Das neuronale Korrelat des Bewusstseins
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#1: Das neuronale Korrelat des Bewusstseins Autor: göttertodWohnort: Freiburg BeitragVerfasst am: 02.11.2010, 00:23
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Da hier ja fleißig über die Entstehung von Kultur und Bewusstsein diskutiert wird, möchte ich auch meinen Beitrag leisten.
Hier meine dritte Hausarbeit für die Uni. Ich habe sie am 30. September abgegeben und möchte jetzt doch gerne wissen: Was haltet ihr davon?

Es ist ein Versuch einer rein reduktionistischen Theorie (-> also letztlich genau was Herr Schmidt-Salomon dem Andreas im Forum des HPD vorgeworfen hat -> reines (fast)Zombiedasein), komplett ohne immaterielle Ebenen. Also ohne Engelchen, Kobolde und götter, oder falsch verstandener Intentionalität und Qualia.

Auf Fussnoten habe ich diesmal fast völlig verzichtet, ist einfach zu stressig und lohnt den Aufwand nicht.
Und heult nicht wegen der Länge... dauert ja nur vielleicht 15-20 Minuten es zu lesen (- macht eh nur wer sich dafür interessiert)




"Was sind neuronale Korrelate des Bewusstseins?“



Das menschliche Sein bestimmt sich maßgeblich durch Theoriebildung. Sie – die Theorien – unterstehen seit Anbeginn der Kognition einer permanenten Prüfung und Modifikation, welcher sich einzelne Subjekte oder gar ganze Gesellschaften zwar phasenweise entziehen konnten und können (1), aber es sind gerade die Veränderungen der Theorien, die sich in der kulturellen Evolution der Menschheitsgeschichte immer wieder manifestieren und aufzeigen lassen, die besonders bedeutsam sind. Es sind die alten Theorien und vor allem die neuen und im Folgenden zu prüfenden Gedanken über die Welt, jene Meilensteine und Epochenumbrüche der kulturellen Entwicklung des Menschen, welche unser Selbstverständnis definieren, umwerfen, gestalten, präzisieren. Dadurch entsteht ein dauerhafter Fluss hin zu einem Mehrwert an objektiv gesammeltem Vermutungswissen ganz nach Sokrates oder Popper, abgebildet in eben jenen Theorien über die Wirklichkeit, die auf uns Individuen wirkt. Das daraus sich entwickelnde, größere Verständnis über unsere Existenz bündelt sich im Erfolg der Naturwissenschaften, in den zugrunde liegenden Prinzipien der Naturwissenschaften, die auch einen immer größeren Einzug in die Geisteswissenschaften finden. Als wichtigste Prinzipien sind hier die Kausalität und die Falsifizierung zu nennen, ohne die ein konsistentes, nutzbringendes und objektiv ‚wahres’ (wenn man den Begriff hier als Näherungswahrheit begreift) Selbst- und Weltmodel auf Basis von Theorien nicht zu bilden wäre.
Durch diesen Einstieg zur Thematik soll die Tendenz und Wichtigkeit einer zu klärenden Grundfrage aufgezeigt werden. Jene Frage nach der erkenntnistheoretischen und ontologischen Einbettung, welche uns zeigen soll, dass es zwar keine letztgültige Antwort zur Ausgangsfrage „Was sind die neuronalen Korrelate des Bewusstseins?“ innerhalb der Philosophie des Geistes geben kann, aber manche Methode der Welterklärung einen Vorzug gegenüber anderen Methoden erhält.

Es ist die grundsätzliche Unterscheidung zwischen einem Monismus und einem Dualismus (Pluralismus). Der Dualismus (z.B. Epiphänomenalismus), welcher davon ausgeht, dass sich die Welt in der wir leben aus zwei unterschiedlichen Eigenschaften/Entitäten konstituiert, zum einen aus einer Welt des Materiellen und zum anderen der Welt des Immateriellen. Der Dualismus teilt sich in eine Welt der Materie und eine Welt des Geistes, der Welt des Leibes und der Welt der Seele.
Dem gegenüber steht der Monismus, welcher alle Zustände des Universums als wesensgleich betrachtet. In diesem Konzept stehen sich hauptsächlich der Materialismus (Physikalismus) und der Idealismus gegenüber. Der Idealismus, der besagt, dass alles Sein, die gesamte Existenz ‚geistiger’ Natur ist. Nichts existiert außerhalb subjektiver Bewusstseinszustände, und diese sind immateriell und ideell. Gegenteilig verhält es sich im Materialismus, in dem alle Daseinszustände, jegliche Weltzusammenhänge und Phänomene auf die Materie zurück zuführen sind. Materie als Sammelbegriff für, grundsätzlich mittels naturwissenschaftlicher Methoden näher zukommender, Grundstrukturen und Grundfunktionen der Wirklichkeit. Bausteine naturwissenschaftlicher Methoden sind Empirie und Logik, Theoriebildung und Experiment, und seit Karl Popper mit einem Schwerpunkt im steten Versuch einer Falsifikation von bisherigen Theorien. Auch die Position des Fallibilismus, dass das momentane Wissen über die Natur fehlbar ist und hieraus eine andauernde Prüfung aller Theorien, durch eine niemals mögliche Letztbegründung von Wahrheit und Wissen, notwendig wird, muss Erwähnung finden. Die mögliche Näherung von Wissen hin zu einer ‚objektiven, absoluten Wahrheit’ ist möglich durch die, sich in bspw. den Naturkonstanten widerspiegelnden, Kausalität und Determinierung innerhalb der Wirklichkeit. Äquivalent zum Materialismus lässt sich auch ein Naturalismus begreifen, welcher hier in einer Form verstanden werden möchte, der übernatürliche Erscheinungen und Wesenheiten als nicht existent ablehnt. Alles baut auf einer erkennbaren Substanz auf, diese ist physisch/physikalisch zu interpretieren.
An diesem Punkt trennen sich Holismus und Reduktionismus. Innerhalb des holistischen Konzeptes wird Bewusstsein als eine emergente Erscheinung verstanden, die aus Einzelbestandteilen zusätzlich und neu entsteht – das Ganze sei mehr als die Summe seiner Einzelteile und sei nicht auf die Einzelteile rückführbar. Ob emergente Erklärungen des Bewusstseins überhaupt noch materialistisch seien wollen oder können lässt sich bezweifeln, da das Konzept der Kausalität unterbrochen wird. Es kommt somit auf die Selbsterklärung des jeweiligen Emergenzvertreters an. Ebenso antireduktiv wie der Holismus beansprucht die Phänomenologie zu sein, geprägt durch Begrifflichkeiten wie Intentionalität (der momentgegebene, subjektive Bedeutungsinhalt des Bewusstseins „von etwas“) und Qualia (der ganz eigene, subjektive Erlebnisgehalt eines mentalen Zustandes).
Ein in sich geschlossenes und gänzlich kausales, materialistisches Erklärungssystem der Welt bietet der Reduktionismus. Er zeichnet sich aus durch sein Postulat, dass alle Zustände in der Wirklichkeit auf die Materie zurückzuführen sind, ausdrücklich auch mentale Bewusstseinszustände. Auf immaterielle Entitäten und Indeterminismus wird im Reduktionismus völlig verzichtet. Somit findet sich hier die Theorie, dass sich die Soziologie durch die Psychologie erklären lässt, die Psychologie durch die Biologie (Neurobiologie/-wissenschaften), die Biologie durch die Chemie und die Chemie durch die Physik.
Bei der Betrachtung und dem Versuch einer Beantwortung der Frage „Was sind die neuronalen Korrelate des Bewusstseins?“ bewegen wir uns somit in jedem Falle innerhalb des Materialismus. Wobei es für die weiterführende Betrachtung notwendig ist auf die Phylogenese der menschlichen Gehirns und der damit einhergehenden Theorie der Evolution von Subjektivität und Bewusstsein einzugehen, sowie ein kurzer Abriss technischer Messverfahren von elektrischen Aktivitäten im Gehirn, wie die Elektroenzephalographie (EEG) und die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT). Daraus leiten sich Versuche der Darstellung verschiedener Definitionsmöglichkeiten und Stufen von Bewusstsein und dessen neuronaler Interpretationen ab. Dies sollte es ermöglichen Konsequenzen für die Selbstdefinition des Menschseins, vor allem im Bereich der Neuroethik, zu formulieren und einen Ausblick auf die Zukunft zu wagen.

Um dem Bewusstsein näher zu kommen folgen wir den philosophisch-naturalistischen Erklärungen von Friedrich Sanides (2), der sich auf die ‚Bauhüttenphilosophie’ von E. G. Kolbenheyers (3) stützt. Laut Sandies beziehe Kolbenheyer die „biologischen Naturwissenschaften endlich wieder als unabdingbare Grundlage“ für das Bewusstsein mit ein. Das „Bewusst-Psychische“ sei eine „biologische Funktion“, zu dessen „ Auftreten es auf einer bestimmten Evolutionsstufe des Lebendigen kommt, ja kommen muß“. Der philosophische Naturalismus erfasse „das Wesen des Bewusstseins“ durch die Frage: „Wann in der viele Jahrmillionen währenden Entwicklung des Lebendigen auf dieser Erde wird Bewusstsein seinsnotwendig?“.
Eine grundsätzliche Unterscheidung liege zwischen physikalischen Körpern, die ihre Wesenheit beibehalten, ohne von anderen Strukturen und Objekten abhängig zu sein. Und den physikalisch-biologischen Körpern, die zum Eigenerhalt und zur Reproduktion andere physikalische Körper assimilieren und deren Energie aufbrauchen/umwandeln. Relevante Hauptetappen hin zu einer essentiellen Bewusstseinsfunktion seien erstens „Durchbildung des Organismus unter Funktionsteilung einzelner Zellpartien, die sich zu Organen Entwickeln“, zweitens der „monotype Gonochorismus“, also die Verteilung der Geschlechter auf zweierlei verschiedene Individuen, und einer damit verbundenen Weiterentwicklung des Zentralnervensystems, welches aber nicht „über die geprägten artspezifischen Reflexmechanismen gegenüber den Nötigungen der Umwelt hinaus zu individueller bewusster neuronaler Anpassung“ komme. Drittens und ausschlaggebend, der „diplotype Gonochorismus“, der zusätzlich zum Monotypen die Geschlechterrollen „überindividuell als Elterntypen ausdifferenziert“, und diese „gesamt-alimentäre Funktion der Art“ geschehe primär im Dienst der Brut. Dies seien die ‚ersten überindividuellen Funktionen’ der Tierwelt, welche nicht mehr alleine über nicht-kognitive, pure Reiz-Reaktions-Schemata geleistet werden könnten, sondern der ersten „Abwägung zwischen Du- und Eigenleben“, was einer „bewussten Orientierung“ entspräche, bedürfe.

Zitat:
„Die bereitliegenden reflektorischen Reaktionsbestände der Art müssen zentralnervös individuell situationsgerecht neu verknüpft werden, eine neuronale aktive Anpassung, die von einem Bewusstwerden in Form eines wenn auch noch so kursorischen Erlebnisses von Du- gegenüber Eigenwelt begleitet ist. An diesem kritischen Punkt plasmogenetischer Entwicklung, wo die gesteigerte Differenzierung der Art zu einer dem Schutz der Elterntiere anvertrauten ausgedehnten nachgeburtlichen Ontogenese der Brut geführt hat, wird also Bewusstsein seinsnotwendig. Damit ist aber Bewusstsein bei seinem anfänglichen Erscheinen in der Evolution der Tierwelt als eine Orientierungsfunktion im Dienste des Überindividuellen gekennzeichnet.“
(2)

Zusammenfassend definiert Sanides Bewusstsein im philosophischen Naturalismus Kolbenheyers für das Individuum und in gleicher Art für die Gemeinschaft, wie folgt:

Zitat:
Bewusstseinsleben stellt danach einerseits das ordnende Erlebnis einer individuellen neuronalen aktiven Anpassung erbgebundener, neuronaler Reaktionssysteme dar, wobei es zu einem Ausbau neuronaler Komplexe auf der Ebene ihrer Verknüpfungen (Synapsen) kommt; andrerseits stellt das Bewusstseinsleben zugleich jenseits des individuell ordnenden Aspektes eine Anpassungsreaktion dar, die über das Individualleben hinauswirkt und in dieser überindividuellen Funktionsgemeinschaft den Bestand durchzusetzen vermag.
(2)

Auch eine kurze Darstellung der Evolution vom Wirbeltiergehirn zum Menschengehirn findet sich im Aufsatz von Sanides. So beschreibt er die einzelnen Stufen der Morphologie der Hirnentwicklung innerhalb der Phylogenese in Richtung Menschengehirn, als eine „…Entwicklung immer umfassenderer neuronal gesteuerter Reaktionsmöglichkeiten bis hin zu den bewusst orientierten Reaktionen, …“, die sich auch heute noch nach Haeckel in der Ontogenese des Säugetiergehirns widerspiegle. Hervorzuheben sei aber, im Gegensatz zu den weniger gewachsenen Sinnesrinden, der erhebliche Zuwachs an Integrationsrinden (heute Assoziationscortex), da diese zum einen die unterschiedlichen Sinnesgebiete integrieren und eine Kontrolle komplexer Sinnesleistungen und Handlungen erlauben würden, und zum anderen diese auch eine Verbindung zum Thalamus besitzen, was aber nicht der Sinnesdiskrimination (eine der Hauptaufgaben des Thalamus) diene, sondern einer „Hinwendung zu einem Sinnesgebiet und Handlungsbereitschaften“. Eine weitere Besonderheit sei die durch das Wachstum des Assoziationscortex herbeigeführte Ausbildung des Temporallappens, welcher selbst noch zwischen Homo rhodesiensis (vor ca. 125.000 bis 300.000 Jahren) und Homo sapiens einen starken Zuwachs erfuhr. Im Temporallappen befinden sich wichtige Funktionen wie der primäre auditorische Cortex, das Wernicke-Sprachzentrum, wichtige Gedächnisstrukturen und weitere neocorticale assoziative Areale.
Aus dem Zuwachs des Assoziationscortex und Temporallappen könne man eine evolutionäre Hinwendung zur kognitiven Reiz-Reaktions-Regulation ableiten, und weg von einer rein physiologischen Reiz-Reaktions-Regulation der Handlungen von Individuen.

Es soll nun eine extrem rudimentäre Aufzählung der für die Arbeit wichtigsten Bestandteile der Neuroanatomie (4) des Gehirns erfolgen.
Grundsätzlich bildet das Gehirn mit dem Rückenmark das Zentralen Nervensystems (ZNS) und setzt sich aus Nerven- und Gliazellen zusammen. Die Informationsübertragung findet auf chemischem Wege in den Nervenzellen statt, durch die Übertragung von Aktionspotentialen (elektrische Erregung), und deren Weiterleitung von Neuron zu Neuron (auch mithilfe von Neurotransmittern). Das ZNS erfüllt die Aufgaben der Bündelung und Integration aller zum ZNS laufenden Nervenfasern (Afferenz) und deren, von innerhalb oder außerhalb des Körpers stammenden, Reize. Zweitens die Koordination der gesamten Motorik des Organismus über die vom ZNS weglaufenden Nervenfasern/Reize hin zu den Erfolgsorganen, in der Hauptsache Muskeln (Efferenz). Und drittens die Regulation aller organismus-internen Abstimmungsvorgänge, zumeist hormoneller Art.
Das Gehirn unterteilt sich in Großhirn, Kleinhirn, Zwischenhirn und Hirnstamm. Das Großhirn besteht aus den beiden Hirnhälften (Hemisphären), und lässt sich unterteilen in die Großhirnrinde (z.B. sensorische und motorische Projektionsfelder) mit mehreren Hirnlappen und die subkortikalen Kerne (Basalganglien). Der Thalamus als größter Teil des Zwischenhirns, auch ‚Tor zum Bewusstsein’ genannt, hat die Aufgabe in das ZNS eingehende Informationen zu filtern und an die Großhirnrinde weiterzuleiten. Er unterteilt sich in spezifische (mit dem Großhirnrinde verbundene) und unspezifische (nicht oder kaum mit der Großhirnrinde verbundene) Kerngebiete. Wobei der unspezifische Nucleus reticularis (Sitz im Thalamus) durch den Formatio reticularis (Sitz im Hirnstamm) hemmend gesteuert wird. Dies findet nur deshalb Erwähnung, weil eine Funktion des Formatio reticularis, der für die zeitliche Koordination der Gehirnmuster/-erregungen zuständig ist, das ‚Aufsteigende retikuläre Aktivierungssystem’ (ARAS) ist, welches die Grundsteuerungsfunktion der Vigilanz darstellt. Vigilanz (Aufmerksamkeit, Wachheit) bezeichnet einen wesentlichen Teilaspekt von Bewusstsein und lässt sich durch Einbettung in Frequenzenspektren im EEG in verschiedene Bewusstseinszustände (z.B. Tiefschlaf, hohe Konzentration) gliedern. Da eine Dämpfung des unspezifischen Nucleus reticularis durch das ARAS eine Enthemmung der spezifischen Thalamuskerne zur Folge hat, welche wiederum über spezielle Neuronen (Pyramidenzellen) die Projektionsfelder des Cortex aktivieren. Die Aktivierung der Projektionsfelder in der Großhirnrinde führen zu einem damit einhergehenden Anstieg der elektrischen Erregung, welche sich über das EEG an der Kopfhaut messen lässt. Zwischen Thalamus, ARAS und den Projektionsfeldern gibt es eine komplexe, wechselseitige Verschaltung (Einflussnahme) in der Aktivierung und Hemmung, was einer rhythmischen Erregungen entspricht, die man je nach Frequenz mit bestimmten Bewusstseinszuständen assoziieren kann (4).

Zitat:
Vgl. hierzu das Gespräch zwischen Thomas Metzinger und Wolf Singer in Thomas Metzinger: Der Ego Tunnel. Eine neue Philosophie des Selbst. Von der Hirnforschung zur Bewusstseinsethik. Berlin: Berlin Verlag, 2009, S.102-109. „Untersuchungen zeigen, dass bei bewusster Wahrnehmung weit verteilte Regionen der Großhirnrinde vorübergehend exakt synchronisierte Hochfrequenz-Oszillationen aufweisen. […] Das legt die Vermutung nahe, dass Zugang zu Bewusstsein erfordert, dass eine hinreichend große Zahl von Verarbeitungsarealen – oder, anders ausgedrückt, eine hinreichende Zahl verteilter Berechnungen – durch Synchronisation gebunden wird und dass diese kohärenten Zustände über hinreichend lange Zeiträume aufrechterhalten werden.“.
(5)

Der Motorcortex in der Großhirnrinde im Bereich des Frontallappens muss noch eine kurze Erwähnung finden, da es je nach Läsionsgrad seiner efferenten Nervenfasern zu einer Einschränkung der Interaktionssfähigkeit des Organismus mit seiner Umwelt, bis hin zu einem vollkommenen Verlust der bewussten Bewegungsfähigkeit (Locked-in-Syndrom), kommen kann. In diesem Beispiel zeigt sich die unabweisbare Kopplung von Bewusstsein und Materie. Weitere Ausführungen von neuroanatomische Komponenten, welche für die Kognitionsfähigkeit und Bewusstsein relevant sind (z.B. der Präfrontale Cortex), würden den Rahmen der Arbeit bei weitem sprengen.

Für die Bildung einer Theorie des „neuronalen Korrelates des Bewusstseins“ benötigt man empirische Daten. Neben weiteren, nicht näher ausgeführten, Untersuchungsmethoden (z.B. ENG, EMG) gibt es die Möglichkeit durch das bereits angesprochene EEG an solche Daten zu gelangen. Hierfür werden mittels an der Kopfhaut angebrachter Elektroden elektrische Spannungsschwankungen aufgezeichnet, die Rückschlüsse auf Informationsverarbeitungen im Gehirn ermöglichen. Eine andere Methode der Datengewinnung wäre das fMRT. Die funktionelle Magnetresonanztomographie, als bildgebendes Verfahren physiologischer Funktionen, macht es sich den BOLD-Effekt (Blood Oxygen Level Dependency) zunutze, der die Einflussnahme der Sauerstoffsättigung im Blut auf die Kontrastdarstellung einer MRT beschreibt. Hierdurch werden also nur indirekt die aktivierten Hirnareale dargestellt, da diese ATP (Adenosintriphosphat) verbrauchen, wofür wiederum Sauerstoff benötigt wird. Es wird somit die Veränderung der Sauerstoffsättigung im Blut als räumliches Muster aufgezeigt, und nicht die neuronale Aktivität selbst. Negativ ist hierbei auch die künstliche Laborsituation zu werten, unter der diese Ergebnisse generiert werden.

Dass solche empirischen Untersuchungsmethoden mittlerweile erfolgreich zur Interpretation der Bedeutung von Gedankenmustern eingesetzt werden können, zeigt sich beispielsweise in den jüngst publizierten Forschungsergebnissen der Universität von Utah (6), bei der durch ein Elektrocorticogramm Hirnaktivitätsmuster in Form von vorgegebenen Gedanken erfasst und in die richtigen Wortbedeutungen übersetzt werden konnten.
Es geht sogar soweit, dass man die Deutung von empirisch, mittels eines fMRT beobachtbaren Wahrheitswerten und deren Nutzung für strafrechtliche Verfahren beansprucht (7)(8 ), worauf ich gegen Ende zurückkommen werde.
Aus dem Libet-Experiment könnte man ableiten, dass das Gehirn kein Selbst als eine von der Physiologie unabhängige Entität benötigt (schon gar kein freies), um regulativ auf die neuronalen Prozesse des Gehirns einzuwirken.

Bewusstseinszustände scheinen somit an beobachtbaren, messbaren Energiezuständen des Gehirns gekoppelt zu sein. Und im Versuch einer Theoriebildung unter den Prämissen von Reduktionismus, Naturalismus, Materialismus und Kausalität müssen Bewusstseinsprozesse sogar unweigerlich an messbaren Energiezuständen des Gehirns gekoppelt sein, welchen über empirische Methoden und Logik beizukommen sein muss.
Eigentlich müsste man weitergehend noch auf verschiedenste Zustände von Gehirnaktivitäten wie Schlaf, Traum, Koma, etc. eingehen. Doch würde dies zu weit führen, und ist auch für das theoretische Konzipieren einer Grundstruktur von erlebten Kernbewusstseinszuständen nicht notwendig. Im gleichen Sinne verhält es ich mit der Theorie der Qualia.

Erklärungsmodelle für Bewusstsein und Selbst finden sich z.B. bei Susan Blackmore, die sich mit ihrem Konzept der Memetik auf das ‚egoistische Gen’ von Richard Dawkins bezieht. Memetik umschreibt die Theorie, dass sich im Laufe der Entwicklung des Universums neben den Genen ein weiterer Replikationsalgorithmus evolutionär ausgebildet habe, der intersubjektiv kommunizierte, in neuralen Systemen abgespeicherte Bedeutungsinhalte (Meme – Memplexe) in gleichem Maße einem Selektionszwang unterwerfe. Es gehe in der Natur alles nur um den Eigennutzen (Überlebenstrieb) solcher Replikatoren und ihrer Replikationssysteme.

Zitat:
„Die menschliche Sprachfähigkeit stellte primär für die Meme einen Selektionsvorteil dar, nicht für die Gene. Die Meme veränderten dann die Umwelt, in der die Gene selektiert wurden, und zwangen sie so, immer bessere memverbreitende Apparate zu bauen. Mit anderen Worten besteht die Funktion von Sprache darin, Meme zu verbreiten. […] eine Koevolution zwischen Memen und Genen [die] ein großes Gehirn hervorgebracht haben. [primär über die biologische Nützlichkeit der Imitation von Memen]“
(9)

Blackmore geht soweit auch das ‚Selbst’ und das ‚Ich’ als memetische Replikatoren zu beschreiben, und folgt dabei Daniel Dennett in dem sie sagt:

Zitat:
„Das ‚cartesianische Theater’ existiert nicht. […] Nach Dennett produziert das Gehirn ‚zahlreiche Entwürfe’ dessen, was passiert, während die Information durch das parallele Netzwerk fließt. Einer dieser Entwürfe ist die Geschichte, die wir uns selbst erzählen, einschließlich der Vorstellung, dass es einen Autor der Geschichte gibt oder einen Benutzer der virtuellen Gehirnmaschine. Dennett nennt dies die ‚gutartige Benutzerillusion’ (benign user illusion). Daher ist das möglicherweise alles, was wir sind: ein Zentrum narrativer Schwerkraft, eine Geschichte über ein beständiges selbst, das Dinge tut, Dinge fühlt und Entscheidungen trifft, eine gutartige Benutzerillusion. Und Illusionen haben keinen festen Platz.“

„Zusammenfassend kann man sagen, dass der Selbstplex [Memplex] nicht deshalb erfolgreicher ist, weil er wahr oder schön ist, und auch nicht, weil er unseren Genen hilft oder weil er uns glücklich macht. Er ist erfolgreich, weil die Meme, die hineingelangen [in das Gehirn/biologischer Organismus], uns (diese armen, überbeanspruchten physischen Systeme) dazu bringen, für ihre Verbreitung zu arbeiten. Was für ein cleverer Trick! Das ist der Grund, so vermute ich, warum wir alle unser Leben als Lüge [Benutzerillusion] leben, […] Die Meme haben uns dazu gebracht – weil ein ‚Selbst’ ihrer Replikation hilft.“
(9)

Der Begriff „Selbst“ wäre somit als Konzept nicht mehr als andere, ähnlich genutzte Begriffe wie „Gott“, „Freiheit“ oder „das Absolute“. Sie alle wären menschliche Konstrukte, die nicht über eine neuronale Struktursignatur hinausreichen. Sie wären neuronal entwickelte Kulturgüter, Theorien, kognitive Bausteine, Meme und Memplexe.

Bei Thomas Metzinger lesen wir in ähnlicher Weise:

Zitat:
„Bewusstsein ist ein ganz besonderes Phänomen, weil es Teil der Welt ist und gleichzeitig die Welt enthält. All unsere wissenschaftlichen Daten deuten drauf [sic!] hin, dass Bewusstsein Teil der physikalischen Welt und zugleich ein evolvierendes biologisches Phänomen ist. Bewusstes Erleben ist jedoch weit mehr als Physik plus Biologie – mehr als der Tanz eines fantastischen komplexen, rhythmischen Musters neuronaler Entladungen in unserem Gehirn. Das menschliche Bewusstsein unterscheidet sich von anderen biologischen evolvierten Phänomenen grundlegend dadurch, dass es eine Wirklichkeit dazu bringt, in sich selbst zu erscheine. Es erzeugt Innerlichkeit: Der Vorgang des Lebens ist sich seiner selbst bewusst geworden.“
(5)

Der Simulierende simuliert sich beim Simulieren selbst (10) ( (Benutzerillusion) – doch alles sind sich replizierende Meme im Dienste eines biologischen Selektionsvorteils. Metzinger schreibt weiter:

Zitat:
„[…] das, was wir erleben, […] ist, […] schlicht und einfach die neuronale Dynamik selbst?[!]“
(5)


Ich mutmaße also zusammenfassend, dass die sich evolutionär entwickelten und physiologisch gespeicherten, überindividuellen Kulturrepräsentationen in Form von Memen und Memplexen so etwas wie Intentionalitätsbausteine sind, welche in der Intersubjektivität ihre Wirkung entfalten, und um ihr Überleben kämpfen. Diese Wirkung äußert sich in der Wechselbeziehung einer der Kommunikation automatisch unterlegten Semiotik und der Kausalität. Mit dem Witz, dass man es noch nicht mal begreifen muss und es funktioniert trotzdem. Doch über das Verstehen der Funktionsweisen der Realität, ähnlich dem Eliminativen Materialismus (Metzinger beschreibt diesen als „originelle und erfrischend andere Perspektive“ , weist aber gleichzeitig auf mögliche, damit einhergehende Probleme hin), gelingt erst die Emanzipation über die Mechanismen, die Meisterung der Mechanismen, hin zu einer (letztlich dennoch illusorischen) praktischen Handlungsfreiheit. Ein auf Konsistenz aufbauendes Modulieren des Sozialen und Individuellen.
So liest man hierzu bei Bernulf Kanitscheider nach seiner Darstellung der kosmologischen, objektiven Sinnlosigkeit:

Zitat:
„Auch ohne in ein illusionäres kontrakausales Freiheitsszenarium abzugleiten, lässt sich, in Einklang mit dem psychologischen Determinismus der Motive, eine Selbststeuerung konzipieren, die ein reflexives Umgehen mit den eigenen Lebenszielen ermöglicht.
Wir können in der Tat vom übergeordneten Ziel der Lebensoptimierung her, unter Einsatz der uns von der Natur verliehenen Autonomie [praktische quasi-Handlungsfreiheit], über Verhaltensmuster nachdenken und dann dasjenige auswählen, das uns nach dieser Reflexion zum gelungenen Leben führt. Die menschliche Seele erlaubt eine Schichtung der Reflexionsniveaus, und diese Hierarchie der Ebenen des Denkens über sich selbst gestattet dann auch eine Wahl und eine Entscheidung. Unsere Handlungsfreiheit bezieht sich nicht nur auf den Umgang mit der externen Realität, sondern ebenso auch auf unser mentales Innenleben. Wir können mit uns selber sprechen und unter Ausnützung der hierarchischen Ordnungsstruktur der emotiven Beweggründe uns selber in Bezug auf unsere lebensdienlichen Handlungsmuster optimieren. Dazu wird keine akausale, der neurobiologischen Struktur unseres Gehirnes widersprechende Willensfreiheit gebraucht. Die kausal agierende Handlungsfreiheit reicht aus, uns, wenn wir es wünschen, in Richtung auf ein freudvolles gelungenes Leben zu programmieren.“
(11)

Dies muss sich in allen neuroethischen Themenfelder, wie der Erforschung und Entwicklung einer starken künstlicher Intelligenz (12), Strafrecht (7)(8 ), „enhancement“ (13), etc. widerspiegeln.

„Das neuronale Korrelat des Bewusstseins“ entspricht somit manchen subjektinternen, messbaren Projektions- und Simulationsebenen, welche als reflexiv-selbstprogrammierbare Determinanten zu mehr Handlungsfreiheit und freudvollerem Leben führen können. Sie befinden sich innerhalb des quasi-entscheidenden Subjekts, abgespeichert als rhythmisch auftretende Energiemuster auf der biochemischen Ebene der neuronalen Verschaltungen (Meme/Memplexe) und aufgeteilt in verschiedenste Hirnareale. Es gibt ein kausales miteinander im Wettstreit liegendes Regulationswechselspiel zwischen den biochemisch-kognitiven Kulturabspeicherungen auf der einen und den biologisch-hormonell wirkenden Mechanismen (Gene/Erblast) auf der anderen Seite der neuronalen Ebene. In der Simulationsebene des Eigenmodells im Weltmodell liegt die quasi--Handlungsfreiheit, zumindest je nach dem mit welchen kulturellen Ideen (Memen) das Objekt (Subjekt) ‚infiziert’, indoktriniert, sozialisiert wurde. Das Maß der Emanzipationsfähigkeit sich über seine Körperbedürfnisse (Hormone) und seinen inneren Kulturabspeicherungen (Repräsentationen) zu erheben, und so ein immer noch illusorisches aber wünschenswertes Mindestmaß an Handlungsfreiheit zu erwerben, bemisst sich an vielen wichtigen Einflussfaktoren. Zu nennen wären z.B. wirtschaftlicher Entwicklungsgrad in den betreffenden sozialen Ordnungsstufen (bis hin zum Globalen – siehe Entwicklungshilfe), Bildung (Aufklärung/Humanismus/’sozialer’ Liberalismus), genetische Disposition, etc. Diese Erkenntnisse gilt es zu nutzen und in die richtigen Bahnen zu lenken.

Wenn schon die dualistische „cartesianische Theaterwelt“ nicht existiert, so lässt sich vielleicht sagen, dass das Scheinwerferlicht die determinierten, reziproken, in den Projektionsfeldern und Simulationsebenen aufflammenden „neuronalen Korrelate des Bewusstseins“ symbolisiert. Der dahinter stehende Techniker oder Regisseur spiegelt sich in den verschiedenen reziproken genetischen wie memetischen Regulationsmechanismen wider.
Die Korrelate zeigen uns was auf der simulierten Theaterwelt, im simulierten Welt- und dem zugehörigen Eigenmodell bewusst ist. Was neben dem Scheinwerferlicht auf der Bühne ist existiert auch, aber es ist nicht bewusst.

Eine reduktionistische Theorie des Bewusstseins scheint für mich einfach konsequent. Aber Theorien replizieren und modifizieren sich im Sinne der Memetik ständig weiter, somit lassen wir uns zum einen überraschen wohin das führt, und zum anderen versuchen es bewusst, also nach bestem Wissen und Gewissen und einer steten Prüfung eben jener Theorie, mitzugestalten.
In solch einer Theorie zeigt sich mindestens eine Revolution des Menschenbildes, was aber keineswegs zu einer Abwertung des Menschen führt, sondern im Gegenteil, wie bereits dargelegt, zur eigentlichen Emanzipation des Menschen.

Diese Arbeit wird einer Theoriefindung des „neuronalen Korrelates des Bewusstseins“ nicht gerecht, ist aber der Versuch eines kleinstmöglichen Einstiegs – im Sinne einer reduktionistischen Theorie.




Literaturverzeichnis


(9)Blackmore, Susan: Die Macht der Meme. oder Die Evolution von Kultur und Geist. München: Elsevier GmbH, 2005.

(11)Kanitscheider, Bernulf: Entzauberte Welt. Über den Sinn des Lebens in uns selbst. Eine Streitschrift. Stuttgart: Hirzel Verlag, 2008.

(3)Kolbenheyer, Erwin Guido: Die Bauhütte. Grundzüge einer Metaphysik der Gegenwart. München: Albert Langen/Georg Müller Verlag, 1941.

(5)Metzinger, Thomas: Der Ego Tunnel. Eine neue Philosophie des Selbst. Von der Hirnforschung zur Bewusstseinsethik. Berlin: Berlin Verlag, 2009.

(1)Mill, John Stuart: On Liberty. Über die Freiheit. Stuttgart: Phillip Reclam jun. GmbH & Co., 2009.

(2)Sanides, Friedrich: Die Evolution des Säugetiergehirns und das Bewusstsein. In: Klement, Hans-Werner: Bewusstsein. Ein Zentralproblem der Wissenschaften. Baden-Baden: Agis, 1975, S.123-164.

(4)Trepel, Martin: Neuroanatomie. Struktur und Funktion. München: Urban & Fischer Verlag bei Elsevier, 2008.

(10) step
step hat folgendes geschrieben:
Wenn ein Simulator sich beim Simulieren simuliert.
thx


Internetquellen:


(6)http://www.eurekalert.org/pub_releases/2010-09/uou-tbs090110.php, zuletzt zugegriffen am 30. September 2010.
(7)http://www.noliemri.com/, zuletzt zugegriffen am 30. September 2010. (8)http://www.cephoscorp.com/, zuletzt zugegriffen am 30. September 2010.
(12)http://singinst.org/, zuletzt zugegriffen am 30. September 2010.
(13)http://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/Gehirndoping-Immer-mehr-Schueler-und-Studenten-greifen-zur-Pille, zuletzt zugegriffen am 30. September 2010.



so fertig .....vielen Dank für's lesen
(In der Arbeit fehlende Begriffe: Identitätstheorie, Funktionalismus, Limbisches System, vielleicht Konstruktivismus)

und jetzt los ---- wo hackt's am meisten, was ist vielleicht nett? unausgereift? Ergänzungen, bessere Quellen/Theorien? (was bestimmt locker machbar ist)

Nochmal vielen Dank

http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?t=30580

#2:  Autor: Baldur BeitragVerfasst am: 02.11.2010, 01:00
    —
Wo ist gleich noch dein letzter Thread, der eine ähnliche Länge hat (also der eröffnende Beitrag von dir) und in dem du etliche Links gesetzt hast? Denn wollte ich mir doch nochmal intensiv zu gemüte führen, weiß aber nicht mehr wo ich ihn finden kann.

#3:  Autor: göttertodWohnort: Freiburg BeitragVerfasst am: 02.11.2010, 01:03
    —
Baldur hat folgendes geschrieben:
Wo war nochmal dein letzter Thread, der eine ähnliche Länge hatt und in dem du etliche Links gesetzt hast. Denn wollte ich mir doch nochmal intensiv zu gemüte führen, weiß aber nicht mehr wo ich ihn finden kann.


Smilie geh von deinem Post mal ca. 2 - 3 cm nach oben, ich hab's als kleine Werbung am Ende verlinkt

gudnight

#4: Re: Das neuronale Korrelat des Bewusstseins Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 02.11.2010, 03:27
    —
göttertod hat folgendes geschrieben:
Der Begriff „Selbst“ wäre somit als Konzept nicht mehr als andere, ähnlich genutzte Begriffe wie „Gott“, „Freiheit“ oder „das Absolute“. Sie alle wären menschliche Konstrukte, die nicht über eine neuronale Struktursignatur hinausreichen. Sie wären neuronal entwickelte Kulturgüter, Theorien, kognitive Bausteine, Meme und Memplexe.

Ersetze „Gott“ durch „Gesellschaft“ und „das Absolute“ durch „Kultur“. Dann passt es. Oder Du begründest, warum es nicht passt und was hier „Gott“ und „das Absolute“ (was soll das überhaupt sein?) zu suchen hat.

Der letzte Satz ist aber leider insgesamt einfach deswegen Unsinn, weil „Kulturgüter“, „Theorien“, „Meme“, „kognitive Bausteine“ und „Memplexe“ eben auch Konstrukte sind und somit „nicht über eine neuronale Struktursignatur hinausreichen“, (was auch immer das heißen mag). Oder aber Du begründest, warum diese Kontrukte „realer“, weniger „illusionär“ seien als das Konstrukt „Selbst“.

Der Grund kann sicher nicht sein, dass das eine ein Konstrukt sei und die anderen nicht. Denn das sind mE alles Konstrukte.

Oder Du definierst mal „Konstrukt“ genauer, sagst, was Du darunter verstehst und zeigst, wieso „Kultur“ zum Beispiel kein Konstrukt ist, sondern ein grundlegender Baustein unserer Welt.

Und überhaupt: was genau ist eigentlich der Gegenbegriff zu 'Konstrukt', was zum Beispiel ist kein Konstrukt?

göttertod hat folgendes geschrieben:
Der Simulierende simuliert sich beim Simulieren selbst (10) ( (Benutzerillusion) – doch alles sind sich replizierende Meme im Dienste eines biologischen Selektionsvorteils.

Diese Allaussage ist sehr gewagt. Die gilt weil? Das ist mE jenseits jeglicher Plausibilität. Sollte begründet werden.

göttertod hat folgendes geschrieben:
Diese Erkenntnisse gilt es zu nutzen und in die richtigen Bahnen zu lenken.

Ist das eine Sollensaussage? Wenn nein: was sonst? Wenn ja: wer äußert die und wer ist der Ansprechpartner dafür? Die Meme, die Memplexe, die Kultur? Oder das Selbst, das ja aber, wenn es illusionär ist, gar nicht existiert, nicht?

göttertod hat folgendes geschrieben:
Die Korrelate zeigen uns was auf der simulierten Theaterwelt, im simulierten Welt- und dem zugehörigen Eigenmodell bewusst ist. Was neben dem Scheinwerferlicht auf der Bühne ist existiert auch, aber es ist nicht bewusst.

Hast Du eigentlich definiert, was Du unter 'bewusst' verstehst? Habe ich dann überlesen, aber wenn nicht: das solltest Du tun. Das ist dann anscheinend etwas grundsätzlich anderes, als das, was man gemeinhin darunter versteht.

Unter 'bewusst' verstehe ich zum Beispiel alles das, das ins 'Scheinwerferlicht der Aufmerksamkeit' gerufen werden kann, aber nicht lediglich das, was gerade dort vorhanden ist.

Demnach habe ich z.B. eine riesige Menge bewussten Wissens. Mir kommt es merkwürdig vor, das, was mir gerade (jetzt, hier, in diesem Moment) nicht präsent ist, als 'unbewusst' zu deklarieren. Unter 'unbewusst' verstehe ich etwas anderes, nämlich das, was ich niemals in dieses 'Scheinwerferlicht' rufen kann. Zum Beispiel der Vorgang der Verdauung ist demnach unbewusst.

Ich meine, darfst Du gerne machen, einen so mE merkwürdig eingeschränkten Begriff von 'bewusst' zu verwenden, aber das juckt mich dann nicht. Hat dann mit meinem Begriff von 'bewusst' wenig zu tun und, das ist hier mE das Ausschlaggebende: mit dem normalen Verständnis von 'bewusst', auch mit dem in der Naturwissenschaft verwendeten, hat es nichts zu tun. Eine Privatdefinition also und somit irrelevant für andere.

göttertod hat folgendes geschrieben:
In solch einer Theorie zeigt sich mindestens eine Revolution des Menschenbildes, was aber keineswegs zu einer Abwertung des Menschen führt, sondern im Gegenteil, wie bereits dargelegt, zur eigentlichen Emanzipation des Menschen.

Wieso? "Der Mensch" ist doch hier lediglich eine Illusion, (fragt sich aber immer noch: von was eigentlich? - das ist die spannende Frage, die bisher unbeantwortet ist), es gibt kein Selbst, nur Meme, Memplexe, Kultur und dergleichen, aber keine Akteure mehr. Sie sind Illusion. Wer soll aber handeln ohne Akteure und wer soll noch was sollen ohne Akteure?

Edit:

und, noch was: weißt Du, was ich als für mich nicht nachvollziehbaren Dualismus ansehe? -> Die Proklamierung eines Beobachters, eines ohnmächtigen Beobachters in einem cartesischen Theater, der zuschaut, was denn die Naturvorgänge so mit ihm anstellen, wohin sie ihn führen, mit der darin mE enthaltenen Ansicht, dass er selber nicht Teil dieser Naturvorgänge sei, dass nicht ein Teil der Naturvorgänge er selber sei, sie ihn ausmachten.

Und all das lugt unweigerlich aus Deinen Ausführungen hervor, die Ansicht: da ist die Natur und da bin ich. Ich kann nix machen, ich bin ja kein Teil der Natur, aber die Natur wird's schon schaukeln für mich, die Natur hat recht, die ist der große Vater, da sind die evolutionären Vorgänge, die ich (illusionär) beobachten kann, aber ich kann ja nix machen, da gibt es einen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen mir und den Naturvorgängen.

Das kommt mir so unendlich absurd vor, ich kann gar nicht richtig ausdrücken, wie absurd.

#5: Re: Das neuronale Korrelat des Bewusstseins Autor: göttertodWohnort: Freiburg BeitragVerfasst am: 03.11.2010, 19:03
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Das kommt mir so unendlich absurd vor, ich kann gar nicht richtig ausdrücken, wie absurd.


Rette dein idealistisches, dualistisches, epiphänomenales Heidegger-Husserl-Hegel-Bieri-Damasio-Searl-Eccles-etc.sonstwas-Weltbild woanders!!!!!!!

Wenn ich lese was du schreibst, habe ich das Gefühl, du hast den Text entweder gar nicht gelesen, oder willst dich stellenweise nicht auf ihn einlassen, wenn nicht sogar absichtlich falsch interpretieren.




Ein netter Artikel mit thematischen Bezügen
Der Mensch denkt, das Gehirn lenkt

#6: Re: Das neuronale Korrelat des Bewusstseins Autor: Kival BeitragVerfasst am: 03.11.2010, 19:16
    —
göttertod hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Das kommt mir so unendlich absurd vor, ich kann gar nicht richtig ausdrücken, wie absurd.


Rette dein idealistisches, dualistisches, epiphänomenales Heidegger-Husserl-Hegel-Bieri-Damasio-Searl-Eccles-etc.sonstwas-Weltbild woanders!!!!!!!


Kritik ist nicht erwünscht? Na dann brauch ich es ja gar nicht erst lesen.

#7: Re: Das neuronale Korrelat des Bewusstseins Autor: göttertodWohnort: Freiburg BeitragVerfasst am: 03.11.2010, 19:27
    —
Kival hat folgendes geschrieben:
göttertod hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Das kommt mir so unendlich absurd vor, ich kann gar nicht richtig ausdrücken, wie absurd.


Rette dein idealistisches, dualistisches, epiphänomenales Heidegger-Husserl-Hegel-Bieri-Damasio-Searl-Eccles-etc.sonstwas-Weltbild woanders!!!!!!!


Kritik ist nicht erwünscht? Na dann brauch ich es ja gar nicht erst lesen.



Nein genau .... bitte ... bitte.... bitte meinen Text nicht lesen.... nicht lesen..... nicht lesen

#8: Re: Das neuronale Korrelat des Bewusstseins Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 03.11.2010, 19:31
    —
Naja, Du hattest explizit um Kritik gebeten:

göttertod hat folgendes geschrieben:
und jetzt los ---- wo hackt's am meisten, was ist vielleicht nett? unausgereift? Ergänzungen, bessere Quellen/Theorien? (was bestimmt locker machbar ist)

Hatte ich zumindest so verstanden.

Aber selbst wenn Du das nicht getan hättest: Du kannst nicht erwarten, einen Text hier reinzustellen und dann müssen alle dem entweder zustimmen oder die Klappe halten.

Das hier ist nun mal ein Diskussionsforum.

#9: Re: Das neuronale Korrelat des Bewusstseins Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 03.11.2010, 23:37
    —
göttertod hat folgendes geschrieben:

Nein genau .... bitte ... bitte.... bitte meinen Text nicht lesen.... nicht lesen..... nicht lesen

Das läßt sich einrichten.

#10: Re: Das neuronale Korrelat des Bewusstseins Autor: Die FiktionWohnort: Düsseldorf BeitragVerfasst am: 03.11.2010, 23:57
    —
göttertod hat folgendes geschrieben:
Nein genau .... bitte ... bitte.... bitte meinen Text nicht lesen.... nicht lesen..... nicht lesen


Ich halte das dann auch mal so.

#11: Re: Das neuronale Korrelat des Bewusstseins Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 04.11.2010, 00:23
    —
göttertod hat folgendes geschrieben:
Ein netter Artikel mit thematischen Bezügen
Der Mensch denkt, das Gehirn lenkt

Ach ja, und übrigens das:

ZEIT - Der Mensch denkt, das Gehirn lenkt hat folgendes geschrieben:
Der Mensch denkt, das Gehirn lenkt

Ist die Seele nur eine Marionette des Gehirns?

ist genau das, was ich oben meinte, das, was mir so absurd vorkommt, dieser da durchscheinende Dualismus: hier Mensch - da drüben Gehirn. Mein Gehirn und ich sind doch nicht so grundsätzlich verschiedene Entitäten, dass man sinnvoll sagen könnte, dass die eine die andere lenken könnte. Naja, zumindest nicht, wenn man Monist ist und das bin ich.

Und der andere Fehler, der hier, (und leider auch allzu oft woanders, aber meist nur von denjenigen, die das dann anschließend als doof darstellen wollen und dann kräftig darauf einkloppen), gemacht wird, ist die implizite Behauptung, das Selbst sei mit dem Selbstmodell identisch. Aber das kann logischerweise nicht der Fall sein: wenn X ein Modell von Y ist, kann X nicht identisch mit Y sein. Die 1:1 Landkarte ist nicht das Gelände. Das erscheint mir trivial, keine Ahnung, wieso das dennoch so oft ernsthaft behauptet wird.

Und an dieser Stelle kommt immer der Einwand: selbstverständlich hast Du recht, aber die meisten anderen Leute glauben das und darauf bezieht sich unser Argument, wir wollen die aufklären.

Aber die meisten anderen Leute glauben das meiner Ansicht nach schlicht nicht und daher erscheint mir das Ganze nur wie ein Einhauen auf selbst erstellte Pappkameraden.

Der Fehler liegt hier schlicht darin, die meisten anderen Leute für blöder zu halten als sie tatsächlich sind.

Und der Punkt ist: Du musst zeigen, dass Du diesbezüglich recht hast, (zu wissen, was die meisten anderen Leute tatsächlich meinen). Dass lediglich Du da etwas glaubst (oder auch Haynes im verlinkten Artikel) spielt keine Rolle. Denn ich glaube das schlicht nicht. Da besteht dann ein Patt.

