWohnort: Zuhause BeitragVerfasst am: 31.03.2014, 10:45
    —
Fake hat folgendes geschrieben:

Ob die Handlungsfreiheit existiert oder nicht, können nur Hirnforscher, Verhaltensbiologen etc. sicher beurteilen.

Ich wüsste nicht, was sie zur Frage der Handlungsfreiheit beisteuern können, bis auf die von Astarte bereits genannten Punkte.
Das tangiert das Problem der Handlungsfreiheit aber nur.
Dafür dass es Handlungsfreiheit im Sinne Schöngeists(?), die weder mit dem Determinismus noch mit Indeterminismus vereinbar ist, nicht gibt, brauche ich keinen Hirnforscher.

Allerdings gibt es ja auch andere Konzepte der Handlungsfreiheit, die weder der Hirnforschung noch einem Determinismus widersprechen.

#372:  Autor: astarte BeitragVerfasst am: 31.03.2014, 11:50
    —
Wolf hat folgendes geschrieben:

Ich wüsste nicht, was sie zur Frage der Handlungsfreiheit beisteuern können, bis auf die von Astarte bereits genannten Punkte.
Das tangiert das Problem der Handlungsfreiheit aber nur.

Das ist richtig. Genauso ist es noch lange keine Antwort auf die Frage nach Verantwortung und wie sich das im Strafrecht niederschlagen sollte.

Wissen zB wie ein Mensch seine Entscheidungen trifft, ist aber eine gute Möglichkeit dass man über eine rein emotionale Bewertung zu einer doch etwas vernünftigeren Bewertung kommen kann.

Wie zB zum Strafrecht das Gefühl: "das is böse und wenn der nicht schlimm bestraft wird, ist das volle ungerecht menno!" Vernünftiger wäre zu fragen, was uns rächende/vergeltende Strafen bringen. Sie machen nichts ungeschehen, aber was nutzen sie dann: schrecken sie ab, wirken sie erzieherisch, (und welche wie), verhindern sie ausreichend, schützen sie, helfen sie den Opfern wirklich, brauchen Unbeteiligte sie zur Abgrenzung und für ihr Selbstbild als "die Guten"? usw.

#373:  Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 01.04.2014, 11:42
    —
astarte hat folgendes geschrieben:
Vernünftiger wäre zu fragen, was uns rächende/vergeltende Strafen bringen. Sie machen nichts ungeschehen, aber was nutzen sie dann: schrecken sie ab, wirken sie erzieherisch, (und welche wie), verhindern sie ausreichend, schützen sie, helfen sie den Opfern wirklich, brauchen Unbeteiligte sie zur Abgrenzung und für ihr Selbstbild als "die Guten"? usw.


Mach es doch malö konkret anhand meines Beispiels:

Jemand begeht einen von langer Hand geplanten Mord aus Habgier. Nun wird der Mörder von der Polizei ermittelt und festgenommen. Der Mörder sagt nun:"Ok sorry, war ne blöde Sache. Wird in Zukunft nicht wieder vorkommen, ehrlich."

Dann sagt die Justiz:"Nagut, dann geh mal wieder nach Hause. Aber lass das morden bitte in Zukunft einfach sein, ok?"

Es wurde zwar ein Mensch umgebracht, aber Schwamm drüber. Der Mörder wird das ja in Zukunft nun nicht mehr tun, ergo braucht man auch keine Strafe?

#374:  Autor: Waschmaschine777 BeitragVerfasst am: 01.04.2014, 11:45
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:


Jemand begeht einen von langer Hand geplanten Mord aus Habgier. Nun wird der Mörder von der Polizei ermittelt und festgenommen. Der Mörder sagt nun:"Ok sorry, war ne blöde Sache. Wird in Zukunft nicht wieder vorkommen, ehrlich."



Und was sagen in deinem Beispiel die gerichtlich bestellten Gutachter?

#375:  Autor: Fake BeitragVerfasst am: 01.04.2014, 11:53
    —
Ob und wie ein Mörder bestraft wird, hat nichts mit der Handlungsfreiheit zu tun. Diese Frage ist nur für die Art der Begründung von Strafe relevant. Keine Handlungsfreiheit bedeutet nicht keine Strafe, sondern Strafe mit anderer Begründung.

#376:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 01.04.2014, 12:45
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
astarte hat folgendes geschrieben:
Vernünftiger wäre zu fragen, was uns rächende/vergeltende Strafen bringen. Sie machen nichts ungeschehen, aber was nutzen sie dann: schrecken sie ab, wirken sie erzieherisch, (und welche wie), verhindern sie ausreichend, schützen sie, helfen sie den Opfern wirklich, brauchen Unbeteiligte sie zur Abgrenzung und für ihr Selbstbild als "die Guten"? usw.


Mach es doch malö konkret anhand meines Beispiels:

Jemand begeht einen von langer Hand geplanten Mord aus Habgier. Nun wird der Mörder von der Polizei ermittelt und festgenommen. Der Mörder sagt nun:"Ok sorry, war ne blöde Sache. Wird in Zukunft nicht wieder vorkommen, ehrlich."

Dann sagt die Justiz:"Nagut, dann geh mal wieder nach Hause. Aber lass das morden bitte in Zukunft einfach sein, ok?"

Es wurde zwar ein Mensch umgebracht, aber Schwamm drüber. Der Mörder wird das ja in Zukunft nun nicht mehr tun, ergo braucht man auch keine Strafe?

1. Ist die Selbstauskunft des täters für die Wiederholungsgefahr völlig unerheblich
2. Ist eine Strafe auch erforderlich, um ANDERE Täter von der Tat abzuhalten
3. Um ein Vertrauen in die Geltungskraft der Norm aufrechtzuhalten (was du mit deinem obskuren Gerechtigkeitsbegriff nur unzureichend umschreibst).

#377:  Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 01.04.2014, 22:57
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
1. Ist die Selbstauskunft des täters für die Wiederholungsgefahr völlig unerheblich


Wieso das? Wenn der Täter nicht psychisch krank ist, sondern eben ein "ganze normaler" Mörder?

Samson83 hat folgendes geschrieben:
3. Um ein Vertrauen in die Geltungskraft der Norm aufrechtzuhalten (was du mit deinem obskuren Gerechtigkeitsbegriff nur unzureichend umschreibst).


Was ist denn für dich Gerechtigkeit, wenn beim Begriff von Gerechtigkeit für dich "obskur" ist?

#378:  Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 01.04.2014, 23:04
    —
Fake hat folgendes geschrieben:
Ob und wie ein Mörder bestraft wird, hat nichts mit der Handlungsfreiheit zu tun.


Natürlich hat es das. Wenn ein Mensch in einer schweren schizophrenen Psychose einen anderen Menschen umbringt, dann wird er dafür nicht bestraft, weil er in seinem geisteskranken Zustand gar nicht schuldfähig ist.

Nach der Logik derjenigen, die eine generelle Handlungsfreiheit des Menschen negieren, gilt diese generelle Schuldunfähigkeit für alle Menschen, weil eben niemand etwas dafür kann, wie er sich verhält. Ergo dürfte man keinen Verbrecher mehr bestrafen.

#379:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 01.04.2014, 23:15
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
1. Ist die Selbstauskunft des täters für die Wiederholungsgefahr völlig unerheblich

Wieso das? Wenn der Täter nicht psychisch krank ist, sondern eben ein "ganze normaler" Mörder?

Bekanntlich sind ja nur psychisch kranke Menschen dazu in der Lage, jemals etwas Falsches über sich selbst zu sagen. Mit den Augen rollen

Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Natürlich hat es das. Wenn ein Mensch in einer schweren schizophrenen Psychose einen anderen Menschen umbringt, dann wird er dafür nicht bestraft, weil er in seinem geisteskranken Zustand gar nicht schuldfähig ist.

Nach der Logik derjenigen, die eine generelle Handlungsfreiheit des Menschen negieren, gilt diese generelle Schuldunfähigkeit für alle Menschen, weil eben niemand etwas dafür kann, wie er sich verhält. Ergo dürfte man keinen Verbrecher mehr bestrafen.

Unfug. Man muss keinen freien Willen annehmen, um zwischen geistig kranken und geistig gesunden Menschen unterscheiden zu können.

#380:  Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 02.04.2014, 00:55
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Bekanntlich sind ja nur psychisch kranke Menschen dazu in der Lage, jemals etwas Falsches über sich selbst zu sagen. Mit den Augen rollen


Wie willst du feststellen, ob der Täter die Wahrheit sagt oder nicht? Frage

Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Unfug. Man muss keinen freien Willen annehmen, um zwischen geistig kranken und geistig gesunden Menschen unterscheiden zu können.


Wenn man behauptet, Menschen hätten generell keine Handlungsfreiheit, dann sind alle Menschen unschuldig für alle ihre Handlungen.

Deshalb müsste man geistig gesunde Menschen genauso mit Strafen verschonen wie Geisteskranke.

#381:  Autor: Murphy BeitragVerfasst am: 02.04.2014, 02:15
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Schöngeist hat folgendes geschrieben:

Wenn man behauptet, Menschen hätten generell keine Handlungsfreiheit, dann sind alle Menschen unschuldig für alle ihre Handlungen.

Da offenbar hier niemand willens oder fähig ist, Dir zu erklären was Determinismus ist, werd ich das jetzt mal tun, auch wenn das natürlich bedeutet mich hier vorm gesamten FGH lächerlich zu machen. Nun gut, wär ja nicht das erste mal.
Also schau: Du glaubst mir doch sicher, wenn ich Dir sage, dass nichts im Universum ohne Ursache entsteht, oder? Wenn irgendwas passiert, dann hat das doch auch eine Ursache, das leuchtet doch ein, oder? Wenn ein Blatt vom Baum fällt, dann z.B. weil ein Windstoß es vom Zweig gerissen hat, nachdem es vorher schon ausgetrocknet war.
Und es fällt nach bestimmten Gesetzen, der Schwerkraft z.B. und schneller oder langsamer, je nachdem, wieviel Luftwiderstand es hat, was wiederum von der Oberfläche abhängt, die dieses Blatt aufweist.

Wenn ich jetzt alle Informationen über dieses Blatt hätte: Also, wie es genau aussieht, wie schwer es ist, in welchem Winkel es vom Baum hing etc. etc., einfach alles wüsste über dieses Blatt und zusätzlich noch genau alles über die Umgebung dieses Blattes, also welcher Wind geht, wie schnell etc usw., kurz: Wenn ich alle Informationen darüber hätte, dann könnte ich doch anhand dieser Daten nach den herrschenden Gesetzmäßigkeiten ausrechnen, wo das Blatt wann wie landen würde. Ich könnte es doch einfach vorausberechnen, sofern ich alle dazu notwendigen Informationen besäße, oder nicht?

Das Blatt kann auch letzten Endes gar nicht anders vom Baum fallen, als wie es das tut, weil es eben von Gesetzmäßigkeiten und den Eigenschaften, die es hat, abhängt. Oder denkst Du es ist nur Zufall, dass das Blatt nach unten fällt und theoretisch könnte es auch nach oben fallen wenn kein Wind geht? Oder es ist nur Zufall, dass es hierhin fällt und nicht dorthin, obwohl doch der Wind so und so war und das Blatt so und so schwer?

Und so funktioniert alles im Universum: Es ist alles eine riesengroße Kausalkette und alles was passiert ist die Wirkung irgendeiner Ursache und wird wiederum Ursache einer anderen Wirkung. D.h. das Universum läuft ab wie ein riiiieeeesiges Uhrwerk von Anfang an führt eins zum andern und das wiederum führt zum nächsten und so weiter und so weiter, bis irgendwann der Mensch rauskommt.
Und wie ist das beim Menschen? Auch der Mensch wirkt nicht einfach so ohne Ursache, sondern alles was er tut steht genauso am Ende einer schier unendlich langen Kausalkette. Jeder Gedanke und jedes Gefühl ist irgendein bestimmter Zustand von Gehirn- und Nervenzellen in unserem Körper und diese wiederum sind geprägt durch die Erfahrungen und Erlebnisse, die bereits gemacht wurden und durch eine ganze Menge mehr. Aber sie funktionieren auch mit chemischen Prozessen und/oder elektrischer Energie oder was weiß ich, jedenfalls auch nach den Naturgesetzen und nicht beliebig.

Und auch da führt eine Reaktion zur Nächsten, jede Ursache zu einer ganz bestimmten Wirkung und nur zu einer einzigen, möglichen und das nicht durch Zufall, sondern nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten. So, und wenn ich jetzt alles ganz genau wüsste: Deine ganzen Eindrücke, Erlebnisse, Erfahrungen usw. jeder einzelnen Zelle in Deinem Gehirn und wenn ich zusätzlich noch Deine ganze Umwelt, mit der Du wechselwirkst, bis ins Detail kennen würde, dann könnte ich anhand dieser herrschenden Gesetzmäßigkeiten zumindest theoretisch vorausberechnen, wie Du Dich weiter verhalten würdest, denn es ist ja die logische Konsequenz einer Kausalkette. Oder denkst Du Neuron xy feuert jedesmal dreimal, wenn es gereizt wird, nur manchmal halt nicht, dann hat es keine Lust dazu oder sich plötzlich 'anders entschieden'? Oder woher soll eine 'freie Entscheidung' (und frei wovon???) plötzlich kommen, wenn nicht als logische, gesetzmäßige Fortführung einer Kausalkette?

Das heißt also, wenn ich genügend Information hätte und einen Rechner groß genug um das alles zu verarbeiten (und schnell genug müsste er auch noch sein), dann könnte ich alles im Universum vorausberechnen, weil alles eben, einmal in Gang gesetzt, in einer gigantischen Kausalkette abläuft. Das bedeutet Determinismus. Und nach dem gibts eben keine frei Entscheidung und auch kein Wirken außerhalb der Kausalkette.
Muss man nicht mögen, ist vielleicht nicht 100% korrekt dargestellt, entspricht nicht der 'kopenhagener Deutung' und ist vielleicht nicht gerade auf dem neuesten Stand, aber es ist Determinismus und der nimmt einfach jeden und alles aus der Verantwortung, zumindest prinzipiell.
Und es ist aber auch scheißegal, ob dann ein Mensch irgendwie verantwortlich für sein Handeln genannt oder gemacht wird, weil die Richter, Staatsanwälte, genauso wie der Rest der Welt um ihn herum genauso determiniert sind wie er selbst und nichts, aber auch gar nichts, anders geschehen kann als so wie es geschieht und darum sagt Nietzsche auch mit Recht:

Nietzsche hat folgendes geschrieben:
Niemand ist dafür verantwortlich, daß er überhaupt da ist, daß er so und so beschaffen ist, daß er unter diesen Umständen, in dieser Umgebung ist. Die Fatalität seines Wesens ist nicht herauszulösen aus der Fatalität alles Dessen, was war und was sein wird.


Und in diesem Sinne ist niemand verantwortlich und schon gar nicht schuldig.

#382:  Autor: Murphy BeitragVerfasst am: 02.04.2014, 04:54
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Im Übrigen brauchts den ganzen Schmonz gar nicht, Du brauchst bloß ne ehrliche Antwort geben auf die Frage, ob Du schon jemals eine Entscheidung getroffen hast, die Dir nicht als die beste erschien.
Sicher, Du hast schon oft Entscheidungen getroffen, die Dir nicht als die beste aller denkbar möglichen erschienen, bzw. die Wahl getroffen für das kleinere von mehreren Übeln. Aber unterm Strich entscheidest Du Dich immer für eine ganz bestimmte unter den gegebenen Umständen beste Möglichkeit zu handeln, und sei es, ein primäres Übel in Kauf zu nehmen um ein im übergeordneten Sinne höheres Gut zu erlangen. D.h. das wofür Du Dich entscheidest erscheint Dir immer als die beste Möglichkeit zu handeln, anders könntest Du Dich gar nicht dafür entscheiden. Die Bewertung, ob eine Entscheidung tatsächlich richtig oder falsch war erfolgt ja immer erst hinterher.

#383:  Autor: astarte BeitragVerfasst am: 02.04.2014, 09:25
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Murphy hat folgendes geschrieben:

Und in diesem Sinne ist niemand verantwortlich und schon gar nicht schuldig.

Genau damit hat er ja ein Problem. Da wird nur wieder kommen und sich wiederholen: aber, wenn der heimtückische Raubmörder sich doch für den Raubmord entscheidet, was ich ja aus rationalen Gründen nicht mache, dann sagst du 'passt scho, bist nicht schuld, duziduzi, geh fein heim, und machs nimmer, ge'

Weil er das hier:
Murphy hat folgendes geschrieben:
Im Übrigen brauchts den ganzen Schmonz gar nicht, Du brauchst bloß ne ehrliche Antwort geben auf die Frage, ob Du schon jemals eine Entscheidung getroffen hast, die Dir nicht als die beste erschien.
Sicher, Du hast schon oft Entscheidungen getroffen, die Dir nicht als die beste aller denkbar möglichen erschienen, bzw. die Wahl getroffen für das kleinere von mehreren Übeln. Aber unterm Strich entscheidest Du Dich immer für eine ganz bestimmte unter den gegebenen Umständen beste Möglichkeit zu handeln, und sei es, ein primäres Übel in Kauf zu nehmen um ein im übergeordneten Sinne höheres Gut zu erlangen. D.h. das wofür Du Dich entscheidest erscheint Dir immer als die beste Möglichkeit zu handeln, anders könntest Du Dich gar nicht dafür entscheiden. Die Bewertung, ob eine Entscheidung tatsächlich richtig oder falsch war erfolgt ja immer erst hinterher.

Nicht verstehen kann oder/und nicht glauben will.
Dass es an besagter sehr vielschichtiger und schwer nachzuvollziehender Kausalkette hängt, dass er selbst sich gegen zB Diebstahl oder Mord entscheiden kann, sogar wenn der Affekt ihm das grad schmackhaft machen will, und ein andere aber nicht, ist ihm nicht einsichtig.

Es ist ja auch in vielem schwer zu verstehen, wieso jemand Verbrechen begeht die einem selbst sowas von fern wären und hinterhältig, brutal und grausam erscheinen. Und der Gerechtigkeitssinn, der wünscht das würde irgendwie ausgeglichen ist auch menschlich. Und ebenso die Hoffnung, je schlimmere Strafe droht, diese umso abschreckender wirkt - das funktioniert ja aber bekanntlich leider nicht so besonders gut. Die Frage wie gehen wir mit Verbrechern um, ist nun mal keine einfache.
(und die Ansicht was strafwürdige Verbrechen sind, ist nichts statisches und festes, manche halten Homosexualität für ein todeswürdiges Verbrechen und halten das für gerecht.Früher hielt man Prügel für Kinder als unverzichtbares Erziehungsmittel, auch wer sein Kind liebte. Schulterzucken)

Um da bisschen dahinter zu steigen, müsste man aber ein wenig offener sein und bereit sich damit zu beschäftigen, das sehe ich bei Schöngeist aber gar nicht und halte ich die Antworten hier für sinnlos, wenn man ihm das näherbringen wollte.

Ich finde das Thema aber sehr interessant.
Hier ein Artikel der sich mit Täterpersönlichkeiten auseinander setzt und ein bisschen die Konsequenz fürs Strafrecht anreißt:
http://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article113639377/Bleiben-wir-ein-Leben-lang-dieselben.html

drei Täterpersönlichkeiten beschreibt der da:
Zitat:
Die instrumentellen Gewalttäter, die etwa ein Drittel der Intensivstraftäter ausmachen, seien nicht psychisch krank, sondern in einem Umfeld aufgewachsen, in der Gewalt zum Überleben notwendig war oder die bevorzugte Strategie zur Konfliktlösung. Ihnen fehle ein Unrechtsbewusstsein, so Roth, und sie sind gewissermaßen falsch konditioniert worden.

Bei dem größten Teil – etwa 60 Prozent aller Intensivtäter – handelt es sich aber um impulsiv-reaktive Täter. Diese Gruppe fühlt sich sehr schnell von anderen bedroht und reagiert darauf unangemessen, was bedeutet: Sie schlagen zu.

"Wir gehen davon aus, dass es ganz unterschiedliche Systeme gibt, die unsere Psyche organisieren", sagt Roth. Das allererste sei das Stressverarbeitungssystem. Bei den impulsiv-reaktiven Gewalttätern zeige sich, dass sie nicht gut Stress aushalten – sie fühlen sich zu schnell und zu viel bedroht.

"Das zweite ist die mangelnde Impulshemmung, die dazu führt, dass bei vermeintlicher Bedrohung schnell zugeschlagen wird. Und das dritte ist ein Defizit im Selbstberuhigungssystem", erklärt Roth.

Häufig sei bei den jugendlichen Schwerkriminellen die Fähigkeit zum Mitgefühl geschwächt. "Denen tut es ein bisschen leid, wenn sie jemandem wehgetan haben, aber das ist ganz schnell vorbei", sagt Roth. Schon im Kindergartenalter falle diese Gruppe auf: durch motorische Unruhe, Schwierigkeiten bei der Impulskontrolle, wenig Empathie und mangelndes Selbstvertrauen.

Die dritte und kleinste Gruppe machen mit rund zehn Prozent die Psychopathen aus. Sie zeigen bereits als kleine Kinder manipulatives Verhalten, Reuelosigkeit und lügen chronisch. Und auch im Erwachsenenalter sind dies die wichtigsten Merkmale. "Dazu kommt ihre Furchtlosigkeit und ihr hervorragendes manipulatorisches Geschick", erklärt Roth. "Psychopathen können die Gefühle anderer außerordentlich gut lesen, sind aber gleichzeitig völlig gefühllos und reuelos. Und sie haben dieses Charisma, diese extreme Außenwirkung – das macht sie so gefährlich."
....
Roth betont, dass man hier mit Abschreckung nicht weiterkommt. Zwar machen sie nur etwa zehn Prozent aller Täter aus – sie begehen aber 90 Prozent der Straftaten.


Ich lese da raus, dass man der Kausalkette besonder bei den Tätern der ersten und zweiten Gruppe gezielt neue Glieder zufügen versucht (zB Lernen stabile Beziehungen einzugehen), und andere zu schwächen versucht (zB das Umfeld meiden in dem Aggression ausleben anerkannt wird) usw

#384:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 02.04.2014, 09:29
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Schöngeist hat folgendes geschrieben:

Wieso das? Wenn der Täter nicht psychisch krank ist, sondern eben ein "ganze normaler" Mörder?

Wieso sollte er nicht lügen?

Zitat:

Was ist denn für dich Gerechtigkeit, wenn beim Begriff von Gerechtigkeit für dich "obskur" ist?

Für mein Strafverständnis ist dieser Begriff völlig überflüssig.


Zitat:
Wenn man behauptet, Menschen hätten generell keine Handlungsfreiheit, dann sind alle Menschen unschuldig für alle ihre Handlungen. Deshalb müsste man geistig gesunde Menschen genauso mit Strafen verschonen wie Geisteskranke.

Gefährliche Geisteskranke werden nicht "verschont", sondern eingesperrt.

#385:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 02.04.2014, 10:23
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Samson83 hat folgendes geschrieben:
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Was ist denn für dich Gerechtigkeit, wenn beim Begriff von Gerechtigkeit für dich "obskur" ist?
Für mein Strafverständnis ist dieser Begriff völlig überflüssig.

Schöngeist's Verständnis von "Gerechtigkeit" ist eher alttestamentarisch, so etwas wie Vergeltung / Rache / Sühne.

Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Wenn man behauptet, Menschen hätten generell keine Handlungsfreiheit, dann sind alle Menschen unschuldig für alle ihre Handlungen.

Selbst wenn Menschen Handlungsfreiheit haben, aber keine Willensfreiheit, wenn sie also zwar präferent handeln, aber ihre Präferenzen nicht selbst bestimmen, macht ein traditioneller Schuldbegriff keinen Sinn, in dem Sinne, daß derjenige tatsächlich anders hätte handeln können und daher schuldig sei.

Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Deshalb müsste man geistig gesunde Menschen genauso mit Strafen verschonen wie Geisteskranke.

Zumindest dürfte man Sanktionen nihct mit Schuld begründen.

Samson83 hat folgendes geschrieben:
Gefährliche Geisteskranke werden nicht "verschont", sondern eingesperrt.

Genau, und zwar weil man sie für gefährlich hält, nicht weil sie gesündigt haben. Das Sanktionsrecht mag wieder andere ethische Probleme aufwerfen (z.B. wie gut kann man die Gefährlichkeit beurteilen), aber das ist wieder eine andere Diskussion.

#386:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 02.04.2014, 10:29
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astarte hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Roth betont, dass man hier mit Abschreckung nicht weiterkommt. Zwar machen [die Psychopathen] nur etwa zehn Prozent aller Täter aus – sie begehen aber 90 Prozent der Straftaten.

Das kann ich ja kaum glauben. Vermutlich sind hier nur bestimmte Straftaten gemeint.

astarte hat folgendes geschrieben:
Ich lese da raus, dass man der Kausalkette besonder bei den Tätern der ersten und zweiten Gruppe gezielt neue Glieder zufügen versucht (zB Lernen stabile Beziehungen einzugehen), und andere zu schwächen versucht (zB das Umfeld meiden in dem Aggression ausleben anerkannt wird) usw

Ja, so sehe ich das auch. Kausalketten beeinflussen ist zwar auch im weitesten Sinne manipulativ, aber auf eine für die Gemeinschaft effizientere und für den potenziellen Täter weniger würdeverletzende Art als z.B. Gefängnisstrafen und Verbrechenskreisläufe.

#387:  Autor: WolfWohnort: Zuhause BeitragVerfasst am: 02.04.2014, 10:36
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step hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Was ist denn für dich Gerechtigkeit, wenn beim Begriff von Gerechtigkeit für dich "obskur" ist?
Für mein Strafverständnis ist dieser Begriff völlig überflüssig.

Schöngeist's Verständnis von "Gerechtigkeit" ist eher alttestamentarisch, so etwas wie Vergeltung / Rache / Sühne.

Fordert er Körperstrafen?
Ansonsten wüsste ich nicht was an Schöngeists Gerechtigkeitsverständnis typisch alttestamentarisch ist.

#388:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 02.04.2014, 12:55
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Wolf hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Schöngeist's Verständnis von "Gerechtigkeit" ist eher alttestamentarisch, so etwas wie Vergeltung / Rache / Sühne.
Fordert er Körperstrafen?

Ja, irgendwie schon - jahrelang in eine Zelle eingeschlossen zu sein usw. kommt einer Körperstrafe schon recht nahe.

Wolf hat folgendes geschrieben:
Ansonsten wüsste ich nicht was an Schöngeists Gerechtigkeitsverständnis typisch alttestamentarisch ist.

Daß er den Racheaspekt der Gerechtigkeit so stark betont.

#389:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 02.04.2014, 13:07
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step hat folgendes geschrieben:
astarte hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Roth betont, dass man hier mit Abschreckung nicht weiterkommt. Zwar machen [die Psychopathen] nur etwa zehn Prozent aller Täter aus – sie begehen aber 90 Prozent der Straftaten.

Das kann ich ja kaum glauben. Vermutlich sind hier nur bestimmte Straftaten gemeint.

astarte hat folgendes geschrieben:
Ich lese da raus, dass man der Kausalkette besonder bei den Tätern der ersten und zweiten Gruppe gezielt neue Glieder zufügen versucht (zB Lernen stabile Beziehungen einzugehen), und andere zu schwächen versucht (zB das Umfeld meiden in dem Aggression ausleben anerkannt wird) usw

Ja, so sehe ich das auch. Kausalketten beeinflussen ist zwar auch im weitesten Sinne manipulativ, aber auf eine für die Gemeinschaft effizientere und für den potenziellen Täter weniger würdeverletzende Art als z.B. Gefängnisstrafen und Verbrechenskreisläufe.


Mal 2 Fragen dazu:

1. Sind *Täter* für dich also lediglich *unsozial* oder *krank*?

2. Wie sehen deiner Vorstellung nach die *manipulativen Eingriffe* an Stelle von Gefängnisstrafen aus?

Und eine Zusatzfrage:

3a. Geht es dir primär darum, durch die Einführung manipulativer und kontrollierender an Stelle von Verfahren strafenden Verfahren, die Gesellschaft, wie sie ist, zu stabilisieren oder was sind deine Ziele bei deinen Überlegungen und Konzepten?

3b. Was ist, wenn die gesellschaftliche Struktur grundsätzlich nicht in Ordnung/ablehnenswert/usw. ist (- nach welchen Kriterien, lasse ich jetzt mal bei seite, es können auch deine sein -) und so eine Gesellschaft ihre Bevölkerung mit den von dir vorgeschlagenen manipulativen und kontrollierenden Methoden *sozialisiert*?

Hintergrund ist, dass verschiedene Gesellschaften und Kulturen ziemlich unterschiedliche Vorstellungen von sozialem Verhalten, Normalität oder Fairness, was auch immer haben.

Oder anders gefragt: Wer kontrolliert und manipuliert wen zu welchen Zwecken? Ist Kontrolle und Manipulatiion überhaupt zu bewerten ohne zuerst die Ziele dahinter zu hinterfragen?

#390:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 02.04.2014, 13:56
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Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
... Kausalketten beeinflussen ist zwar auch im weitesten Sinne manipulativ, aber auf eine für die Gemeinschaft effizientere und für den potenziellen Täter weniger würdeverletzende Art als z.B. Gefängnisstrafen und Verbrechenskreisläufe.
1. Sind *Täter* für dich also lediglich *unsozial* oder *krank*?

Täter sind mindestens einmalig vom erwarteten Verhalten abgewichen, sie haben ein verhalten außerhalb der Norm gezeigt - und zwar in einem Bereich, in dem die Gesellschaft das nicht für harmlos hält. Beispiele:

- hochspekulative Finanzprodukte an Oma verkaufen: gilt als innerhalb der Norm -> Täter ist kein Verbrecher
- Nachbarn nicht grüßen: gilt als außerhalb der Norm aber harmlos -> Täter ist kein Verbrecher
- Homosex in Russland: gilt als außerhalb der Norm und gefährlich -> Täter ist ein Verbrecher

Man sieht, daß aus anderem Blickwinkel die Bewertung ganz anders aussehen kann. Selbst bei Krieg, Mord, Vergewaltigung, Betrug, Tierquälerei und Kinderprügeln. Du schreibst das ja auch weiter unten ganz richtig selbst:

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Hintergrund ist, dass verschiedene Gesellschaften und Kulturen ziemlich unterschiedliche Vorstellungen von sozialem Verhalten, Normalität oder Fairness, was auch immer haben.


Der Begriff "unsozial" betrifft eher die moralische Bewertung, zum Beispiel könnte eine Gesellschaft den Nichtgrüßer und den Finanzberater oben, oder auch einen Geizigen, als unsozial empfinden, gleichwohl nicht als Verbrecher. Der Begriff "krank" andererseits birgt die Gefahr der zu engen Sicht auf körperliche/geistige Fehlfunktionen. Also lassen wir diese Begriffe im Moment mal beiseite, um keine Nebendiskussion zu bekommen.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
2. Wie sehen deiner Vorstellung nach die *manipulativen Eingriffe* an Stelle von Gefängnisstrafen aus?

Mit abnehmender Anwendungsbreite:
- "Erziehung"
- Therapien (siehe z.B. astartes Beitrag oben)
- Überwachung
- Sicherheitsverwahrung

Es ist übrigens eine schwierige Frage, wie stark man da überhaupt einfließen läßt, ob jemand schonmal zum Täter wurde oder nicht.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
3a. Geht es dir primär darum, durch die Einführung manipulativer und kontrollierender an Stelle von Verfahren strafenden Verfahren, die Gesellschaft, wie sie ist, zu stabilisieren oder was sind deine Ziele bei deinen Überlegungen und Konzepten?

Hauptziele:
- wenig Verbrechen
- keine Quälerei der Täter

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
3b. Was ist, wenn die gesellschaftliche Struktur grundsätzlich nicht in Ordnung/ablehnenswert/usw. ist (- nach welchen Kriterien, lasse ich jetzt mal bei seite, es können auch deine sein -) und so eine Gesellschaft ihre Bevölkerung mit den von dir vorgeschlagenen manipulativen und kontrollierenden Methoden *sozialisiert*?

Aus der Sicht dessen, der die grundlegenden Normen gern anders hätte, sollte es in einer offenen, modernen Gesellschaft einen Prozeß geben, wie er seine Wünsche veröffentlichen und einbringen kann. Die Manipulation darf daher auf keinen Fall soweit gehen, daß die Leute nicht mehr kritisch nachdenken können/wollen. Überigens haben wir dieses Problem mit dem geltenden Strafrecht genauso. Gerade dessen Befürworter argumentieren ja mit der general- und spezialpräventiven Abschreckungswirkung, die drakonische Strafen haben.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Oder anders gefragt: Wer kontrolliert und manipuliert wen zu welchen Zwecken? Ist Kontrolle und Manipulatiion überhaupt zu bewerten ohne zuerst die Ziele dahinter zu hinterfragen?

Natürlich nicht. Wie ich schon oft geschrieben habe, steht am Anfang einer Ethik ein interessensausgleichender Zielkonsens, dann kommen die vereinbarten Werte und am Schluß werden daraus die geeigneten Mittel abgeleitet.

#391:  Autor: astarte BeitragVerfasst am: 02.04.2014, 17:09
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step hat folgendes geschrieben:
astarte hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Roth betont, dass man hier mit Abschreckung nicht weiterkommt. Zwar machen [die Psychopathen] nur etwa zehn Prozent aller Täter aus – sie begehen aber 90 Prozent der Straftaten.

Das kann ich ja kaum glauben. Vermutlich sind hier nur bestimmte Straftaten gemeint.

Jo, scheint sich auf jugendliche Intensivtäter zu beziehen.

Zitat:

astarte hat folgendes geschrieben:
Ich lese da raus, dass man der Kausalkette besonder bei den Tätern der ersten und zweiten Gruppe gezielt neue Glieder zufügen versucht (zB Lernen stabile Beziehungen einzugehen), und andere zu schwächen versucht (zB das Umfeld meiden in dem Aggression ausleben anerkannt wird) usw

Ja, so sehe ich das auch. Kausalketten beeinflussen ist zwar auch im weitesten Sinne manipulativ, aber auf eine für die Gemeinschaft effizientere und für den potenziellen Täter weniger würdeverletzende Art als z.B. Gefängnisstrafen und Verbrechenskreisläufe.

