Ist die Philosophie tot?
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Freigeisterhaus -> Weltanschauungen und Religionen

#1: Ist die Philosophie tot? Autor: Freidenker1 BeitragVerfasst am: 26.09.2012, 18:03
    —
Lange Zeit war die Philosophie die Mutter aller Wissenschaften. Doch was ist die Philosophie heute noch? Viele ihrer Kinder hat sie an Einzelwissenschaften verloren. Seit Wittgenstein soll sich die Philosophie auf "Sprachtherapie" beschränken, die Knoten wieder auflösen, die meist von Philosophen selbst durch falschen Sprachgebrauch entstanden sind. Ich denke, die Philosophie war die vernünfterige Schwester der vom Wunschdenken, Teufels- und Gotteswahn besessenen Religion. Heute sind es die Erkenntnisse der Naturwissenschaftler, besonders die der Physiker, Biologen und die der Hirnforschung, die ein aufgeklärter Geist genau beobachten und verdauen sollte. Mehr zu diesem Thema könnt ihr in der neuen Freidenker Galerie finden. mehr hier:
http://www.freidenker-galerie.de/philosophie-hirnforschung-und-willensfreiheit/

Stewen Hawking meinte in seinem neuen Buch, die Philosophie seit tot.
Was meint ihr?

#2:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 26.09.2012, 21:15
    —
http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?t=33112

und viele andere.

#3:  Autor: Die FiktionWohnort: Düsseldorf BeitragVerfasst am: 26.09.2012, 23:09
    —
Nein, Philosophie ist sicher nicht tot.
Aber, Sie ist längst nicht mehr Mainstream.
Das war Sie eh nur, immer für ganz kurze Augenblicke !

Für kurze Augenblicke, ist Sie ``modern´´ und liegt im Trend der Aufmerksamkeit.
Der Moment, in dem ``das Volk´´ begreift.

Eigentlich, schon immer eine eher verborgene Wissenschaft, die ihre größten Helden gefeiert hat, nachdem Sie schon lange tot waren.

#4:  Autor: Murphy BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 08:14
    —
Philosophie ist tot.
Yeah.

Gestern sagt einer, der in der Hängematte lag, ganz enthusiasthisch zu mir, der auf dem kargen Boden Platz genommen hatte:
"Hey, Wow, ich hab noch ne zweite Hängematte!"
sag ich: "Schön, Du hast aber trotzdem nur einen Arsch."

Philosophie ist tot.
Definitiv.
Finitiv.
tiv.

#5:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 08:59
    —
Die Philosophie hatte ihre große Zeit, als die reflektive Methode das Weltbild noch effektiver korrigieren konnte als die zu diesem Zeitpunkt noch nicht wirklich herausgebildeten Natur- und Humanwissenschaften.

Heute sind die Schwächen der reflektiven Methode offenbar, die Philosophie ist nicht mehr dazu da, wesentliche Erkenntnise über Welt und Mensch zu erwirtschaften, sondern hat sich auf verschiedene Meta-Gebiete verlagert, in denen meist wortreich und unüberprüfbar gedeutet wird. So wird u.a. auch die aus wissenschaftlicher Sicht etwas peinliche Tatsache, daß es nie eine auch nur halbwegs konvergente philosophische Lehrmeinung gibt, von den Philosophen selbst i.a. positiv-konstruktiv gedeutet.

#6:  Autor: Fake BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 09:32
    —
Fragen über die man früher nur philosophieren konnte, kann man heute mit den Methoden der Naturwissenschaft beantworten. Philosophie kann heute nicht mehr aus sich selbst Erkenntnisse schaffen, sie ist an die Erkenntnisse der Naturwissenschaften gebunden.

Ich meine nicht, dass sie deswegen ihre Existenzberechtigung verloren hat, aber sie muss wohl eine erhebliche Degradierung hinnehmen: von der Königin der Wissenschaften zur einer Art Vermittlerrolle zwischen Mensch und Wissenschaft.

#7:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 11:08
    —
Wenn man sich über die Rolle von Philosophie und ihre heutige Bedeutung unterhalten will, sollte man vielleicht erst einmal sagen, was man eigentlich unter Philosophie versteht, was sie zB von Religion auf der einen und Wissenschaften auf der anderen Seite unterscheidet.