Und wenn es um empirische Belege für den jeweiligen Glauben geht: ich kann die vorweisen.

Du auch?

Wenn nicht, besteht kein Patt mehr.

#12: Re: Das neuronale Korrelat des Bewusstseins Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 04.11.2010, 09:59
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
göttertod hat folgendes geschrieben:
Ein netter Artikel mit thematischen Bezügen
Der Mensch denkt, das Gehirn lenkt

Ach ja, und übrigens das:

ZEIT - Der Mensch denkt, das Gehirn lenkt hat folgendes geschrieben:
Der Mensch denkt, das Gehirn lenkt

Ist die Seele nur eine Marionette des Gehirns?

ist genau das, was ich oben meinte, das, was mir so absurd vorkommt, dieser da durchscheinende Dualismus: hier Mensch - da drüben Gehirn. Mein Gehirn und ich sind doch nicht so grundsätzlich verschiedene Entitäten, dass man sinnvoll sagen könnte, dass die eine die andere lenken könnte. Naja, zumindest nicht, wenn man Monist ist und das bin ich.

Und der andere Fehler, der hier, (und leider auch allzu oft woanders, aber meist nur von denjenigen, die das dann anschließend als doof darstellen wollen und dann kräftig darauf einkloppen), gemacht wird, ist die implizite Behauptung, das Selbst sei mit dem Selbstmodell identisch. Aber das kann logischerweise nicht der Fall sein: wenn X ein Modell von Y ist, kann X nicht identisch mit Y sein. Die 1:1 Landkarte ist nicht das Gelände. Das erscheint mir trivial, keine Ahnung, wieso das dennoch so oft ernsthaft behauptet wird.

Coole Sache, das...

#13:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 04.11.2010, 12:08
    —
Das neuronale Korrelat des Bewusstseins... ist auch nur ein Merkmal der Benutzeroberfläche des Bewußtseins.

Zitat:
Das Geist-Körper-Problem dürfte sich für die physikalische Ontologie als das erweisen, was einst die Schwarzkörperstrahlung für die klassische Mechanik war: zunächst ein Ansporn, sie heldenhaft zu verteidigen, und dann der Auslöser ihrer endgültigen Überwindung. Allerdings vermute ich, dass die physikalische Ontologie noch länger heldenhaft verteidigt wird, zumal ihre Verfechter bezweifeln, dass ihre bewusstseinsgestützte Ablösung die gleiche mathematische Präzision oder eindrucksvolle Bandbreite erreichen würde wie die Physik.
[...]
Doch vielleicht fällt das Geist-Körper-Problem gar nicht in die Domäne der Physik, da es dort an einer angemessenen Theorie dafür fehlt. Zwar könnten deren Vertreter argumentieren, dass wir dem intellektuell einfach noch nicht gewachsen sind – vielleicht auf die richtige Mutation warten müssen – und damit recht haben. Wenn wir aber das Bewusstsein für grundlegend halten, so geht es nicht mehr darum, den Geist aus der Materie, sondern diese aus dem Geist abzuleiten. Dies wäre im Prinzip der elementare Vorgang, da Materie, Felder und die Raumzeit allesamt zu den Bewusstseinsinhalten gehören.
[...]
Diese Auffassung umgeht keine wissenschaftlichen Methoden oder Ergebnisse, sondern baut sie in neuer Interpretation in ihren Rahmen ein. Man denke beispielsweise an die Suche nach den neuralen Korrelaten des Bewusstseins. Dieser heilige Gral der Physik sollte fortbestehen, auch wenn sich das Bewusstsein als grundlegend erweist, denn darin geht es ja um hilfreiche Untersuchungen unserer Benutzeroberfläche. Der Physiker stuft solche neuralen Korrelate als potentielle Ursachen des Bewusstseins ein. Wenn dieses jedoch als fundamental zu gelten hat, so bilden seine neuralen Korrelate ein Merkmal unserer Benutzeroberfläche, die zwar Bewusstseinsveränderungen entsprechen mögen, solche jedoch nicht hervorrufen können.

http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,586852,00.html

Für empfindliche Gemüter: Für die Wahl des OS, das der Autor für die Metapher heranzieht, bitte ich um Nachsicht.

#14: Re: Das neuronale Korrelat des Bewusstseins Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 06.11.2010, 02:07
    —
göttertod hat folgendes geschrieben:
Ein netter Artikel mit thematischen Bezügen
Der Mensch denkt, das Gehirn lenkt

Die Kommentare zu diesem Artikel sind übrigens ganz hübsch:

Zitat:
- Mag sein, das ich nicht so wissenschaft-affin bin. Aber es ist doch ein alter Hut, dass der freie Wille nur begrenzt frei ist. Es langweilt mich.
- Also, warum haben wir keinen freien Willen, wenn unser Gehirn ganz frei sich für eine der Alternativen entscheidet? Da klingt doch nur die Melancholie der alten Philosophen durch...
- Interessant, was hier als große Neuigkeit verkauft wird [...] Zustimmen kann ich Haynes insofern, als dass eine Trennung von Leib und Seele wohl nicht existiert. Genausowenig wie eine Trennung zwischen "Ich" und "Gehirn". Was soll das denn sein - nicht ich habe mich entschieden, sondern mein Gehirn? Ja, bin ICH denn etwas anderes?
- Die Idee einer nicht stofflichen Seele ist ja inzwischen eher im Bereich der Märchenerzählung anzusiedeln.
- Diese Trennung, welche nur das Bewusste als "Ich" wahrnimmt scheint mir sehr künstlich.
- "Der Mensch denkt, das Gehirn lenkt"? Brrrr, wie kann man nur sowas schreiben? Wie katholisch muss man sein, um überrascht zu sein, dass es keinen Geist ohne Materie gibt?
- Die Idee, ein Organ meines Körpers rein intellektuell vom Rest des Körpers oder von der Seele abzutrennen, ist total widersinnig.
- Revolutionäre Erkenntnis...stellt die doch glatt unser Menschenbild auf den Kopf. Der freie Wille vielleicht eine Illusion? Was kommt als nächstes? Vielleicht gibt es Gott gar nicht? Vielleicht lebt der Weihnachtsmann gar nicht am Nordpol?
- wie lange glaubt der Herr kann die Bevölkerung noch für dumm verkauft werden, zumal jeder Durchschnittsbürger schon weit aufgeklärter ist, als ihr der Verfasser zutraut?

und das möchte ich extra noch hervorheben, das fand ich extrafein:

Zitat:
- Wenn "mein Gehirn" eine Entscheidung trifft, dann treffe ich diese Entscheidung. Das Gehirn ist das Organ mit dem ich Entscheidungen treffe, und nicht irgendein Parasit, der an der Innenwand meines Schädels klebt und meinem "wahren Ich" (das da wäre? Das Fettgewebe meiner Plauze etwa?) Befehle erteilt.


Aber 'ne Antwort bekomme ich nicht, richtig? Du hältst Dir einfach Augen, Ohren und Mund zu und brummst die ganze Zeit: 'ich hab' aber recht, ich hab' aber recht' - stimmt's?

So macht das jeder fanatische Dogmatiker, Du bist nicht alleine, keiner von denen stellt sich Argumenten. Augen zu, Mund zu, Ohren zu und fettisch ist die Laube.

#15: Re: Das neuronale Korrelat des Bewusstseins Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 06.11.2010, 10:34
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... dieser da durchscheinende Dualismus: hier Mensch - da drüben Gehirn. Mein Gehirn und ich sind doch nicht so grundsätzlich verschiedene Entitäten, dass man sinnvoll sagen könnte, dass die eine die andere lenken könnte.

Dieser Dualismusvorwurf konstruiert sich mE letztlich aus der umgangssprachlichen Selbstverständlichkeit, von "ich" usw. zu reden, obwohl das eigentlich falsch ist.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und der andere Fehler, der hier ... gemacht wird, ist die implizite Behauptung, das Selbst sei mit dem Selbstmodell identisch. Aber das kann logischerweise nicht der Fall sein: wenn X ein Modell von Y ist, kann X nicht identisch mit Y sein.

Auch hier: Das "selbst" im Ausdruck "Selbstmodell" ist nicht "das Selbst" (was ist das?), sondern bezeichnet eine Referenz: Das Gehirn produziert ein Modell von der Welt, von dem es tragenden Körper usw. Es schaut sich beim Modellieren zu, bildet eine Ich-Illusion usw. - selbstverständlich sind Ich-Illusion und Gehirn nicht identisch.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Die Kommentare zu diesem Artikel sind übrigens ganz hübsch:
Zitat:
- Also, warum haben wir keinen freien Willen, wenn unser Gehirn ganz frei sich für eine der Alternativen entscheidet?

Da antworte ich auf gleichem Niveau: Demnach hätte auch ein Schachprogramm Freienwillen, solange es nicht unter akutem Zugzwang steht.

Zitat:
- Interessant, was hier als große Neuigkeit verkauft wird [...] Zustimmen kann ich Haynes insofern, als dass eine Trennung von Leib und Seele wohl nicht existiert. Genausowenig wie eine Trennung zwischen "Ich" und "Gehirn". Was soll das denn sein - nicht ich habe mich entschieden, sondern mein Gehirn? Ja, bin ICH denn etwas anderes?

Ja freilich ist das etwas anderes, schon allein weil die Ich-Illusion sich auf mehr als das Gehirn bezieht, z.B. auch auf den Körper. Da sind wir uns vermutlich sogar einig. Viele Leute subsumieren zudem unter einer Person auch deren kausale Vorgänger oder Nachfolger (sei es ihre Kindhheit, ihre Ahnen oder was auch immer), ihren Lebenskontext (Beruf usw.) und vieles mehr.

Übrigens schimmert hier der von Dir so oft gewitterte Dualismus durch: Wenn der Kommentator meint, Ich und Gehirn sei dassselbe, wieso spricht er dann von "mein Gehirn"? Das illustriert einmal mehr, wie schwierig es ist, die umgangssprachlichen Fallstricke der Ich-Illusion sauber zu vermeiden.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
und das möchte ich extra noch hervorheben, das fand ich extrafein:
Zitat:
- Wenn "mein Gehirn" eine Entscheidung trifft, dann treffe ich diese Entscheidung. Das Gehirn ist das Organ mit dem ich Entscheidungen treffe, und nicht irgendein Parasit, der an der Innenwand meines Schädels klebt und meinem "wahren Ich" (das da wäre? Das Fettgewebe meiner Plauze etwa?) Befehle erteilt.

Also ich glaube wie gesagt nicht an ein "wahres Ich", sondern an eine Ich-Illusion, die wir aus Vereinfachungs- und sozialen Gründen mit gewissen Realia identifizieren (Körper + Gehirn + Erinnerungen + Präferenzen usw.) - was dann zu künstlichen Problemen wie etwa dem Qualiaproblem führt. Insofern ist die Aussage des Kommentators "Das Gehirn ist das Organ mit dem ich Entscheidungen treffe" typisch, da sie suggeriert, das Gehirn würde von einem "ich" (was immer das ist) zum Entscheiden beauftragt/benutzt, ähnlich wie das Gehirn ein anderes Organ, etwa einen Arm, zum Ausführen einer Handlung initiiert.

#16:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 06.11.2010, 12:24
    —
Ein weiteres typisches Beispiel eines "Kämpfers wider den Reduktionismus", aus der heutigen SZ, einige Auszüge von mir kommentiert:

'Ein Hirn ohne Körper erlebt nichts' - Der Psychiater Felix Tretter wettert gegen reduktionistische Menschenbilder

Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.257, Samstag, den 06. November 2010 , Seite 22

SZ vom 06.11.10 hat folgendes geschrieben:
SZ: Wenn ich manche Neurobiologen richtig verstehe, besuche ich Sie hier in Ihrem Büro nicht aus freien Stücken, außerdem bilde ich mir nur ein, dass mein reales Ich anwesend ist.

Tretter: Mich wundert es nicht, dass es Menschen verstört, wenn Neurobiologen und Philosophen sagen, das Ich sei eine Illusion, es gebe keine Willensfreiheit, keine Seele und das Bewusstsein des eigenen Selbst sei irrelevant. Das beschädigt unser Selbstbild als geistiges Wesen.

Typisch: Frage bezieht sich auf die Realität, Antwort auf die mögliche Verstörung der Menschen durch ihre Kenntnis.

SZ vom 06.11.10 hat folgendes geschrieben:
Tretter: ... benötigen wir in der klinischen Psychologie und Psychiatrie das Konstrukt eines Kern-Ichs als Operator ..., obwohl wir es mit bildgebenden Verfahren nicht entdecken können ...

Also der Psychiater benötigt dieses Konstrukt - schön, na und?

SZ vom 06.11.10 hat folgendes geschrieben:
Tretter: ... ist noch nicht mal klar, was mit Gehirn eigentlich gemeint ist: auch das Kleinhirn, die Hirnnerven, ohne Rückenmark? Nur die Nervenzellen, oder auch die Gliazellen? Gehört das Stickoxid dazu, der Sauerstoff, die Glukose? Ohne diese Zutaten ist kein Geist möglich.

Das ist richtig, aber unstrittig.

SZ vom 06.11.10 hat folgendes geschrieben:
Tretter: Ist meine Seele das Ensemble von elektrischen Erregungen?

Was denn für eine Seele?

SZ vom 06.11.10 hat folgendes geschrieben:
Tretter: Ich bin mir tatsächlich nicht sicher, ob sich alle psychischen Phänomene vollständig auf Gehirnzustände reduzieren lassen.

SZ: Plädieren Sie etwa für eine Wiederbelebung des Dualismus, also die Vorstellung, der Geist existiere unabhängig von der Materie?

Tretter: Ich glaube nicht, dass wir die psychologischen Kategorien durch neurobiologische ausreichend ersetzen können.

Das war aber nicht die Frage.

SZ vom 06.11.10 hat folgendes geschrieben:
Tretter: Wir brauchen in der Praxis den methodologischen Dualismus.

Aha, am Ende steht wieder der Wunsch. Erinnert mich an Böckenfördes "staatsnotwendige Fiktion" und die pastoralen Lügen der Kleriker.

SZ vom 06.11.10 hat folgendes geschrieben:
Tretter: Wie kann ich bei einem System mit 100 Milliarden Nervenzellen, die miteinander interagieren, ernsthaft einen Determinismus postulieren? Feedback-Loops führen bereits bei simplen Maschinen dazu, dass faktisch keine Regelmäßigkeit mehr erkennbar ist. Dennoch äußern Neurobiologen gar keine Zweifel, und der Laie denkt, aha, wir Menschen sind also willenlose Maschinen.

Das liegt, wie Tretter selbst weiß, am Determinismusbegriff. Physikalischer Determinismus bedeutet nicht Berechenbarkeit. Zudem ist sein Argument gerade in seinem Fachbereich fragwürdig, da Therapien ja nur aufgrund berechenbarer Reaktionen funktionieren.

SZ vom 06.11.10 hat folgendes geschrieben:
Tretter: In der Biologie und der Medizin komme ich aber ohne das Konstrukt der Selbstbestimmung nicht aus: Ich kann meine Patienten nicht so behandeln, als seien sie konditionierte Automaten. Ich muss davon ausgehen, dass sie aus Einsicht Hemm-Mechanismen gegenüber ihrer Sucht aufbauen können.

Non Sequitur. Auch die Nutzung von Einsichtsmechanismen in der Therapie (erst recht die von psychiatrischer Manipulation) funktioniert nur, wenn sie hinreichend regelmäßig/kausal abläuft. Dasselbe gilt auch etwa für moralisches Verhalten.

Weiter unten liefert Tretter selbst ein anschauliches Beispiel, wie auch in seinem eigenen Ansatz Konditionierung aussieht:

SZ vom 06.11.10 hat folgendes geschrieben:
Tretter: Nehmen Sie zum Beispiel einen Suchtkranken, der gelernt hat, seine Stimmung mit Alkohol zu modulieren. ... Der normale Suchtkranke schwört nach einem Absturz vielleicht: Ich trinke nie wieder! Kybernetisch interpretiert, ist das ein Sollwert mit einem sehr hohen Gewicht, der lebenslanges Commitment bedeutet und schwer einzuhalten ist. Die Anonymen Alkoholiker haben da mehr Lebenserfahrung. Die sagen nur: Heute trinke ich nichts. Wenn sie dann rückfällig werden, bekommen sie nicht diese Katastrophengefühle. Das ist die bessere, weil gestufte Strategie.

Er redet über Schwellen, Sollwerte usw. ... was will ich mehr?

SZ vom 06.11.10 hat folgendes geschrieben:
Tretter: Diese Beispiele zeigen die Art des Denkens. In der Schizophrenie-Forschung etwa arbeiten wir bereits mit Simulationen bis hin zur molekularen Ebene. Wir fragen uns, was für Konsequenzen die chaotischen Fluktuationen in den Zellen für die hormonellen Schaltkreise im Stammhirn haben? ...

Schön - was spicht da jetzt gegen den reduktionistischen Ansatz? Daß man auch deterministisches Chaos berücksichtigen muß?

SZ vom 06.11.10 hat folgendes geschrieben:
SZ: Glauben Sie, dass wir unser Gehirn eines Tages verstehen werden?

Tretter: Es könnte ähnlich werden wie in der Physik: Wir werden dieses komplexe System vielleicht mathematisch beschreiben können, aber vermutlich nicht mit unserer Anschauung verstehen.

So what?

#17:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 06.11.2010, 12:43
    —
step hat folgendes geschrieben:
[...]
SZ vom 06.11.10 hat folgendes geschrieben:
Tretter: Wie kann ich bei einem System mit 100 Milliarden Nervenzellen, die miteinander interagieren, ernsthaft einen Determinismus postulieren? Feedback-Loops führen bereits bei simplen Maschinen dazu, dass faktisch keine Regelmäßigkeit mehr erkennbar ist. Dennoch äußern Neurobiologen gar keine Zweifel, und der Laie denkt, aha, wir Menschen sind also willenlose Maschinen.

Das liegt, wie Tretter selbst weiß, am Determinismusbegriff. Physikalischer Determinismus bedeutet nicht Berechenbarkeit. Zudem ist sein Argument gerade in seinem Fachbereich fragwürdig, da Therapien ja nur aufgrund berechenbarer Reaktionen funktionieren.


Aber unter der Voraussetzung der Selbststeuerungsfähigkeit des Patienten, wie er am Beispiel des Alkoholismus veranschaulicht.

#18:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 06.11.2010, 12:59
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
[...]
SZ vom 06.11.10 hat folgendes geschrieben:
Tretter: Wie kann ich bei einem System mit 100 Milliarden Nervenzellen, die miteinander interagieren, ernsthaft einen Determinismus postulieren? Feedback-Loops führen bereits bei simplen Maschinen dazu, dass faktisch keine Regelmäßigkeit mehr erkennbar ist. Dennoch äußern Neurobiologen gar keine Zweifel, und der Laie denkt, aha, wir Menschen sind also willenlose Maschinen.
Das liegt, wie Tretter selbst weiß, am Determinismusbegriff. Physikalischer Determinismus bedeutet nicht Berechenbarkeit. Zudem ist sein Argument gerade in seinem Fachbereich fragwürdig, da Therapien ja nur aufgrund berechenbarer Reaktionen funktionieren.
Aber unter der Voraussetzung der Selbststeuerungsfähigkeit des Patienten, wie er am Beispiel des Alkoholismus veranschaulicht.

Darauf bin ich ja kurz eingegangen. Hier nchmal anders ausgedrückt: "Selbststeuerung" bedeutet ja - gerade im von Tretter favorisierten kybernetischen Ansatz - erstmal nicht mehr, als daß die Steuerung über komplexere Zwischenstufen geschieht. Z.B. wird nicht ein Verhalten direkt induziert, sondern es wird eine Präferenz induziert (trocken zu werden), die dann wiederum kausale Folgen in de Handlungssteuerung hat bzw. haben soll.

Was Tretter also idZ als "Selbststeuerung" bezeichnet, eignet sich in keinster Weise als Argument gegen die wesentliche Reduzierbarkeit menschlicher Entscheidungen auf neuronale Vorgänge.

#19:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 06.11.2010, 13:05
    —
step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
[...]
SZ vom 06.11.10 hat folgendes geschrieben:
Tretter: Wie kann ich bei einem System mit 100 Milliarden Nervenzellen, die miteinander interagieren, ernsthaft einen Determinismus postulieren? Feedback-Loops führen bereits bei simplen Maschinen dazu, dass faktisch keine Regelmäßigkeit mehr erkennbar ist. Dennoch äußern Neurobiologen gar keine Zweifel, und der Laie denkt, aha, wir Menschen sind also willenlose Maschinen.
Das liegt, wie Tretter selbst weiß, am Determinismusbegriff. Physikalischer Determinismus bedeutet nicht Berechenbarkeit. Zudem ist sein Argument gerade in seinem Fachbereich fragwürdig, da Therapien ja nur aufgrund berechenbarer Reaktionen funktionieren.
Aber unter der Voraussetzung der Selbststeuerungsfähigkeit des Patienten, wie er am Beispiel des Alkoholismus veranschaulicht.

Darauf bin ich ja kurz eingegangen. Hier nchmal anders ausgedrückt: "Selbststeuerung" bedeutet ja - gerade im von Tretter favorisierten kybernetischen Ansatz - erstmal nicht mehr, als daß die Steuerung über komplexere Zwischenstufen geschieht. Z.B. wird nicht ein Verhalten direkt induziert, sondern es wird eine Präferenz induziert (trocken zu werden), die dann wiederum kausale Folgen in de Handlungssteuerung hat bzw. haben soll.

Was Tretter also idZ als "Selbststeuerung" bezeichnet, eignet sich in keinster Weise als Argument gegen die wesentliche Reduzierbarkeit menschlicher Entscheidungen auf neuronale Vorgänge.


Genau. Das ist eine philosophische Diskussion. Und dorthin plaziert er sie ja auch, wenn er eine interdiszipliäre Diskussion fordert. Im Gegensatz zu den Hirnforschern, die behaupten, Fragen der Willensfreiheit sei einzig Teil ihres Metiers.

#20:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 06.11.2010, 13:43
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Das ist eine philosophische Diskussion. Und dorthin plaziert er sie ja auch, wenn er eine interdiszipliäre Diskussion fordert. Im Gegensatz zu den Hirnforschern, die behaupten, Fragen der Willensfreiheit sei einzig Teil ihres Metiers.

Naja. Die Hirnforscher und Physiker können innerhalb ihres Metiers u.a. behaupten und belegen, daß die Abläufe bei Entscheidungen komplett kausal/deterministisch sind (mit oder det. Chaos). Damit bleiben für andere Disziplinen nur solche Fragen wie:
- kann man das den Leuten zumuten?
- was halten die Leute intuitiv für wahr?
- welcher Glauben ist am besten für die Psyche, für den Rechtsstaat usw.?
- was könnte man in einem soziologischen Sinne "Freiheit" nennen?
- wie therapiere ich psychische Probleme, deren neuronale Korrelate ich nicht verstehe?
- wie kann ein modernes Strafrecht begründet werden, ohne der wiss. Erkenntnis zu widersprechen?
- ...

Und natürlich bleibt dem normalen Menschen auch noch, all das einfach zu ignorieren, weil er es persönlich für irrelvant hält.

#21:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 06.11.2010, 14:11
    —
step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Das ist eine philosophische Diskussion. Und dorthin plaziert er sie ja auch, wenn er eine interdiszipliäre Diskussion fordert. Im Gegensatz zu den Hirnforschern, die behaupten, Fragen der Willensfreiheit sei einzig Teil ihres Metiers.

Naja. Die Hirnforscher und Physiker können innerhalb ihres Metiers u.a. behaupten und belegen, daß die Abläufe bei Entscheidungen komplett kausal/deterministisch sind (mit oder det. Chaos).[...]


Moment. "Können" oder "könnten"?

#22:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 06.11.2010, 14:15
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Das ist eine philosophische Diskussion. Und dorthin plaziert er sie ja auch, wenn er eine interdiszipliäre Diskussion fordert. Im Gegensatz zu den Hirnforschern, die behaupten, Fragen der Willensfreiheit sei einzig Teil ihres Metiers.
Naja. Die Hirnforscher und Physiker können innerhalb ihres Metiers u.a. behaupten und belegen, daß die Abläufe bei Entscheidungen komplett kausal/deterministisch sind (mit oder ohne det. Chaos).[...]
Moment. "Können" oder "könnten"?

Beides: Ich würde sagen, dazu reichen schon die Physiker aus, da also "können". Bei den genauen neuronalen Mechanismen braucht man die Hirnforscher, bei denen gilt im Moment eher "könnten", zumindest bei komplexeren Vorgängen sind sie ja noch nicht wirklich weit.

Es ging ja hier v.a. darum, in wessen Metier das fällt.

#23:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 06.11.2010, 14:18
    —
step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Das ist eine philosophische Diskussion. Und dorthin plaziert er sie ja auch, wenn er eine interdiszipliäre Diskussion fordert. Im Gegensatz zu den Hirnforschern, die behaupten, Fragen der Willensfreiheit sei einzig Teil ihres Metiers.
Naja. Die Hirnforscher und Physiker können innerhalb ihres Metiers u.a. behaupten und belegen, daß die Abläufe bei Entscheidungen komplett kausal/deterministisch sind (mit oder ohne det. Chaos).[...]
Moment. "Können" oder "könnten"?

Beides: Ich würde sagen, dazu reichen schon die Physiker aus, da also "können". Bei den genauen neuronalen Mechanismen braucht man die Hirnforscher, bei denen gilt im Moment eher "könnten", zumindest bei komplexeren Vorgängen sind sie ja noch nicht wirklich weit.

Es ging ja hier v.a. darum, in wessen Metier das fällt.


Auch Physiker können es nicht. Oder? Sie erheben nur den Anspruch es theoretisch zu können. Und dann auch noch nur diejenigen unter ihnen, die ein bestimmtes Weltbild vertreten.

#24:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 06.11.2010, 14:28
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Auch Physiker können es nicht. Oder? Sie erheben nur den Anspruch es theoretisch zu können. ...

Es folgt (theoretisch) aus den besten Theorien, die wir derzeit haben. Die letzten mir bekannten ernsthaften Versuche, das anzugreifen (Penrose & Jünger) muß man mE als gescheitert betrachten.

#25: Re: Das neuronale Korrelat des Bewusstseins Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 06.11.2010, 14:48
    —
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... dieser da durchscheinende Dualismus: hier Mensch - da drüben Gehirn. Mein Gehirn und ich sind doch nicht so grundsätzlich verschiedene Entitäten, dass man sinnvoll sagen könnte, dass die eine die andere lenken könnte.

Dieser Dualismusvorwurf konstruiert sich mE letztlich aus der umgangssprachlichen Selbstverständlichkeit, von "ich" usw. zu reden, obwohl das eigentlich falsch ist.

Nein, das ist nicht falsch.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und der andere Fehler, der hier ... gemacht wird, ist die implizite Behauptung, das Selbst sei mit dem Selbstmodell identisch. Aber das kann logischerweise nicht der Fall sein: wenn X ein Modell von Y ist, kann X nicht identisch mit Y sein.

Auch hier: Das "selbst" im Ausdruck "Selbstmodell" ist nicht "das Selbst" (was ist das?), sondern bezeichnet eine Referenz: Das Gehirn produziert ein Modell von der Welt, von dem es tragenden Körper usw. Es schaut sich beim Modellieren zu, bildet eine Ich-Illusion usw. - selbstverständlich sind Ich-Illusion und Gehirn nicht identisch.

X ist eine Illusion von Y dann, wenn X fälschlich für Y gehalten wird. Was ist demnach Y bei einer Ich-Illusion?

Was glaube ich Deiner Ansicht nach fälschlich, wenn ich meine, dass ich hier sitze und diesen Beitrag tippe? Was genau ist die Illusion daran?

Falls es Dich interessiert, was im 'commonsense' mit dem 'Selbst' gemeint ist, dann empfehle ich dieses Papier. Extrem kurz zusammengefasst: es gibt drei unterschiedliche Konzepte vom Selbst:

1. Das Köperkonzept ("ich bin mein Körper")
2. Das psychologische Konzept ("ich bin meine Erinnerungen, Weltanschauung, Überlegungen etc.")
3. Das externe Konzept ("ich bin nicht Gedanken, ich bin nicht Handlung, ich bin nicht Gefühle, ich bin etwas, das denkt, handelt und fühlt")

Diese drei Konzepte schließen sich nun aber nicht aus, sondern werden, je nach Kontext, (die Autoren nennen es 'zoom-in' und 'zoom-out'), von ein- und derselben Person angewendet.

Soweit die These der Autoren, die sie versuchen, plausibel zu machen, was ihnen mE gelungen ist. Und das deckt sich ziemlich gut mit meinen Intuitionen, dem, wie ich mich selber sehe.

Aber selber lesen, fand ich sehr interessant und gut geschrieben. Das beantwortet mE auch Deine anderen Einwände hier.

#26:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 06.11.2010, 15:30
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Und nochwas: damit man nicht einen Pappkameraden attackiert, (das ist es, was ich einigen Hirnforschern vorwerfe, bzw. dem obigen ZEIT-Artikel), indem man fälschlich behauptet, die meisten Leute würden Determinismus und freien Willen / moralische Verantwortlichkeit als unvereinbaren Gegensatz ansehen, muss man erst mal eruieren, ob dem tatsächlich so ist. Und zu der Frage gibt es inzwischen einige Arbeiten:

Eddy Nahmias :: Home Page hat folgendes geschrieben:
I have conducted experimental philosophy research with several graduate students at FSU and GSU. Our studies suggest that most ordinary people do not take determinism, properly understood, to be incompatible with free will and moral responsibility. Rather, people take determinism to be threatening when they misinterpret it to entail reductionism, epiphenomenalism, or fatalism. In these papers, we also discuss the role such data should play in the philosophical debates. In the “Research” section on the left side of this website, see, for instance, “Experimental Philosophy on Free Will: An Error Theory for Incompatibilist Intuitions” (with Dylan Murray), “Free Will, Moral Responsibility, and Mechanism: Experiments on Folk Intuitions” (with Trevor Kvaran and Justin Coates), and with Thomas Nadelhoffer, Jason Turner, and Stephen Morris: “Is Incompatibilism Intuitive?”, “Surveying Freedom,” and “The Phenomenology of Free Will.” In “The Past and Future of Experimental Philosophy” Thomas Nadelhoffer and I classify various projects of experimental philosophy and defend the methodology against objections.


Im zitierten Abschnitt gibt es Links zu diversen Untersuchungen, die seine These untermauern.

#27:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 06.11.2010, 16:37
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Das "selbst" im Ausdruck "Selbstmodell" ist nicht "das Selbst" (was ist das?), sondern bezeichnet eine Referenz: Das Gehirn produziert ein Modell von der Welt, von dem es tragenden Körper usw. Es schaut sich beim Modellieren zu, bildet eine Ich-Illusion usw. - selbstverständlich sind Ich-Illusion und Gehirn nicht identisch.
X ist eine Illusion von Y dann, wenn X fälschlich für Y gehalten wird. Was ist demnach Y bei einer Ich-Illusion? Was glaube ich Deiner Ansicht nach fälschlich, wenn ich meine, dass ich hier sitze und diesen Beitrag tippe? Was genau ist die Illusion daran?

Vorab: Es geht mir hier nicht um den sozialen Begriff der Person. Es ist durchaus sinnvoll, in gewissen Kontexten von "Personen" zu sprechen und darunter etwa einen sozialen Agenten zu verstehen, also i.a. einen Organismus mit Bewußtsein, sozialem und präferentiellem Kontext usw.

Die Ich-Illusion besteht mE z.B. in der klassichen Vorstellung eines (teilweise) autonomen "metaphysischen Subjekts" als Kern der Entscheidungen und Handlungen; das Modell, daß das Gehirn vom Körper und von sich selbst macht, wird irgendwann nicht mehr als solches angesehen, sondern für wirklich gehalten. Dadurch kann das Gehirn bestimmte Prozeduren effizienter ausführen.

Das ist analog zur Körperwahrnehmung. Sie stimmt recht gut mit der Realität überein, aber Phantomschmerzen, Gummihandillusion usw. zeigen, wie leicht das Meinigkeitsgefühl danebenliegt.

Natürlich kann man sagen: "Das Modell modelliert ja etwas, und das existiert". Das ist richtig, und was da (hyp.) existiert, ist eben das Gehirn, der Körper, die Welt usw.

Und man kann auch (wie Du, wenn ich nicht irre) behaupten, diese Vorstellung hätten die meisten Menschen aber gar nicht. Nun ich meine, daß (fast) jeder sie hat, sogar ich in den meisten Momenten.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... Extrem kurz zusammengefasst: es gibt drei unterschiedliche Konzepte vom Selbst:

1. Das Köperkonzept ("ich bin mein Körper")
2. Das psychologische Konzept ("ich bin meine Erinnerungen, Weltanschauung, Überlegungen etc.")
3. Das externe Konzept ("ich bin nicht Gedanken, ich bin nicht Handlung, ich bin nicht Gefühle, ich bin etwas, das denkt, handelt und fühlt")

Diese drei Konzepte schließen sich nun aber nicht aus, sondern werden, je nach Kontext, (die Autoren nennen es 'zoom-in' und 'zoom-out'), von ein- und derselben Person angewendet.

Hmm ... ja, ich kann nachvollziehen, daß die meisten Leute ein solches Selbstkonzept haben. Wobei ich denke, es gibt noch mehr Konzepte, z.B. die auch Teile der Natur oder die Ahnen, die Sippe usw. mit einbeziehen.

#28:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 06.11.2010, 17:26
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Diese ganzen Versuche zu bestätigen, daß die Menschen doch intuitive Kompatibilsten sind, wenn man nur das experimentelle Setup so hindreht, daß Freierwille nur noch bedeutet, daß die Entscheidung Teil der Kausalkette (und nicht außen vor) ist, überzeugen mich nicht.

Ich meine, daß die meisten Leute sich keine Gedanken über die Kompatibilität machen. Je nachdem wie man fragt und wie man Freierwille definiert, deutet man ihre Antworten dann als komp. oder inkomp. Sie sind (evtl. auch mangels physikalischer Bildung) eher keine Deterministen sind und verwechseln zudem, ebenfalls mangels physikalischer Bildung, Determinsmus mit Fatalismus oder mindestens mit dem Laplace-Dämon. Die meisten Leute in meinem weiteren Umfeld zumindest sind also mE noch Libertarier, insbesondere fast sämtliche mir bekannten christlichen Gläubigen. Sie meinen, daß der Determinismus falsch ist und es in bestimmten Situationen zwei physikalisch mögliche Zukünfte gibt, zwischen denen ein (zuweilen) autonomer Agent wählen kann, auf diese Weise grob gesagt rechtschaffen oder sündig handelt und somit auch moralisch verantwortlich ist, sei es der Gesellschaft oder Gott gegenüber.

Zitat:
Compatibilists have emphasized that determinism does not mean or entail that all events are inevitable, in the sense that they will happen no matter what we decide or try to do. They point out that determinism does not render our beliefs, desires, deliberations, or decisions causally impotent. Quite the contrary. So long as our mental states are part of the deterministic sequence of events, they play a crucial role in determining what will happen.

Ja, wie bei einem Schachprogramm, da spielt der Algorhithmus auch eine "entscheidende Rolle" bei der "Determination, was geschehen wird". Wäre mal interssant, ob die Leute da immer noch als "frei" bezeichnen würden.

#29:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 06.11.2010, 18:06
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step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
X ist eine Illusion von Y dann, wenn X fälschlich für Y gehalten wird. Was ist demnach Y bei einer Ich-Illusion? Was glaube ich Deiner Ansicht nach fälschlich, wenn ich meine, dass ich hier sitze und diesen Beitrag tippe? Was genau ist die Illusion daran?

Vorab: Es geht mir hier nicht um den sozialen Begriff der Person. Es ist durchaus sinnvoll, in gewissen Kontexten von "Personen" zu sprechen und darunter etwa einen sozialen Agenten zu verstehen, also i.a. einen Organismus mit Bewußtsein, sozialem und präferentiellem Kontext usw.

Mir geht es darum, dass ich es auch für sinnvoll halte, zu sagen: ich bin eine solche Person, ich handle und entscheide.

step hat folgendes geschrieben:
Natürlich kann man sagen: "Das Modell modelliert ja etwas, und das existiert". Das ist richtig, und was da (hyp.) existiert, ist eben das Gehirn, der Körper, die Welt usw.

Genau.

step hat folgendes geschrieben:
Und man kann auch (wie Du, wenn ich nicht irre) behaupten, diese Vorstellung hätten die meisten Menschen aber gar nicht. Nun ich meine, daß (fast) jeder sie hat, sogar ich in den meisten Momenten.

Nein, das ist etwas anders. Die Frage wäre mE die: inwieweit kratzt die naturalistische Annahme, dass alle Phänomene in dieser Welt über physikalischen Prozessen supervenieren, ein Selbstbild an? Ist es ein Problem für mein Selbstbild, wenn ich weiß, dass das ein Modell / Konzept / Konstrukt ist? Ist es ein Problem für andere Selbstbilder?

Nehmen wir an, jemand sagt sich: "jetzt fühlt es sich ein bisschen so an, als ob ich ein kleines Männchen in mir bin, und ich weiß aber, dass ich kein kleines Männchen in mir bin" - ist das ein Problem für das Selbstbild?

Ich glaube das nicht. Ich glaube, die naturalistische Annahme kann widerspruchsfrei in das durchschnittliche Selbstbild integriert werden ohne dass sich das dadurch grundlegend ändert.

Siehe dazu auch die These aus meinem anderen Beitrag: problematisch ist das demnach nur, wenn die Leute fälschlich meinen, Determinismus würde notwendigerweise Reduktionismus, Epiphänomenalismus oder Fatalismus beinhalten, (was aber leider öfter vorkommt, dass sie das tun).

step hat folgendes geschrieben:
Ich meine, daß die meisten Leute sich keine Gedanken über die Kompatibilität machen. Je nachdem wie man fragt und wie man Freierwille definiert, deutet man ihre Antworten dann als komp. oder inkomp. Sie sind (evtl. auch mangels physikalischer Bildung) eher keine Deterministen sind und verwechseln zudem, ebenfalls mangels physikalischer Bildung, Determinsmus mit Fatalismus oder mindestens mit dem Laplace-Dämon.

Ja, genau.

step hat folgendes geschrieben:
Die meisten Leute in meinem weiteren Umfeld zumindest sind also mE noch Libertarier, insbesondere fast sämtliche mir bekannten christlichen Gläubigen. Sie meinen, daß der Determinismus falsch ist und es in bestimmten Situationen zwei physikalisch mögliche Zukünfte gibt, zwischen denen ein (zuweilen) autonomer Agent wählen kann, auf diese Weise grob gesagt rechtschaffen oder sündig handelt und somit auch moralisch verantwortlich ist, sei es der Gesellschaft oder Gott gegenüber.

Sorry, aber ich glaube dann eher den wissenschaftlichen Untersuchungen dazu. Die haben ihre Fragen, die methodische Vorgehensweise und die Ergebnisse daraus offengelegt. Kann jeder nachvollziehen und auch in Frage stellen oder kritisieren, methodische Fehler oder dergleichen zeigen und bemängeln, aber bei einer Aussage aus Deinem persönlichen Umfeld kann ich all das nicht tun.

Ich halte die These für plausibel, dass die meisten Leute nur dann Determinismus und Willensfreiheit für unvereinbar halten, wenn sie meinen, dass Determinismus ihre Überlegungen, Entscheidungen und Handlungen irgendwie auswirkungslos machen würde, sie zu ohnmächtigen Marionetten äußerer Umstände degradieren würde.

step hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Compatibilists have emphasized that determinism does not mean or entail that all events are inevitable, in the sense that they will happen no matter what we decide or try to do. They point out that determinism does not render our beliefs, desires, deliberations, or decisions causally impotent. Quite the contrary. So long as our mental states are part of the deterministic sequence of events, they play a crucial role in determining what will happen.

Ja, wie bei einem Schachprogramm, da spielt der Algorhithmus auch eine "entscheidende Rolle" bei der "Determination, was geschehen wird". Wäre mal interssant, ob die Leute da immer noch als "frei" bezeichnen würden.

Bei dem Begriff "Willensfreiheit" spielen, und darüber herrscht mE eine ziemlich große Einigung bei allen philosophisch dazu vertretenen Einstellungen vor, "beliefs, desires, deliberations and decisions" eine wesentliche Rolle. Die Frage: "ist ein Schachprogamm frei?" kommt mir in diesem Kontext wenig hilfreich vor.

#30:  Autor: ThalesWohnort: Raum München BeitragVerfasst am: 06.11.2010, 18:50
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Göttertod hat geschrieben:


Zitat:
Als wichtigste Prinzipien sind hier die Kausalität und die Falsifizierung zu nennen, ohne die ein konsistentes, nutzbringendes und objektiv ‚wahres’ (wenn man den Begriff hier als Näherungswahrheit begreift) Selbst- und Weltmodel auf Basis von Theorien nicht zu bilden wäre.


Die Quantentheorie besagt, dass radioaktive Atome mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zerfallen OHNE Ursache. Trotzdem gibt es Weltmodelle unter Einbeziehung der Quantentheorie. Sie sind sogar nutzbringend.

Göttertod hat geschrieben:

Zitat:
Ein in sich geschlossenes und gänzlich kausales, materialistisches Erklärungssystem der Welt bietet der Reduktionismus. Er zeichnet sich aus durch sein Postulat, dass alle Zustände in der Wirklichkeit auf die Materie zurückzuführen sind, ausdrücklich auch mentale Bewusstseinszustände. Auf immaterielle Entitäten und Indeterminismus wird im Reduktionismus völlig verzichtet. Somit findet sich hier die Theorie, dass sich die Soziologie durch die Psychologie erklären lässt, die Psychologie durch die Biologie (Neurobiologie/-wissenschaften), die Biologie durch die Chemie und die Chemie durch die Physik.


Das ist m.E. völlig verkehrt. Es gibt vielmehr eine Art Schichtenmodell. Chemische Vorgänge lassen sich im Prinzip auf physikalische zurückführen. Aber die komplexen chemischen Vorgänge sind viel zu kompliziert, als dass sie konstruktiv aus physikalischen erschlossen werden können. Ebenso können biologische Vorgänge nicht in Widerspruch zu chemischen und physikalischen stehen, sie können aber aus diesen nicht erschlossen werden, weil es eine ungeheure Vielfalt gibt und nicht alles, was theoretish möglich wäre, tatsächlich existiert. In der Evolution spielt der Zufall eine sehr wichtige Rolle. Ebenso ist es mit geistigen Dingen. Sie basieren auf physischen, führen aber trotzdem eine Art Eigenleben. Popper nennt es Gegenstände der Welt3, Produkte des menschlichen Geistes, was vielleicht nicht ganz das selbe ist wie Meme. Sie existieren unabhängig von einem konkreten Vorkommen im Geiste eines Menschen oder auf einem Datenträger. Aber wenn sie nirgends mehr vorkommen, gibt es sie auch nicht mehr.
Wenn man eine Festplatte nach und nach mit Inhalten füllt, so ist die Speicherstruktur verschieden, je nachdem, in welcher Reihenfolge man die Sachen geladen hat. Viele geistige Dinge erarbeitet sich ein Kind im Lauf der Zeit, wobei das neu gelernte irgendwie an früherer Erfahrung festgemacht wird. Man kann also nicht erwarten, dass sich erlernte Inhalte unbedingt immer an der gleichen Stelle lokalisieren lassen; allerdings kann es Areale geben, die für bestimmte Arten von Sinneseindrücken oder geistigen Leistungen zuständig sind. Nach der Philosophie des Konstruktivismus sind Erfahrungen Änderungen der Gehirnstrukturen. Demnach gibt es ausgeprägte Zusammenhänge zwischen den geistigen Inhalten und ihrer physischen Repräsentanz in einem Individuum.

Göttertod hat geschrieben:

Zitat:
Der philosophische Naturalismus erfasse „das Wesen des Bewusstseins“ durch die Frage: „Wann in der viele Jahrmillionen währenden Entwicklung des Lebendigen auf dieser Erde wird Bewusstsein seinsnotwendig?“.

Es wird nie seinsnotwendig. Evolution beruht auf Zufall. Und seltene Ereignisse können eintreten, müssen aber nicht. Die Evolution hätte ganz anders ablaufen können. Hätte nicht ein Komet auf der Erde große Verwüstungen angerichtet, gäbe es vielleicht heute noch Dinosaurier.

#31:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 06.11.2010, 19:13
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich halte die These für plausibel, dass die meisten Leute nur dann Determinismus und Willensfreiheit für unvereinbar halten, wenn sie meinen, dass Determinismus ihre Überlegungen, Entscheidungen und Handlungen irgendwie auswirkungslos machen würde, sie zu ohnmächtigen Marionetten äußerer Umstände degradieren würde.

Tja, vielleicht verwechseln sie nicht nur Determinismus und Fatalismus, sondern auch Freierwille und das Gefühl, nicht gezwungen zu werden. Ich glaube, letztlich läuft es auf Definitionen bzw. Begriffsverständnis hinaus.

Aber doch noch ein Versuch: Wenn die meisten Leute intuitive Kompatibilisten sind, warum fühlen sich dann so viele Philosophen, Theologen, Strafrechtler, Verfassungsrechtler, Lehrer, Artikelschreiber usw. bemüßigt, indeterministische Thesen zu vertreten, staatsnotwendige Fiktionen aufrechtzuerhalten usw., anstatt einfach offen zu vertreten, daß ihr Freierwille heutzutage nur bedeutet, daß das Gehirn bei einem Entscheidungsvorgang nicht von akuten äußeren oder innneren Zwängen, sondern über die Präferenzen von der Vergangenheit, Erziehung usw. vollständig kausal determiniert ist.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Zitat:
... So long as our mental states are part of the deterministic sequence of events, they play a crucial role in determining what will happen.
Ja, wie bei einem Schachprogramm, da spielt der Algorhithmus auch eine "entscheidende Rolle" bei der "Determination, was geschehen wird". Wäre mal interssant, ob die Leute da immer noch als "frei" bezeichnen würden.
Bei dem Begriff "Willensfreiheit" spielen, und darüber herrscht mE eine ziemlich große Einigung bei allen philosophisch dazu vertretenen Einstellungen vor, "beliefs, desires, deliberations and decisions" eine wesentliche Rolle. Die Frage: "ist ein Schachprogamm frei?" kommt mir in diesem Kontext wenig hilfreich vor.

Es ist in bezug auf die Komplexität der Entscheidungsfunktion in der Tat sehr unterschiedlich, aber in bezug auf die Rolle der Freiheit ist es ziemlich analog, den Determinismus einmal vorausgesetzt. Den "beliefs" entspricht die programmierte Bewertung, den "desires" das Ziel, die Bewertung zu maximieren (zu gewinnen), den deliberations die Baumsimulationen, den decisions die Entscheidungen.

Aber mir ging es hier weniger um die Details der Analogie, sondern darum das oben angedeutete Argument zu widerlegen, irgendeine Freiheit entstehe durch das kausale Zwischenschalten neuronaler Zustände. Daß Präferenzen usw. eine wesentliche Rolle im Entscheidungsvorgang spielen, ist natürlich unbestritten.

#32:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 06.11.2010, 19:28
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Thales hat folgendes geschrieben:
Die Quantentheorie besagt, dass radioaktive Atome mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zerfallen OHNE Ursache.

Soso. Ihre Instabilität hat aber sehrwohl eine bekannte Ursache, die kann man sogar berechnen.

Du meinst vermutlich etwas anderes: Ihr Zerfallszeitpunkt ist nur statistisch voraussagbar. Die Schrödingergleichung ist jedoch streng kausal und enthält erstmal keinerlei Zufall. Der "Zufall" entsteht nur dadurch, daß bei bestimmten Interaktionen ("Messung") ein kohärenter Zustand dekohäriert. In der Kopenhagener Deutung wird das durch einen unerklärlichen Zusammenbruch der Wellenfunktion "erklärt", der dann dem aus Sicht dieser Theorie einem metaphysischen "echten Zufall" entspricht. Andere Interpretationen vermeiden das, so dekohäriert in der multiversalen Interpretation die Gesamtwellenfunktion aus Objekt und Umgebung, und statt eines Zufalls haben wir eine (deterministische) Stichprobe (wobei in jedem Zweig nur eine davon beobachtet wird).