Ja, ich glaube wenn einiges schon so schief gelaufen ist, kann man auf manipulative Methoden nicht so ganz verzichten. Zumindest zu Anfang.

Länger eingeschliffene Verhaltensweisen, negative Selbstbilder* und mangelndes Selbstbewusstsein, Empathiemangel, verschobenes Unrechtsbewusstsein, Selbstrechtfertigung bei diesen Taten, diverse Kreisläufe aus Frustration und Reaktion, Schwierigkeiten in der Impulssteuerung, Einfluss der Umgebung (Milieu), und was da noch alles mitspielen und ineinander greifen mag, sind nicht einfach zu verändern.
Würdeverletzende Maßnahmen können mMn auch Teil des Kreislaufes sein....

*(evtl aus früher Erfahrung? Wie: ich bin immer der loser, ich komme immer zu kurz, kann es sowieso niemand recht machen, niemand kümmert sich um meine Bedürfnisse, warum sollte ich die anderer beachten, usw)

#392:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 02.04.2014, 17:56
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step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
2. Wie sehen deiner Vorstellung nach die *manipulativen Eingriffe* an Stelle von Gefängnisstrafen aus?

Mit abnehmender Anwendungsbreite:
- "Erziehung"
- Therapien (siehe z.B. astartes Beitrag oben)
- Überwachung
- Sicherheitsverwahrung


Zwangserziehung, Zwangstherapie, Überwachung rund um die Uhr, Sicherheitsverwahrung lebenslang?

Ist das legitim? Ist das wirklich modern?

Ich als Soziologe sage ja, dass Verbrechen immer - oder fast immer - eine gesellschaftliche Ursache haben und schrieb oben, wie es denn wäre, wenn man - statt sich Gedanken um das Strafsystem zu machen - einfach mal Strukturen der derzeitigen Gesellschaft zerstört und solche aufbaut, wo die Keime von Verbrechen gar nicht erst vorhanden sind.

Darauf kam leider in diesem Forum, was sich ja als kritisch versteht, keine wirkliche Antwort, die man als solche bezeichnen könnte.

Deswegen fragte ich nach, ob denn die gesellschaftliche Struktur, die wir heute haben, nicht vielleicht viel eher das Problem sein könnte, statt bestimmte *deviante* Individuen.

Auch ein *modernes* Strafsystem sieht das Problem immer nur im Individuum.

Dieses müsse man so weit *gerade rücken*, dass es aus Sicht *der Gesellschaft* (- wer ist das??? -) wieder *passt*.

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
3a. Geht es dir primär darum, durch die Einführung manipulativer und kontrollierender an Stelle von Verfahren strafenden Verfahren, die Gesellschaft, wie sie ist, zu stabilisieren oder was sind deine Ziele bei deinen Überlegungen und Konzepten?

Hauptziele:
- wenig Verbrechen


Wenig Verbrechen aus der Sicht derjenigen, die *Verbrechen* definieren!

Was ist denn ganz allgemein gesagt ein Verbrechen? Du hattest Beispiele genannt. Aber was ist ein Verbrechen in allgemeiner Definition? Kann man eine solche Definition hinkriegen?

step hat folgendes geschrieben:
- keine Quälerei der Täter


Werden Täter denn nicht durch Zwangserziehung und Sicherheitsverwahrung gequält und in ihrer Würde verletzt? Das erscheint mit sehr zweifelhaft.

Und werden Täter denn nicht auch dadurch verletzt, indem man ihnen ihre Taten als individuelle Insuffizienz anlastet, welche behoben werden müsse? Ist das nicht ein inhumanes Etikett, welches man auf die Täter klebt? Und ist es nicht schließlich auch eine ideologische Legitimation der Gesellschaft, wie auch immer sie sei?

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
3b. Was ist, wenn die gesellschaftliche Struktur grundsätzlich nicht in Ordnung/ablehnenswert/usw. ist (- nach welchen Kriterien, lasse ich jetzt mal bei seite, es können auch deine sein -) und so eine Gesellschaft ihre Bevölkerung mit den von dir vorgeschlagenen manipulativen und kontrollierenden Methoden *sozialisiert*?

Aus der Sicht dessen, der die grundlegenden Normen gern anders hätte, sollte es in einer offenen, modernen Gesellschaft einen Prozeß geben, wie er seine Wünsche veröffentlichen und einbringen kann. Die Manipulation darf daher auf keinen Fall soweit gehen, daß die Leute nicht mehr kritisch nachdenken können/wollen. Überigens haben wir dieses Problem mit dem geltenden Strafrecht genauso. Gerade dessen Befürworter argumentieren ja mit der general- und spezialpräventiven Abschreckungswirkung, die drakonische Strafen haben.


Nun, dass eine moderne Gesellschaft die Möglichkeit eröffnen soll, dass Leute kritisch nachdenken und diese Gedanken auch veröffentlichen dürfen, klingt zunächst großzügig angesichts der gängigen Kriminalisierung oder auch Psychiatrisierung politischer Opponenten. Das Problem ist nur: Wenn eine Gesellschaft nicht in Ordnung ist, dann wird es nichts nützen, die philosophische und ideale Bedingung zu stellen, step, dass die Gesellschaft wenigstens so weit in Ordnung sein sollte, dass sie politische Opposition toleriert.

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Oder anders gefragt: Wer kontrolliert und manipuliert wen zu welchen Zwecken? Ist Kontrolle und Manipulatiion überhaupt zu bewerten ohne zuerst die Ziele dahinter zu hinterfragen?

Natürlich nicht. Wie ich schon oft geschrieben habe, steht am Anfang einer Ethik ein interessensausgleichender Zielkonsens, dann kommen die vereinbarten Werte und am Schluß werden daraus die geeigneten Mittel abgeleitet.


Ich will's mal im Klartext schreiben, was ich sagen will:

Auch eine echt faschistische Gesellschaft, die z.B. einen Teil ihrer Bevölkerung versklavt, die die Umwelt vernichtet, die einen offenen Sozialdarwinismus predigt usw., wird sich durch so ein *modernes Strafrecht*, wie du und andere es hier beschrieben haben, nicht nur nicht in ihrem Charakter ändern, sondern sogar noch stabilisieren - eher noch als durch das herkömmliche Strafrecht.

Auch der schlimmste Faschismus würde durch das besagte *moderne Strafrecht* überhaupt nicht tangiert - ganz im Gegenteil.

Fazit: Man bekommt die Gesellschaft nicht modern und nicht human, wenn man das Pferd von hinten aufzäumt, d.h. vom Überbau her.

Zum gesellschaftlichen Überbau gehören all die staatlichen Institutionen, darunter auch die Justiz ...-

#393:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 02.04.2014, 19:17
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Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Auch ein *modernes* Strafsystem sieht das Problem immer nur im Individuum.

Das mußt Du aber denen sagen, die an eine individuelle Schuld glauben. Ich habe schon oft darauf hingewiesen, daß die Kausalketten nicht an der Grenze des Individuums haltmachen und daß die Gesellschaft als Ganze es in der Hand hat.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Was ist denn ganz allgemein gesagt ein Verbrechen? Du hattest Beispiele genannt. Aber was ist ein Verbrechen in allgemeiner Definition? Kann man eine solche Definition hinkriegen?

Ich habe doch eine gegeben:
step hat folgendes geschrieben:
[Verbrecher] sind mindestens einmalig vom erwarteten Verhalten abgewichen, sie haben ein verhalten außerhalb der Norm gezeigt - und zwar in einem Bereich, in dem die Gesellschaft das nicht für harmlos hält.


Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Werden Täter denn nicht durch Zwangserziehung und Sicherheitsverwahrung gequält und in ihrer Würde verletzt?

Ich habe nichts von Zwangserziehung geschrieben. Mit "Erziehung" meinte ich eine kindheitliche Prägung, die nicht als Zwang empfunden werden muß - sogar weniger als wenn Bestrafung ihr Kernelement darstellt.

Sicherheitsverwahrung ist ganz bestimmt nicht lustig, aber das würde ich auch nur anwenden, wenn sonst nichts hilft und der Mensch sehr gefährlich ist.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Und werden Täter denn nicht auch dadurch verletzt, indem man ihnen ihre Taten als individuelle Insuffizienz anlastet, welche behoben werden müsse?

Moment mal, ich laste denen das ja eben viel weniger an als das klassische Strafrecht. Ist mehr wie zum Arzt gehen, mal salopp gesagt.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
... die Gesellschaft wenigstens so weit in Ordnung sein sollte, dass sie politische Opposition toleriert.

Ja, das schon. Meinungs- und Protestfreiheit usw. Aber Gewaltaktionen, wie etwa bei der RAF, gehören da nicht dazu.

#394:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 02.04.2014, 19:39
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Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Wie willst du feststellen, ob der Täter die Wahrheit sagt oder nicht? Frage

Darauf kommt's gar nicht an. Der Täter weiss im Zweifelsfall noch nicht mal selbst genau, ob er nicht nochmal töten wird oder nicht. Ja, auch dann, wenn er geistig gesund ist.

Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Wenn man behauptet, Menschen hätten generell keine Handlungsfreiheit, dann sind alle Menschen unschuldig für alle ihre Handlungen.

Deshalb müsste man geistig gesunde Menschen genauso mit Strafen verschonen wie Geisteskranke.

Zwei Fehlschlüsse in zwei Sätzen. Der Unterschied zwischen Willensfreiheit und Handlungsfreiheit wurde in diesem Thread übrigens schon dargelegt.

#395:  Autor: caballitoWohnort: Pet Sematary BeitragVerfasst am: 02.04.2014, 21:13
    —
step hat folgendes geschrieben:

astarte hat folgendes geschrieben:
Ich lese da raus, dass man der Kausalkette besonder bei den Tätern der ersten und zweiten Gruppe gezielt neue Glieder zufügen versucht (zB Lernen stabile Beziehungen einzugehen), und andere zu schwächen versucht (zB das Umfeld meiden in dem Aggression ausleben anerkannt wird) usw

Ja, so sehe ich das auch. Kausalketten beeinflussen ist zwar auch im weitesten Sinne manipulativ, aber auf eine für die Gemeinschaft effizientere und für den potenziellen Täter weniger würdeverletzende Art als z.B. Gefängnisstrafen und Verbrechenskreisläufe.

Was du wie viele zu übersehen scheinst ist der Umstand, das das Vorhandensein einer Strafdrohung, und die etwaige Angst davor, ebenfalls ein Glied der Kausalkette ist. Genau deshalb wirkt ja Abschreckung.

#396:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 02.04.2014, 21:34
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caballito hat folgendes geschrieben:
Was du wie viele zu übersehen scheinst ist der Umstand, das das Vorhandensein einer Strafdrohung, und die etwaige Angst davor, ebenfalls ein Glied der Kausalkette ist. Genau deshalb wirkt ja Abschreckung.

Das übersehe ich keineswegs. Ich lehne Abschreckung auch nicht völlig ab. Mal abgesehen von der Frage, wie gut es funktioniert, stört mich daran, daß diese Abschreckung nur funktioniert, wenn drastische Exempel statuiert werden, und das auch noch gerade wenn sie nicht funktioniert.

#397:  Autor: MisterfritzWohnort: badisch sibirien BeitragVerfasst am: 02.04.2014, 22:36
    —
step hat folgendes geschrieben:
caballito hat folgendes geschrieben:
Was du wie viele zu übersehen scheinst ist der Umstand, das das Vorhandensein einer Strafdrohung, und die etwaige Angst davor, ebenfalls ein Glied der Kausalkette ist. Genau deshalb wirkt ja Abschreckung.

Das übersehe ich keineswegs. Ich lehne Abschreckung auch nicht völlig ab. Mal abgesehen von der Frage, wie gut es funktioniert, stört mich daran, daß diese Abschreckung nur funktioniert, wenn drastische Exempel statuiert werden, und das auch noch gerade wenn sie nicht funktioniert.

mich würde ja interessieren, wie du es einschätzt, wie es wäre, wenn diese abschreckung nicht mehr da wäre.
und ich glaube auch nicht, dass es drastische exempel sind, die die meisten davon abhalten, straftaten zu begehen, sondern die schlichten strafen, die z.b. eintragungen im polizeilichen führungszeugnis nach sich ziehen, oder auch nur kurze haftstrafen.

#398:  Autor: Kival BeitragVerfasst am: 02.04.2014, 23:18
    —
Misterfritz hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
caballito hat folgendes geschrieben:
Was du wie viele zu übersehen scheinst ist der Umstand, das das Vorhandensein einer Strafdrohung, und die etwaige Angst davor, ebenfalls ein Glied der Kausalkette ist. Genau deshalb wirkt ja Abschreckung.

Das übersehe ich keineswegs. Ich lehne Abschreckung auch nicht völlig ab. Mal abgesehen von der Frage, wie gut es funktioniert, stört mich daran, daß diese Abschreckung nur funktioniert, wenn drastische Exempel statuiert werden, und das auch noch gerade wenn sie nicht funktioniert.

mich würde ja interessieren, wie du es einschätzt, wie es wäre, wenn diese abschreckung nicht mehr da wäre.
und ich glaube auch nicht, dass es drastische exempel sind, die die meisten davon abhalten, straftaten zu begehen, sondern die schlichten strafen, die z.b. eintragungen im polizeilichen führungszeugnis nach sich ziehen, oder auch nur kurze haftstrafen.


Die meisten werden von Straftaten dadurch abgehalten, dass sie keine Straftaten begehen wollen. Es ist eine starke internalisierte Norm, keine Straftaten zu begehen. Ganz ohne konkrete Strafen schon.

#399:  Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 02.04.2014, 23:36
    —
step hat folgendes geschrieben:
Schöngeist's Verständnis von "Gerechtigkeit" ist eher alttestamentarisch, so etwas wie Vergeltung / Rache / Sühne.


Nochmal: Dann definiere doch bitte erstmal, was DU für "Gerechtigkeit" hälst.

Ich habe mein Verständnis von "Gerechtigkeit" klar umrissen. Du kritisierst das bzw. lehnst das ab. Nun würde mich interessieren, ob Du entweder ein anderes Verständnis von Gerechtigkeit hast, oder ob die Gerechtigkeit generell ablehnst/

step hat folgendes geschrieben:
Selbst wenn Menschen Handlungsfreiheit haben, aber keine Willensfreiheit, wenn sie also zwar präferent handeln, aber ihre Präferenzen nicht selbst bestimmen, macht ein traditioneller Schuldbegriff keinen Sinn, in dem Sinne, daß derjenige tatsächlich anders hätte handeln können und daher schuldig sei.


Bei fehlender Willensfreiheit hat man aber immer noch Handlungsfreiheit. D.h. ich kann mich frei dafür entscheiden für oder gegen meinen Willen zu handeln. Wenn ich mich falsch/unethisch verhalte, dann trage ich dafür auch die Schuld.

Wenn ich auch keine Handlungsfreiheit hätte, müsste man mich im Fall einer Straftat genauso behandeln wie einen schuldunfähigen Geisteskranken.

#400:  Autor: Natas BeitragVerfasst am: 03.04.2014, 00:33
    —
Die Normen an sich haben als solche wahrscheinlich Einfluss auf die Gehirnstruktur.

#401:  Autor: Fake BeitragVerfasst am: 03.04.2014, 09:14
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Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Bei fehlender Willensfreiheit hat man aber immer noch Handlungsfreiheit.

Genau das wissen wir doch nicht. Mit den Augen rollen

Handlungsfreiheit ist kein politisches Konzept, dass man annehmen oder ablehnen kann. Sie ist entweder Teil unserer Natur oder halt nicht. Und das zu klären ist Aufgabe der Naturwissenschaften.

Wir können sinnvoll nur darüber diskutieren, wie wir mit dem Ergebnis dieser Forschung umgehen möchten. Deine Strategie scheint zu sein, aktuelle Forschungsergebnisse zu ignorieren. Kannst du machen. Ich werde versuchen daraus zu lernen und meine Standpunkte daran anzupassen.

#402:  Autor: caballitoWohnort: Pet Sematary BeitragVerfasst am: 03.04.2014, 13:51
    —
step hat folgendes geschrieben:
caballito hat folgendes geschrieben:
Was du wie viele zu übersehen scheinst ist der Umstand, das das Vorhandensein einer Strafdrohung, und die etwaige Angst davor, ebenfalls ein Glied der Kausalkette ist. Genau deshalb wirkt ja Abschreckung.

Das übersehe ich keineswegs. Ich lehne Abschreckung auch nicht völlig ab. Mal abgesehen von der Frage, wie gut es funktioniert, stört mich daran, daß diese Abschreckung nur funktioniert, wenn drastische Exempel statuiert werden, und das auch noch gerade wenn sie nicht funktioniert.

Das vielgehörte unsinnige Argument, Abschreckung funktioniere nicht, beriht doch gerade darauf, dass drastische Exempel eben gerade nicht so wunderwirksam sind. Ab einem gewissen Grad begeht die Tat eh nur noch, wer nicht damit rechnet, erwischt zu werden. Eine Drohung über diesen Punkt hinaus ist Abschreckungstechnisch sinnlos. Außerdem muss natüröich gewährleistet sein, dass das Strafrecht nicht mehr Leid (in Form von Strafverfahren und Strafen) verursacht als es (in Form nicht begangener Straftaten) verhindert. Woran das Strafrecht mehr als allem krankt ist die Vorstellung, die Strafe selbst müsse etwas positives sein - ist sie nicht, die Strafe ist kein Gewinn, sondern der der Preis.

#403:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 03.04.2014, 15:03
    —
caballito hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
... Mal abgesehen von der Frage, wie gut es funktioniert, stört mich daran, daß diese Abschreckung nur funktioniert, wenn drastische Exempel statuiert werden, und das auch noch gerade wenn sie nicht funktioniert.
Das vielgehörte unsinnige Argument, Abschreckung funktioniere nicht, beriht doch gerade darauf, dass drastische Exempel eben gerade nicht so wunderwirksam sind.

Äh - ja, aber zum einen werden drastische Exempel ja nun mal statuiert, zum anderen ich hatte hier ein ganz anderes Argument gebracht. Aber interessanter scheint mir sowieso Dein zweiter Punkt:

caballito hat folgendes geschrieben:
... die Strafe ist kein Gewinn, sondern der der Preis.

Rein individuell-spieltechnisch könnte man das tatsächlich so sehen, auch wenn die Möglichkeit zur Vorkasse hier verwehrt ist - warum eigentlich? Ich denke, dieser spezialpräventive und gemeinnützige Ansatz wäre für mich OK bei kleineren Verbrechen und Strafen, die der Gemeinschaft oder dem Opfer nutzen, z.B. wenn ein Dieb oder Steuerhinterzieher das Dreifache zurückzahlen muß.

#404:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 03.04.2014, 15:22
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Schöngeist's Verständnis von "Gerechtigkeit" ist eher alttestamentarisch, so etwas wie Vergeltung / Rache / Sühne.
Nochmal: Dann definiere doch bitte erstmal, was DU für "Gerechtigkeit" hälst.

Für mich überwiegen bei "Gerechtigkeit" folgende Aspekte, möglichst allgemnein ausgedrückt:
- faire Verteilung von gemeinschaftlichen Gütern (inklusive Chancen usw.)
- faire Verteilung von gemeinschaftlichen Lasten (Steuern, Flüchtlinge, Risiken ...)

Klar gibt es da im einzelnen viele Dilemmata, aber das ist ein anderes Thema.

Schöngeist hat folgendes geschrieben:
ich kann mich frei dafür entscheiden für oder gegen meinen Willen zu handeln.

Nein, ich zumindest kann das nicht.

Wenn ich Lust auf Sahnetorte habe, aber trotzdem widerstehe, dann tue ich das, weil meine Präferenz abzunehmen größer ist als meine Präferenz Torte zu essen. Mein Gehirn kann zwar rational abwägen, sich der moralischen Aspekte bewußt sein usw., aber das ist alles Teil der Kausalitätskette der Entscheidungsbildung.

Macnhe Leute gewichten bewußte Normverstöße besonders, etwa so: Wenn die Präferenz, etwas zu tun, speziell höher ist als die Präferenz, eine Norm zu beachten, dann ist jemand schuldig. Dahinter steht die unausgesprochene Vorstellung, daß der Wunsch, Normen einzuhalten, die stärkste Präferenz überhaupt sein sollte. Also (absurderweise) der Wunsch nach gesellschaftlicher Determination, nach Unfreiheit in moralisch relevanten Entscheidungen.

#405:  Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 03.04.2014, 15:37
    —
step hat folgendes geschrieben:
Rein individuell-spieltechnisch könnte man das tatsächlich so sehen, auch wenn die Möglichkeit zur Vorkasse hier verwehrt ist - warum eigentlich? Ich denke, dieser spezialpräventive und gemeinnützige Ansatz wäre für mich OK bei kleineren Verbrechen und Strafen, die der Gemeinschaft oder dem Opfer nutzen, z.B. wenn ein Dieb oder Steuerhinterzieher das Dreifache zurückzahlen muß.


Damit reduzierst Du den durch Straftaten entstandende Schäden aber nur auf materielle Schänden, die man mit Geld einfach begleichen kann.

Nehmen wir an, bei einem Einbruch in ein Haus wird der Erbschmuck der Familie gestohlen. Die Beute haben die Täter weiterverkauft. Der rein materielle Wert des Schmucks mag gering sein, der ideelle Wert für den Besitzer aber unschätzbar hoch. Zudem kann der Hausbesitzer anschliessend z.B. nicht mehr unbeschwert in seinem Haus leben, nachdem Fremde in seine Privaträume eingedrungen sind und seine privaten Sachen durchgewühlt haben.

Der Schaden, den die Diebe verursacht haben, geht also weit über die 2000€. die der Erbschmuck rein materiell wert gewesen wäre hinaus.

Davon mal abgesehen wäre selbst die finanzielle Erstattung des materiellen Schaden von der Zahlungsfähigkeit des Täter abhängig. Wenn er das Geld nicht hat, kann er es halt auch nicht zahlen.

Und wie stellst Du dir das bei anderen Straftaten vor? Wenn z.B. eine Frau brutal vergewaltigt wird, soll der Täter ihr 200€ für die zerrissene Kleidung zahlen und damit hat sich die Sache?

Und wenn ein Kind grausam ermordet wird, zahlt der Täter den Eltern 1000€ Schadenersatz und dann ist der Gerechtigkeit genüge getan?

Frage Frage Frage

#406:  Autor: WilsonWohnort: Swift Tuttle BeitragVerfasst am: 03.04.2014, 16:05
    —
Misterfritz hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
caballito hat folgendes geschrieben:
Was du wie viele zu übersehen scheinst ist der Umstand, das das Vorhandensein einer Strafdrohung, und die etwaige Angst davor, ebenfalls ein Glied der Kausalkette ist. Genau deshalb wirkt ja Abschreckung.

Das übersehe ich keineswegs. Ich lehne Abschreckung auch nicht völlig ab. Mal abgesehen von der Frage, wie gut es funktioniert, stört mich daran, daß diese Abschreckung nur funktioniert, wenn drastische Exempel statuiert werden, und das auch noch gerade wenn sie nicht funktioniert.

mich würde ja interessieren, wie du es einschätzt, wie es wäre, wenn diese abschreckung nicht mehr da wäre.
und ich glaube auch nicht, dass es drastische exempel sind, die die meisten davon abhalten, straftaten zu begehen, sondern die schlichten strafen, die z.b. eintragungen im polizeilichen führungszeugnis nach sich ziehen, oder auch nur kurze haftstrafen.

schlicht?
sie ruinieren dir wahrscheinlich die zukunft.

#407:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 03.04.2014, 16:06
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Schöngeist hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Rein individuell-spieltechnisch könnte man das tatsächlich so sehen, auch wenn die Möglichkeit zur Vorkasse hier verwehrt ist - warum eigentlich? Ich denke, dieser spezialpräventive und gemeinnützige Ansatz wäre für mich OK bei kleineren Verbrechen und Strafen, die der Gemeinschaft oder dem Opfer nutzen, z.B. wenn ein Dieb oder Steuerhinterzieher das Dreifache zurückzahlen muß.


Damit reduzierst Du den durch Straftaten entstandende Schäden aber nur auf materielle Schänden, die man mit Geld einfach begleichen kann.

Nehmen wir an, bei einem Einbruch in ein Haus wird der Erbschmuck der Familie gestohlen. Die Beute haben die Täter weiterverkauft. Der rein materielle Wert des Schmucks mag gering sein, der ideelle Wert für den Besitzer aber unschätzbar hoch. Zudem kann der Hausbesitzer anschliessend z.B. nicht mehr unbeschwert in seinem Haus leben, nachdem Fremde in seine Privaträume eingedrungen sind und seine privaten Sachen durchgewühlt haben.

Der Schaden, den die Diebe verursacht haben, geht also weit über die 2000€. die der Erbschmuck rein materiell wert gewesen wäre hinaus.

Davon mal abgesehen wäre selbst die finanzielle Erstattung des materiellen Schaden von der Zahlungsfähigkeit des Täter abhängig. Wenn er das Geld nicht hat, kann er es halt auch nicht zahlen.

Und wie stellst Du dir das bei anderen Straftaten vor? Wenn z.B. eine Frau brutal vergewaltigt wird, soll der Täter ihr 200€ für die zerrissene Kleidung zahlen und damit hat sich die Sache?

Und wenn ein Kind grausam ermordet wird, zahlt der Täter den Eltern 1000€ Schadenersatz und dann ist der Gerechtigkeit genüge getan?

Frage Frage Frage

Deswegen steht in Steps Beitrag auch "bei kleineren Verbrechen" - wobei hier Vergehen gemeint sein dürften.

#408:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 03.04.2014, 18:41
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Und wenn ein Kind grausam ermordet wird, zahlt der Täter den Eltern 1000€ Schadenersatz und dann ist der Gerechtigkeit genüge getan?

Du bist offensichtlich nicht fähig zu einer rationalen Diskussion. Vor lauter Geifer liest Du nicht mal, wozu Du Stellung nimmst. Schreib doch am besten noch, wie süß das Kind gelächelt hat oder daß es meins war.

#409:  Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 03.04.2014, 18:44
    —
step hat folgendes geschrieben:
Du bist offensichtlich nicht fähig zu einer rationalen Diskussion.


Doch, aber Du hast Angst endlich mal klare Kante zu zeigen und zu schreiben, wie Du dir das konkret in der Praxis vorstellst.

#410:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 03.04.2014, 19:08
    —
Kival hat folgendes geschrieben:
Misterfritz hat folgendes geschrieben:
mich würde ja interessieren, wie du es einschätzt, wie es wäre, wenn diese abschreckung nicht mehr da wäre. und ich glaube auch nicht, dass es drastische exempel sind, die die meisten davon abhalten, straftaten zu begehen, sondern die schlichten strafen, die z.b. eintragungen im polizeilichen führungszeugnis nach sich ziehen, oder auch nur kurze haftstrafen.
Die meisten werden von Straftaten dadurch abgehalten, dass sie keine Straftaten begehen wollen. Es ist eine starke internalisierte Norm, keine Straftaten zu begehen. Ganz ohne konkrete Strafen schon.

Ja. Wobei eine internalisierte Norm auch nichts anderes ist als etwas Anerzogenes (oder sogar Anevolviertes). Es bleibt wohl zudem immer eine Abschreckung im allgemeinsten Sinne übrig, nämlich die Nichterfüllung der eigenen Präferenzen kann ja schon als abschreckend empfunden werden.

#411:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 03.04.2014, 19:14
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Du hast Angst endlich mal klare Kante zu zeigen und zu schreiben, wie Du dir das konkret in der Praxis vorstellst.

In jedem zweiten Beitrag gehst Du nicht auf das ein, was ich schreibe. Stattdesssen findest Du irgendwas, was ich nicht tue. Manchmal mache ich das dann (wie bei der Gerechtigkeitsdefinition z.B.), Du findest etwas Neues. Komischerweise hat es oft mit Schwerverbrechen an Kindern oder Frauen zu tun und basiert meist zudem auf Strohmännern, wie das mit den 1000 Euro oder dem ersetzten Kleid oben. Ich warte jetzt schon auf den Holocaust, der fehlt Dir noch, oder sollte ich ihn übersehen haben?

#412:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 03.04.2014, 19:24
    —
step hat folgendes geschrieben:
Ich warte jetzt schon auf den Holocaust, der fehlt Dir noch, oder sollte ich ihn übersehen haben?

DAS ist aber echt interessant, verehrter Step. Wie wärst du nach deinen Maßstäben - dich erstaunlicherweise für sehr schlüssig halte- in Nürnberg verfahren?

Ich habe vor kurzem aus einem deutschen Leben über R. Höß mit George gesehen; und der Herr wäre bei Wiederaufbau Deutschlands mit Sicherheit ein mehr als engagiertes und produktives Mitglied geworden und nie wieder straffällig geworden.

#413:  Autor: Waschmaschine777 BeitragVerfasst am: 03.04.2014, 19:54
    —
step hat folgendes geschrieben:
Ich warte jetzt schon auf den Holocaust, der fehlt Dir noch, oder sollte ich ihn übersehen haben?


Auch ich halte das für eine interessante Frage.
Und die Frage ist noch aktuell.
http://www.welt.de/politik/deutschland/article119653656/30-neue-Verfahren-gegen-NS-Kriegsverbrecher.html
Zitat:
Verfolgung der NS-Verbrecher bevor die letzten sterben


Das Vergeltungsbedürfnis unserer Gesellschaft ist in dieser Sache nicht unerheblich.
Eine konkrete Gefahr geht von über Neunzigjährigen wohl nicht mehr aus.

#414:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 03.04.2014, 20:03
    —
Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Ich warte jetzt schon auf den Holocaust, der fehlt Dir noch, oder sollte ich ihn übersehen haben?


Auch ich halte das für eine interessante Frage.
Und die Frage ist noch aktuell.
http://www.welt.de/politik/deutschland/article119653656/30-neue-Verfahren-gegen-NS-Kriegsverbrecher.html
Zitat:
Verfolgung der NS-Verbrecher bevor die letzten sterben


Das Vergeltungsbedürfnis unserer Gesellschaft ist in dieser Sache nicht unerheblich.
Eine konkrete Gefahr geht von über Neunzigjährigen wohl nicht mehr aus.


Ich denke, so etwas muss im Zusammenhang mit der gesellschaftlich nun einmal vorherrschenden Ansicht zum Thema Schuld, Sühne und Gerechtigkeit gesehen werden. Nazis lafen zu lassen in einer Gesellschaft, in der die Bestrafung von Unrecht als Akt der Gerechtigkeit gilt, würde einer moralische Rehabilitierung der Täter gleichkommen. Würde das "Strafrecht" insgesamt steps Vorstellungen entsprechen, bestünde dieses Problem nicht.

Womit ich freilich nicht sagen will, dass ich steps Vorstellung teile.

#415:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 03.04.2014, 20:13
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Ich denke, so etwas muss im Zusammenhang mit der gesellschaftlich nun einmal vorherrschenden Ansicht zum Thema Schuld, Sühne und Gerechtigkeit gesehen werden. Nazis lafen zu lassen in einer Gesellschaft, in der die Bestrafung von Unrecht als Akt der Gerechtigkeit gilt, würde einer moralische Rehabilitierung der Täter gleichkommen. Würde das "Strafrecht" insgesamt steps Vorstellungen entsprechen, bestünde dieses Problem nicht.

Womit ich freilich nicht sagen will, dass ich steps Vorstellung teile.

Umso mehr freut mich Deine ganz hervorragende Antwort!

#416:  Autor: Waschmaschine777 BeitragVerfasst am: 03.04.2014, 20:35
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:

Ich denke, so etwas muss im Zusammenhang mit der gesellschaftlich nun einmal vorherrschenden Ansicht zum Thema Schuld, Sühne und Gerechtigkeit gesehen werden. Nazis lafen zu lassen in einer Gesellschaft, in der die Bestrafung von Unrecht als Akt der Gerechtigkeit gilt, würde einer moralische Rehabilitierung der Täter gleichkommen. Würde das "Strafrecht" insgesamt steps Vorstellungen entsprechen, bestünde dieses Problem nicht.



Da stellt sich dann die Frage ob steps Vorstellungen realisierbar sind, oder ob sie zu menschenfern sind.

#417:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 03.04.2014, 20:51
    —
Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Ich denke, so etwas muss im Zusammenhang mit der gesellschaftlich nun einmal vorherrschenden Ansicht zum Thema Schuld, Sühne und Gerechtigkeit gesehen werden. Nazis lafen zu lassen in einer Gesellschaft, in der die Bestrafung von Unrecht als Akt der Gerechtigkeit gilt, würde einer moralische Rehabilitierung der Täter gleichkommen. Würde das "Strafrecht" insgesamt steps Vorstellungen entsprechen, bestünde dieses Problem nicht.
Da stellt sich dann die Frage ob steps Vorstellungen realisierbar sind, oder ob sie zu menschenfern sind.

Diese Frage stellen sich übrigens auch moderne Strafrechtler. Einige warnen sogar davor, das Volk zu überfordern. Ich habe auch mal gelesen, daß die meisten Urteile als zu milde empfunden werden. Viele Menschen geraten ja schon in den Zorn der Gerechten, wenn straffällige Jugendliche in eine Therapie kommen, anstatt mal ordentlich durchgeprügelt oder ins Arbeitslager gesteckt zu werden.

Ich denke, ein Teil wäre sofort realisierbar. Man könnte das auch daran ablesen, daß das Strafrecht bereits schleichend humanisiert wurde. Andere, stärker emotional besetzte Bereiche können nur langsam reformiert werden, da sie auch eine anders erzogene Zuschauergeneration benötigen.

Sicher könnte man auch einiges erreichen, indem man den Geschädigten intensiver hilft, so daß sie sich nicht am Ende auch von der Gemeinschaft noch als unfair behandelt vorkommen.

#418:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 03.04.2014, 22:24
    —
step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Auch ein *modernes* Strafsystem sieht das Problem immer nur im Individuum.