#8:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 13:18
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Wenn man sich über die Rolle von Philosophie und ihre heutige Bedeutung unterhalten will, sollte man vielleicht erst einmal sagen, was man eigentlich unter Philosophie versteht, was sie zB von Religion auf der einen und Wissenschaften auf der anderen Seite unterscheidet.

Das hatte Tarvoc in einem anderen Thread schon mal versucht. Wir haben dort zwar diverse Unterschiede angesprochen und auch klassische Themen identifiziert, aber letztlich war die Erkenntnis, daß "Philosophie" insgesamt weder eine wohldefinierte Methodik noch eine wohldefinierte inhaltliche Abgrenzung hat. Beides bleibt letztlich dem einzelnen Philosophen überlassen.

#9:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 13:21
    —
step hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Wenn man sich über die Rolle von Philosophie und ihre heutige Bedeutung unterhalten will, sollte man vielleicht erst einmal sagen, was man eigentlich unter Philosophie versteht, was sie zB von Religion auf der einen und Wissenschaften auf der anderen Seite unterscheidet.

Das hatte Tarvoc in einem anderen Thread schon mal versucht. Wir haben dort zwar diverse Unterschiede angesprochen und auch klassische Themen identifiziert, aber letztlich war die Erkenntnis, daß "Philosophie" insgesamt weder eine wohldefinierte Methodik noch eine wohldefinierte inhaltliche Abgrenzung hat. Beides bleibt letztlich dem einzelnen Philosophen überlassen.

Ja, aber man kann zumindest eine eigene Vorstellung davon haben. Daß die dann nicht allgemeinverbindlich ist, ist klar. Vielleicht schreibe ich heute abend etwas dazu.

#10:  Autor: Kival BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 16:07
    —
Philosophie kann auch Wissenschaft im engeren Sinne sein. So kann im Rahmen der Ethik zum Beispiel die Struktur existierender moralische Systeme sowie deren Inhalte analyisiert werden. In der Soziologie geht es hier ja meistens eher um die zugrndeliegenden Prozesse, im Rahmen der Ethik interessiert man sich eher für die konkreten Inhalte, wie sie tatsächlich zusammenängen und welche Arten von Rechtfertungsmustern es gibt. Ähnlich kann man auch Wissenschaftstheorie teilweise deskriptiv betreiben, in dem man Fallstudien betreibt und die Strukturen wissenschaftlicher Theorien, deren Entwicklung und die genutzten Argumentationsstrukturen analysiert. Auch hier ist der Unterschied zur Soziologie, dass man sich weniger auf die dabei zugrundeliegenden sozialen Prozesse konzentriert, und mehr auf Theorien selber.

#11:  Autor: Murphy BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 17:00
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Wenn man sich über die Rolle von Philosophie und ihre heutige Bedeutung unterhalten will, sollte man vielleicht erst einmal sagen, was man eigentlich unter Philosophie versteht, was sie zB von Religion auf der einen und Wissenschaften auf der anderen Seite unterscheidet.

(fett von mir)

Das ist wohl der springende Punkt. Und warum in die Ferne schweifen? Philosophie ist die Liebe zur Weisheit wie jeder gelernt und schon hundertmal vernommen hat. Weisheit ist heute ein leerer Begriff, niemand mag mehr 'weise' sein, kaum einer kann mit dem Begriff noch etwas anfangen und auch die Philosophiegeschichte lehrt, dass oft andere Dinge im Vordergrund standen. Eben Dinge wie einen Gegenentwurf zur Religion und ihren Schöpfungsberichten zu finden oder gleich ganze Weltbilder entstehen zu lassen oder in den Teildisziplinen der Wissenschaft die Welt im Detail zu erklären.

Weisheit ist out. Philosophie tot. Der Affe hat seinen eigenen Namen vergessen.

Alles endet in Chaos und im Chaos endet dann alles (Stichwort: Ka-Boom). Das klingt jetzt vielleicht nicht so toll wie 'Alles geht aus dem Chaos hervor', aber klaren Blicks mittelfristig nach vorne geschaut lässt es sich nunmal nicht völlig von der Hand weisen. In den letzten zehn Jahren gabs zwei amtliche Fälle von Kannibalismus in Deutschland.