Thales hat folgendes geschrieben:
Trotzdem gibt es Weltmodelle unter Einbeziehung der Quantentheorie. Sie sind sogar nutzbringend.

Das liegt daran, daß quantenmechanische Erwartungswerte, z.B. die Energieniveaus von Atomen, berechenbar sind. Die meisten Anwendungen der Quantentheorie verwenden daher auch nur diese deterministischen Erwartungswerte.

Die wenigen Ideen, die kohärenten Zustände tatsächlich technisch wesentlich zu verwenden, sind - oh Wunder - gerade solche, in denen die Parallelität der Wellenfunktionspfade ausgenutzt wird, etwa beim Quantencomputer.

#33:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 06.11.2010, 23:20
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step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich halte die These für plausibel, dass die meisten Leute nur dann Determinismus und Willensfreiheit für unvereinbar halten, wenn sie meinen, dass Determinismus ihre Überlegungen, Entscheidungen und Handlungen irgendwie auswirkungslos machen würde, sie zu ohnmächtigen Marionetten äußerer Umstände degradieren würde.

Tja, vielleicht verwechseln sie nicht nur Determinismus und Fatalismus, sondern auch Freierwille und das Gefühl, nicht gezwungen zu werden. Ich glaube, letztlich läuft es auf Definitionen bzw. Begriffsverständnis hinaus.

Der vorab zu klärende Punkt ist mE: wie sehen Leute sich gemeinhin, wie ist ihr Selbstmodell und was verstehen sie eigentlich unter dem Begriff 'freien Willen'?

Und erst dann, wenn man das geklärt hat, dann kann man über Folgerungen daraus reden, was daran (an den real vorhandenen Auffassungen) falsch ist und wie das, falls das falsch ist, geändert werden sollte, um korrekt zu sein.

Aber man kann sich doch nicht hinstellen und einfach behaupten: "die meisten Leute glauben X und Y und ich werde sie jetzt mal aufklären, dass das Unsinn ist". Und man kann sich erst recht nicht hinstellen und behaupten, man selber habe die richtige Definition eines Begriffes, die meisten anderen würden sich hinsichtlich der einzig wahren Definition täuschen.

Na gut, kann man zwar machen, aber irgendwie merkwürdig ist das schon. Da sollte man sich nicht wundern, wenn einem die Leute einen Vogel zeigen, wenn sie gar nicht an X und Y glauben.

step hat folgendes geschrieben:
Aber doch noch ein Versuch: Wenn die meisten Leute intuitive Kompatibilisten sind, warum fühlen sich dann so viele Philosophen, Theologen, Strafrechtler, Verfassungsrechtler, Lehrer, Artikelschreiber usw. bemüßigt, indeterministische Thesen zu vertreten, staatsnotwendige Fiktionen aufrechtzuerhalten usw., anstatt einfach offen zu vertreten, daß ihr Freierwille heutzutage nur bedeutet, daß das Gehirn bei einem Entscheidungsvorgang nicht von akuten äußeren oder innneren Zwängen, sondern über die Präferenzen von der Vergangenheit, Erziehung usw. vollständig kausal determiniert ist.

Weil, wie schon gesagt, anscheinend viele Leute aus Determinismus, (mE ein wenig bekanntes Konzept), wenn sie sich damit beschäftigen, unzulässiger- und fälschlicherweise Reduktionismus, Epiphänomenalismus oder Fatalismus folgern, d.h. darin ein Konzept sehen, das irgendwie ihre Position als Akteur in der Welt negiert, einen Vorgang, der sie zu Marionetten von etwas anderem macht, einen Vorgang, der ihnen ihre Kontrolle über die Welt völlig entzieht, sie zu reinen Spielbällen des Schicksals macht.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Ja, wie bei einem Schachprogramm, da spielt der Algorhithmus auch eine "entscheidende Rolle" bei der "Determination, was geschehen wird". Wäre mal interssant, ob die Leute da immer noch als "frei" bezeichnen würden.
Bei dem Begriff "Willensfreiheit" spielen, und darüber herrscht mE eine ziemlich große Einigung bei allen philosophisch dazu vertretenen Einstellungen vor, "beliefs, desires, deliberations and decisions" eine wesentliche Rolle. Die Frage: "ist ein Schachprogamm frei?" kommt mir in diesem Kontext wenig hilfreich vor.

Es ist in bezug auf die Komplexität der Entscheidungsfunktion in der Tat sehr unterschiedlich, aber in bezug auf die Rolle der Freiheit ist es ziemlich analog, den Determinismus einmal vorausgesetzt. Den "beliefs" entspricht die programmierte Bewertung, den "desires" das Ziel, die Bewertung zu maximieren (zu gewinnen), den deliberations die Baumsimulationen, den decisions die Entscheidungen.

Aber mir ging es hier weniger um die Details der Analogie, sondern darum das oben angedeutete Argument zu widerlegen, irgendeine Freiheit entstehe durch das kausale Zwischenschalten neuronaler Zustände. Daß Präferenzen usw. eine wesentliche Rolle im Entscheidungsvorgang spielen, ist natürlich unbestritten.

Wenn wir den Begriff "Willensfreiheit" als Gesamtpaket betrachten, dann wird ein Wille (Wille = handlungswirksam werdende Entscheidung) gemeinhin um so freier angesehen, um so mehr er von den Präferenzen, Überlegungen, Motiven, der Persönlichkeit abhängt. Behaupte ich. Und jede Abhängigkeit ist notwendigerweise kausal, denn kausale Unabhängigkeit bedeutet: kein Zusammenhang mit irgendwas, totaler, absoluter, nicht vorhersehbarer Zufall. Kann gleichermaßen X ergeben oder nicht(X), wenn irgendwas akausal aus dem Nichts hervorploppt.

Mag ja nun zwar sein, dass für Dich kausale Abhängigkeit (auch von den eigenen Motiven, Überlegungen, Abwägungen, Gefühlen, Persönlichkeit) keine 'echte' Freiheit bedeutet, sondern nur Akausalität 'echte'Freiheit herstellen kann.

Aber diese 'echte' Freiheit ist dann nun mal schlicht gemeinhin nicht damit gemeint, wenn man das philosopische Problem der Willensfreiheit betrachtet.

Im Gegenteil würde eine solche 'echte' (d.h. von allem kausal unabhängige, auch und speziell von der eigenen Persönlichkeit unabhängige, was bedeutete: völlig beliebige) 'Freiheit' der Entstehung eines Willens, (Def.: s.o.) als Fremdbestimmung angesehen. Behaupte ich jetzt mal dreist. Und außerdem würde jemand, der seinen Willen als unkontrollierbar ansähe, der sich nur als Spielball von akausal entstandenen Willensregungen sieht, von anderen nicht als moralisch verantwortlich angesehen werden.

#34:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 07.11.2010, 13:15
    —
@AP: Die FW-Diskussion ist ja hier etwas OT und wonders bereits geführt. Daher gehe ich hier nur noch auf einen Aspekt ein:

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wenn die meisten Leute intuitive Kompatibilisten sind, warum fühlen sich dann so viele Philosophen, Theologen, Strafrechtler, Verfassungsrechtler, Lehrer, Artikelschreiber usw. bemüßigt, indeterministische Thesen zu vertreten, staatsnotwendige Fiktionen aufrechtzuerhalten usw., anstatt einfach offen zu vertreten, daß ihr Freierwille heutzutage nur bedeutet, daß das Gehirn bei einem Entscheidungsvorgang nicht von akuten äußeren oder innneren Zwängen, sondern über die Präferenzen von der Vergangenheit, Erziehung usw. vollständig kausal determiniert ist.

Weil, wie schon gesagt, anscheinend viele Leute aus Determinismus, (mE ein wenig bekanntes Konzept), wenn sie sich damit beschäftigen, unzulässiger- und fälschlicherweise Reduktionismus, Epiphänomenalismus oder Fatalismus folgern, d.h. darin ein Konzept sehen, das irgendwie ihre Position als Akteur in der Welt negiert, einen Vorgang, der sie zu Marionetten von etwas anderem macht, einen Vorgang, der ihnen ihre Kontrolle über die Welt völlig entzieht, sie zu reinen Spielbällen des Schicksals macht.

Ich glaube nicht, daß das der Hauptgrund ist, auch wenn es sicher eine Rolle spielt. Vielmehr vermute ich eine etwas andere Gewichtung: diese Leute glauben, daß die Menschen ein intuitives, einfaches Weltbild brauchen, das die Zuweisung von Schuld, Strafe, Gut&Böse usw. gestattet. Sie glauben, daß die meisten Menschen dies verlieren würden, wenn man ihnen die Vorstellung nimmt, daß der moralische Akteur bei Abwesenheit akuter Zwänge letztautonom entscheidet. Und daß dies sogar dann der Fall wäre, wenn sie verstünden, daß bei einem determinstischen Entscheidungsvorgang das Gehirn trotzdem wesentlich beteiligt ist, Fatalismus also unangebracht ist.

Man sieht das finde ich neben ihren expliziten Aussagen auch daran, daß gar nicht darauf fokussiert wird, Determinismus richtig zu erklären, und daß die Diskussion häufig um das Tabu kreist, daß die Präferenzen für moralische Entscheidungen konditioniert sind. Man hat einfach eine Heidenangst, dies könne unser intuitives Schuldkonzept unterminieren.

Wie gesagt, ich meine hier nicht die kompatibilistischen Philosophen, die darüberstehen und einfach den Begriff "Freiheit" soziologisch definieren, so daß er zum Determinismus passt und jedermann Kompatibilist ist, sondern eher z.B. die - auch hier im Forum schon besprochenen - Strafrechtsethiker, Verfassungsrechtler, Gymnasiallehrer usw. - wobei ich mir manchmal nicht sicher bin, wieviel eigene Überzeugung und wieviel pastorale Lüge ist.

#35:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 07.11.2010, 17:12
    —
Wenn ich mir nochmal Deine Liste ("Philosophen, Theologen, Strafrechtler, Verfassungsrechtler, Lehrer, Artikelschreiber usw.") betrachte, dann ist meine Erklärung oben alleine noch nicht hinreichend, denn Philosophen passen da nicht rein. Unter Philosophen gibt es mW eine große Übereinstimmung darüber, dass Determinismus nicht Fatalismus (= ist egal, was ich tue, hat keine Auswirkung) impliziert.

Diejenigen Philosophen, die Determinismus und Willensfreiheit für unvereinbar halten, haben eine bestimmte Auffassung von Willensfreiheit (PAP = Principle of Alternate Possibilities sei notwendig für FW), die nicht mit Determinismus kompatibel ist oder sie haben eine solche Auffassung (UR = Ultimate Resposibility sei notwendig für FW), die in jeder möglichen Welt unmöglich ist, (was dann nichts mehr mit Determinismus zu tun hat - diejenigen sind dann auch folgerichtig nicht Inkompatibilisten, sondern Impossibilisten).

Das erst mal nur der Vollständigkeit halber.

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Ansonsten spielt das von Dir genannte Motiv wohl tatsächlich bei einigen eine Rolle. Ob das der Hauptgrund ist oder nicht, weiß ich nun nicht, ist hier aber auch egal.

Es bedeutet, mal nüchtern betrachtet: "ich halte die meisten anderen Leute für blöd und zusätzlich glaube ich, dass sie weiterhin blöd bleiben sollen, sonst gibt es eine Katastrophe (wie auch immer)".

Nur: die meisten anderen Leute sind gar nicht so blöd, wie diejenigen meinen. Und daher, da die Grundvoraussetzung dieses Motives nicht zutrifft, sind ihre weiteren Überlegungen dazu gegenstandslos.

Und folgerichtig gilt das ebenso für die Überlegungen derjeniger, die das so sehen: "ich halte die meisten anderen Leute für blöd, aber ich finde es wichtig, sie aufzuklären und eben das tue ich jetzt mal".

Es gibt dieses einfache "Gut&Böse"-Weltbild schlicht bei den meisten Leuten in unserer Gesellschaft nicht. Das ist mE ein Popanz. Als Beleg dafür führe ich mal wieder die o.g. empirischen Untersuchungen an.

#36:  Autor: göttertodWohnort: Freiburg BeitragVerfasst am: 08.11.2010, 23:22
    —
Ist unser Ich nur eine Erfindung?

war ganz nett....

#37:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 09.11.2010, 16:12
    —
step hat folgendes geschrieben:
@AP: Die FW-Diskussion ist ja hier etwas OT und wonders bereits geführt. Daher gehe ich hier nur noch auf einen Aspekt ein:

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wenn die meisten Leute intuitive Kompatibilisten sind, warum fühlen sich dann so viele Philosophen, Theologen, Strafrechtler, Verfassungsrechtler, Lehrer, Artikelschreiber usw. bemüßigt, indeterministische Thesen zu vertreten, staatsnotwendige Fiktionen aufrechtzuerhalten usw., anstatt einfach offen zu vertreten, daß ihr Freierwille heutzutage nur bedeutet, daß das Gehirn bei einem Entscheidungsvorgang nicht von akuten äußeren oder innneren Zwängen, sondern über die Präferenzen von der Vergangenheit, Erziehung usw. vollständig kausal determiniert ist.

Weil, wie schon gesagt, anscheinend viele Leute aus Determinismus, (mE ein wenig bekanntes Konzept), wenn sie sich damit beschäftigen, unzulässiger- und fälschlicherweise Reduktionismus, Epiphänomenalismus oder Fatalismus folgern, d.h. darin ein Konzept sehen, das irgendwie ihre Position als Akteur in der Welt negiert, einen Vorgang, der sie zu Marionetten von etwas anderem macht, einen Vorgang, der ihnen ihre Kontrolle über die Welt völlig entzieht, sie zu reinen Spielbällen des Schicksals macht.

Ich glaube nicht, daß das der Hauptgrund ist, auch wenn es sicher eine Rolle spielt. Vielmehr vermute ich eine etwas andere Gewichtung: diese Leute glauben, daß die Menschen ein intuitives, einfaches Weltbild brauchen, das die Zuweisung von Schuld, Strafe, Gut&Böse usw. gestattet. Sie glauben, daß die meisten Menschen dies verlieren würden, wenn man ihnen die Vorstellung nimmt, daß der moralische Akteur bei Abwesenheit akuter Zwänge letztautonom entscheidet. Und daß dies sogar dann der Fall wäre, wenn sie verstünden, daß bei einem determinstischen Entscheidungsvorgang das Gehirn trotzdem wesentlich beteiligt ist, Fatalismus also unangebracht ist.[...]


Mein Eindruck ist dagegen, daß die Abwehr gegen die Reduktion des Menschen auf ein physikalisches Ensemble von der klugen Intuition geleitet wird, daß er damit auch befürchten muss, seines Status als Subjekt verlustig zu gehen - mit allen Zuweisungen und Rechten, die damit zusammenhängen. Das ist meines Erachtens nicht unbegründet, da es die eine Diskussion ist, in welches Weltbild wir den Menschen einhängen, und die andere, welche praktischen Konsequenzen wir daraus ziehen.

#38:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 09.11.2010, 17:19
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Mein Eindruck ist dagegen, daß die Abwehr gegen die Reduktion des Menschen auf ein physikalisches Ensemble von der klugen Intuition geleitet wird, daß er damit auch befürchten muss, seines Status als Subjekt verlustig zu gehen - mit allen Zuweisungen und Rechten, die damit zusammenhängen. Das ist meines Erachtens nicht unbegründet, da es die eine Diskussion ist, in welches Weltbild wir den Menschen einhängen, und die andere, welche praktischen Konsequenzen wir daraus ziehen.

Aber das ist meiner Ansicht nach zu kurz gedacht.

Nehmen wir jetzt mal folgende Positionen:

Prämisse: Die Ansicht, eine Reduktion des Menschen auf ein physikalisches Ensemble würde bedeuten, dass damit das Individuum seines Status als Subjekt verlustig ginge

K1: Menschen können auf physikalische Ensembles reduziert werden und daher müsse der Status als Subjekt verlustig gehen (oder sowas in der Art)

K2: Menschen dürfe der Status als Subjekt nicht entzogen werden und daher könne der Mensch nicht auf physikalische Ensembles reduziert werden (oder so ähnlich)

So weit, so gut.

Zusätzlich aber gibt es noch folgende Position, und das ist zufällig die meiníge und es wundert mich jedesmal, wenn die nicht wahrgenommen wird, einfach immer hinten runterfällt und so getan wird, als könne und dürfe es die nicht geben:

Die Prämisse ist mE nicht richtig. Es stimmt nicht, dass, wenn man Menschen auf physikalische Ensembles reduzieren kann, man sie auf dieser Ebene betrachten kann, das bestimmte Auswirkungen auf die anderen Ebenen (der Gesellschaft, des Ichs, des Subjektes, der Moral, whatever) haben müsse, (welche nun auch immer konkret, das variiert).

Nun gut, also es gibt also nun Leute, die die o.g. Prämisse akzeptieren und dann entweder zu K1 oder K2 tendieren.

Es wäre aber sehr schön, wenn diese Leute auch nur mal ansatzweise einsehen könnten, dass ihre Prämisse nicht per se evident ist.

Es nutzt ja nix, wenn ein K1-ler immer nur sagt: ja, aber der K2-ler glaubt das doch auch und vice versa. Das überzeugt mich nämlich nicht im Geringsten, ich kann da kein Argument sehen.

Die Prämisse wird von mir angezweifelt, die erscheint mir nicht evident und daher muss sie plausibel gemacht werden.

#39:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 09.11.2010, 17:50
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Mein Eindruck ist dagegen, daß die Abwehr gegen die Reduktion des Menschen auf ein physikalisches Ensemble von der klugen Intuition geleitet wird, daß er damit auch befürchten muss, seines Status als Subjekt verlustig zu gehen - mit allen Zuweisungen und Rechten, die damit zusammenhängen. Das ist meines Erachtens nicht unbegründet, da es die eine Diskussion ist, in welches Weltbild wir den Menschen einhängen, und die andere, welche praktischen Konsequenzen wir daraus ziehen.

Aber das ist meiner Ansicht nach zu kurz gedacht.

Nehmen wir jetzt mal folgende Positionen:

Prämisse: Die Ansicht, eine Reduktion des Menschen auf ein physikalisches Ensemble würde bedeuten, dass damit das Individuum seines Status als Subjekt verlustig ginge

K1: Menschen können auf physikalische Ensembles reduziert werden und daher müsse der Status als Subjekt verlustig gehen (oder sowas in der Art)

K2: Menschen dürfe der Status als Subjekt nicht entzogen werden und daher könne der Mensch nicht auf physikalische Ensembles reduziert werden (oder so ähnlich)

So weit, so gut.

Zusätzlich aber gibt es noch folgende Position, und das ist zufällig die meiníge und es wundert mich jedesmal, wenn die nicht wahrgenommen wird, einfach immer hinten runterfällt und so getan wird, als könne und dürfe es die nicht geben:

Die Prämisse ist mE nicht richtig. Es stimmt nicht, dass, wenn man Menschen auf physikalische Ensembles reduzieren kann, man sie auf dieser Ebene betrachten kann, das bestimmte Auswirkungen auf die anderen Ebenen (der Gesellschaft, des Ichs, des Subjektes, der Moral, whatever) haben müsse, (welche nun auch immer konkret, das variiert).

Nun gut, also es gibt also nun Leute, die die o.g. Prämisse akzeptieren und dann entweder zu K1 oder K2 tendieren.

Es wäre aber sehr schön, wenn diese Leute auch nur mal ansatzweise einsehen könnten, dass ihre Prämisse nicht per se evident ist.

Es nutzt ja nix, wenn ein K1-ler immer nur sagt: ja, aber der K2-ler glaubt das doch auch und vice versa. Das überzeugt mich nämlich nicht im Geringsten, ich kann da kein Argument sehen.

Die Prämisse wird von mir angezweifelt, die erscheint mir nicht evident und daher muss sie plausibel gemacht werden.


Ich fürchte, dann habe ich mich wohl unklar ausgedrückt. Denn ich bin ja keineswegs der Meinung, daß mit der Reduktion auf ein physikalisches Ensemble zwingend der Verlust des Status als Subjekt einhergeht. Ich bin dagegen der Meinung, daß die Anerkennung des Status als Subjekt eine praktische Angelegenheit ist, die nicht aus dem deterministischen Weltbild folgt. Das wollte ich mit damit sagen:
zelig hat folgendes geschrieben:
Das ist meines Erachtens nicht unbegründet, da es die eine Diskussion ist, in welches Weltbild wir den Menschen einhängen, und die andere, welche praktischen Konsequenzen wir daraus ziehen.

Ich bin aber der Meinung, daß es ein großer Fehler einiger Verfechter des Determinismus ist, die Botschaft zu verbreiten, der Mensch ließe sich aufgrund des deterministischen Weltbildes, dem sie anhängen, auf ein Objekt reduzieren. Das zu tun ist völlig unnötig, und meiner Auffassung nach aufgrund der vielen ungeklärten Fragen und möglichen Ansichten über die Beschaffenheit des Bewusstseins auch nicht gerechtfertigt. Ich antworte damit nur auf steps Frage, woher denn eigentlich die Vorbehalte gegen den Determinismus stammen. Und ich bin anscheinend, was diese Frage betrifft, anderer Anschauung als ihr.
In dem Punkt den Du jetzt angesprochen hast, sind wir aber anscheinend ähnlicher Auffassung. Falls ich Dich richtig verstanden habe.

#40:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 09.11.2010, 18:30
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Ich bin aber der Meinung, daß es ein großer Fehler einiger Verfechter des Determinismus ist, die Botschaft zu verbreiten, der Mensch ließe sich aufgrund des deterministischen Weltbildes, dem sie anhängen, auf ein Objekt reduzieren. Das zu tun ist völlig unnötig, und meiner Auffassung nach aufgrund der vielen ungeklärten Fragen und möglichen Ansichten über die Beschaffenheit des Bewusstseins auch nicht gerechtfertigt.

An dieser Stelle unterscheidet sich unsere Ansicht. Meiner Ansicht nach ist das schlicht schon deswegen ungerechtfertigt, weil der Determinismus das gar nicht hergibt, was Du (und die anderen, die diese Botschaft verbreiten) meinst, dass er es täte.

zelig hat folgendes geschrieben:
Ich antworte damit nur auf steps Frage, woher denn eigentlich die Vorbehalte gegen den Determinismus stammen. Und ich bin anscheinend, was diese Frage betrifft, anderer Anschauung als ihr.

Und deswegen braucht man auch keine Vorbehalte gegen Determinismus zu haben, wenn es wichtig für das Selbstverständnis ist, sich und die anderen als handelnde Subjekte anzusehen und nicht als ohnmächtige Spielbälle des Schicksals. Determinismus ist dazu kein Widerspruch.

zelig hat folgendes geschrieben:
In dem Punkt den Du jetzt angesprochen hast, sind wir aber anscheinend ähnlicher Auffassung. Falls ich Dich richtig verstanden habe.

Ja, ich denke, das hast Du.

#41:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 09.11.2010, 19:50
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Ich bin aber der Meinung, daß es ein großer Fehler einiger Verfechter des Determinismus ist, die Botschaft zu verbreiten, der Mensch ließe sich aufgrund des deterministischen Weltbildes, dem sie anhängen, auf ein Objekt reduzieren. Das zu tun ist völlig unnötig, und meiner Auffassung nach aufgrund der vielen ungeklärten Fragen und möglichen Ansichten über die Beschaffenheit des Bewusstseins auch nicht gerechtfertigt.

An dieser Stelle unterscheidet sich unsere Ansicht. Meiner Ansicht nach ist das schlicht schon deswegen ungerechtfertigt, weil der Determinismus das gar nicht hergibt, was Du (und die anderen, die diese Botschaft verbreiten) meinst, dass er es täte.


Lass es mich so sagen. Er gibt es her, wenn man den Physikalismus als einzige und vollständige Realität betrachtet, sowie das Subjekt als metaphysisches Konzept. Er gibt es aber nicht zwingend her. Das ist meine Auffssung. Und ich denke, die Praxis gibt mir Recht.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Ich antworte damit nur auf steps Frage, woher denn eigentlich die Vorbehalte gegen den Determinismus stammen. Und ich bin anscheinend, was diese Frage betrifft, anderer Anschauung als ihr.

Und deswegen braucht man auch keine Vorbehalte gegen Determinismus zu haben, wenn es wichtig für das Selbstverständnis ist, sich und die anderen als handelnde Subjekte anzusehen und nicht als ohnmächtige Spielbälle des Schicksals. Determinismus ist dazu kein Widerspruch.


In der Praxis ist es aber sinnvoll, die Vorbehalte gegen die -Deiner Auffassung nach- falschen Schlussfolgerungen aus einem -Deiner Auffassung nach- falsch verstandenen Determinismus zu äussern. Sie existieren ja.

#42:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 09.11.2010, 20:25
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Er gibt es her, wenn man den Physikalismus als einzige und vollständige Realität betrachtet, sowie das Subjekt als metaphysisches Konzept. Er gibt es aber nicht zwingend her. Das ist meine Auffssung. Und ich denke, die Praxis gibt mir Recht.

Naja, 'metaphysisches Konzept' ist ein so schillernder Begriff, dass ich den nicht richtig fassen kann. Weiß nicht, was damit hier gemeint ist.

Wenn Physikalismus die Ansicht bedeutet, dass alle Phänomene unserer Welt über physikalischen Prozessen supervenieren, dann bin ich Physikalist.

Und ich meine auch, dass es wichtig für unser Selbstverständnis ist, dass wir uns (selber und gegenseitig) als handelnde Personen sehen, nicht als ohnmächtige Puppen in einem unabänderlichen Ablauf, gesteuert von etwas Drittem, was wir nicht erkennen können.

Nur kann ich nun mal zwischen einem Physikalismus, so wie von mir verstanden und diesem Selbstverständnis keinen Gegensatz sehen.

Mein Selbstverständnis beinhaltet nicht, dass ich glaubte, ich habe mich selber aus dem Nichts erschaffen, (creatio ex nihilo), und es beinhaltet auch nicht, dass ich meinte, ich wäre irgendwie ein Etwas, das abseits der Naturgesetze existieren würde und diese nach meinem Belieben manipulieren könne.

Ich bin ein Teil der physikalischen Welt und ich kann aber dennoch, und meiner Ansicht nach mit voller Berechtigung, sagen, dass ich Kontrolle über bestimmte Abläufe habe. Und andere Abläufe sind meiner Kontrolle völlig entzogen.

zelig hat folgendes geschrieben:
In der Praxis ist es aber sinnvoll, die Vorbehalte gegen die -Deiner Auffassung nach- falschen Schlussfolgerungen aus einem -Deiner Auffassung nach- falsch verstandenen Determinismus zu äussern. Sie existieren ja.

Selbstverständlich muss man dem entgegentreten, wenn das als Wahrheit verkauft werden soll. Die es mE nicht ist.

Aber ich halte es für falsch, dann gegen Determinismus als Solchem zu argumentieren. Richtig ist mE, gegen die falschen Schlussfolgerungen zu argumentieren. Bzw. müssen diese Schlussfolgerungen überhaupt erst mal begründet werden.

#43:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 09.11.2010, 20:42
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Wenn Physikalismus die Ansicht bedeutet, dass alle Phänomene unserer Welt über physikalischen Prozessen supervenieren, dann bin ich Physikalist.


Das halte ich aber aber für keinen zwingenden Schluss. Supervenienz bietet viel Raum für unterschiedliche Interpretationen. Daher glaube ich nicht, daß Du wirklich Physikalist bist, so wie ich den Begriff benutze. Und wenn Du mich jetzt fragst, wie ich den Begriff benutze, dann muss ich erst darüber nachdenken.

#44:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 09.11.2010, 21:14
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wenn Physikalismus die Ansicht bedeutet, dass alle Phänomene unserer Welt über physikalischen Prozessen supervenieren, dann bin ich Physikalist.
Das halte ich aber aber für keinen zwingenden Schluss. Supervenienz bietet viel Raum für unterschiedliche Interpretationen. Daher glaube ich nicht, daß Du wirklich Physikalist bist, so wie ich den Begriff benutze.

Das liegt aber mglw. daran, daß Du die Aberkennung des Subjektstatus untrennbar mit Physikalismus assoziierst.

Übrigens meine ich wie AP, daß der Determinismus keine Begründung dafür hergibt, den Menschen von einem (sozialen) Subjekt zu einem reinen (sozialen) Objekt zu machen.

Im Gegenteil: Determinismus und Naturalismus legen mE nahe, unter "Subjekt" das zu verstehen, was es wirklich ist: ein Wesen mit der Eigenschaft, persönliche Beziehungen auszubilden (oder ähnlich). Was also hier maximal verlorengeht, ist eine tradierte oder intuitive metaphysische Überhöhung des Begrffs "Subjekt", keineswegs jedoch seine soziale Bedeutung.

#45:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 09.11.2010, 21:51
    —
step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wenn Physikalismus die Ansicht bedeutet, dass alle Phänomene unserer Welt über physikalischen Prozessen supervenieren, dann bin ich Physikalist.
Das halte ich aber aber für keinen zwingenden Schluss. Supervenienz bietet viel Raum für unterschiedliche Interpretationen. Daher glaube ich nicht, daß Du wirklich Physikalist bist, so wie ich den Begriff benutze.

Das liegt aber mglw. daran, daß Du die Aberkennung des Subjektstatus untrennbar mit Physikalismus assoziierst.[...]

Das ist nicht der Fall. Man kann den Subjektstatus als rein soziale, aber dennoch notwendige<s> soziale</s> Konstruktion betrachten. Als Physikalisten betrachte ich eher die Menschen, die Dinge, die sich nicht auf physische Grundgrößen reduzieren lassen, -und zwar deswegen- nicht für real halten. Oder irgendwie für weniger real, illusionär. Bewussstein, "ich" usf.

step hat folgendes geschrieben:
Übrigens meine ich wie AP, daß der Determinismus keine Begründung dafür hergibt, den Menschen von einem (sozialen) Subjekt zu einem reinen (sozialen) Objekt zu machen.

Im Gegenteil: Determinismus und Naturalismus legen mE nahe, unter "Subjekt" das zu verstehen, was es wirklich ist: ein Wesen mit der Eigenschaft, persönliche Beziehungen auszubilden (oder ähnlich). Was also hier maximal verlorengeht, ist eine tradierte oder intuitive metaphysische Überhöhung des Begrffs "Subjekt", keineswegs jedoch seine soziale Bedeutung.


Ich halte den Subjektstatus für eine zwingend notwendige Konstruktion des sozialen Raums. Für das Individuum notwendig für die Bildung und Aufrechterhaltung des "ich". Und notwendig als Sphäre der ideellen Sebstbestimmung.

#46:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 09.11.2010, 22:44
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zelig hat folgendes geschrieben:
Man kann den Subjektstatus als rein soziale, aber dennoch notwendige<s> soziale</s> Konstruktion betrachten.

Ja, und das tue ich im wesentlichen. Auch wenn ich glaube, daß "Subjekt" ohne den sozialen Kontext gar keinen Sinn hätte.

zelig hat folgendes geschrieben:
Als Physikalisten betrachte ich eher die Menschen, die Dinge, die sich nicht auf physische Grundgrößen reduzieren lassen, -und zwar deswegen- nicht für real halten. ...

Wenn ich also meine, daß sich alle Dinge auf physikalische Grundgrößen reduzieren lassen, hältst Du mich nicht für einen Physikalisten? zwinkern

zelig hat folgendes geschrieben:
Ich halte den Subjektstatus für eine zwingend notwendige Konstruktion des sozialen Raums.

Das sehe ich ähnlich. In einer Gesellschaft, die aus kooperierenden Individuen besteht, benötigt man einen Bezeichner für die Eigenschaft, "soziales Atom", "Mitspieler" zu sein. "Person" oder "Subjekt" ist da mE ein guter Begriff.

zelig hat folgendes geschrieben:
Für das Individuum notwendig für die Bildung und Aufrechterhaltung des "ich". Und notwendig als Sphäre der ideellen Sebstbestimmung.

Hier stimme ich vorsichtshalber mal nicht zu, klingt irgendwie verdächtig Lachen

#47:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 09.11.2010, 23:14
    —
step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Man kann den Subjektstatus als rein soziale, aber dennoch notwendige<s> soziale</s> Konstruktion betrachten.

Ja, und das tue ich im wesentlichen. Auch wenn ich glaube, daß "Subjekt" ohne den sozialen Kontext gar keinen Sinn hätte.

zelig hat folgendes geschrieben:
Als Physikalisten betrachte ich eher die Menschen, die Dinge, die sich nicht auf physische Grundgrößen reduzieren lassen, -und zwar deswegen- nicht für real halten. ...

Wenn ich also meine, daß sich alle Dinge auf physikalische Grundgrößen reduzieren lassen, hältst Du mich nicht für einen Physikalisten? ;-)



Der Text ging aber so:

zelig hat folgendes geschrieben:
Als Physikalisten betrachte ich eher die Menschen, die Dinge, die sich nicht auf physische Grundgrößen reduzieren lassen, -und zwar deswegen- nicht für real halten. Oder irgendwie für weniger real, illusionär. Bewussstein, "ich" usf.


; )


step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Für das Individuum notwendig für die Bildung und Aufrechterhaltung des "ich". Und notwendig als Sphäre der ideellen Sebstbestimmung.

Hier stimme ich vorsichtshalber mal nicht zu, klingt irgendwie verdächtig :lol:


Ja, nun. Hast Du keine Idee von Dir? Wie Du sein willst? Welchen Idealen Du anhängst? Und findest Du es nicht gut, wenn Dir Raum zugedacht wird, Dich mit Deinen Idealen zu identifizieren?

#48:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 09.11.2010, 23:19
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zelig hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
An dieser Stelle unterscheidet sich unsere Ansicht. Meiner Ansicht nach ist das schlicht schon deswegen ungerechtfertigt, weil der Determinismus das gar nicht hergibt, was Du (und die anderen, die diese Botschaft verbreiten) meinst, dass er es täte.

Lass es mich so sagen. Er gibt es her, wenn man den Physikalismus als einzige und vollständige Realität betrachtet, sowie das Subjekt als metaphysisches Konzept. Er gibt es aber nicht zwingend her. Das ist meine Auffssung. Und ich denke, die Praxis gibt mir Recht..

Nun ja, zwingender Schluss hin oder her, mir scheint das erst mal nur eine Definitonsfrage zu sein. Und Definitionen sind nicht zwingend, das sind immer nur Festlegungen.

Meinem Verständnis nach könnte man aber nun zumindest sagen, dass dieser mein Glaube (-> alle Phänomene unserer Welt - auch die mentalen - supervenieren über physikalischen Prozessen) zumindest eine notwendige Bedingung dafür ist, damit sich jemand als Physikalist bezeichnen kann.

Mag zwar sein, dass das alleine noch keine hinreichende Bedingung ist, es also noch andere notwendige Bedingungen gibt, (nach einer gemeinhin akzeptierten Definition). Jedoch kenne ich diese anderen notwendigen Bedingungen leider zurzeit nicht.

Falls jemand die nennen könnte, kann ich beurteilen, ob ich nach seinen Kriterien ein Physikalist bin oder nicht.

Meinetwegen bin auch in Deiner Sicht lediglich ein Superveniist und kein Physikalist. Das ist mir auch recht.

zelig hat folgendes geschrieben:
Man kann den Subjektstatus als rein soziale, aber dennoch notwendige<s> soziale</s> Konstruktion betrachten. Als Physikalisten betrachte ich eher die Menschen, die Dinge, die sich nicht auf physische Grundgrößen reduzieren lassen, -und zwar deswegen- nicht für real halten. Oder irgendwie für weniger real, illusionär. Bewussstein, "ich" usf.

Meiner Ansicht nach sind alles Konstrukte, unsere gesamte Welt besteht aus Konstrukten. Wie kann sich da jemand hinstellen und mit braunen Kuhaugen behaupten, bestimmte Konstrukte seien nur Konstrukte und deswegen weniger real als andere Konstrukte, weil sie nämlich Konstrukte seien? Mir erscheint diese Argumentation von Vorneherein als völlig absurd.

Es muss doch Gründe geben und die müssen angegeben werden, warum bestimmte Konstrukte weniger real als andere Konstrukte seien. Aber man kann doch nicht einfach sagen: X ist nicht real, nur eine Illusion, weil es ein Konstrukt ist. Wäre dem so, dann gäbe es mE gar nichts, was man als 'real' bezeichnen könnte.

Ich verstehe diesen dahinterliegenden Realitätsbegriff einfach nicht und ich fürchte, ich werde ihn auch nie verstehen können, weil diejenigen, die das behaupten, anscheinend ihren Realitätsbegriff für so selbstverständlich und als nicht hinterfragbar ansehen, dass sie noch nicht mal meine Frage danach auch nur im Ansatz verstehen können und ihn folglich auch nicht darlegen können.

Wenn ich sage: 'ich bin wütend', dann ist das dann wahr und real, wenn ich tatsächlich wütend bin. Wenn das aber nicht real sein soll, eine Illusion, was, bitteschön ist dann überhaupt real?

zelig hat folgendes geschrieben:
Ich halte den Subjektstatus für eine zwingend notwendige Konstruktion des sozialen Raums. Für das Individuum notwendig für die Bildung und Aufrechterhaltung des "ich". Und notwendig als Sphäre der ideellen Sebstbestimmung.

Naja, für mich ist das eine nachrangige Frage. Aus meiner Sicht ist es so, dass mein Selbstverständnis (und das, wie ich andere sehe), nämlich als potentiell handelndes Subjekt, für mich eminent wichtig ist. Um das aufzugeben, bräuchte ich dringend ein paar schlagende Argumente. Wieso sollte ich also?

Könnte zwar sein, dass ein anderes Selbstverständnis auch irgendwie einen sozialen Raum aufspannen könnte, wie auch immer. Ich halte mein Selbstverständnis nicht für zwingend, als einzig mögliche Interpretation der Wirklichkeit, ich bin Pluralist, aber die erste und spannende Frage wäre immer noch die: wieso sollte ich das aufgeben? Dafür muss es doch Argumente geben. Ohne Argumente nix Aufgabe.

Jeder darf gerne sein Selbstbild wie auch immer für sich ändern. Das ist ja seine Sache. Darf sich von seinem Ich lösen und irgendwo im Nirgendwo schweben, wie immer es ihm beliebt. Das ist mir wurscht.

Aber wieso soll ich es ihm gleich tun? Weil irgend jemand behauptet, ich hätte ein irgendwie geartetes metaphysisches Selbstbild? Nö, der irrt sich dann halt, nicht mein Problem. Weil jemand behauptet, ich müsse ein irgendwie geartetes metaphysisches Selbstbild haben, weil die meisten anderen das auch angeblich hätten und ich müsse das jetzt auch annehmen, damit er es zerlegen kann? Also bei aller Liebe: nee, tut mir leid, so läuft das nicht.

#49:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 09.11.2010, 23:47
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
An dieser Stelle unterscheidet sich unsere Ansicht. Meiner Ansicht nach ist das schlicht schon deswegen ungerechtfertigt, weil der Determinismus das gar nicht hergibt, was Du (und die anderen, die diese Botschaft verbreiten) meinst, dass er es täte.

Lass es mich so sagen. Er gibt es her, wenn man den Physikalismus als einzige und vollständige Realität betrachtet, sowie das Subjekt als metaphysisches Konzept. Er gibt es aber nicht zwingend her. Das ist meine Auffssung. Und ich denke, die Praxis gibt mir Recht..

Nun ja, zwingender Schluss hin oder her, mir scheint das erst mal nur eine Definitonsfrage zu sein. Und Definitionen sind nicht zwingend, das sind immer nur Festlegungen.

Meinem Verständnis nach könnte man aber nun zumindest sagen, dass dieser mein Glaube (-> alle Phänomene unserer Welt - auch die mentalen - supervenieren über physikalischen Prozessen) zumindest eine notwendige Bedingung dafür ist, damit sich jemand als Physikalist bezeichnen kann.

Mag zwar sein, dass das alleine noch keine hinreichende Bedingung ist, es also noch andere notwendige Bedingungen gibt, (nach einer gemeinhin akzeptierten Definition). Jedoch kenne ich diese anderen notwendigen Bedingungen leider zurzeit nicht.

Falls jemand die nennen könnte, kann ich beurteilen, ob ich nach seinen Kriterien ein Physikalist bin oder nicht.

Meinetwegen bin auch in Deiner Sicht lediglich ein Superveniist und kein Physikalist. Das ist mir auch recht.



Neinnein. Also wenn Du Dich als Physikalist betrachtest, dann ist ja gut. Mein Knackpunkt ist, daß Supervenienz Ausdruck für eine Relation ist, die nicht von einer Naturgesetzlichkeit gedeckt ist. Oder vielleicht habe ich das falsch verstanden. Jedenfalls würde ich schon jeden als Physikalisten bezeichnen (wenn er es will), wenn er der Auffassung ist, daß Supervinienz eine Relation bezeichnet, die einer Naturgesetzlichkeit entspricht, nur man weiß noch nicht welcher. Aber wenn man Supervenienz als Platzhalter-Relation für etwas Unverstandenes betrachtet, wie ich zB, dann ist man sicher kein Physikalist. Falls ich hier komplett auf dem falschen Dampfer bin, ich lerne gerne.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

zelig hat folgendes geschrieben:
Man kann den Subjektstatus als rein soziale, aber dennoch notwendige<s> soziale</s> Konstruktion betrachten. Als Physikalisten betrachte ich eher die Menschen, die Dinge, die sich nicht auf physische Grundgrößen reduzieren lassen, -und zwar deswegen- nicht für real halten. Oder irgendwie für weniger real, illusionär. Bewussstein, "ich" usf.

Meiner Ansicht nach sind alles Konstrukte, unsere gesamte Welt besteht aus Konstrukten. Wie kann sich da jemand hinstellen und mit braunen Kuhaugen behaupten, bestimmte Konstrukte seien nur Konstrukte und deswegen weniger real als andere Konstrukte, weil sie nämlich Konstrukte seien? Mir erscheint diese Argumentation von Vorneherein als völlig absurd.


Das sehe ich ähnlich. Ich hoffe, ich überlese jetzt nicht den Widerspruch zu meiner Einlassung. Ich erkenne nämlich keinen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
[...]
Wenn ich sage: 'ich bin wütend', dann ist das dann wahr und real, wenn ich tatsächlich wütend bin. Wenn das aber nicht real sein soll, eine Illusion, was, bitteschön ist dann überhaupt real?


Ja, genau.

Rest übereinstimmungshalber gesnippt.

#50:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 10.11.2010, 00:27
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Mein Knackpunkt ist, daß Supervenienz Ausdruck für eine Relation ist, die nicht von einer Naturgesetzlichkeit gedeckt ist. Oder vielleicht habe ich das falsch verstanden. Jedenfalls würde ich schon jeden als Physikalisten bezeichnen (wenn er es will), wenn er der Auffassung ist, daß Supervinienz eine Relation bezeichnet, die einer Naturgesetzlichkeit entspricht, nur man weiß noch nicht welcher. Aber wenn man Supervenienz als Platzhalter-Relation für etwas Unverstandenes betrachtet, wie ich zB, dann ist man sicher kein Physikalist. Falls ich hier komplett auf dem falschen Dampfer bin, ich lerne gerne.

Du willst von mir was lernen? Das ist sehr löblich. Weiß nur nicht so recht, ob ich dem Anspruch gerecht werden kann. ;)

Also, nach meinem bescheidenen philosophischen Kenntnisstand (ich bin aber kein Philosoph, nur ein sehr interessierter Laie) ist die zurzeit unter Philosophen vorherrschende Meinung Folgende:

1. Supervenienz ist keine hinreichende Bedingung für Physikalismus, nur eine notwendige (allerdings entzieht es sich leider meinem momentanen Kenntnisstand, was genau die notwendigen Bedingungen für Physikalismus umfasst, mag aber auch daran liegen, dass das strittig ist, es darüber keine gute Übereinstimmung gibt.)

2. aus philosophischer Sicht kann auch z.B. ein philosophischer Idealist Supervenienz problemlos akzeptieren

3. Supervenienz ist, (insofern vergleichbar mit Emergenz), kein Nachweis für eine naturgesetzliche Relation, geschweige denn eine Erklärung für etwas

Naja, gut, okay, Du wolltest gar nichts von mir lernen, das habe ich absichtlich missverstanden, ich bin böse. ;)

Ich fasse zusammen: Du hast recht mit Deinem Knackpunkt.

Allerdings, da gibt es noch so ein paar kleine Fragen, die sich mir als philosophischem Laien stellen, die noch zu klären wären:

- was ist eigentlich eine 'naturgesetzliche Relation'? Ein Konstrukt oder mehr als das? Wenn mehr: was mehr?
- gibt es eigentlich einen prinzipiellen, wesentlichen Unterschied zwischen einer idealistischen und einer physikalischen Weltsicht?
- was ist überhaupt das, was wir als 'Realität' bezeichnen?

Bin mir nicht sicher, ob wir dabei auch übereinstimmen würden. ;)

Ich glaube, meine Antworten auf diese Fragen sind eher exotisch.

zelig hat folgendes geschrieben:
Das sehe ich ähnlich. Ich hoffe, ich überlese jetzt nicht den Widerspruch zu meiner Einlassung. Ich erkenne nämlich keinen.

Was daran liegt, das da keiner war. Du hast nichts überlesen.

#51:  Autor: göttertodWohnort: Freiburg BeitragVerfasst am: 10.11.2010, 01:36
    —
ich hab leider zur Zeit viel zu tun... aber ich lese hier fleisig und mache mir Gedanken und schreibe irgendwann sicher mehr

Mir ist aufgefallen, dass sich viel um den Begriff der "Illusion" dreht. Wir sollten den Begriff "Illusion" definieren. Ich glaube dann klärt sich wieder ein bischen.


Wenn ich im Text z.B. von einer Benutzerillusion ("Ich"/"Selbst") spreche, dann meine ich nicht, dass sie nicht existiert. Die Illusion existiert, aber nur als neuronales Korrelat. Repräsentiert in verschiedenen Arealen, Modulen, Projektionsfeldern - zumeist als deklaratives Wissen in Form von z.B. abgespeicherten und notwendigerweise aufrufbaren Pronomen und ähnlichem, oder in Form von prozedualem Wissen im Sinne von z.B. abgespeicherten Interaktionsmustern der intersubjektiven Kommunikation/Interaktion.

Die Illusion ist hier materiell unterlegt und theoretisch reduzierbar. Und den Nutzen sehe ich auch. Oft habe ich hier im Forum geschrieben, dass die Individualität mit das höchste Gut ist. Und wenn ich die Subjektivität gewissermaßen auflöse, indem ich von Objekten in einer monistisch-materiellen-physikalischen Welt spreche, dann entspricht das meiner Sicht der bisher konsistentesten Theorie der Welt, und soll in keinem Fall dazu führen, dass der einzelne Mensch sich im physikalischen Kosmos auflöst und nichts kulturelles mehr einen "Sinn" hat. Das "Objekt" Mensch ist ja trotzdem zur Kognition fähig, es gibt ja trotzdem Begriffe wie Selbst, Ich, Mama, Volk.

göttertod hat folgendes geschrieben:


Grundprinzip=Zustandsveränderung=Veränderung=(Wechselwirkung)

ohne Veränderung kein Sein, keine Realität, keine Existenz

Frage: Wenn ich eine Theorie entwickeln will mit der ich alle Zustandsveränderungen der Realität, des Universums, der Existenz beschreiben will, scheitert diese nicht immer an noch spezielleren Zuständen, die in der Theorie nicht enthalten sind?
Ich meine es so im Sinne des infiniten Regresses beim Münchhausen Trillema. Oder spielen da doch theoretische Begrenzungen des Daseins eine Rolle wie diese Planck-Skala??? (null-durchblick - kann ich mir auch nicht vorstellen, so eine Begrenztheit. Unendlichkeit oder Ewigkeit macht laienhaft mehr Sinn)

Schön finde ich immer dieses Beispiel Wissen als Asymptote. Wenn sich unsere Theorien der objektiven Realität annähern, aber sie als Asymptote nie erreichen können, wie könnte die Weltformel diesen Knackpunkt überspringen?