Das mußt Du aber denen sagen, die an eine individuelle Schuld glauben. Ich habe schon oft darauf hingewiesen, daß die Kausalketten nicht an der Grenze des Individuums haltmachen und daß die Gesellschaft als Ganze es in der Hand hat.

Wieso glaubst du, daß die Gesellschaft es in der Hand hat?

Wenn Individuen determiniert sind, warum dann nicht auch ganze Gesellschaften?


step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Was ist denn ganz allgemein gesagt ein Verbrechen? Du hattest Beispiele genannt. Aber was ist ein Verbrechen in allgemeiner Definition? Kann man eine solche Definition hinkriegen?

Ich habe doch eine gegeben:
step hat folgendes geschrieben:
[Verbrecher] sind mindestens einmalig vom erwarteten Verhalten abgewichen, sie haben ein verhalten außerhalb der Norm gezeigt - und zwar in einem Bereich, in dem die Gesellschaft das nicht für harmlos hält.

Das würde ich gerne etwas einschränken.

Ob eine Tat ein Verbrechen ist, wird in unterschiedlichen Gesellschaften zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich beurteilt. Die "Norm" hängt von der Zeit und dem Ort ab, an dem wir uns gerade geschichtlich befinden.

Was ist Norm?

Ich sehe bei dieser Frage eher eine andere Achse. Etwa Selbstbestimmung vs. Fremdbestimmung.

- Täter = Opfer. Als Beispiele: Gesetze gegen freiwilligen assistierten Suizid, Drogengesetze. Abtreibungsgesetz. Verbot öffentlicher Nacktheit.

- Tateinverständnis zwischen zwei Tätern. Gesetze gegen Homosexuelle. Schulpflicht (falls einvernehmlich zwischen Eltern und Kind). Verbot öffentlicher Kopulation.

- Täter schädigt Außenstehende. OK, ab hier sehe ich deine Definition als diskutabel.

#419:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 03.04.2014, 23:12
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Ich habe schon oft darauf hingewiesen, daß die Kausalketten nicht an der Grenze des Individuums haltmachen und daß die Gesellschaft als Ganze es in der Hand hat.
Wieso glaubst du, daß die Gesellschaft es in der Hand hat? Wenn Individuen determiniert sind, warum dann nicht auch ganze Gesellschaften?

Naja, freilich auch ganze Gesellschaften. "in der Hand haben" hier im Sinne von "handeln, beeinflussen".

smallie hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
[Verbrecher] sind mindestens einmalig vom erwarteten Verhalten abgewichen, sie haben ein verhalten außerhalb der Norm gezeigt - und zwar in einem Bereich, in dem die Gesellschaft das nicht für harmlos hält.
Das würde ich gerne etwas einschränken.

Ob eine Tat ein Verbrechen ist, wird in unterschiedlichen Gesellschaften zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich beurteilt. Die "Norm" hängt von der Zeit und dem Ort ab, an dem wir uns gerade geschichtlich befinden.

Klar, das hatte ich oben ja auch schon geschrieben, sogar mit mehr oder weniger exotischen Beispielen.

smallie hat folgendes geschrieben:
Was ist Norm?

Ich sehe bei dieser Frage eher eine andere Achse. Etwa Selbstbestimmung vs. Fremdbestimmung.

- Täter = Opfer. Als Beispiele: Gesetze gegen freiwilligen assistierten Suizid, Drogengesetze. Abtreibungsgesetz. Verbot öffentlicher Nacktheit.

- Tateinverständnis zwischen zwei Tätern. Gesetze gegen Homosexuelle. Schulpflicht (falls einvernehmlich zwischen Eltern und Kind). Verbot öffentlicher Kopulation.

- Täter schädigt Außenstehende. OK, ab hier sehe ich deine Definition als diskutabel.

Ich verstehe nicht, wieso meine Definition nicht auch für Deine ersten beiden Beispielgruppen gelten sollte.

#420:  Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 04.04.2014, 18:22
    —
step hat folgendes geschrieben:
Komischerweise hat es oft mit Schwerverbrechen an Kindern oder Frauen zu tun und basiert meist zudem auf Strohmännern, wie das mit den 1000 Euro oder dem ersetzten Kleid oben.


Warum drückst Du dich davor konkret mal Stellung zu beziehen, welche Form von Strafe Du dir bei Kapitalverbrechen wie Vergewaltigung oder Mord vorstellst?

#421:  Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 04.04.2014, 18:30
    —
step hat folgendes geschrieben:
Viele Menschen geraten ja schon in den Zorn der Gerechten, wenn straffällige Jugendliche in eine Therapie kommen, anstatt mal ordentlich durchgeprügelt oder ins Arbeitslager gesteckt zu werden.


Kein Wunder, oder?

Nehmen wir z.B. den bundesweit bekannten Fall "Johnny K.", der in Berlin totgeprügelt wurde. Alle Täter waren bereits wegen Gewaltdelikten mehrfach vorbestraft. Kuschelpädagogische Massnahmen wie "Anti-Aggressions-Training" und "Sozialstunden" haben offenkundig nicht gefruchtet.

Hätte die Justiz hier mal früher zu härteren Massnahmen gegriffen, würde Jonny K. wohl noch leben. Allein das ist schon Grund genug vor Zorn und Wut in die Luft zu gehen, vorallem für die Hinterbliebenen von Jonny K.

Wenn man sich nun auch noch vorstellt, dass die Täter für die brutale Tötung von Jonny K. WIEDER nicht hart und angemessen bestraft werden, ist das einfach nur eine schreckliche Ungerechtigkeit, mit der es wohl schwer ist einfach so weiterzuleben als Angehöriger.

#422:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 07.04.2014, 17:19
    —
Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:

Ich denke, so etwas muss im Zusammenhang mit der gesellschaftlich nun einmal vorherrschenden Ansicht zum Thema Schuld, Sühne und Gerechtigkeit gesehen werden. Nazis lafen zu lassen in einer Gesellschaft, in der die Bestrafung von Unrecht als Akt der Gerechtigkeit gilt, würde einer moralische Rehabilitierung der Täter gleichkommen. Würde das "Strafrecht" insgesamt steps Vorstellungen entsprechen, bestünde dieses Problem nicht.



Da stellt sich dann die Frage ob steps Vorstellungen realisierbar sind, oder ob sie zu menschenfern sind.


Ja, diese Frage ist nicht unberechtigt. Dafür müsste aber erst mal geklärt werden, was die tieferen Ursachen für die institutionalisierte Bestrafung von Normverletzern sind. Möglicherweise das Zusammenspiel zweier menschlicher Grundregungen: Nämlich das Bedürfnis zum Handeln nach moralischen Grundsätzen einerseits und das Denken in den Kategorien von Ursache und Wirkung andererseits. Schlechtes moralisches Verhalten MUSS einfach etwas Schlechtes für den Täter zur Folge haben, sonst, so die intuitive Überzeugung, ist die ganze Moral überhaupt nichts wert. Die Gültigkeit einer Norm wäre demnach erst dann gegeben, wenn das moralische oder unmoralische Handeln für das handelnde Individuum Konsequenzen hat. Die Frage wäre in diesem Zusammengang also letztlich, wie stark das moralischen Empfinde an das Bedürfnis zu Strafen und zu Belohnen gekoppelt ist.

#423:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 07.04.2014, 17:44
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:

Ich denke, so etwas muss im Zusammenhang mit der gesellschaftlich nun einmal vorherrschenden Ansicht zum Thema Schuld, Sühne und Gerechtigkeit gesehen werden. Nazis lafen zu lassen in einer Gesellschaft, in der die Bestrafung von Unrecht als Akt der Gerechtigkeit gilt, würde einer moralische Rehabilitierung der Täter gleichkommen. Würde das "Strafrecht" insgesamt steps Vorstellungen entsprechen, bestünde dieses Problem nicht.



Da stellt sich dann die Frage ob steps Vorstellungen realisierbar sind, oder ob sie zu menschenfern sind.


Ja, diese Frage ist nicht unberechtigt. Dafür müsste aber erst mal geklärt werden, was die tieferen Ursachen für die institutionalisierte Bestrafung von Normverletzern sind. Möglicherweise das Zusammenspiel zweier menschlicher Grundregungen: Nämlich das Bedürfnis zum Handeln nach moralischen Grundsätzen einerseits und das Denken in den Kategorien von Ursache und Wirkung andererseits. Schlechtes moralisches Verhalten MUSS einfach etwas Schlechtes für den Täter zur Folge haben, sonst, so die intuitive Überzeugung, ist die ganze Moral überhaupt nichts wert. Die Gültigkeit einer Norm wäre demnach erst dann gegeben, wenn das moralische oder unmoralische Handeln für das handelnde Individuum Konsequenzen hat. Die Frage wäre in diesem Zusammengang also letztlich, wie stark das moralischen Empfinde an das Bedürfnis zu Strafen und zu Belohnen gekoppelt ist.


Sie könnten auch aufgrund der Differenz zwischen der Einsicht in die gebotene Handlungsweise, und der im Gegensatz dazu ausgeführten Handlung bereits zum scheitern verurteilt sein. Schöne Beispiele dafür wären die mit Autos zugeparkten Bürgersteige, die zu erwarten wären, falls diese Art zu parken nicht sanktioniert würde. Der Einnahmenrückgang in den öffentlichen Verkehrsmitteln, oder der Ausfall der Steuerzahlungen.
Selbstverständlich sind wir alles gebildete Menschen, die wissen, was sich gehört. Aber ob das ausreicht, um ein funktionierendes Gemeinwesen am Laufen zu halten, wage ich sehr zu bezweifeln. Letztlich werden sich diejenigen, die gewillt sind sich an die Regeln zu halten, auch davon abkehren, wenn sie merken, daß sie die einzigen sind, und Nachteile davon haben.

#424:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 07.04.2014, 18:13
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Dafür müsste aber erst mal geklärt werden, was die tieferen Ursachen für die institutionalisierte Bestrafung von Normverletzern sind. Möglicherweise das Zusammenspiel zweier menschlicher Grundregungen: Nämlich das Bedürfnis zum Handeln nach moralischen Grundsätzen einerseits und das Denken in den Kategorien von Ursache und Wirkung andererseits. Schlechtes moralisches Verhalten MUSS einfach etwas Schlechtes für den Täter zur Folge haben, sonst, so die intuitive Überzeugung, ist die ganze Moral überhaupt nichts wert. Die Gültigkeit einer Norm wäre demnach erst dann gegeben, wenn das moralische oder unmoralische Handeln für das handelnde Individuum Konsequenzen hat. Die Frage wäre in diesem Zusammengang also letztlich, wie stark das moralischen Empfinde an das Bedürfnis zu Strafen und zu Belohnen gekoppelt ist.

Wenn Du zuerst das Denken in kausalen Zusammenhängen als wesentlichen Pfeiler darstellst, wieso kann dann keine Korrektur der intuitiven Norm eintreten, wenn die kausalen Zusammenhänge besser verstanden werden?

zelig hat folgendes geschrieben:
Sie könnten auch aufgrund der Differenz zwischen der Einsicht in die gebotene Handlungsweise, und der im Gegensatz dazu ausgeführten Handlung bereits zum scheitern verurteilt sein. Schöne Beispiele dafür wären die mit Autos zugeparkten Bürgersteige, die zu erwarten wären, falls diese Art zu parken nicht sanktioniert würde.

Einsicht .. soso ... was glaubst Du würde passieren, wenn man das Parken dort technisch verunmöglichen würde oder die Preise (nicht: Strafen) dafür sehr hoch setzen würde?

zelig hat folgendes geschrieben:
Selbstverständlich sind wir alles gebildete Menschen, die wissen, was sich gehört. Aber ob das ausreicht, um ein funktionierendes Gemeinwesen am Laufen zu halten, wage ich sehr zu bezweifeln.

Das erste bezweifle ich, das zweite habe ich nicht behauptet. Daher hier meine Alternativthese: Es würde - ohne weitere Änderungen - mglw. deshalb nicht funktionieren, weil wir noch zu sehr in Ge-/Verboten denken. Wir sind nicht intrinsisch motiviert / haben kein Verständnis oder gar Bedürfnis, sondern sind halt noch recht archaische Trampel.

zelig hat folgendes geschrieben:
Letztlich werden sich diejenigen, die gewillt sind sich an die Regeln zu halten, auch davon abkehren, wenn sie merken, daß sie die einzigen sind, und Nachteile davon haben.

Ja, Normverletzung darf sich nicht zu sehr lohnen.

#425:  Autor: vrolijkeWohnort: Stuttgart BeitragVerfasst am: 07.04.2014, 18:19
    —
Das gesellschaftlich geächtete wird besser eingehalten, als Vergehen mit drakonische Strafen.

#426:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 07.04.2014, 18:31
    —
step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Sie könnten auch aufgrund der Differenz zwischen der Einsicht in die gebotene Handlungsweise, und der im Gegensatz dazu ausgeführten Handlung bereits zum scheitern verurteilt sein. Schöne Beispiele dafür wären die mit Autos zugeparkten Bürgersteige, die zu erwarten wären, falls diese Art zu parken nicht sanktioniert würde.

Einsicht .. soso ... was glaubst Du würde passieren, wenn man das Parken dort technisch verunmöglichen würde oder die Preise (nicht: Strafen) dafür sehr hoch setzen würde?


Was unterscheidet den sehr hohen Preis von einer Strafe? Bzw die Frage stützt meine Vermutung, daß Sanktionslosigkeit Privilegierte noch stärker privilegieren würde.

#427:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 07.04.2014, 18:40
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Sie könnten auch aufgrund der Differenz zwischen der Einsicht in die gebotene Handlungsweise, und der im Gegensatz dazu ausgeführten Handlung bereits zum scheitern verurteilt sein. Schöne Beispiele dafür wären die mit Autos zugeparkten Bürgersteige, die zu erwarten wären, falls diese Art zu parken nicht sanktioniert würde.
Einsicht .. soso ... was glaubst Du würde passieren, wenn man das Parken dort technisch verunmöglichen würde oder die Preise (nicht: Strafen) dafür sehr hoch setzen würde?
Was unterscheidet den sehr hohen Preis von einer Strafe?

Na das ist doch wohl offensichtlich:
- von dem Preisgeld kann die Allgemeinheit was Sinnvolles bauen (und seien es Parkplätze oder Bürgersteige), von einer Strafe hat niemand was.
- einen Preis könnte man im Voraus entrichten

Mir ging es aber eigentlich um etwas anderes, nämlich die Einsicht: Meines Erachtens ist die nicht wirklich da. Die Autofahrer würden sich beschweren, wenn man es technisch verunmöglichen würde. Vielen ist wichtiger, daß sie parken können, als daß sie keine Ordnungswidrigkeit begehen. Gilt natürlich auch für Radler, Fußgänger, Steuersparer usw.

zelig hat folgendes geschrieben:
Bzw die Frage stützt meine Vermutung, daß Sanktionslosigkeit Privilegierte noch stärker privilegieren würde.

Auch Geldstrafen privilegieren Privilegierte. Insofern sollten die Preise für Ordnungswidrigkeiten vielleicht besser der Progression unterliegen. zwinkern

#428:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 07.04.2014, 18:52
    —
step hat folgendes geschrieben:
Mir ging es aber eigentlich um etwas anderes, nämlich die Einsicht: Meines Erachtens ist die nicht wirklich da. Die Autofahrer würden sich beschweren, wenn man es technisch verunmöglichen würde.


Ach so. Ich denke, Autofahrer sind im Schnitt genauso vernünftig wie wir [habe keinen Wagen mehr ; )]. Sicher würden die allermeisten zustimmen, wenn man sie fragen würde, ob Bürgersteige nicht für Fußgänger freigehalten werden sollen (genauso wie die allermeisten einsehen, daß man Steuern und Bahntickets zahlen muss). Nur würde die Bereitschaft, der Einsicht entsprechend zu handeln, schnell kippen, wenn der Nachbar sich einen tollen Vorgarten, der Mitreisende tollere Reisen, und der Vereinspräsident die tolleren Spieler einkaufen kann. Und zwar zu recht. Damit meine ich nicht andere. So spießig sind wir alle.

#429:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 07.04.2014, 19:30
    —
step hat folgendes geschrieben:

Wenn Du zuerst das Denken in kausalen Zusammenhängen als wesentlichen Pfeiler darstellst,...


Das war ja nur so 'ne spontane Idee, vielleicht verhält es sich ja auch völlig anders.

step hat folgendes geschrieben:
...wieso kann dann keine Korrektur der intuitiven Norm eintreten, wenn die kausalen Zusammenhänge besser verstanden werden?


Selbstverständlich kann sie das und sie tut es ja auch. Wer einen Täter und seine Motive kennt, kann sich eher mit ihm identifizieren und zwar sowohl auf individueller Ebene, als auch auf abstrakter (zum Beispiel wenn es bei gruppenspezifischen Taten um "einen von uns" geht). Ein umfassendes Verständnis kausaler Zusammenhänge und deren Reflexion würde mglw. tatsächlich zu einem Verzicht auf jede Form der Bestrafung führen. Allerdings setzt das bei einem Großteil der Bevölkerung ein derart hohes Maß an Abstraktionsfähigkeit und Rationalität voraus, dass in einer solchen Gesellschaft Kriminalität praktisch ohnehin kaum vorkommen dürfte. Zur Perfektion geführt würde in dieser Gesellschaft nichts weniger verwirklicht sein als der Kategorische Imperativ. Das klingt für mich eher nach einem Ideal, dem man sich annähern kann als nach einem tatsächlich zu verwirklichendem Ziel. Insofern könnte der Grad an Humanität des Strafrechtes eventuell ein Gradmesser dafür sein, inwieweit der KI in dieser Gesellschaft verwirklicht ist.

#430:  Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 07.04.2014, 23:50
    —
step hat folgendes geschrieben:
Na das ist doch wohl offensichtlich:
- von dem Preisgeld kann die Allgemeinheit was Sinnvolles bauen (und seien es Parkplätze oder Bürgersteige), von einer Strafe hat niemand was.


Naja, beim Falschparken ist ein Bußgeld natürlich angemessen. Aber was ist denn nun mit gravierenden Straftaten wie Mord, Vergewaltigung, schwere, gefährliche Körperverletzungen?

Dazu schweigst du beharrlich.

#431:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 08.04.2014, 00:33
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Dazu schweigst du beharrlich.

Warum nennst Du Dich eigentlich "Schöngeist", wo Du Dich doch so sehr für Rache und Schwerverbrechen interessierst?

Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Naja, beim Falschparken ist ein Bußgeld natürlich angemessen. Aber was ist denn nun mit gravierenden Straftaten wie Mord, Vergewaltigung, schwere, gefährliche Körperverletzungen?

Bei Schwerverbrechen sind mE folgende Dinge wichtig:
- Generalprävention: begünstigende Ursachen erkennen, Erziehung entsprechend verbessern
- Spezialprävention: Therapie, Überwachung, Verwahrung je nach Wiederholungsgefahr
- Opferunterstützung: hier ist die Allgemeinheit gefordert

#432:  Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 08.04.2014, 00:56
    —
step hat folgendes geschrieben:
Warum nennst Du Dich eigentlich "Schöngeist", wo Du Dich doch so sehr für Rache und Schwerverbrechen interessierst?


Ich interessiere mich für Gerechtigkeit. Ein Begriff, den Du ja leider scheust wie der Teufel das Weihwasser. zwinkern

Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Bei Schwerverbrechen sind mE folgende Dinge wichtig:
- Generalprävention: begünstigende Ursachen erkennen, Erziehung entsprechend verbessern
- Spezialprävention: Therapie, Überwachung, Verwahrung je nach Wiederholungsgefahr
- Opferunterstützung: hier ist die Allgemeinheit gefordert


Alles gut und schön

Aber auf die entscheidende Frage gehst Du (mal wieder) nicht ein: Welche Strafe wäre z.B. für einen Mord gerecht und angemessen?

#433:  Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 08.04.2014, 01:05
    —
Ein Beispiel nochmal:

Herr Müller begeht einen brutalen Mord aus Habgier. Vor Gericht gibt er die Tat zu und behauptet Reue. Gutachter beschäftigen sich mit Herrn Müller und stellen fest, dass er nicht psychisch krank ist und eine Wiederholungsgefahr nich bestehe. Es habe sich um eine einmalige Tat gehandelt, es sei aber nicht von einer erneuten Tat bei Herrn Müller auszugehen.

Nun die entscheidende Frage: Sollte Herr Müller nun einfach wieder nach Hause gehen dürfen, da für eine Inhaftierung ja der Grund einer Wiederholungsgefahr entfällt? Also Schwamm drüber und gut iss?

Oder sollte Herr Müller für das, was er angerichtet hat (den Mord an einem Menschen) büßen und mehrere Jahrzehnte im Knast verbringen, aus Gründen der Gerechtigkeit?

Das ist hier meines Erachtens die entscheidende Frage.

#434:  Autor: Kival BeitragVerfasst am: 08.04.2014, 01:36
    —
Denk Dir doch bitte eine plausiblere Story aus. Wenn ein brutaler Mord (!) aus Habgier (!) geschah, wie soll man nun glauben, dass dieses Habgiermotiv ihn nie wieder antreiben würde? Ich helfe Dir mal: Versuch's lieber mit jemanden, der sich für den Mord an seinem Kind gerächt hat.

#435:  Autor: Kramer BeitragVerfasst am: 08.04.2014, 02:34
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Oder sollte Herr Müller für das, was er angerichtet hat (den Mord an einem Menschen) büßen und mehrere Jahrzehnte im Knast verbringen, aus Gründen der Gerechtigkeit?


Was ist daran gerecht? Was wird dadurch objektiv besser?

#436:  Autor: WolfWohnort: Zuhause BeitragVerfasst am: 08.04.2014, 09:21
    —
Kival hat folgendes geschrieben:
Denk Dir doch bitte eine plausiblere Story aus. Wenn ein brutaler Mord (!) aus Habgier (!) geschah, wie soll man nun glauben, dass dieses Habgiermotiv ihn nie wieder antreiben würde? Ich helfe Dir mal: Versuch's lieber mit jemanden, der sich für den Mord an seinem Kind gerächt hat.

Totschlag 6 Jahre, vorzeitige Entlassung nach 3 Jahren.
Durchaus fair.
Kramer hat folgendes geschrieben:
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Oder sollte Herr Müller für das, was er angerichtet hat (den Mord an einem Menschen) büßen und mehrere Jahrzehnte im Knast verbringen, aus Gründen der Gerechtigkeit?


Was ist daran gerecht?
Der Zustand der Gerechtigkeit ist nicht mehr herstellbar, da Mord nicht rückgängig gemacht werden kann.
Zitat:

Was wird dadurch objektiv besser?

Dass der Mörder nicht einfach so davon kommt.

#437:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 08.04.2014, 10:57
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Warum nennst Du Dich eigentlich "Schöngeist", wo Du Dich doch so sehr für Rache und Schwerverbrechen interessierst?
Ich interessiere mich für Gerechtigkeit. Ein Begriff, den Du ja leider scheust wie der Teufel das Weihwasser. zwinkern

Nix da, ich habe "Gerechtigkeit" sogar auf Nachfrage extra definiert. Dein Verständnis diese Begriffs jedoch ist alles andere als schöngeistig.

Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Alles gut und schön. Aber auf die entscheidende Frage gehst Du (mal wieder) nicht ein: Welche Strafe wäre z.B. für einen Mord gerecht und angemessen?

Keine natürlich! Also keine Strafe im üblichen, rächend-vergeltenden Sinne, die dazu da ist, Befriedigung aus dem Leiden des Täters zu ziehen.

#438:  Autor: WolfWohnort: Zuhause BeitragVerfasst am: 08.04.2014, 11:19
    —
step hat folgendes geschrieben:

Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Alles gut und schön. Aber auf die entscheidende Frage gehst Du (mal wieder) nicht ein: Welche Strafe wäre z.B. für einen Mord gerecht und angemessen?

Keine natürlich! Also keine Strafe im üblichen, rächend-vergeltenden Sinne, die dazu da ist, Befriedigung aus dem Leiden des Täters zu ziehen.

Mit welcher Konsequenz hat jetzt ein Mörder in deinem Unstrafsystem zu rechnen?
Mit Couchstunden, Gruppentherapie, Freiheitsentzug, Gehirnwäsche?

#439:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 08.04.2014, 11:40
    —
Wolf hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Welche Strafe wäre z.B. für einen Mord gerecht und angemessen?
Keine natürlich! Also keine Strafe im üblichen, rächend-vergeltenden Sinne, die dazu da ist, Befriedigung aus dem Leiden des Täters zu ziehen.
Mit welcher Konsequenz hat jetzt ein Mörder in deinem Unstrafsystem zu rechnen? Mit Couchstunden, Gruppentherapie, Freiheitsentzug, Gehirnwäsche?

Wie oft soll ich das eigentlich noch erklären?

Grob gesagt so:
- von allen möglichen Maßnahmen werden die identifiziert, die vermutlich für die beste Prävention sorgen (z.B. bei Wiederholungsgefahr)
- von diesen werden wiederum die gewählt, die dem Täter am wenigsten Leid zufügen

Die Ethik und auch die Effizienz von Sanktionen ist eigentlich ein anderes Thema, sicher auch keine einfaches. Mir geht es hier vor allem darum, den rächenden Aspekt des Strafrechts (und die dahinterstehenden intuitiven Dispositionen) zu kritisieren / loszuwerden.

Mit Euren immer wiederkehrenden Fragen a la "kommt der Kindermörder einfach so davon?" appelliert Ihr nur immer wieder an den Racheisntinkt. Das ist kein ethisches Argument, sondern ziemlich plump.

#440:  Autor: NaastikaWohnort: an der Fütterungsstelle der Eichhörnchen BeitragVerfasst am: 08.04.2014, 11:55
    —
Kival hat folgendes geschrieben:
Denk Dir doch bitte eine plausiblere Story aus. Wenn ein brutaler Mord (!) aus Habgier (!) geschah, wie soll man nun glauben, dass dieses Habgiermotiv ihn nie wieder antreiben würde? Ich helfe Dir mal: Versuch's lieber mit jemanden, der sich für den Mord an seinem Kind gerächt hat.


OK, dann gebe ich mal ein Beispiel:

Ein ältlicher, übergewichtiger Waffensammler (Antiquitäten), früher mal Kleinganove, bekommt von Laufburschen von früheren Kumpeln einen unangekündigten Besuch. Die Besucher, zwei junge, gesunde Männer, wollen bei ihm nur übernachten.

Diese Männer sollen in der Stadt bei eingen Geschäftsleuten die Rückzahlung von Darlehen durchsetzen, mit den üblichen Methoden.

Die Männer kommen bei dem Waffensammler am Nachmittag an, lassen ihr Zeugs bei ihm und ziehen los, Leute einschüchtern und verdräschen.

Sie kommen mitten in der Nacht beim Gastgeber wieder an, angetrucken, auf Drogen, voll aufgedreht und bester Dinge.

Sie fordern Essen, Alkohol, beleidigen ihn und seine Freundin. Wollen nicht abziehen, randalieren ein bisschen.

Der Gastgeber fordert sie immer wieder auf, seine Wohnung zu verlassen. Er traut sich nicht, Polizei zu rufen.
Sie lachen ihn aus, essen und trinken zu Ende, beleidigen und verhöhen Mann und Frau auf`s Übelste, legen sich dann am frühen Morgen schlafen.

Als er sicher ist, dass die beiden schlafen, erschießt er sie.


Der Mann wird wegen Mordens aus Heimtück verurteilt.

Hätte er geschossen, als die Beiden noch radalierten und trotz Aufforderung nicht Wohnung nicht verliessen, wäre es kein Mord. Da traute er sich aber nicht, zu schiessen.

Ich kenne die Sache, war vor kurzem die Nebenklagevertetung der Familien der Opfer (der Ganoven..).

Von diesem Mann würde nie wieder eine Gefahr drohen, er handelte in einer Ausnahmesituation.

Die beiden Toten würden aber sicherlich noch viel Leid verursachen.

#441:  Autor: WolfWohnort: Zuhause BeitragVerfasst am: 08.04.2014, 11:59
    —
step hat folgendes geschrieben:
Wie oft soll ich das eigentlich noch erklären?

Du weichst auch immer wieder aus, antwortest sehr allgemein ohne konkrete Maßnahmen. Auch jetzt wieder.
Zitat:

Mit Euren immer wiederkehrenden Fragen a la "kommt der Kindermörder einfach so davon?" appelliert Ihr nur immer wieder an den Racheisntinkt. Das ist kein ethisches Argument, sondern ziemlich plump.

Das Bedürfnis nach Gerechtigkeit/Vergeltung ist nicht plumper als das Bedürfnis nach Leidminimierung.
Insbesondere ist das Leid des Opfers bzw. der Angehörigen in deinem System
höher. Aber die sind halt nicht aufgeklärt genug.

#442:  Autor: NaastikaWohnort: an der Fütterungsstelle der Eichhörnchen BeitragVerfasst am: 08.04.2014, 12:15
    —
Wolf hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wie oft soll ich das eigentlich noch erklären?

Du weichst auch immer wieder aus, antwortest sehr allgemein ohne konkrete Maßnahmen. Auch jetzt wieder.
Zitat:

Mit Euren immer wiederkehrenden Fragen a la "kommt der Kindermörder einfach so davon?" appelliert Ihr nur immer wieder an den Racheisntinkt. Das ist kein ethisches Argument, sondern ziemlich plump.

Das Bedürfnis nach Gerechtigkeit/Vergeltung ist nicht plumper als das Bedürfnis nach Leidminimierung.
Insbesondere ist das Leid des Opfers bzw. der Angehörigen in deinem System
höher. Aber die sind halt nicht aufgeklärt genug.



Nun ist das Vergeltungsbedürfnis der Angehörigen ein Fakt. Die Familie der beiden Ganoven waren befriedigt, dass der Täter lebenslänglich bekommt.
Der Staat als Erfüller des gesellschaftlichen Aufrages kann dieses Bedürfnis nicht einfach ignorieren.

Ich habe zugegebenermaßen nicht den ganzen Fred gelesen, möchte aber trotzdem erinnern, dass zwischen Tatbestandsmäßigkeit (Wann liegt eine Staftat vor?) und der Stafzumesseung (Welche Folgen hat sie für den Täter?) zu unterscheiden ist.

Mom läuft in "interessierten Kreisen" eine Diskussion betreff. Neufassung des §211 (Mord).

http://www.zeit.de/politik/deutschland/2013-11/rechtsprechung-gesetz-mord-paragraf-211

Damit ist mehr an staatlicher Gerechtigkeit gewonnen als bei Änderung der Strafzumessung.

#443:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 08.04.2014, 13:08
    —
Wolf hat folgendes geschrieben:
Das Bedürfnis nach Gerechtigkeit/Vergeltung ist nicht plumper als das Bedürfnis nach Leidminimierung...


Diese Aussage dürfte kaum haltbar sein, was schon daran zu sehen ist, dass "Vergeltung" i.d.R durch "Gerechtigkeit" ersetzt wird. Vergeltung genießt kein sonderlich hohes ethisches Ansehen. Dem Rächenden wird bestenfalls Verständnis entgegengebracht, für moralisch vorbildlich wird er aber nicht gehalten.

#444:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 08.04.2014, 15:42
    —
Naastika hat folgendes geschrieben:
Ich habe zugegebenermaßen nicht den ganzen Fred gelesen, möchte aber trotzdem erinnern, dass zwischen Tatbestandsmäßigkeit (Wann liegt eine Staftat vor?) und der Stafzumesseung (Welche Folgen hat sie für den Täter?) zu unterscheiden ist.

Das ist ja schonmal ein kleiner Fortschritt. Wenn man genau hinschaut, ist ein Straftatbestand ohne Bezug zur Strafzumessung eher so etwas wie die Feststellung einer unerwünschten Tat.

#445:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 08.04.2014, 15:44
    —
step hat folgendes geschrieben:
Naastika hat folgendes geschrieben:
Ich habe zugegebenermaßen nicht den ganzen Fred gelesen, möchte aber trotzdem erinnern, dass zwischen Tatbestandsmäßigkeit (Wann liegt eine Staftat vor?) und der Stafzumesseung (Welche Folgen hat sie für den Täter?) zu unterscheiden ist.

Das ist ja schonmal ein kleiner Fortschritt.

Im Vergleich zu was? Diese Unterscheidung gibt es seit Jahrzehnten und war sogar in der Weimarer Republik schon standard. Vielleicht sogar im Kaiserreich.

#446:  Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 08.04.2014, 16:05
    —
step hat folgendes geschrieben:
Wie oft soll ich das eigentlich noch erklären?

Grob gesagt so:
- von allen möglichen Maßnahmen werden die identifiziert, die vermutlich für die beste Prävention sorgen (z.B. bei Wiederholungsgefahr)
- von diesen werden wiederum die gewählt, die dem Täter am wenigsten Leid zufügen


Wenn nun aber keine Wiederholungsgefahr zu befürchten ist, dann heisst das im Klartext: Ein Mörder wird GAR NICHT bestraft. Richtig?

#447:  Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 08.04.2014, 16:09
    —
step hat folgendes geschrieben:
Keine natürlich! Also keine Strafe im üblichen, rächend-vergeltenden Sinne, die dazu da ist, Befriedigung aus dem Leiden des Täters zu ziehen.


Also willst du lieber wieder die Selbstjustiz fördern, wo die Menschen dann ihren Durst nach Gerechtigkeit durch eigene Strafaktionen stillen, weil es eben keinen Staat gibt, der das in geordneten Bahnen erledigt?

Darauf würde es ja hinauslaufen.

#448:  Autor: NaastikaWohnort: an der Fütterungsstelle der Eichhörnchen BeitragVerfasst am: 08.04.2014, 16:12
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wie oft soll ich das eigentlich noch erklären?

Grob gesagt so:
- von allen möglichen Maßnahmen werden die identifiziert, die vermutlich für die beste Prävention sorgen (z.B. bei Wiederholungsgefahr)
- von diesen werden wiederum die gewählt, die dem Täter am wenigsten Leid zufügen


Wenn nun aber keine Wiederholungsgefahr zu befürchten ist, dann heisst das im Klartext: Ein Mörder wird GAR NICHT bestraft. Richtig?



Vermeide zunächst den Begriff "Mörder". Er lässt die argumentativen Sicherungen durchbrennen.