#12:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 18:16
    —
Sargnagel hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Wenn man sich über die Rolle von Philosophie und ihre heutige Bedeutung unterhalten will, sollte man vielleicht erst einmal sagen, was man eigentlich unter Philosophie versteht, was sie zB von Religion auf der einen und Wissenschaften auf der anderen Seite unterscheidet.

(fett von mir)

Das ist wohl der springende Punkt. Und warum in die Ferne schweifen? Philosophie ist die Liebe zur Weisheit wie jeder gelernt und schon hundertmal vernommen hat. Weisheit ist heute ein leerer Begriff, niemand mag mehr 'weise' sein, kaum einer kann mit dem Begriff noch etwas anfangen und auch die Philosophiegeschichte lehrt, dass oft andere Dinge im Vordergrund standen. Eben Dinge wie einen Gegenentwurf zur Religion und ihren Schöpfungsberichten zu finden oder gleich ganze Weltbilder entstehen zu lassen oder in den Teildisziplinen der Wissenschaft die Welt im Detail zu erklären.

Weisheit ist out. Philosophie tot. Der Affe hat seinen eigenen Namen vergessen.

Alles endet in Chaos und im Chaos endet dann alles (Stichwort: Ka-Boom). Das klingt jetzt vielleicht nicht so toll wie 'Alles geht aus dem Chaos hervor', aber klaren Blicks mittelfristig nach vorne geschaut lässt es sich nunmal nicht völlig von der Hand weisen. In den letzten zehn Jahren gabs zwei amtliche Fälle von Kannibalismus in Deutschland.

Oh ja, eine Runde Mitleid! zwinkern "Liebe zur Weisheit" war die Philosophie in der nichtchristlichen Antike, unter anderem. Derartig heidnischer Blödsinn wurde dann untersagt, und die Philosophie bekam die Aufgabe, den Glauben mit dem Verstand zu rechtfertigen, was nie so recht gelungen ist. Danach haben sich einige Philosophen die Aufgabe gestellt, den Glauben zu widerlegen - auch nicht ganz zuende geführt. Und heute? Nun, jeder mag diese Darstellung für sich fortsetzen (oder zerreißen). zwinkern

#13:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 18:21
    —
Kival hat folgendes geschrieben:
Philosophie kann auch Wissenschaft im engeren Sinne sein. So kann im Rahmen der Ethik zum Beispiel die Struktur existierender moralische Systeme sowie deren Inhalte analyisiert werden. In der Soziologie geht es hier ja meistens eher um die zugrndeliegenden Prozesse, im Rahmen der Ethik interessiert man sich eher für die konkreten Inhalte, wie sie tatsächlich zusammenängen und welche Arten von Rechtfertungsmustern es gibt. Ähnlich kann man auch Wissenschaftstheorie teilweise deskriptiv betreiben, in dem man Fallstudien betreibt und die Strukturen wissenschaftlicher Theorien, deren Entwicklung und die genutzten Argumentationsstrukturen analysiert. Auch hier ist der Unterschied zur Soziologie, dass man sich weniger auf die dabei zugrundeliegenden sozialen Prozesse konzentriert, und mehr auf Theorien selber.

Wenn Philosophie Wissenschaft wäre, was wäre ihr Gegenstand, was ihre Theorien, und wie wären sie zu belegen oder zu kritisieren? Und wenn du die Philosophie als Metawissenschaft behaupten willst, womit willst du das rechtfertigen?

#14: Re: Ist die Philosophie tot? Autor: Myron BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 19:26
    —
Freidenker1 hat folgendes geschrieben:
Seit Wittgenstein soll sich die Philosophie auf "Sprachtherapie" beschränken, die Knoten wieder auflösen, die meist von Philosophen selbst durch falschen Sprachgebrauch entstanden sind.


Nach Wittgenstein und den Positivisten befassen sich etliche Philosophen wieder mit ernsthafter Metaphysik/Ontik, die sich nicht auf Sprachanalysen reduzieren lässt, sondern über die Welt nachdenkt und spricht anstatt bloß über das Nachdenken und Sprechen über die Welt.