Ich empfinde mich auf jeden Fall als Reduktionist, doch glaube ich, dass man die 100% nur erreichen kann (und somit die Weltformel?), wenn man das Universum wird - vollkommen Sci/Fi wenn wir uns als z.B. unfassbar fortentwickelte Wesen der Grundstruktur des Universums angeglichen haben und dann darin aufgehen, oder zum Ganzen werden. Wobei ich denke, dass es kein erstrebenswerter Zustand wäre, da ja jegliche Subjektivität und Diversität aufgehoben wäre.

Also den Reduktionismus als Grundprinzip (den physikalischen Prinzipien ist näherungsweise immer mehr auf den Leib zu rücken) anerkennen, und gleichzeitig das Akzeptieren ihn nie gänzlich zu formalisieren??!


Ich meine mit Illusion also nie eine immaterielle Illusion. Lachen Witzig ist, es wird wohl nie eine immaterielle Illusion geben, da alles was gedacht wird ja im Gehirn repräsentiert wird, hehe.
(und hier manifestiert sich für mich auch DAS WERKZEUG für die Mächtigkeit des Reduktionismus in der Leib-Seele-Debatte... die Empirie, Hirnforschung, Neurowissenschaften, fMRT, etc.)


Und dann kommen wir wieder zum Dualismus als Gegentheorie, oder eine Form von Idealismus (Platons Ideenlehre), in denen es die andere Art der von dir AgentProv. (so ich dich bisher verstehe) z.B. auch mir unterstellten Illusionsart "gibt". Diese immaterielle Illusion gibt es aber nicht in meinem Versuch einer Theorie.
Wenn ich von Illusion spreche, dann meine ich etwas materielles (,aber vielleicht nicht außerhalb des simulierten Weltmodell existierendes - z.B. rosa Einhorn, oder "Selbst" anders gemeint).

Definiere du (agentprov) bitte mal Illusion wie du es bei mir liest und wie du den Begriff benutzt und verstehst - kurz und grob..

#52:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 10.11.2010, 02:29
    —
göttertod hat folgendes geschrieben:
Definiere du (agentprov) bitte mal Illusion wie du es bei mir liest und wie du den Begriff benutzt und verstehst - kurz und grob..

Dies ist meine Definition von Illusion:

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
X ist eine Illusion von Y dann, wenn X fälschlich für Y gehalten wird. Was ist demnach Y bei einer Ich-Illusion?

Dein Verständnis von 'Illusion', so wie ich das verstehe, unterscheidet zwischen 'realer Realität' und 'konstruierter Realität'. Alles, was 'konstruierte Realität' ist, ist Illusion, weil nicht 'tatsächlich, wirklich, echt' real, alles, was 'echte Realität' ist, ist keine Illusion, weil 'tatsächlich, wirklich, echt' real.

Ich kann mir nun zwar im Ansatz vorstellen, was 'reale Realität' bedeuten könnte, was Du damit meinen könntest, die ist, so wie ich das verstehe, die Wirklichkeit, wie sie von einem objektiven, neutralen und allwissenden Beobachterstandpunkt gesehen, und interpretiert!, würde, (der s.g. 'god's point of view').

Leider aber halte ich diesen hypothetischen Standpunkt für vollkommen surreal.

Weil: selbst wenn es den gäbe: der ist mE so oder so für uns völlig irrelevant. Ich sehe zumindest noch nicht einmal den Ansatz einen Grundes, wieso der für uns relevant sein könnte. Weil ich nämlich nicht daran glaube, dass es die einzig wahre Interpretation der Wirklichkeit geben könnte. Jede Interpretation hängt nämlich mE von nicht weiter begründbaren Prämissen ab.

Daraus folgt: ich halte diese Betrachtungsweise für von Vorneherein für sinnlos.

(Das ist übrigens auch letztlich der Grund, warum mich die Frage, ob es einen Gott gibt oder nicht, überhaupt nicht tangiert. Das spielt schlicht keine Rolle, ist einfach nur gleichgültig.)

Zusammenfassung: ich bin Pluralist bezüglich der Interpretationen der Wirklichkeit. Ich glaube nicht an die einzig wahre Interpretation der Wirklichkeit. Und daher bin ich mehr als misstrauisch, wenn mir jemand die verkaufen will. Ich erwarte dann verdammt gute Gründe dafür.

Oder, mal anders gesagt: Du scheinst an die Wahrheit(TM) zu glauben (= die einzig richtige Interpretation der Wirklichkeit), ich aber tue das nicht. Ich verstehe noch nicht mal im Ansatz, wie man das tun kann. Dazu benötigte man eine Letztbegründung und es ist absolut jenseits meines Vorstellungsvermögens, wie jemand die geben könnte. Ich würde eher an Gott (= ein Wesen, das viel mächtiger ist als ich und mir deswegen unter Androhung von Gewalt seine eigene Wahrheit einbläuen kann, die ich dann vorgeben würde, zu glauben, denn großer Gewalt werde ich mich beugen) glauben als an eine Letztbegründung.

Oder, mal noch anders gesagt: mein Selbstbild (und wie ich andere sehe) z.B. bildet mE die Realität ab, d.h.: es gibt keinerlei wissenschaftliche Erkenntnis, die dem widersprechen würde. Aber dieses Selbstbild ist mE nicht das einzig wahre Selbstbild. Es mag nun tausende davon unterschiedliche Selbstbilder geben, die ebenso die Realität abbilden. Man kann Dinge so oder so sehen, aber die Frage: wie sind sie tatsächlich ergibt mE schlicht keinen Sinn. Es gibt nichts dahinter und somit auch keinen objektiven Beobachterstandpunkt, an den zu glauben scheinst.

#53:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 10.11.2010, 06:51
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
[...]
- was ist eigentlich eine 'naturgesetzliche Relation'? Ein Konstrukt oder mehr als das? Wenn mehr: was mehr?
- gibt es eigentlich einen prinzipiellen, wesentlichen Unterschied zwischen einer idealistischen und einer physikalischen Weltsicht?
- was ist überhaupt das, was wir als 'Realität' bezeichnen?


OK, das macht Spaß.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Bin mir nicht sicher, ob wir dabei auch übereinstimmen würden. ;)


Hoffentlich nicht. Wäre doch langweilig.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich glaube, meine Antworten auf diese Fragen sind eher exotisch.


Trau Dich doch. ; )
Wenn ich mich fit genug fühle, werde ich auch versuchen was zu formulieren.

#54:  Autor: göttertodWohnort: Freiburg BeitragVerfasst am: 10.11.2010, 09:47
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
göttertod hat folgendes geschrieben:
Definiere du (agentprov) bitte mal Illusion wie du es bei mir liest und wie du den Begriff benutzt und verstehst - kurz und grob..

Dies ist meine Definition von Illusion:

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
X ist eine Illusion von Y dann, wenn X fälschlich für Y gehalten wird. Was ist demnach Y bei einer Ich-Illusion?

Dein Verständnis von 'Illusion', so wie ich das verstehe, unterscheidet zwischen 'realer Realität' und 'konstruierter Realität'. Alles, was 'konstruierte Realität' ist, ist Illusion, weil nicht 'tatsächlich, wirklich, echt' real, alles, was 'echte Realität' ist, ist keine Illusion, weil 'tatsächlich, wirklich, echt' real.

Ich kann mir nun zwar im Ansatz vorstellen, was 'reale Realität' bedeuten könnte, was Du damit meinen könntest, die ist, so wie ich das verstehe, die Wirklichkeit, wie sie von einem objektiven, neutralen und allwissenden Beobachterstandpunkt gesehen, und interpretiert!, würde, (der s.g. 'god's point of view').

Leider aber halte ich diesen hypothetischen Standpunkt für vollkommen surreal.

Weil: selbst wenn es den gäbe: der ist mE so oder so für uns völlig irrelevant. Ich sehe zumindest noch nicht einmal den Ansatz einen Grundes, wieso der für uns relevant sein könnte. Weil ich nämlich nicht daran glaube, dass es die einzig wahre Interpretation der Wirklichkeit geben könnte. Jede Interpretation hängt nämlich mE von nicht weiter begründbaren Prämissen ab.

Daraus folgt: ich halte diese Betrachtungsweise für von Vorneherein für sinnlos.

(Das ist übrigens auch letztlich der Grund, warum mich die Frage, ob es einen Gott gibt oder nicht, überhaupt nicht tangiert. Das spielt schlicht keine Rolle, ist einfach nur gleichgültig.)

Zusammenfassung: ich bin Pluralist bezüglich der Interpretationen der Wirklichkeit. Ich glaube nicht an die einzig wahre Interpretation der Wirklichkeit. Und daher bin ich mehr als misstrauisch, wenn mir jemand die verkaufen will. Ich erwarte dann verdammt gute Gründe dafür.

Oder, mal anders gesagt: Du scheinst an die Wahrheit(TM) zu glauben (= die einzig richtige Interpretation der Wirklichkeit), ich aber tue das nicht. Ich verstehe noch nicht mal im Ansatz, wie man das tun kann. Dazu benötigte man eine Letztbegründung und es ist absolut jenseits meines Vorstellungsvermögens, wie jemand die geben könnte. Ich würde eher an Gott (= ein Wesen, das viel mächtiger ist als ich und mir deswegen unter Androhung von Gewalt seine eigene Wahrheit einbläuen kann, die ich dann vorgeben würde, zu glauben, denn großer Gewalt werde ich mich beugen) glauben als an eine Letztbegründung.

Oder, mal noch anders gesagt: mein Selbstbild (und wie ich andere sehe) z.B. bildet mE die Realität ab, d.h.: es gibt keinerlei wissenschaftliche Erkenntnis, die dem widersprechen würde. Aber dieses Selbstbild ist mE nicht das einzig wahre Selbstbild. Es mag nun tausende davon unterschiedliche Selbstbilder geben, die ebenso die Realität abbilden. Man kann Dinge so oder so sehen, aber die Frage: wie sind sie tatsächlich ergibt mE schlicht keinen Sinn. Es gibt nichts dahinter und somit auch keinen objektiven Beobachterstandpunkt, an den zu glauben scheinst.


so mehrdeutig kann Sprache gar nicht sein, wie du mich zu verstehen glaubst, oder ständig missverstehst, falsch interpretierst, oder bewusst falsch wiedergibst.... Mit dir ist es wie gegen eine Wand rennen, sorry aber das ist für mich jetzt echt sinnfrei und wirr - macht so keinen Spaß und bringt mir nichts.... echt der Hammer

#55:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 10.11.2010, 13:35
    —
göttertod hat folgendes geschrieben:
so mehrdeutig kann Sprache gar nicht sein, wie du mich zu verstehen glaubst, oder ständig missverstehst, falsch interpretierst, oder bewusst falsch wiedergibst.... Mit dir ist es wie gegen eine Wand rennen, sorry aber das ist für mich jetzt echt sinnfrei und wirr - macht so keinen Spaß und bringt mir nichts.... echt der Hammer

Ich sage es mal anders. Nochmal, aber kürzer. Meine Definition von Illusion ist die:

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
X ist eine Illusion von Y dann, wenn X fälschlich für Y gehalten wird.

Wenn das die korrekte Definition von 'Illusion' ist, dann muss jemand, der sagt, es gäbe eine Ich-Illusion, das Y benennen können.

Wenn das aber nicht die korrekte Definition von 'Illusion' ist und alles, was ich oben vermutet habe, nicht stimmt, dann weiß ich schlicht nicht, was Du überhaupt damit meinen könntest.

Vielleicht wäre es hilfreich, wenn Du mal kurz Deine Definition von 'Illusion' darlegst.

Du sagst:

göttertod hat folgendes geschrieben:
Die Illusion existiert, aber nur als neuronales Korrelat.

Das verstehe ich nicht, weil da was fehlt. Nämlich das Y aus meiner Definition. Wenn Du das mal benennen könntest.

Die Illusion existiert nicht als was?

#56:  Autor: Babyface BeitragVerfasst am: 10.11.2010, 15:33
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
X ist eine Illusion von Y dann, wenn X fälschlich für Y gehalten wird.

Das ist so nicht ganz korrekt. Wenn da eine Katze (x) läuft und ich die für einen Hund (y) halte, dann ist die Katze keine Illusion. Die Illusion wäre die falsche Wahrnehmungskonstruktion y' auf Basis von Reizquelle x. Eine Halluzination wäre übrigens eine falsche Wahrnehmungskontruktion y' ganz ohne Reizquelle.

#57:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 10.11.2010, 16:35
    —
Okay, Du hast recht. Muss eher so lauten:

Eine Wahrnehmung W ist dann eine Illusion, wenn ein X fälschlich für ein Y gehalten wird.

Wäre das soweit okay?

Was ist dann bei einer 'Ich-Illusion' das Y?

Und welche Wahrnehmung von sich selber wäre die korrekte?

------

@zelig: ich habe Dich nicht überlesen, bin aber noch am Überlegen

#58:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 10.11.2010, 22:00
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
[...]
- was ist eigentlich eine 'naturgesetzliche Relation'? Ein Konstrukt oder mehr als das? Wenn mehr: was mehr?
- gibt es eigentlich einen prinzipiellen, wesentlichen Unterschied zwischen einer idealistischen und einer physikalischen Weltsicht?
- was ist überhaupt das, was wir als 'Realität' bezeichnen?

[...]
Trau Dich doch. ; )
Wenn ich mich fit genug fühle, werde ich auch versuchen was zu formulieren.

Also dann.

1. eine naturgesetzliche Relation ist mE ein Konstrukt. (Was nun nicht heißt, dass Konstrukte beliebig seien, also alle Konstrukte gleich gültig wären, das sind sie selbstverständlich nicht. Es gibt Konstrukte, die gut zur Wirklichkeit passen und andere, die das nicht tun. Letztere sind weit weniger nutzbringend als erstere.) Aber dennoch ein Konstrukt, weil mir die Frage, ob die tatsächlich bestehe, als sinnlos erscheint.

2. mE gibt es zwischen bestimmten Auffassungen von Idealismus und Materialismus keinen fassbaren Unterschied. Und zwar zwischen denjenigen Auffassungen jeweils, die Ideen oder Materie als wirklicher ansehen als jeweils das andere. Zitat:

Idealism hat folgendes geschrieben:
In the philosophy of mind, idealism is the opposite of materialism, in which the ultimate nature of reality is based on physical substances. Idealism and materialism are both theories of monism as opposed to dualism and pluralism.

Den Gedanken einer 'ultimate nature of reality' halte ich für sinnlos, bzw. für reine Geschmackssache, nicht entscheidbar, unbegründet.

3. mein Realitätsbegriff basiert auf dem internen und dem direkten Realismus (dem von Putnam).

(Wir hatten das übrigens schon mal dort.)

Vielleicht erst mal noch ein Zitat dazu:

Hilary Putnam - Metaphilosophy and ontology hat folgendes geschrieben:
In the late 1970s and the 1980s, stimulated by results from mathematical logic and by some ideas of Quine, Putnam abandoned his long-standing defence of metaphysical realism — the view that the categories and structures of the external world are both causally and ontologically independent of the conceptualizations of the human mind. He adopted a rather different view, which he called "internal realism".

Internal realism is the view that, although the world may be causally independent of the human mind, the structure of the world—its division into kinds, individuals and categories—is a function of the human mind, and hence the world is not ontologically independent. The general idea is influenced by Kant's idea of the dependence of our knowledge of the world on the "categories of thought".

The problem with metaphysical realism, according to Putnam, is that it fails to explain the possibility of reference and truth. According to the metaphysical realist, our concepts and categories refer because they match up in some mysterious manner with the pre-structured categories, kinds and individuals that are inherent in the external world. But how is it possible that the world "carves up" into certain structures and categories, the mind carves up the world into its own categories and structures, and the two "carvings" perfectly coincide? The answer must be that the world does not come pre-structured but that structure must be imposed on it by the human mind and its conceptual schemes.


Nur noch eine kleine Anmerkung dazu, was das mE bedeutet.

Diese beiden Ansichten, bzw., das, was mE dahintersteckt, nämlich der Gedanke an eine Realität hinter unserer Realität, halte ich demnach für von falschen Vorausetzungen ausgehend:

Boltzmann-Gehirne hat folgendes geschrieben:
Sie, lieber Leser, könnten allein existieren und ein solches Boltzmann-Gehirn sein. Dann wäre die gesamte Außenwelt Ihre wahrhaft kosmische Halluzination. Diese Ausgabe von bild der wissenschaft, die Atemluft ringsum, die Bäume am Horizont und auch die fernsten Galaxien wären eine riesige Täuschung.

step hat folgendes geschrieben:
- existieren wir (oder sind wir eine Simulation)?


Wenn wir ein Boltzmann-Gehirn wären, würde das mE nichts an unserer Realität ändern, ebenso nicht, wenn wir eine 'Simulation' wären.

Unsere Realität ist so, wie sie ist. Das ist alles, es gibt nichts dahinter, was in irgend einer Weise 'realer' sein könnte, etwas, das unsere Realität als 'nur gedacht, als Halluzination' oder 'nur simuliert' erweisen könnte.

#59:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 10.11.2010, 23:24
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
- existieren wir (oder sind wir eine Simulation)?

Wobei ich das in dem thread als typische Frage zitiert habe. Hier im Forum wurde diese Frage immer von anderen gestellt, und ich habe versucht, sie zu beantworten, indem ich sie klar von der Frage nach einer 'ultimate nature of reality' unterschieden habe.

Meines Erachtens macht diese Frage dementsprechend nur Sinn, wenn wir konkrete (z.B. physikalische) Kriterien für Realität definieren, so daß Realität eine "bedingte" Eigenschaft wird. Der übliche philosophische (ontologische) Realitätsbegriff gibt das nicht her, weswegen ich Dir zustimme, daß die 'ultimate nature of reality' auf diese Weise zu erfragen sinnlos ist.

#60:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 11.11.2010, 00:36
    —
step hat folgendes geschrieben:
Wobei ich das in dem thread als typische Frage zitiert habe. Hier im Forum wurde diese Frage immer von anderen gestellt, und ich habe versucht, sie zu beantworten, indem ich sie klar von der Frage nach einer 'ultimate nature of reality' unterschieden habe.

Ausrufezeichen

Ja, Du hast recht!

Das ist nicht Deine Position, so wie ich die bisher verstehe, sondern einfach nur eine Frage von anderen, die Du aufgreifst, die so öfter gestellt und demnach auch für sinnvoll gehalten wird, (sonst würde sie ja nicht gestellt - man nimmt also an, es gäbe einen prinzipiellen, grundlegenden, ausschlaggebenen Unterschied zwischen 'Realität' und 'Simulation').

Da muss ich mich bei Dir entschuldigen, dass ich das so zusammenhanglos dahin gestellt habe, so, als ob das Deine Auffassung wäre. Mein Fehler.

step hat folgendes geschrieben:
Meines Erachtens macht diese Frage dementsprechend nur Sinn, wenn wir konkrete (z.B. physikalische) Kriterien für Realität definieren, so daß Realität eine "bedingte" Eigenschaft wird. Der übliche philosophische (ontologische) Realitätsbegriff gibt das nicht her, weswegen ich Dir zustimme, daß die 'ultimate nature of reality' auf diese Weise zu erfragen sinnlos ist.

Über die Kriterien für Realität können wir später auch noch reden, das würde ich aber gerne erst mal etwas zurückschieben.

Würdest Du mir denn auch dabei zustimmen, dass die Frage, ob wir ein Boltzmann-Gehirn sind oder nicht, die deswegen interessant sei, weil das einen Unterschied für unseren Realitätsbegriff machen würde, ebenso sinnlos ist, wie die Frage, ob wir eine Simulation sind?

Was, wenn man diesen Gedanken, den ich leider selber noch nicht so klar fassen kann, fortführt, doch auch bedeuten müsste, dass der Unterschied zwischen einem Solipsisten und einem Realisten sich in ein rosa Logikwölkchen ausflöst, oder? Aber das habe ich jetzt noch nicht genügend durchdacht, das erscheint mir lediglich intuitiv plausibel. Was natürlich erst mal alleine deswegen nicht plausibel erscheint, weil es mW nach eine große Übereinstimmung darüber gibt, dass Solipsismus nicht widerlegbar ist. Aber meine Intuition sagt gerade etwas anderes.

#61:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 11.11.2010, 21:43
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Würdest Du mir denn auch dabei zustimmen, dass die Frage, ob wir ein Boltzmann-Gehirn sind oder nicht, die deswegen interessant sei, weil das einen Unterschied für unseren Realitätsbegriff machen würde, ebenso sinnlos ist, wie die Frage, ob wir eine Simulation sind?

Ich finde die Frage ja an sich gar nicht sinnlos, jedenfalls nicht wenn sie richtig gestellt wird.

Zu "Boltzmann-Gehirn" finde ich keine klare Definition. Manche schreiben, damit sei gemeint, daß ein Gehirn spontan entstehe, was zwar sehr unwahrscheinlich, aber möglich sei. Das ist korrekt, ich sehe aber nicht das Besondere dabei.

Andere schreiben, dieses Gehirn entstehe anstelle des Universums, was immer noch deutlich weniger unwahrscheinlich sei. Das halte ich für falsch.

Wieder andere verstehen darunter so etwas wie Solipsismus, also daß es außer ihren eigenen Gedanken nichts gebe, sie die Welt also nur dächten. Siehe dazu unten.

Und nun zur "Simulation", ich finde u.a. folgende Fragen sinnvoll:

- Befindet sich unser Gehirn in einem Tank, wird ihm also alles scheinbar Äußere nur vorgegaukelt? Und unter welchen Bedingungen könnte man das unterscheiden?

- Ist das Universum, wie wir es sehen, als solches ein Experiment einer höheren Intelligenz (also die Physik sozusagen ein Baukastenspiel)? Und unter welchen Bedingungen könnte man das unterscheiden?

Solche Fragen finde ich sinnvoll, weil es - jedenfalls prinzipiell - denkbar wäre, daß man sie entscheiden kann. Das hängt recht eng mit Wirklichkeitskriterien zusammen, die dann keinerlei "ultimat-metaphysisches" mehr haben.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Was, wenn man diesen Gedanken, den ich leider selber noch nicht so klar fassen kann, fortführt, doch auch bedeuten müsste, dass der Unterschied zwischen einem Solipsisten und einem Realisten sich in ein rosa Logikwölkchen ausflöst, oder? Aber das habe ich jetzt noch nicht genügend durchdacht, das erscheint mir lediglich intuitiv plausibel. Was natürlich erst mal alleine deswegen nicht plausibel erscheint, weil es mW nach eine große Übereinstimmung darüber gibt, dass Solipsismus nicht widerlegbar ist. Aber meine Intuition sagt gerade etwas anderes.

Hier ergeben sich mE vor allem Erklärungsprobleme, z.B. wie sollte für Solipsisten eine Theorie der Entstehung (ihres Gehirns) aussehen? Selbst Spontanentstehung z.B. modellieren wir ja auch mit Naturgesetzen u.ä.. Weitere Probleme sehe ich in der Komplexität von Erklärungen (Notwendigkeit von Zusatzannahmen usw.) - ein Modell ist ja nicht die Realität, sondern wir nehmen das einfachste Modell, also das, welches die besten Voraussagen mit dem geringsten Aufwand erlaubt, als das beste an.

Ich denke, irgendwann werden wir ein Weltbild haben, in dem "Wirklichkeit" ein abhängiger Begriff geworden ist, sprich auf physikalische Kriterien (oder etwas noch fundamentaleres) reduziert ist. In demselben Maße werden ontologische Scheinprobleme verschwinden, wie etwa das der "ultimate reality".

Daß dies erst so spät passiert, liegt mE daran, daß in unserem Alltag die Annahme einer ultimaten Realität kaum zu Fehlern führt.

#62:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 11.11.2010, 23:22
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
[...]
- was ist eigentlich eine 'naturgesetzliche Relation'? Ein Konstrukt oder mehr als das? Wenn mehr: was mehr?


Einer meiner geheimen Gedanken ist, daß die Wirklichkeit ohne Bewußtsein nicht relational ist. Eine "'naturgesetzliche Relation'" wäre demnach eine Relation, die das Bewusstsein dem Teil der Wirklichkeit zuweist, von dem es sich selber ausnimmt.

#63:  Autor: Einstein BeitragVerfasst am: 11.11.2010, 23:25
    —
vorläufig leereditiert -alae

#64:  Autor: Einstein BeitragVerfasst am: 11.11.2010, 23:53
    —
vorläufig leereditiert -alae

#65:  Autor: Einstein BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 00:00
    —
vorläufig leereditiert -alae

#66:  Autor: AdvocatusDiaboliWohnort: München BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 00:01
    —
Oh, wieder einer zum Spielen...gesperrt in 3...2...1...

#67:  Autor: Einstein BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 00:05
    —
vorläufig leereditiert -alae

#68:  Autor: Einstein BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 00:11
    —
vorläufig leereditiert -alae

#69:  Autor: beachbernieWohnort: Haida Gwaii BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 00:12
    —
Einstein hat folgendes geschrieben:
vorläufig leereditiert -alae



Ich wuensche Dir viel Glueck bei Deinem Vorhaben. Smilie

#70:  Autor: Einstein BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 00:19
    —
vorläufig leereditiert -alae

#71:  Autor: Einstein BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 00:35
    —
vorläufig leereditiert -alae

#72:  Autor: Einstein BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 00:42
    —
vorläufig leereditiert -alae

#73:  Autor: nocquae BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 00:51
    —
Einstein hat folgendes geschrieben:
vorläufig leereditiert -alae


Ja, sehr tiefsinning. I am the all-singing, all-dancing crap of this world. I am the toxic waste by-product of God’s creation.

I am Jacks complete lack of surprise.

#74:  Autor: Einstein BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 00:54
    —
vorläufig leereditiert -alae

#75:  Autor: Einstein BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 00:59
    —
vorläufig leereditiert -alae

#76:  Autor: Einstein BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 01:06
    —
vorläufig leereditiert -alae

#77:  Autor: Die FiktionWohnort: Düsseldorf BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 01:07
    —
Einstein hat folgendes geschrieben:
vorläufig leereditiert -alae


Dir ist aber schon klar, das die ``Naturgesetze´´ nichts weiter sind, als die Grenzen unseres Begreifens ?

Es gab mal Zeiten, da war die Erde eine Scheibe, mit einer Sonne, die darum kreiste.

#78:  Autor: Einstein BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 01:17
    —
vorläufig leereditiert -alae

#79:  Autor: Die FiktionWohnort: Düsseldorf BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 01:19
    —
Einstein hat folgendes geschrieben:
vorläufig leereditiert -alae


Komisch, unter der gleichen Adresse fand ich all deine Postings Am Kopf kratzen

#80:  Autor: Einstein BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 01:20
    —
vorläufig leereditiert -alae

#81:  Autor: Einstein BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 01:21
    —
vorläufig leereditiert -alae

#82:  Autor: Die FiktionWohnort: Düsseldorf BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 01:23
    —
Einstein hat folgendes geschrieben:
vorläufig leereditiert -alae


Ich bin dein Freund,
ich werde dir mit meiner Klinge helfen,
den Weg zu finden,
wenn der Schmerz und die Mühsal,
dir den Weg verwehrt,
deine eigene Klinge,
ins Ziel zu führen.

#83:  Autor: Einstein BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 01:23
    —
vorläufig leereditiert -alae

#84:  Autor: Einstein BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 01:24
    —
vorläufig leereditiert -alae

#85:  Autor: Die FiktionWohnort: Düsseldorf BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 01:25
    —
Einstein hat folgendes geschrieben:
vorläufig leereditiert -alae


Wiederholungen sind keine Argumente.

#86:  Autor: Einstein BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 01:25
    —
vorläufig leereditiert -alae

#87:  Autor: Einstein BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 01:26
    —
vorläufig leereditiert -alae

#88:  Autor: Die FiktionWohnort: Düsseldorf BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 01:28
    —
Einstein hat folgendes geschrieben:
vorläufig leereditiert -alae


Ein Stein,

Massiv und unbeweglich.

....tote Materie.

hübscher Nick.

#89:  Autor: nocquae BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 01:28
    —
Zitat:
Es waren einmal acht lustige Könige. Die lebten. Sie hießen aber so und so. Wer heißt überhaupt? Man nennt ihn. Eines Tages aber sprachen die lustigen Könige zueinander, wie Könige zueinander sprechen:
„Die Welt ist ohne Salz; lasst uns nach Salz gehen!“ sagte der zweite.
„Und wenn es Pfeffer wäre“, meinte der sechste.
„Wer weiß das Neue?“ fragte der fünfte.
„Ich!“ rief der siebente.
„Wie nennst du’s?“ fragte der erste.
„Das Unterirdische“, erwiderte der siebente, „das Links, das Rechts, das Dazwischen, das Nächtliche, die Quadrate des Unsinnlichen über den drei Seiten des Sinnlichen.“

Denk mal drüber nach.

#90:  Autor: Einstein BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 01:30
    —
vorläufig leereditiert -alae

#91:  Autor: Die FiktionWohnort: Düsseldorf BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 01:32
    —
Einstein hat folgendes geschrieben:
vorläufig leereditiert -alae


Quält dich dieses Elend der Welt so sehr ?

#92:  Autor: beachbernieWohnort: Haida Gwaii BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 01:39
    —
Die Fiktion hat folgendes geschrieben:
Einstein hat folgendes geschrieben:
vorläufig leereditiert -alae


Quält dich dieses Elend der Welt so sehr ?



Jetzt lass doch den Bub! Wenn er Spass dran hat...

#93:  Autor: Die FiktionWohnort: Düsseldorf BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 01:43
    —
beachbernie hat folgendes geschrieben:
Die Fiktion hat folgendes geschrieben:
Einstein hat folgendes geschrieben:
vorläufig leereditiert -alae


Quält dich dieses Elend der Welt so sehr ?



Jetzt lass doch den Bub! Wenn er Spass dran hat...


Ok, ist eh schon spät und langsam Zeit, die Spielsachen weg zuräumen Smilie

#94:  Autor: alae BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 07:46
    —
Wenn der wieder auftaucht, bitte zitiert ihn nicht. Deprimiert

#95:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 11:24
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
[...]- was ist überhaupt das, was wir als 'Realität' bezeichnen?


Dazu habe ich ungefähr folgende Ansicht:
zelig hat folgendes geschrieben:
Stellen wir uns vor, die Forscher unter den Fledermäusen, die unter den Zitteraalen, und die der Menschen hätten jeweils eine TOE (ich behaupte damit nicht, daß es sowas jemals geben wird), formuliert. Ist nicht das, worauf die 3 TOEs verweisen, exakt identisch? Obwohl ihnen vielleicht unterschiedliche Entitäten und so zugrunde liegen? Und ist dann nicht das etwas, wovon man sagen müsste, das existiert?

#96:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 15:06
    —
Die Fiktion hat folgendes geschrieben:
Einstein hat folgendes geschrieben:
vorläufig leereditiert -alae


Wiederholungen sind keine Argumente.

Wo er Recht hat, hat er Recht. Schulterzucken

#97:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 22:03
    —
step hat folgendes geschrieben:
Und nun zur "Simulation", ich finde u.a. folgende Fragen sinnvoll:

- Befindet sich unser Gehirn in einem Tank, wird ihm also alles scheinbar Äußere nur vorgegaukelt? Und unter welchen Bedingungen könnte man das unterscheiden?

- Ist das Universum, wie wir es sehen, als solches ein Experiment einer höheren Intelligenz (also die Physik sozusagen ein Baukastenspiel)? Und unter welchen Bedingungen könnte man das unterscheiden?

Solche Fragen finde ich sinnvoll, weil es - jedenfalls prinzipiell - denkbar wäre, daß man sie entscheiden kann. Das hängt recht eng mit Wirklichkeitskriterien zusammen, die dann keinerlei "ultimat-metaphysisches" mehr haben.

Ich empfinde diese Fragen per se als unsinnig. Unsere Realität ist das, was wir darunter verstehen. Es ergibt mE keinen Sinn, zu sagen: aber die ist simuliert!

Das wäre die Frage, was eigentlich hinter unserer Realität steckt und die eben finde ich nicht sinnvoll.

Naja, das ist verdammt schwer zu erklären, wie ich das meine und es ist verdammt einfach, das misszuverstehen, glaube ich.

Nehmen wir mal völlig hypothetisch an, unsere Welt sei in eine anderen Welt eingebettet, die unsere Welt simuliert. Und die vielleicht wieder in eine andere und so fort. So eine Art Zwiebelschalenmodell.

Aber das machte mE keinen Unterschied für unsere Realität. Unsere Realität bliebe unsere Realität.

Siehe dazu mal wieder dies, von dieser Seite.

Das finde ich ziemlich überzeugend.

Und ob die Physik 'sozusagen ein Baukastenspiel' ist, können wir prinzipiell nicht wissen. Die Frage erscheint mir noch nicht einmal sinnvoll stellbar.

Ein Naturgesetz ist einfach nur eine Beschreibung von beobachteten Gesetzmäßigkeiten in unserer Welt. Mehr nicht, da steckt mE nichts weiter dahinter, diese Frage läuft unweigerlich auf einen infiniten Regress hinaus, der nicht auflösbar ist. Mag zwar natürlich sein, dass ein Naturgesetz auf etwas Grundsätzlicheres zurückführbar ist, dann gibt es dann eben ein neues Naturgesetz. Aber dieselbe Frage stellt sich dann erneut und das unweigerlich ad infinitum.

Und dass man ein Naturgesetz aus unserer Welt in ein hypothetische 'Zwiebelschalenwelt' übertragen kann, scheint mir erst mal wenig plausibel. Vielleicht ist die jenseits unserer Vorstellungskraft.

step hat folgendes geschrieben:
Ich denke, irgendwann werden wir ein Weltbild haben, in dem "Wirklichkeit" ein abhängiger Begriff geworden ist, sprich auf physikalische Kriterien (oder etwas noch fundamentaleres) reduziert ist. In demselben Maße werden ontologische Scheinprobleme verschwinden, wie etwa das der "ultimate reality".

Naja, wie gesagt, glaube ich zwar auch, dass die Annahme einer "ultimate reality" völlig in die Irre führt, (wie unterscheidet man eine "ultimate reality" von einer "not yet ultimate reality"?), aber ich glaube, wohl anders als Du, dass das, was wir unter 'Realität' verstehen, schlicht per se nicht reduziert werden kann. Es gibt keine 'physikalischen Kriterien' für Realität und die kann es mE auch nicht geben. 'Realität' ist schlicht ein grundlegender Begriff, dem alles andere sozusagen untergeordnet ist. Z.B. auch die 'physikalische Kriterien'.

#98:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 22:31
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
[...]
- was ist eigentlich eine 'naturgesetzliche Relation'? Ein Konstrukt oder mehr als das? Wenn mehr: was mehr?

Einer meiner geheimen Gedanken ist, daß die Wirklichkeit ohne Bewußtsein nicht relational ist. Eine "'naturgesetzliche Relation'" wäre demnach eine Relation, die das Bewusstsein dem Teil der Wirklichkeit zuweist, von dem es sich selber ausnimmt.

Hm, also ich würde lügen, wenn ich so täte, als ob ich das verstehen würde.

Ich kann aber dem zustimmen:

El Schwalmo hat folgendes geschrieben:
[...] 'da draußen', wie schon ein 'Klassiker' sagte, [gibt es] 'Atome und leeren Raum' [...], der Rest aber [sei] 'Meinung'


zelig hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
[...]- was ist überhaupt das, was wir als 'Realität' bezeichnen?

Dazu habe ich ungefähr folgende Ansicht:
zelig hat folgendes geschrieben:
Stellen wir uns vor, die Forscher unter den Fledermäusen, die unter den Zitteraalen, und die der Menschen hätten jeweils eine TOE (ich behaupte damit nicht, daß es sowas jemals geben wird), formuliert. Ist nicht das, worauf die 3 TOEs verweisen, exakt identisch? Obwohl ihnen vielleicht unterschiedliche Entitäten und so zugrunde liegen? Und ist dann nicht das etwas, wovon man sagen müsste, das existiert?

Wenn es so ist, wie ich glaube, (s.o. das Zitat von ES), kann es keine TOE geben.

Falls hier 'TOE' nicht im physikalischen Sinne gemeint ist, sondern in dem Sinne, dass es eine Theorie / Erkenntnis geben könne, aus der sich alle Phänomene unserer Welt ableiten ließen und sich daraus eine einzige objektive Wahrheit (inkl. aller normativen Bewertungen) herauskristallisierte. Was mE dasselbe wäre wie der 'god's point of view'.

Und eben genau das ist doch der Punkt, den ich so stark anzweifele, der, ich ablehne. Mir scheint, da steckten bisher nicht genannte Prämissen drin, die mE schlicht, wenn sie genannt würden und man sie betrachtete, inkohärent sind.

Nochmal dies dazu:

Wikipedia- Interner Realismus hat folgendes geschrieben:
Das Hauptargument Putnams ist das „modelltheoretische Argument”. Hierzu definierte Putnam zunächst die Gegenposition des „metaphysischen Realismus“. Dieser besteht danach aus drei Grundthesen:

1. Die Welt besteht aus einer irgendwie bestimmten Gesamtheit von geistunabhängigen Objekten.
2. Es gibt genau eine wahre und vollständige Beschreibung vom Sein der Welt.
3. Wahrheit besteht in einer Art Korrespondenzbeziehung zwischen Wörtern oder Gedankenzeichen und externen Gegenständen oder Sachverhalten.


Meine Ansicht ist nun: Es gibt nicht genau eine wahre und vollständige Beschreibung vom Sein der Welt.

Ob das, auf das die TOE in Deiner Frage verweist, identisch ist, ist eine andere Frage. Die eigentliche Frage ist mE, ob das dann identisch mit dem 'Sein' ist. Und eben das bestreite ich doch. Ein reines Sein ohne Interpretation, ohne Meinung ist belanglos und keinesfalls ist das dann (zumindest meiner Auffassung nach) das 'eigentlich', 'wahre', 'tatsächliche' Sein, (und die Interpretation, die Meinung, die Konstrukte folglich ein Nicht[Sein]).

Dieses Thema ist so furchbar kompliziert und leider bin ich überhaupt nicht fähig, mich auch nur halbwegs so auszudrücken, wie ich gerne wollte. Was ich sehr bedauere.

Na gut, aber als Ausgleich muss ich jetzt noch was anhängen, was anderes, was Einfacheres.

#99:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 22:36
    —
Und da aller guten Dinge drei sind, spule ich jetzt nochmal zurück zur 'Ich-Illusion', die Frage, die hier mE immer noch offen ist: was ist das Y bei einer 'Ich-Illusion' und wie würde eine korrekte Wahrnehmung von sich selber aussehen?

Dazu habe ich mal ein bisschen geggogelt, bin auf folgenden Artikel über 'Ich-Illusion' gestoßen und auf diesen anschließenden Leser-Kommentar dazu, den ich recht treffend fand, die Faust aufs Auge sozusagen:

Die große Illusion hat folgendes geschrieben:
Bei allen "Erkenntnissen", mit denen uns die Hirnforscher in den letzten Jahren beglückt haben, habe ich mich stets gefragt: Welch naives Menschenbild haben sie gehabt, dass sie aus dem Staunen nicht mehr raus kommen, wenn sie uns berichten, was jedem durch Selbstbeobachtung und ein bisschen Überlegung klar werden kann. Das ist, als würden sie ein TV-Gerät auseinandernehmen und verkünden, da sitze ja gar kein Nachrichtensprecher drin, alles wäre nur Illusion.

#100:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 22:51
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Naja, wie gesagt, glaube ich zwar auch, dass die Annahme einer "ultimate reality" völlig in die Irre führt, (wie unterscheidet man eine "ultimate reality" von einer "not yet ultimate reality"?), aber ich glaube, wohl anders als Du, dass das, was wir unter 'Realität' verstehen, schlicht per se nicht reduziert werden kann. Es gibt keine 'physikalischen Kriterien' für Realität und die kann es mE auch nicht geben. 'Realität' ist schlicht ein grundlegender Begriff, dem alles andere sozusagen untergeordnet ist. Z.B. auch die 'physikalische Kriterien'.

Begriffe, denen alles andere untergordnet ist, machen aber mE keinen Sinn. Wenn alles, über das wir reden können, "real" ist, ist der Begriff genauso sinnleer wie eine "ultimate reality". Sobald wir unter "real" jedoch etwas verstehen wollen dergestalt, daß auch "nicht real" ein sinnvoller Begriff ist, muß es auch Kriterien dafür geben. Diese müssen sich wiederum an unserem Modell der Welt festmachen (etwas anderes haben wir nicht), und das bedeutet derzeit, sie sind physikalisch formulierbar.

#101:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 22:56
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ein Naturgesetz ist einfach nur eine Beschreibung von beobachteten Gesetzmäßigkeiten in unserer Welt. Mehr nicht, da steckt mE nichts weiter dahinter, diese Frage läuft unweigerlich auf einen infiniten Regress hinaus, der nicht auflösbar ist. Mag zwar natürlich sein, dass ein Naturgesetz auf etwas Grundsätzlicheres zurückführbar ist, dann gibt es dann eben ein neues Naturgesetz. Aber dieselbe Frage stellt sich dann erneut und das unweigerlich ad infinitum.

Moment. Wir sind uns ja einig, daß keine "ultimate reality" erkennbar ist. Ich rede hier nur über "gute Modelle". Selbstverständlich ist ein Naturgesetz nur ein gutes Modell und hat keinerlei ontologische oder metaphysische oder ultimate Bedeutung, jedenfalls können wir die nicht erkennen.

#102:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 12.11.2010, 23:46
    —
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Naja, wie gesagt, glaube ich zwar auch, dass die Annahme einer "ultimate reality" völlig in die Irre führt, (wie unterscheidet man eine "ultimate reality" von einer "not yet ultimate reality"?), aber ich glaube, wohl anders als Du, dass das, was wir unter 'Realität' verstehen, schlicht per se nicht reduziert werden kann. Es gibt keine 'physikalischen Kriterien' für Realität und die kann es mE auch nicht geben. 'Realität' ist schlicht ein grundlegender Begriff, dem alles andere sozusagen untergeordnet ist. Z.B. auch die 'physikalische Kriterien'.

Begriffe, denen alles andere untergordnet ist, machen aber mE keinen Sinn. Wenn alles, über das wir reden können, "real" ist, ist der Begriff genauso sinnleer wie eine "ultimate reality". Sobald wir unter "real" jedoch etwas verstehen wollen dergestalt, daß auch "nicht real" ein sinnvoller Begriff ist, muß es auch Kriterien dafür geben. Diese müssen sich wiederum an unserem Modell der Welt festmachen (etwas anderes haben wir nicht), und das bedeutet derzeit, sie sind physikalisch formulierbar.

Ja, also da habe ich mich sicher noch zu missverständlich ausgedrückt.

Natürlich meine ich nicht, dass alles real ist. Es muss mE immer einen Gegenbegriff zu einem Begriff geben, (naja, vielleicht ausgenommen der Begriff 'Universum', weiß jetzt nicht so recht), ansonsten ist der Begriff wenig hilfreich, ist sinnlos.

Mein Gegenbegriff zu 'real' wäre 'nur eingebildet', (eine Vorstellung, ein Gedanke, eine Halluzination, ein Traum oder dergleichen).

Wobei ich aber damit auch nicht diese Begriff für sich meine, (es ist mE widersprüchlich, zu sagen: 'Du bildest Du nur ein, dass Du Dir etwas einbildest'), sondern das, worauf sich jeweils die Einbildung bezieht. Das ist nicht real, wenn es sich auf nichts bezieht.

Ja, ich gebe zu: das ist höllisch schwer darzustellen, kann sein, dass ich das falsch ausgedrückt habe, ich kann nur hoffen, dass das dennoch jemand versteht.

Gibt es Kriterien dafür, wie ich eine reine Einbildung von etwas Realem unterscheiden kann? Naja, eigentlich nicht direkt. Ich kann mich dreimal zwicken, andere fragen, ob sie das auch wahrnehmen, was ich wahrnehme und dann muss ich irgendwie entscheiden.

Sicher ist das nie, ich kann meinen, ich sei wach, obgleich ich träume und die anderen können demnach auch geträumt sein. Was ich aber nur erkennen kann, wenn ich nochmal aufwache und somit Traum und Nicht(Traum) irgendwie meine, unterscheiden zu können.

Mit 'untergeordnet' meinte ich die 'physikalischen Kriterien'. In meiner Sicht ist es ja so, dass wir niemals einen Standpunkt außerhalb von uns einnehmen können, (wir können zwar von uns und unseren Einstellungen abstrahieren, und das mE gar beliebig weit), aber dennoch enthält mE jeder Standpunkt eine subjektive Komponente. Auch wenn ich abstrahiere, wenn das nicht meine ist, selbst wenn ich in allen Punkten einen zu meinem subjektiv als richtig angesehenen entgegengesetzten Standpunkt einnähme. Aber ein Standpunkt gänzlich ohne subjektive Komponenten ist mE überhaupt kein Standpunkt mehr, da bleibt schlicht nichts mehr übrig.

#103:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 13.11.2010, 01:24
    —
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ein Naturgesetz ist einfach nur eine Beschreibung von beobachteten Gesetzmäßigkeiten in unserer Welt. Mehr nicht, da steckt mE nichts weiter dahinter, diese Frage läuft unweigerlich auf einen infiniten Regress hinaus, der nicht auflösbar ist. Mag zwar natürlich sein, dass ein Naturgesetz auf etwas Grundsätzlicheres zurückführbar ist, dann gibt es dann eben ein neues Naturgesetz. Aber dieselbe Frage stellt sich dann erneut und das unweigerlich ad infinitum.

Moment. Wir sind uns ja einig, daß keine "ultimate reality" erkennbar ist. Ich rede hier nur über "gute Modelle". Selbstverständlich ist ein Naturgesetz nur ein gutes Modell und hat keinerlei ontologische oder metaphysische oder ultimate Bedeutung, jedenfalls können wir die nicht erkennen.

Hervorhebung von mir

Ja, wir sind uns zwar soweit einig, aber dennoch gibt es, so wie ich das sehe, einen Dissens. Meiner Ansicht ergibt es nämlich schlicht auch keinen Sinn, von einer "ultimate reality" jenseits unserer Erkenntnisfähigkeit zu reden.

Alleine dadurch, dass die "ultimate reality" für uns prinzipiell nicht erkennbar ist, folgt, dass es sie nicht geben kann.

Es sei denn mal wieder, man würde einen 'god's point of view' implizit annehmen.

Aber den kann es nun mal nicht geben. Meiner Meinung nach. Jeder Standpunkt erfordert Subjektivität, d.h. eine Bewertung und die muss von etwas abhängen, was nicht weiter begründet werden kann, der kann nicht ohne Grundannahmen objektiv sein. Er muss ergo kontingent sein. Und könnte folglich auch anders sein.

Aber, wie schon versucht zu sagen: kommt natürlich darauf an, was man unter dem 'Sein' versteht. Wenn man nur Deskriptives darunter verstehen will, dann mag eine physikalische TOE möglich sein.

Wenn man aber darunter auch Normatives versteht oder einfach nur auch Interpretation von Deskritivem, wenn man meint, dass das Sein nicht lediglich deskriptiv hinreichend erfasst werden kann, dann kann es keine (die einzig wahre) TOE geben.

#104:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 13.11.2010, 08:53
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Meinem Verständnis nach könnte man aber nun zumindest sagen, dass dieser mein Glaube (-> alle Phänomene unserer Welt - auch die mentalen - supervenieren über physikalischen Prozessen) zumindest eine notwendige Bedingung dafür ist, damit sich jemand als Physikalist bezeichnen kann.
Mag zwar sein, dass das alleine noch keine hinreichende Bedingung ist, es also noch andere notwendige Bedingungen gibt, (nach einer gemeinhin akzeptierten Definition). Jedoch kenne ich diese anderen notwendigen Bedingungen leider zurzeit nicht.
Falls jemand die nennen könnte, kann ich beurteilen, ob ich nach seinen Kriterien ein Physikalist bin oder nicht.