Und: Ja, uU fällt die Strafzumessung anders aus (also kein Lebenslänglich=mind. 15 Jahre).

#449:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 08.04.2014, 16:17
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Keine natürlich! Also keine Strafe im üblichen, rächend-vergeltenden Sinne, die dazu da ist, Befriedigung aus dem Leiden des Täters zu ziehen.


Also willst du lieber wieder die Selbstjustiz fördern, wo die Menschen dann ihren Durst nach Gerechtigkeit durch eigene Strafaktionen stillen, weil es eben keinen Staat gibt, der das in geordneten Bahnen erledigt?

Darauf würde es ja hinauslaufen.

Den gäbe es doch durchaus; nur nicht nach den Maßstäben urteilend wie bisher.

#450:  Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 08.04.2014, 17:05
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Den gäbe es doch durchaus; nur nicht nach den Maßstäben urteilend wie bisher.


Nach welchen Maßstäben denn dann? Welches Strafmaß hälst du z.B. für Mord für angemessen? Bitte jetzt nicht wieder mit Wiederholungsgefahr argumentieren. Angenommen es existiert keine Wiederholungsgefahr. Welches Strafmaß wäre für dich denkbar für Mord? Frage

#451:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 08.04.2014, 17:15
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Keine natürlich! Also keine Strafe im üblichen, rächend-vergeltenden Sinne, die dazu da ist, Befriedigung aus dem Leiden des Täters zu ziehen.
Also willst du lieber wieder die Selbstjustiz fördern, wo die Menschen dann ihren Durst nach Gerechtigkeit durch eigene Strafaktionen stillen, weil es eben keinen Staat gibt, der das in geordneten Bahnen erledigt?

Sag mal, liest Du überhaupt, was ich schreibe? So macht das keinen Sinn.

#452:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 08.04.2014, 20:47
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Den gäbe es doch durchaus; nur nicht nach den Maßstäben urteilend wie bisher.


Nach welchen Maßstäben denn dann? Welches Strafmaß hälst du z.B. für Mord für angemessen? Bitte jetzt nicht wieder mit Wiederholungsgefahr argumentieren. Angenommen es existiert keine Wiederholungsgefahr. Welches Strafmaß wäre für dich denkbar für Mord? Frage

Ich vertrete nicht das selbe Konzept wie Step. Ich halte das Schuldprinzip als "notwendige Fiktion" durchaus für sinnvoll.

Und ich halte den gegenwärtigen Strafrahmen - sprich: 15 Jahre + X für sinnvoll. Ich bin allerdings für eine weitreichende Humanisierung des Strafvollzugs, sprich insbesondere bessere Haftbedingungen. Aber da Häftlinge kaum eine Lobby haben, wird sich das kaum ändern. In dieser Hinsicht sind Fälle wie Höneß wirklich ein Glücksfall.

#453:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 08.04.2014, 21:17
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Den gäbe es doch durchaus; nur nicht nach den Maßstäben urteilend wie bisher.


Nach welchen Maßstäben denn dann? Welches Strafmaß hälst du z.B. für Mord für angemessen? Bitte jetzt nicht wieder mit Wiederholungsgefahr argumentieren. Angenommen es existiert keine Wiederholungsgefahr. Welches Strafmaß wäre für dich denkbar für Mord? :?:

Ich vertrete nicht das selbe Konzept wie Step. Ich halte das Schuldprinzip als "notwendige Fiktion" durchaus für sinnvoll.

Und ich halte den gegenwärtigen Strafrahmen - sprich: 15 Jahre + X für sinnvoll. Ich bin allerdings für eine weitreichende Humanisierung des Strafvollzugs, sprich insbesondere bessere Haftbedingungen. Aber da Häftlinge kaum eine Lobby haben, wird sich das kaum ändern. In dieser Hinsicht sind Fälle wie Höneß wirklich ein Glücksfall.


Eine Gefahr, die ich bei steps Modell sehe ist, dass mglw. faktisch das normierten Strafrecht, wie wir es im Wesentlichen kennen, durch reine Ermessensstrafen ersetzt wird, bei der die Qualität des Verteidigers und damit die finanzielle und soziale Lage des Straftäters) noch entscheidender wäre als heute. Eine wesentliche Errungenschaft des Rechtsstaat ist es, dass das Strafrecht für alle gleichermaßen gilt. Der Versuch, über strafrechtliche Maßnahmen ohne festen Rahmen individuell zu befinden, könnte in der Praxis vor allem die Elite begünstigen.

#454:  Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 08.04.2014, 21:29
    —
step hat folgendes geschrieben:

Sag mal, liest Du überhaupt, was ich schreibe? So macht das keinen Sinn.


Du hast geschrieben, dass du gegen eine Strafe aus Sühne wegen der Gerechtigkeit bist.

Du bist höchstens dafür gewisse Maßnahmen (z.B. Freiheitsenzug) anzuordnen, wenn davon ausgegangen wird, dass von einem Täter eine Wiederholungsgefahr ausgehen könnte.

Darum habe ich dich eindeutig gefragt: Was ist, wenn KEINE Wiederholungsgefahr besteht? Täter einfach freilassen und Schwamm drüber? Denn wenn keine Wiederholungsgefahr besteht, entfällt doch nach deiner Logik jeglicher Grund, den Täter noch einzusperren.

Der einzige Grund wäre eben noch die Gerechtigkeit. Aber das lehnst du ja ab.

#455:  Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 08.04.2014, 21:36
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Und ich halte den gegenwärtigen Strafrahmen - sprich: 15 Jahre + X für sinnvoll. Ich bin allerdings für eine weitreichende Humanisierung des Strafvollzugs, sprich insbesondere bessere Haftbedingungen. Aber da Häftlinge kaum eine Lobby haben, wird sich das kaum ändern. In dieser Hinsicht sind Fälle wie Höneß wirklich ein Glücksfall.


Kannst Du das mal an konkreten Beispielen festmachen? In welcher Hinsicht ist dir der aktuelle Strafvollzug in einer JVA zu "inhuman"? Welche Änderungen könntest Du dir konkret vorstellen?

Ich würde mal so sagen: Wenn schon Knast, dann sollte das einen Strafcharakter haben und nicht den Charakter eines erweiterten Hotelaufenthalts oder einer Jugendherberge.

#456:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 08.04.2014, 21:39
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Eine Gefahr, die ich bei steps Modell sehe ist, dass mglw. faktisch das normierten Strafrecht, wie wir es im Wesentlichen kennen, durch reine Ermessensstrafen ersetzt wird, bei der die Qualität des Verteidigers und damit die finanzielle und soziale Lage des Straftäters) noch entscheidender wäre als heute. Eine wesentliche Errungenschaft des Rechtsstaat ist es, dass das Strafrecht für alle gleichermaßen gilt. Der Versuch, über strafrechtliche Maßnahmen ohne festen Rahmen individuell zu befinden, könnte in der Praxis vor allem die Elite begünstigen.

Naja, noch teurer als heute können gute Anwälte wohl kaum noch werden.

Aber im Ernst, man müßte halt eine gewisse Normierung zu erreichen versuchen, etwa bei der Beurteilung der Gefährlichkeit - ich bin mir nicht sicher, ob das willkürlicher sein müßte als etwa die heutige "faktische Normierung", die u.a. auf der sogenannten "Niedrigkeit" der Motive beruht und dem Mythos, in ganz bestimmten Situationen hätte jemand anders handeln können, in anderen dagegen nicht.

Der Hauptanteil der Präventionsmaßnahmen läge außerdem in der frühen Jugend und erlaubt eine bessere, schichtenübergreifende Normierung.

Und schließlich geht es mir ja vor allem um ein Weniger des Strafens. Der vorherrschende Effekt wäre weniger Quälerei auch bei den ärmeren Tätern.

#457:  Autor: Kramer BeitragVerfasst am: 09.04.2014, 02:16
    —
Wolf hat folgendes geschrieben:

Kramer hat folgendes geschrieben:

Was wird dadurch objektiv besser?

Dass der Mörder nicht einfach so davon kommt.


Das ist aber keine objektive Verbesserung sondern eine höchst subjektive. Die Angehörigen des Opfers fühlen sich besser, weil sie glauben, dass es dem Täter schlecht geht. Wie sich der Täter tatsächlich dabei fühlt, ist ja kaum relevant. Wenn der Täter ein halb verhungerter Obdachloser ist, der nur deshalb jemanden umgebracht hat, um sich für möglichst lange Zeit eine warme Unterkunft und regelmässige Mahlzeiten zu sichern, wo bleibt da die "Gerechtigkeit", die Genugtuung, wenn er für seine Tat genau das erhält, was er sich erhofft hat?

#458:  Autor: Kramer BeitragVerfasst am: 09.04.2014, 02:28
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Und ich halte den gegenwärtigen Strafrahmen - sprich: 15 Jahre + X für sinnvoll. Ich bin allerdings für eine weitreichende Humanisierung des Strafvollzugs, sprich insbesondere bessere Haftbedingungen. Aber da Häftlinge kaum eine Lobby haben, wird sich das kaum ändern. In dieser Hinsicht sind Fälle wie Höneß wirklich ein Glücksfall.


Kannst Du das mal an konkreten Beispielen festmachen? In welcher Hinsicht ist dir der aktuelle Strafvollzug in einer JVA zu "inhuman"? Welche Änderungen könntest Du dir konkret vorstellen?

Ich würde mal so sagen: Wenn schon Knast, dann sollte das einen Strafcharakter haben und nicht den Charakter eines erweiterten Hotelaufenthalts oder einer Jugendherberge.


Ich vermute mal, für viele - wenn nicht die meisten - Menschen wäre ein zwangsweise verordneter mehrjähriger Hotel- oder Jugendherbergsaufenthalt schon Strafe genug. (Ich meine damit natürlich keine Luxussuiten in Edelhotels, sondern ein normales Hotel in der gehobenen Touristenklasse.)

#459:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 09.04.2014, 09:01
    —
Kramer hat folgendes geschrieben:
Wolf hat folgendes geschrieben:

Kramer hat folgendes geschrieben:

Was wird dadurch objektiv besser?

Dass der Mörder nicht einfach so davon kommt.


Das ist aber keine objektive Verbesserung sondern eine höchst subjektive. Die Angehörigen des Opfers fühlen sich besser, weil sie glauben, dass es dem Täter schlecht geht. Wie sich der Täter tatsächlich dabei fühlt, ist ja kaum relevant. Wenn der Täter ein halb verhungerter Obdachloser ist, der nur deshalb jemanden umgebracht hat, um sich für möglichst lange Zeit eine warme Unterkunft und regelmässige Mahlzeiten zu sichern, wo bleibt da die "Gerechtigkeit", die Genugtuung, wenn er für seine Tat genau das erhält, was er sich erhofft hat?


Ich denke nicht, dass es in erster Linie um "Genugtuung" für die Opfer geht, oder zumindest ist das nicht das einzige. Es ist wohl vielmehr der Wunsch nach einem Triumpf des "Richtigen" und einer Niederlage des "Falschen", der ja auch schon in solchen Alltagsfloskeln wie "das darf nicht ungestraft bleiben" zum Ausdruck. Wenn "die Natur", "Gott", "das Schicksal" etc. schon nichts für den Sieg der Moral tut, muss es eben der Mensch machen. Die "objektive Verbesserung" des Strafens bestünde dann also in der Stärkung des Moralischen Empfindens, das andernfalls womöglich droht, in Zynismus abzugleiten.

#460:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 09.04.2014, 09:20
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Ich denke nicht, dass es in erster Linie um "Genugtuung" für die Opfer geht, oder zumindest ist das nicht das einzige. Es ist wohl vielmehr der Wunsch nach einem Triumpf des "Richtigen" und einer Niederlage des "Falschen", der ja auch schon in solchen Alltagsfloskeln wie "das darf nicht ungestraft bleiben" zum Ausdruck. Wenn "die Natur", "Gott", "das Schicksal" etc. schon nichts für den Sieg der Moral tut, muss es eben der Mensch machen. Die "objektive Verbesserung" des Strafens bestünde dann also in der Stärkung des Moralischen Empfindens, das andernfalls womöglich droht, in Zynismus abzugleiten.

Nun ist aber das Zufüfgen von Leiden nicht unbedingt sofort als "Triumph des Guten" erkennbar. Und wenn es tatsächlich nicht um persönliche Genugtuung / Rache ginge, sondern um eine symbolische Niederlage des Schlechten, weil das Schicksal nun mal nicht gut ist, wäre es dann nicht konsequent, auch bei anderen "ungerechten" Schicksalsschlägen, z.B. früher Tod oder schlimme Krankheiten, diese zum symbolischen Ausgleich und zum Aufbegehren gegen das Schicksal auch Anderen zuzufügen? Da hätte man es dem Schicksal aber mal gezeigt!

#461:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 09.04.2014, 09:32
    —
step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Ich denke nicht, dass es in erster Linie um "Genugtuung" für die Opfer geht, oder zumindest ist das nicht das einzige. Es ist wohl vielmehr der Wunsch nach einem Triumpf des "Richtigen" und einer Niederlage des "Falschen", der ja auch schon in solchen Alltagsfloskeln wie "das darf nicht ungestraft bleiben" zum Ausdruck. Wenn "die Natur", "Gott", "das Schicksal" etc. schon nichts für den Sieg der Moral tut, muss es eben der Mensch machen. Die "objektive Verbesserung" des Strafens bestünde dann also in der Stärkung des Moralischen Empfindens, das andernfalls womöglich droht, in Zynismus abzugleiten.

Nun ist aber das Zufüfgen von Leiden nicht unbedingt sofort als "Triumph des Guten" erkennbar. Und wenn es tatsächlich nicht um persönliche Genugtuung / Rache ginge, sondern um eine symbolische Niederlage des Schlechten, weil das Schicksal nun mal nicht gut ist, wäre es dann nicht konsequent, auch bei anderen "ungerechten" Schicksalsschlägen, z.B. früher Tod oder schlimme Krankheiten, diese zum symbolischen Ausgleich und zum Aufbegehren gegen das Schicksal auch Anderen zuzufügen? Da hätte man es dem Schicksal aber mal gezeigt!


Der Unterschied ist natürlich, dass Krankenheiten nicht in den Gestalltungsspieltaum menschlichen Handelns fallen. "Das Schicksal" selbst, "Gott" usw. müssten in so einem Fall vielmehr bestraft werden. Irgendeinen anderen Menschen zu bestrafen, wäre kausal nicht logisch. Es ist vielleicht, wie ich oben ja schon mal mutmaßte, der Wunsch nach einer Art moralischer Folgerichtigkeit.

Was natürlich nicht heisst, dass Rache nicht AUChHein Motiv sein könnte.

#462:  Autor: vrolijkeWohnort: Stuttgart BeitragVerfasst am: 09.04.2014, 10:21
    —
Für die hier diskutierenden bestimmt interessant.
Heute Abend 17.05 Uhr auf SWR2 Radio:
Vom Zuchthaus zur Besserungsanstalt
Was bringt der deutsche Strafvollzug?


Zitat:
Es diskutieren:
Joe Bausch, Gefängnisarzt in der Justizvollzugsanstalt Werl
Dr. Ineke Pruin, Kriminologin, Universität Greifswald
Prof. Dr. Rüdiger Wulf, Kriminologe, Referatsleiter Strafvollzugsgestaltung im Justizministerium Baden-Württemberg
Gesprächsleitung: Eggert Blum

#463:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 09.04.2014, 10:45
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Ich denke nicht, dass es in erster Linie um "Genugtuung" für die Opfer geht, oder zumindest ist das nicht das einzige. Es ist wohl vielmehr der Wunsch nach einem Triumpf des "Richtigen" und einer Niederlage des "Falschen", der ja auch schon in solchen Alltagsfloskeln wie "das darf nicht ungestraft bleiben" zum Ausdruck. Wenn "die Natur", "Gott", "das Schicksal" etc. schon nichts für den Sieg der Moral tut, muss es eben der Mensch machen. Die "objektive Verbesserung" des Strafens bestünde dann also in der Stärkung des Moralischen Empfindens, das andernfalls womöglich droht, in Zynismus abzugleiten.
Nun ist aber das Zufügen von Leiden nicht unbedingt sofort als "Triumph des Guten" erkennbar. Und wenn es tatsächlich nicht um persönliche Genugtuung / Rache ginge, sondern um eine symbolische Niederlage des Schlechten, weil das Schicksal nun mal nicht gut ist, wäre es dann nicht konsequent, auch bei anderen "ungerechten" Schicksalsschlägen, z.B. früher Tod oder schlimme Krankheiten, diese zum symbolischen Ausgleich und zum Aufbegehren gegen das Schicksal auch Anderen zuzufügen? Da hätte man es dem Schicksal aber mal gezeigt!
Der Unterschied ist natürlich, dass Krankenheiten nicht in den Gestalltungsspieltaum menschlichen Handelns fallen.

Hmm ... aber die Verbrechen doch auch nicht (abgesehen davon, daß sonst ja Prävention wieder die Lösung wäre). Oder meinst Du ein symbolisches Aufbegehren gegen den Ort der Handlungsentscheidung (das Gehirn des Täters)? Also sozusagen eine Art Voodoo.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
"Das Schicksal" selbst, "Gott" usw. müssten in so einem Fall vielmehr bestraft werden. Irgendeinen anderen Menschen zu bestrafen, wäre kausal nicht logisch.

Richtig, nur sehe ich da kaum einen Unterschied zum Verbrechen - außer man glaubt an Letztverusrachung / Freien Willen.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Es ist vielleicht, wie ich oben ja schon mal mutmaßte, der Wunsch nach einer Art moralischer Folgerichtigkeit.

Aber das funktioniert nur mit gleichzeitigem kausalen Mythos.

Die überzeugendste Erklärung außer Rachegelüsten, die ich bisher gelesen habe, war die Idee mit dem nachträglichen Handel. Also daß man durch eine gemeinschädliche Tat eine Schuldverpflichtung eingeht, und in Fällen ohne Rückzahlungsmöglichkeit ersatzweise andere Interessen des "Schuldners", z.B. Freizügigkeit, körperliche Unversehrtheit usw. schädigt.

#464:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 09.04.2014, 11:23
    —
step hat folgendes geschrieben:
Hmm ... aber die Verbrechen doch auch nicht (abgesehen davon, daß sonst ja Prävention wieder die Lösung wäre). Oder meinst Du ein symbolisches Aufbegehren gegen den Ort der Handlungsentscheidung (das Gehirn des Täters)? Also sozusagen eine Art Voodoo.


Doch, nämlich in denen des Täters. Der Täter unterliegt moralischen Ansprüchen, Vieren, die eine Krankheit hervorrufen, eher nicht.

step hat folgendes geschrieben:
Richtig, nur sehe ich da kaum einen Unterschied zum Verbrechen - außer man glaubt an Letztverusrachung / Freien Willen.


Der Unterschied ist der moralische Geltungsbereich. Und dafür brauchts keinen Mythos. Der Mythos wird eher zur Rechtfertigung dazuerfunden.

step hat folgendes geschrieben:
Die überzeugendste Erklärung außer Rachegelüsten, die ich bisher gelesen habe, war die Idee mit dem nachträglichen Handel. Also daß man durch eine gemeinschädliche Tat eine Schuldverpflichtung eingeht, und in Fällen ohne Rückzahlungsmöglichkeit ersatzweise andere Interessen des "Schuldners", z.B. Freizügigkeit, körperliche Unversehrtheit usw. schädigt.


Ja, das ist Nietzsches Ansatz.

#465:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 09.04.2014, 14:21
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Doch, nämlich in denen des Täters. Der Täter unterliegt moralischen Ansprüchen, Vieren, die eine Krankheit hervorrufen, eher nicht.

Wenn die moralischen Ansprüche aber beim Täter nicht funktionieren (können)? Wenn ich jemanden impfe und der dann trotzdem krank wird, sagt man "er kann nichts dafür". Die Frage ist aber eigentlich falsch gestellt, besser wäre "kann er was dagegen?" - und wenn man da mit "nein" antwortet, wird es eng.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Richtig, nur sehe ich da kaum einen Unterschied zum Verbrechen - außer man glaubt an Letztverusrachung / Freien Willen.
Der Unterschied ist der moralische Geltungsbereich. Und dafür brauchts keinen Mythos. Der Mythos wird eher zur Rechtfertigung dazuerfunden.

Gut, aber in einer ethischen Diskussion geht es ja gerade um die Rechtfertigung.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Die überzeugendste Erklärung außer Rachegelüsten, die ich bisher gelesen habe, war die Idee mit dem nachträglichen Handel. Also daß man durch eine gemeinschädliche Tat eine Schuldverpflichtung eingeht, und in Fällen ohne Rückzahlungsmöglichkeit ersatzweise andere Interessen des "Schuldners", z.B. Freizügigkeit, körperliche Unversehrtheit usw. schädigt.
Ja, das ist Nietzsches Ansatz.

Womit wir aber schnell z.B. bei der Sippenhaftung wären. Da hilft es auch nichts darauf hinzuweisen, daß Interessen Dritter dabei nicht geschädigt werden dürfen: Knackis oder Prügelstrafenopfer haben auch Angehörige.

#466:  Autor: Schöngeist BeitragVerfasst am: 09.04.2014, 15:42
    —
Die Sache ist doch relativ einfach: Entweder der Staat sorgt durch angemessene Bestrafung von Straftätern für Gerechtigkeit oder die Menschen nehmen die Bestrafung zum Zweck der Gerechtigkeit eben selbst in die Hand.

Würde man die Logik von steps wirklich umsetzen, würde die Leute sich eben eigenhändig rächen und für Gerechtigkeit sorgen, wenn der Staat auf Strafen um der Gerechtigkeit Willen verzichtet. Ganz einfach.

#467:  Autor: NaastikaWohnort: an der Fütterungsstelle der Eichhörnchen BeitragVerfasst am: 09.04.2014, 16:22
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:
Die Sache ist doch relativ einfach: Entweder der Staat sorgt durch angemessene Bestrafung von Straftätern für Gerechtigkeit oder die Menschen nehmen die Bestrafung zum Zweck der Gerechtigkeit eben selbst in die Hand.

Würde man die Logik von steps wirklich umsetzen, würde die Leute sich eben eigenhändig rächen und für Gerechtigkeit sorgen, wenn der Staat auf Strafen um der Gerechtigkeit Willen verzichtet. Ganz einfach.


Nun gibt es unter der Geltung des GG keine Todesstrafe mehr (siehe Art. 102).

Siehst du irgendwo bewaffente Gruppen, die vor Gefängnissen auf freigelassenen Insassen lauern? Oder was bedeutet eigentlich konkret "die Bestrafung zum Zweck der Gerechtigkeit eben selbst in die Hand" zu nehmen?


Zuletzt bearbeitet von Naastika am 09.04.2014, 16:32, insgesamt 2-mal bearbeitet

#468:  Autor: NaastikaWohnort: an der Fütterungsstelle der Eichhörnchen BeitragVerfasst am: 09.04.2014, 16:31
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:


Ich würde mal so sagen: Wenn schon Knast, dann sollte das einen Strafcharakter haben und nicht den Charakter eines erweiterten Hotelaufenthalts oder einer Jugendherberge.



Ein Hotel kann du immer verlassen, das Gefängnis nicht. Schon darin sehe ich einen gewissen Strafcharakter.

#469:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 09.04.2014, 18:30
    —
Schöngeist hat folgendes geschrieben:

Kannst Du das mal an konkreten Beispielen festmachen? In welcher Hinsicht ist dir der aktuelle Strafvollzug in einer JVA zu "inhuman"? Welche Änderungen könntest Du dir konkret vorstellen?

- Größere Zellen und prinzipiell Einzelzellen; Weniger Einschlusszeiten in den Zellen
- Ausgewogenere Ernährung
- besserer Zugang zu Medien; Sportangeboten etc.
- bessere Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten
- bessere Kontakte zu Angehörigen.
- ganz wichtig: Erheblich besserer Schutz der Häftlinge vor Gewalt, vor allem im Jugendstrafvollzug.

Das ganze muss allerdings dennoch hinreichend sicher bleiben, wie dies konkret umzusetzen wäre weiß ich nicht. Prinzipiell dürfte es bei hinreichender und nicht gegebener Investitionsbereitschaft aber möglich sein.

#470:  Autor: DesperadoxWohnort: Hamburg BeitragVerfasst am: 09.04.2014, 20:44
    —
Möglichkeit zum Sex, auch für unverheiratete wäre imho human und wichtig.

#471:  Autor: Er_Win BeitragVerfasst am: 16.04.2014, 09:42
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Ich halte das Schuldprinzip als "notwendige Fiktion" durchaus für sinnvoll.


ob Fiktion oder nicht, möchte ich im FGH nicht mehr diskutieren, aber ganz interessant der Spitzer, welcher nicht ganz auf der "deutschen Willensunfreiheits"-Linie mitschwimmt (Roth, Singer, Salomon et al...) über "moralische" Auswirkungen der "Idee der (Willens)Freiheit"...

https://www.youtube.com/watch?v=fHui7SVu3Sk

#472:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 18.06.2018, 20:45
    —
Aus Das Mädchen und der Flüchtling abgetrennt, und hier angehängt. vrolijke

Morden ist nach weitestdenkbarer Auslegung vorsätzliches töten gegen das Gesetz. Dementsprechend mordet ein Soldat mit rechtmäßigem Befehl nicht.

#473:  Autor: swifty BeitragVerfasst am: 18.06.2018, 22:48
    —
Der Alkoholmissbrauch und die Suizidraten unter Exekutionskommandos in den KZs waren enorm hoch und die Moral in solchen Einheiten war desolat, wenn man zB Rudolf Höß glauben will, auch wenn 'geeignete' Personen dafür ausgesucht wurden.

Psychopathologie oder ähnliche Defekte allein reichen also offenbar nicht aus um derartige Verbrechen zu begehen, es müssen auch die Strukturen sein.

#474:  Autor: beachbernieWohnort: Haida Gwaii BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 00:45
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Morden ist nach weitestdenkbarer Auslegung vorsätzliches töten gegen das Gesetz. Dementsprechend mordet ein Soldat mit rechtmäßigem Befehl nicht.



Vielleicht fuer einen Rechtsverdreher wie Dich. Um einen Mord zu verurteilen brauche ich kein Gesetz. Genausowenig wie ich eine Rechtsgrundlage dafuer brauche einem Menschen in einer Notlage zu helfen.

Der Begriff "Mord" existiert nicht nur im Gesetzbuch.

#475:  Autor: AdvocatusDiaboliWohnort: München BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 09:32
    —
beachbernie hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Morden ist nach weitestdenkbarer Auslegung vorsätzliches töten gegen das Gesetz. Dementsprechend mordet ein Soldat mit rechtmäßigem Befehl nicht.



Vielleicht fuer einen Rechtsverdreher wie Dich. Um einen Mord zu verurteilen brauche ich kein Gesetz. Genausowenig wie ich eine Rechtsgrundlage dafuer brauche einem Menschen in einer Notlage zu helfen.

Der Begriff "Mord" existiert nicht nur im Gesetzbuch.


Die Juristen sollten als Stand die Klappe halten. Die folgen jedem Gesetz, das „legal“ zustandekommt. Man sei an Filbinger erinnert: „Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein.“ So sind zahlreiche furchtbare Juristen nach 1945 unbehelligt geblieben.

#476:  Autor: Gödelchen BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 09:59
    —
AdvocatusDiaboli hat folgendes geschrieben:
beachbernie hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Morden ist nach weitestdenkbarer Auslegung vorsätzliches töten gegen das Gesetz. Dementsprechend mordet ein Soldat mit rechtmäßigem Befehl nicht.



Vielleicht fuer einen Rechtsverdreher wie Dich. Um einen Mord zu verurteilen brauche ich kein Gesetz. Genausowenig wie ich eine Rechtsgrundlage dafuer brauche einem Menschen in einer Notlage zu helfen.

Der Begriff "Mord" existiert nicht nur im Gesetzbuch.


Die Juristen sollten als Stand die Klappe halten. Die folgen jedem Gesetz, das „legal“ zustandekommt. Man sei an Filbinger erinnert: „Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein.“ So sind zahlreiche furchtbare Juristen nach 1945 unbehelligt geblieben.


Smilie der Post zeigt Ahnungslosigkeit. Dein zitierter Satz vom Filbinger ist richtig und rechtstaatlich gesicherter Grundsatz. Warum einige Nazi- Juristen davon gekommen sind, kannst bei Herrn Bauer erkunden und an dem mangelnden politischen Willen damals denen ans Zeug zugehen, wenn sie Recht im Nazi-Ungeist verbogen haben.

#477:  Autor: AdvocatusDiaboliWohnort: München BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 10:10
    —
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
AdvocatusDiaboli hat folgendes geschrieben:
beachbernie hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Morden ist nach weitestdenkbarer Auslegung vorsätzliches töten gegen das Gesetz. Dementsprechend mordet ein Soldat mit rechtmäßigem Befehl nicht.



Vielleicht fuer einen Rechtsverdreher wie Dich. Um einen Mord zu verurteilen brauche ich kein Gesetz. Genausowenig wie ich eine Rechtsgrundlage dafuer brauche einem Menschen in einer Notlage zu helfen.

Der Begriff "Mord" existiert nicht nur im Gesetzbuch.


Die Juristen sollten als Stand die Klappe halten. Die folgen jedem Gesetz, das „legal“ zustandekommt. Man sei an Filbinger erinnert: „Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein.“ So sind zahlreiche furchtbare Juristen nach 1945 unbehelligt geblieben.


Smilie der Post zeigt Ahnungslosigkeit. Dein zitierter Satz vom Filbinger ist richtig und rechtstaatlich gesicherter Grundsatz. Warum einige Nazi- Juristen davon gekommen sind, kannst bei Herrn Bauer erkunden und an dem mangelnden politischen Willen damals denen ans Zeug zugehen, wenn sie Recht im Nazi-Ungeist verbogen haben.


Smilie Dein Post zeigt, dass du ein Faschist bist. Denn die Nürnberger Gesetze waren Unrecht. Da können sich Juristen und deren furchtbaren Freunde noch so verbiegen und sich auf Rechtstaatlichkeit berufen. Denn Rechtsstaatlichkeit ohne demokratische Kontrolle ist niemals gerecht.

#478:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 10:16
    —
AdvocatusDiaboli hat folgendes geschrieben:
beachbernie hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Morden ist nach weitestdenkbarer Auslegung vorsätzliches töten gegen das Gesetz. Dementsprechend mordet ein Soldat mit rechtmäßigem Befehl nicht.



Vielleicht fuer einen Rechtsverdreher wie Dich. Um einen Mord zu verurteilen brauche ich kein Gesetz. Genausowenig wie ich eine Rechtsgrundlage dafuer brauche einem Menschen in einer Notlage zu helfen.

Der Begriff "Mord" existiert nicht nur im Gesetzbuch.


Die Juristen sollten als Stand die Klappe halten. Die folgen jedem Gesetz, das „legal“ zustandekommt. Man sei an Filbinger erinnert: „Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein.“ So sind zahlreiche furchtbare Juristen nach 1945 unbehelligt geblieben.
Und tun recht daran. Bitte erläutere mir höflich, auf welcher Grundlage du unter Berücksichtigung der selbst unter den Nazis verfassungsrechtlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit einen Richter, der auf Grundlage des formal gültig zustande gekommenen Gesetzen urteilt, strafrechtlich - nicht nur disziplinarisch - belangen möchtest. Das würde voraussetzen, dass es eine Art übergesetzliches, quasi magisches Recht gäbe, wofür eine tragfähige Begründung deinerseits - die wahrscheinlich zugunsten grobianischer Dreizeiler unterbleibt - interessant wäre.

#479:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 10:17
    —
AdvocatusDiaboli hat folgendes geschrieben:
Denn Rechtsstaatlichkeit ohne demokratische Kontrolle ist niemals gerecht.

Was für ein Gefasel. Rechtstaatlichkeit ohne demokratische Kontrolle gibt es per Definition nicht.

#480:  Autor: Gödelchen BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 10:18
    —
AdvocatusDiaboli hat folgendes geschrieben:
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
AdvocatusDiaboli hat folgendes geschrieben:
beachbernie hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Morden ist nach weitestdenkbarer Auslegung vorsätzliches töten gegen das Gesetz. Dementsprechend mordet ein Soldat mit rechtmäßigem Befehl nicht.



Vielleicht fuer einen Rechtsverdreher wie Dich. Um einen Mord zu verurteilen brauche ich kein Gesetz. Genausowenig wie ich eine Rechtsgrundlage dafuer brauche einem Menschen in einer Notlage zu helfen.

Der Begriff "Mord" existiert nicht nur im Gesetzbuch.


Die Juristen sollten als Stand die Klappe halten. Die folgen jedem Gesetz, das „legal“ zustandekommt. Man sei an Filbinger erinnert: „Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein.“ So sind zahlreiche furchtbare Juristen nach 1945 unbehelligt geblieben.


Smilie der Post zeigt Ahnungslosigkeit. Dein zitierter Satz vom Filbinger ist richtig und rechtstaatlich gesicherter Grundsatz. Warum einige Nazi- Juristen davon gekommen sind, kannst bei Herrn Bauer erkunden und an dem mangelnden politischen Willen damals denen ans Zeug zugehen, wenn sie Recht im Nazi-Ungeist verbogen haben.


Smilie Dein Post zeigt, dass du ein Faschist bist. Denn die Nürnberger Gesetze waren Unrecht. Da können sich Juristen und deren furchtbaren Freunde noch so verbiegen und sich auf Rechtstaatlichkeit berufen. Denn Rechtsstaatlichkeit ohne demokratische Kontrolle ist niemals gerecht.


Wer hat dir gesagt, dass die Nürnberger Gesetze als Recht zu betrachten wären. Diejenigen, die als Staatsdiener in leitender Funktiondiese Gesetze umgesetzt haben, sind natürlich strafrechtlich zu belangen . Keine Frage.........warum da drei Augen in der BRD oder DDR zugedrückt wurden ist, gut aufgearbeitet worden. Konsequenzen für die Straftäter gab es nur ausnahmsweise. Schandflecken auf der Weste der jungen Republiken,

#481:  Autor: AdvocatusDiaboliWohnort: München BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 10:31
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
AdvocatusDiaboli hat folgendes geschrieben:
beachbernie hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Morden ist nach weitestdenkbarer Auslegung vorsätzliches töten gegen das Gesetz. Dementsprechend mordet ein Soldat mit rechtmäßigem Befehl nicht.