Freidenker1 hat folgendes geschrieben:
Heute sind es die Erkenntnisse der Naturwissenschaftler, besonders die der Physiker, Biologen und die der Hirnforschung, die ein aufgeklärter Geist genau beobachten und verdauen sollte.


Die naturalistisch gesinnten zeitgenössischen Philosophen arbeiten nicht gegen die Wissenschaften, sondern mit ihnen.

Freidenker1 hat folgendes geschrieben:

Stewen Hawking meinte in seinem neuen Buch, die Philosophie seit tot.
Was meint ihr?


Erst erklärt er die Philosophie für tot, und dann präsentiert er auf den folgenden Seiten seine eigene Philosophie, die er offenkundig nicht für tot hält.
Ich frage mich, wie viele zeitgenössische philosophische Bücher Herr Hakwing im letzten Vierteljahrhundert überhaupt gelesen hat.

#15:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 19:34
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Wenn man sich über die Rolle von Philosophie und ihre heutige Bedeutung unterhalten will, sollte man vielleicht erst einmal sagen, was man eigentlich unter Philosophie versteht, was sie zB von Religion auf der einen und Wissenschaften auf der anderen Seite unterscheidet.



(Quelle: Oxford Companion to Philosophy, Oxford University Press, 1995.)

Ich würde sagen, der Kernbereich der Philosophie umfasst Folgendes:

1. Metaphysik/Ontik (Wirklichkeits-/Seinslehre)
2. Epistemik (Erkenntnislehre)
3. Logik
4. Ethik
5. Ästhetik

#16:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 19:47
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

Ich würde sagen, der Kernbereich der Philosophie umfasst Folgendes:

1. Metaphysik/Ontik (Wirklichkeits-/Seinslehre)
2. Epistemik (Erkenntnislehre)
3. Logik
4. Ethik
5. Ästhetik

Was machen wir nun mit jemandem, der diesen Glauben nicht teilt, der zum Beispiel stark bezweifelt, daß eine Philosophie der Geschichte einen zutreffenden Beitrag zur Geschichtswissenschaft zu leisten imstande ist?

#17: Re: Ist die Philosophie tot? Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 19:52
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

Ich frage mich, wie viele zeitgenössische philosophische Bücher Herr Hakwing im letzten Vierteljahrhundert überhaupt gelesen hat.

Du meinst also, man könne Religion nur kritisieren, wenn man sich an der aktuellen theologischen Diskussion geteilige? zwinkern

#18:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 19:54
    —
@Myron: Mich würde mal interessieren, warum gerade Epistemology, Metaphysics und Logic den "inneren Kern" von Philosophie ausmachen sollen.

#19:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 20:05
    —
step hat folgendes geschrieben:
@Myron: Mich würde mal interessieren, warum gerade Epistemology, Metaphysics und Logic den "inneren Kern" von Philosophie ausmachen sollen.


Das ist einfach eine (geistes)geschichtliche Tatsache.

#20: Re: Ist die Philosophie tot? Autor: Myron BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 20:08
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Du meinst also, man könne Religion nur kritisieren, wenn man sich an der aktuellen theologischen Diskussion geteilige? zwinkern


Hawking hält die Philosophie wohl nur deshalb irrtümlich für tot, weil er das gegenwärtige philosophische Leben gar nicht wahrgenommen hat. Denn wenn er dies getan hätte, dann hätte er die Falschheit seiner Behauptung selbst erkannt.

#21: Re: Ist die Philosophie tot? Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 20:20
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Du meinst also, man könne Religion nur kritisieren, wenn man sich an der aktuellen theologischen Diskussion geteilige? zwinkern


Hawking hält die Philosophie wohl nur deshalb irrtümlich für tot, weil er das gegenwärtige philosophische Leben gar nicht wahrgenommen hat. Denn wenn er dies getan hätte, dann hätte er die Falschheit seiner Behauptung selbst erkannt.