"According to the stronger use, materialism is the doctrine that either Eliminative Materialism or Reductive Materialism holds. According to the weaker use, materialism is the doctrine that one of Eliminative Materialism, Reductive Materialism, or Supervenience Materialism holds."
———
"Im stärkeren Sinn ist der Materialismus [Physikalismus] die Lehre, dass entweder der eliminative Materialismus oder der reduktive Materialismus [Behaviorismus, Funktionalismus oder Identismus] zutrifft. Im schwächeren Sinn ist der Materialismus die Lehre, dass einer der drei Ismen zutrifft: der eliminative Materialismus, der reduktive Materialismus oder der Supervenienz-Materialismus."
[© meine Übers.]

(Koons, Robert C., and George Bealer, eds. Introduction to The Waning of Materialism. Oxford: Oxford University Press, 2010. xvi)

Anmerkung:
Es wird zwischen nomologischer und ontologischer Supervenienz unterschieden. Erstere meint naturgesetzlich bestimmte Supervenienz in der wirklichen Welt, aber nicht in allen anderen möglichen Welten. Dagegen meint letztere Supervenienz in der wirklichen Welt und in allen anderen möglichen Welten. Der Supervenienz-Physikalismus muss wohl die stärkere, ontologische Supervenienz des Nichtphysischen über dem Physischen postulieren, um überhaupt noch als eine Art von Physikalismus durchzugehen.

#105:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 13.11.2010, 12:24
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Meiner Ansicht ergibt es nämlich schlicht auch keinen Sinn, von einer "ultimate reality" jenseits unserer Erkenntnisfähigkeit zu reden.

Auch da gehe ich noch mit.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Alleine dadurch, dass die "ultimate reality" für uns prinzipiell nicht erkennbar ist, folgt, dass es sie nicht geben kann.

Ja, das kann man so formulieren. Denn "geben" ist ja wiederum nichts anderes, als daß wir bestimmte Wirklichkeitskriterien für erfüllt halten.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... kommt natürlich darauf an, was man unter dem 'Sein' versteht. Wenn man nur Deskriptives darunter verstehen will, dann mag eine physikalische TOE möglich sein.

Zum einen wird eine physikalische TOE selbstverständlich nur so verstanden - jedenfalls von Physikern. Darüberhinaus bin ich allerdings der Meinung, daß sinnvolle Aussagen immer deskriptiv sind. Wenn zum Beispiel jemand sagt "ich wünsche mir Frieden auf der Welt", so ist das zwar keine physikalische Theorie, wohl aber eine deskriptive Aussage, es beschreibt seine individuellen Präferenzen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... wenn man meint, dass das Sein nicht lediglich deskriptiv hinreichend erfasst werden kann, ...

Was genau meinst Du denn hier mit "hinreichend erfassen"? Daß Erleben etwas anderes ist, als das Erlebte zu beschreiben?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... dann kann es keine (die einzig wahre) TOE geben.

Wie gesagt, Ziel einer TOE ist überhaupt nicht "einzige Wahrheit", sondern "derzeit bestes voraussagefähiges Modell" zu sein.

#106:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 13.11.2010, 19:55
    —
Bin gerade etwas ratlos, wie ich meinen Standpunkt besser darstellen kann.

Ich möchte nun einfach mal ein paar Zitate zusammenhanglos dahinstellen, denen ich mich anschließe, (sofern ich nichts weiter dazu sage). Vielleicht hilft das ja irgendwie weiter.

Wikipedia - Realismus hat folgendes geschrieben:
Rudolf Carnap hat die philosophische Diskussion um die Entgegensetzung von Realismus und Idealismus als Scheinproblem bezeichnet. Die Beantwortung dieser Frage war für ihn wegen der metaphysischen Voraussetzungen, die sowohl mit der These des Realismus als auch mit der These des Idealismus verbunden sind, nicht sinnvoll und für den Fortschritt der Wissenschaften auch nicht notwendig. [...] Auch Richard Rorty hat die Frage nach Realismus und Antirealismus abgelehnt. Er beschrieb den Gegensatz zwischen Davidson und Nagel (vgl. oben) als Antinomie. Während der Realismus mit einer Korrespondenztheorie der Wahrheit verbunden wird, fordert der antirealistisch eingestellte Philosoph eine Kohärenz der Aussagen über Tatsachen, um sie als wahr anzuerkennen. Rorty war der Auffassung, dass zwischen beiden Wahrheitsbegriffen im Kern kein Widerspruch besteht. Damit war für ihn de facto kein Gegensatz zwischen Realismus und Idealismus gegeben. Eine ähnliche Position vertritt Simon Blackburn. Ob man das modelltheoretische Argument prüfe oder dem Kriterium der Bivalenz folge oder weitere Diskussionspunkte zugrunde lege, immer werden Realisten und Antirealisten am Ende Aussagen über Gegenstände und Tatsachen in gleicher Weise akzeptieren.

Wikipedia - Reduktionismus hat folgendes geschrieben:
Während die beiden vorherigen Einwände einzelne Phänomene beschrieben haben, die irreduzibel sein sollen, ist die pluralistische Kritik generell ausgerichtet. Ein Pluralist erklärt, dass Menschen ganz verschiedene Zugänge zur Welt haben und es gar keinen Grund dafür gibt, anzunehmen, dass sich diese Zugänge alle aufeinander reduzieren lassen. Auch Pluralisten geben zu, dass es Reduktionen gibt, doch sie argumentieren, dass der Reduktionismus auf einer einseitigen Bevorzugung bzw. Verabsolutierung der physikalischen Beschreibung der Welt beruhe. Innerhalb des Pluralismus lassen sich zwei Strömungen unterscheiden. Zum einen gibt es eine antirealistisch ausgerichtete Strömung, die erklärt, dass es aussichtslos sei, hinter den verschiedenen Beschreibungen der Welt noch ein beschreibungsunabhängiges „So-Sein“ der Welt zu suchen. Als ihr wichtigster Vertreter kann Nelson Goodman angesehen werden.

Hervorhebung von mir.

Wikipedia - Nelson Goodman hat folgendes geschrieben:
In den "Weisen der Welterzeugung" wendet sich Goodman der Ontologie zu. Er löst das logische Dilemma, wonach zwei Weltbeschreibungen in sich widerspruchslos und in diesem Sinne wahr sein können, sich aber einander widersprechen, dahingehend auf, dass diese beiden Beschreibungen nicht die gleiche, sondern zwei verschiedene Welten beschreiben. Beispielsweise sind sowohl: "die Erde bewegt sich", als auch: "die Erde steht still" beide wahr, abhängig vom jeweiligen Bezugsrahmen. Ein Astronom, der kosmische Bewegung untersucht, untersucht eine Erde, die sich bewegt. Ein Wächter mit dem Befehl, Gefangene zu erschießen, sobald sie sich bewegen, wird dies eher nicht tun, "weil sie sich mit hoher Geschwindigkeit um die Sonne bewegt haben". Es handelt sich um zwei verschiedene Weltversionen.

Wikipedia - Weltformel (= TOE) hat folgendes geschrieben:
Das Konzept einer Theory of everything steht im Mittelpunkt einer innerwissenschaftlichen Debatte um Reduktionismus. Manche Wissenschaftler, darunter Robert B. Laughlin und Philip W. Anderson, bestreiten die grundsätzliche Möglichkeit, mit einer solchen Theorie komplexe Sachverhalte zu erklären [...] und stellen ihr die Konzepte von Emergenz und Selbstorganisation entgegen.

Focus - Gibt es eine Weltformel? hat folgendes geschrieben:
Das große Ziel der Physiker ist also, eine quantentheoretische Beschreibung der Gravitation zu finden, kurz eine Quantengravitation. Sie entspräche der Weltformel.

Laughlin aber glaubt, dass sie sich nie finden lässt, denn schon der erkenntnistheoretische Ansatz, mit dem die Physiker an die Vereinigung der Formelwerke herangehen, sei falsch. Es liege in unserer Natur, uns mit Hilfe absoluter Wahrheit zu orientieren, argumentiert er. Dann aber würden wir verwirrt und unentschieden vor der Frage stehen, was das eigentlich ist.

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Und dann nochmal kurz was dazu:

Die große Illusion hat folgendes geschrieben:
Hirnforscher stellen fest, dass wir nicht die Welt wahrnehmen, sondern ein Fantasiebild, das sich mit ihr deckt – meistens.

Diese Aussage, so für sich genommen, halte ich für richtig.

Aber: wenn wir jetzt noch die Überschrift "Die große Illusion" dazunehmen, (die, nehme ich an, von einem Redakteur hinzugedichtet wurde), dann wird das irgendwie falsch.

Der Punkt ist: das Fantasiebild ist insofern ein Fantasiebild, als es kontingent ist, (es kann sehr viele unterschiedliche Fanatsasiebilder geben, von denen man mit gleicher Berechtigung sagen kann, dass sie sich mit der Welt decken), aber dieses Fantasiebild ist dennoch keine Illusion. Eine Illusion wäre es nach meinem Verständnis von 'Illusion' nur dann, wenn es das (einzige, endgültige) richtige Bild der Welt geben könnte. Aber das kann es meiner Ansicht nach nun mal nicht geben, ich halte die implizite Annahme, die mE dahintersteckt, für nicht begründbar, für eine metaphysische Annahme, deren Nutzen ich nicht sehen kann. Geschweige denn, dass die irgendwie begründet werden könnte.

#107:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 13.11.2010, 21:37
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

[quote="Wikipedia - Realismus"]Rudolf Carnap hat die philosophische Diskussion um die Entgegensetzung von Realismus und Idealismus als Scheinproblem bezeichnet. …


Die (logisch-)positivistische Behauptung, metaphysische Probleme wären bloß bedeutungslose Scheinprobleme, wird von den meisten zeitgenössischen Vertretern der analytischen Philosophie zurückgewiesen, welche die Metaphysik längst wieder als seriöse rationale Disziplin anerkennen.

#108:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 13.11.2010, 21:56
    —
Ja, da stimme ich zu.

Es geht mir aber hier nicht um Metaphysik insgesamt, die ich in Bausch und Bogen verdammen wollen würde, (und in dem Zitat oben von Carnap ging es auch nicht darum - ganz egal, was auch Carnap ansonsten von Metaphysik hielt), sondern nur um einen ganz bestimmten Teilbereich von Metaphysik, nämlich den, der einen grundlegenden Unterschied zwischen dem weltbild eines Realisten und dem eines Idealisten sieht.

Wo soll dieser Unterschied aber liegen?

Welche metaphysische Voraussetzung muss man voraussetzen, um hier einen Unterschied zu sehen?

Wodurch unterscheiden sich Idealisten und Realisten prinzipiell?

Edit: danke übrigens für Deine Antwort weiter oben.

Frage dazu: auf welcher Grundlage ist Deiner Ansicht nach das Postulat "ontologische Supervenienz des Nichtphysischen über dem Physischen [gelte in allen möglichen Welten]" gerechtfertigt? Wieso ist das gerechtfertigter als das gegensätzliche Postulat oder eine agnostische Auffassung diesbezüglich?

#109:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 13.11.2010, 22:09
    —
Supervenienz-Physikalismus+:
1. (Starker) Supervenienz-Physikalismus: Das Nichtphysische steht zum Physischen in der Beziehung der ontologischen Supervenienz.
2. (Starker) Substanz-Physikalismus: Nichtphysische Substanzen (konkrete Objekte oder Materialien) sind ontologisch unmöglich, d.h. sie kommen in keiner möglichen Welt vor.
2 ist eine sehr starke These, weil sie nicht nur die Nichtexistenz von Geistern, Seelen und ektoplasmaartigen Stoffen postuliert, sondern auch deren notwendige Nichtexistenz.

(Ich habe am 14.11./00:30 versehentlich auf EDIT statt auf ZITAT geklickt, und nun fehlen hier einige Sätze, die ich nicht wiederherstellen kann.)


Zuletzt bearbeitet von Myron am 14.11.2010, 01:33, insgesamt 4-mal bearbeitet

#110:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 13.11.2010, 22:16
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Wikipedia - Nelson Goodman hat folgendes geschrieben:
In den "Weisen der Welterzeugung" wendet sich Goodman der Ontologie zu. Er löst das logische Dilemma, wonach zwei Weltbeschreibungen in sich widerspruchslos und in diesem Sinne wahr sein können, sich aber einander widersprechen, dahingehend auf, dass diese beiden Beschreibungen nicht die gleiche, sondern zwei verschiedene Welten beschreiben. Beispielsweise sind sowohl: "die Erde bewegt sich", als auch: "die Erde steht still" beide wahr, abhängig vom jeweiligen Bezugsrahmen. Ein Astronom, der kosmische Bewegung untersucht, untersucht eine Erde, die sich bewegt. Ein Wächter mit dem Befehl, Gefangene zu erschießen, sobald sie sich bewegen, wird dies eher nicht tun, "weil sie sich mit hoher Geschwindigkeit um die Sonne bewegt haben". Es handelt sich um zwei verschiedene Weltversionen.

Was Goodman hier behauptet, ist falsch.

Zitat:
Beispielsweise sind sowohl: die Erde bewegt sich", als auch: "die Erde steht still" beide wahr, abhängig vom jeweiligen Bezugsrahmen.

Man denke sich einen Planeten, der hinreichend schnell rotiert. Dann würde der Wächter aufgrund von Coriolis-Kräften daneben schießen.

Coriolis-Kräfte nennt man Schein-Kräfte. Ich nenne das Argument von Goodman ein Schein-Argument. Auf den Arm nehmen

Focus - Gibt es eine Weltformel? hat folgendes geschrieben:
Das große Ziel der Physiker ist also, eine quantentheoretische Beschreibung der Gravitation zu finden, kurz eine Quantengravitation. Sie entspräche der Weltformel.

Laughlin aber glaubt, dass sie sich nie finden lässt, denn schon der erkenntnistheoretische Ansatz, mit dem die Physiker an die Vereinigung der Formelwerke herangehen, sei falsch. Es liege in unserer Natur, uns mit Hilfe absoluter Wahrheit zu orientieren, argumentiert er. Dann aber würden wir verwirrt und unentschieden vor der Frage stehen, was das eigentlich ist.

ROFL.

Das ist hanebüchener Unsinn. Denn, erstens, wurden bereits alle Kräfte bis auf die Gravitation vereinigt.

Zweitens ist die Frage: "was ist das eigentlich?" letztlich unsinnig. Es reicht, herauszufinden: "wie läuft etwas ab."

#111:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 13.11.2010, 22:37
    —
@Myron

Da scheinst Du mir jetzt drei Themen zu behandeln:

1. Wann ist ein Postulat gerechtfertigt und was versteht man unter einem Postulat genau?

Zuerst mal verstehe ich unter einem 'Postulat' etwas, das nicht weiter begründet werden kann, d.h. eine Setzung.

Und unabhängig davon kann man nun mE zwei Positionen vertreten:

a) Die 'schwache' Position: ein Postulat ist lediglich eine Arbeitshypothese, die keine Aussage über die Wirklichkeit macht, bzw. nur eine explizit vorläufige

b) Die 'starke' Position, die eine Aussage über die Wirklichkeit machen will, die gegenüber anderslautenden Postulaten Geltung beansprucht

Bei dieser Frage verstehe ich nicht, wie man die Position 1b einnehmen kann. Damit kann man doch nie punkten, der Meinungsgegner hält einfach ein anderes Postulat dagegen und das war's dann. Mehr ist nicht. Oder man hat mehr als ein Postulat, nämlich eine These, die man irgendwie begründen kann. Aber bezüglich möglicher Welten fällt das doch schlicht per se flach. Mögliche Welten müssen logisch möglich sein, aber doch mehr nicht.

2. die viel grundsätzlichere Frage: was ist eigentlich ein 'Geisterreich'? Was sind 'immaterielle / sprituelle' Substanzen? Wie unterscheiden die sich von 'physikalischen Substanzen'? Ist das Konzept 'immaterielle Substanzen' überhaupt ein kohärentes Konzept? Gibt es einen prinzipiellen Unterschied zwischen 'immateriellen / sprituellen Substanzen' und 'physikalischen Substanzen'? Welcher aber ist das?

und 3. die Frage: was sind die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für Physikalismus? Aber diese Frage interessiert mich hier nur am Rande, die können wir gerne droppen.

#112:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 13.11.2010, 22:42
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Was Goodman hier behauptet, ist falsch.

Nein.

smallie hat folgendes geschrieben:
Ich nenne das Argument von Goodman ein Schein-Argument. Auf den Arm nehmen

Du darfst tun, was Du willst, solange Du mir zugestehst, zu tun, was ich will.

smallie hat folgendes geschrieben:
Zweitens ist die Frage: "was ist das eigentlich?" letztlich unsinnig. Es reicht, herauszufinden: "wie läuft etwas ab."

Ja, das ist eigentlich mein Thema hier gerade.

Sowohl die Frage: 'was ist das eigentlich?' als auch die implizit darin steckende Frage: 'was steckt wirklich dahinter?' halte ich für unsinnig.

Und die Frage: 'wie läuft etwas ab?' kann doch dann logischerweise nicht endgültig beantwortet werden. Falls damit gemeint sein sollte: 'wie läuft etwas tatsächlich ab?'

#113:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 13.11.2010, 22:47
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Wodurch unterscheiden sich Idealisten und Realisten prinzipiell?


Dem Idealismus zufolge ist das Physische (Materielle) vom Psychischen (Mentalen/Spirituellen) abhängig und davon abgeleitet. Es existiert nur relativ zu Repräsentationen (Vorstellungen) oder als subjektrelatives Phänomen (phänomenalistischer Id.), oder als psychisches Konstrukt (konstruktivistischer Id.), oder ist in sich psychisch (reduktionistischer/eliminativistischer Id.).

Das Gegenteil des Idealismus ist der physikalische Realismus, dem zufolge das (fundamentale) Physische repräsentations- und subjektunabhängig ist, und umgekehrt das Psychische vom Physischen abhängig und abgeleitet ist.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Frage dazu: auf welcher Grundlage ist Deiner Ansicht nach das Postulat "ontologische Supervenienz des Nichtphysischen über dem Physischen [gelte in allen möglichen Welten]" gerechtfertigt? Wieso ist das gerechtfertigter als das gegensätzliche Postulat oder eine agnostische Auffassung diesbezüglich?


Das Problem ist, dass es wohl keine empirischen Kriterien gibt, anhand deren man zwischen nomologischer und ontologischer Supervenienz unterscheiden könnte. Supervenienz ist ja im Grunde unzufällige Kovarianz. Wenn dieses Verhältnis besteht, dann lässt es sich zwar (zumindest beim Körper-Geist-Verhältnis) empirisch-statistisch feststellen, aber nicht seine modale Stärke, d.h. nicht, ob nomologische oder ontologische Supervenienz vorliegt. Wer also nur die nomologische, d.i. naturgesetzliche, Supervenienz des Psychischen über dem Physischen postuliert – und damit das Vorhandensein psychophysischer Naturgesetze, die nicht in allen möglichen Welten herrschen –, der ist zumindest aus rein naturwissenschaftlicher Sicht auf der sichereren Seite.
Andererseits vertreten auch dualistische Naturalisten wie David Chalmers die These der nomologischen Supervenienz, wobei sich diese als Antiphysikalisten verstehen. Ich teile die Auffassung, dass der rein nomologische Supervenienz-Physikalismus eigentlich ein Pseudophysikalismus ist und nicht mehr als physikalistischer (materialistischer), sondern nur noch als naturalistischer Standpunkt bezeichnet werden sollten.

#114:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 13.11.2010, 23:07
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wodurch unterscheiden sich Idealisten und Realisten prinzipiell?

Dem Idealismus zufolge ist das Physische (Materielle) vom Psychischen (Mentalen/Spirituellen) abhängig und davon abgeleitet. Es existiert nur relativ zu Repräsentationen (Vorstellungen) oder als subjektrelatives Phänomen (phänomenalistischer Id.), oder als psychisches Konstrukt (konstruktivistischer Id.), oder ist in sich psychisch (reduktionistischer/eliminativistischer Id.).

Das Gegenteil des Idealismus ist der physikalische Realismus, dem zufolge das (fundamentale) Physische repräsentations- und subjektunabhängig ist, und umgekehrt das Psychische vom Physischen abhängig und abgeleitet ist.

So weit, so gut, aber das ist nur ein prinzipieller Unterschied dann, wenn man die gemeinsame Prämisse akzeptiert.

Beiden Konzepten ist gemeinsam, dass sie ein Grundlegendes (das 'Eigentliche') und ein aus dem Grundlegenden Abgeleitetes / vom Grundlegenden Abhängiges postulieren.

Worauf beruht dieses Postulat, ist das irgendwie herleitbar?

Mir scheint das nicht per se selbstverständlich zu sein.

Und sollte dieses Postulat nicht gelten, dann sind beide Auffassungen falsch.

Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Frage dazu: auf welcher Grundlage ist Deiner Ansicht nach das Postulat "ontologische Supervenienz des Nichtphysischen über dem Physischen [gelte in allen möglichen Welten]" gerechtfertigt? Wieso ist das gerechtfertigter als das gegensätzliche Postulat oder eine agnostische Auffassung diesbezüglich?

Das Problem ist, dass es wohl keine empirischen Kriterien gibt, anhand deren man zwischen nomologischer und ontologischer Supervenienz unterscheiden könnte. Supervenienz ist ja im Grunde unzufällige Kovarianz.

Aber wenn es kein empirisches Kriterium gibt, X und Y zu unterscheiden, wieso nimmt man dennoch an, dass X und Y unterschiedlich seien?

Da muss man doch einen rein metaphysischen Unterschied annehmen. Nicht?

Myron hat folgendes geschrieben:
Andererseits vertreten auch dualistische Naturalisten wie David Chalmers die These der nomologischen Supervenienz, wobei sich diese als Antiphysikalisten verstehen. Ich teile die Auffassung, dass der rein nomologische Supervenienz-Physikalismus eigentlich ein Pseudophysikalismus ist und nicht mehr als physikalistischer (materialistischer), sondern nur noch als naturalistischer Standpunkt bezeichnet werden sollten.

Mir scheint da eine solche metaphysische Annahme drin zu stecken, die ich nicht nachvollziehen kann. Die lehne ich einfach aus Prinzip, wegen der intellektuellen Redlichkeit und auch aus pragmatischen Gründen ab.

Wenn jeder beliebige Postulate mit Geltung aufstellen dürfte, dann bleibt doch letztlich nur Schulterzucken ob der gegensätzlichen Postulate.

#115:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 13.11.2010, 23:29
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Da scheinst Du mir jetzt drei Themen zu behandeln:
1. Wann ist ein Postulat gerechtfertigt und was versteht man unter einem Postulat genau?
Zuerst mal verstehe ich unter einem 'Postulat' etwas, das nicht weiter begründet werden kann, d.h. eine Setzung.


Der Physikalismus is ja kein wissenschaftlicher, sondern ein philosophischer Standpunkt.
Seine Grundsätze sind von daher einfach philosophische Annahmen. Diese können nun erfahrungswissenschaftlich bestätigt oder wenigstens verwahrscheinlicht werden oder eben nicht.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Und unabhängig davon kann man nun mE zwei Positionen vertreten:

a) Die 'schwache' Position: ein Postulat ist lediglich eine Arbeitshypothese, die keine Aussage über die Wirklichkeit macht, bzw. nur eine explizit vorläufige

b) Die 'starke' Position, die eine Aussage über die Wirklichkeit machen will, die gegenüber anderslautenden Postulaten Geltung beansprucht

Bei dieser Frage verstehe ich nicht, wie man die Position 1b einnehmen kann. Damit kann man doch nie punkten, der Meinungsgegner hält einfach ein anderes Postulat dagegen und das war's dann. Mehr ist nicht. Oder man hat mehr als ein Postulat, nämlich eine These, die man irgendwie begründen kann.


Bei allen philosophischen Ismen und Anti-Ismen kommt es auf die Argumente und Gegenargumente an, und darauf, diese gegeneinander abzuwägen. Wie genau bei einer solchen Bilanzierung zu verfahren ist, dafür gibt es keinen allgemeingültigen Algorithmus. Und wenn man kein agnostizistischer Zauderer bleiben will, dann muss man für sich eine epistemologisch mehr oder weniger riskante Entscheidung pro oder kontra treffen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Aber bezüglich möglicher Welten fällt das doch schlicht per se flach. Mögliche Welten müssen logisch möglich sein, aber doch mehr nicht.


Ob es neben der rein logischen und nomologischen Modalität überhaupt eine ontologische (metaphysische) Modalität sui generis gibt, ist eine schwierige und umstrittene Frage.
Ich bin jedenfalls der Meinung, dass nicht jede Aussage, die nicht die Form eines formallogischen Widerspruchs aufweist, per se einen ontologisch, d.i. realiter möglichen Sachverhalt wiedergibt.
(Beispiel: "Ein Mann malt einen ausdehnungslosen Ball rot an.")
Von daher halte ich die Unterscheidung zwischen einer logischen und einer ontologischen Modalität für sinnvoll und berechtigt.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

2. die viel grundsätzlichere Frage: was ist eigentlich ein 'Geisterreich'? Was sind 'immaterielle / sprituelle' Substanzen? Wie unterscheiden die sich von 'physikalischen Substanzen'? Ist das Konzept 'immaterielle Substanzen' überhaupt ein kohärentes Konzept?


Das ist die Gretchenfrage, und genau hier kann (und sollte) ein Materialist argumentativ ansetzen. Wenn der Begriff eines reines Geistes oder einer reinen Seele ein Unbegriff, d.i. ein unsinniger, unverständlicher oder widersprüchlicher Begriff ist, dann kann a priori ausgeschlossen werden, dass darunter etwas Wirkliches fallen kann.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Gibt es einen prinzipiellen Unterschied zwischen 'immateriellen / sprituellen Substanzen' und 'physikalischen Substanzen'? Welcher aber ist das?


Erstere sind 0-dimensionale Entitäten, wohingegen Letztere 3- bzw. 4-dimensionale Entitäten sind. Hinzu kommt, dass Erstere (zumindest im Descartes'schen Sinne) auch keinen Ort der Raumzeit besetzen, d.h. sich buchstäblich nirgendwo befinden.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

und 3. die Frage: was sind die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für Physikalismus? Aber diese Frage interessiert mich hier nur am Rande, die können wir gerne droppen.


Wenn du mehr darüber erfahren willst:

http://plato.stanford.edu/entries/physicalism

#116:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 14.11.2010, 00:03
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Bei allen philosophischen Ismen und Anti-Ismen kommt es auf die Argumente und Gegenargumente an, und darauf, diese gegeneinander abzuwägen. Wie genau bei einer solchen Bilanzierung zu verfahren ist, dafür gibt es keinen allgemeingültigen Algorithmus. Und wenn man kein agnostizistischer Zauderer bleiben will, dann muss man für sich eine epistemologisch mehr oder weniger riskante Entscheidung pro oder kontra treffen.

Ich bleibe ein agnostischer Zauderer solange, bis ich keine schlagkräftigen Argumente dafür habe, diesen Standpunkt aufzugeben. Reine Appelle anderer sind mir da völlig gleichgültig, ich bin nun mal ein Argument-Faschist, da führt für mich kein Weg dran vorbei, ich kann gar nicht anders.

Und abgesehen davon halte ich es einfach aus pragmatischen Gründen für sinnvoll, mich nicht zu weit aus dem Fester zu lehnen. Sonst muss ich lang und breit darüber diskutieren, dass ich das getan habe, obgleich ich das nicht begründen kann. Und außerdem kann ich dann keinem anderen mehr sagen: 'damit hast Du Dich zu weit aus Fenster gelehnt, begründe das, wenn Du Geltung beanspruchen willst'.

'Aus dem Fenster lehnen' is' einfach nich'. Zumindest nicht bezüglich Postulaten über die Realität. Die haut mir doch jeder (mE auch völlig berechtigt) sofort um die Ohren, (falls ich Geltung dafür beanspruche).

Aber gut, das ist die alte, unergiebige Diskussion 'starker Atheist vs. schwacher Atheist'. Die führt erfahrungsgemäß zu gar nichts. Die müssen wir hier nicht aufwärmen.

Wir sind diesbezüglich schlicht offensichtlich unterschiedlicher Meinung, das werden wir nicht weiter klären können. Nur soviel: sei versichert, dass mir Deine Position mindestens ebenso unverständlich vorkommt wie Dir sicher die meinige.

Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Aber bezüglich möglicher Welten fällt das doch schlicht per se flach. Mögliche Welten müssen logisch möglich sein, aber doch mehr nicht.

Ob es neben der rein logischen und nomologischen Modalität überhaupt eine ontologische (metaphysische) Modalität sui generis gibt, ist eine schwierige und umstrittene Frage.
Ich bin jedenfalls der Meinung, dass nicht jede Aussage, die nicht die Form eines formallogischen Widerspruchs aufweist, per se einen ontologisch, d.i. realiter möglichen Sachverhalt wiedergibt.
(Beispiel: "Ein Mann malt einen ausdehnungslosen Ball rot an.")
Von daher halte ich die Unterscheidung zwischen einer logischen und einer ontologischen Modalität für sinnvoll und berechtigt.

Na gut, das stimme ich natürlich zu: eine mögliche Welt muss sowohl logisch möglich als auch sinnvoll beschreibbar sein. Eine per se sinnlose, unverständliche Aussage kann keine Aussage über etwas sein, und da eine mögliche Welt etwas ist, kann sie keine Aussage über diese Welt sein.

Aber das ist nun mal was anderes als die Behauptung, in jeder möglichen Welt müsse Mentales über Physischem supervenieren. Wenn diese Behauptung sinnvoll ist, dann muss sie begründet werden. Kann sie nicht begründet / plausibel gemacht werden, dann kann ich sie ohne die Angabe von Gründen einfach so ablehnen. Das ist doch wohl selbstverständlich. Ansonsten müsste ich im Gegenzuge notwendigerweise jede unbegründetete, (und unbegründbare), Behauptung gelten lassen. Und das will ich nicht.

Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
2. die viel grundsätzlichere Frage: was ist eigentlich ein 'Geisterreich'? Was sind 'immaterielle / sprituelle' Substanzen? Wie unterscheiden die sich von 'physikalischen Substanzen'? Ist das Konzept 'immaterielle Substanzen' überhaupt ein kohärentes Konzept?

Das ist die Gretchenfrage, und genau hier kann (und sollte) ein Materialist argumentativ ansetzen. Wenn der Begriff eines reines Geistes oder einer reinen Seele ein Unbegriff, d.i. ein unsinniger, unverständlicher oder widersprüchlicher Begriff ist, dann kann a priori ausgeschlossen werden, dass darunter etwas Wirkliches fallen kann.

Naja, aber wenn Du einen Begriff verwendest, dann musst Du erst mal erklären können, was Du eigentlich damit meinst. Mir erscheint der sinnlos, ja, aber daraus folgt nun notwendigerweise, dass ich gar nicht verstehe, was Du eigentlich meinst.

Und ergo sind mir Deine Kriterien, wann jemand ein Physikalist ist und wann nicht, immer noch unklar.

Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Gibt es einen prinzipiellen Unterschied zwischen 'immateriellen / sprituellen Substanzen' und 'physikalischen Substanzen'? Welcher aber ist das?

Erstere sind 0-dimensionale Entitäten, wohingegen Letztere 3- bzw. 4-dimensionale Entitäten sind. Hinzu kommt, dass Erstere (zumindest im Descartes'schen Sinne) auch keinen Ort der Raumzeit besetzen, d.h. sich buchstäblich nirgendwo befinden.

Hm, damit kann ich leider nicht viel anfangen.

Frage: wieviele Dimensionen haben Ideen, Bedeutungen, Begriffe, Theorien, Postulate? Besetzen die einen Punkt der Raumzeit? Befinden die sich irgendwo?

Myron hat folgendes geschrieben:
Wenn du mehr darüber erfahren willst:

http://plato.stanford.edu/entries/physicalism

Danke, werde ich mir bei Gelegenheit mal durchlesen.

#117:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 14.11.2010, 01:34
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Supervenienz-Physikalismus+:
1. (Starker) Supervenienz-Physikalismus: Das Nichtphysische steht zum Physischen in der Beziehung der ontologischen Supervenienz.
2. (Starker) Substanz-Physikalismus: Nichtphysische Substanzen (konkrete Objekte oder Materialien) sind ontologisch unmöglich, d.h. sie kommen in keiner möglichen Welt vor.
2 ist eine sehr starke These, weil sie nicht nur die Nichtexistenz von Geistern, Seelen und ektoplasmaartigen Stoffen postuliert, sondern auch deren notwendige Nichtexistenz.


Das stimmt so nicht, denn der starke Supervenienz-Physikalist muss nicht unbedingt annehmen, dass nichtphysische Substanzen in keiner möglichen Welt vorkommen. Er kann dafür mit der folgenden Formulierung arbeiten:

Der (ontologische) Supervenienz-Physikalismus ist genau dann wahr in der wirklichen Welt @, wenn in allen möglichen Welten w, in denen die gleichen physikalischen Tatsachen herrschen wie in @ und die keine nichtphysischen Substanzen (Objekte oder Materialien) enthalten, insgesamt die gleichen Tatsachen herrschen wie in @.

(Mit der rechten Seite dieser Äquivalenz hast du eine sowohl notwendige als auch hinreichende Bedingung!)

Damit behauptet der Supervenienz-Physikalist nicht, dass es keine möglichen Welten gibt, in denen der Substanz-Physikalismus oder/und der Supervenienz-Physikalismus falsch ist. Das heißt, er behauptet zwar, dass der Supervenienz-Physikalismus de facto wahr ist in der wirklichen Welt, aber nicht, dass er notwendigerweise, d.h. in allen möglichen Welten wahr ist.

#118:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 14.11.2010, 01:52
    —
Aber das ist so nur noch eine nutzlose Tautologie.

Kann man verkürzt so ausdrücken:

Seien A und B mögliche Welten. Wenn in A und B die gleichen physikalischen Tatsachen herrschen und nichts sonst, dann herrschen in A und B insgesamt die gleichen Tatsachen.


Zuletzt bearbeitet von AgentProvocateur am 14.11.2010, 02:20, insgesamt 3-mal bearbeitet

#119:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 14.11.2010, 01:58
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Das Gegenteil des Idealismus ist der physikalische Realismus, dem zufolge das (fundamentale) Physische repräsentations- und subjektunabhängig ist, und umgekehrt das Psychische vom Physischen abhängig und abgeleitet ist.

So weit, so gut, aber das ist nur ein prinzipieller Unterschied dann, wenn man die gemeinsame Prämisse akzeptiert.


Welche gemeinsame Prämisse?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Beiden Konzepten ist gemeinsam, dass sie ein Grundlegendes (das 'Eigentliche') und ein aus dem Grundlegenden Abgeleitetes / vom Grundlegenden Abhängiges postulieren.


Es geht um ontologische Fundamentalität bzw. Priorität, und die stellt freilich ein asymmetrisches Abhängigkeitsverhältnis dar. Man könnte nun im Gegensatz sowohl zum Idealismus als auch zum physikalischen Realismus behaupten, dass das Physische und das Psychische gleichermaßen fundamental und höchstens wechselseitig voneinander abhängig seien. Man könnte diese Ansicht als naturalistischer Panpsychismus bezeichnen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Aber wenn es kein empirisches Kriterium gibt, X und Y zu unterscheiden, wieso nimmt man dennoch an, dass X und Y unterschiedlich seien?
Da muss man doch einen rein metaphysischen Unterschied annehmen. Nicht?


Es muss halt mindestens eine Eigenschaft geben, die X hat und Y nicht, oder die Y hat und X nicht.
Und die Beziehungen der nomologischen und ontologischen Supervenienz unterscheiden sich hinsichtlich ihrer modalen Stärke. Wenn du Modalität als eine metaphysische Kategorie bezeichnen willst, dann kannst du das meinetwegen tun.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Wenn jeder beliebige Postulate mit Geltung aufstellen dürfte, dann bleibt doch letztlich nur Schulterzucken ob der gegensätzlichen Postulate.


Die Philosophen denken sich schon was bei ihren Behauptungen und untermauern sie mit Argumenten.

#120:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 14.11.2010, 02:19
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Beiden Konzepten ist gemeinsam, dass sie ein Grundlegendes (das 'Eigentliche') und ein aus dem Grundlegenden Abgeleitetes / vom Grundlegenden Abhängiges postulieren.

Es geht um ontologische Fundamentalität bzw. Priorität, und die stellt freilich ein asymmetrisches Abhängigkeitsverhältnis dar.

Ja, eben.

Wie wird das begründet?

Wieso soll es etwas derartig Grundlegendes geben? Wieso soll es nur eine Wirkung in eine Richtung geben, wieso kann es nicht wechselseitige Wirkungen geben? Wieso wird ein System einseitig durch seine Bestandteile bestimmt, wieso kann ein System nicht auf seine Bestandteile zurückwirken?

Myron hat folgendes geschrieben:
Man könnte nun im Gegensatz sowohl zum Idealismus als auch zum physikalischen Realismus behaupten, dass das Physische und das Psychische gleichermaßen fundamental und höchstens wechselseitig voneinander abhängig seien. Man könnte diese Ansicht als naturalistischer Panpsychismus bezeichnen.

Na gut, dann bin ich eben 'naturalistischer Panpsychist'. Ist mir auch recht.

Hoffentlich aber bedeutet das nicht, dass ich glauben müsse, dass z.B. Steine auch eine Psyche haben. Denn das glaube ich nicht.

Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Aber wenn es kein empirisches Kriterium gibt, X und Y zu unterscheiden, wieso nimmt man dennoch an, dass X und Y unterschiedlich seien?
Da muss man doch einen rein metaphysischen Unterschied annehmen. Nicht?

Es muss halt mindestens eine Eigenschaft geben, die X hat und Y nicht, oder die Y hat und X nicht.

Welche wäre das in diesem Zusammenhang?

Was bedeutet 'modale Stärke'? Und wie stellt man einen Unterschied in der 'modalen Stärke' fest?

Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wenn jeder beliebige Postulate mit Geltung aufstellen dürfte, dann bleibt doch letztlich nur Schulterzucken ob der gegensätzlichen Postulate.

Die Philosophen denken sich schon was bei ihren Behauptungen und untermauern sie mit Argumenten.

Und was ist die philosophische Begründung für ontologische Fundamentalität von Mentalem oder Physischem?

#121:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 14.11.2010, 02:25
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Ich bleibe ein agnostischer Zauderer solange, bis ich keine schlagkräftigen Argumente dafür habe, diesen Standpunkt aufzugeben. Reine Appelle anderer sind mir da völlig gleichgültig, ich bin nun mal ein Argument-Faschist, da führt für mich kein Weg dran vorbei, ich kann gar nicht anders.


Wie gesagt, die Philosophen führen in der Regel Gründe für ihre Annahmen ins Feld. Ob das gute oder schlechte Gründe sind, musst du für dich selbst beantworten.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Und abgesehen davon halte ich es einfach aus pragmatischen Gründen für sinnvoll, mich nicht zu weit aus dem Fester zu lehnen. Sonst muss ich lang und breit darüber diskutieren, dass ich das getan habe, obgleich ich das nicht begründen kann. Und außerdem kann ich dann keinem anderen mehr sagen: 'damit hast Du Dich zu weit aus Fenster gelehnt, begründe das, wenn Du Geltung beanspruchen willst'.
'Aus dem Fenster lehnen' is' einfach nich'. Zumindest nicht bezüglich Postulaten über die Realität. Die haut mir doch jeder (mE auch völlig berechtigt) sofort um die Ohren, (falls ich Geltung dafür beanspruche).


"The Fundamental Ontological Tradeoff:

Metaphysics, like life, is full of tradeoffs, cost-benefit analyses, the attempt to simultaneously satisfy competing constraints. In ontology we must frequently weigh tradeoffs between various desiderata, e.g., between simplicity and comprehensiveness, and even between different kinds of simplicity. But one tradeoff is so pervasive that it deserves a name, and I will call it the fundamental ontological tradeoff. The fundamental ontological tradeoff reflects the perennial tension between explanatory power and epistemic risk, between a rich, lavish ontology that promises to explain a great deal and a more modest ontology that promises epistemological security. The more machinery we postulate, the more we might hope to explain — but the harder it is to believe in the existence of all the machinery.

The dialectic between a realism with chutzpah and a diffident empiricism runs all through philosophy, from ethics to philosophy of science to philosophy of mathematics to metaphysics. Excessive versions of each view are usually unappealing. Extreme realists ask us to believe in things many philosophers find it difficult to believe in; extreme empiricists wind up unable to explain much of anything. But the dialectic between power and risk remains even when we move in from the extremes. It often manifests itself in a yearning for parsimony, a desire for as few entities as we can scrimp by with. Such longings may seem prudish or stuffy or a bit too metaphysically correct. Often the desire is not to achieve parsimony for its own sake, however, but to find an ontology that is modest enough to provide a measure of epistemological security. Choices needn't be all or none, and a principled middle ground is always worth striving for. But no matter where a philosopher tries to stake her claim, the fundamental ontological tradeoff can rarely be avoided and we will encounter it frequently in what follows."


(Chris Swoyer: http://plato.stanford.edu/entries/properties)

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Aber das ist nun mal was anderes als die Behauptung, in jeder möglichen Welt müsse Mentales über Physischem supervenieren. Wenn diese Behauptung sinnvoll ist, dann muss sie begründet werden.


Wie ich bereits in einem nachträglichen Beitrag richtiggestellt habe, vertritt die Mehrheit der Physikalisten den Supervenienz-Physikalismus nur als eine kontingente These, d.h. als eine These, die sie für wahr in der wirklichen Welt halten, aber nicht für wahr in allen möglichen Welten.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Kann sie nicht begründet / plausibel gemacht werden, dann kann ich sie ohne die Angabe von Gründen einfach so ablehnen. Das ist doch wohl selbstverständlich. Ansonsten müsste ich im Gegenzuge notwendigerweise jede unbegründetete, (und unbegründbare), Behauptung gelten lassen. Und das will ich nicht.


Kein seriöser Philosoph verlangt von dir, dass du ihm seine Behauptungen einfach so abkaufst.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Naja, aber wenn Du einen Begriff verwendest, dann musst Du erst mal erklären können, was Du eigentlich damit meinst. Mir erscheint der sinnlos, ja, aber daraus folgt nun notwendigerweise, dass ich gar nicht verstehe, was Du eigentlich meinst.


Tja, man kann das mögliche Dasein von reinen Geistern oder reinen Seelen a priori mit der Begründung verneinen, dass der Begriff eines reines Geistes oder einer reinen Seele widersinnig und unverständlich erscheine.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Frage: wieviele Dimensionen haben Ideen, Bedeutungen, Begriffe, Theorien, Postulate? Besetzen die einen Punkt der Raumzeit? Befinden die sich irgendwo?


Kann ein Physikalist Abstraktist bzw. Platonist sein, d.h. an die reale Existenz abstrakter, d.i. raumzeitlich unverorteter Sachen glauben? Wohl kaum! (Auch ein Naturalist sollte deren Existenz anzweifeln.)

P.S.: Substanzen sind per definitionem konkrete, nichtabstrakte Objekte!

#122:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 14.11.2010, 02:30
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Aber das ist so nur noch eine nutzlose Tautologie.


Keineswegs!

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Seien A und B mögliche Welten. Wenn in A und B die gleichen physikalischen Tatsachen herrschen und nichts sonst, dann herrschen in A und B insgesamt die gleichen Tatsachen.


Der Zusatz "und nichts sonst" ist falsch, denn in A und B können durchaus nichtphysikalische Tatsachen herrschen - nur nicht solche, die Geister oder Seelen betreffen.

P.S.: Höchst problematisch - um nicht zu sagen: inakzeptabel – sind aus physikalistischer Sicht auch solche nichtphysikalischen Tatsachen, die abstrakte Objekte betreffen. Wenn solche Tatsachen Teil der Wirklicheit wären, dann wäre der Physikalismus falsch.

#123:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 14.11.2010, 03:20
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Wie gesagt, die Philosophen führen in der Regel Gründe für ihre Annahmen ins Feld. Ob das gute oder schlechte Gründe sind, musst du für dich selbst beantworten.

[Zitat]

Um eines mal klarzustellen, (-> Metadiskussion): ich wettere keineswegs gegen Philosophie, ich bin völlig jenseits derjenigen Position, die Philosophie für nutzlose Schwadroniererei hält und einzig die Naturwissenschaft für berechtigt, Aussagen über die Realität oder sonstwas zu treffen.

Darin haben wir garantiert keinen Dissens. Auch nicht bezüglich Metaphysik. Wenn ich bestimmte Aspekte der Metaphysik ablehne, heißt das ja noch lange nicht, dass ich Metaphysik per se ablehne.

Der Punkt ist lediglich: ich will die Argumente auch sehen, es reicht mir nicht, wenn jemand nur behauptet, es gäbe die. Das ist dann nur das Argument der Berufung auf Autoritäten, das ich aber leider nicht gelten lassen kann.

Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Naja, aber wenn Du einen Begriff verwendest, dann musst Du erst mal erklären können, was Du eigentlich damit meinst. Mir erscheint der sinnlos, ja, aber daraus folgt nun notwendigerweise, dass ich gar nicht verstehe, was Du eigentlich meinst.

Tja, man kann das mögliche Dasein von reinen Geistern oder reinen Seelen a priori mit der Begründung verneinen, dass der Begriff eines reines Geistes oder einer reinen Seele widersinnig und unverständlich erscheine.

Naja, aber leider ist es nun mal so, dass mir das unverständlich erscheint.

Was ja noch lange nicht heißt, dass es begründetermaßen auch unverständlich ist.

Nur, weil da eben dieses mein Unverständnis ist, kann ich auch nicht alles Weitere, das, was darauf aufbaut, z.B. die Definition eines echten Physikalisten nachvollziehen.

Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Frage: wieviele Dimensionen haben Ideen, Bedeutungen, Begriffe, Theorien, Postulate? Besetzen die einen Punkt der Raumzeit? Befinden die sich irgendwo?

Kann ein Physikalist Abstraktist bzw. Platonist sein, d.h. an die reale Existenz abstrakter, d.i. raumzeitlich unverorteter Sachen glauben? Wohl kaum! (Auch ein Naturalist sollte deren Existenz anzweifeln.)

P.S.: Substanzen sind per definitionem konkrete, nichtabstrakte Objekte!

Nein, nein, das kommt mir jetzt merkwürdig vor, da stimmt was nicht und auf diesen Widerspruch wollte ich auch mit meiner Frage hinaus.

Spulen wir dazu ein bisschen zurück.

Ich fragte:

"Gibt es einen prinzipiellen Unterschied zwischen 'immateriellen / spirituellen Substanzen' und 'physikalischen Substanzen'? Welcher aber ist das?"

Du sagtest darauf:

"Erstere sind 0-dimensionale Entitäten, wohingegen Letztere 3- bzw. 4-dimensionale Entitäten sind. Hinzu kommt, dass Erstere (zumindest im Descartes'schen Sinne) auch keinen Ort der Raumzeit besetzen, d.h. sich buchstäblich nirgendwo befinden."

Wenn Substanzen per definitionem konkrete, nichtabstrakte Objekte sind, die in der Raumzeit verortet werden können, dann bedeutet das doch wohl unweigerlich, dass "immaterielle / spirituelle Substanzen" per definitionem keine Substanzen sein können.


Zuletzt bearbeitet von AgentProvocateur am 14.11.2010, 03:48, insgesamt einmal bearbeitet

#124:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 14.11.2010, 03:48
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Aber das ist so nur noch eine nutzlose Tautologie.

Keineswegs!

Doch, ich meine schon.

Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Seien A und B mögliche Welten. Wenn in A und B die gleichen physikalischen Tatsachen herrschen und nichts sonst, dann herrschen in A und B insgesamt die gleichen Tatsachen.

Der Zusatz "und nichts sonst" ist falsch, denn in A und B können durchaus nichtphysikalische Tatsachen herrschen - nur nicht solche, die Geister oder Seelen betreffen.