Vielleicht fuer einen Rechtsverdreher wie Dich. Um einen Mord zu verurteilen brauche ich kein Gesetz. Genausowenig wie ich eine Rechtsgrundlage dafuer brauche einem Menschen in einer Notlage zu helfen.

Der Begriff "Mord" existiert nicht nur im Gesetzbuch.


Die Juristen sollten als Stand die Klappe halten. Die folgen jedem Gesetz, das „legal“ zustandekommt. Man sei an Filbinger erinnert: „Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein.“ So sind zahlreiche furchtbare Juristen nach 1945 unbehelligt geblieben.
Und tun recht daran. Bitte erläutere mir höflich, auf welcher Grundlage du unter Berücksichtigung der selbst unter den Nazis verfassungsrechtlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit einen Richter, der auf Grundlage des formal gültig zustande gekommenen Gesetzen urteilt, strafrechtlich - nicht nur disziplinarisch - belangen möchtest. Das würde voraussetzen, dass es eine Art übergesetzliches, quasi magisches Recht gäbe, wofür eine tragfähige Begründung deinerseits - die wahrscheinlich zugunsten grobianischer Dreizeiler unterbleibt - interessant wäre.


Ich schick das zur Einordnung mal voraus, um zu entkräften, dass Juristen so unschuldig waren.

http://www.deutschlandfunk.de/juristen-im-dritten-reich-die-rechtfertigungen-des-unrechts.1310.de.html?dram:article_id=291185


Zitat:
Die Juristen sind weit gegangen. Sie haben, wenn Sie die Texte von 1933, 1934 bis in die Phase bis '38, '39 anschauen, haben die Juristen eindeutig argumentiert: antisemitisch argumentiert, für die Rassengleichheit argumentiert, gegen den Grundsatz universeller Gleichheit. Die Nürnberger Gesetze wurden von den Juristen vorbereitet und nachträglich auch von den Juristen gutgeheißen. Die Nürnberger Rassengesetze werden als die Verfassungsgesetze des Dritten Reiches postuliert."


Jetzt überlege ich mir grobianische Einzeiler.

#482:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 11:12
    —
AdvocatusDiaboli hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
AdvocatusDiaboli hat folgendes geschrieben:
beachbernie hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Morden ist nach weitestdenkbarer Auslegung vorsätzliches töten gegen das Gesetz. Dementsprechend mordet ein Soldat mit rechtmäßigem Befehl nicht.



Vielleicht fuer einen Rechtsverdreher wie Dich. Um einen Mord zu verurteilen brauche ich kein Gesetz. Genausowenig wie ich eine Rechtsgrundlage dafuer brauche einem Menschen in einer Notlage zu helfen.

Der Begriff "Mord" existiert nicht nur im Gesetzbuch.


Die Juristen sollten als Stand die Klappe halten. Die folgen jedem Gesetz, das „legal“ zustandekommt. Man sei an Filbinger erinnert: „Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein.“ So sind zahlreiche furchtbare Juristen nach 1945 unbehelligt geblieben.
Und tun recht daran. Bitte erläutere mir höflich, auf welcher Grundlage du unter Berücksichtigung der selbst unter den Nazis verfassungsrechtlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit einen Richter, der auf Grundlage des formal gültig zustande gekommenen Gesetzen urteilt, strafrechtlich - nicht nur disziplinarisch - belangen möchtest. Das würde voraussetzen, dass es eine Art übergesetzliches, quasi magisches Recht gäbe, wofür eine tragfähige Begründung deinerseits - die wahrscheinlich zugunsten grobianischer Dreizeiler unterbleibt - interessant wäre.


Ich schick das zur Einordnung mal voraus, um zu entkräften, dass Juristen so unschuldig waren.

http://www.deutschlandfunk.de/juristen-im-dritten-reich-die-rechtfertigungen-des-unrechts.1310.de.html?dram:article_id=291185


Zitat:
Die Juristen sind weit gegangen. Sie haben, wenn Sie die Texte von 1933, 1934 bis in die Phase bis '38, '39 anschauen, haben die Juristen eindeutig argumentiert: antisemitisch argumentiert, für die Rassengleichheit argumentiert, gegen den Grundsatz universeller Gleichheit. Die Nürnberger Gesetze wurden von den Juristen vorbereitet und nachträglich auch von den Juristen gutgeheißen. Die Nürnberger Rassengesetze werden als die Verfassungsgesetze des Dritten Reiches postuliert."


Jetzt überlege ich mir grobianische Einzeiler.

Das ist mir alles bekannt. Natürlich waren es primär Juristen, die das herrschende Unrecht entwarfen, bis hin zu den Konzentrationslager-Verwaltungsanweisungen. Es liegt mir fern, da irgendetwas entschuldigen zu wollen. Mir ging es konkret um die Rechtsprechende Gewalt. Konkret Filbinger - die Urteile, die Filbinger nachträglich gerechtfertigt hat, wären zur selben Zeit in der französischen oder englischen Armee nicht anders ausgefallen. ich empfehle den Film "Wege zum Ruhm".

Im Übrigen könntest du deinen Pauschalvorwurf gegen "die Juristen" gegen so ziemlich jeden Stand aussprechen, etwa "die Ärzte", "die Bankiers", "die Industriellen", "die Soldaten"...

#483:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 11:53
    —
@AdvocatusDiaboli
@Samson83

Ihr habt beide einen Hang zum Grobianischen, was gerade bei diesem Thema, dem Verhältnis von Recht und Gerechtigkeit, ein bißchen schade ist.

@Samson83
Natürlich gibt es Rechtsstaatlichkeit ohne demokratische Kontrolle, und Staaten, wo unter demokratischer Kontrolle Rechtsstaatlichkeit abgebaut wird.

#484:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 12:32
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
@AdvocatusDiaboli
@Samson83

Ihr habt beide einen Hang zum Grobianischen, was gerade bei diesem Thema, dem Verhältnis von Recht und Gerechtigkeit, ein bißchen schade ist.

@Samson83
Natürlich gibt es Rechtsstaatlichkeit ohne demokratische Kontrolle, und Staaten, wo unter demokratischer Kontrolle Rechtsstaatlichkeit abgebaut wird.
Da ist m.E. zu differenzieren. Die "rohe" Demokratie Athens war natürlich alles andere als Rechtstaatlich, und das alte Preußen hatte meines Wissens die erste halbwegs rechtsbebundene, mithin rechtstaatliche Verwaltung Europas.

Nach modernem Verständnis ist Rechtstaatlichkeit allerdings ein konstitutives Element von Demokratie und umgekehrt die demokratische Legitimierung des obersten Gesetzgebungsorgans ein konstitutives Element der Rechtsstaatlichkeit.

#485:  Autor: beachbernieWohnort: Haida Gwaii BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 18:44
    —
AdvocatusDiaboli hat folgendes geschrieben:
beachbernie hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Morden ist nach weitestdenkbarer Auslegung vorsätzliches töten gegen das Gesetz. Dementsprechend mordet ein Soldat mit rechtmäßigem Befehl nicht.



Vielleicht fuer einen Rechtsverdreher wie Dich. Um einen Mord zu verurteilen brauche ich kein Gesetz. Genausowenig wie ich eine Rechtsgrundlage dafuer brauche einem Menschen in einer Notlage zu helfen.

Der Begriff "Mord" existiert nicht nur im Gesetzbuch.


Die Juristen sollten als Stand die Klappe halten. Die folgen jedem Gesetz, das „legal“ zustandekommt. Man sei an Filbinger erinnert: „Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein.“ So sind zahlreiche furchtbare Juristen nach 1945 unbehelligt geblieben.


Yup!

An den Justizmoerder Filbinger musste ich auch denken.

#486:  Autor: beachbernieWohnort: Haida Gwaii BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 18:54
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
AdvocatusDiaboli hat folgendes geschrieben:
beachbernie hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Morden ist nach weitestdenkbarer Auslegung vorsätzliches töten gegen das Gesetz. Dementsprechend mordet ein Soldat mit rechtmäßigem Befehl nicht.



Vielleicht fuer einen Rechtsverdreher wie Dich. Um einen Mord zu verurteilen brauche ich kein Gesetz. Genausowenig wie ich eine Rechtsgrundlage dafuer brauche einem Menschen in einer Notlage zu helfen.

Der Begriff "Mord" existiert nicht nur im Gesetzbuch.


Die Juristen sollten als Stand die Klappe halten. Die folgen jedem Gesetz, das „legal“ zustandekommt. Man sei an Filbinger erinnert: „Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein.“ So sind zahlreiche furchtbare Juristen nach 1945 unbehelligt geblieben.
Und tun recht daran. Bitte erläutere mir höflich, auf welcher Grundlage du unter Berücksichtigung der selbst unter den Nazis verfassungsrechtlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit einen Richter, der auf Grundlage des formal gültig zustande gekommenen Gesetzen urteilt, strafrechtlich - nicht nur disziplinarisch - belangen möchtest. Das würde voraussetzen, dass es eine Art übergesetzliches, quasi magisches Recht gäbe, wofür eine tragfähige Begründung deinerseits - die wahrscheinlich zugunsten grobianischer Dreizeiler unterbleibt - interessant wäre.



Das wuerde ja bedeuten.......


Gesetzt den Fall ich hielte Anwälte fuer "lebensunwertes Leben" und verantwortlich fuer alles, was mir nicht gefällt an unserer Welt. Ich haette so einen Hass auf die, dass ich nach Wegen sinnen wuerde wie man die alle killt.

Ich müsste dann also nichts weiter tun als irgendwie an die Macht kommen und mich zum Diktator machen. Dann mache ich ein paar neue Gesetze, nach denen die anwaltliche Tätigkeit ein Schwerverbrechen und mit dem Tode zu bestrafen ist.

Verstehe ich Dich richtig, dass ich in dem Fall auf Deine Kooperation setzen koennte, wenn ich Dich und Deinesgleichen ins Vernichtungslager transportiere? Das wuerde natuerlich alles ganz streng im Rahmen der dann geltenden Gesetze geschehen.

Ich gehe mal davon aus, dass Du ein gesetzestreuer Buerger bist. Sehr glücklich



On a related subject: Wo Recht zu Unrecht wird wird Widerstand zur Pflicht! Auf Nazigesetze ist geschissen! Smilie

#487:  Autor: beachbernieWohnort: Haida Gwaii BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 19:07
    —
Lasst uns Mal das Pferd von der anderen Seite her aufzäumen....


Ein Deutscher, der im Mai 1943 einen Juden erst versteckt und dem dann zur Flucht aus Deutschland verholfen hat, ist der jetzt ein Verbrecher? Weil der hat ganz zweifellos zu der Zeit geltendes Recht gebrochen.

Nimmt man Filbinger Ausrede wörtlich und ernst, so waeren deutsche Gerichte auch noch nach 1945 verpflichtet gewesen, solche Leute zu verurteilen, falls es denen gelungen waere der Nazijustiz zu entkommen. Geltendes Recht ist nun mal geltendes Recht und ein Bruch desselben ein zu verfolgender Rechtsbruch, unabhängig von jeglicher moralischen Überlegung. Jedenfalls wenn man die Juristerei so betrachtet wie Filbinger und Samson.


Ich kann dazu bloss noch einmal sagen: Wenn Recht zu Unrecht wird wird Widerstand zur Pflicht und Rechtstreue zur fragwürdigen Angelegenheit!


Zuletzt bearbeitet von beachbernie am 19.06.2018, 19:11, insgesamt einmal bearbeitet

#488:  Autor: Gödelchen BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 19:08
    —
beachbernie hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
AdvocatusDiaboli hat folgendes geschrieben:
beachbernie hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Morden ist nach weitestdenkbarer Auslegung vorsätzliches töten gegen das Gesetz. Dementsprechend mordet ein Soldat mit rechtmäßigem Befehl nicht.



Vielleicht fuer einen Rechtsverdreher wie Dich. Um einen Mord zu verurteilen brauche ich kein Gesetz. Genausowenig wie ich eine Rechtsgrundlage dafuer brauche einem Menschen in einer Notlage zu helfen.

Der Begriff "Mord" existiert nicht nur im Gesetzbuch.


Die Juristen sollten als Stand die Klappe halten. Die folgen jedem Gesetz, das „legal“ zustandekommt. Man sei an Filbinger erinnert: „Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein.“ So sind zahlreiche furchtbare Juristen nach 1945 unbehelligt geblieben.
Und tun recht daran. Bitte erläutere mir höflich, auf welcher Grundlage du unter Berücksichtigung der selbst unter den Nazis verfassungsrechtlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit einen Richter, der auf Grundlage des formal gültig zustande gekommenen Gesetzen urteilt, strafrechtlich - nicht nur disziplinarisch - belangen möchtest. Das würde voraussetzen, dass es eine Art übergesetzliches, quasi magisches Recht gäbe, wofür eine tragfähige Begründung deinerseits - die wahrscheinlich zugunsten grobianischer Dreizeiler unterbleibt - interessant wäre.



Das wuerde ja bedeuten.......


Gesetzt den Fall ich hielte Anwälte fuer "lebensunwertes Leben" und verantwortlich fuer alles, was mir nicht gefällt an unserer Welt. Ich haette so einen Hass auf die, dass ich nach Wegen sinnen wuerde wie man die alle killt.

Ich müsste dann also nichts weiter tun als irgendwie an die Macht kommen und mich zum Diktator machen. Dann mache ich ein paar neue Gesetze, nach denen die anwaltliche Tätigkeit ein Schwerverbrechen und mit dem Tode zu bestrafen ist.

Verstehe ich Dich richtig, dass ich in dem Fall auf Deine Kooperation setzen koennte, wenn ich Dich und Deinesgleichen ins Vernichtungslager transportiere? Das wuerde natuerlich alles ganz streng im Rahmen der dann geltenden Gesetze geschehen.

Ich gehe mal davon aus, dass Du ein gesetzestreuer Buerger bist. Sehr glücklich



On a related subject: Wo Recht zu Unrecht wird wird Widerstand zur Pflicht! Auf Nazigesetze ist geschissen! Smilie


Wenn du dich mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze beschäftigen würdest, hättest du dein Problem in die richtigen Bahnen gelenkt.

Alles durchdekliniert. Dein Revolutionsparole ist übrigens ei ne Nonsensparole ohne die Erklärung , wer dazu befugt ist, Recht und Unrecht zu unterscheiden.

Smilie

#489:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 19:09
    —
1. nein könntest du nicht.

2. nach welchen Parametern entscheidest du ob die Massstäbe staatlichen Handels trotz formeller Legalität den Widerstand rechtfertigen? In den Kommentarspalten der Jungen Freiheit fanden sich Leute die mit der gleichen Argumentation Brandanschläge auf Flüchtlingsheime als legitimen Widerstand sahen

#490:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 19:15
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Bitte erläutere mir höflich, auf welcher Grundlage du unter Berücksichtigung der selbst unter den Nazis verfassungsrechtlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit einen Richter, der auf Grundlage des formal gültig zustande gekommenen Gesetzen urteilt, strafrechtlich - nicht nur disziplinarisch - belangen möchtest. Das würde voraussetzen, dass es eine Art übergesetzliches, quasi magisches Recht gäbe, wofür eine tragfähige Begründung deinerseits - die wahrscheinlich zugunsten grobianischer Dreizeiler unterbleibt - interessant wäre.


Rechtsbeugung zB.
Außerdem ist es mittlerweile Standard, Urteile oder Gesetzgebungen auch rückwirkend zu revidieren. Wie im Falle der Verjährungsfristen zB.

#491:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 19:19
    —
Die formaljuristische Argumentation im Fall Filbinger war doch auch damals schon erkennbar kompletter, politisch gewollter Selbstschutz der damaligen Tätergeneration. Und denk bitte auch an die supranationalen Gerichte, die sich über das nationale Recht prinzipiell hinwegsetzen können.

#492:  Autor: beachbernieWohnort: Haida Gwaii BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 19:23
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
1. nein könntest du nicht.



Klar koennte ich das. Ich müsste zwar vielleicht das ein oder andere Gesetz brechen um Diktator zu werden, aber dann koennte die Gesetzgebung beginnen. Fuer die Gesetzesbrüche auf dem Weg zur Macht koennte ich dann belangt werden aber nicht fuer den Massenmord an Anwälten. Und vor allem: All diejenigen, die mir nur beim Massenmorden helfen wuerden, könnten mangels Rechtsgrundlage nicht belangt werden.



Samson83 hat folgendes geschrieben:
. nach welchen Parametern entscheidest du ob die Massstäbe staatlichen Handels trotz formeller Legalität den Widerstand rechtfertigen? In den Kommentarspalten der Jungen Freiheit fanden sich Leute die mit der gleichen Argumentation Brandanschläge auf Flüchtlingsheime als legitimen Widerstand sahen



Nach exakt den gleichen ethischen Grundsätzen, nach denen ich keine Sekunde zögere ein Schild mit der Aufschrift "Das Betreten der Rasenfläche ist verboten" zu ignorieren um z.B. einem schwerverletzten Unfallopfer schnellstmöglich zur Hilfe zu kommen.

Waere ich religiös, wuerde ich hier mit mit irgendwelchen göttlichen Geboten argumentieren, die ich nicht brechen darf. Als Atheist berufe ich mich auf ethische Grundsätze, die älter sind als jeder moderne Gesetzgeber und nach denen ein Mord zu begehen oder daran teilzuhaben nie akzeptabel sein kann, egal wie die "Rechtslage" gerade ist. Kein Gesetz der Welt koennte mich z.B. dazu bewegen einen Juden im Nazistaat oder einen Schwulen in Uganda bei der Polizei zu verpfeifen, weil ich weiss, dass das Unrecht (nicht im zufällig gerade aktuellen "rechtlichen", sondern im Sinne meiner ethischen Grundsätze) waere!

#493: nur Rechtsstaat statt Menschenrechtsstaat Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 19:24
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
@AdvocatusDiaboli
@Samson83

Ihr habt beide einen Hang zum Grobianischen, was gerade bei diesem Thema, dem Verhältnis von Recht und Gerechtigkeit, ein bißchen schade ist.

@Samson83
Natürlich gibt es Rechtsstaatlichkeit ohne demokratische Kontrolle, und Staaten, wo unter demokratischer Kontrolle Rechtsstaatlichkeit abgebaut wird.


Wo gibt es denn demokratische Kontrolle? Mir ist keine Gesellschaft bekannt, wo es das gibt.

Was die Rechtsstatlichkeit betrifft, so kann man sagen, dass des herrschende Recht stets das Recht der Herrschenden ist und ein entsprechender Rechtsstaat unter den handelsüblichen gesellschaftlichen Verhältnissen eher kein Menschenrechsstaat ist, sondern eben nur ein Rechtsstaat.

#494:  Autor: Gödelchen BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 19:26
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Bitte erläutere mir höflich, auf welcher Grundlage du unter Berücksichtigung der selbst unter den Nazis verfassungsrechtlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit einen Richter, der auf Grundlage des formal gültig zustande gekommenen Gesetzen urteilt, strafrechtlich - nicht nur disziplinarisch - belangen möchtest. Das würde voraussetzen, dass es eine Art übergesetzliches, quasi magisches Recht gäbe, wofür eine tragfähige Begründung deinerseits - die wahrscheinlich zugunsten grobianischer Dreizeiler unterbleibt - interessant wäre.


Rechtsbeugung zB.
Außerdem ist es mittlerweile Standard, Urteile oder Gesetzgebungen auch rückwirkend zu revidieren. Wie im Falle der Verjährungsfristen zB.


Nun Prüf mal deinen Beitrag auf Logik. Wo ist eine Rechtsbeugung von Amtsträgern gegeben , wenn geltendes ( auch fehlerhaftes, internationalen Rechtsgrundsätzen widersprechendes ) Recht in dem Land angewandt wird, dass diese Gesetze erlassen hat .

Verjährungsfristen sind Ausschlussfristen. Die kannst du nie rückwirkend verändern...
Also .
??.

#495:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 19:30
    —
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Verjährungsfristen sind Ausschlussfristen. Die kannst du nie rückwirkend verändern...


Mach dich bitte schlau, bevor Du sowas postest. Kleiner Tipp zB: Missbrauch.

#496:  Autor: Gödelchen BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 19:37
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Verjährungsfristen sind Ausschlussfristen. Die kannst du nie rückwirkend verändern...


Mach dich bitte schlau, bevor Du so was postest. Kleiner Tipp zB: Missbrauch.


Bin auf dem Laufenden..zeig mir doch mal wie du Verjährungsfristen missbrauchen kannst. Die Verlängerung von ...ist nun mal nur eine zukünftige Sache, die bei noch nicht laufenden Gerichtsverfahren zum Zugekommen kann.

Oder was du meinen tun wollen ?

#497:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 19:58
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
AdvocatusDiaboli hat folgendes geschrieben:
beachbernie hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Morden ist nach weitestdenkbarer Auslegung vorsätzliches töten gegen das Gesetz. Dementsprechend mordet ein Soldat mit rechtmäßigem Befehl nicht.



Vielleicht fuer einen Rechtsverdreher wie Dich. Um einen Mord zu verurteilen brauche ich kein Gesetz. Genausowenig wie ich eine Rechtsgrundlage dafuer brauche einem Menschen in einer Notlage zu helfen.

Der Begriff "Mord" existiert nicht nur im Gesetzbuch.


Die Juristen sollten als Stand die Klappe halten. Die folgen jedem Gesetz, das „legal“ zustandekommt. Man sei an Filbinger erinnert: „Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein.“ So sind zahlreiche furchtbare Juristen nach 1945 unbehelligt geblieben.
Und tun recht daran. Bitte erläutere mir höflich, auf welcher Grundlage du unter Berücksichtigung der selbst unter den Nazis verfassungsrechtlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit einen Richter, der auf Grundlage des formal gültig zustande gekommenen Gesetzen urteilt, strafrechtlich - nicht nur disziplinarisch - belangen möchtest. Das würde voraussetzen, dass es eine Art übergesetzliches, quasi magisches Recht gäbe, wofür eine tragfähige Begründung deinerseits - die wahrscheinlich zugunsten grobianischer Dreizeiler unterbleibt - interessant wäre.


Gehören zum Jurastudium eigentlich auch Pflichtkurse in Rechtsphilosophie? Ist ja nicht so, dass ein strenger und konsequenter Rechtspositivismus da der plausibelste Ansatz wäre.

#498:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 20:33
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Bitte erläutere mir höflich, auf welcher Grundlage du unter Berücksichtigung der selbst unter den Nazis verfassungsrechtlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit einen Richter, der auf Grundlage des formal gültig zustande gekommenen Gesetzen urteilt, strafrechtlich - nicht nur disziplinarisch - belangen möchtest.

Auf der selben materiellen Grundlage, auf der auch diese Richter ihre Urteile fällten: der von Gewehr und Schlagstock. Du hältst ja auch Moral ohne Macht für subjektiv und unverbindlich. Welchen Grund sollte es bitte geben, Recht ohne Macht für grundsätzlich verbindlicher zu halten als Moral ohne Macht? Ich hab' dich das ja schon mehr als einmal in verschiedenen Kontexten gefragt. Bisher hast du mir darauf noch keine befriedigende Antwort geben können.

#499:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 21:01
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Bitte erläutere mir höflich, auf welcher Grundlage du unter Berücksichtigung der selbst unter den Nazis verfassungsrechtlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit einen Richter, der auf Grundlage des formal gültig zustande gekommenen Gesetzen urteilt, strafrechtlich - nicht nur disziplinarisch - belangen möchtest.

Auf der selben materiellen Grundlage, auf der auch diese Richter ihre Urteile fällten: der von Gewehr und Schlagstock. Du hältst ja auch Moral ohne Macht für subjektiv und unverbindlich. Welchen Grund sollte es bitte geben, Recht ohne Macht für grundsätzlich verbindlicher zu halten als Moral ohne Macht? Ich hab' dich das ja schon mehr als einmal in verschiedenen Kontexten gefragt. Bisher hast du mir darauf noch keine befriedigende Antwort geben können.
Recht ohne Macht - bzw ohne Gewalt - ist ohne jeden Wert, das sieht man am Völkerrecht sehr schön.

#500:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 21:09
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Bitte erläutere mir höflich, auf welcher Grundlage du unter Berücksichtigung der selbst unter den Nazis verfassungsrechtlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit einen Richter, der auf Grundlage des formal gültig zustande gekommenen Gesetzen urteilt, strafrechtlich - nicht nur disziplinarisch - belangen möchtest. Das würde voraussetzen, dass es eine Art übergesetzliches, quasi magisches Recht gäbe, wofür eine tragfähige Begründung deinerseits - die wahrscheinlich zugunsten grobianischer Dreizeiler unterbleibt - interessant wäre.


Rechtsbeugung zB.
Außerdem ist es mittlerweile Standard, Urteile oder Gesetzgebungen auch rückwirkend zu revidieren. Wie im Falle der Verjährungsfristen zB.
Aner keine Strafgesetze. Man kann ggf. vertreten dass in außergewöhnlichen Extremsituationen und Zeiten existentieller gesamtgesellschaftlicher Umbrüche geboten ist hiervon abzuweichen- die Statuten der Nürnberger Gesetze sind m.E. auf dieser Grundlage vertretbar - aber bei den Richtern sehe ich das im Grundsatz nicht. Auf welcher Heundlage ist es vertretbar einen Richter zu bestrafen der die Todesstrafe so verhängt wie es im Gesetbuch steht? Ich meine es geht nicht darum dass man ihn aus dem Amt entfernt sondern bestraft. Freißöers Witwe bekam noch jahrelang eine Rente die sich nach dessen noch Jahre währenden Verbleib in Richterstand bemaß. Die BRD war also hier sogar großzügiger als ich gewesen wäre- da der Volksgerichtshof nichtmal die strafprozessualen Maßstäbe des dritten Reiches einhielt wäre hier eine Bestrafung der Mitwirkenden Richter vertretbar.

#501:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 21:12
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
AdvocatusDiaboli hat folgendes geschrieben:
beachbernie hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Morden ist nach weitestdenkbarer Auslegung vorsätzliches töten gegen das Gesetz. Dementsprechend mordet ein Soldat mit rechtmäßigem Befehl nicht.



Vielleicht fuer einen Rechtsverdreher wie Dich. Um einen Mord zu verurteilen brauche ich kein Gesetz. Genausowenig wie ich eine Rechtsgrundlage dafuer brauche einem Menschen in einer Notlage zu helfen.

Der Begriff "Mord" existiert nicht nur im Gesetzbuch.


Die Juristen sollten als Stand die Klappe halten. Die folgen jedem Gesetz, das „legal“ zustandekommt. Man sei an Filbinger erinnert: „Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein.“ So sind zahlreiche furchtbare Juristen nach 1945 unbehelligt geblieben.
Und tun recht daran. Bitte erläutere mir höflich, auf welcher Grundlage du unter Berücksichtigung der selbst unter den Nazis verfassungsrechtlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit einen Richter, der auf Grundlage des formal gültig zustande gekommenen Gesetzen urteilt, strafrechtlich - nicht nur disziplinarisch - belangen möchtest. Das würde voraussetzen, dass es eine Art übergesetzliches, quasi magisches Recht gäbe, wofür eine tragfähige Begründung deinerseits - die wahrscheinlich zugunsten grobianischer Dreizeiler unterbleibt - interessant wäre.


Gehören zum Jurastudium eigentlich auch Pflichtkurse in Rechtsphilosophie? Ist ja nicht so, dass ein strenger und konsequenter Rechtspositivismus da der plausibelste Ansatz wäre.
nein nicht zwingend, hab ich aber besucht. Warum? Meine Ansicht ist kein Rechtspositivismus. Ich unterscheide nur konsequent zwischen Strafbarkeit und Moral.

#502:  Autor: beachbernieWohnort: Haida Gwaii BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 21:15
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Bitte erläutere mir höflich, auf welcher Grundlage du unter Berücksichtigung der selbst unter den Nazis verfassungsrechtlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit einen Richter, der auf Grundlage des formal gültig zustande gekommenen Gesetzen urteilt, strafrechtlich - nicht nur disziplinarisch - belangen möchtest.

Auf der selben materiellen Grundlage, auf der auch diese Richter ihre Urteile fällten: der von Gewehr und Schlagstock. Du hältst ja auch Moral ohne Macht für subjektiv und unverbindlich. Welchen Grund sollte es bitte geben, Recht ohne Macht für grundsätzlich verbindlicher zu halten als Moral ohne Macht? Ich hab' dich das ja schon mehr als einmal in verschiedenen Kontexten gefragt. Bisher hast du mir darauf noch keine befriedigende Antwort geben können.
Recht ohne Macht - bzw ohne Gewalt - ist ohne jeden Wert, das sieht man am Völkerrecht sehr schön.


Ich glaube Tarvoc hat sich verschrieben und meint "Recht ohne Moral".

#503:  Autor: Lebensnebel BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 21:18
    —
beachbernie hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Bitte erläutere mir höflich, auf welcher Grundlage du unter Berücksichtigung der selbst unter den Nazis verfassungsrechtlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit einen Richter, der auf Grundlage des formal gültig zustande gekommenen Gesetzen urteilt, strafrechtlich - nicht nur disziplinarisch - belangen möchtest.

Auf der selben materiellen Grundlage, auf der auch diese Richter ihre Urteile fällten: der von Gewehr und Schlagstock. Du hältst ja auch Moral ohne Macht für subjektiv und unverbindlich. Welchen Grund sollte es bitte geben, Recht ohne Macht für grundsätzlich verbindlicher zu halten als Moral ohne Macht? Ich hab' dich das ja schon mehr als einmal in verschiedenen Kontexten gefragt. Bisher hast du mir darauf noch keine befriedigende Antwort geben können.
Recht ohne Macht - bzw ohne Gewalt - ist ohne jeden Wert, das sieht man am Völkerrecht sehr schön.


Ich glaube Tarvoc hat sich verschrieben und meint "Recht ohne Moral".


Glaube ich nicht.

#504:  Autor: beachbernieWohnort: Haida Gwaii BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 21:23
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Bitte erläutere mir höflich, auf welcher Grundlage du unter Berücksichtigung der selbst unter den Nazis verfassungsrechtlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit einen Richter, der auf Grundlage des formal gültig zustande gekommenen Gesetzen urteilt, strafrechtlich - nicht nur disziplinarisch - belangen möchtest. Das würde voraussetzen, dass es eine Art übergesetzliches, quasi magisches Recht gäbe, wofür eine tragfähige Begründung deinerseits - die wahrscheinlich zugunsten grobianischer Dreizeiler unterbleibt - interessant wäre.


Rechtsbeugung zB.
Außerdem ist es mittlerweile Standard, Urteile oder Gesetzgebungen auch rückwirkend zu revidieren. Wie im Falle der Verjährungsfristen zB.
Aner keine Strafgesetze. Man kann ggf. vertreten dass in außergewöhnlichen Extremsituationen und Zeiten existentieller gesamtgesellschaftlicher Umbrüche geboten ist hiervon abzuweichen- die Statuten der Nürnberger Gesetze sind m.E. auf dieser Grundlage vertretbar - aber bei den Richtern sehe ich das im Grundsatz nicht. Auf welcher Heundlage ist es vertretbar einen Richter zu bestrafen der die Todesstrafe so verhängt wie es im Gesetbuch steht? Ich meine es geht nicht darum dass man ihn aus dem Amt entfernt sondern bestraft. Freißöers Witwe bekam noch jahrelang eine Rente die sich nach dessen noch Jahre währenden Verbleib in Richterstand bemaß. Die BRD war also hier sogar großzügiger als ich gewesen wäre- da der Volksgerichtshof nichtmal die strafprozessualen Maßstäbe des dritten Reiches einhielt wäre hier eine Bestrafung der Mitwirkenden Richter vertretbar.


Es scheint so zu sein, dass z.B. dem Filbinger schon klar war, dass das, was er als Marine"richter" trieb, extrem fragwuerdig war. Warum sonst hat er bei seiner Ueberfuehrung durch den Schriftsteller Hochhuth so dreist und beharrlich gelogen? Jemand, der sich im Recht wähnt, hat solche Lügenorgien nicht nötig. Letztlich hat der Mann sich selbst sein Urteil gesprochen, indem er erst alles abgestritten hat und als das nicht mehr ging zurückgetreten ist. Ich werte sein Verhalten damals als equivalent zu einem Geständnis, auch wenn er weiterhin auf seinen formaljuristischen Gimmicks beharrte. Irgendwie kam der mir mit seinen Ausflüchten vor wie ein Reichsbürger, fuer die ja auch ihr deutsches Reich nie untergegangen ist.

#505:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 21:23
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Bitte erläutere mir höflich, auf welcher Grundlage du unter Berücksichtigung der selbst unter den Nazis verfassungsrechtlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit einen Richter, der auf Grundlage des formal gültig zustande gekommenen Gesetzen urteilt, strafrechtlich - nicht nur disziplinarisch - belangen möchtest.

Auf der selben materiellen Grundlage, auf der auch diese Richter ihre Urteile fällten: der von Gewehr und Schlagstock. Du hältst ja auch Moral ohne Macht für subjektiv und unverbindlich. Welchen Grund sollte es bitte geben, Recht ohne Macht für grundsätzlich verbindlicher zu halten als Moral ohne Macht? Ich hab' dich das ja schon mehr als einmal in verschiedenen Kontexten gefragt. Bisher hast du mir darauf noch keine befriedigende Antwort geben können.
Recht ohne Macht - bzw ohne Gewalt - ist ohne jeden Wert, das sieht man am Völkerrecht sehr schön.

Damit ist dein ganzes Geschwaller über "rechtliche Grundlagen" allerdings hinfällig. Man belangt Nazi-Richter, weil sie Nazi-Richter waren und für die Nazis Urteile gefällt haben, die man aus einer späteren Position der Macht heraus als Unrecht empfindet. Mehr Begründung braucht es nicht und kann es für dich auch gar nicht geben. Die "rechtlichen Grundlagen" dafür bekommt man dann schon irgendwie zusammengekritzelt. Im Notfall denkt man sich halt irgendwas aus. Für dich müsste das ja als Begründung hinreichen, sobald man es hinreichend gestelzt formuliert und dann irgendeine Abkürzung darüber kritzelt, in der der Buchstabe G für "Gesetz" vorkommt.