Das ist keine Antwort auf meine Frage. Ich kenne Hawkins nicht und Physik ist nun wirklich nicht mein Spezialgebiet, aber ich sehe einfach, daß der Fortschritt der physikalischen, wie der biologischen oder soziologischen Wissenschaften nicht auf Philosophie beruht (auch wenn einige Philosophen das zu glauben scheinen).

Also noch einmal: Es ist kein Zweifel, daß man an einer philosophischen wie an einer theologischen (Fach-)Diskussion nur teilnehmen kann, wenn man über Fachkenntnisse auf diesem Gebiet verfügt. Aber hier geht es um die Frage, welche Bedeutung die Philosophie außerhalb ihres Fachs hat. Und nein, es ist nicht die Frage, ob es nicht den einen oder anderen klugen Philosophen gibt, oder ob der den einen oder anderen klugen Gedanken hat.

#22: Re: Ist die Philosophie tot? Autor: Myron BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 20:25
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Du meinst also, man könne Religion nur kritisieren, wenn man sich an der aktuellen theologischen Diskussion geteilige? zwinkern


Die Intellektuellen unter den Religionskritikern müssen sich an den innertheologischen Diskussionen nicht beteiligen, aber sie zumindest zur Kenntnis nehmen.

#23: Re: Ist die Philosophie tot? Autor: Myron BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 20:32
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Also noch einmal: Es ist kein Zweifel, daß man an einer philosophischen wie an einer theologischen (Fach-)Diskussion nur teilnehmen kann, wenn man über Fachkenntnisse auf diesem Gebiet verfügt. Aber hier geht es um die Frage, welche Bedeutung die Philosophie außerhalb ihres Fachs hat. Und nein, es ist nicht die Frage, ob es nicht den einen oder anderen klugen Philosophen gibt, oder ob der den einen oder anderen klugen Gedanken hat.


Zwei die Metaphysik/Ontik betreffende Zitate aus einem neuen Buch, das ich gerade lese:

"Think of fundamental physics as being in the business of telling us how the universe is. Fundamental ontology is in the business of telling us what the universe must be like if any theory is true. In this way ontology constrains science. Ontology does so, not by laying down immutable principles a priori, but by working in concert with science to discern the texture of being. One perhaps surprising consequence of this endeavour is the discovery of how often our predecessors were on target, even when they were wrong about the details."
(p. 2)

"Metaphysics, and in particular ontology, sets the limits of scientific theorizing, at least in this sense: in plotting basic categories of being, ontology constrains science. These constraints are not externally imposed rules. The constraints are the expression of principles we are all—including the scientists—bound to accept. Such principles are not based on armchair reflection, but on our ongoing give and take with being."
(p. 11)

(Heil, John. The Universe As We Find It. Oxford: Oxford University Press, 2012.)

Noch eines:

"Ontology sets out an even more abstract model of how the world is than theoretical physics, a model that has placeholders for scientific results and excluders for tempting confusions. Ontology and theoretical science can help one another along, we hope, with minimal harm."

(Martin, C. B. The Mind in Nature. Oxford: Oxford University Press, 2007. p. 42)

Die Metaphysik/Ontik ist die rationale intellektuelle Beschäftigung mit den kategorialen Grundelementen und -strukturen des Seins/der Wirklichkeit, und in diesem Sinne ist sie nicht "erste Philosophie", sondern sozusagen "erste Wissenschaft". Die Ontik und die Physik arbeiten zusammen an dem gleichen Ziel: die Erkenntnis des Seins/der Wirklichkeit und seiner/ihrer Beschaffenheit.

#24: Re: Ist die Philosophie tot? Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 20:46
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Du meinst also, man könne Religion nur kritisieren, wenn man sich an der aktuellen theologischen Diskussion geteilige? zwinkern


Die Intellektuellen unter den Religionskritikern müssen sich an den innertheologischen Diskussionen nicht beteiligen, aber sie zumindest zur Kenntnis nehmen.

Das eine kannst du nicht ohne das andere. Und ich kann dir vertrauensvoll versichern, selbst das hilft nicht, weil du ihren Grundannahmen nicht teilst. "Sprung des Glaubens" nennt sich das. Wenn deine Vorstellung richtig wäre, wäre Religionskritik wie sie heute von Hitchens oder Dawkins kommt, irrelevant, und genau das ist auch das Argument der Religiösen. Sie behaupten, Religion können man nur von innen kritisieren, sonst sei der Unglauben einfach nur eine andere (schlechtere) Art von Glauben.