Spulen wir auch hier ein bisschen zurück. Du sagtest:

Myron hat folgendes geschrieben:
Der (ontologische) Supervenienz-Physikalismus ist genau dann wahr in der wirklichen Welt @, wenn in allen möglichen Welten w, in denen die gleichen physikalischen Tatsachen herrschen wie in @ und die keine nichtphysischen Substanzen (Objekte oder Materialien) enthalten, insgesamt die gleichen Tatsachen herrschen wie in @.

Ich sagte darauf: das ist eine Tautologie, weil nämlich so wie:

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Seien A und B mögliche Welten. Wenn in A und B die gleichen physikalischen Tatsachen herrschen und nichts sonst, dann herrschen in A und B insgesamt die gleichen Tatsachen.


Nun sagst Du, es käme auf Geister oder Seelen an. Aber, ganz egal, was man darunter versteht: das stimmt nicht. Es sei denn, nichtphysikalische Substanzen könnten nur Seelen und Geister sein.

Aber dann wäre meine verkürzte Darstellung korrekt.

Nehmen wir nun mal an, 'nichtphysikalische Substanzen' könnten auch was anderes als 'Seelen' und 'Geister' sein, (ist hier egal, dass wir all das nicht definieren, nicht näher spezifizieren, das spielt keine Rolle für die Argumentation).

Nehmen wir nun wieder die Welten A und B. In beiden herrschen die gleichen physikalischen Tatsachen (was auch immer das ist, ganz egal) und in beiden gäbe es es keine 'Seelen' und keine 'Geister' (wie gesagt, auch egal, was das sein soll). Aber beide Welten unterschieden sich nun darin, dass es in A keine 'nichtphysikalischen Tatsachen' gibt, jedoch in B gibt es 'nichtphysikalische Tatsachen', (die aber weder 'Geister' noch 'Seelen' sind).

Aus welchem mir völlig unerfindlichen Grunde sollte ich nun glauben, dass in A und B insgesamt die gleichen Tatsachen herrschen? Woraus folgt das? Das erscheint mir jenseits jeder Plausibilität, da sehe ich keine logische Schlussfolgerung.

Myron hat folgendes geschrieben:
P.S.: Höchst problematisch - um nicht zu sagen: inakzeptabel – sind aus physikalistischer Sicht auch solche nichtphysikalischen Tatsachen, die abstrakte Objekte betreffen. Wenn solche Tatsachen Teil der Wirklicheit wären, dann wäre der Physikalismus falsch.

Hm. Aber was ist 'Teil der Wirklichkeit' und was nicht? Ist das nicht letztlich eine Definitions- und somit eine Geschmacksfrage?

#125:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 14.11.2010, 04:33
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Es geht um ontologische Fundamentalität bzw. Priorität, und die stellt freilich ein asymmetrisches Abhängigkeitsverhältnis dar.

Ja, eben.
Wie wird das begründet?


Hier kann sich der Physikalist auf die naturwissenschaftlichen (evolutionsbiologischen, psychologischen, neurologischen) Erkenntnisse berufen, die eindeutig dafür sprechen, dass das Psychische bezüglich seines Seins und Werdens vom Physischen abhängig und abgeleitet ist.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Wieso wird ein System einseitig durch seine Bestandteile bestimmt, wieso kann ein System nicht auf seine Bestandteile zurückwirken?


Weil ein System mit seinen Elementen und all deren Relationen identisch ist, sodass es nur eine ontologische Ebene kausaler Interaktion gibt: die Ebene der Elemente, die allein schon deshalb fundamental ist, weil sie die einzige ihrer Art ist.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Na gut, dann bin ich eben 'naturalistischer Panpsychist'. Ist mir auch recht.
Hoffentlich aber bedeutet das nicht, dass ich glauben müsse, dass z.B. Steine auch eine Psyche haben. Denn das glaube ich nicht.


Doch, ein Panpsychist nimmt an, dass allen konkreten Dingen psychische Eigenschaften innewohnen. Die Psyche eines Steines mag noch so primitiv sein, aber sie existiert.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Was bedeutet 'modale Stärke'?


Es geht um den Unterschied zwischen Sachverhalten, die in allen möglichen Welten bestehen, und Sachverhalten, die nur in einer Teilmenge der Menge aller möglichen Welten bestehen, z.B. in derjenigen Teilmenge von Welten, in denen die gleichen Naturgesetze herrschen wie in der wirklichen Welt.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Und wie stellt man einen Unterschied in der 'modalen Stärke' fest?


Nicht durch Beobachtungen oder Experimente.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Und was ist die philosophische Begründung für ontologische Fundamentalität von Mentalem oder Physischem?


Ich kann mir leicht eine Welt vorstellen, in der nichts psychische Eigenschaften hat, aber keine, in der nichts physische Eigenschaften hat. Und es ist mir völlig unbegreiflich, wie das Physische aus dem Psychischen hätte entstehen können.

#126:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 14.11.2010, 06:56
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Der Punkt ist lediglich: ich will die Argumente auch sehen, es reicht mir nicht, wenn jemand nur behauptet, es gäbe die. Das ist dann nur das Argument der Berufung auf Autoritäten, das ich aber leider nicht gelten lassen kann.


Du kannst jederzeit die einschlägige Literatur lesen!

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Ich fragte:

"Gibt es einen prinzipiellen Unterschied zwischen 'immateriellen / spirituellen Substanzen' und 'physikalischen Substanzen'? Welcher aber ist das?"

Du sagtest darauf:

"Erstere sind 0-dimensionale Entitäten, wohingegen Letztere 3- bzw. 4-dimensionale Entitäten sind. Hinzu kommt, dass Erstere (zumindest im Descartes'schen Sinne) auch keinen Ort der Raumzeit besetzen, d.h. sich buchstäblich nirgendwo befinden."

Wenn Substanzen per definitionem konkrete, nichtabstrakte Objekte sind, die in der Raumzeit verortet werden können, dann bedeutet das doch wohl unweigerlich, dass "immaterielle / spirituelle Substanzen" per definitionem keine Substanzen sein können.


Nach Descartes befinden sich immaterielle Substanzen an keinem Punkt der Raumes bzw. der Raumzeit, was nicht heißt, dass ein Substanzdualist nicht entgegen Descartes behaupten könnte, dass sie es doch tun. Wenn man aber zwischen immanenten (innerräumlichen/innerraumzeitlichen) und transzendenten (außerräumlichen/außerraumzeitlichen) immateriellen Substanzen unterscheidet, dann ist die räumliche/raumzeitliche Verortung in der Tat kein wesentliches Merkmal des Substanzbegriffs. Eine Substanz ist entsprechend dann immateriell, wenn sie ein 0-dimensionales konkretes Objekt mit psychischen Eigenschaften, aber ohne intrinsische physische Eigenschaften ist.

#127:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 14.11.2010, 07:54
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Nun sagst Du, es käme auf Geister oder Seelen an. Aber, ganz egal, was man darunter versteht: das stimmt nicht. Es sei denn, nichtphysikalische Substanzen könnten nur Seelen und Geister sein.


Was anderes kommt dafür nicht infrage. Denn abstrakte Objekte sind zwar ebenfalls nichtphysischer Natur, aber eben keine Substanzen, die per definitionem konkreter Natur sind.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Nehmen wir nun mal an, 'nichtphysikalische Substanzen' könnten auch was anderes als 'Seelen' und 'Geister' sein, (ist hier egal, dass wir all das nicht definieren, nicht näher spezifizieren, das spielt keine Rolle für die Argumentation).

Nehmen wir nun wieder die Welten A und B. In beiden herrschen die gleichen physikalischen Tatsachen (was auch immer das ist, ganz egal) und in beiden gäbe es es keine 'Seelen' und keine 'Geister' (wie gesagt, auch egal, was das sein soll). Aber beide Welten unterschieden sich nun darin, dass es in A keine 'nichtphysikalischen Tatsachen' gibt, jedoch in B gibt es 'nichtphysikalische Tatsachen', (die aber weder 'Geister' noch 'Seelen' sind).

Aus welchem mir völlig unerfindlichen Grunde sollte ich nun glauben, dass in A und B insgesamt die gleichen Tatsachen herrschen? Woraus folgt das? Das erscheint mir jenseits jeder Plausibilität, da sehe ich keine logische Schlussfolgerung.


Wenn A und B zwei geisterlose und physisch gleiche Welten sind, dann sind A und B dem Supervenienz-Physikalismus nach nicht nur physisch gleich, sondern vollkommen gleich, d.h. sowohl in physikalischer als auch in nichtphysikalischer (chemischer, biologischer, psychologischer und soziologischer) Hinsicht qualitativ identisch.
Leute wie David Chalmers bestreiten das: sie behaupten, dass es ontologisch möglich ist, dass A und B trotz physischer Gleichheit in nichtphysikalischer Hinsicht ungleich sind. Das bekannteste Argument dafür ist das Zombie-Argument, dem zufolge es ontologisch möglich ist, dass sich zwei physisch gleiche Wesen psychisch darin unterscheiden, dass das eine bei Bewusstsein ist und das andere nicht.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Hm. Aber was ist 'Teil der Wirklichkeit' und was nicht? Ist das nicht letztlich eine Definitions- und somit eine Geschmacksfrage?


Was wir für wirklich halten, ist unsere Entscheidung, aber nicht, was wirklich ist.


ANHANG:

Im Folgenden präsentiere ich die drei bekanntesten und einflussreichsten Definitionen des Materialismus/Physikalismus in der zeitgenössischen analytischen Philosophie.
(Da dabei der Fachbegriff "Supervenienz" eine maßgebliche Rolle spielt, verweise ich zunächst auf einen Artikel dazu: http://plato.stanford.edu/entries/supervenience)

1.)

"We can define a positive fact in W as one that holds in every world that contains W as a proper part; a positive property is one that if instantiated in a world W, is also instantiated by the corresponding individual in all worlds that contain W as a proper part." (p. 40)

"[W]e can formulate precisely the widely held doctrine of materialism (or physicalism), which is generally taken to hold that everything in the world is physical, or that there is nothing over and above the physical, or that the physical facts in a certain sense exhaust all the facts about the world. In our language, materialism is true if all the positive facts about the world are globally logically supervenient on the physical facts. This captures the intuitive notion that if materialism is true, then once God fixed the physical facts about the world, all the facts were fixed.
(Or at least, all the positive facts were fixed. The restriction to positive facts is needed to ensure that worlds with extra ectoplasmic facts do not count against materialism in our world. Negative existential facts such as 'There are no angels' are not strictly logically supervenient on the physical, but their nonsupervenience is quite compatible with materialism. In a sense, to fix the negative facts, God had to do more than fix the physical facts; he also had to declare, 'That's all.' If we wanted, we could add a second-order 'That's all' fact to the supervenience base in the definition of materialism, in which case the positive-fact constraint could be removed.)
According to this definition, materialism is true if all the positive facts about our world are entailed by the physical facts. That is, materialism is true if for any logically possible world W that is physically indiscernible from our world, all the positive facts true of our world are true of W. This is equivalent in turn to the thesis that any world that is physically indiscernible from our world contains a copy of our world as a (proper or improper) part, which seems an intuitively correct definition."
(p. 41+)
———
"Wir können eine positive Tatsache in Welt W als eine definieren, die in jeder Welt besteht, die W als einen echten Teil enthält. Eine positive Eigenschaft ist eine, die, wenn sie in einer Welt W exemplifiziert ist, auch von dem entsprechenden Individuum in allen Welten exemplifiziert wird, die W als einen echten Teil enthalten."

"Wir können die von vielen vertretene Lehre des Materialismus (oder Physikalismus) präzise formulieren, welche allgemein als darin bestehend aufgefasst wird, dass alles in der Welt physisch sei, oder dass es nichts über das Physische hinaus gebe, oder dass die physischen Tatsachen in einem gewissen Sinne alle Tatsachen der Welt ausmachen. Mit unseren Worten ausgedrückt, der Materialismus ist wahr, wenn alle positiven Tatsachen der Welt im globalen logischen Sinne auf den physischen Tatsachen supervenieren. Dies gibt die intuitive Vorstellung wieder, dass wenn der Materialismus wahr ist, alle [positiven] Tatsachen festgelegt sind, sobald Gott die physischen Tatsachen der Welt festgelegt hat.
Dieser Definition gemäß ist der Materialismus wahr, wenn sich alle positiven Tatsachen unserer Welt (logisch) aus den physischen Tatsachen ergeben. Das heißt, der Materialismus ist wahr, wenn für jede logisch mögliche Welt W, die von unserer Welt physisch ununterscheidbar ist, gilt, dass alle in unserer Welt bestehenden positiven Tatsachen auch in W bestehen. Dies entspricht wiederum der These, dass jede von der unsrigen Welt physisch ununterscheidbare Welt eine Kopie [ein Duplikat] unserer Welt als einen (echten oder unechten) Teil enthält, was eine intuitiv richtige Definition zu sein scheint."

[© meine Übers.]

(Chalmers, David J. The Conscious Mind: In Search of a Fundamental Theory. New York: Oxford University Press, 1996.)

2.)

"Physicalism is not simply the doctrine that the world has lots of physical nature. That is not controversial: nearly everyone agrees, for instance, that objects have mass, charge, and density, and that there are gravitational and electrical force fields. The physicalists' distinctive doctrine is, as they variously say it, that the world is entirely physical in nature, that it is nothing but, or nothing over and above, the physical world, and that a full inventory of the instantiated physical properties and relations would be a full inventory simpliciter." (p. 9)

"[P]hysicalism's distinctive claim is that the physical nature of our world determines the nature of our world without remainder, and we address that question via theses that say, in one form or another, that variation in the nature of a world independently of variation in the physical nature of that world is impossible. And to address this kind of question, we need to look at supervenience theses expressed in terms of quantifications over worlds, rather than in terms of quantifications over individuals in worlds. We need, that is, to look at global supervenience theses." (p. 10)

"[P]hysicalism's claim is not that every world that is a physical duplicate of our world is a duplicate simpliciter of our world. Physicalists typically grant that there is a possible world physically exactly like ours but which contains as an addition a lot of mental life sustained in non-material stuff. Physicalism is rather the claim that if you duplicate our world in all physical respects and stop right there, you duplicate it in all respects; it says that

(B) Any world which is a minimal physical duplicate of our world is a duplicate simpliciter of our world

where a minimal physical duplicate is what you get if you 'stop right there'. (Writers of recipes and construction manuals typically rely on an intuitive understanding of an implicitly included 'stop' clause in their recipes; otherwise they would face the impossible task of listing all the things you should not do.) Thus, a minimal physical duplicate of our world is a world that (a) is exactly like our world in every physical respect (instantiated property for instantiated property, law for law, relation for relation), and (b) contains nothing else in the sense of nothing more by way of kinds of particulars than it must to satisfy (a). Clause (b) is a 'no gratuitous additions' or 'stop' clause."
(pp. 12-3)
———
"Der Physikalismus ist nicht einfach die Lehre, dass die Welt in vielerlei Hinsicht physisch beschaffen ist. Das ist unstrittig. Fast jeder stimmt beispielsweise zu, dass Objekte Masse, Ladung und Dichte besitzen, und dass es Schwerkraftfelder sowie elektrische Kraftfelder gibt. Die charakteristische Lehre der Physikalisten ist, dass die Welt ihrem Wesen nach gänzlich physisch beschaffen ist, dass sie nichts als oder nichts über die physische Welt hinaus ist, und dass eine vollständige Bestandsliste der exemplifizierten physischen Eigenschaften und Beziehungen eine vollständige Bestandsliste schlechthin ist."

"Die charakteristische Behauptung des Physikalismus ist, dass die physische Beschaffenheit unserer Welt die Beschaffenheit der Welt restlos bestimmt; und wir gehen diese Sache über Thesen an, die in der einen oder anderen Form besagen, dass von Veränderungen der physischen Beschaffenheit der Welt unabhängige Veränderungen der Beschaffenheit der Welt unmöglich sind. Und um diesen Punkt aufzugreifen, müssen wir den Blick auf Supervenienz-Thesen richten, in denen über Welten quantifiziert wird und nicht über Individuen in Welten. Das heißt, wie müssen uns globalen Supervenienz-Thesen zuwenden."

"Die Behauptung des Physikalismus besteht nicht darin, dass jedes physische Duplikat unserer Welt schlechthin ein Duplikat unserer Welt ist. Die Physikalisten gestehen typischerweise zu, dass es eine mögliche Welt gibt, die der unsrigen physisch vollkommen gleicht, aber zusätzlich eine Menge geistiges Leben enthält, das in nichtmateriellem Zeug west. Der Physikalismus besteht vielmehr in der Behauptung, dass wenn man unsere Welt in jeder physischen Hinsicht dupliziert und es dabei belässt, man sie in jeder Hinsicht dupliziert. Er sagt:

(B) Jede Welt, die ein minimales physisches Duplikat unserer Welt ist, ist ein Duplikat unserer Welt schlechthin.

Dabei ist ein minimales physisches Duplikat dasjenige, das man erhält, wenn man 'es dabei belässt'.
(Die Verfasser von Rezepten und Bauanleitungen verlassen sich auf ein intuitives Erfassen dessen, dass ihre Rezepte implizit eine 'Stop'-Klausel beinhalten. Ansonsten stünden sie vor der unmöglichen Aufgabe, all dasjenige aufzulisten, das nicht getan werden soll.)
Ein minimales physisches Duplikat unserer Welt ist also eine Welt, die (a) unserer Welt in jeder physischen Hinsicht vollkommen gleicht (exemplifizierte Eigenschaft für exemplifizierte Eigenschaft, Gesetz für Gesetz, Beziehung für Beziehung), und (b) nichts anderes enthält, d.h. nichts weiter als diejenigen Arten und Einzeldinge, die sie enthalten muss, um (a) zu erfüllen. Satz (b) ist eine 'Keine unnötigen Zusätze'- oder 'Stop'-Klausel."

[© meine Übers.]

(Jackson, Frank. From Metaphysics to Ethics: A Defence of Conceptual Analysis. Oxford: Oxford University Press, 1998.)

3.)

"Let us say that a property is alien to a world iff (1) it is not instantiated by any inhabitant of that world, and (2) it is not analysable as a conjunction of, or as a structural property constructed out of, natural properties all of which are instantiated by inhabitants of that world. (...)

Now we can proceed at last to formulate Materialism as a restricted and contingent supervenience thesis:
Among worlds where no natural properties alien to our world are instantiated, no two differ without differing physically; any two such worlds that are exactly alike physically are duplicates."
(p. 37)
———
"Sagen wir, dass eine Eigenschaft einer Welt genau dann fremd ist, wenn (1) sie von keinem Bewohner dieser Welt exemplifiziert wird, und (2) sie nicht als eine Konjunktion natürlicher Eigenschaften, die alle von Bewohnern dieser Welt exemplifiziert werden, oder als eine aus solchen konstruierte strukturelle Eigenschaft analysierbar ist. (...)

Nun können wir den letzten Schritt machen und den Materialismus als eine eingeschränkte und kontingente Supervenienz-These formulieren:
Unter Welten, worin keine natürlichen Eigenschaften exemplifiziert sind, die unserer Welt fremd sind, unterscheiden sich keine zwei, ohne sich physisch zu unterscheiden; zwei beliebige solche Welten, die sich physisch vollkommen gleichen, sind Duplikate."

[© meine Übers.]

(Lewis, David. "New Work for a Theory of Universals." In: David Lewis, Papers in Metaphysics and Epistemology, 8-55. Cambridge: Cambridge University Press, 1999.)

#128:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 14.11.2010, 22:22
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wieso wird ein System einseitig durch seine Bestandteile bestimmt, wieso kann ein System nicht auf seine Bestandteile zurückwirken?

Weil ein System mit seinen Elementen und all deren Relationen identisch ist, sodass es nur eine ontologische Ebene kausaler Interaktion gibt: die Ebene der Elemente, die allein schon deshalb fundamental ist, weil sie die einzige ihrer Art ist.

Hm, das trifft irgendwie nicht meinen Punkt.

Vielleicht mal so gesagt: es gibt mE Gesetze und Eigenschaften auf Systemebene, (bei hinreichend komplexen Systemen), die nicht auf dessen Bestandteile zurückgeführt werden können, sich nicht aus diesen, wenn die einzeln betrachtet werden, ergeben und daher auch nicht aus denen abgeleitet werden können. Nicht a priori.

Es ist zwar natürlich richtig, dass es das System als solches gar nicht gäbe, wären seine Bestandteile nicht vorhanden, aber das bedeutet eben noch lange nicht, dass die Bestandteile das System bestimmen.

Die Bestandteile sind meinetwegen das ontologisch Grundlegende, aber das bedeutet nicht, dass die Systemebene etwas Nachrangiges, Untergeordnetes, Nebensächliches wäre und die Bestandteile das Eigentliche.

Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Nun sagst Du, es käme auf Geister oder Seelen an. Aber, ganz egal, was man darunter versteht: das stimmt nicht. Es sei denn, nichtphysikalische Substanzen könnten nur Seelen und Geister sein.

Was anderes kommt dafür nicht infrage. Denn abstrakte Objekte sind zwar ebenfalls nichtphysischer Natur, aber eben keine Substanzen, die per definitionem konkreter Natur sind.

Ach so, jetzt verstehe ich erst: Dein Katalog von Entitäten umfasst genau Folgendes (und nicht mehr): reale Objekte, abstrakte Objekte, Seelen und Geister. Das wusste ich nicht. Sorry.

Myron hat folgendes geschrieben:
Wenn A und B zwei geisterlose und physisch gleiche Welten sind, dann sind A und B dem Supervenienz-Physikalismus nach nicht nur physisch gleich, sondern vollkommen gleich, d.h. sowohl in physikalischer als auch in nichtphysikalischer (chemischer, biologischer, psychologischer und soziologischer) Hinsicht qualitativ identisch.

Leider habe ich oben nicht verstanden, was Du mit 'nichtphysikalisch' meintest. Okay, dann vergiß bitte alle meine bisherigen Einwände gegen Deine fettgedruckte Definition oben, die ziehe ich hiermit zurück.

Myron hat folgendes geschrieben:
ANHANG:

Im Folgenden präsentiere ich die drei bekanntesten und einflussreichsten Definitionen des Materialismus/Physikalismus in der zeitgenössischen analytischen Philosophie.

Vielen Dank erst mal für die Zitate und für Deine Übersetzungen.

Allerdings habe ich damit noch ein kleines Problem: meiner Ansicht nach beschreiben die nicht dasselbe. Nach der Definition von David Chalmers bin ich kein Physikalist, nach den beiden anderen wäre ich jedoch einer. Der Unterschied ist, dass Frank Jackson und David Lewis von physisch vollkommenen Duplikaten reden, David Chalmers aber nicht und das ist mE ein wesentlicher Unterschied.

Den beiden letzten Definitionen kann ich problemlos zustimmen, der von Chalmers aber nicht.

Und das liegt daran, dass sich meiner Ansicht nach kein logischer Widerspruch ergibt, wenn man in der aktualen Welt eine Identität von Physischem und Mentalem annimmt, das aber als kontingenten Fakt dieser Welt ansieht und nicht als einen in sich notwendigen Fakt, also einen Fakt, der in allen möglichen Welten gelten muss. So wie z.B. Gravitation auch ein kontingenter Fakt unserer Welt sein könnte.

Du sagtest oben, man könne einen Unterschied in der 'modalen Stärke' nicht durch Beobachtungen oder Experimente feststellen.

Mag sein oder nicht: aber man muss den begründen können. Man könnte es in diesem Falle durch eine Reduktion des Mentalen auf das Physische zeigen. Gelänge eine solche Reduktion, dann würde ich diese Notwendigkeit anerkennen.

Aber hat man keine Begründung für die Notwendigkeit, dann sollte man sie auch nicht postulieren.

Es ist was anderes, das in unserer Welt zu postulieren, man kann das hier als Schluss auf die beste Erklärung der beobachteten Gesetzmäßigkeiten ansehen, als bestes Modell, (oder zumindest das als am wenigsten schlechte).

Aber eine Notwendigkeit (das sei in allen möglichen Welten notwendigerweise so) folgt daraus nun mal nicht.

#129:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 15.11.2010, 04:57
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Vielleicht mal so gesagt: es gibt mE Gesetze und Eigenschaften auf Systemebene, (bei hinreichend komplexen Systemen), die nicht auf dessen Bestandteile zurückgeführt werden können, sich nicht aus diesen, wenn die einzeln betrachtet werden, ergeben und daher auch nicht aus denen abgeleitet werden können. Nicht a priori.


Es ist klar, dass bestimmte Systemeigenschaften keine Eigenschaften der einzelnen Elemente sind. Ich bezweifle nur, dass es Systemeigenschaften gibt, die nicht von den Eigenschaften, Beziehungen und Wechselwirkungen der Elemente (evolutionär) abgeleitet und abhängig sind. Das heißt, ich lehne den starken, ontologischen Emergenzbegriff ab. Ich habe nichts gegen den schwachen, epistemologischen Emergenzbegriff, bei dem es lediglich darum geht, dass man nicht a priori von der Kenntnis der Elemente und ihrer Eigenschaften auf die Eigenschaften eines von ihnen gebildeten Systems schließen kann.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Es ist zwar natürlich richtig, dass es das System als solches gar nicht gäbe, wären seine Bestandteile nicht vorhanden, aber das bedeutet eben noch lange nicht, dass die Bestandteile das System bestimmen.
Die Bestandteile sind meinetwegen das ontologisch Grundlegende, aber das bedeutet nicht, dass die Systemebene etwas Nachrangiges, Untergeordnetes, Nebensächliches wäre und die Bestandteile das Eigentliche.


Die Elemente + ihre Relationen + ihre Interaktionen sind das System.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Ach so, jetzt verstehe ich erst: Dein Katalog von Entitäten umfasst genau Folgendes (und nicht mehr): reale Objekte, abstrakte Objekte, Seelen und Geister. Das wusste ich nicht. Sorry.


Äh…, das habe ich so nicht gesagt und auch nicht gemeint. Ich habe einfach nur den Unterschied zwischen einigen ontologischen Kategorien erläutert.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Allerdings habe ich damit noch ein kleines Problem: meiner Ansicht nach beschreiben die nicht dasselbe. Nach der Definition von David Chalmers bin ich kein Physikalist, nach den beiden anderen wäre ich jedoch einer. Der Unterschied ist, dass Frank Jackson und David Lewis von physisch vollkommenen Duplikaten reden, David Chalmers aber nicht und das ist mE ein wesentlicher Unterschied.


Die Wortwahl ist nicht dieselbe, aber – wenn ich mich nicht irre – die drei Formulierungen sind dennoch äquivalent.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Den beiden letzten Definitionen kann ich problemlos zustimmen, der von Chalmers aber nicht. Und das liegt daran, dass sich meiner Ansicht nach kein logischer Widerspruch ergibt, wenn man in der aktualen Welt eine Identität von Physischem und Mentalem annimmt, das aber als kontingenten Fakt dieser Welt ansieht und nicht als einen in sich notwendigen Fakt, also einen Fakt, der in allen möglichen Welten gelten muss. So wie z.B. Gravitation auch ein kontingenter Fakt unserer Welt sein könnte.


Es geht hier zunächst nur um die Beziehung der Supervenienz, die an sich nicht die Beziehung der Identität impliziert.
Chalmers' Definition des Materialismus bezieht sich auf die ontologische Supervenienz, während er selbst als Nichtmaterialist nur die nomologische Supervenienz des Nichtphysischen, insbesondere des Psychischen, über dem Physischen behauptet.
Noch einmal zum fraglichen Unterschied:

"Naturgesetzliche Supervenienz: In allen möglichen Welten w1 und w2, in denen dieselben Naturgesetze gelten wie in unserer Welt, gilt: Wenn in w2 die physischen Eigenschaften genau so verteilt sind wie in w1, dann sind in w2 auch die mentalen Eigenschaften genau so verteilt wie in w1.

Metaphysische Supervenienz: In allen möglichen Welten w1 und w2 gilt ohne Einschränkung: Wenn in w2 die physischen Eigenschaften genau so verteilt sind wie in w1, dann sind in w2 auch die mentalen Eigenschaften genau so verteilt wie in w1."

Naturgesetzliche Supervenienz ist nach allgemeiner Ansicht zu schwach, um physikalistisch akzeptabel zu sein."


(Beckermann, Ansgar. Das Leib-Seele-Problem: Eine Einführung in die Philosophie des Geistes. Paderborn: Fink/UTB, 2008. S. 83-4)

Wer nur die nomologische Supervenienz des Psychischen über dem Physischen annimmt, der nimmt an, dass es mögliche Welten mit anderen Naturgesetzen gibt, in denen die gleichen physikalischen Tatsachen bestehen wie in unserer wirklichen Welt, aber andere oder gar keine (positiven) psychologischen Tatsachen. Genau dies wird von den Physikalisten bestritten: Es gibt keine mögliche Welt, in denen die gleichen physikalischen Tatsachen bestehen wie in unserer Welt, aber andere oder gar keine (positiven) psychologischen Tatsachen. Das bedeutet beispielsweise, dass in keiner möglichen Welt ein physisch vollkommen gleicher Zwillingsbruder von mir existiert, der sich zwar genauso verhält wie ich, aber im Gegensatz zu mir ein Zombie ohne Bewusstsein ist.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Mag sein oder nicht: aber man muss den begründen können. Man könnte es in diesem Falle durch eine Reduktion des Mentalen auf das Physische zeigen. Gelänge eine solche Reduktion, dann würde ich diese Notwendigkeit anerkennen.


Der reduktionistische Physikalismus impliziert den Supervenienz-Physikalismus, was umgekehrt nicht der Fall ist.

#130:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 16.11.2010, 03:49
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Vielleicht mal so gesagt: es gibt mE Gesetze und Eigenschaften auf Systemebene, (bei hinreichend komplexen Systemen), die nicht auf dessen Bestandteile zurückgeführt werden können, sich nicht aus diesen, wenn die einzeln betrachtet werden, ergeben und daher auch nicht aus denen abgeleitet werden können. Nicht a priori.

Es ist klar, dass bestimmte Systemeigenschaften keine Eigenschaften der einzelnen Elemente sind. Ich bezweifle nur, dass es Systemeigenschaften gibt, die nicht von den Eigenschaften, Beziehungen und Wechselwirkungen der Elemente (evolutionär) abgeleitet und abhängig sind. Das heißt, ich lehne den starken, ontologischen Emergenzbegriff ab. Ich habe nichts gegen den schwachen, epistemologischen Emergenzbegriff, bei dem es lediglich darum geht, dass man nicht a priori von der Kenntnis der Elemente und ihrer Eigenschaften auf die Eigenschaften eines von ihnen gebildeten Systems schließen kann.

Naja, a posteriori Ableitungen (sofern die keine prüfbaren Vorhersagen machen) sind aber total uninteressant. A posteriori kann man alles behaupten.

Da kann man sich schöne Geschichten ausdenken z.B. über männliche Höhlenmenschen, die Mammuts jagen müssen, wohingegen die weiblichen Höhlenmenschen die Kinder versorgen und Beeren sammeln. Die Männer müssen still sein, um die Mammuts nicht zu verjagen und die Frauen tratschen die ganze Zeit, weil das die Beeren nicht verjagen kann. Beeren können ja nicht weglaufen. Und dann kann man aus dieser schönen Geschichte normative Forderungen auf unser heutiges Verhalten ableiten. "Die Evolution und so, weißt schon, willst doch kein Wissenschaftsfeind sein."

Finde ich aber wenig überzeugend.

Ich kann mir nämlich im Nachhinein auch beliebige, aber schöne Geschichten ausdenken, um vergangene Geschehnisse zu interpretieren. Meine Phantasie kennt auch keine Grenzen. Ich kann mir locker Geschichten ausdenken, die A plausibel erscheinen lassen und Geschichten, die A unplausibel erscheinen lassen.

Also, mal abgesehen von einer schönen, narrativen, nachträglich erfundenen Geschichte, die man ja selber so plausibel halten mag wie auch immer, wie sich Mentales evolutionär entwickelt haben könnte, was hast Du zusätzlich dazu zu bieten? Wie ist die Erklärungslücke nachweislich zu überbrücken? Wie kann man Mentales auf Physisches zurückführen?

Klar kann man auch Beliebiges über Buddhismus und über Ego-Tunnel schwafeln, über die 'Loslösung vom Ich' und dergleichen. Aber Naturwissenschaft ist das mE nicht.

Mal ganz furchtbar böse gesagt.

Myron hat folgendes geschrieben:
Die Elemente + ihre Relationen + ihre Interaktionen sind das System.

Ja, auf eine gewisse Weise schon. Aber auf eine gewisse und mE ganz wichtige und gar die wesentliche Weise stimmt das nicht.

Ich frage mich nämlich dann unweigerlich, wieso man die Bestandteile als das Grundlegende eines Systemes ansieht und nicht die Eigenschaften des Systemes als das eigentlich Wesentliche.

Letzteres erscheint mir deswegen eine unausweichliche Sichtweise, weil ein System auch durch andere Bestandteile implementiert werden könnte. Die Bestandteile an sich sind, falls das so ist, also doch wohl als nebenrangig, als untergeordnet anzusehen, gar als irrelevant, (es muss zwar irgendwie passende Bestandteile geben, aber welche genau, ist letzlich egal). Das, was das System eigentlich ausmacht, sind doch dann logischerweise nicht die Bestandteile (und deren Eigenschaften), sondern eine bestimmte Funktionalität.

Und wenn man meint, so wie ich, dass das, was ein System ausmacht, durch unendlich viele unterschiedliche Bestandteile realisiert werden kann, dann kann man doch nicht mehr ernsthaft behaupten, dass das (komplexe) System auf seine Bestandteile zurückführbar sei. Das muss dann logischerweise etwas anderes sein, etwas den Bestandteilen Übergeordnetes, etwas davon Abstrahiertes.

Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ach so, jetzt verstehe ich erst: Dein Katalog von Entitäten umfasst genau Folgendes (und nicht mehr): reale Objekte, abstrakte Objekte, Seelen und Geister. Das wusste ich nicht. Sorry.

Äh…, das habe ich so nicht gesagt und auch nicht gemeint. Ich habe einfach nur den Unterschied zwischen einigen ontologischen Kategorien erläutert.

Natürlich, selbstverständlich, das hast Du nicht gesagt.

Das war nur eine Vermutung von mir, die, wenn Du sagst, dass sie falsch, demnach eben falsch ist.

Was für einen Katalog von Entitäten hast Du also? Zusätzlich zu den oben genannten Entitäten?

Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Allerdings habe ich damit noch ein kleines Problem: meiner Ansicht nach beschreiben die nicht dasselbe. Nach der Definition von David Chalmers bin ich kein Physikalist, nach den beiden anderen wäre ich jedoch einer. Der Unterschied ist, dass Frank Jackson und David Lewis von physisch vollkommenen Duplikaten reden, David Chalmers aber nicht und das ist mE ein wesentlicher Unterschied.

Die Wortwahl ist nicht dieselbe, aber – wenn ich mich nicht irre – die drei Formulierungen sind dennoch äquivalent.

Nein, finde ich nicht. Weiß nicht, ob wir das hier klären können. Wegen mir nicht unbedingt, das ist eigentlich nicht mein Punkt hier, derjenige, der mich eigentlich interessiert.

Myron hat folgendes geschrieben:
Wer nur die nomologische Supervenienz des Psychischen über dem Physischen annimmt, der nimmt an, dass es mögliche Welten mit anderen Naturgesetzen gibt, in denen die gleichen physikalischen Tatsachen bestehen wie in unserer wirklichen Welt, aber andere oder gar keine (positiven) psychologischen Tatsachen. Genau dies wird von den Physikalisten bestritten: Es gibt keine mögliche Welt, in denen die gleichen physikalischen Tatsachen bestehen wie in unserer Welt, aber andere oder gar keine (positiven) psychologischen Tatsachen. Das bedeutet beispielsweise, dass in keiner möglichen Welt ein physisch vollkommen gleicher Zwillingsbruder von mir existiert, der sich zwar genauso verhält wie ich, aber im Gegensatz zu mir ein Zombie ohne Bewusstsein ist.

Kommt aber mE darauf, welche Definiton eines Physikalisten man zugrunde legt. Wie gesagt, den Definitonen von Frank Jackson und David Lewis könnte ich mich anschließen, der von David Chalmers aber nicht.

Das liegt an meinem Verständnis von 'exaktem Duplikat'.

Vielleicht mal anders gesagt: wenn ein Physikalist jemand ist, der zu den beobachteten Fakten und (interpretierten) Zusammenhängen unserer Welt etwas Zusätzliches (Metaphysisches) dazu postuliert, etwas, das 'die Welt im Inneren zusammenhält', dann bin ich ganz sicher kein Physikalist.

Mir geht es hier aber eigentlich nicht um Definitionen bezüglich 'Physikalist' und 'Nicht-Physikalist', sondern um eine viel grundsätzlichere Sache, nämlich darum, inwiefern der 'wissenschaftliche Realismus' überhaupt gerechtfertigt ist.

Ich zweifele dessen grundlegenden Prämissen an.

Siehe dazu auch dort.

Ausführlicher dort: Hilary Putnam - Why There Isn't a Ready-Made World.

Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Mag sein oder nicht: aber man muss den begründen können. Man könnte es in diesem Falle durch eine Reduktion des Mentalen auf das Physische zeigen. Gelänge eine solche Reduktion, dann würde ich diese Notwendigkeit anerkennen.

Der reduktionistische Physikalismus impliziert den Supervenienz-Physikalismus, was umgekehrt nicht der Fall ist.

Ja, klar, aber das war nicht mein Punkt hier.

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Mein genereller Punkt hier ist: 'unsere Welt' sind nicht die physikalischen Zusammenhänge an sich, per se und nichts sonst, sondern 'unsere Welt' ist immer die Kombination aus physikalischen Zusammenhängen und deren Interpretation durch uns. Man kann nicht das eine vom anderen trennen, das erscheint mir ein per se völlig aussichtloses Unterfangen zu sein.

Und wenn das die eigentliche Grundidee des Physikalismus sein sollte, (man könne das trennen und die physikalischen Zusammenhänge seien alles, was unsere Welt ausmache, einfach so, aus sich heraus, intrinsisch), dann ist er mE einfach nur falsch. Geht von falschen metaphysischen Voraussetzungen aus, von der mE inkonsistenten Idee, man könne beobachten ohne ein Beobachter zu sein. Bzw. von der Idee, es könne einen Beobachter ohne Eigenschaften geben.

#131:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 16.11.2010, 22:22
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Naja, a posteriori Ableitungen (sofern die keine prüfbaren Vorhersagen machen) sind aber total uninteressant. A posteriori kann man alles behaupten.


Wenn ich von der Ableitung von Systemeigenschaften aus Elementeigenschaften und -beziehungen spreche, dann meine ich damit zunächst keine theoretische Deduktion oder Reduktion, sondern einen evolutionären Prozess; das heißt, in diesem Sinne bedeutet "X ist aus Y abgeleitet" "X ist aus Y entstanden" oder "X ist aus Y hervorgegangen" oder "X hat seinen Ursprung in Y" oder "X wurzelt in Y" oder "X gründet in Y". Ob es gelingt, solche Emergenzprozesse im Nachhinein genau zu erklären, steht dabei auf einem anderen Blatt.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Also, mal abgesehen von einer schönen, narrativen, nachträglich erfundenen Geschichte, die man ja selber so plausibel halten mag wie auch immer, wie sich Mentales evolutionär entwickelt haben könnte, was hast Du zusätzlich dazu zu bieten? Wie ist die Erklärungslücke nachweislich zu überbrücken? Wie kann man Mentales auf Physisches zurückführen?


Präzise gefragt: Wie kann man die evolutionsgeschichtliche Entstehung bewusst erlebter Körpervorgänge auf unbewusste Körpervorgänge zurückführen?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Klar kann man auch Beliebiges über Buddhismus und über Ego-Tunnel schwafeln, über die 'Loslösung vom Ich' und dergleichen. Aber Naturwissenschaft ist das mE nicht.


Ich kann dir beispielsweise die Bücher von Gerald Edelman und Antonio Damasio empfehlen, dessen neuestes Werk gerade erschienen ist: Self Comes to Mind: Constructing the Conscious Brain.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Myron hat folgendes geschrieben:
Die Elemente + ihre Relationen + ihre Interaktionen sind das System.

Ja, auf eine gewisse Weise schon. Aber auf eine gewisse und mE ganz wichtige und gar die wesentliche Weise stimmt das nicht.


Doch. Ein System ist freilich insofern mehr als die Summe seiner Elemente, als es ganz entscheidend auch auf die anatomische und dynamische Struktur ankommt; aber über die Elemente und die Struktur (Beziehungsmuster) hinaus ist ein System nichts weiter.

"When suitably formulated, the compositional model expresses the thought that (a) there are no levels of being (or, rather, there is only one level of ultimate constituents), although there are levels of description and explanation; and (b) the constituents in all of their interrelatednesses, interreactivities, and dispositions for these with one another and with whatever might be external, in all of their varying degrees of stability, do fully constitute and together are the whole (admitting some additions, subtractions, and alterations of properties and configuration suitable for being that kind of whole). Nothing less than this will do as a compositional model."

(Martin, C. B. The Mind in Nature. Oxford: Oxford University Press, 2007. pp. 38-9)

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Ich frage mich nämlich dann unweigerlich, wieso man die Bestandteile als das Grundlegende eines Systemes ansieht und nicht die Eigenschaften des Systemes als das eigentlich Wesentliche.


Tut man das? Die Elementeigenschaften sind zwar grundlegend, aber das bedeutet doch nicht, dass alle Systemeigenschaften grundsätzlich unwesentlich sind.
Im Gegenteil, Mutter Natur ist kreativ, d.h. sie bringt durch evolutionäre Systembildung unzählige neuartige Eigenschaften hervor, die nicht schon bei den einzelnen Elementen zu finden sind. Diese ganzheitlichen Eigenschaften sind mitnichten bedeutungslos!

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Letzteres erscheint mir deswegen eine unausweichliche Sichtweise, weil ein System auch durch andere Bestandteile implementiert werden könnte. Die Bestandteile an sich sind, falls das so ist, also doch wohl als nebenrangig, als untergeordnet anzusehen, gar als irrelevant, (es muss zwar irgendwie passende Bestandteile geben, aber welche genau, ist letzlich egal). Das, was das System eigentlich ausmacht, sind doch dann logischerweise nicht die Bestandteile (und deren Eigenschaften), sondern eine bestimmte Funktionalität.


Die Funktionalität, d.h. die systemischen Wirkungen und Wechselwirkungen werden durch die dispositionellen Eigenschaften, kurz Dispositionen, der auf bestimmte geometrische Weise angeordneten Bestandteile (Moleküle, Atome) bestimmt. Es sind die Manifestationen jener Dispositionen, die die Systemdynamik ausmachen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Und wenn man meint, so wie ich, dass das, was ein System ausmacht, durch unendlich viele unterschiedliche Bestandteile realisiert werden kann, dann kann man doch nicht mehr ernsthaft behaupten, dass das (komplexe) System auf seine Bestandteile zurückführbar sei. Das muss dann logischerweise etwas anderes sein, etwas den Bestandteilen Übergeordnetes, etwas davon Abstrahiertes.


In einem biologischen Organismus werden im Zuge der Interaktion mit seiner Umwelt laufend alte Atome und Moleküle durch gleichartige neue ausgetauscht. Dass die Systemstruktur nicht von bestimmten einzelnen Atomen und Molekülen abhängig ist, heißt nicht, dass sie überhaupt nicht von Atomen und Molekülen abhängig ist. Denn ohne diese gibt es auch keine Struktur. Strukturen, d.i. Beziehungsmuster, können nicht als freischwebende Abstrakta existieren.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Was für einen Katalog von Entitäten hast Du also? Zusätzlich zu den oben genannten Entitäten?


Meine fundamentalen ontologischen Kategorien sind:

1. Gebilde
1.1 Konkrete Gegenstände/Dinge
1.1.1 Materielle Substanzen
2. Eigenschaften (nicht als Universalien, sondern als Partikularien, d.i. Individuen: monadische Modi)
3. Beziehungen (nicht als Universalien, sondern als Partikularien, d.i. Individuen: polyadische Modi)

(Alle anderen Kategorien wie Sachverhalte, Tatsachen, Zustände, Vorgänge und Ereignisse lassen sich auf diese drei Kategorien reduzieren.)

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Das liegt an meinem Verständnis von 'exaktem Duplikat'.


Wenn A und B (perfekte) Duplikate sind, dann gibt es keine intrinsischen Eigenschaften, die A hat und B nicht, oder die B hat und A nicht.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Mir geht es hier aber eigentlich nicht um Definitionen bezüglich 'Physikalist' und 'Nicht-Physikalist', sondern um eine viel grundsätzlichere Sache, nämlich darum, inwiefern der 'wissenschaftliche Realismus' überhaupt gerechtfertigt ist.
Ich zweifele dessen grundlegenden Prämissen an.


Das wäre ein Thema für einen anderen Thread.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Mein genereller Punkt hier ist: 'unsere Welt' sind nicht die physikalischen Zusammenhänge an sich, per se und nichts sonst, sondern 'unsere Welt' ist immer die Kombination aus physikalischen Zusammenhängen und deren Interpretation durch uns. Man kann nicht das eine vom anderen trennen, das erscheint mir ein per se völlig aussichtloses Unterfangen zu sein.


Die Welt ist eine Sache und unser Bild davon eine andere. Wir machen Weltbilder, aber nicht die Welt.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Und wenn das die eigentliche Grundidee des Physikalismus sein sollte, (man könne das trennen und die physikalischen Zusammenhänge seien alles, was unsere Welt ausmache, einfach so, aus sich heraus, intrinsisch), dann ist er mE einfach nur falsch. Geht von falschen metaphysischen Voraussetzungen aus, von der mE inkonsistenten Idee, man könne beobachten ohne ein Beobachter zu sein. Bzw. von der Idee, es könne einen Beobachter ohne Eigenschaften geben.


Natürlich kann es keine beobachterunabhängigen Weltbeobachtungen geben, was aber nicht bedeutet, dass es keine beobachterunabhängige Welt gibt. Das Physische ist weder physik- noch physikerabhängig.

"Ein weiteres Missverständnis besteht in der Annahme, dass es etwas Epistemisches am Realismus gebe. So schreibt zum Beispiel Hilary Putnam:
'Der gesamte Inhalt des Realismus liegt in der Behauptung, dass es sinnvoll ist, sich einen Blick aus dem Auge Gottes vorzustellen (oder besser einen Blick von nirgendwo).'
Aber das ist nicht der Inhalt des Realismus, wie er normalerweise verstanden wird. Ganz im Gegenteil, die ganze Idee einer 'Ansicht' ist schon epistemisch und der externe Realismus ist nicht epistemisch. Es wäre mit dem Realismus vereinbar zu vermuten, dass jede Art von 'Ansicht' der Wirklichkeit ganz unmöglich ist."

(S. 164)

"Die Idee der Begriffsrelativität ist alt und, wie ich glaube, korrekt. Jedes Klassifikations- oder Individuationssystem von Objekten, jedes Kategoriensystem zur Beschreibung der Welt, ja, jedes Repräsentationssystem überhaupt ist konventionell und insofern willkürlich. Die Welt teilt sich so auf, wie wir sie aufteilen, und wenn wir jemals geneigt sind zu glauben, dass unsere gegenwärtige Methode, sie einzuteilen, die richtige oder irgendwie unvermeidliche ist, können wir uns immer alternative Klassifikationssysteme ausdenken. ... Weil jede wahre Beschreibung der Welt immer innerhalb irgendeines Vokabulars, in irgendeinem System von Begriffen gegeben werden wird, hat Begriffsrelativität die Konsequenz, dass jede wahre Beschreibung immer relativ auf ein System von Begriffen gegeben wird, das wir mehr oder weniger willkürlich für die Beschreibung der Welt ausgewählt haben. So charakterisiert scheint der Begriffsrelativismus vollständig wahr zu sein, ja geradezu platt."
(S. 170f.)