Nicht nur ist das Gesetz genauso ein Fetisch wie die Moral - psychologisch gesehen ist es sogar noch offensichtlicher ein Fetisch, weil das moralische Urteil wenigstens authentischer Ausdruck der eigenen Subjektivität ist, das rechtliche Urteil hingegen ausschließlich auf letztlich arbiträre externe Fetischobjekte (Gesetzestexte) rekurriert. Wer die Macht als materielle Grundlage allen Rechts anerkennt, kann sich die ganze Debatte um "rechtliche Grundlagen" sparen. Stirner: Recht ist, was Mir Recht ist. Und die einzige relevante Frage ist, was ich durchgesetzt bekomme und was nicht. Das ist die ultimative Konsequenz deiner Einstellung. Aber auf der Grundlage kann man keine Nazi-Richter verteidigen - weil man auf der Grundlage überhaupt niemanden verteidigen kann.

#506:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 21:53
    —
Nein. Wenn man von der Geltung der gegenwärtigen Strafrechtsdogmatik und der gehgenwärtigen Verfassungsrealitöt ausgeht bekommt man dies eben nicht zusammengeschwurbelt, ich wüsste jedenfalls nicht vertretbar wie. Du hast mich missverstanden. Man bestraft nicht „weil Mans kann“ sondern weil der Delinquent eine Strafrechtsnorm verwirklicht, und diese sind keineswegs so beliebig beschwürest wie du zu glauben scheinst, im Grunde es das Strafrecht aus gutem Grund der dogmatisch strengste Rechtszweig. Ich meinte nur , dass ein Recht dass nicht durchgesetzt werden kann nicht mehr als ein frommer Spruch ist. Was bringt ein Strafrecht ohne Polizei und Juatiz? Was ein Zivilrecht ohne Gerichtsvollzieher? Was ein ordnungsrecht ohne Verwaltungszwang?

Es lässt sich gegebenenfalls vertreten, einen Kriegsverbrecher zu bestrafen um eine neue Universalrechtsnorm zu begründen, aber ich wüsste nicht wie man das konsistent bei einem Nazirichter-wie gesagt einem der das seit Weimar kaum geänderte Strafprozessrecht respektierte (das gab es durchaus) belangen könnte.

#507:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 21:54
    —
beachbernie hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Bitte erläutere mir höflich, auf welcher Grundlage du unter Berücksichtigung der selbst unter den Nazis verfassungsrechtlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit einen Richter, der auf Grundlage des formal gültig zustande gekommenen Gesetzen urteilt, strafrechtlich - nicht nur disziplinarisch - belangen möchtest. Das würde voraussetzen, dass es eine Art übergesetzliches, quasi magisches Recht gäbe, wofür eine tragfähige Begründung deinerseits - die wahrscheinlich zugunsten grobianischer Dreizeiler unterbleibt - interessant wäre.


Rechtsbeugung zB.
Außerdem ist es mittlerweile Standard, Urteile oder Gesetzgebungen auch rückwirkend zu revidieren. Wie im Falle der Verjährungsfristen zB.
Aner keine Strafgesetze. Man kann ggf. vertreten dass in außergewöhnlichen Extremsituationen und Zeiten existentieller gesamtgesellschaftlicher Umbrüche geboten ist hiervon abzuweichen- die Statuten der Nürnberger Gesetze sind m.E. auf dieser Grundlage vertretbar - aber bei den Richtern sehe ich das im Grundsatz nicht. Auf welcher Heundlage ist es vertretbar einen Richter zu bestrafen der die Todesstrafe so verhängt wie es im Gesetbuch steht? Ich meine es geht nicht darum dass man ihn aus dem Amt entfernt sondern bestraft. Freißöers Witwe bekam noch jahrelang eine Rente die sich nach dessen noch Jahre währenden Verbleib in Richterstand bemaß. Die BRD war also hier sogar großzügiger als ich gewesen wäre- da der Volksgerichtshof nichtmal die strafprozessualen Maßstäbe des dritten Reiches einhielt wäre hier eine Bestrafung der Mitwirkenden Richter vertretbar.


Es scheint so zu sein, dass z.B. dem Filbinger schon klar war, dass das, was er als Marine"richter" trieb, extrem fragwuerdig war. Warum sonst hat er bei seiner Ueberfuehrung durch den Schriftsteller Hochhuth so dreist und beharrlich gelogen? Jemand, der sich im Recht wähnt, hat solche Lügenorgien nicht nötig. Letztlich hat der Mann sich selbst sein Urteil gesprochen, indem er erst alles abgestritten hat und als das nicht mehr ging zurückgetreten ist. Ich werte sein Verhalten damals als equivalent zu einem Geständnis, auch wenn er weiterhin auf seinen formaljuristischen Gimmicks beharrte. Irgendwie kam der mir mit seinen Ausflüchten vor wie ein Reichsbürger, fuer die ja auch ihr deutsches Reich nie untergegangen ist.
weil er ein feiger Kretin war. Wenn du glaubst ich würde Filbinger schätzen irrst du dich.

#508:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 21:57
    —
Ich bitte höflich die Tippfehler zu entschuldigen.iphone.

#509:  Autor: AhrimanWohnort: 89250 Senden BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 22:21
    —
beachbernie hat folgendes geschrieben:
AdvocatusDiaboli hat folgendes geschrieben:
beachbernie hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Morden ist nach weitestdenkbarer Auslegung vorsätzliches töten gegen das Gesetz. Dementsprechend mordet ein Soldat mit rechtmäßigem Befehl nicht.



Vielleicht fuer einen Rechtsverdreher wie Dich. Um einen Mord zu verurteilen brauche ich kein Gesetz. Genausowenig wie ich eine Rechtsgrundlage dafuer brauche einem Menschen in einer Notlage zu helfen.

Der Begriff "Mord" existiert nicht nur im Gesetzbuch.


Die Juristen sollten als Stand die Klappe halten. Die folgen jedem Gesetz, das „legal“ zustandekommt. Man sei an Filbinger erinnert: „Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein.“ So sind zahlreiche furchtbare Juristen nach 1945 unbehelligt geblieben.


Yup!

An den Justizmoerder Filbinger musste ich auch denken.

"Ein Mörder ist einer, der keine Staatsfeinde tötet." sagte Ambrose Bierce.

#510:  Autor: beachbernieWohnort: Haida Gwaii BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 23:18
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
beachbernie hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Bitte erläutere mir höflich, auf welcher Grundlage du unter Berücksichtigung der selbst unter den Nazis verfassungsrechtlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit einen Richter, der auf Grundlage des formal gültig zustande gekommenen Gesetzen urteilt, strafrechtlich - nicht nur disziplinarisch - belangen möchtest. Das würde voraussetzen, dass es eine Art übergesetzliches, quasi magisches Recht gäbe, wofür eine tragfähige Begründung deinerseits - die wahrscheinlich zugunsten grobianischer Dreizeiler unterbleibt - interessant wäre.


Rechtsbeugung zB.
Außerdem ist es mittlerweile Standard, Urteile oder Gesetzgebungen auch rückwirkend zu revidieren. Wie im Falle der Verjährungsfristen zB.
Aner keine Strafgesetze. Man kann ggf. vertreten dass in außergewöhnlichen Extremsituationen und Zeiten existentieller gesamtgesellschaftlicher Umbrüche geboten ist hiervon abzuweichen- die Statuten der Nürnberger Gesetze sind m.E. auf dieser Grundlage vertretbar - aber bei den Richtern sehe ich das im Grundsatz nicht. Auf welcher Heundlage ist es vertretbar einen Richter zu bestrafen der die Todesstrafe so verhängt wie es im Gesetbuch steht? Ich meine es geht nicht darum dass man ihn aus dem Amt entfernt sondern bestraft. Freißöers Witwe bekam noch jahrelang eine Rente die sich nach dessen noch Jahre währenden Verbleib in Richterstand bemaß. Die BRD war also hier sogar großzügiger als ich gewesen wäre- da der Volksgerichtshof nichtmal die strafprozessualen Maßstäbe des dritten Reiches einhielt wäre hier eine Bestrafung der Mitwirkenden Richter vertretbar.


Es scheint so zu sein, dass z.B. dem Filbinger schon klar war, dass das, was er als Marine"richter" trieb, extrem fragwuerdig war. Warum sonst hat er bei seiner Ueberfuehrung durch den Schriftsteller Hochhuth so dreist und beharrlich gelogen? Jemand, der sich im Recht wähnt, hat solche Lügenorgien nicht nötig. Letztlich hat der Mann sich selbst sein Urteil gesprochen, indem er erst alles abgestritten hat und als das nicht mehr ging zurückgetreten ist. Ich werte sein Verhalten damals als equivalent zu einem Geständnis, auch wenn er weiterhin auf seinen formaljuristischen Gimmicks beharrte. Irgendwie kam der mir mit seinen Ausflüchten vor wie ein Reichsbürger, fuer die ja auch ihr deutsches Reich nie untergegangen ist.
weil er ein feiger Kretin war. Wenn du glaubst ich würde Filbinger schätzen irrst du dich.



Wenn er nichts Unrechtes getan haette, haette es keinen Mut gebraucht das zuzugeben, was er getan hat. Das haette er auch als "feiger Kretin" gekonnt. Nur wer weiss, dass er was falsch gemacht, hat Grund das zu verbergen.

Deswegen sehe ich sein Verhalten als unausgesprochenes Schuldeingeständnis an.

#511:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 23:23
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
und diese sind keineswegs so beliebig beschwürest wie du zu glauben scheinst, im Grunde es das Strafrecht aus gutem Grund der dogmatisch strengste Rechtszweig.

Lachen Samson, das sind Kulturtechniken. Im Laufe der Menschheitsgeschichte gab es alle möglichen verschiedenen Gesetzestexte, Formen und Inhalte. Buchstäblich nichts von dem, was du als Strafrecht kennst, ist auch nur ansatzweise notwendig, weder hinsichtlich der Form noch hinsichtlich des Inhalts. Dass du es eine Dogmatik nennst, passt wie die Faust aufs Auge. Eine Dogmatik ist ja bekanntlich etwas, das von Gläubigen als notwendige Glaubenswahrheit aufgefasst wird, ohne tatsächlich notwendig oder auch nur wahr zu sein.

#512:  Autor: Lebensnebel BeitragVerfasst am: 19.06.2018, 23:27
    —
beachbernie hat folgendes geschrieben:

Wenn er nichts Unrechtes getan haette, haette es keinen Mut gebraucht das zuzugeben, was er getan hat. Das haette er auch als "feiger Kretin" gekonnt. Nur wer weiss, dass er was falsch gemacht, hat Grund das zu verbergen.

Deswegen sehe ich sein Verhalten als unausgesprochenes Schuldeingeständnis an.


Finde ich nicht. Man verbirgt, wenn man Nachteile für sich erwartet, wenn etwas bekannt würde. Mit Recht und Unrecht hat das primär nichts zu tun.

#513:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 06:30
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
und diese sind keineswegs so beliebig beschwürest wie du zu glauben scheinst, im Grunde es das Strafrecht aus gutem Grund der dogmatisch strengste Rechtszweig.

Lachen Samson, das sind Kulturtechniken. Im Laufe der Menschheitsgeschichte gab es alle möglichen verschiedenen Gesetzestexte, Formen und Inhalte. Buchstäblich nichts von dem, was du als Strafrecht kennst, ist auch nur ansatzweise notwendig, weder hinsichtlich der Form noch hinsichtlich des Inhalts. Dass du es eine Dogmatik nennst, passt wie die Faust aufs Auge. Eine Dogmatik ist ja bekanntlich etwas, das von Gläubigen als notwendige Glaubenswahrheit aufgefasst wird, ohne tatsächlich notwendig oder auch nur wahr zu sein.
nicht ich nenne es Dogmatik sondern jeder. Und natürlich ist es etwas künstliches. Nichts anderes meinte ich mit der Betonung auf Grundlage des geltenden Strafrechts, mithin einer staatlichen Selbstverpflichtung zu argumentieren. Kein Recht ist absolut, das ist trivial. Erzähl das denen, die Verfassung und „Menschenrechte“ als eine Art heilige Schrift betrachten.

#514:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 07:00
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
nicht ich nenne es Dogmatik sondern jeder.

Ja. Und?

Samson83 hat folgendes geschrieben:
Kein Recht ist absolut, das ist trivial.

Nein, dass keine Macht absolut ist, ist trivial.

#515:  Autor: Gödelchen BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 07:02
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Bitte erläutere mir höflich, auf welcher Grundlage du unter Berücksichtigung der selbst unter den Nazis verfassungsrechtlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit einen Richter, der auf Grundlage des formal gültig zustande gekommenen Gesetzen urteilt, strafrechtlich - nicht nur disziplinarisch - belangen möchtest.

Auf der selben materiellen Grundlage, auf der auch diese Richter ihre Urteile fällten: der von Gewehr und Schlagstock. Du hältst ja auch Moral ohne Macht für subjektiv und unverbindlich. Welchen Grund sollte es bitte geben, Recht ohne Macht für grundsätzlich verbindlicher zu halten als Moral ohne Macht? Ich hab' dich das ja schon mehr als einmal in verschiedenen Kontexten gefragt. Bisher hast du mir darauf noch keine befriedigende Antwort geben können.
Recht ohne Macht - bzw ohne Gewalt - ist ohne jeden Wert, das sieht man am Völkerrecht sehr schön.


Nicht ganz.

Das Zusammenschustern von zwei Kategorien ( Recht und Moral) ist unter der Prämisse Macht unerquicklich, weil die Grundannahmen für die Gegebenheiten des Rechts und der Moral unterschiedlich sind, andere Ausgangslgen haben, die Macht nicht ändern kann.

Recht gründet, erhält und begründet Macht. Moral hat mit Macht erst einmal nichts zu tun. Moral als Handlungsmuster des menschlichen Agierens ( also auch das Streben nach Macht und den Umgang damit ) wirkt dann durch seine existentielle Kraft in das Recht hinein. Moral beeinflusst entscheidend dann Recht. Macht Recht mächtiger oder svhwächer.

Die Verknünfung a La Tavroc bringt nichts weiter. Smilie

#516:  Autor: Gödelchen BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 07:11
    —
beachbernie hat folgendes geschrieben:
Lasst uns Mal das Pferd von der anderen Seite her aufzäumen....


Ein Deutscher, der im Mai 1943 einen Juden erst versteckt und dem dann zur Flucht aus Deutschland verholfen hat, ist der jetzt ein Verbrecher? Weil der hat ganz zweifellos zu der Zeit geltendes Recht gebrochen.

Nimmt man Filbinger Ausrede wörtlich und ernst, so waeren deutsche Gerichte auch noch nach 1945 verpflichtet gewesen, solche Leute zu verurteilen, falls es denen gelungen waere der Nazijustiz zu entkommen. Geltendes Recht ist nun mal geltendes Recht und ein Bruch desselben ein zu verfolgender Rechtsbruch, unabhängig von jeglicher moralischen Überlegung. Jedenfalls wenn man die Juristerei so betrachtet wie Filbinger und Samson.


Ich kann dazu bloss noch einmal sagen: Wenn Recht zu Unrecht wird wird Widerstand zur Pflicht und Rechtstreue zur fragwürdigen Angelegenheit!


Falsches Beispiel. Dein tapferer Deutsche hat gegen geltende Gesetze verstoßen. Der Gesetzesverstoß hat aber keine Folgen gehabt, die eine Betrachtung " Verbrecher" herbeiführen kann. Er ist mangels Aufdeckung und per fehlender Rechtsanwendung nicht zum Verbrecher geworden. Seine Tat erfährt durch die nachträgliche Rechtfertigung seiner Tat die zutreffende Würdigung. Sein Handeln wird als rechtmäßig angesehen.

#517:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 07:12
    —
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Recht gründet, erhält und begründet Macht.

Umgekehrt.


Zuletzt bearbeitet von Tarvoc am 20.06.2018, 07:12, insgesamt einmal bearbeitet

#518:  Autor: Gödelchen BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 07:21
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Recht gründet, erhält und begründet Macht.

Umgekehrt.



Nö..... selbst das sich angeeignete Recht , Macht zu ergreifen ist ein Recht.

#519:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 07:28
    —
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Nö..... selbst das sich angeeignete Recht , Macht zu ergreifen ist ein Recht.

Nö..... selbst die sich angeeignete Macht, Recht zu setzen, ist eine Macht.

#520:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 07:39
    —
Zu sagen, die Macht begründe das Recht, ist aber eigentlich ungenau. Absolute Macht bedürfte keines Rechts und würde auch keins begründen. Es ist die Begrenztheit, nicht-Absolutheit der Macht, die das Recht begründet, und zwar sowohl das positive als auch das absolute.

#521:  Autor: Gödelchen BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 07:44
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Nö..... selbst das sich angeeignete Recht , Macht zu ergreifen ist ein Recht.

Nö..... selbst die sich angeeignete Macht, Recht zu setzen, ist eine Macht.


Wir reden nicht von Recht setzen,. Grundsatz ist Recht haben. Ohne das Recht zur Macht hin zu haben, wäre eine Legitimitätsprüfung der Macht nicht möglich.

Damit wäre auch deine Verknüpfung von Macht, Recht und Moral weiter auf dem Weg zum Absurden......

#522:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 07:47
    —
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Wir reden nicht von Recht setzen,

Doch, tun wir.

Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Grundsatz ist Recht haben.

Das ändert nichts.

Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Ohne das Recht zur Macht hin zu haben, wäre eine Legitimitätsprüfung der Macht nicht möglich.

Die Frage ist, warum sich der Macht das Problem ihrer Legitimität überhaupt stellt.

#523:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 11:30
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:


Gehören zum Jurastudium eigentlich auch Pflichtkurse in Rechtsphilosophie? Ist ja nicht so, dass ein strenger und konsequenter Rechtspositivismus da der plausibelste Ansatz wäre.
nein nicht zwingend, hab ich aber besucht. Warum? Meine Ansicht ist kein Rechtspositivismus. Ich unterscheide nur konsequent zwischen Strafbarkeit und Moral.


Ok, aber was ist dann deine Strafphilosophie. Bei genauerer Betrachtung gibt es ja kaum etwas, wo die Diskrepanz zwischen gefühlter Legitimität und argumentativer Stichhaltigkeit größer ist als im Strafrecht.

#524:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 11:34
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Zu sagen, die Macht begründe das Recht, ist aber eigentlich ungenau. Absolute Macht bedürfte keines Rechts und würde auch keins begründen.


Richtig, aber Macht ist natürlich niemals absolut, schon die bloße Vorstellung von "Handlung" setzt bis zu einem bestimmten Grad die Vorstellung von "Autonomie" auf Seite der Handelnden voraus. Was vollständig gesteuert ist, würden wir nicht im eigentlichen Sinne als Handlung verstehen.

Daher z.B. das Kantische Rechtsprinzip:

Zitat:
Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.


Und gegen dieses Prinzip kann natürlich auch positives Recht verstoßen und insofern "Unrecht" sein.

#525:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 12:55
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:

Ok, aber was ist dann deine Strafphilosophie.

Die deckt sich ziemlich mit der herrschenden der BRD.
Positive Generalprävention als Primärstrafzweck; Ablehnung absoluter Straftheorien (wie z.B. auch die Kants); Bestimmtheitsgrundsatz; Rückwirkungsverbot und ähnliche konstitutiv prädertiminierte Zuckerstreusel.

Zumsel hat folgendes geschrieben:

Bei genauerer Betrachtung gibt es ja kaum etwas, wo die Diskrepanz zwischen gefühlter Legitimität und argumentativer Stichhaltigkeit größer ist als im Strafrecht.

Beispiel?

#526:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 14:01
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:

Ok, aber was ist dann deine Strafphilosophie.

Die deckt sich ziemlich mit der herrschenden der BRD.
Positive Generalprävention als Primärstrafzweck; Ablehnung absoluter Straftheorien (wie z.B. auch die Kants); Bestimmtheitsgrundsatz; Rückwirkungsverbot und ähnliche konstitutiv prädertiminierte Zuckerstreusel.

Zumsel hat folgendes geschrieben:

Bei genauerer Betrachtung gibt es ja kaum etwas, wo die Diskrepanz zwischen gefühlter Legitimität und argumentativer Stichhaltigkeit größer ist als im Strafrecht.

Beispiel?


Wodurch wird z.B. deiner Meinung nach eine plausible Äquivalenz (oder auch bloß ein Zusammenhang) zwischen der Höhe einer generalpräventiven Strafe und der Schuld des Täters hergestellt? Und was heißt es überhaupt zu sagen, jemand ist "schuldig"?

#527:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 14:35
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:


Wodurch wird z.B. deiner Meinung nach eine plausible Äquivalenz (oder auch bloß ein Zusammenhang) zwischen der Höhe einer generalpräventiven Strafe und der Schuld des Täters hergestellt? Und was heißt es überhaupt zu sagen, jemand ist "schuldig"?

1. Es gibt da (leider) keine exakten Parameter. Ein Strafmaß, dass einerseits hinreichend ist, dass allgemeine Normvertrauen aufrechtzuerhalten - sprich: Das Vertrauen darauf, dass die Verletzung höchster Rechtsgüter höchste Strafen nach sich zieht wie auch von der Begehung entsprechender Taten abhält.

2. Und deine zweite Frage ist gleichzeitig banal wie komplex. Sprich: Um das Phänomeen Schuld tragfähig zu erläutern, wären m.E. mindestens zwanzig Textseiten nötig, die Phrase "individuelle Vorwerfbarkeit" ist nicht hilfreich, da geradezu trivial. Schuld heißt, dass eine rechtswidrige Tat ohne Vorliegen individueller Schuldausschließungsgründe vorliegt. Auch diese Definition ist letztlich nicht wirklich tiefsinnig, insbesondere wenn man den tautologischen Annex hinzufügt,es lägen keine Umstände vor, die die individuelle Vorwerfbarkeit entweder aufgrund der konkreten Situation (z.B. entschuldigender Notstand) oder der Disposition des Täters (z.B. Geisteskrankheit; Vollrausch) entfallen lassen.

#528:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 15:09
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:


Wodurch wird z.B. deiner Meinung nach eine plausible Äquivalenz (oder auch bloß ein Zusammenhang) zwischen der Höhe einer generalpräventiven Strafe und der Schuld des Täters hergestellt? Und was heißt es überhaupt zu sagen, jemand ist "schuldig"?

1. Es gibt da (leider) keine exakten Parameter. Ein Strafmaß, dass einerseits hinreichend ist, dass allgemeine Normvertrauen aufrechtzuerhalten - sprich: Das Vertrauen darauf, dass die Verletzung höchster Rechtsgüter höchste Strafen nach sich zieht wie auch von der Begehung entsprechender Taten abhält.


v.a. ist es Kaffeesatzleserei. Welche Strafe für welche Straftat am besten generalpräventiv abschreckt, ist ja gar nicht wirklich erkennbar und wenn, dann eher noch von Psychologen als von Gesetzgebung und Rechtsprechung. Davon abgesehen, dass Strafe aus reinen Abschreckungszwecken eigentlich dem Instrumentalisierungsverbot und damit Artikel 1 GG widerspricht. Konsequenterweise müsste ein überzeugter Anhänger der Generalprävention übrigens auch solche Maßnahmen wie Sippenhaft befürworten, sofern sich deren Effektivität wissenschaftlich beweisen ließe.
Und noch mal die Frage: Wie kommt man vom Aspekt "Abschreckung" zur eigentlich "Strafe", die ja schon definitionsgemäß in einem Verhältnis zur persönlichen Schuld steht.

Samson83 hat folgendes geschrieben:
2. Und deine zweite Frage ist gleichzeitig banal wie komplex. Sprich: Um das Phänomeen Schuld tragfähig zu erläutern, wären m.E. mindestens zwanzig Textseiten nötig, die Phrase "individuelle Vorwerfbarkeit" ist nicht hilfreich, da geradezu trivial. Schuld heißt, dass eine rechtswidrige Tat ohne Vorliegen individueller Schuldausschließungsgründe vorliegt. Auch diese Definition ist letztlich nicht wirklich tiefsinnig, insbesondere wenn man den tautologischen Annex hinzufügt,es lägen keine Umstände vor, die die individuelle Vorwerfbarkeit entweder aufgrund der konkreten Situation (z.B. entschuldigender Notstand) oder der Disposition des Täters (z.B. Geisteskrankheit; Vollrausch) entfallen lassen.


Hier wird ja bloß die ganze Willkürlichkeit der Strafgesetzgebung offenkundig: Wir setzen mal Schuldfähigkeit voraus und legen dann ein paar Ausnahmen fest. Die Unterschiede können dabei aber nur graduell sein, niemals prinzipiell, eben weil eine saubere Definition nicht existiert. Offensichtlich will der Mensch strafen, was als Grund genannt wird ist abhängig von Zeitgeist und Geschmack, der eigentlich Grund aber dürfte eher psychologisch sein.

#529:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 16:28
    —
"Saubere", sprich mathematisch klare Definitionen sind im Recht einfach nicht möglich; dazu ist die Lebensrealität zu komplex. Ich wüsste nicht, wie das gehen soll. Da die Schuldausschließungsgründe ziemlich restriktiv sind, sehe ich aber keine Grundlage für Willkür.

Auch die Strafzumessungslehre lässt zwar einen Ermessensspielraum, folgt aber so engen Parametern, dass von Willkür keine Rede sein kann.

Und nein, "Strafe" steht nicht Definitionsgemäß im Verhältnis zur Schuld; "Strafe" ist definitionsgemäß eine staatliche Sanktion als Reaktion auf einen Verstoß gegen ein klar definiertes Verbot; der Grundsatz "Keine Strafe ohne Schuld" ist hiervon unabhängig. Und ja, die Menschheitszweckformel kann der Staat nicht unbebrochen aufrechterhalten; einer der Gründe, der die "Menschenwürde" als zentralsten Verfassungsgrundsatz so grotesk macht.

#530:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 16:55
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
"Saubere", sprich mathematisch klare Definitionen sind im Recht einfach nicht möglich; dazu ist die Lebensrealität zu komplex. Ich wüsste nicht, wie das gehen soll. Da die Schuldausschließungsgründe ziemlich restriktiv sind, sehe ich aber keine Grundlage für Willkür.

Auch die Strafzumessungslehre lässt zwar einen Ermessensspielraum, folgt aber so engen Parametern, dass von Willkür keine Rede sein kann.


Na ja, wo hört denn bspw. der "freie Wille" auf und wo fängt die Unzurechnungsfähigkeit an. Was ist ein schuldminderndes traumatisches Erlebnis, was entspricht der "wahren" Persönlichkeit? Es scheint mir offensichtlich, dass diese Grenzen nur willkürlich gezogen werden können.

Samson83 hat folgendes geschrieben:
Und nein, "Strafe" steht nicht Definitionsgemäß im Verhältnis zur Schuld; "Strafe" ist definitionsgemäß eine staatliche Sanktion als Reaktion auf einen Verstoß gegen ein klar definiertes Verbot;


Das ist eine technische Definition, der aber ja bereits ein bestimmtes Strafverständnis zu Grunde liegt, das keineswegs an staatliche Institutionen gebunden ist. Das Konzept "Strafe" ist ja auch viel älter als Konzept "Staat". Klar ist, dass es immer ein Verhalten ist, dass sanktioniert wird und zwar ein, Trommelwirbel, "schuldhaftes" Verhalten. Würde man auf das Schuldkonzept verzichten, könnte man eine Strafe auch gar nicht von jeder beliebigen anderen Form bewusster Übelzufügung unterscheiden. Der Begriff Strafe erhält seinen spezifischen Gehalt durch die Idee der Schuld. Auch beim staatlichen Strafen hängt es von der Schuldfähigkeit ab, ob und wie hoch bestraft wird. Der Zusammenhang ist doch evident.

Samson83 hat folgendes geschrieben:
...der Grundsatz "Keine Strafe ohne Schuld" ist hiervon unabhängig.


Und wodurch begründet er sich?

#531:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 17:05
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Hier wird ja bloß die ganze Willkürlichkeit der Strafgesetzgebung offenkundig: Wir setzen mal Schuldfähigkeit voraus und legen dann ein paar Ausnahmen fest. Die Unterschiede können dabei aber nur graduell sein, niemals prinzipiell, eben weil eine saubere Definition nicht existiert. Offensichtlich will der Mensch strafen, was als Grund genannt wird ist abhängig von Zeitgeist und Geschmack, der eigentlich Grund aber dürfte eher psychologisch sein.


Sehr schön dazu auch Nietzsche:

Zitat:
Man hat also, um zur Sache, nämlich zur Strafe zurückzukehren, zweierlei an ihr zu unterscheiden: einmal das relativ Dauerhafte an ihr, den Brauch, den Akt, das »Drama«, eine gewisse strenge Abfolge von Prozeduren, andrerseits das Flüssige an ihr, den Sinn, den Zweck, die Erwartung, welche sich an die Ausführung solcher Prozeduren knüpft. Hierbei wird ohne weiteres vorausgesetzt, per analogiam, gemäß dem eben entwickelten Hauptgesichtspunkte der historischen Methodik, daß die Prozedur selbst etwas Älteres, Früheres als ihre Benützung zur Strafe sein wird, daß letztere erst in die (längst vorhandene, aber in einem anderen Sinne übliche) Prozedur hineingelegt, hineingedeutet worden ist, kurz, daß es nicht so steht, wie unsre naiven Moral- und Rechtsgenealogen bisher annahmen, welche sich allesamt die Prozedur erfunden dachten zum Zweck der Strafe, so wie man sich ehemals die Hand erfunden dachte zum Zweck des Greifens. Was nun jenes andre Element an der Strafe betrifft, das flüssige, ihren »Sinn«, so stellt in einem sehr späten Zustande der Kultur (zum Beispiel im heutigen Europa) der Begriff »Strafe« in der Tat gar nicht mehr einen Sinn vor, sondern eine ganze Synthesis von »Sinnen«: die bisherige Geschichte der Strafe überhaupt, die Geschichte ihrer Ausnützung zu den verschiedensten Zwecken, kristallisiert sich zuletzt in eine Art von Einheit, welche schwer löslich, schwer zu analysieren und, was man hervorheben muß, ganz und gar undefinierbar ist. (Es ist heute unmöglich, bestimmt zu sagen, warum eigentlich gestraft wird: alle Begriffe, in denen sich ein ganzer Prozeß semiotisch zusammenfaßt, entziehn sich der Definition; definierbar ist nur das, was keine Geschichte hat.) In einem früheren Stadium erscheint dagegen jene Synthesis von »Sinnen«[820] noch löslicher, auch noch verschiebbarer; man kann noch wahrnehmen, wie für jeden einzelnen Fall die Elemente der Synthesis ihre Wertigkeit verändern und sich demgemäß umordnen, so daß bald dies, bald jenes Element auf Kosten der übrigen hervortritt und dominiert, ja unter Umständen ein Element (etwa der Zweck der Abschreckung) den ganzen Rest von Elementen aufzuheben scheint. Um wenigstens eine Vorstellung davon zu geben, wie unsicher, wie nachträglich, wie akzidentiell »der Sinn« der Strafe ist, und wie ein und dieselbe Prozedur auf grundverschiedne Absichten hin benützt, gedeutet, zurechtgemacht werden kann: so stehe hier das Schema, das sich mir selbst auf Grund eines verhältnismäßig kleinen und zufälligen Materials ergeben hat. Strafe als Unschädlichmachen, als Verhinderung weiteren Schädigens. Strafe als Abzahlung des Schadens an den Geschädigten, in irgendeiner Form (auch in der einer Affekt-Kompensation). Strafe als Isolierung einer Gleichgewichts-Störung, um ein Weitergreifen der Störung zu verhüten. Strafe als Furcht-einflößen vor denen, welche die Strafte bestimmen und exekutieren. Strafe als eine Art Ausgleich für die Vorteile, welche der Verbrecher bis dahin genossen hat (zum Beispiel wenn er als Bergwerkssklave nutzbar gemacht wird). Strafe als Ausscheidung eines entartenden Elementes (unter Umständen eines ganzen Zweigs, wie nach chinesischem Rechte: somit als Mittel zur Reinerhaltung der Rasse oder zur Festhaltung eines sozialen Typus). Strafe als Fest, nämlich als Vergewaltigung und Verhöhnung eines endlich niedergeworfnen Feindes. Strafe als ein Gedächtnis-machen, sei es für den, der die Strafe erleidet – die sogenannte »Besserung«, sei es für die Zeugen der Exekution. Strafe als Zahlung eines Honorars, ausbedungen seitens der Macht, welche den Übeltäter vor den Ausschweifungen der Rache schützt. Strafe als Kompromiß mit dem Naturzustand der Rache, sofern letzerer durch mächtige Geschlechter noch aufrechterhalten und als Privilegium in Anspruch genommen wird. Strafe als Kriegserklärung und Kriegsmaßregel gegen einen Feind des Friedens, des Gesetzes, der Ordnung, der Obrigkeit, den man als gefährlich für das Gemeinwesen, als vertragsbrüchig in Hinsicht auf dessen Voraussetzungen, als einen Empörer, Verräter und Friedensbrecher bekämpft, mit Mitteln, wie sie eben der Krieg an die Hand gibt. –

#532:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 17:09
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:

Na ja, wo hört denn bspw. der "freie Wille" auf und wo fängt die Unzurechnungsfähigkeit an. Was ist ein schuldminderndes traumatisches Erlebnis, was entspricht der "wahren" Persönlichkeit? Es scheint mir offensichtlich, dass diese Grenzen nur willkürlich gezogen werden können.


Nein, durch Sachverständige (Psychiater/Psychologen) etc.

Zumsel hat folgendes geschrieben:

Das ist eine technische Definition, der aber ja bereits ein bestimmtes Strafverständnis zu Grunde liegt, das keineswegs an staatliche Institutionen gebunden ist. Das Konzept "Strafe" ist ja auch viel älter als Konzept "Staat".