#25: Re: Ist die Philosophie tot? Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 20:54
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

Die Metaphysik/Ontik ist die rationale intellektuelle Beschäftigung mit den kategorialen Grundelementen und -strukturen des Seins/der Wirklichkeit, und in diesem Sinne ist sie nicht "erste Philosophie", sondern sozusagen "erste Wissenschaft". Die Ontik und die Physik arbeiten zusammen an dem gleichen Ziel: die Erkenntnis des Seins/der Wirklichkeit und seiner/ihrer Beschaffenheit.

Das ist die Sicht aus dem Inneren der Philosophie. Das Dumme ist nur, daß die Wissenschaften sich ganz anders entwickelt haben, daß zwar vielleicht der eine oder andere Wissenschaftler über eine persönliche Philosophie verfügte, aber eben jeder über eine andere. Und trotzdem, oder gerade deswegen, waren Wissenschaft und Technik in den letzten 200 Jahre extrem erfolgreich.

Dieser Erfolg ist nicht zu bezweifeln, zu bezweifeln ist allerdings, ob er wirklich in einer "Erkenntnis des Seins" bestand. Insofern ist Philosophie eine, nein, nicht eine, sondern viele Weltanschauungen, und viele davon nehmen für sich in Anspruch, "erste Wissenschaft" zu sein, nur leider, ohne dafür tatsächliche Belege anführen zu können. Die reale Entwicklung unseres Wissens, unserer Vorstellungen paßt eben nicht in diese philosophische Fantasievorstellung, man brauche Philosophie, um Wissenschaft zu betreiben, und könne daher Philosophie auch nur von innen kritisieren. Du siehst die Ähnlichkeit (bei allen Unterschieden) mit der Theologie? zwinkern

#26: Re: Ist die Philosophie tot? Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 21:03
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Zwei die Metaphysik/Ontik betreffende Zitate aus einem neuen Buch, das ich gerade lese:

"Think of fundamental physics as being in the business of telling us how the universe is. Fundamental ontology is in the business of telling us what the universe must be like if any theory is true. ...

Falls hier das ontologische "wahr" gemeint ist, ist das für die Wissenschaft keinerlei Einschränkung, entgegen dem später Behaupteten, da die Wissenschaft ohne diese Voraussetzung auskommt.

Falls das naturwissenschaftliche "wahr" (= gut voraussagefähig) gemeint ist, würde ich den Zusammenhang als Teil der Wissenschaft ansehen.

Myron hat folgendes geschrieben:
"Metaphysics, and in particular ontology, sets the limits of scientific theorizing, at least in this sense: in plotting basic categories of being, ontology constrains science. These constraints are not externally imposed rules. The constraints are the expression of principles we are all—including the scientists—bound to accept. Such principles are not based on armchair reflection, but on our ongoing give and take with being."(p. 11)

Solche Constraints sind in der Tat keine Lehnstuhlreflektionen, sondern faktische, selbst wiederum naturwissenschaftlich fassbare Bedingungen.

Myron hat folgendes geschrieben:
Noch eines:

"Ontology sets out an even more abstract model of how the world is than theoretical physics, a model that has placeholders for scientific results and excluders for tempting confusions. Ontology and theoretical science can help one another along, we hope, with minimal harm."

(Martin, C. B. The Mind in Nature. Oxford: Oxford University Press, 2007. p. 42)

Wenn Ontologie noch abstrakter und fundamentaler als Physik ist, warum können sich die Ontologen nicht auf eine einigen? Ich denke, hier wird verschwiegen, daß die Ontologie eben keine weitere Abstraktion der Realität mit Modellgewinn darstellt. Sie scheint mir eine Scheinabstraktion, die eher etwas über unser Selbstbild als über die Welt aussagt.

Myron hat folgendes geschrieben:
One perhaps surprising consequence of this endeavour is the discovery of how often our predecessors were on target, even when they were wrong about the details."