"Man denke sich das Verhältnis von Realismus und Begriffsrelativismus etwa so:
Man nehme sich eine Ecke der Welt, zum Beispiel das Himalaya-Gebirge, und man denke es sich, wie es vor der Existenz menschlicher Wesen war. Nun stelle man sich vor, dass Menschen daherkommen und sich die Tatsachen auf vielfache verschiedene Weise repräsentieren. Sie haben verschiedene Vokabularien, verschiedene Systeme, sich Karten zu machen, verschiedene Systeme, Berge zu zählen, einen Berg, zwei Berge, denselben Berg usf. Als Nächstes stelle man sich vor, dass schließlich alle Menschen aufhören zu existieren, Was passiert nun mit der Existenz des Himalaya und all den Tatsachen hinsichtlich des Himalaya-Gebirges im Verlauf dieser verschiedenen Wechselfälle? Überhaupt nichts. Verschiedene Beschreibungen von Tatsachen, Objekten usf. kamen und gingen, aber die Tatsachen, Objekte usf. blieben unberührt. (Bezweifelt jemand das wirklich?)
Die Tatsache, dass alternative begriffliche Schemata verschiedene Beschreibungen derselben Wirklichkeit zulassen und dass es keine Beschreibungen der Wirklichkeit außerhalb aller begrifflichen Schemata gibt, hat nicht die geringste Auswirkung auf die Wahrheit des Realismus."

(S. 174)

"Aus der Tatsache, dass eine Beschreibung nur relativ auf eine Menge linguistischer Kategorien gemacht werden kann, folgt nicht, dass die beschriebenen Tatsachen/Objekte/Sachverhalte etc. nur relativ auf eine Menge von Kategorien bestehen können. Richtig verstanden ist Begriffsrelativismus eine Darstellung der Art und Weise, wie wir die Anwendungen unserer Ausdrücke festlegen. Was als eine richtige Anwendung des Ausdrucks 'Katze' oder 'Kilogramm' oder 'Canyon' (oder 'Klörg') zählt, hängt von unserer Entscheidung ab und ist insofern willkürlich. Aber wenn wir die Bedeutung solcher Ausdrücke in unserem Vokabular durch willkürliche Definitionen einmal festgelegt haben, dann beruht es nicht länger auf irgendeiner Art Relativismus oder Willkür, ob repräsentationsunabhängige Eigenschaften der Welt diesen Definitionen genügen, weil die Eigenschaften der Welt, die den Definitionen genügen oder nicht, unabhängig von diesen oder anderen Definitionen existieren. Wir definieren das Wort 'Katze' willkürlich auf die und die Art; und nur relativ auf solche und solche Definitionen können wir sagen 'Das ist eine Katze'. Aber sobald wir einmal die Definitionen gemacht haben und sobald wir einmal die Begriffe relativ auf das Definitionssystem angewendet haben, ist es nicht länger willkürlich oder relativ, ob etwas unserer Definition genügt oder nicht. Dass wir das Wort 'Katze' in der Weise benutzen, wie wir es tun, liegt bei uns; dass es ein Objekt gibt, das unabhängig von diesem Gebrauch existiert und diesem Gebrauch genügt, beruht einfach auf einer (absoluten, immanenten, geistesunabhängigen) Tatsache. Im Gegensatz zu Goodman machen wir nicht 'Welten'; wir machen Beschreibungen, die auf die wirkliche Welt passen oder nicht. Aber all dies impliziert, dass es eine Wirklichkeit gibt, die unabhängig von unserem Begriffssystem existiert. Ohne eine solche Wirklichkeit gibt es nichts, auf das der Begriff angewendet werden kann."
(S. 176)

(Searle, John R. Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit: Zur Ontologie sozialer Tatsachen. Übers. v. Martin Suhr. Reinbek: Rowohlt, 1997.)

#132:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 16.11.2010, 22:31
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Siehe dazu auch dort.
Ausführlicher dort: Hilary Putnam - Why There Isn't a Ready-Made World.


Übrigens, soweit ich weiß, hat sich inzwischen Putnam selbst vom internen Realismus verabschiedet. (Siehe z.B.: The Threefold Cord: Mind, Body, and World, Columbia UP, 1999.)

#133:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 17.11.2010, 17:04
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Klar kann man auch Beliebiges über Buddhismus und über Ego-Tunnel schwafeln, über die 'Loslösung vom Ich' und dergleichen. Aber Naturwissenschaft ist das mE nicht.

Ich kann dir beispielsweise die Bücher von Gerald Edelman und Antonio Damasio empfehlen, dessen neuestes Werk gerade erschienen ist: Self Comes to Mind: Constructing the Conscious Brain.

Ja, danke, hört sich sehr interessant an. Von Damásio halte ich viel, von Metzinger (zumindest nach dem, was ich von seinem Ego-Tunnel kenne) wenig. Letzterer macht mMn schlechte Philosophie.

War in diesem Thread nicht schon mal was mit Damásio?

Ach ja, da isses ja:

göttertod hat folgendes geschrieben:
Rette dein idealistisches, dualistisches, epiphänomenales Heidegger-Husserl-Hegel-Bieri-Damasio-Searl-Eccles-etc.sonstwas-Weltbild woanders!!!!!!!

(Hervorhebung von mir)

Ich würde übrigens mein Weltbild lieber (vorläufig, mangels tieferer philosophischer Kenntnis) ein Kant-Popper-Bieri-Damásio-Rorty-Janich-Putnam-Weltbild nennen.

(Searle und Eccles passen da jedenfalls nicht rein. Bei Hegel, Husserl und Heidegger gebe ich meine Unwissenheit zu, zu denen kann ich jetzt kein Urteil abgeben.)

Mein Weltbild würde ich aber nicht als "idealistisch, dualistisch und epiphänomenal" bezeichnen, sondern als "realistisch, pluralistisch und pragmatisch".

(Aber ich gebe zu, dass mein Weltbild kein fixes ist, ich bin da permanent am [weiter oder auch neu]-Entwickeln, am Basteln.)

@göttertod: was ist dann Dein Weltbild?

Ein Kolbenheyer-Wolf Singer-Roth-Metzinger-Blackmore-Weltbild?

Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Mein genereller Punkt hier ist: 'unsere Welt' sind nicht die physikalischen Zusammenhänge an sich, per se und nichts sonst, sondern 'unsere Welt' ist immer die Kombination aus physikalischen Zusammenhängen und deren Interpretation durch uns. Man kann nicht das eine vom anderen trennen, das erscheint mir ein per se völlig aussichtloses Unterfangen zu sein.

Die Welt ist eine Sache und unser Bild davon eine andere. Wir machen Weltbilder, aber nicht die Welt.

Mein Punkt ist hier, dass es keine Beschreibung der Realität geben kann, die frei ist von jeglichem Beobachterstandpunkt.

Eine Philosophie oder eine Wissenschaft, die meint, die leisten zu können, baut daher auf einer falschen Grundlage auf.

Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Siehe dazu auch dort.
Ausführlicher dort: Hilary Putnam - Why There Isn't a Ready-Made World.


Übrigens, soweit ich weiß, hat sich inzwischen Putnam selbst vom internen Realismus verabschiedet. (Siehe z.B.: The Threefold Cord: Mind, Body, and World, Columbia UP, 1999.)

Ja, er ist inzwischen bei einem direkten Realismus angelangt. Aber so wie ich das verstehe, steht der nicht im Gegensatz zu seinem früher vertretenen internen Realismus, ist eher eine Art Erweiterung.

Aber egal, dann aus was Aktuellerem mal ein Zitat, das nochmal beleuchtet, um was es mir geht:

PRAGMATISM AND THE ORDINARY: The Rorty-Putnam Debate from a ... hat folgendes geschrieben:
He [Putnam] is aware to „the common philosophical error of supposing that the term reality must refer to a single superthing instead of looking at the way in which we endlessly renegotiate—and are forced to renegotiate—our notion of reality as our language and our life develop.”

#134:  Autor: Waschmaschine777 BeitragVerfasst am: 18.11.2010, 08:42
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Ich würde übrigens mein Weltbild lieber (vorläufig, mangels tieferer philosophischer Kenntnis) ein Kant-Popper-Bieri-Damásio-Rorty-Janich-Putnam-Weltbild nennen.

(Searle und Eccles passen da jedenfalls nicht rein. Bei Hegel, Husserl und Heidegger gebe ich meine Unwissenheit zu, zu denen kann ich jetzt kein Urteil abgeben.)



Mit der Aufzählung kann ich in diesem Thread - in dem es um das neuronale Korrelat des Bewusstseins geht - überhaupt nichts anfangen.
Richard Rorty und Karl Popper liegen bezüglich des Bewusstseinproblems meilenweit auseinander. Richard Rorty vertrat anfangs bezüglich des Leib-Seele-Problems die Position des eliminativen Materialismus. Später stand er dem reduktiven Materialismus aufgeschlossener gegenüber. Gegensätzlich ist Karl Popper: Der vertrat einen interaktionistischen Dualismus.
Warum passt eigentlich Eccles nicht rein? Er und Popper vertreten in: "Das Ich und sein Gehirn" fast deckungsgleiche Positionen. Es ist zwar schon länger her, dass ich das Buch gelesen habe, aber als einziger signifikanter Unterschied ist mir nur die Positionierung in der Frage der Sterblichkeit aufgefallen. Eccles ist von einer unsterblichen Seele überzeugt, während Popper eher zur Ansicht tendiert, dass Seele und Körper sterblich sind.

#135:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 18.11.2010, 09:00
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Mein Punkt ist hier, dass es keine Beschreibung der Realität geben kann, die frei ist von jeglichem Beobachterstandpunkt


Aus der unbestrittenen Beschreiber- oder Beobachterabhängigkeit von Wirklichkeitsbeschreibungen oder -beobachtungen folgt aber nicht die Beschreiber- oder Beobachterabhängigkeit der Wirklichkeit.
Mit anderen Worten, die Vorstellerabhängigkeit des Vorstellenden bedeutet nicht unbedingt die Vorstellerabhängigkeit des Vorgestellten. Das ist ein idealistischer Trugschluss!

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Aber egal, dann aus was Aktuellerem mal ein Zitat, das nochmal beleuchtet, um was es mir geht:

PRAGMATISM AND THE ORDINARY: The Rorty-Putnam Debate from a ... hat folgendes geschrieben:
He [Putnam] is aware to „the common philosophical error of supposing that the term reality must refer to a single superthing instead of looking at the way in which we endlessly renegotiate—and are forced to renegotiate—our notion of reality as our language and our life develop.”


Natürlich wandeln sich unsere Vorstellungen von der Wirklichkeit im Laufe der Zeit, was aber nicht unbedingt bedeutet, dass sich damit auch die Wirklichkeit an sich wandelt. Genauer gesagt, da Wirklichkeitsvorstellungen Teil der soziokulturellen Wirklichkeit sind, führt ein Wandel der Ersteren in der Praxis auch zu einem Wandel der Letzteren; doch was sich dadurch nicht ändert, ist die grundlegende natürliche Wirklichkeit.

#136:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 18.11.2010, 21:23
    —
Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich würde übrigens mein Weltbild lieber (vorläufig, mangels tieferer philosophischer Kenntnis) ein Kant-Popper-Bieri-Damásio-Rorty-Janich-Putnam-Weltbild nennen.

(Searle und Eccles passen da jedenfalls nicht rein. Bei Hegel, Husserl und Heidegger gebe ich meine Unwissenheit zu, zu denen kann ich jetzt kein Urteil abgeben.)

Mit der Aufzählung kann ich in diesem Thread - in dem es um das neuronale Korrelat des Bewusstseins geht - überhaupt nichts anfangen.
Richard Rorty und Karl Popper liegen bezüglich des Bewusstseinproblems meilenweit auseinander. Richard Rorty vertrat anfangs bezüglich des Leib-Seele-Problems die Position des eliminativen Materialismus. Später stand er dem reduktiven Materialismus aufgeschlossener gegenüber. Gegensätzlich ist Karl Popper: Der vertrat einen interaktionistischen Dualismus.
Warum passt eigentlich Eccles nicht rein? Er und Popper vertreten in: "Das Ich und sein Gehirn" fast deckungsgleiche Positionen. Es ist zwar schon länger her, dass ich das Buch gelesen habe, aber als einziger signifikanter Unterschied ist mir nur die Positionierung in der Frage der Sterblichkeit aufgefallen. Eccles ist von einer unsterblichen Seele überzeugt, während Popper eher zur Ansicht tendiert, dass Seele und Körper sterblich sind.

Öhm, ja, also, was soll ich jetzt sagen: Du hast einfach nur recht. Ist zugegenermaßen meiner Unwissenheit geschuldet.

Nimm also Rorty raus und Eccles wieder rein. Ich habe dummerweise nur in der deutschen Wikipedia über Eccles gelesen, das sollte man nicht tun, da steht zu viel Unsinn drin; was in der englischen Wikipedia über ihn steht, passt schon ganz gut zu meiner Ansicht. (Wusste ich aber eigentlich schon, dass die deutsche Wikipedia [zumindest in vielen Fällen] oft eine furchtbare Quelle ist. Verlegen )

Und über Rorty kann ich mir eigentlich kein Urteil erlauben, ich habe zwar jetzt noch nichts von ihm gefunden, dem ich widersprechen wollen würde, aber da muss ich mich noch mehr informieren.

Aber tatsächlich ist es so, dass ich Poppers 3-Welten-Lehre in einem gewissen Sinne für plausibel halte, (und insofern auch Eccles zustimme).

Nur: das ist mE kein interaktionistischer Dualismus!

Ich denke ja gerade, dass das ganze hier besprochene Problem darin liegt, (was aber mE ein Fehler ist), dass man meint, es könne nur entweder eine (auf eine bestimmte Weise gemeint) monistische oder eine dualistische Sichtweise geben und alles darauf zurückführen will.

Aber das herauszuarbeiten ist so verdammt schwierig, mir will es offensichtlich nicht gelingen. Was, denke ich, daran liegt, dass ich das noch nicht hinreichend durchschaue, sonst könnte ich mich sicher verständlicher ausdrücken.

Weiß nun leider auch nicht, wie das hier fortzuführen wäre.

Vielleicht bei der grundsätzlichen Frage: was gibt es eigentlich?

Vielleicht ist das ja der Knackpunkt.

Ich schätze mal, ich bin Universalienrealist.

Ich glaube, dass es die Mehrwertsteuer und Geld gibt. Es gibt mE Gedanken, Meinungen, Weltbilder, Religionen. Es gibt Wissenschaft, Physik, Kunst. Und das alles gibt es genauso, wie es Elektronen und Bosonen gibt.

Und ich glaube nicht, dass man Geld auf Bosonen und deren Spin zurückführen kann. Oder Gedanken auf neuronale Korrelate. Ebenso wie ich nicht glaube, dass man eine Software, die die Mehrwertsteuer berechnet, auf eine elektronische Schaltung zurückführen kann, (in dem Sinne, dass man aus der elektronischen Schaltung das herauslesen kann, was das Programm leistet). Denn um das zu können, muss das Konzept 'Mehrwertsteuer' bekannt sein. Und ein Konzept kann schlicht nicht aus einer elektronischen Schaltung herausgelesen werden.

Das bedeutet nun nicht, dass ich nicht glaubte, dass es keine beobachterunabhängige Wirklichkeit gäbe. Denn das glaube ich zwar, aber darum geht es mir hier nicht. Und selbstverständlich gäbe es keine Mehrwertsteuer, wenn es keine Gehirne gäbe.

Und dass ich meinen Punkt nicht klar darstellen kann, schreibe ich nur mir zu. Tut mir leid, dass ich mich nicht klar ausdrücken kann. (Das soll aber mitnichten eine Entschuldigung sein, das tut mir nur für mich leid.)

#137:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 18.11.2010, 21:38
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Mein Punkt ist hier, dass es keine Beschreibung der Realität geben kann, die frei ist von jeglichem Beobachterstandpunkt

Aus der unbestrittenen Beschreiber- oder Beobachterabhängigkeit von Wirklichkeitsbeschreibungen oder -beobachtungen folgt aber nicht die Beschreiber- oder Beobachterabhängigkeit der Wirklichkeit.
Mit anderen Worten, die Vorstellerabhängigkeit des Vorstellenden bedeutet nicht unbedingt die Vorstellerabhängigkeit des Vorgestellten. Das ist ein idealistischer Trugschluss!

Seufz.

Ich würde Dich gerne mal was fragen, weil ich viel von Dir und Deinen Kenntnissen halte.

Frage: inwiefern stimmen Deiner Ansicht nach die Ansichten von Putnam nicht mit dem Materialismus / Physikalismus überein? Wo ist der Knackpunkt? Was widerspricht dem M / P, ist damit nicht vereinbar?

Liegt es an der Ontologie, (so wie ich in meinem Beitrag hier drüber vermutete)?

Liegt es an dem Begriff der 'Wahrheit'?

Oder an der unterschiedlichen Auffassung darüber, ob Objektivität möglich ist?

Oder an was sonst?

Das würde ich wirklich gerne wissen und ich würde nicht fragen, wenn ich es wüsste. Es macht mich ganz fuchsig, dass ich das nicht selber beantworten kann.

#138:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 19.11.2010, 00:29
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Frage: inwiefern stimmen Deiner Ansicht nach die Ansichten von Putnam nicht mit dem Materialismus / Physikalismus überein? Wo ist der Knackpunkt? Was widerspricht dem M / P, ist damit nicht vereinbar?


Putnams bekanntester Einwand gegen den Type-Physikalismus (typenidentistischen Physikalismus), dem nach psychologische Typen mit physikalischen Typen identisch sind, bezieht sich auf die "multiple Realisierbarkeit" psychischer Zustände. Er spricht sich aber auch gegen den Token-Physikalismus (exemplarsidentistischen Physikalismus) und damit gegen den identistischen Physikalismus insgesamt aus. Später hat er überdies seine Abneigung gegen den funktionalistischen Physikalismus, an dessen Entwicklung er selbst maßgeblich beteiligt war, kundgetan. Putnam ist also kein Vertreter des reduktionistischen Physikalismus (mehr), und da er auch den eliminativistischen Physikalismus ablehnt, könnte man ihn als Antiphysikalisten bezeichnen. Andererseits glaubt er wohl nicht an Cartesianische Geister oder Seelen, was ihn wenigstens zu einem Substanz-Physikalisten macht.
Das Folgende ist eine knappe Zusammenfassung seines gegenwärtigen Standpunktes:

"The way out of the dilemma I would like to propose requires an appreciation of how sensory experiences are not passive affectations of an object called a 'mind' but (for the most part) experiences of aspects of the world by a living being. Mind talk is not talk about an immaterial part of us but rather a way of describing the exercise of certain abilities we possess, abilities that supervene upon the activities of our brains and upon all our various transactions with the environment but that do not have to be reductively explained using the vocabulary of physics and biology, or even the vocabulary of computer science. The metaphysical realignment I propose involves acquiescence in a plurality of conceptual resources, of different and not mutually reducible vocabularies (an acquiescence that is inevitable in practice, whatever our monist fantasies) coupled with a return not to dualism but to the 'natural realism of the common man'."

(Putnam, Hilary. The Threefold Cord: Mind, Body, and World. New York: Columbia University Press, 1999. pp. 37-8 )

In Ismen ausgedrückt:

Putnams Standpunkt (so wie er mir erscheint):

1. Direkter Realismus
2. Konzeptpluralismus und -relativismus
3. Nichtreduktiver Supervenienzphysikalismus (Supervenienznaturalismus)

#139:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 19.11.2010, 00:41
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
In Ismen ausgedrückt:

Putnams Standpunkt (so wie er mir erscheint):

1. Direkter Realismus
2. Konzeptpluralismus und -relativismus
3. Nichtreduktiver Supervenienzphysikalismus (Supervenienznaturalismus)

Danke für Deine Antwort.

So erscheint er mir übrigens auch.

Aber ich muss noch eine Frage stellen:

welcher (bzw. welche, wenn das mehrere sind) dieser Ismen ist mit dem Physikalismus nicht vereinbar / steht im Widerspruch zum Physikalismus?

Brauchst Du auch nicht begründen, wenn Du nicht magst oder das zu aufwendig für Dich ist, ich wäre schon dankbar für eine konkrete Benennung der widersprüchlichen Ismen aus Deiner Sicht.

#140:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 19.11.2010, 08:11
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
In Ismen ausgedrückt:
1. Direkter Realismus
2. Konzeptpluralismus und -relativismus
3. Nichtreduktiver Supervenienzphysikalismus (Supervenienznaturalismus)

Welcher (bzw. welche, wenn das mehrere sind) dieser Ismen ist mit dem Physikalismus nicht vereinbar / steht im Widerspruch zum Physikalismus?


Hm…, wenn (2) mit einem ausgeprägten Antirealismus einhergeht oder man der Meinung ist, dass nur der eliminative und der reduktive Physikalismus die Bezeichnung "Physikalismus" verdienen, dann besteht sicherlich ein Konflikt.
Aber im Übrigen lässt einem der Physikalismus, insbesondere der Supervenienz-Physikalismus, einen größeren theoretischen Spielraum, als es zunächst den Anschein hat:

http://plato.stanford.edu/entries/physicalism/#12

Und was die Physikalismus-inkompatiblen Ismen anbelangt:

"In general, we use 'anti-materialism' to refer to the disjunction of a certain cluster of views incompatible with materialism: namely, dualism (property dualism or substance dualism); robust neutral monism (neither physical properties nor mental properties have metaphysical priority over the other); anti-reductionist versions of hylomorphism; anti-reductionist accounts of normativity; 'liberal naturalism' (as opposed to reductive naturalism); idealism (e.g., phenomenalism); epistemic stalemate (the materialism/anti-materialism debate ultimately ends in a draw); enigma (the Mind-Body Problem has no solution); various anti-realisms (including those that deny the legitimacy, or even the intelligibility, of the Mind-Body Problem)."
———
"Wir beziehen 'Antimaterialismus' im Allgemeinen auf die Disjunktion einer bestimmten Menge Materialismus-inkompatibler Ansichten: nämlich, Dualismus (Eigenschaftsdualismus oder Substanzdualismus); starker neutraler Monismus (weder physische noch psychische Eigenschaften haben metaphysischen Vorrang gegenüber den anderen); antireduktionistische Versionen des Hylemorphismus; antireduktionistische Normativitäts-Theorien; 'liberaler Naturalismus' (als Gegensatz zum reduktiven Materialismus); Idealismus (z.B. Phänomenalismus); epistemische Pattsituation (die Materialismus/Antimaterialismus-Debatte endet schließlich unentschieden); Mysterium (es findet sich keine Lösung des Leib-Seele-Problems); diverse Antirealismen (einschließlich derer, die die Zulässigkeit oder sogar die Verständlichkeit des Leib-Seele-Problems bestreiten)."
[© meine Übers.]

(Koons, Robert C., and George Bealer, eds. Introduction to The Waning of Materialism. Oxford: Oxford University Press, 2010. xvii, n. xvi)

Dass außerdem jede Form von Supernaturalismus, einschließlich Theismus und Deismus, mit dem Physikalismus unvereinbar ist, versteht sich von selbst, weswegen die Autoren dies wohl nicht extra erwähnen.

P.S.:
Vielleicht ist "liberaler/pluralistischer Naturalist" die treffendste Bezeichnung für Putnam, denn den reduktivistisch-szientistischen Naturalismus/Materialismus lehnt er offenkundig ab.

#141:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 19.11.2010, 09:53
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

(Koons, Robert C., and George Bealer, eds. Introduction to The Waning of Materialism. Oxford: Oxford University Press, 2010. xvii, n. xvi)

P.S.:
Vielleicht ist "liberaler/pluralistischer Naturalist" die treffendste Bezeichnung für Putnam, denn den reduktivistisch-szientistischen Naturalismus/Materialismus lehnt er offenkundig ab.


In der oben erwähnten Einführung findet sich eine Liste mit Namen von Philosophen, die den Materialismus anzweifeln oder ablehnen. Diese Liste enthält auch den Namen Putnams, und es ist angemerkt, dass er der Aufnahme in diese Liste ausdrücklich zugestimmt hat.

#142:  Autor: Waschmaschine777 BeitragVerfasst am: 19.11.2010, 15:16
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Aber tatsächlich ist es so, dass ich Poppers 3-Welten-Lehre in einem gewissen Sinne für plausibel halte, (und insofern auch Eccles zustimme).

Nur: das ist mE kein interaktionistischer Dualismus!



Auch wenn er eine Welt 3 draufsetzt , vertritt Popper grundsätzlich einen interaktionistischen Dualismus:

Ich glaube, dass es nicht mehr als der gesunde Menschenverstand ist, wenn wir, zumindest vorläufig, akzeptieren, dass es in der Tat diese Wechselwirkung zwischen physikalischen Zuständen (oder Vorgängen) und mentalen Zuständen (oder Vorgängen) gibt, oder zwischen den Welten 1 und 2. Und da Dinge, die miteinander in Wechselwirkung stehen, als real bezeichnet werden können, können wir auch die Realität dieser beiden Welten akzeptieren. Also kann ich mich selbst als einen cartesischen Dualisten beschreiben. In Wirklichkeit bin ich sogar ein bisschen besser als Descartes: Ich bin ein Pluralist, weil ich auch die Realität einer dritten Welt akzeptiere, die ich "Welt 3" nennen werde. (S.39f)

Und das mit den üblichen Problemen die der Dualismus so mit sich bringt. (Wie und Wo finden die Wechselwirkungen statt?)

Descartes´ Problem der Lokalisation des vollen Bewusstseins oder des Denkenden selbst ist weit davon entfernt, unsinnig zu sein. Meine Vermutung ist, dass die Interaktion des Selbst mit dem Gehirn im Sprachzentrum lokalisiert ist. (S. 52)

Zitate aus: Karl R. Popper: Wissen und das Körper-Geist-Problem: Ein Plädoyer für den Interaktionismus in Thomas Metzinger (Hrsg.) Grundkurs Philosophie des Geistes; Band2: Das Leib-Seele-Problem; Paderborn mentis Verlag, 2007

#143:  Autor: Waschmaschine777 BeitragVerfasst am: 19.11.2010, 15:54
    —
Zur Popperschen Welt 3:


Obwohl die verschiedenen Gebiete und Regionen innerhalb von Welt 3 als menschliche Erfindungen entstehen, entstehen gleichermaßen, als unbeabsichtigte Konsequenzen dieser Erfindungen, autonome Probleme und mögliche Lösungen für sie. Diese existieren unabhängig von dem Bewusstsein, dass irgend jemand von ihnen hat: Sie können von uns entdeckt werden, in dem selben Sinne in dem andere Dinge - sagen wir neue Elementarteilchen oder unbekannte Berge und Flüsse - von uns entdeckt werden können.
Nun bedeutet dies, dass wir mehr aus Welt 3 herausholen können, als wir selbst in sie hineinstecken. Es gibt ein Geben und Nehmen zwischen uns selbst und Welt 3, bei dem wir mehr nehmen können als wir jemals geben.
Dies gilt für die Künste genauso wie für die Wissenschaften.
(S. 46f)

Irgendwie übertreibt er. Dass die Gegenstände der Welt 3, also die Erzeugnisse des menschlichen Geistes wie Kunstwerke, wissenschaftliche Theorien, Theaterstücke, Werkzeuge usw., Zusätzlichkeiten hervorbringen, die unabhängig bestehen, ist ja im Fall wissenschaftlicher Theorien noch einsichtig, weil die ja der Reibung durch die Realität ausgesetzt sind. Aber das Kunstwerke irgenwie objektive Probleme mit sich bringen, die man entdecken kann wie einen Fluss finde ich unplausibel.


Zitat aus: Karl R. Popper: Wissen und das Körper-Geist-Problem: Ein Plädoyer für den Interaktionismus in Thomas Metzinger (Hrsg.) : Grundkurs Philosophie des Geistes; Band2: Das Leib-Seele-Problem; Paderborn mentis Verlag, 2007

#144:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 19.11.2010, 22:54
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Myron hat folgendes geschrieben:
In der oben erwähnten Einführung findet sich eine Liste mit Namen von Philosophen, die den Materialismus anzweifeln oder ablehnen. Diese Liste enthält auch den Namen Putnams, und es ist angemerkt, dass er der Aufnahme in diese Liste ausdrücklich zugestimmt hat.

Okay, danke.

Ehrlich gesagt habe ich jetzt immer noch nicht den eigentlichen Gedanken hinter dem Physikalismus verstanden. In Deinem Link gibt es zwar eine lange Liste, was Physikalismus alles nicht ist, aber was er eigentlich vertritt, ist mir immer noch nicht so ganz klar geworden. Mir scheint auch, als gäbe es da keine rechte Einigung. Aber da mag ich mich irren.

Aber gut, dennoch bedeutet das nun wohl, dass ich mich nicht mehr als Physikalisten bezeichnen kann.

Denn ich glaube zwar, dass alles in unserer Welt über physikalischen Prozessen superveniert, (kleine Einschränkung: ich glaube an globale Supervenienz). Und ich glaube auch, dass in einer physikalisch identischen Kopie unserer Welt alle Phänomene identisch zu unserer Welt wären, (das ist nämlich mE einfach per definitionem so, verstehe ich als Tautologie).

Aber ich glaube nicht, dass in einer Welt, in der man (nach unserem heutigen Wissen prinzipiell) keinen physikalischen Unterschied zu unserer Welt erkennen könnte, alle Phänomene identisch zu denen in unserer Welt wären. (Denn ich sehe keinen Grund dafür, warum Zombies nicht möglich sein könnten. Es müsste ein notwendiges [in allen möglichen Welten geltendes] physikalisches Gesetz geben, so dass ein bestimmtes System mit bestimmten Eigenschaften und in einer bestimmten Zusammensetzung notwendigerweise ein phänomenales Bewusstsein entwickelt. Aber das sehe ich nicht, ich wüsste nicht, wieso dieses Gesetz nicht nur in einigen Welten gelten könne, [kontingent ist]. Aber das ist selbstverständlich vom jetzigen Kenntnisstand abhängig, wenn man zukünftig irgendwelche Brückenprinzipien findet, die eine solche Notwendigkeit zeigen, was ich keineswegs für unmöglich halte, dann werde ich meine Meinung diesbezüglich natürlich ändern. Aber vorher sehe ich keinen Grund dafür.)

Und Letzteres disqualifiziert mich dann wohl als Physikalisten, schätze ich, da fehlt mir das letzte Glaubenselement oder so.

Naja, zumindest bin ich zumindest methodologischer Naturalist, wenn ich schon kein metaphysischer Physikalist bin.

#145:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 19.11.2010, 23:11
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@Waschmaschine777

Wie gesagt, halte ich Poppers 3-Welten-Theorie für in einem bestimmten Sinn für richtig, (sinnvoll, plausibel).

Die 3 Welten umfassen 3 unterschiedliche Kategorien: 1. Welt = die beobachterunabhängige Wirklichkeit, 2. Welt = die first-person-Perspektive, 3. Welt = die Welt der Sprache / Symbole.

Ob die nun ontologisch getrennt sind, ob das cartesischer Dualismus ist oder und was das eigentlich bedeutet: diese Fragen erscheinen mir erst mal nebenrangig, weil viel zu unscharf. Mir scheint, dass jeder etwas anderes damit verbindet.

Die Behauptung, nur die 1. Welt sei die einzig wirklich reale, kommt mir jedenfalls falsch vor.

Und das ist unabhängig davon, dass ich glaube, dass alles über physikalischen Prozessen superveniert. Und alles letztlich irgendwie evolutioniert ist.

Denn das sind nun mal keine Erklärungen.

Die Frage ist dann immer noch, wieso die drei Welten interagieren, wieso sie was miteinander zu tun haben.

Der Punkt ist einfach, dass niemand, der Welt 2 und Welt 3 ablehnt, die als illusionär betrachtet, mehr eine Erklärung abgeben kann, denn das müsste er ja dann aus Welt 1 heraus tun und das geht nun mal aus Prinzip nicht. So ein Reduktionismus / Eliminativismus ist schlicht per se zum Scheitern verurteilt, denn gibt er sie aus Welt 2 und Welt 3 heraus ab, dann muss ja seine Erklärung selber logischerweise auch eine Illusion sein, d.h. in Wirklichkeit nicht existieren.

Wie gesagt: das sieht man sehr schön an Metzingers Ego-Tunnel. Er versucht das zwar, aber scheitert notwendigerweise grandios.

Aber man sieht das auch gut an dem Eingangsbeitrag in diesem Thread, wo (implizit) behauptet wird, das Selbst sei ein Konzept und Meme seien im Vergleich dazu keine (oder weniger) Konzepte, seien wirklicher.

Was selbstverständlich nicht stimmt, denn völlig unabhängig davon, für wie plausibel jemand die Mem-Vorstellung hält: es ist so oder so ein Konzept.

Und klar ist das Selbst ebenfalls ein Konzept, (aber deswegen noch lange keine Illusion). Und wir benötigen nun mal Konzepte, Verallgemeinerungen, Abstraktionen, Interpretationen, um die Welt zu erklären, anders geht es nicht - ich wüsste jedenfalls nicht wie.

Die Alternative kann doch wohl jedenfalls nicht sein, nur noch auf singuläre Objekte / Konstellationen in Welt 1 zu zeigen und jedes von diesen als einzigartig anzusehen, keinerlei Zusammenhänge mehr herzustellen. Also auf Sprache und Symbole gänzlich zu verzichten, man nur insofern noch spricht, als man ausschließlich Eigennamen verwendet und dann zu meinen, das sei die einzig wahre Realität.

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Und zum Abschluss noch ein Zitat, (das bezieht sich nicht auf Dich, ist mehr so allgemein gesagt - aber schon im Zusammenhang zum Threadthema und zum Ausgangsbeitrag gemeint):

Im Ego-Tunnel sind die Lichter an hat folgendes geschrieben:
Ob sich damit am Ende zeigen lässt, wie der Autor es anvisiert, dass wir eigentlich gar kein Selbst haben, hängt ganz davon ab, was wir uns da eigentlich immer vorgestellt haben sollen. Im Zweifelsfall gilt anscheinend: immer das Gegenteil von dem, was neurowissenschaftliche Aufklärung gerade anzubringen hat.

Das ist auch so ein Punkt, der mich immer wieder ärgert, dieses weit verbreitete Schwarz-Weiß-Denken. Entweder bist Du ein toller Physikalist, der an die Wahrheit glaubt oder Du bist ein religiöser dualistischer cartesianischer Spinner. Tertium non datur.

Und nicht nur, dass die Welt derart binär sein soll, (entweder vertritt jemand die einzig wahre Wahrheit, so wie ich, oder er ist ein irrationaler Spinner), es wird auch noch als Fakt angesehen, dass die meisten anderen Leute religiöse dualistische cartesische Spinner seien, die wir Erleuchtete, die wir die wahre Meinung vertreten, jetzt mal aufklären müssen.

Und Aufklärung, um hier nicht missverstanden zu werden, halte ich zwar für gut und sinnvoll. Aber nicht dann, wenn keine Argumente gebracht werden und wenn nicht auf Gegenargumente eingegangen wird. Dann hat das etwas unangenehm Missionarisches und das ist dann schlicht keine Aufklärung mehr.

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Edit: Popper würde ich übrigens in dem Punkt, was Kunst angeht, zustimmen. Es gibt doch ohne Frage öfter mal Diskussionen darüber, was Kunst ist, was Kunst ausmacht, ob dies Kunst ist oder jenes oder ob es das jeweils nicht ist. Und eine Einigung darüber gibt es meist nicht, da bleiben am Schluss öfter mal unterschiedliche Meinungen, man kann sich nicht einigen. Und also wirft das Konzept 'Kunst' Fragen auf, die nicht letztbegründet beantwortet werden können.

Naja, und ob das nun 'objektive' oder 'subjektive' Probleme sind, darüber kann man vielleicht streiten.

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen 'objektiven' und 'subjektiven' Problemen? Nach welchen Kriterien kann man ein Problem als 'objektiv' klassifizieren?

Das müsste mE erst mal geklärt werden, das ist mir nämlich überhaupt nicht klar.

Wieso sollte eine Diskussion über Kunst weniger 'Reibung mit der Realität' bedeuten als z.B. eine über Bosonen?

#146:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 20.11.2010, 01:21
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

Vielleicht ist "liberaler/pluralistischer Naturalist" die treffendste Bezeichnung für Putnam, denn den reduktivistisch-szientistischen Naturalismus/Materialismus lehnt er offenkundig ab.


"Hilary Putnam, one of the leading liberal naturalists…"

(De Caro, Mario, and Alberto Voltolini. "Is Liberal Naturalism Possible?" In Naturalism and Normativity, edited by Mario de Caro and David Macarthur, 69-86. New York: Columbia University Press, 2010. p. 77)

#147:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 20.11.2010, 01:28
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
In der oben erwähnten Einführung findet sich eine Liste mit Namen von Philosophen, die den Materialismus anzweifeln oder ablehnen. Diese Liste enthält auch den Namen Putnams, und es ist angemerkt, dass er der Aufnahme in diese Liste ausdrücklich zugestimmt hat.

Myron hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Vielleicht ist "liberaler/pluralistischer Naturalist" die treffendste Bezeichnung für Putnam, denn den reduktivistisch-szientistischen Naturalismus/Materialismus lehnt er offenkundig ab.

"Hilary Putnam, one of the leading liberal naturalists…"

(De Caro, Mario, and Alberto Voltolini. "Is Liberal Naturalism Possible?" In Naturalism and Normativity, edited by Mario de Caro and David Macarthur, 69-86. New York: Columbia University Press, 2010. p. 77)

Ich finde das sehr verwirrend.

Mir erscheint das einfach nur widersprüchlich.

skeptisch

#148:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 20.11.2010, 02:49
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Ehrlich gesagt habe ich jetzt immer noch nicht den eigentlichen Gedanken hinter dem Physikalismus verstanden. In Deinem Link gibt es zwar eine lange Liste, was Physikalismus alles nicht ist, aber was er eigentlich vertritt, ist mir immer noch nicht so ganz klar geworden. Mir scheint auch, als gäbe es da keine rechte Einigung. Aber da mag ich mich irren.


Die traditionelle Grundidee des Physikalismus ist einfach, dass alles Reale materieller/physischer Natur ist oder sich auf materielle/physische Entitäten reduzieren lässt. Der Supervenienz-Physikalismus ist generöser, weil er nicht unbedingt von der (identistischen oder funktionalistischen) Reduzierbarkeit von allem auf das Materielle/Physische ausgeht, sondern nur eine bestimmte Abhängigkeitsbeziehung zwischen den physikalischen und nichtphysikalischen Eigenschaften oder Tatsachen postuliert, nämlich die Beziehung der Supervenienz: Wenn eine Menge von Eigenschaften oder Tatsachen, A, auf einer anderen Menge von Eigenschaften oder Tatsachen, B, superveniert, dann hängt jede A-Änderung von einer B-Änderung ab. Motto: Keine A-Änderung ohne B-Änderung! Man kann das auch umdrehen: Ohne B-Änderung keine A-Änderung! Und das heißt, dass die Beziehung der Supervenienz der Beziehung der Determination entspricht:

"A superveniert auf B" <–> "B determiniert A"

Wenn also die B-Eigenschaften oder B-Tatsachen die A-Eigenschaften oder A-Tatsachen determinieren, dann werden letztere durch erstere bestimmt, festgelegt.
(Siehe: http://www.iep.utm.edu/superven)
Der allgemeine Kernthese des Supervenienz-Physikalismus lässt sich also alternativ wie folgt formulieren:

Alles Reale ist materieller/physischer Natur oder wird von materiellen/physischen Entitäten determiniert.


Die schematische Formulierung des nichteliminativen und nichtreduktiven Physikalismus lautet:

Alles Reale ist materieller/physischer Natur oder steht zum Materiellen/Physischen in einer bestimmten Abhängigkeitsbeziehung R.

Das theoretische Hauptproblem besteht nun darin zu entscheiden, um welche Art von Abhängigkeitsbeziehung es sich dabei handelt, da es ja mehrere gibt. So gibt es eine dritte mögliche Formulierung:

Alles Reale ist materieller/physischer Natur oder wird von materiellen/physische Entitäten nezessitiert.

Die Beziehung der Nezessitation (engl. "necessitation") entspricht der Beziehung der (logischen) Implikation (engl. "entailment").

Des Weiteren gibt es die Beziehungen der ontischen und genetischen Dependenz:
X ist von Y ontisch abhängig, wenn es nicht ohne Y existieren kann; und X ist von Y genetisch abhängig, wenn es nicht existieren kann, ohne von Y erschaffen/erzeugt/hervorgebracht worden zu sein.

Wir haben es also mit (mindestens) fünf möglichen Arten von Beziehung zu tun:

1. Supervenienz
1.1 ontologische/metaphysische S.
1.2 nomologische (naturgesetzliche) S.
2. Determination
3. Nezessitation (Implikation)
4. Dependenz
4.1 ontische D.
4.2 genetische D.


Und das macht die Aufgabe, eine passende Formulierung der physikalistischen Kernthese zu finden, nicht gerade einfacher, zumal die Klärung der genauen logisch-ontologischen Verhältnisse zwischen diesen Beziehungen eine sehr diffizile Angelegenheit ist, bei der Otto Normalverbraucher kaum noch durchblickt und mitkommt.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Denn ich glaube zwar, dass alles in unserer Welt über physikalischen Prozessen superveniert, (kleine Einschränkung: ich glaube an globale Supervenienz). Und ich glaube auch, dass in einer physikalisch identischen Kopie unserer Welt alle Phänomene identisch zu unserer Welt wären, (das ist nämlich mE einfach per definitionem so, verstehe ich als Tautologie).
Aber ich glaube nicht, dass in einer Welt, in der man (nach unserem heutigen Wissen prinzipiell) keinen physikalischen Unterschied zu unserer Welt erkennen könnte, alle Phänomene identisch zu denen in unserer Welt wären. (Denn ich sehe keinen Grund dafür, warum Zombies nicht möglich sein könnten. Es müsste ein notwendiges [in allen möglichen Welten geltendes] physikalisches Gesetz geben, so dass ein bestimmtes System mit bestimmten Eigenschaften und in einer bestimmten Zusammensetzung notwendigerweise ein phänomenales Bewusstsein entwickelt.


Ein in allen möglichen Welten herrschendes physikalisches Gesetz wäre ein metaphysisches Gesetz.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Aber das sehe ich nicht, ich wüsste nicht, wieso dieses Gesetz nicht nur in einigen Welten gelten könne, [kontingent ist]. Aber das ist selbstverständlich vom jetzigen Kenntnisstand abhängig, wenn man zukünftig irgendwelche Brückenprinzipien findet, die eine solche Notwendigkeit zeigen, was ich keineswegs für unmöglich halte, dann werde ich meine Meinung diesbezüglich natürlich ändern. Aber vorher sehe ich keinen Grund dafür.)
Und Letzteres disqualifiziert mich dann wohl als Physikalisten, schätze ich, da fehlt mir das letzte Glaubenselement oder so.


Es sind sich so gut wie alle Philosophen darin einig, dass die rein nomologische und damit kontingente Supervenienzbeziehung zwischen dem Physischen und dem Nichtphysischen, insbesondere dem Psychischen, für den Physikalismus zu schwach ist – aber nicht für den Naturalismus.
Der Physikalismus ist per se naturalistisch, aber der Naturalismus ist nicht per se physikalistisch, sodass man zwischen dem (Ontologische-)Supervenienz-Physikalismus und dem (Nomologische-)Supervenienz-Naturalismus unterscheiden kann.

#149:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 20.11.2010, 02:50
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
In der oben erwähnten Einführung findet sich eine Liste mit Namen von Philosophen, die den Materialismus anzweifeln oder ablehnen. Diese Liste enthält auch den Namen Putnams, und es ist angemerkt, dass er der Aufnahme in diese Liste ausdrücklich zugestimmt hat.

Myron hat folgendes geschrieben:

"Hilary Putnam, one of the leading liberal naturalists…"

(De Caro, Mario, and Alberto Voltolini. "Is Liberal Naturalism Possible?" In Naturalism and Normativity, edited by Mario de Caro and David Macarthur, 69-86. New York: Columbia University Press, 2010. p. 77)

Ich finde das sehr verwirrend.

Mir erscheint das einfach nur widersprüchlich.


Inwiefern?

#150:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 21.11.2010, 02:07
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Inwiefern?

Weil: ich mich geirrt habe.

Ich hatte den philosophischen Unterschied zwischen Naturalismus und Materialismus / Physikalismus noch nicht nicht verstanden.

Also gut, demnach bin ich nun zwar Naturalist, aber kein Materialist / Physikalist.

Gut zu wissen, (obgleich mir das nicht viel nutzen wird, weil das so kompliziert ist, will sagen, kaum jemand wird das zukünftig verstehen, wenn ich das so sage.)

Aber dennoch, vielen Dank nochmal für deine Mühe.

Zumindest verstehe ich jetzt halbwegs, wie Du diese Kategorien unterscheidest.

Ich habe keine weiteren Fragen mehr an Dich.

Und mein Thema hier war zwar ein etwas anderes, aber wenn das niemanden interessiert, wenn niemand darauf anspringt, dann sei es eben so.

#151:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 21.11.2010, 05:36
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Ich hatte den philosophischen Unterschied zwischen Naturalismus und Materialismus / Physikalismus noch nicht nicht verstanden.


Was genau diese Ismen beinhalten, wie genau sie sich zueinander verhalten, und wo genau der eine anfängt und der andere aufhört, ist Teil der philosophischen Diskussion, worin—wie immer in der Philosophie—unterschiedliche Auffassungen vertreten werden.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Also gut, demnach bin ich nun zwar Naturalist, aber kein Materialist / Physikalist.


Eine wesentliche Gemeinsamkeit der Naturalisten und Materialisten ist auf jeden Fall die Ablehnung des Substanzdualismus, d.h. des Glaubens an die Existenz sowohl von Körpern als auch von unkörperlichen Seelen oder Geistern.

#152: Zombies Autor: Waschmaschine777 BeitragVerfasst am: 22.11.2010, 13:16
    —
Wenn Zombies möglich sind, dann bin ich wohl einer.
Das Problem das ich mit einer Zombiewelt habe ist die Wirkungsmacht des Bewusstseins in dieser. Das phänomenale Bewusstsein ist eine Erfindung der Materie. Rein materielle Vorgänge in den Zombiegehirnen haben die Rede vom phänomenalen Bewusstsein entwickelt. Zombie-Dichter schreiben Gedichte über gebrochene Herzen, Zombie-Philosophen diskutieren über die Möglichkeit von Welten, deren Bewohner im Gegensatz zu ihnen kein Bewusstsein aufweisen, Zombieehen werden geschieden, weil die Gefühle von Zombine - nach ihren eigenen Angaben - für ihren Zomberich erkaltet sind.
In unserer Welt ist das nicht anders. Matrielle Prozesse in Gehirnen haben die Rede von phänomenalen Bewusstsein entwickelt. Reden über Bewusstsein hat nichts mit dem Haben von Bewusstsein zu tun. Alles was wir über Bewusstsein sagen können ist genauso viel Wert wie das was die Zombies zu sagen haben.
Es wäre ein Wunder wenn neben all dem Gelaber über phänomenalen Bewusstsein es tatsächlich so etwas gäbe.
Also entweder bin ich ein Zombie, weil mir Wunder suspekt sind, oder aber Bewusstsein ist mit materiellen Vorgängen zu identifizieren.
Wer glaubt, man könne über phänomenales Bewusstsein vernünftig reden, muss den Epiphänomenalismus ablehen.

#153: Re: Zombies Autor: zelig BeitragVerfasst am: 22.11.2010, 13:33
    —
Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben:
Wenn Zombies möglich sind, dann bin ich wohl einer.
Das Problem das ich mit einer Zombiewelt habe ist die Wirkungsmacht des Bewusstseins in dieser. Das phänomenale Bewusstsein ist eine Erfindung der Materie. Rein materielle Vorgänge in den Zombiegehirnen haben die Rede vom phänomenalen Bewusstsein entwickelt. Zombie-Dichter schreiben Gedichte über gebrochene Herzen, Zombie-Philosophen diskutieren über die Möglichkeit von Welten, deren Bewohner im Gegensatz zu ihnen kein Bewusstsein aufweisen, Zombieehen werden geschieden, weil die Gefühle von Zombine - nach ihren eigenen Angaben - für ihren Zomberich erkaltet sind.
In unserer Welt ist das nicht anders. Matrielle Prozesse in Gehirnen haben die Rede von phänomenalen Bewusstsein entwickelt. Reden über Bewusstsein hat nichts mit dem Haben von Bewusstsein zu tun. Alles was wir über Bewusstsein sagen können ist genauso viel Wert wie das was die Zombies zu sagen haben.
Es wäre ein Wunder wenn neben all dem Gelaber über phänomenalen Bewusstsein es tatsächlich so etwas gäbe.
Also entweder bin ich ein Zombie, weil mir Wunder suspekt sind, oder aber Bewusstsein ist mit materiellen Vorgängen zu identifizieren.
Wer glaubt, man könne über phänomenales Bewusstsein vernünftig reden, muss den Epiphänomenalismus ablehen.