Nein, ist es nicht. Privat-individuelle Sanktionen nennt man "Rache".

Zumsel hat folgendes geschrieben:

Klar ist, dass es immer ein Verhalten ist, dass sanktioniert wird und zwar ein, Trommelwirbel, "schuldhaftes" Verhalten. Würde man auf das Schuldkonzept verzichten, könnte man eine Strafe auch gar nicht von jeder beliebigen anderen Form bewusster Übelzufügung unterscheiden. Der Begriff Strafe erhält seinen spezifischen Gehalt durch die Idee der Schuld. Auch beim staatlichen Strafen hängt es von der Schuldfähigkeit ab, ob und wie hoch bestraft wird. Der Zusammenhang ist doch evident.


Natürlich. Roxin bezeichnet Schuld als "notwendige Fiktion" für den Fall, dass die Hirnforschung eine Willensfreiheit endgültig negiert.

Zumsel hat folgendes geschrieben:

Und wodurch begründet er sich?


https://de.wikipedia.org/wiki/Nulla_poena_sine_culpa. Ich denke aber, dass der Rekurs auf die "Menschenwürde" hier verzichtbar ist und das Rechtsstaatsprinzip genügt.

#533:  Autor: Gödelchen BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 17:12
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:

Ok, aber was ist dann deine Strafphilosophie.

Die deckt sich ziemlich mit der herrschenden der BRD.
Positive Generalprävention als Primärstrafzweck; Ablehnung absoluter Straftheorien (wie z.B. auch die Kants); Bestimmtheitsgrundsatz; Rückwirkungsverbot und ähnliche konstitutiv prädertiminierte Zuckerstreusel.

Zumsel hat folgendes geschrieben:

Bei genauerer Betrachtung gibt es ja kaum etwas, wo die Diskrepanz zwischen gefühlter Legitimität und argumentativer Stichhaltigkeit größer ist als im Strafrecht.

Beispiel?


Wodurch wird z.B. deiner Meinung nach eine plausible Äquivalenz (oder auch bloß ein Zusammenhang) zwischen der Höhe einer generalpräventiven Strafe und der Schuld des Täters hergestellt? Und was heißt es überhaupt zu sagen, jemand ist "schuldig"?


Was bringt die Frage ??......Nichts nur philosophische Aufregung .

Schuldig im Sinne der normierten Straftatbestände ist der, dem nachgewiesen wurde, dass er den normierten Tatbestand, der legal per Gesetz mit Strafe belegt ist, erfüllt hat. Das ist alles. Alles andere ist Bewertung von Schuld.

#534:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 17:15
    —
„definierbar ist nur das, was keine Geschichte hat“ zwinkern

#535:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 17:24
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:

Na ja, wo hört denn bspw. der "freie Wille" auf und wo fängt die Unzurechnungsfähigkeit an. Was ist ein schuldminderndes traumatisches Erlebnis, was entspricht der "wahren" Persönlichkeit? Es scheint mir offensichtlich, dass diese Grenzen nur willkürlich gezogen werden können.


Nein, durch Sachverständige (Psychiater/Psychologen) etc.


Und Psychiater haben ein plausibles Konzept vom "freien Willen" und der wahren Persönlichkeit? Hui, da ist offenbar einiges an mir vorbeigegangen.

Samson83 hat folgendes geschrieben:
Nein, ist es nicht. Privat-individuelle Sanktionen nennt man "Rache".


Da beißt sich die Katze jetzt aber in den Schwanz.
Alle denkbaren Strafzwecktheorien können doch wohl gleichermaßen von staatlichen wie nichtstaatlichen Akteuren in Anspruch genommen werden. So können Staaten ebenso mit Rache argumentieren wie nichtstaatliche Akteure mit Prävention. Ich kann wirklich erkennen, was für Gründe es für die Aufteilung: staatliche Übelzufügung = Strafe, Nicht staatliche Übelzufügung = Rache geben soll. Gibt es ernstzunehmende Texte, in denen das näher ausgeführt wird?


Samson83 hat folgendes geschrieben:
Natürlich. Roxin bezeichnet Schuld als "notwendige Fiktion" für den Fall, dass die Hirnforschung eine Willensfreiheit endgültig negiert.


Notwendig wofür?

#536:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 17:26
    —
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:

Ok, aber was ist dann deine Strafphilosophie.

Die deckt sich ziemlich mit der herrschenden der BRD.
Positive Generalprävention als Primärstrafzweck; Ablehnung absoluter Straftheorien (wie z.B. auch die Kants); Bestimmtheitsgrundsatz; Rückwirkungsverbot und ähnliche konstitutiv prädertiminierte Zuckerstreusel.

Zumsel hat folgendes geschrieben:

Bei genauerer Betrachtung gibt es ja kaum etwas, wo die Diskrepanz zwischen gefühlter Legitimität und argumentativer Stichhaltigkeit größer ist als im Strafrecht.

Beispiel?


Wodurch wird z.B. deiner Meinung nach eine plausible Äquivalenz (oder auch bloß ein Zusammenhang) zwischen der Höhe einer generalpräventiven Strafe und der Schuld des Täters hergestellt? Und was heißt es überhaupt zu sagen, jemand ist "schuldig"?


Was bringt die Frage ??......Nichts nur philosophische Aufregung .

Schuldig im Sinne der normierten Straftatbestände ist der, dem nachgewiesen wurde, dass er den normierten Tatbestand, der legal per Gesetz mit Strafe belegt ist, erfüllt hat. Das ist alles. Alles andere ist Bewertung von Schuld.


Welchen Sinn es hat, nach der Legitimität der absichtlichen Zufügung von Übeln zu fragen? Stimmt, bloß philosophisches Blabla, der pragmatische Macher diskutiert nicht sondern schafft Fakten, indem er schießt.

#537:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 17:34
    —
Ich stimme Zumsel zu. Siehe auch mein Thread von 2009 hier:
http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?t=28358

#538:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 17:52
    —
step hat folgendes geschrieben:
Ich stimme Zumsel zu. Siehe auch mein Thread von 2009 hier:
http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?t=28358


Ich erinner mich dunkel. Allerdings glaube ich nicht, dass Spezialprävention und der Verzicht auf das Konzept freier Wille alle prinzipiellen Probleme löst. Anhänger der Spezialprävention stehen m.E. vor anderen gravierenden Legitimationsproblemen.

#539:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 17:54
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Da beißt sich die Katze jetzt aber in den Schwanz.
Alle denkbaren Strafzwecktheorien können doch wohl gleichermaßen von staatlichen wie nichtstaatlichen Akteuren in Anspruch genommen werden. So können Staaten ebenso mit Rache argumentieren wie nichtstaatliche Akteure mit Prävention. Ich kann wirklich erkennen, was für Gründe es für die Aufteilung: staatliche Übelzufügung = Strafe, Nicht staatliche Übelzufügung = Rache geben soll. Gibt es ernstzunehmende Texte, in denen das näher ausgeführt wird?

Roxin, Strafrecht AT, so Seite 1 bis ca. 200 wäre ein Anfang... Nichtstaatlichen Akteuren steht ganze rechtstaatliche Instrumentarium nicht zur Verfügung; über die Ideen von Gewaltenteilung und Gewaltmonopol muss ich dir nichts erzählen?


Und? Es geht darum, dass du den Begriff "Strafe" offenbar definitionsgemäß an staatliches Handeln knüpfst und alles nichtstaatliche automatisch Rache sein müsse, die wiederrum nichts mit "Strafe" zu tun hätte. Das wirkt so formuliert höchst seltsam und alles andere als überzeigend. Erstens galt und gilt auch Rache in vielen Staaten als legitimer Selbstzweck, zweitens kann auch ein Möchtegern-Dexter im präventiven Sinne und ohne Rachegelüste aufräumen. Für mich ergibt es überhaupt keinen Sinn, diese Begriffe in dieser Art miteinander zu verknüpfen. Was soll das zum Begriffsverständnis beitragen?



Samson83 hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:

Notwendig wofür?

Für die Aufrechterhaltung unseres Strafsystems in der jetzigen Form, einfach weil kein besseres bekannt ist. Und ja, das ist etwas zirkulär.


"Etwas" ist gut Lachen


Zuletzt bearbeitet von Zumsel am 20.06.2018, 17:56, insgesamt einmal bearbeitet

#540:  Autor: Gödelchen BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 17:55
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:

Ok, aber was ist dann deine Strafphilosophie.

Die deckt sich ziemlich mit der herrschenden der BRD.
Positive Generalprävention als Primärstrafzweck; Ablehnung absoluter Straftheorien (wie z.B. auch die Kants); Bestimmtheitsgrundsatz; Rückwirkungsverbot und ähnliche konstitutiv prädertiminierte Zuckerstreusel.

Zumsel hat folgendes geschrieben:

Bei genauerer Betrachtung gibt es ja kaum etwas, wo die Diskrepanz zwischen gefühlter Legitimität und argumentativer Stichhaltigkeit größer ist als im Strafrecht.

Beispiel?


Wodurch wird z.B. deiner Meinung nach eine plausible Äquivalenz (oder auch bloß ein Zusammenhang) zwischen der Höhe einer generalpräventiven Strafe und der Schuld des Täters hergestellt? Und was heißt es überhaupt zu sagen, jemand ist "schuldig"?


Was bringt die Frage ??......Nichts nur philosophische Aufregung .

Schuldig im Sinne der normierten Straftatbestände ist der, dem nachgewiesen wurde, dass er den normierten Tatbestand, der legal per Gesetz mit Strafe belegt ist, erfüllt hat. Das ist alles. Alles andere ist Bewertung von Schuld.


Welchen Sinn es hat, nach der Legitimität der absichtlichen Zufügung von Übeln zu fragen? Stimmt, bloß philosophisches Blabla, der pragmatische Macher diskutiert nicht sondern schafft Fakten, indem er schießt.


Was soll das jetzt. Den Unterschied zwischen " ein Übel zufügen " und " Begehen eines Straftatbestandes" ist die bekannt.

Blabla ist die Umdeutung von Strafe aus rechtlich gesichertem Grund in Übel. Diskussionen sind in der Sache Recht da zu führen, wo sie hingehören....in die demokratisch legitimierten Institutionen........nicht in Philisophen-Stammtischen.

#541:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 17:59
    —
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Blabla ist die Umdeutung von Strafe aus rechtlich gesichertem Grund in Übel.


Das ist keine "Umdeutung", sondern Teil der Definition:

Zitat:
Die Strafe ist der zentrale Begriff des Strafrechts. Strafe im Sinne des Strafrechts ist nach einer vorherrschenden Definition ein Übel, das einer Person, dem „Täter“, für ihr eigenes, vergangenes, tatbestandsmäßiges, rechtswidriges und schuldhaftes Handeln (Tun oder Unterlassen) von der Gesellschaft auferlegt wird...


https://de.wikipedia.org/wiki/Strafe

Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Diskussionen sind in der Sache Recht da zu führen, wo sie hingehören....in die demokratisch legitimierten Institutionen........nicht in Philisophen-Stammtischen.


Das Recht gehört zur praktischen Philosophie, isso...

#542:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 18:02
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Wenn ein Dexter präventiv aufräumt, dann ist das ebenfalls keine "Strafe".


Richtig, reine Prävention ist, wie gesagt, im Grunde sowieso keine "Strafe"

#543:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 18:05
    —
step hat folgendes geschrieben:
Ich stimme Zumsel zu. Siehe auch mein Thread von 2009 hier:
http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?t=28358


Stehst du eigentlich immer noch zu deinem Konzept der "gesellschaftlichen Erwartungen" als Ausgangspunkt für staatliches Recht, wie in dem von dir zitierten thread der Fall?

#544:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 18:08
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Wenn ein Dexter präventiv aufräumt, dann ist das ebenfalls keine "Strafe".


Richtig, reine Prävention ist, wie gesagt, im Grunde sowieso keine "Strafe"


Wenn man einmal unterscheidet zwischen "vorwärts gewandtem Recht" (Prävention, Verhinderung von Straftaten) und "rückwärts gewandtem Recht" (nachträgliche Bestrafung von Straftaten), dann kann man doch annehmen, dass es in beiden Fällen um Kontrolle und Herrschaft geht.

Oder siehst du das anders?

#545:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 18:29
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:

Und? Es geht darum, dass du den Begriff "Strafe" offenbar definitionsgemäß an staatliches Handeln knüpfst und alles nichtstaatliche automatisch Rache sein müsse, die wiederrum nichts mit "Strafe" zu tun hätte. Das wirkt so formuliert höchst seltsam und alles andere als überzeigend.

Ja, das ist allerdings seltsam. Nach Samsons Definition nehmen Eltern Rache am Kind, wenn sie ihm Hausarrest und Fernsehverbot verdonnern. Wenn ein Schüler einer Privatschule nachsitzen muss, ist das auch Rache. Und innerbetriebliche Disziplinarmaßnahmen eines Privatunternehmens gegen seine Mitarbeiter sind auch Rache. Oder "handelt" der Staat in diesen Fällen dadurch, dass er sich aus der Sache raushält? Am Kopf kratzen

#546:  Autor: Gödelchen BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 18:35
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Blabla ist die Umdeutung von Strafe aus rechtlich gesichertem Grund in Übel.


Das ist keine "Umdeutung", sondern Teil der Definition:

Zitat:
Die Strafe ist der zentrale Begriff des Strafrechts. Strafe im Sinne des Strafrechts ist nach einer vorherrschenden Definition ein Übel, das einer Person, dem „Täter“, für ihr eigenes, vergangenes, tatbestandsmäßiges, rechtswidriges und schuldhaftes Handeln (Tun oder Unterlassen) von der Gesellschaft auferlegt wird...


https://de.wikipedia.org/wiki/Strafe

Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Diskussionen sind in der Sache Recht da zu führen, wo sie hingehören....in die demokratisch legitimierten Institutionen........nicht in Philisophen-Stammtischen.


Das Recht gehört zur praktischen Philosophie, isso...


Wo hast du denn diese " antiquierte" Definition her. Strafe ist eine Sanktion, kann nie ein Übel nach modernem Rechtsverständnis sein. Im Mittekalter wär das vielleicht so zu sehen gewesen sein.

Recht gehört nicht zur oraktischen Philosophie. Rechtspholiodophie gehört dazu. Recht ist "erledigte " hiolosophie per präsentiertem Ergebnis.

#547:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 19:13
    —
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Wo hast du denn diese " antiquierte" Definition her.

Quelle hat er verlinkt. Wenn du meinst, dass die Definition falsch ist, kannst du sie ja auf Wikipedia korrigieren. Aber nicht vergessen, deine Quellen dafür anzugeben, dass das nur in Mitte Kalter so gesehen wird. Lachen

Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Recht gehört nicht zur oraktischen Philosophie.

Hm... vielleicht ja zur koraktischen Philosophie. Lachen

Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Rechtspholiodophie gehört dazu. Recht ist "erledigte " hiolosophie per präsentiertem Ergebnis.

Rechtsphiliohiolodophosolie. Lachen

#548:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 19:22
    —
Was Rechtsphilosophie angeht, ist eigentlich Thomas Fischer, Bundes-Richter a.D., eine originelle Referenz.

Er als ehemaliger Praktiker hat auch theoretisch durchaus tiefer gehende Erkenntnisse beizutragen. Gut auch, dass er seine Gedanken an aktuellen Beispielen darstellt und erläutert.

Noch mal zum von mir oben unterschiedenen zukunfts- vs. vergangenheitsorientiertem Recht als lediglich zwei Methoden, um Kontrolle und Herrschaft auszuüben.

Die BRD kann gewaltlose G20-Demonstranten kriminalisieren und verfolgen (vergangenheitsorientiertes Strafrecht) oder aber die BRD kann vielen Menschen präventiv ein Reiseverbot und Hausarrest während der G20-Demo aussprechen (präventiv).

Dass sich damit die BRD als Unrechtsstaat darstellt, würde ich gar nicht mal sagen. Aber die BRD ist eine Art von Rechtsstaat, in der das Recht alles andere als Menschenrecht oder demokratisches Recht ist.

#549:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 19:38
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:

Und? Es geht darum, dass du den Begriff "Strafe" offenbar definitionsgemäß an staatliches Handeln knüpfst und alles nichtstaatliche automatisch Rache sein müsse, die wiederrum nichts mit "Strafe" zu tun hätte. Das wirkt so formuliert höchst seltsam und alles andere als überzeigend.

Ja, das ist allerdings seltsam. Nach Samsons Definition nehmen Eltern Rache am Kind, wenn sie ihm Hausarrest und Fernsehverbot verdonnern. Wenn ein Schüler einer Privatschule nachsitzen muss, ist das auch Rache. Und innerbetriebliche Disziplinarmaßnahmen eines Privatunternehmens gegen seine Mitarbeiter sind auch Rache. Oder "handelt" der Staat in diesen Fällen dadurch, dass er sich aus der Sache raushält? Am Kopf kratzen
Erziehungs- und Disziplinarmaßnahmen sind noch einmal eine völlig andere Kategorie, und ich finde es höchst unglücklich dass das Sculrecht auch den Begriff „Strafe“ verwendet.

#550:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 19:50
    —
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Wo hast du denn diese " antiquierte" Definition her. Strafe ist eine Sanktion, kann nie ein Übel nach modernem Rechtsverständnis sein. Im Mittekalter wär das vielleicht so zu sehen gewesen sein.


Du meinst, weil der heutige Knast im Vergleich zum mittelalterlichen Kerker oder der Praxis der Vierteilung deutlich angenehmer ist, ist er kein Übel mehr für den Betroffen?

Oder mal anders: Kannst du eine Strafe nennen, die nicht in ihrem Kern darauf ausgelegt ist, dass der Bestrafte sie als ein Übel empfindet? Und was genau ist deiner Meinung nach der Sinn einer solchen "Strafe"?

#551:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 19:52
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:

Und? Es geht darum, dass du den Begriff "Strafe" offenbar definitionsgemäß an staatliches Handeln knüpfst und alles nichtstaatliche automatisch Rache sein müsse, die wiederrum nichts mit "Strafe" zu tun hätte. Das wirkt so formuliert höchst seltsam und alles andere als überzeigend.

Ja, das ist allerdings seltsam. Nach Samsons Definition nehmen Eltern Rache am Kind, wenn sie ihm Hausarrest und Fernsehverbot verdonnern. Wenn ein Schüler einer Privatschule nachsitzen muss, ist das auch Rache. Und innerbetriebliche Disziplinarmaßnahmen eines Privatunternehmens gegen seine Mitarbeiter sind auch Rache. Oder "handelt" der Staat in diesen Fällen dadurch, dass er sich aus der Sache raushält? Am Kopf kratzen
Erziehungs- und Disziplinarmaßnahmen sind noch einmal eine völlig andere Kategorie, und ich finde es höchst unglücklich dass das Sculrecht auch den Begriff „Strafe“ verwendet.


Es trifft aber nun mal den Kern der Sache und zu behaupten, dass das, was im Strafrecht geschieht, vom Grundsatz her etwas davon ganz und gar verschiedenes wäre, kommt mir ehrlich gesagt recht abenteuerlich vor.

#552:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 19:57
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Und? Es geht darum, dass du den Begriff "Strafe" offenbar definitionsgemäß an staatliches Handeln knüpfst und alles nichtstaatliche automatisch Rache sein müsse, die wiederrum nichts mit "Strafe" zu tun hätte. Das wirkt so formuliert höchst seltsam und alles andere als überzeigend.


Ja, das ist allerdings seltsam. Nach Samsons Definition nehmen Eltern Rache am Kind, wenn sie ihm Hausarrest und Fernsehverbot verdonnern. Wenn ein Schüler einer Privatschule nachsitzen muss, ist das auch Rache. Und innerbetriebliche Disziplinarmaßnahmen eines Privatunternehmens gegen seine Mitarbeiter sind auch Rache. Oder "handelt" der Staat in diesen Fällen dadurch, dass er sich aus der Sache raushält? Am Kopf kratzen


Erziehungs- und Disziplinarmaßnahmen sind noch einmal eine völlig andere Kategorie, und ich finde es höchst unglücklich dass das Sculrecht auch den Begriff „Strafe“ verwendet.


Beim Fußball gibt's auch mal die rote Karte. Das ist Strafe und Disziplinarmaßnahme in einem.

Es gibt aber auch Strafe als Rache.

Beides kann sowohl staatlich organisiert sein - siehe die Judenpogrome im deutschen Faschismus - oder auch privat organisiert.

Die Frage, ob staatlich oder privat entscheidet nicht darüber, ob Strafe Disziplinierung oder Rache ist, sondern das entscheidet die Intention der Strafenden.

Umgekehrt sehen wir daran auch, dass staatliche Strafe durchaus niederen Instinkten folgen bzw. auch illegitim sein kann.

#553:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 20:59
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Ich stimme Zumsel zu. Siehe auch mein Thread von 2009 hier:
http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?t=28358
Ich erinner mich dunkel. Allerdings glaube ich nicht, dass Spezialprävention [...] alle prinzipiellen Probleme löst. Anhänger der Spezialprävention stehen m.E. vor anderen gravierenden Legitimationsproblemen.

Was ist schon problemlos? Mein Punkt dort war jedoch, daß Spezialprävention wenigstens irgendeine rational nachvollziehbare ethische Begründung vorweisen kann, während die Aspekte der Vergeltung (institutionalisierte Rache) und Generalprävention (Exempel zur Abschreckung statuieren) aus meiner Sicht ethisch gar nicht zu rechtfertigen sind - also etwa lange Gefängnisstrafen.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
... und der Verzicht auf das Konzept freier Wille ...

Das klingt, als ob der freie Wille existiert, solange wir nur an dem Konzept festhalten ...

#554:  Autor: Gödelchen BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 21:10
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Wo hast du denn diese " antiquierte" Definition her. Strafe ist eine Sanktion, kann nie ein Übel nach modernem Rechtsverständnis sein. Im Mittekalter wär das vielleicht so zu sehen gewesen sein.


Du meinst, weil der heutige Knast im Vergleich zum mittelalterlichen Kerker oder der Praxis der Vierteilung deutlich angenehmer ist, ist er kein Übel mehr für den Betroffen?

Oder mal anders: Kannst du eine Strafe nennen, die nicht in ihrem Kern darauf ausgelegt ist, dass der Bestrafte sie als ein Übel empfindet? Und was genau ist deiner Meinung nach der Sinn einer solchen "Strafe"?


Du verschwammisierst das Problem. Du hängst dich an einem Sprachgebrauch auf, der heute keinerlei Bedeutung mehr hat.

Eine Strafe ist eine Sanktion. Und jetzt kann ! es sogar sein, dass der Täter dies als Übel empfindet. Komischerweise soll es auch Täter geben, die das nicht so empfinden.

Es ist albern heute 2018 eine Strafe als Übel zu bezeichnen, wenn eine Sanktion von 1 Milliarde Euro noch nicht mal als Übel angesehen wird.

Komm mal runter von dem philosophischen Esoteriker-Tripp Smilie

#555:  Autor: Gödelchen BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 21:13
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:

Und? Es geht darum, dass du den Begriff "Strafe" offenbar definitionsgemäß an staatliches Handeln knüpfst und alles nichtstaatliche automatisch Rache sein müsse, die wiederrum nichts mit "Strafe" zu tun hätte. Das wirkt so formuliert höchst seltsam und alles andere als überzeigend.

Ja, das ist allerdings seltsam. Nach Samsons Definition nehmen Eltern Rache am Kind, wenn sie ihm Hausarrest und Fernsehverbot verdonnern. Wenn ein Schüler einer Privatschule nachsitzen muss, ist das auch Rache. Und innerbetriebliche Disziplinarmaßnahmen eines Privatunternehmens gegen seine Mitarbeiter sind auch Rache. Oder "handelt" der Staat in diesen Fällen dadurch, dass er sich aus der Sache raushält? Am Kopf kratzen
Erziehungs- und Disziplinarmaßnahmen sind noch einmal eine völlig andere Kategorie, und ich finde es höchst unglücklich dass das Sculrecht auch den Begriff „Strafe“ verwendet.


Völlig richtig.

Die Debatte wird durch Einfügen dieser abseitigen Kategorien natürlich völlig abstrus. Typisch auf dem Feld der Schlaumeierei und Zerrederei.

#556:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 21:40
    —
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Eine Strafe ist eine Sanktion. Und jetzt kann ! es sogar sein, dass der Täter dies als Übel empfindet.

Es geht nicht darum, ob es Strafe oder Sanktion heißt, sondern was es vsl. Gutes bewirkt, und
welches Leid es schafft. Leider hängt unsere traditrionelle Ethik (und damit auch unser Strafrecht) noch sehr am Schuld- und Sühnegedanken.

Eine lange Knaststrafe führt i.a. zu einer extrem schlechten Nutzen/Schaden Bilanz und verstößt zudem gegen die Menschenrechte. Um so etwas zu rechtfertigen, müßte jemand
a) extrem gemeingefährlich sein (also der Nutzen des Wegsperrens sehr hoch)
b) im Knast ein weitgehend normales Leben führen dürfen/können

#557:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 21:44
    —
step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
... und der Verzicht auf das Konzept freier Wille ...

Das klingt, als ob der freie Wille existiert, solange wir nur an dem Konzept festhalten ...


Es soll aber eher heißen, dass ein konsequenter Verzicht auf dieses Konzept gar nicht möglich zu sein scheint, was darauf hindeutet, dass das Problem des Strafrechtes sehr viel tiefer liegt und eher auf grundlegende Widersprüche im menschlichen Selbstbild verweisen könnte. Ich wollte damit nicht sagen, dass ich deine Bemühungen um eine Humanisierung des Strafsystems falsch fände.

#558:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 21:46
    —
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Wo hast du denn diese " antiquierte" Definition her. Strafe ist eine Sanktion, kann nie ein Übel nach modernem Rechtsverständnis sein. Im Mittekalter wär das vielleicht so zu sehen gewesen sein.


Du meinst, weil der heutige Knast im Vergleich zum mittelalterlichen Kerker oder der Praxis der Vierteilung deutlich angenehmer ist, ist er kein Übel mehr für den Betroffen?

Oder mal anders: Kannst du eine Strafe nennen, die nicht in ihrem Kern darauf ausgelegt ist, dass der Bestrafte sie als ein Übel empfindet? Und was genau ist deiner Meinung nach der Sinn einer solchen "Strafe"?


Du verschwammisierst das Problem. Du hängst dich an einem Sprachgebrauch auf, der heute keinerlei Bedeutung mehr hat.

Eine Strafe ist eine Sanktion. Und jetzt kann ! es sogar sein, dass der Täter dies als Übel empfindet. Komischerweise soll es auch Täter geben, die das nicht so empfinden.

Es ist albern heute 2018 eine Strafe als Übel zu bezeichnen, wenn eine Sanktion von 1 Milliarde Euro noch nicht mal als Übel angesehen wird.

Komm mal runter von dem philosophischen Esoteriker-Tripp Smilie


Beantworte doch mal die Frage, was der Sinn einer Strafe sein soll, die nicht in ihrem Kern darauf angelegt ist, dass sie vom Bestraften als ein Übel empfunden wird, Wäre eine Strafe kein Übel, könnte sie ja auch gar nicht generalpräventiv wirken, was aber ja laut Samson deren Hauptnutzen ist. Was du hier schreibst ist schlicht absurd, du schwadronierst ohne Sinn und Verstand.

#559:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 21:49
    —
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:

Und? Es geht darum, dass du den Begriff "Strafe" offenbar definitionsgemäß an staatliches Handeln knüpfst und alles nichtstaatliche automatisch Rache sein müsse, die wiederrum nichts mit "Strafe" zu tun hätte. Das wirkt so formuliert höchst seltsam und alles andere als überzeigend.

Ja, das ist allerdings seltsam. Nach Samsons Definition nehmen Eltern Rache am Kind, wenn sie ihm Hausarrest und Fernsehverbot verdonnern. Wenn ein Schüler einer Privatschule nachsitzen muss, ist das auch Rache. Und innerbetriebliche Disziplinarmaßnahmen eines Privatunternehmens gegen seine Mitarbeiter sind auch Rache. Oder "handelt" der Staat in diesen Fällen dadurch, dass er sich aus der Sache raushält? Am Kopf kratzen
Erziehungs- und Disziplinarmaßnahmen sind noch einmal eine völlig andere Kategorie, und ich finde es höchst unglücklich dass das Sculrecht auch den Begriff „Strafe“ verwendet.


Völlig richtig.

Die Debatte wird durch Einfügen dieser abseitigen Kategorien natürlich völlig abstrus. Typisch auf dem Feld der Schlaumeierei und Zerrederei.


Daran ist überhaupt nichts abseitig. Abseitig ist es eher zu behaupten, das Strafen im Strafrecht sei schon vom Grundsatz etwas völlig anderes als das Strafen in nichtstaatlichen Kontexten. Man mag gute Gründe dafür finden können, warum das Strafmonopol beim Staat liegen sollte, aber daraus folgt doch nicht, dass hier von einem fundamental anderen Strafbegriff ausgegangen werden muss. Das ist doch weder intellektuell plausibel noch historisch haltbar. Wird so ein Quatsch allen Ernstes im Jurastudium gelehrt - kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.

#560:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 20.06.2018, 23:47
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Beantworte doch mal die Frage [...]

Das ist verlorene Liebesmüh. Gödelchen kann überhaupt keine Fragen beantworten. Er konnte ja auch meine Frage zum Verhältnis von Macht und Legitimität nicht beantworten. Gödelchen ist rechtsphilosophisch, rechtshistorisch und juristisch ahnungslos. Seine Behauptung, Strafen seien früher als Übel angesehen worden, heute aber nicht mehr, ist der bislang offensichtlichste Ausdruck dieser Ahnungslosigkeit. Er weiß also anscheinend noch nicht mal, dass es buchstäblich genau umgekehrt ist.

#561:  Autor: swifty BeitragVerfasst am: 21.06.2018, 05:00
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
...Erziehungs- und Disziplinarmaßnahmen ...

Warum Strafe nicht als solche betrachten? showtime


Zuletzt bearbeitet von swifty am 21.06.2018, 10:42, insgesamt 2-mal bearbeitet

#562:  Autor: Gödelchen BeitragVerfasst am: 21.06.2018, 07:09
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Wo hast du denn diese " antiquierte" Definition her. Strafe ist eine Sanktion, kann nie ein Übel nach modernem Rechtsverständnis sein. Im Mittekalter wär das vielleicht so zu sehen gewesen sein.


Du meinst, weil der heutige Knast im Vergleich zum mittelalterlichen Kerker oder der Praxis der Vierteilung deutlich angenehmer ist, ist er kein Übel mehr für den Betroffen?

Oder mal anders: Kannst du eine Strafe nennen, die nicht in ihrem Kern darauf ausgelegt ist, dass der Bestrafte sie als ein Übel empfindet? Und was genau ist deiner Meinung nach der Sinn einer solchen "Strafe"?


Du verschwammisierst das Problem. Du hängst dich an einem Sprachgebrauch auf, der heute keinerlei Bedeutung mehr hat.

Eine Strafe ist eine Sanktion. Und jetzt kann ! es sogar sein, dass der Täter dies als Übel empfindet. Komischerweise soll es auch Täter geben, die das nicht so empfinden.

Es ist albern heute 2018 eine Strafe als Übel zu bezeichnen, wenn eine Sanktion von 1 Milliarde Euro noch nicht mal als Übel angesehen wird.

Komm mal runter von dem philosophischen Esoteriker-Tripp Smilie


Beantworte doch mal die Frage, was der Sinn einer Strafe sein soll, die nicht in ihrem Kern darauf angelegt ist, dass sie vom Bestraften als ein Übel empfunden wird, Wäre eine Strafe kein Übel, könnte sie ja auch gar nicht generalpräventiv wirken, was aber ja laut Samson deren Hauptnutzen ist. Was du hier schreibst ist schlicht absurd, du schwadronierst ohne Sinn und Verstand.


Strafe ist nun mal erst einmal eine Saktion. Ein Fehlverhalten wird sanktioniert, mit Strafe belegt. Das Wort Übel in dem Zusammenhang besagt nur was über das Empfinden , das der Sanktionierte haben kann/ sollte.

Der Begriff Übel zielt auf ein Empfinden ab. Deshalb Präventionsgedanke möglich. Strafe im Recht hat aber einen Kontext im Verhältnis Staat Bürger. Das geht auf Aktion - Reaktion aus.

Die Nutzung des Begriffs Übel ist nicht die richtige Bezeichnung in der Sache.

Denn Rest von ad homines in der Debatte hier, kann an dennHut gesteckt werden. Die intellektuellen Fähigkeiten dürften das Niveau der Theken- Philosophie in Studentenkneipen widerspiegeln. In der Anwendung am Sachverhalt dürften diese nicht ausreichen.

#563:  Autor: Gödelchen BeitragVerfasst am: 21.06.2018, 07:14
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Beantworte doch mal die Frage [...]

Das ist verlorene Liebesmüh. Gödelchen kann überhaupt keine Fragen beantworten. Er konnte ja auch meine Frage zum Verhältnis von Macht und Legitimität nicht beantworten. Gödelchen ist rechtsphilosophisch, rechtshistorisch und juristisch ahnungslos. Seine Behauptung, Strafen seien früher als Übel angesehen worden, heute aber nicht mehr, ist der bislang offensichtlichste Ausdruck dieser Ahnungslosigkeit. Er weiß also anscheinend noch nicht mal, dass es buchstäblich genau umgekehrt ist.


Pillepalle

Verstanden hast in deinem Philo- Kasten das mit Übel nicht. Mit der Macht und der Legitimität hast auch Schwierigkeiten....also . ?

#564:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 21.06.2018, 09:04
    —
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Strafe ist nun mal erst einmal eine Saktion.


Und warum ist es deiner Meinung nach eine Sanktion, jemanden in den Knast zu schicken, nicht aber ins 5-Sterne-Hotel auf die Bahamas? Nur Kostengründe, sonst wär's egal?

Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Das Wort Übel in dem Zusammenhang besagt nur was über das Empfinden ,....