Und ich bin ein Handflächenzombie. Alle Menschen glauben, sie hätten 10 Finger. Dabei sind sie nur eine Erweiterung der Handflächen. Rein materielle Vorgänge in den Zombiehandflächen haben das Schreiben übr das 10-Finger-System ermöglicht. Zombiekletterer hangeln sich Felswände hinauf, Zombiemaler halten Pinsel in den Händen und diskutieren über die Möglichkeit von Welten, deren Bewohner im Gegensatz zu ihnen keine Finger aufweisen, Zombieringe werden aufgesteckt, weil die Gefühle von Zombine für ihren Zomberich erwärmt sind. In unserer Welt ist das nicht anders. Matrielle Prozesse unserer Handflächen haben das Schreiben über Finger ermöglicht. Schreiben über Finger hat nichts mit dem Haben von Fingern zu tun. Alles was wir über Finger schreiben können, ist genauso viel Wert wie das was die Zombies zu schreiben haben. Es wäre ein Wunder wenn neben all dem Geschreibe über Finger es tatsächlich so etwas gäbe. Also entweder bin ich ein Handflächenzombie, weil mir Wunder suspekt sind, oder aber Finger sind schlicht mit Handflächen zu identifizieren. Mehr Argumente fallen mir gerade nicht ein.

#154: Re: Zombies Autor: Waschmaschine777 BeitragVerfasst am: 22.11.2010, 13:43
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben:
Wenn Zombies möglich sind, dann bin ich wohl einer.
Das Problem das ich mit einer Zombiewelt habe ist die Wirkungsmacht des Bewusstseins in dieser. Das phänomenale Bewusstsein ist eine Erfindung der Materie. Rein materielle Vorgänge in den Zombiegehirnen haben die Rede vom phänomenalen Bewusstsein entwickelt. Zombie-Dichter schreiben Gedichte über gebrochene Herzen, Zombie-Philosophen diskutieren über die Möglichkeit von Welten, deren Bewohner im Gegensatz zu ihnen kein Bewusstsein aufweisen, Zombieehen werden geschieden, weil die Gefühle von Zombine - nach ihren eigenen Angaben - für ihren Zomberich erkaltet sind.
In unserer Welt ist das nicht anders. Matrielle Prozesse in Gehirnen haben die Rede von phänomenalen Bewusstsein entwickelt. Reden über Bewusstsein hat nichts mit dem Haben von Bewusstsein zu tun. Alles was wir über Bewusstsein sagen können ist genauso viel Wert wie das was die Zombies zu sagen haben.
Es wäre ein Wunder wenn neben all dem Gelaber über phänomenalen Bewusstsein es tatsächlich so etwas gäbe.
Also entweder bin ich ein Zombie, weil mir Wunder suspekt sind, oder aber Bewusstsein ist mit materiellen Vorgängen zu identifizieren.
Wer glaubt, man könne über phänomenales Bewusstsein vernünftig reden, muss den Epiphänomenalismus ablehen.


Und ich bin ein Handflächenzombie. Alle Menschen glauben, sie hätten 10 Finger. Dabei sind sie nur eine Erweiterung der Handflächen. Rein materielle Vorgänge in den Zombiehandflächen haben das Schreiben übr das 10-Finger-System ermöglicht. Zombiekletterer hangeln sich Felswände hinauf, Zombiemaler halten Pinsel in den Händen und diskutieren über die Möglichkeit von Welten, deren Bewohner im Gegensatz zu ihnen keine Finger aufweisen, Zombieringe werden aufgesteckt, weil die Gefühle von Zombine für ihren Zomberich erwärmt sind. In unserer Welt ist das nicht anders. Matrielle Prozesse unserer Handflächen haben das Schreiben über Finger ermöglicht. Schreiben über Finger hat nichts mit dem Haben von Fingern zu tun. Alles was wir über Finger schreiben können, ist genauso viel Wert wie das was die Zombies zu schreiben haben. Es wäre ein Wunder wenn neben all dem Geschreibe über Finger es tatsächlich so etwas gäbe. Also entweder bin ich ein Handflächenzombie, weil mir Wunder suspekt sind, oder aber Finger sind schlicht mit Handflächen zu identifizieren. Mehr Argumente fallen mir gerade nicht ein.


Ich verstehe nicht was Du damit ausdrücken willst.
Ein Zombie ist in der phil. Diskussion jemand, der kein phänomenales Bewusstsein aufweist, sich aber genau so verhält wie ein Mensch der phänomenales Bewusstsein besitzt.
Was genau fehlt den Zombies in deiner Geschichte im Vergleich zum normalen Menschen?

#155: Re: Zombies Autor: zelig BeitragVerfasst am: 22.11.2010, 14:07
    —
Ich will damit eigentlich nur sagen, daß mich die einfache Behauptung, es gäbe kein Bewusstsein, nicht von ihem Wahrheitsgehalt überzeugt.
Das Konzept des Epiphänomenalismus halte ich für problematisch, da ich nicht verstehen kann, wie etwas, was zwar verursacht sei, aber keine Wirkung haben soll, den Konflikt zwischen Begründungs- und Ursachenwirklichkeit zu Gunsten Letzterem entscheiden kann. Das leuchtet mir nicht ein.

#156:  Autor: göttertodWohnort: Freiburg BeitragVerfasst am: 22.11.2010, 20:35
    —
Für mich ist das Wichtigste, wenn ich über Zombiedasein nachdenke, die Unterscheidung zwischen Theorie und Praxis.

Der Theorie nach sind wir denke ich grob gesagt Zombies, was aber NICHT heißt, dass wir nicht unsere bis zu diesem Zeitpunkt sich entwickelten kognitiven Bestandteile (wie z.B. Selbstbewusstsein) zu unser aller Nutzen und Glück nutzen, modifizieren, erweitern können/sollten.

Es kommt auf den Umgang mit dieser Position an, folgt aus dem Zombiedasein eine Art von z.B. Nihilismus/Relativismus, oder folgt daraus der (wohl letztlich immer zum Scheitern verurteilte) Versuch sich aus diesem theoretischen Zombiedasein quasi zu erheben/quasi zu emanzipieren.

Der Versuch über eine bessere Theoriebildung der Wirklichkeit, auch ein besseres Selbstverständnis über uns selbst, unseren Platz und unsere Möglichkeiten und Zusammenhänge zu entwerfen. Was aber wieder nichts wäre als eine Verlagerung in eine höhere Komplexitätsebene, in die kognitive Regulation/Reflexion.
Das grob "biologische" Reiz-Reaktions-Modell wird ausgelagert auf eine grob "kognitive" Reiz-Reaktions-Reflexions-Ebene, welche aber trotzdem determiniert bleibt/ist.

Entweder frei, aber unter einem wohl nie endenden (geiles Wort Lachen ) Begründungszwang, samt zu viel negatives Beiwerk (z.B. "hättest dich ja auch anders entscheiden können, selber schuld"),
oder eingebettet (gefangen) in einer Welt, die dir nur "Spielraum" innerhalb der Komplexität deiner Reflexion erlaubt (Genetik wird jetzt mal weggelassen).
Das ist auch der Grund warum für mich die Wahrheit einen so hohen Stellenwert hat. Freude ohne Wahrheit ist nur eine Schwein-Freude.
Mit Drogen glücklich gemachte Arbeitssklaven in einer dystopischen Welt, sind trotzdem noch arme Schweine. (oder bei uns dummgehaltene Arbeitssklaven)

Also ein Unterschied zwischen Theorie und Praxis, wobei die Theorie selbstverständlich eine Auswirkung auf die Praxis hat.

Ich möchte mich jetzt auch mal bei allen bedanken, ich fühlte mich bisher von euren Gedanken sehr bereichert (auch dir agent, da du mit deinen Fragen den anderen die mir wichtigen Dinge entlockst). Will eigentlich viel mehr schreiben - hab nur keine Zeit.

#157:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 23.11.2010, 03:47
    —
Zombies (im philosophischen Sinn) sind Lebewesen, die nichts erleben. Das heißt, ihnen fehlt jegliches Bewusstsein, jegliche Subjektivität.

#158: Re: Zombies Autor: Myron BeitragVerfasst am: 23.11.2010, 04:32
    —
Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben:

Ein Zombie ist in der phil. Diskussion jemand, der kein phänomenales Bewusstsein aufweist, sich aber genau so verhält wie ein Mensch der phänomenales Bewusstsein besitzt.


Dein fiktiver Zombie-Gegenpart verhält sich nicht nur vollkommen gleich, sondern er gleicht dir auch vollkommen hinsichtlich der inneren Körpervorgänge, einschließlich der Nervenvorgänge. Das heißt, dass eure EEG-Aufzeichnungen und CT-Aufnahmen völlig ununterscheidbar wären. Mit anderen Worten, dein Zombie-Gegenpart ist bis hin zum Feuern der einzelnen Nervenzellen ein perfektes physisches Duplikat von dir – und doch besteht ein wesentlicher psychischer Unterschied zwischen euch: In dir strahlt das Licht des Bewusstseins, und in ihm herrscht das Dunkel der Bewusstlosigkeit.
Ich bestreite, dass es in anderen möglichen Welten solche Zombie-Gegenparte von uns allen gibt!

#159: Re: Zombies Autor: Myron BeitragVerfasst am: 23.11.2010, 04:55
    —
Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben:

Es wäre ein Wunder wenn neben all dem Gelaber über phänomenalen Bewusstsein es tatsächlich so etwas gäbe.


Das tatsächliche Vorhandensein von Bewusstsein ist nicht ohne Selbstwiderspruch leugbar!
Wenn das Bewusstsein eine Illusion wäre, dann würde die Illusion Bewusstsein voraussetzen. Folglich ist das Bewusstsein keine Illusion. Daraus, dass ich bei Bewusstsein zu sein scheine – und dieses Eindrucks kann ich mich beim besten Willen nicht erwehren –, kann ich mit Gewissheit schließen, dass ich bei Bewusstsein bin. Denn allein der Anschein von Bewusstsein ist ein Bewusstseinszustand.
Es wäre schlicht unlogisch zu behaupten, dass es mir trügerischerweise nur so scheint, als wäre ich bei Bewusstsein, obwohl dies in Wirklichkeit gar nicht der Fall ist. Denn einem bewusstlosen Lebewesen erscheint nichts!

#160: Re: Zombies Autor: Waschmaschine777 BeitragVerfasst am: 23.11.2010, 07:35
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben:

Es wäre ein Wunder wenn neben all dem Gelaber über phänomenalen Bewusstsein es tatsächlich so etwas gäbe.


Das tatsächliche Vorhandensein von Bewusstsein ist nicht ohne Selbstwiderspruch leugbar!
Wenn das Bewusstsein eine Illusion wäre, dann würde die Illusion Bewusstsein voraussetzen. Folglich ist das Bewusstsein keine Illusion. Daraus, dass ich bei Bewusstsein zu sein scheine – und dieses Eindrucks kann ich mich beim besten Willen nicht erwehren –, kann ich mit Gewissheit schließen, dass ich bei Bewusstsein bin. Denn allein der Anschein von Bewusstsein ist ein Bewusstseinszustand.


Genau diesen Beweis führt dein Zombieduplikat auch an.

#161: Re: Zombies Autor: Myron BeitragVerfasst am: 23.11.2010, 08:24
    —
Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben:

Genau diesen Beweis führt dein Zombieduplikat auch an.


Die Rede von Illusionen setzt die Perspektive der 1. Person voraus, da auch ein trügerischer Schein notwendigerweise einem Subjekt erscheint. Es ist höchst zweifelhaft, ob ein Zombie anderen mitteilen würde, dass es ihm so scheine, als wäre er bei Bewusstsein und würde etwas empfinden, fühlen und denken. Denn schließlich ist genau das nicht der Fall: er unterliegt nicht einmal dem Anschein bewussten Erlebens – er ist kein Subjekt!
Ich denke, dass mein angeblicher Zombie-Gegenpart infolge seines Nicht-Subjekt-Seins bestimmte Äußerungen und Verhaltensweisen im Gegensatz zu mir gar nicht an den Tag legen würde – und auch nicht könnte –, sodass allein der Begriff eines perfekten physischen Zombie-Duplikats meiner Person unerfüllbar erscheint. Stehen z.B. Schmerzäußerungen nicht in einem ursächlichen Zusammenhang mit Schmerzempfindungen? Was sollte meinen Zombie-Gegenpart veranlassen, ebenfalls Aua! zu schreien, wo er doch überhaupt keinen Schmerz spürt?


Zuletzt bearbeitet von Myron am 23.11.2010, 11:55, insgesamt einmal bearbeitet

#162: Re: Zombies Autor: Waschmaschine777 BeitragVerfasst am: 23.11.2010, 08:58
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben:

Genau diesen Beweis führt dein Zombieduplikat auch an.


Die Rede von Illusionen setzt die Perspektive der 1. Person voraus, da auch ein trügerischer Schein notwendigerweise einem Subjekt erscheint. Es ist höchst zweifelhaft, ob ein Zombie anderen mitteilen würde, dass es ihm so scheine, als wäre er bei Bewusstsein und würde etwas empfinden, fühlen und denken. Denn schließlich ist genau das nicht der Fall: er unterliegt nicht einmal dem Anschein bewussten Erlebens – er ist kein Subjekt!
Ich denke, dass mein angeblicher Zombie-Gegenpart infolge seines Nicht-Subjekt-Seins bestimmte Äußerungen und Verhaltensweisen im Gegensatz zu mir gar nicht an den Tag legen würde – und auch nicht könnte –, sodass allein der Begriff eines perfekten physischen Zombie-Duplikats meiner Person unerfüllbar erscheint. Stehen z.B. Schmerzäußerungen nicht in einem ursächlichen Zusammenhang mit Schmerzempfindungen. Was sollte meinen Zombie-Gegenpart veranlassen, ebenfalls Aua! zu schreien, wo er doch überhaupt keinen Schmerz spürt?


Auch diese Argumentation hat ein Zombie drauf wenn es ihn denn gibt. Cool
Die ganze Debatte wird hinfällig, wenn man annimmt, dass es keine mögliche Welt gibt, die von Zombies bevölkert sein könnte. Wenn man annimmt, dass sich das Bewusstsein im Verhalten bemerkbar macht, sind philosophische Zombies natürlich nicht mehr möglich.

#163:  Autor: Waschmaschine777 BeitragVerfasst am: 23.11.2010, 09:38
    —
Meine Behauptung bei der Zombiedebatte war ja, dass eine Welt in der der Epiphänomenalismus wahr sein könnte höchstwahrscheinlich eine Zombiewelt ist.
Denn in so einer Welt hätte sich die Materie "entschlossen" von Bewusstsein zu reden. Die materiellen Vorgänge im Gehirn bringen sprachliche Äußerungen wie: "Ich empfinde Traurigkeit, wenn ich an ihn denke." hervor. Dass es davon unabhängig wirklich einen Materiezusatz namens aboutness gibt, auf die sich die Rede sinnvoll bezieht ist dann irgendwie ein Wunder.

#164:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 05.12.2010, 00:49
    —
Hat jemand heute das Interview mit Metzinger in der SZ gelesen? Ich hatte den Eindruck, daß er den Schutz der Privatheit von Gedanken in erster Linie als eine Frage der Wahrheitsfindung, und dem entgegen das Recht auf Unwahrheit betrachtet.
Zitat:
Ich bin grundsätzlich für immer mehr Transparenz, etwa beim Bankgeheimnis. Die Frage ist nur: Wann führt Transparenz zum Zusammenbruch, wie viel Verlogenheit brauchen wir? Unsere Alltagskommunikation besteht wahrscheinlich mehr aus vorsätzlicher Täuschung, als wir es uns eingestehen wollen.

Zwar liegt das Hauptinteresse des Angriffs auf die Privatheit im Versuch, auf die echte Kenntnis (also die Wahrheit) des Individuums zuzugreifen. Aber die Abwehr dagegen wird nicht mit dem Recht auf Lüge begründet. Vielleicht war das Interview einfach zu kurz. Aber das war ein Punnkt, den ich merkwürdig fand.

#165:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 05.12.2010, 01:07
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Aber die Abwehr dagegen wird nicht mit dem Recht auf Lüge begründet.

Sondern mit deren Notwendigkeit?

#166:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 05.12.2010, 01:15
    —
step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Aber die Abwehr dagegen wird nicht mit dem Recht auf Lüge begründet.

Sondern mit deren Notwendigkeit?
Mit dem Recht auf Selbstbestimmung, die auch eine Selbstbestimmung darüber bedeutet, was preisgegeben wird und was nicht.

#167:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 05.12.2010, 01:36
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Hat jemand heute das Interview mit Metzinger in der SZ gelesen?

Ich nicht. Habe keine SZ hier.

zelig hat folgendes geschrieben:
Ich hatte den Eindruck, daß er den Schutz der Privatheit von Gedanken in erster Linie als eine Frage der Wahrheitsfindung, und dem entgegen das Recht auf Unwahrheit betrachtet.

Wenn ich Dich richtig verstehe, dann irrst Du hier, glaube ich.

Den Artikel von heute habe ich nicht gefunden, aber einen etwas älteren (von 2007) in der SZ:

SZ hat folgendes geschrieben:
"Moderne bildgebende Verfahren einzusetzen, um klinische Diagnosen zu optimieren, halte ich für ethisch geboten", sagt Metzinger. Schwierig werde es jedoch, wenn man in den Gehirnen potentieller Straftäter lesen wolle.

"Es gibt ein Aussageverweigerungsrecht" - und das würde verletzt werden, wenn sich jemand in einen Hirnscanner legen muss.

Sieht mir nicht so aus, als ob er das Aussageverweigerungsrecht kippen wollen würde.

Ich halte zwar nicht viel von Metzinger, (s.o.. meine Anmerkungen zum Ego-Tunnel), aber dass er ein Gegner des Rechtsstaates wäre und einen totalitären Staat befürworten würde, kann man ihm demnach nicht vorwerfen.

Aber, wie gesagt, ich kenne den Artikel von heute nicht. Könnte natürlich sein, dass M. seine Meinung inzwischen geändert hat. (Glaube ich aber erst mal nicht.)

#168:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 05.12.2010, 02:11
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Ich halte zwar nicht viel von Metzinger, (s.o.. meine Anmerkungen zum Ego-Tunnel), aber dass er ein Gegner des Rechtsstaates wäre und einen totalitären Staat befürworten würde, kann man ihm wohl kaum vorwerfen.


Nein. Das kann man ihm tatsächlich nicht vorwerfen, soweit ich ihn kenne.
Es geht mir mehr um die Frage, womit eigentlich das Recht auf Privatheit von Gedanken begründet wird. Ich bin der Meinung, daß die Wahrheit, und das berechtigte Interesse an der Wahrheit, und wieweit es mit dem Interesse desjenigen in Konflikt steht, der die Wahrheit kennt, sie aber nicht preisgeben will, nur einer von einer ganzen Reihe verschiedener Aspekte dieser Frage ist.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
aber Du bist mal wieder schwer zu verstehen, ich bin aber vielleicht auch zu einfach gestrickt, um Dich zu verstehen


Es tut mir Leid, wenn ich schwer zu verstehen bin. Ich verstehe mich manchmal selber nicht. Du bist aber nicht einfach gestrickt, soweit ich das beurteilen kann.

#169:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 05.12.2010, 11:03
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Hat jemand heute das Interview mit Metzinger in der SZ gelesen?
Ich nicht. Habe keine SZ hier.

Falls jemand Bedarf hat: PN mit email.

#170:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 05.12.2010, 11:11
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Aber die Abwehr dagegen wird nicht mit dem Recht auf Lüge begründet.
Sondern mit deren Notwendigkeit?
Mit dem Recht auf Selbstbestimmung, die auch eine Selbstbestimmung darüber bedeutet, was preisgegeben wird und was nicht.

Ich sehe den Unterschied nicht so ganz zwischen "Recht auf Lüge" und "Recht auf Nichtpreisgabe".

Metzinger führt im wesentlichen folgende drei Begründungsansätze an:
- "Bewußtseinsfrieden" analog zu "Hausfrieden"
- "Würde des Menschen" wäre durch präventives Scannen tangiert
- der Mensch ist so gestrickt, daß er Lüge und Täuschung braucht

#171:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 05.12.2010, 13:42
    —
Das Interview ist jetzt online.
http://www.sueddeutsche.de/wissen/neurophilosoph-metzinger-im-interview-totale-transparenz-ist-unertraeglich-1.1031809

Ferner
http://www.sueddeutsche.de/wissen/neurowissenschaft-die-gedankenleser-1.1032093

#172:  Autor: göttertodWohnort: Freiburg BeitragVerfasst am: 15.02.2011, 12:51
    —
Gehirne und Emotionen lassen sich manipulieren

Zitat:
Hirnforscher Eilon Vaadia will Gelähmten mit implantierten Chips helfen. Auch Emotionen sind letztlich nur elektrische Muster im Netz der Nervenzellen.

WELT ONLINE: Sie implantieren Chips in das Gehirn von Affen. Warum?

Eilon Vaadia: Wir erforschen, wie das Gehirn Informationen verarbeitet. Das lässt sich grundsätzlich beobachten, da ja das Gehirn bei seinen Prozessen der Datenverarbeitung elektrische Signale nutzt. Und diese Signale kann man mit den implantierten Chips messen. Wir versuchen dann zu analysieren, was das Gehirn da gerade rechnet. Dabei ist es wichtig, so viele Datenkanäle wie möglich zu haben, die simultan das elektrische Geschehen einer ganzen Region im Gehirn aufzeichnen. Nur so wird man verstehen, wie das Gehirn eigentlich arbeitet. Das wiederum ist die Voraussetzung dafür, bestimmte neurologische Erkrankungen therapieren zu können.

(...)

WELT ONLINE: Woher wissen Sie, an welcher Stelle Sie einen Chip platzieren müssen, um etwas Bestimmtes zu erforschen?

Eilon Vaadia: Nach vielen Jahren der Hirnforschung ist heute ziemlich gut bekannt, welche Funktionen bestimmte Areale im Gehirn haben. Uns beispielsweise interessiert besonders der Motorcortex, der für die Steuerung von Bewegungen zuständig ist – zum Beispiel das Bewegen der Hand und der Finger. Wir wollen erforschen, wie im Detail solche Bewegungen vom Gehirn gesteuert werden. Der Clou dabei ist, dass wir uns nicht darauf beschränken, nur passiv zu beobachten, sondern wir können die Aktivitäten des Gehirns auch selbst manipulieren. Wir schreiben Software, mit der sich die Hardware namens Gehirn steuern lässt

WELT ONLINE: Das heißt, Sie senden elektrische Signale in das Gehirn, um Nervenzellen in einer bestimmten Art und Weise zu beeinflussen?

Eilon Vaadia: Genau. Das machen wir. Dazu werten wir die gemessenen Daten aus dem Gehirn im Computer extrem schnell aus und senden dann gleichsam in Echtzeit elektrische Stimuli zurück, mit denen sich das Verhalten – in unserem Fall bestimmte Bewegungen – optimieren lässt. Natürlich muss man dabei sehr vorsichtig vorgehen. Dahinter steckt die Idee des geschlossenen Kreislaufs: Der Computer misst die Aktivitäten im Gehirn und berechnet, was im nächsten Schritt getan werden müsste. Mit seinen Stimuli kann der Computer also – wenn nötig – korrigierend eingreifen und das Gehirn unterstützen. Das Gehirn arbeitet nämlich grundsätzlich nach dem Prinzip, nächste Schritte vorauszusagen. Genau das Gleiche macht auch die Maschine.

(...)

WELT ONLINE: Und wenn man noch weiter in die Zukunft blickt, dann könnten funkende Chips im Gehirn eine ganz neuartige Kommunikation zwischen Mensch und Maschine ermöglichen?

Eilon Vaadia: Exakt. Wir sollten schon heute darüber nachdenken, welche Zugriffe wir den Maschinen dann auf das menschliche Gehirn erlauben wollen und welche nicht. (...)

(...)

WELT ONLINE: Wird es auch möglich sein, Gefühle zu stimulieren, sodass man etwa beim Agieren in einer virtuellen Welt taktile Rückmeldungen erhält?

Eilon Vaadia: Ja, auch das sollte möglich sein. Ich bin davon überzeugt, dass die Kontrolle von Gefühlen letztlich auch nicht anders funktioniert als die von Handbewegungen. Wenn man erst die elektrischen Muster kennt, die mit Verlieben oder Leiden einhergehen, dann wird man hier ebenso eingreifen können wie schon heute bei motorischen Prozessen.

WELT ONLINE: Und Lügendetektoren kann man mit dieser Technik wohl auch bauen?

Eilon Vaadia: Das könnte man gewiss. (...)

(...)

WELT ONLINE: Wo stehen wir in zehn Jahren?

Eilon Vaadia: In zehn Jahren wird man Hirnchips bei Patienten routinemäßig einsetzen. Es wird adaptive Hirnschnittstellen geben, die komplett in das Gehirn implantiert sind. Diese werden dann Menschen mit verschiedenen neurologischen Erkrankungen helfen – zum Beispiel Patienten mit Lähmungen, Parkinson oder auch dem Locked-in-Syndrom.


#173:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 25.08.2014, 18:33
    —
Metzinger-Interview (Ego-Tunnel)

Zitat:
Viele Geisteswissenschaftler wissen häufig gar nicht, dass es mittlerweile erste empirische Studien gibt, die tatsächlich zeigen, wie ein verringerter Glaube an die eigene Willensfreiheit bei Versuchspersonen nachweislich zu einer Abschwächung von Hilfsbereitschaft, zu einer Erhöhung der Bereitschaft zum Betrügen, zu geringerer Selbstkontrolle, einer schwächeren Reaktion auf eigene Fehler und zu einer Verstärkung von Aggressivität führt.

Objektive Veränderungen im Gehirn können experimentell sogar bis in die neuronalen Korrelate der unbewussten Vorstufen von Willkürhandlungen nachgewiesen werden. Das intuitive Unbehagen an stärkeren Formen des Determinismus hat also durchaus eine objektive Basis - aber einfach nur aus dem Ressentiment heraus zu philosophieren und das konservative Bildungsbürgertum rhetorisch zu bedienen, das ist die falsche Reaktion.


Zitat:
. Wer nicht an seine eigene Autonomie zu glauben gelernt hat, dem fällt es schwerer, die entsprechenden Fähigkeiten zu entwickeln. Rein logisch gesehen ist es auch denkbar, dass ein System eine bestimmte Fähigkeit bereits besitzt, aber von dieser Tatsache nichts weiß. Die absolute Willensfreiheit in metaphysischen Sinne des Setzens von Erstursachen gibt es wohl nicht. Was es gibt, ist das Naturphänomen der Selbstkontrolle und der Autonomie in komplexen Systemen und dieses Naturphänomen begegnet uns nicht nur in sehr vielen Nuancen und Graden der Ausprägung, sondern es braucht auch Randbedingungen, um sich entwickeln zu können.

Wenn ich in einer Diktatur lebe oder meine Aufmerksamkeitssteuerung durch Medienkonsum ausbrenne, dann ist der Raum meiner geistigen Möglichkeiten beschränkt und er schrumpft möglicherweise immer weiter, ohne dass ich selbst das überhaupt bewusst erlebe. Man kann auch einfach vergessen, dass man bestimmte Fähigkeiten einmal besessen hat. Übrigens ist es genau das Ideal der Erhöhung von geistiger Autonomie, das die spirituellen Menschheitstraditionen und den Rationalismus der Aufklärung in ihrem Kern verbindet.


http://www.heise.de/tp/artikel/42/42389/3.html

Start erster Teil hier: http://www.heise.de/tp/artikel/42/42390/1.html
Start zweiter Teil hier: http://www.heise.de/tp/artikel/42/42389/1.html


Spannendes Interview. Ein Frage: Hat jemand die neue Auflage gelesen? Wenn ja, lohnt sich die Lektüre aufgrund der Neuerungen?

#174:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 25.08.2014, 18:49
    —
Was genau waren nochmal gleich "Willkürhandlungen"? Waren das die moralkonformen, vorhersehbaren oder die unvorhersehbaren, nur durch den Willen des Handelnden determinierten? Oder ganz zufällige? Sehr glücklich

Erinnert mich auch an dies:

Zitat:
"Abgestammt von den Affen! Lass uns hoffen, dass es nicht wahr ist, aber falls doch, lass uns beten, dass es nicht allgemein bekannt wird." Ehefrau des Bischofs von Worcester über die Evolutionstheorie

#175:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 25.08.2014, 22:08
    —
step hat folgendes geschrieben:
Was genau waren nochmal gleich "Willkürhandlungen"? Waren das die moralkonformen, vorhersehbaren oder die unvorhersehbaren, nur durch den Willen des Handelnden determinierten? Oder ganz zufällige? :D

Erinnert mich auch an dies:

Zitat:
"Abgestammt von den Affen! Lass uns hoffen, dass es nicht wahr ist, aber falls doch, lass uns beten, dass es nicht allgemein bekannt wird." Ehefrau des Bischofs von Worcester über die Evolutionstheorie


Das habe ich als Abgrenzung zu den unwillkürlichem Handlungen verstanden.

#176:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 25.08.2014, 22:38
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Das habe ich als Abgrenzung zu den unwillkürlichem Handlungen verstanden.

Also so: unwillkürlich = unbewußt, willkürlich = willensgesteuert?

Dann stünde da: "Objektive Veränderungen im Gehirn können experimentell sogar bis in die neuronalen Korrelate der unbewussten Vorstufen von willensgesteuerten Handlungen nachgewiesen werden.

Aber sollte es nicht gerade ein Beleg für mangelnde Selbstkontrolle sein?

Ich glaube, daß "willkürlich" hier im Sinne von "unerwartet, unberechenbar, unkontrolliert" gemeint ist, daes sonst im Kontext keinen Sinn macht - und sich der Autor also nicht bewußt war, daß dies eher weniger determiniert bedeutet.

#177:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 25.08.2014, 22:54
    —
step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Das habe ich als Abgrenzung zu den unwillkürlichem Handlungen verstanden.

Also so: unwillkürlich = unbewußt, willkürlich = willensgesteuert?

Dann stünde da: "Objektive Veränderungen im Gehirn können experimentell sogar bis in die neuronalen Korrelate der unbewussten Vorstufen von willensgesteuerten Handlungen nachgewiesen werden.

Aber sollte es nicht gerade ein Beleg für mangelnde Selbstkontrolle sein?

Ich glaube, daß "willkürlich" hier im Sinne von "unerwartet, unberechenbar, unkontrolliert" gemeint ist, daes sonst im Kontext keinen Sinn macht - und sich der Autor also nicht bewußt war, daß dies eher weniger determiniert bedeutet.


OK, ich bin jetzt nicht der Interpret Metzingers. Aber ich habe es so verstanden:

Man kann empirisch nachweisen, daß der Glaube an die Determiniertheit von Handlungen Auswirkungen auf das oder die Korrelate hat, in denen vorbewusste Entscheidungsprozesse stattfinden. So verstanden würde das einen Sinn machen: Der Glauben an die fehlende Autonomie wird fest verdrahtet, und führt so zu einem verringertem Freiheitsgrad.

#178:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 26.08.2014, 09:24
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
So verstanden würde das einen Sinn machen: Der Glauben an die fehlende Autonomie wird fest verdrahtet, und führt so zu einem verringertem Freiheitsgrad.

Hmm ... aber nur, wenn der Glaube an eine existierende Autonomie nicht seinerseits ebenso fest verdrahtet würde zwinkern

#179:  Autor: Steffen RehmWohnort: bei Berlin BeitragVerfasst am: 26.08.2014, 11:34
    —
step hat folgendes geschrieben:
Was genau waren nochmal gleich "Willkürhandlungen"?


Willkürhandlungen sind Bewegungen der „quergestreiften (Skelett-) Muskulatur, während die Bewegungen der „glatten“ Muskulatur (in Blutgefässen, Magen, Darm usw.) nicht durch Willensentscheidung gesteuert werden können.
Ein Beispiel, in dem beide Steuerungsformen möglich sind, ist die Atmung, die auch im Schlaf, also unwillkürlich funktioniert, ca. 15000 Atemzüge täglich.
Man kann aber willkürlich die Atmung forcieren oder ein paar Minuten den Atem anhalten, z. B. beim Tauchen.
Beim Autofahren kann man sehen, wie eine zunächst rein bewusste Tätigkeit (Kuppeln, Schalten) durch Übung in weitgehend unbewusstes Handeln übergeht. Ganz ohne Willkürhandlungen, schlafend, kann man allerdings nicht gut am Strassenverkehr teilnehmen

#180: Vorbewusstes, Willkürliches, Bewusstes, ICH Autor: Monist BeitragVerfasst am: 27.08.2014, 11:21
    —
In diesem Zusammenhang Metzinger zu zitieren ist natürlich auch nicht ganz exakt "naturalistisch",
auch wenn er sich nicht zu den üblichen dualistischen Philosophen rechnen lassen will und mit
seiner so genannten Neuroethik die Existenzberechtigung einer Fachrichtung "Philosophie" auch
nach einer bevorstehenden, erweiterten Aufklärung erhalten will, die nicht nur die Vorstellung einer Religion
(samt Seele statt Psyche) als unvertretbar ansieht, sondern überhaupt alle abstrakten
Vorstellungen als aus neuronalen Vorgängen bestehend sieht (Es herrscht ja das Kausalitätsprinzip ).

Aber die Rubrik heißt ja hier nicht "Naturwissenschaft und Technik" sondern
"Wissenschaft und Technik" also wohl auch (dualistische) Geistes-Wissenschaft und Technik !?

Zudem ist der Begriff "Bewusstsein" natürlich nur eine abstrakte, nicht genormte Vorstellung
von Menschengehirnen und existiert ähnlich wie das einheitliche "ich" so ja gar nicht.

Zu den Bewusstseinszustände, die das "Ich" ausmachen gehören (ja, es sind mindestens 9 Ich's):
    - 1 die Wahrnehmung von Vorgängen in der Umwelt und im eigenen Körper
    ("ich nehme wahr bzw. empfinde gerade das und das")
    - 2 mentale Zustände wie Denken, Vorstellen und Erinnern ("ich denke, erinnere mich,
    stelle mir gerade dies oder jenes vor")
    - 3 Bedürfniszustände, Affekte, Emotionen ("ich habe Hunger, bin müde, fürchte mich")
    - 4 das Erleben der eigenen Identität und Kontinuität ("ich bin der, der ich gestern war")
    - 5 die "Meinigkeit" des eigenen Körpers ("dies ist mein Körper")
    - 6 die Autorschaft der eigenen Handlungen und mentalen Akte ("ich will bzw. habe gewollt, was ich gerade tue")
    - 7 die Verortung des Selbst und des Körpers in Raum und Zeit ("es ist Samstag, der 12. 7. 2014, und ich befinde
    mich gerade in X.")
    - 8 die Unterscheidung zwischen Realität und Vorstellung ("was ich sehe, existiert tatsächlich und ist kein Traum
    oder Wahn")
    - 9 das selbst-reflexive Ich ("wer oder was bin ich eigentlich? Was tue ich da, und warum?").

Ist das "Ich" ein Bewusstseinszustand, stellt sich eben die Frage, was
"Bewusstsein" eigentlich ist. Darüber haben die Menschen seit Jahrtausenden
nachgedacht, ohne dass heutzutage bereits Einvernehmen unter den
Wissenschaftlern oder unter den Philosophen herrscht.

Bewusstsein ist genauso wie das "Ich" ein Bündel inhaltlich sehr
verschiedener Zustände, die nur das eine gemeinsam haben, nämlich dass sie
bewusst erlebt werden können und im Prinzip sprachlich berichtet werden können.
Ob das Entstehen von Bewusstseinszuständen abrupt geschieht, d. h. ein
Schwellenphänomen ist, oder ob es einen gleitenden Übergang zwischen
unbewusst und bewusst gibt (vermutlich eher Letzteres; s. "Vorbewusstes"),
ist zudem auch noch nicht ganz klar...
[/b]

#181: Re: Vorbewusstes, Willkürliches, Bewusstes, ICH Autor: Steffen RehmWohnort: bei Berlin BeitragVerfasst am: 27.08.2014, 23:17
    —
Monist hat folgendes geschrieben:


Ist das "Ich" ein Bewusstseinszustand, stellt sich eben die Frage, was
"Bewusstsein" eigentlich ist. Darüber haben die Menschen seit Jahrtausenden
nachgedacht, ohne dass heutzutage bereits Einvernehmen unter den
Wissenschaftlern oder unter den Philosophen herrscht.



Die Wortkombination von „Ich“ oder „Bewusstsein“ mit „- zustand“ würde ich vermeiden, weil sie zu einer statischen Vorstellung verführt. Das „Ich“ und „Bewusstsein“ sind dynamische Vorgänge. Sie haben eines gemeinsam, es geht ihnen meist um Sinn, der auch in der Sprache kommuniziert werden kann. Es sind Ich-Aktionen oder Bewusstseins-operationen, in Schritten von ca. 5 pro Sekunde.
„Was ist Bewusstsein?“
„Conscientia“! = Sein mit Wissen. Die Frage ist, was das für ein umfassendes Wissen ist, das uns in jedem bewussten Augenblick begleitet.
Das „Ich“ ist zunächst ein Wort, dessen Gebrauch schon Kleinkindern geläufig ist. Jedes Wort bezeichnet etwas, einen speziellen Begriff, und so erzeugt auch das Wort „Ich“ eine Vorstellung von der Person, die es benutzt. Jede Person kann sich damit in verständlicher Form ausdrücken.
Welche Art von Phänomenen die Psychologie, Systemtheorie, Hirnforschung, Sprachwissenschaft usw. mit den Begriffen „Ich“ und „Bewusstsein“ verbinden zeigt den weiten Horizont, den kurze Wörter zeichnen können.

#182:  Autor: vrolijkeWohnort: Stuttgart BeitragVerfasst am: 05.10.2014, 22:19
    —
Heute Früh im Radio: Neuronaler Dschungel - die Grenzen der Hirnforschung Via Link noch mal zum nachlesen, oder hören.

#183:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 05.10.2014, 22:39
    —
Und wo wir schon mal dabei sind:

http://www.spektrum.de/news/wie-entsteht-unser-gefuehl-fuer-die-zeit/1309744

Allerdings ist das Institut des Autors doch bemerkenswert:

Department für Empirische und Analytische Psychophysik
Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene

Lachen

#184:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 07.10.2014, 21:01
    —
Das ist geil und ganz neu. September 2014. Jetzt muß es sich nur noch als richtig herausstellen.

Dieser Versuchsaufbau: man spielt den Probanden Wörter aus zwei Kategorien vor, sagen wir: Tiere und Gegenstände. Bei "Tier" sollen sie den linken von zwei Knöpfen drücken. Bei "Gegenstand" den rechten. Dabei wird ihre Gehirnaktivität mittels EEG gemessen.

Dann läßt man die Probanden einschlafen. Sobald sie schlafen, spielt man ihnen erneut Wörter vor und mißt ihre Gehirnaktivität. Ergebnis: es gleicht dem im Wachzustand.



Bild und Story von hier: Sleeping Brains Understand Words

Original:

Zitat:
Inducing task-relevant responses to speech in the sleeping brain.

Falling asleep leads to a loss of sensory awareness and to the inability to interact with the environment. While this was traditionally thought as a consequence of the brain shutting down to external inputs, it is now acknowledged that incoming stimuli can still be processed, at least to some extent, during sleep. For instance, sleeping participants can create novel sensory associations between tones and odors or reactivate existing semantic associations, as evidenced by event-related potentials.

Yet, the extent to which the brain continues to process external stimuli remains largely unknown. In particular, it remains unclear whether sensory information can be processed in a flexible and task-dependent manner by the sleeping brain, all the way up to the preparation of relevant actions. Here, using semantic categorization and lexical decision tasks, we studied task-relevant responses triggered by spoken stimuli in the sleeping brain.

Awake participants classified words as either animals or objects (experiment 1) or as either words or pseudowords (experiment 2) by pressing a button with their right or left hand, while transitioning toward sleep. The lateralized readiness potential (LRP), an electrophysiological index of response preparation, revealed that task-specific preparatory responses are preserved during sleep. These findings demonstrate that despite the absence of awareness and behavioral responsiveness, sleepers can still extract task-relevant information from external stimuli and covertly prepare for appropriate motor responses.

http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25220055

#185: Artikel: Bewusstsein im Gehirn „versteckt“ Autor: Monist BeitragVerfasst am: 25.10.2014, 11:38
    —
Heute in der FAZ: Bewusstsein im Gehirn „versteckt“
FAZ hat folgendes geschrieben:
Mit einem einfachen Verfahren haben Forscher bei Wachkoma-Patienten die elektrischen Spuren von Bewussteinsprozessen dekodiert.
Die Mathematik hat ihnen dabei geholfen. Das könnte dazu führen, dass
Komapatienten künftig per Computer eingestuft werden.
...
Tatsächlich ist das apallische Syndrom, an dem Wachkoma-Patienten in der Regel leiden, alles andere
als funktional eindeutig zu umschreiben.
Manche Patienten vegetieren wohl tatsächlich in einem nahezu bewusstlosen Zustand,
andere hingegen können sogar Befehle hören und verarbeiten.
...
Einen eindeutigen Zusammenhang zwischen bewusstem Erleben und der äußerlich sichtbaren Reaktion
der Patienten gibt es offenkundig nicht.
Mehr noch: Es gibt offenbar weit mehr als die im "Tennis-Test" abfragbaren Signale im Gehirn,
die auf vorhandenes Bewusstsein bei den Wachkoma-Patienten hindeuten.
Der britische Hirnforscher Srivas Chennu und seine Kollegen von der University of Cambridge
haben jetzt eine relativ einfache Methode entwickelt, unterschiedliche Bewusstseinszustände von
Wachkoma-Patienten zu dokumentieren. Dazu braucht es ein EEG und spezielle Mathematik.
...
Wie die Forscher in der Online-Zeitschrift "Plos Computational Biology" schreiben, liegt der
entscheidende Schritt in der Anwendung der Graphentheorie - mit der sich eindeutige Verknüpfungen
der Hirnsignale aus unterschiedlichen Regionen des Gehirns einander zuordnen lassen.
Auf die Weise hat man bei den Patienten, die alle bis auf einen zur Kommunikation unfähig sind,
Netzwerke von Hirnströmen identifiziert, die teilweise den beim "Tennis-Test" ermittelten neuronalen
Netzen sehr ähnlich waren.

Damit wird nach Überzeugung der Forscher "der Austausch von Informationen über große Teile
des Gehirns" erfasst. Ein Austausch, der zwar etwas über den Bewusstseinszustand des Patienten
aussagt, jedoch nichts über die Qualität dieser bewussten Prozesse oder gar die Wahrnehmung des
Patienten selbst. "Die EEG-Auswertung könnte zumindest helfen, Patienten zu identifizieren, die
im Verborgenen wahrnehmen und erleben, ohne dieses Bewusstsein auch tatsächlich kommunizieren zu können."



#186:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 19.11.2014, 16:41
    —
Zitat:
Roth: Ja, Hass. Es gibt Philosophen, die verbieten ihren Studenten, in die Vorlesungen von Hirnforschern zu gehen.

http://www.spiegel.de/kultur/literatur/hirnforschung-gerhard-roth-ortet-die-seele-im-gehirn-a-1003352.html

Glaub' ich nicht.

#187:  Autor: Kival BeitragVerfasst am: 19.11.2014, 19:32
    —
Das ist als Idee auch einfach zu absurd.

#188:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 19.11.2014, 19:33
    —
Jep.

#189:  Autor: Kival BeitragVerfasst am: 19.11.2014, 19:35
    —
Selbst wenn ein Philosophieprofessor dieses Ziel haben sollte, gibt es einfach keine Möglichkeit, wie er ein solches Verbot durchsetzen könnte. Das Einzige, was ich mir vorstellen kann, ist eine extreme Übertreibung davon, dass evtl. ein Hirnforschungsseminar nicht als Seminar *für* das Philosophiestudium anerkannt wurde. Hier würde ich aber eher formale Gründe vermuten ...

#190: Der Mensch bleibt ein spirituell-dualistischer Primat Autor: Monist BeitragVerfasst am: 24.11.2014, 13:20
    —
Die wahren Fronten (und "Kriege") bei intellektuell halbwegs gebildeten Menschen in der westlichen Welt spielen sich doch längst nicht
mehr zwischen Religion und Wissenschaft ab, sondern eher zwischen Philosophie und Neurobiologie.
Gläubige werden doch (zurecht gemessen am Stand der Naturwissenschaft) kaum noch ernst genommen und bestenfalls belächelt.

Der Wissenschaftszweig der (dualistischen) Philosophen (oder gar der der meisten Geisteswissenschaften) ist
in seinen Ansichten mit den neurobiologischen Tatsachen eben nicht vereinbar.

Deshalb bleibt den Philosophen auch nichts Anders als durch Leugnen der Funktionsweise des Gehirnes (und der Gründung alles Geistigen
auf neuronale Funktionalität) ihre Existenzberechtigung und Fakultät zu sichern.

Angesichts von angeblich nur noch 22% Menschen in den USA, die an die Richtigkeit der Evolution glauben (nur 65% in Deutschland)
scheint mir eine Entwicklung der Menschen zu immer mehr Dualismus und Spiritualität jedoch deutlich.
Den Zenit der Aufklärung haben wir also vielleicht schon überschritten, was ja auch nicht verwundert, wenn man bedenkt,
dass das Gehirn ja nicht die Realität wahrnimmt, sondern diese von seiner Veranlagung her zum Uminterpretieren
in's Dualistische hinen neigt (auch wenn viele ihren Irrglauben naturwissenschaftlich ahnen, sich ihn aber dann doch nicht zugestehen wollen).

Ein kleines Kind sagt beim sich Stossen am Tisch: "Aua, böser Tisch!", weil der Mensch (durch Schließen von sich und seiner eigenen
Fähigkeit zur Handlungsplanung empathisch auf die Umwelt schließt) zum Zusprechen einer Autorschaft an Objekte oder Lebewesen
ohne Bewusstsein in seiner Umwelt neigt (-> Schöpfung).

Dieses intuitiv dualistische, bisweilen Spirituelle oder gar esoterische Denken wird man wohl nie aus dem menschlichen Denken und Fühlen bekommen;
die Hoffnung darauf habe ich inzwischen gänzlich aufgegeben (zumal auch kaum jemand der "Normalbürger" weiß, wie ein neuronales Netzwerk aufgebaut
ist und funktioniert und dieses Wissen auch immer nur einer winzigen Gruppe von Informatikstudenten oder Neurobiologen vorbehalten sein wird
(egal, ob man jetzt naturwissenschaftliche Vorlesungen verbietet, oder nicht).
Einen Eingang in die Alltagswelt mit z.B. einer differenzierteren Zuweisung von Schuld im juristischen Bereich oder allgemein einem vernünftigerem
Umgang mit Menschen (auch in der Akzeptanz der geringen Veränderbarkeit einer Persönlichkeit nach früher Prägung und Veranlagung) und eine
Einsicht in die absurde Gegenstandslosigkeit von Religionskriegen wird es daher wohl nie geben.

#191:  Autor: Er_Win BeitragVerfasst am: 26.11.2014, 13:29
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übrigens: bei youtube gibt's als gesamte Playlist die "Geist & Gehirn" Sendungen von http://de.wikipedia.org/wiki/Manfred_Spitzer.

https://www.youtube.com/watch?v=dada63_g2ig&index=1&list=PLs9KfBcAo6LBoR2CqfNI3Cpju4ZtYzZXS



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