Und? Wieso soll denn die Intention, ein bestimmtes Gefühl zu erwecken, nicht Teil der Definition von etwas sein können? Das ist ungefähr so wie wenn ich behaupten würde, "Mord" würde einfach nur "Tötung" bedeuten können, subjektive Tatmerkmale wie "Vorsätzlichkeit" würden schließlich im Täter liegen und könnten daher niemals wesensbestimmend sein. Das ist doch wirklich dummes Zeug, was du hier erzählst.

Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Denn Rest von ad homines in der Debatte hier, kann an dennHut gesteckt werden. Die intellektuellen Fähigkeiten dürften das Niveau der Theken- Philosophie in Studentenkneipen widerspiegeln.


Na ja, für eine Diskussion mit sollte es da auch nach dem fünften Bier noch reichen. Lachen

#565:  Autor: Kramer BeitragVerfasst am: 21.06.2018, 09:22
    —
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Und jetzt kann ! es sogar sein, dass der Täter dies als Übel empfindet. Komischerweise soll es auch Täter geben, die das nicht so empfinden.


Wenn Freiheitsberaubung kein Übel ist, warum ist sie dann strafbar?

#566:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 21.06.2018, 09:33
    —
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Verstanden hast in deinem Philo- Kasten das mit Übel nicht.

Was gibt's da zu verstehen? Dass du mit deiner Behauptung, Strafe sei nur früher als Übel angesehen worden und heute nicht mehr, wirklich grundfalsch liegst, und dass vielmehr das genaue Gegenteil zutrifft, ist eine leicht zu überprüfende historische Tatsache.

Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Mit der Macht und der Legitimität hast auch Schwierigkeiten...

Aha. Du glaubst also ernsthaft, dass es mir Schwierigkeiten bereitet, wenn du auf eine Frage keine Antwort weißt.

...So eingebildet muss man erstmal sein. Pillepalle


Zuletzt bearbeitet von Tarvoc am 21.06.2018, 11:27, insgesamt einmal bearbeitet

#567:  Autor: Gödelchen BeitragVerfasst am: 21.06.2018, 09:47
    —
Kramer hat folgendes geschrieben:
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Und jetzt kann ! es sogar sein, dass der Täter dies als Übel empfindet. Komischerweise soll es auch Täter geben, die das nicht so empfinden.


Wenn Freiheitsberaubung kein Übel ist, warum ist sie dann strafbar?


Krämer, fang mal oben an zu denken. Nach heutigem Verständnis eines modernen Rechtsstaats darf/sollte der Staat seinen Bürgern kein Übel antun.

Freiheitsberaubung ist keine Strafe, nur Freiheitsentzug. Freiheitsberaubung ist ein Übel. Weil die Betäubung ein mensvhliches Handeln ist, das der menschlichen MoralVorstellung widerspricht. Daraus ergibt sich eine Empfindung in dem Prozess des Beraubens. Das ist im Inbegriff Übel zu fassen.

Der Inhalt des Begriffes Übel hat sich in den letzten hundert Jahren geändert......ähnliche sprachliche Entwicklung wie der Inhalt des Begriffes Geil in den letzten Jahren sich änderte. Er hat sich zeitgemäß angepasst.

Weiter kannst alleine.....Smilie


Zuletzt bearbeitet von Gödelchen am 21.06.2018, 09:51, insgesamt einmal bearbeitet

#568:  Autor: Kramer BeitragVerfasst am: 21.06.2018, 09:50
    —
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Krämer, fang mal oben an zu denken.


Wer ist Krämer?

#569:  Autor: Gödelchen BeitragVerfasst am: 21.06.2018, 09:52
    —
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Kramer hat folgendes geschrieben:
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Und jetzt kann ! es sogar sein, dass der Täter dies als Übel empfindet. Komischerweise soll es auch Täter geben, die das nicht so empfinden.


Wenn Freiheitsberaubung kein Übel ist, warum ist sie dann strafbar?


Krämer, fang mal oben an zu denken. Nach heutigem Verständnis eines modernen Rechtsstaats darf/sollte der Staat seinen Bürgern kein Übel antun.

Freiheitsberaubung ist keine Strafe ( darüber reden wir ) , nur Freiheitsentzug. Freiheitsberaubung ist ein Übel. Weil die Beraubung ein menschliches Handeln ist, das der menschlichen Moralvorstellung widerspricht. Daraus ergibt sich eine Empfindung im Prozess des Beraubens. Das ist im Begriff Übel zu fassen.

Der Inhalt des Begriffes Übel hat sich in den letzten hundert Jahren geändert......ähnliche sprachliche Entwicklung wie der Inhalt des Begriffes Geil in den letzten Jahren sich änderte. Er hat sich zeitgemäß angepasst.

Weiter kannst alleine.....Smilie

#570:  Autor: Kramer BeitragVerfasst am: 21.06.2018, 09:54
    —
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Kramer hat folgendes geschrieben:
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Und jetzt kann ! es sogar sein, dass der Täter dies als Übel empfindet. Komischerweise soll es auch Täter geben, die das nicht so empfinden.


Wenn Freiheitsberaubung kein Übel ist, warum ist sie dann strafbar?


Krämer, fang mal oben an zu denken. Nach heutigem Verständnis eines modernen Rechtsstaats darf/sollte der Staat seinen Bürgern kein Übel antun.

Freiheitsberaubung ist keine Strafe ( darüber reden wir ) , nur Freiheitsentzug. Freiheitsberaubung ist ein Übel. Weil die Beraubung ein menschliches Handeln ist, das der menschlichen Moralvorstellung widerspricht. Daraus ergibt sich eine Empfindung im Prozess des Beraubens. Das ist im Begriff Übel zu fassen.

Der Inhalt des Begriffes Übel hat sich in den letzten hundert Jahren geändert......ähnliche sprachliche Entwicklung wie der Inhalt des Begriffes Geil in den letzten Jahren sich änderte. Er hat sich zeitgemäß angepasst.

Weiter kannst alleine.....Smilie


Was wird das jetzt?

#571:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 21.06.2018, 10:04
    —
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Weil die Beraubung ein menschliches Handeln ist, das der menschlichen Moralvorstellung widerspricht.

Genau, weil bekanntlich alle Menschen die selbe Moralvorstellung haben. Pillepalle Wie kommt Moral hier bitte überhaupt ins Spiel? Hier geht's gerade um Recht.

#572:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 21.06.2018, 10:25
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Weil die Beraubung ein menschliches Handeln ist, das der menschlichen Moralvorstellung widerspricht.

Genau, weil bekanntlich alle Menschen die selbe Moralvorstellung haben. Pillepalle Wie kommt Moral hier bitte überhaupt ins Spiel? Hier geht's gerade um Recht.


An sich ist es ja nicht ungewöhnlich, dass Leute bei Diskussionen dieser Art mit teilweise etwas unscharfen Begrifflichkeiten operieren, i.d.R. kann man dabei aber durchaus erkennen, worauf sie hinauswollen, so dass eine fruchtbare Diskussion möglich ist. Bei Gödelchen kann ich momentan allerdings nicht mal erahnen, was das alles soll.

#573:  Autor: swifty BeitragVerfasst am: 21.06.2018, 10:43
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
...Erziehungs- und Disziplinarmaßnahmen ...

Warum Strafe nicht als solche betrachten? Ungeduldiges Händetrommeln...

#574:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 21.06.2018, 13:45
    —
worse hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
...Erziehungs- und Disziplinarmaßnahmen ...

Warum Strafe nicht als solche betrachten? Ungeduldiges Händetrommeln...
Boah. Weil es keine Strafen sind.

#575:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 21.06.2018, 14:02
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
worse hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
...Erziehungs- und Disziplinarmaßnahmen ...

Warum Strafe nicht als solche betrachten? Ungeduldiges Händetrommeln...
Boah. Weil es keine Strafen sind.


Lachen Wasn Glück für dich, dass du nicht auf der anderen Seite des Atlantiks arbeitest und Plädoyes vor Juries halten musst...

#576:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 21.06.2018, 17:26
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
worse hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
...Erziehungs- und Disziplinarmaßnahmen ...

Warum Strafe nicht als solche betrachten? Ungeduldiges Händetrommeln...

Boah. Weil es keine Strafen sind.

Doch. Da könnt ihr Juristen in euren Elfenbeintürmen umdefinieren, bis ihr schwarz werdet.

#577:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 21.06.2018, 18:02
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
worse hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
...Erziehungs- und Disziplinarmaßnahmen ...

Warum Strafe nicht als solche betrachten? Ungeduldiges Händetrommeln...

Boah. Weil es keine Strafen sind.

Doch. Da könnt ihr Juristen in euren Elfenbeintürmen umdefinieren, bis ihr schwarz werdet.

Elfenbeinturm... Hase nennt den Esel Langohr... Moment.. Das Bild ist ungeschickt...

Begriffe die sich ohne Juristen kaum definieren ließen (die mir spontan einfallen):
- Mord
- Heimtücke
- Schuld
- Freiheit
- Strafe
- Freiheit
- Meinung
- Bonbon
- Lutscher
- Rundfunk
- Fernsehen
- Beton
- Arglist
- Bauprodukt
- Dienstleistung
- Heimat
- Ehre
- Spiel
- Sitte
- Anstand

#578:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 21.06.2018, 18:42
    —
Manche Begriffe bedeuten in der Juristerei etwas Anderes als im normalen Leben oder sogar als im Wörterbuch.

Eine erzieherische Strafe ist im strafrechtlichen Sinne keine Strafe, und bei einer sog. Vertragsstrafe sieht es wieder anders aus. Noch anders bei einer Zeitstrafe beim Hockey oder bei der Höllenstrafe, an die ja auch manche Juristen glauben.

Das alles ist aber völlig irrelelvant. Entscheidend ist, welche Gesinnung hinter dem Bestrafungswunsch (des Gesetzgebers, des Erziehers ...) steckt und ob diese einer reflektierten ethischen oder auch Nutzenbetrachtung überhaupt standhalten kann.

#579:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 21.06.2018, 19:20
    —
step hat folgendes geschrieben:
Manche Begriffe bedeuten in der Juristerei etwas Anderes als im normalen Leben oder sogar als im Wörterbuch.


Natürlich, weil Juristen bestimmte Begriffe legitimerweise in einer für die Juristerei sinnvollen Weise gebrauchen. Das heißt aber eben nicht, dass die Verwendung des Begriffes in Bezug auf nicht-staatliches Strafen vom Grundsatz her tatsächlich etwas völlig anderes bezeichnen würden, oder die Juristen gar die Deutungshoheit über den "korrekten" Gebrauch hätten. Natürlich ist der Begriff "Strafe" im Strafrecht für staatliches Strafen im Sinne der Rechtsprechung reserviert. Das heißt aber doch nicht, dass die Verwendung dieses Begriffes in anderen Kontexten irgendwie "falsch" wäre oder dass für die Ursache staatlichen Strafen völlig andere historische, psychologische oder ethische Erklärungsansätze gefunden werden müssten.

step hat folgendes geschrieben:
Das alles ist aber völlig irrelelvant...


Eben!

#580: ,-) Autor: Gödelchen BeitragVerfasst am: 21.06.2018, 19:40
    —
Doch bei dem Begriff " Übel " ist das der Fall.

#581: Re: ,-) Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 21.06.2018, 19:49
    —
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Doch bei dem Begriff " Übel " ist das der Fall.
wa?

#582: :-) Autor: Gödelchen BeitragVerfasst am: 21.06.2018, 20:06
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Doch bei dem Begriff " Übel " ist das der Fall.
wa?


Ja , da

a) Übel ist jede, über eine bloße Unannehmlichkeit hinausgehende, Einbuße an Werten oder das Zufügen von Nachteilen.

b) Sanktionen sind in der Regel durch Gesetze angedrohte Strafmaßnahmen , die darauf ausgerichtet sind, konkretes Fehlverhalten zu unterbinden und damit Rechtsnormen durchzusetzen.

oh !

#583: Re: :-) Autor: Kramer BeitragVerfasst am: 21.06.2018, 22:31
    —
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
a) Übel ist (...)


Deine Zeichensetzung ist auch ganz schön übel. Wie wird man so?

#584:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 21.06.2018, 22:50
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:

Begriffe die sich ohne Juristen kaum definieren ließen (die mir spontan einfallen):
- Mord
- Heimtücke
- Schuld
- Freiheit
- Strafe
- Freiheit
- Meinung
- Bonbon
- Lutscher
- Rundfunk
- Fernsehen
- Beton
- Arglist
- Bauprodukt
- Dienstleistung
- Heimat
- Ehre
- Spiel
- Sitte
- Anstand

Pillepalle

#585:  Autor: beachbernieWohnort: Haida Gwaii BeitragVerfasst am: 21.06.2018, 22:55
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:

Begriffe die sich ohne Juristen kaum definieren ließen (die mir spontan einfallen):
- Mord
- Heimtücke
- Schuld
- Freiheit
- Strafe
- Freiheit
- Meinung
- Bonbon
- Lutscher
- Rundfunk
- Fernsehen
- Beton
- Arglist
- Bauprodukt
- Dienstleistung
- Heimat
- Ehre
- Spiel
- Sitte
- Anstand

Pillepalle



Begriffe, die Juristen einfach nicht verstehen koennen:

- Moral
- Anstand
- Mitmenschlichkeit
- Empathie

........

#586:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 21.06.2018, 23:01
    —
step hat folgendes geschrieben:
Manche Begriffe bedeuten in der Juristerei etwas Anderes als im normalen Leben oder sogar als im Wörterbuch.

Jede Disziplin hat ihre Fachsprachen, in denen natürlich auch mal alltagssprachliche Begriffe in veränderter Bedeutung Anwendung finden. Zu heiligem und feierlichem Blödsinn wird es da, wo sich eine Disziplin - und dann noch ausgerechnet eine dogmatische wie die Juristik - einbildet, sie habe irgendein Deutungsmonopol auf die von ihr aus der Alltagssprache oder historischen Zusammenhängen entlehnten Wörter, oder sich gar die Wahnvorstellung in den Kopf setzt, diese Wörter könnten ohne ihre eigenen "Definitionen" nicht gebraucht werden. (Überhaupt ist es ein Unsinn, zu glauben, dass Wörter erst durch irgendeine "Definition" ihre Bedeutung erhalten und nicht schon durch ihren Gebrauch selbst.) Sowas kann nur eine jemand glauben, der sich nicht nur von der empirischen Realität des Alltagslebens völlig entfernt hat, sondern auch gänzlich ignorant ist gegen die Geschichte seiner eigenen Disziplin. So jemand benutzt nicht Begriffe als Ausdruck seines Verständnisses von Realität, sondern versucht, die Realität so umzubiegen, dass sie auf die Begriffe passt. Das Ergebnis ist ein regelrechtes Wahngebilde, das die Realität nicht transformiert, sondern sozusagen ersetzt. Auf eine solche Idee kommt man allerdings nur, wenn das Gehirn zu lange im Sud des eigenen Jargons geschmort hat.


Zuletzt bearbeitet von Tarvoc am 21.06.2018, 23:16, insgesamt einmal bearbeitet

#587:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 21.06.2018, 23:12
    —
beachbernie hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:

Begriffe die sich ohne Juristen kaum definieren ließen (die mir spontan einfallen):
- Mord
- Heimtücke
- Schuld
- Freiheit
- Strafe
- Freiheit
- Meinung
- Bonbon
- Lutscher
- Rundfunk
- Fernsehen
- Beton
- Arglist
- Bauprodukt
- Dienstleistung
- Heimat
- Ehre
- Spiel
- Sitte
- Anstand

Pillepalle



Begriffe, die Juristen einfach nicht verstehen koennen:

- Moral
- Anstand
- Mitmenschlichkeit
- Empathie

........


...oder so ziemlich alle von Samson gelisteten. zwinkern

#588:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 21.06.2018, 23:30
    —
Nein.

Ein Lutscher ist ein stilbewehrtes Festsüßprodukt; wobei der Stim die Abgrenzung zum Bonbon bildet (aus einer BGH-Entscheidung zum Kartellrecht)

#589:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 21.06.2018, 23:55
    —
Völlig falsch. Ein Lutscher ist ein Mann, der es liebt, vor anderen Männern auf die Knie zu gehen.

Siehst du? Nicht mal das kriegst du richtig definiert.

#590:  Autor: AlchemistWohnort: Hamburg BeitragVerfasst am: 22.06.2018, 07:49
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Völlig falsch. Ein Lutscher ist ein Mann, der es liebt, vor anderen Männern auf die Knie zu gehen.

Siehst du? Nicht mal das kriegst du richtig definiert.


Ihr liegt beide falsch:

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Torsten_Frings

#591:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 22.06.2018, 08:34
    —
Alchemist hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Völlig falsch. Ein Lutscher ist ein Mann, der es liebt, vor anderen Männern auf die Knie zu gehen.

Siehst du? Nicht mal das kriegst du richtig definiert.


Ihr liegt beide falsch:

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Torsten_Frings


Lachen Ja, fair enough. Verdeutlicht irgendwie auch meinen Punkt. Cool

#592:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 22.06.2018, 09:14
    —
Alchemist hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Völlig falsch. Ein Lutscher ist ein Mann, der es liebt, vor anderen Männern auf die Knie zu gehen.

Siehst du? Nicht mal das kriegst du richtig definiert.


Ihr liegt beide falsch:

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Torsten_Frings


Oh, Torsten Frings kommt aus dem durch Martin Chulz ja zu einer gewissen Berühmtheit gelangten Städtchen Würselen - guck mal an...

#593:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 22.06.2018, 10:16
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Manche Begriffe bedeuten in der Juristerei etwas Anderes als im normalen Leben oder sogar als im Wörterbuch.
Jede Disziplin hat ihre Fachsprachen, in denen natürlich auch mal alltagssprachliche Begriffe in veränderter Bedeutung Anwendung finden. Zu heiligem und feierlichem Blödsinn wird es da, wo sich eine Disziplin - und dann noch ausgerechnet eine dogmatische wie die Juristik - einbildet, sie habe irgendein Deutungsmonopol auf die von ihr aus der Alltagssprache oder historischen Zusammenhängen entlehnten Wörter, oder sich gar die Wahnvorstellung in den Kopf setzt, diese Wörter könnten ohne ihre eigenen "Definitionen" nicht gebraucht werden.

Genau. So kann auch ein Physiker zwar verlangen, daß der Begriff "Spin" oder "Kraft", wenn es um Physik geht, im dort definierten Sinne verwendet wird, aber es ist natürlich erlaubt, diese Begriffe in anderen Kontexten mit anderer Bedeutung zu verwenden.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
(Überhaupt ist es ein Unsinn, zu glauben, dass Wörter erst durch irgendeine "Definition" ihre Bedeutung erhalten und nicht schon durch ihren Gebrauch selbst.) Sowas kann nur eine jemand glauben, der sich nicht nur von der empirischen Realität des Alltagslebens völlig entfernt hat, sondern auch gänzlich ignorant ist gegen die Geschichte seiner eigenen Disziplin. So jemand benutzt nicht Begriffe als Ausdruck seines Verständnisses von Realität, sondern versucht, die Realität so umzubiegen, dass sie auf die Begriffe passt. Das Ergebnis ist ein regelrechtes Wahngebilde, das die Realität nicht transformiert, sondern sozusagen ersetzt. Auf eine solche Idee kommt man allerdings nur, wenn das Gehirn zu lange im Sud des eigenen Jargons geschmort hat.

Auch da stimme ich tendenziell zu. Wobei Definitionen oft auch dadurch sinnvoll werden, daß sie nicht direkt auf den Gebrauch von Wörtern referenzieren, sondern auf Ketten von Begriffen mit ihrerseits wohlbekannterer Gebrauchsbedeutung. Und bei den "abgehobenen Disziplinen" macht es oft einen großen Unterschied, ob es ein Regulativ gibt, daß eine Rückbindung an die Realität garantiert, etwa in der Wissenschaft durch Experimente.

#594:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 22.06.2018, 12:10
    —
step hat folgendes geschrieben:
Und bei den "abgehobenen Disziplinen" macht es oft einen großen Unterschied, ob es ein Regulativ gibt, daß eine Rückbindung an die Realität garantiert, etwa in der Wissenschaft durch Experimente.

Ja, genau - das Regulativ vermisst man irgendwie bei Samsons Definitionsspielchen.

#595:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 22.06.2018, 12:42
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Und bei den "abgehobenen Disziplinen" macht es oft einen großen Unterschied, ob es ein Regulativ gibt, daß eine Rückbindung an die Realität garantiert, etwa in der Wissenschaft durch Experimente.

Ja, genau - das Regulativ vermisst man irgendwie bei Samsons Definitionsspielchen.

Das Regulativ gilt insofern dass die Definition natürlich nur für einen engen Wirklichkeitsteilbereich gilt, dort aber abschließend.

Es kann massive wirtschaftliche Bedeutung haben, ob in einem Vergabeverfahren "ein Bauprodukt hergestellt" oder "eine Dienstleistung erbracht" wird - manchmal im Millionenbereich; und dies ist gerade im Faclility Bereich nicht einfach zu treffen.

Auch die Abgrenzung z.B. zwischen Raub und Diebstahl ist existentiell- sie bedingt mehrere Jahre haft.

Ferner kann es unmittelbare rechtliche Folgen haben, ob eine Bestimmte Zusammenkunft eine "Versammlung" ist oder ein bestimmtes Druckerzeugnis "Presse".

Und "Strafe" im juristischen Sinn bedeutet im Grundsatz eine durch Urteil festgesetzte Sanktion eines Normverstoßes.

Zudem gibt es in Gestalt der hohen Gerichte bzw. natürlich des Gestzgebers Autoritäten mit abschließender Definitionshoheit.

#596:  Autor: Gödelchen BeitragVerfasst am: 22.06.2018, 12:48
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Und bei den "abgehobenen Disziplinen" macht es oft einen großen Unterschied, ob es ein Regulativ gibt, daß eine Rückbindung an die Realität garantiert, etwa in der Wissenschaft durch Experimente.

Ja, genau - das Regulativ vermisst man irgendwie bei Samsons Definitionsspielchen.


Man vergisst eher, dass es nicht eingängig ist, dass es im Recht keine Experimente geben darf. Es gibt nur Entwicklungen. Die folgen den soziokulturellen Erscheinungsformen.

Oft muss dem Elend da mit Verstand und Verve entgegengehalten werden......mit r(R)echt.....Smilie

#597:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 22.06.2018, 13:08
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Und "Strafe" im juristischen Sinn bedeutet im Grundsatz eine durch Urteil festgesetzte Sanktion eines Normverstoßes.

Ja, wobei "Sanktion" mW selbst im Juristendeutsch auch in abweichender Bedeutung verwendet wird, nämlich für Zwangsmaßnahmen ohne direkten Bezug zu einer Normverletzung, etwa bei Sicherheitsverwahrung oder Schutzhaft.

Ist aber letztlich egal - es geht darum, ob die Ziele und Mittel einer solchen Bestrafung nützlich, erreichbar und ethisch zu rechtfertigen sind. Da sieht es bei (v.a. längeren) Freiheitsstrafen sehr schlecht aus.

Samson83 hat folgendes geschrieben:
Zudem gibt es in Gestalt der hohen Gerichte bzw. natürlich des Gestzgebers Autoritäten mit abschließender Definitionshoheit.

"mit abschließender juristischer D.", wolltest Du sicher schreiben. Und "abschließend" ist hier sicher auch nur zeitgeistig zu verstehen, wie man an den letzten 100 Jahren Urteilsgeschichte leicht sehen kann.

Übrigens auch hier wieder: Du weichst oft von einer ethischen / kritischen Diskussion in eine rechtspositivistische Haltung aus. Das ist - jedenfalls intellektuell gesehen - sehr ... dünn.

#598:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 22.06.2018, 13:38
    —
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Die folgen den soziokulturellen Erscheinungsformen.

Wie die Diskussion um Samsons juristische Definitionen sehr schön demonstriert hat, ist das keineswegs zwingend der Fall. Samson selbst war allerdings der Meinung, dass sie soziokulturellen Erscheinungsformen nicht nur folgen, sondern sie hervorbringen.

#599:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 22.06.2018, 13:43
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
Die folgen den soziokulturellen Erscheinungsformen.

Wie die Diskussion um Samsons juristische Definitionen sehr schön demonstriert hat, ist das keineswegs zwingend der Fall. Samson selbst war allerdings der Meinung, dass sie soziokulturellen Erscheinungsformen nicht nur folgen, sondern sie hervorbringen.
Nein, bin ich nicht, jedenfalls nicht grundsätzlich.

Es gibt Begriffe, die in der Tat erst aufgrund einer rechtlichen Definition entstehen, sogenannte Normgeprägte Institute. ("Eigentum"; "Mord"; "Bürgschaft"; "Aktiengesellschaft"; "Teilnahmewettbewerb") andere, bei denen die rechtliche Definition natürlich einer bestimmten soziokulturellen ("Freiheit"; "Ehre") oder technischen ("Rundfunk"; "Bauprodukt") Gegebenheit folgt.

Bei manchen Begriffen "Familie" - "Schuld" und durchaus auch Strafe ist meine Ansicht, ob die rechtliche Begrifflichkeit soziokulturell konstitutiv oder determiniert sind, nicht gefestigt.

#600:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 22.06.2018, 13:44
    —
step hat folgendes geschrieben:
[
Übrigens auch hier wieder: Du weichst oft von einer ethischen / kritischen Diskussion in eine rechtspositivistische Haltung aus. Das ist - jedenfalls intellektuell gesehen - sehr ... dünn.

"Ethische Diskussionen" halte ich für sinnlose Laberei, das habe glaube ich schon mehrfach gesagt.

#601:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 22.06.2018, 14:02
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Bei manchen Begriffen "Familie" - "Schuld" und durchaus auch Strafe ist meine Ansicht, ob die rechtliche Begrifflichkeit soziokulturell konstitutiv oder determiniert sind, nicht gefestigt.


Also um "rechtliche" Begriffe handeld es sich dabei selbstverständlich. Bloß ist ja schon der Begriff "Recht" in seiner Bedeutung viel weiter zu fassen als "die gerade bestehenden juristischen Institutionn".

#602:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 22.06.2018, 14:13
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Nein, bin ich nicht, jedenfalls nicht grundsätzlich.


Es ist eher so, dass du dir wohl recht grundsätzlich nicht zu schade bist, dir auch mal zu widersprechen. Das hier hattest du gestern geschrieben:

Samson83 hat folgendes geschrieben:
Begriffe die sich ohne Juristen kaum definieren ließen (die mir spontan einfallen):
- Mord
- Heimtücke
- Schuld
- Freiheit
- Strafe
- Freiheit
- Meinung
- Bonbon
- Lutscher
- Rundfunk
- Fernsehen
- Beton
- Arglist
- Bauprodukt
- Dienstleistung
- Heimat
- Ehre
- Spiel
- Sitte
- Anstand


Ich lass' das mal unkommentiert stehen. Die beiden Aussagen miteinander vergleichen kann ja jeder selbst.

Samson83 hat folgendes geschrieben:
Es gibt Begriffe, die in der Tat erst aufgrund einer rechtlichen Definition entstehen, sogenannte Normgeprägte Institute. ("Eigentum"; "Mord"; "Bürgschaft"; "Aktiengesellschaft"; "Teilnahmewettbewerb")

Selbst damit liegst du sogar nur teilweise richtig. Begriffe von Eigentum und selbst von gesellschaftlich geschütztem Eigentum gab es zum Beispiel in verschiedenen historisch existenten Kulturen und Gesellschaften bereits vor ihrer schriftlichen juristischen Festlegung oder Definition. Dass das nicht die selben Begriffe waren, die wir heute kennen, ist allerdings richtig. Für Mord trifft sicher ähnliches zu, auch wenn hier natürlich sehr klar deutlich wird, wie das moderne, geschriebene Recht diesem Begriff eine ganze Reihe and Dimensionen und Unterscheidungen hinzugefügt hat, die er vorher nicht hatte. Allerdings gibt es auch bei Mord noch Begriffsverwendungen in der Gesellschaft, die sich mit der rechtlichen Definition nicht decken - bei Eigentum übrigens auch. Dass im Streitfall die juristische Definition obsiegt, ist richtig, liegt aber mehr an der Macht der hinter der Definition stehenden Institutionen als an der Tugend, Schärfe oder zwingenden Richtigkeit der Definition selbst.

#603:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 22.06.2018, 14:30
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Nein, bin ich nicht, jedenfalls nicht grundsätzlich.


Es ist eher so, dass du dir wohl recht grundsätzlich nicht zu schade bist, dir auch mal zu widersprechen. Das hier hattest du gestern geschrieben:

Samson83 hat folgendes geschrieben:
Begriffe die sich ohne Juristen kaum definieren ließen (die mir spontan einfallen):
- Mord
- Heimtücke
- Schuld
- Freiheit
- Strafe
- Freiheit
- Meinung
- Bonbon
- Lutscher
- Rundfunk
- Fernsehen
- Beton
- Arglist
- Bauprodukt
- Dienstleistung
- Heimat
- Ehre
- Spiel
- Sitte
- Anstand


Ich lass' das mal unkommentiert stehen. Die beiden Aussagen miteinander vergleichen kann ja jeder selbst.
Darf ich höflich darauf hinweisen, dass diese Liste nebst der damit verbundenen Aussage ein Witz war, und m.E. ein höchst amüsanter?

#604:  Autor: vrolijkeWohnort: Stuttgart BeitragVerfasst am: 22.06.2018, 14:34
    —
Gödelchen hat folgendes geschrieben:
...
Krämer, ...


Siehe: http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?p=2138091#2138091
Du bist hiermit streng ermahnt!

#605:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 22.06.2018, 15:17
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Darf ich höflich darauf hinweisen, dass diese Liste nebst der damit verbundenen Aussage ein Witz war, und m.E. ein höchst amüsanter?

Haha. Ich lach' auch immer über meine eigenen Witze. Deprimiert

#606:  Autor: Grey BeitragVerfasst am: 22.06.2018, 15:26
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Darf ich höflich darauf hinweisen, dass diese Liste nebst der damit verbundenen Aussage ein Witz war, und m.E. ein höchst amüsanter?

Haha. Ich lach' auch immer über meine eigenen Witze. Deprimiert


Was erwartest du? Er lacht auch über antisemitische Beiträge, wobei er rassistische und antisemitische Klippen in seinen eigenen Beiträgen immer schön rechtsverdreherisch umschifft. Im Zweifelsfall war dann alles nicht so gemeint und bloß ein Witz.

#607:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 22.06.2018, 16:01
    —
Grey hat folgendes geschrieben:

Was erwartest du? Er lacht auch über antisemitische Beiträge,

Beispiel?

Grey hat folgendes geschrieben:

wobei er rassistische und antisemitische Klippen in seinen eigenen Beiträgen immer schön rechtsverdreherisch umschifft. Im Zweifelsfall war dann alles nicht so gemeint und bloß ein Witz.

Beispiel?

#608:  Autor: Grey BeitragVerfasst am: 22.06.2018, 16:09
    —
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Grey hat folgendes geschrieben:

Was erwartest du? Er lacht auch über antisemitische Beiträge, wobei er rassistische und antisemitische Klippen in seinen eigenen Beiträgen immer schön rechtsverdreherisch umschifft. Im Zweifelsfall war dann alles nicht so gemeint und bloß ein Witz.

Beispiel?


Schlechtes Gedächtnis, wa? Und das als Jurist. Traurig, traurig...

Samson83 hat folgendes geschrieben:
Natas hat folgendes geschrieben:
Dem Broder ist halt (wie generell den Juden, Friedmann etc.) 80 Prozent der Sensitivität (in der Vorhaut) seines Penis abgehobelt worden. Deshalb sind die Juden so aggressiv. Ich verurteile das nicht, es ist verständlich.

Antisemitismus!
Das ist ANTISEMITISCH!
Hallo moods... Ein ANTISEMIIIIIIIIIIIIIII! Lachen

#609:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 22.06.2018, 16:22
    —
Darf ich höflich darauf hinweisen, dass das ironisch war und die zitierte Aussage eben nicht antisemitisch ist?

#610:  Autor: Grey BeitragVerfasst am: 22.06.2018, 16:26
    —
Grey hat folgendes geschrieben:

...wobei er (Samson83) rassistische und antisemitische Klippen in seinen eigenen Beiträgen immer schön rechtsverdreherisch umschifft. Im Zweifelsfall war dann alles nicht so gemeint und bloß ein Witz.



Samson83 hat folgendes geschrieben:
beachbernie hat folgendes geschrieben:

Und natuerlich ist der Bloedsinn von Natas antisemitisch.

Sehe ich auch so, ja.

#611:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 22.06.2018, 23:40
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Antisemitismus bezeichnet üblicherweise rassistisch begründeten Judenhass. Natas' Bemerkung war zwar enorm widerlich, fällt aber eigentlich unter religiös-kulturelle Judenfeindlichkeit und nicht unter biologistisch-rassistischen Antisemitismus. Die Beschneidung als "Ursache" schließt ja prima facie eine rassistische Begründung gerade aus. Widerlich ist Natas' Kommentar natürlich trotzdem, und auch aus dieser Art von religiös-kulturell begründeter Judenfeindlichkeit können Antisemiten mitunter trotz allem enorm leicht Kapital schlagen. Ethisch gelinde gesagt bedenklich finde ich die Beschneidung im Kindesalter zwar auch, aber was ich an Natas' Kommentar besonders widerlich finde, ist, dass die Beschnittenen selbst für etwas angegangen werden, auf das sie in den allermeisten Fällen keinen Einfluss hatten - mit der impliziten Rationalisierung, dass "die Juden" sich das ja letztlich selbst antun. Die Unterscheidung zwischen "Tätern" und Opfern wird also verwischt, indem beide in einer einzigen kollektiven Identität zusammengefasst werden - und dass obwohl nach jüdischer Vorstellung die Handlung der Beschneidung selbst die Zugehörigkeit zum Bund überhaupt erst begründet. Genau aus dieser Verwischung der Unterschiede in einer Kollektividentität schlagen Antisemiten natürlich mit Leichtigkeit ideologisch Kapital. Davon abgesehen ist Natas' Bemerkung aber auch deshalb toxisch, weil sie seriöse Kritik an der Beschneidung von Kindern torpediert und in die Nähe von Judenhass und Antisemitismus rückt.



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