Im Gegenteil finde ich es auffällig, daß Philosophen und Ontologen in den letzten paar hundert Jahren eigentlich immer dann falsch lagen, und zwar fundamental falsch, wenn die Wissenschaften mal einen weniger intuitiv erratbaren Zusammenhang fanden.

#27:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 21:10
    —
@step
Du schreibst das soviel schöner und kenntnisreicher als ich. Ich sollte einfach die Klappe halten. Sehr glücklich

step hat folgendes geschrieben:

Im Gegenteil finde ich es auffällig, daß Philosophen und Ontologen in den letzten paar hundert Jahren eigentlich immer dann falsch lagen, und zwar fundamental falsch, wenn die Wissenschaften mal einen weniger intuitiv erratbaren Zusammenhang fanden.


Hier vielleicht noch das Zitat eines Philosophen dazu:
"Jede Theorie, die einen Fortschritt darstellt, wird anfänglich kontraintuitiv sein müssen."
Daniel C. Dennett, The Intentional Stance (1978)


Zuletzt bearbeitet von Marcellinus am 27.09.2012, 21:16, insgesamt einmal bearbeitet

#28: Re: Ist die Philosophie tot? Autor: Myron BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 21:11
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Dieser Erfolg ist nicht zu bezweifeln, zu bezweifeln ist allerdings, ob er wirklich in einer "Erkenntnis des Seins" bestand. Insofern ist Philosophie eine, nein, nicht eine, sondern viele Weltanschauungen, und viele davon nehmen für sich in Anspruch, "erste Wissenschaft" zu sein, nur leider, ohne dafür tatsächliche Belege anführen zu können. Die reale Entwicklung unseres Wissens, unserer Vorstellungen paßt eben nicht in diese philosophische Fantasievorstellung, man brauche Philosophie, um Wissenschaft zu betreiben, und könne daher Philosophie auch nur von innen kritisieren. Du siehst die Ähnlichkeit (bei allen Unterschieden) mit der Theologie? zwinkern


Die naturalistischen Metaphysiker – und das sind diejenigen, auf die ich mich beziehe – betrachten die Metaphysik keineswegs als eine hermetisch abgeschottete Disziplin, die gegen erfahrungswissenschaftliche Kritik immun ist. Umgekehrt sind die Erfahrungswissenschaften nicht immun gegen metaphysische Kritik, wenn es um die metatheoretischen Voraussetzungen und Deutungen erfahrungswissenschaftlicher Theorien geht. Ein Paradebeispiel sind die Interpretationen der Quantenmechanik.

#29: Re: Ist die Philosophie tot? Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 21:18
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Dieser Erfolg ist nicht zu bezweifeln, zu bezweifeln ist allerdings, ob er wirklich in einer "Erkenntnis des Seins" bestand. Insofern ist Philosophie eine, nein, nicht eine, sondern viele Weltanschauungen, und viele davon nehmen für sich in Anspruch, "erste Wissenschaft" zu sein, nur leider, ohne dafür tatsächliche Belege anführen zu können. Die reale Entwicklung unseres Wissens, unserer Vorstellungen paßt eben nicht in diese philosophische Fantasievorstellung, man brauche Philosophie, um Wissenschaft zu betreiben, und könne daher Philosophie auch nur von innen kritisieren. Du siehst die Ähnlichkeit (bei allen Unterschieden) mit der Theologie? zwinkern


Die naturalistischen Metaphysiker – und das sind diejenigen, auf die ich mich beziehe – betrachten die Metaphysik keineswegs als eine hermetisch abgeschottete Disziplin, die gegen erfahrungswissenschaftliche Kritik immun ist. Umgekehrt sind die Erfahrungswissenschaften nicht immun gegen metaphysische Kritik, wenn es um die metatheoretischen Voraussetzungen und Deutungen erfahrungswissenschaftlicher Theorien geht. Ein Paradebeispiel sind die Interpretationen der Quantenmechanik.

Genau diese Interpretationen sind nun wirklich ein weites Feld. Dem Außenstehenden erscheint es eher als ein Religionskrieg, was für mich heißt, die Tatsachenbeobachtungen sind hinlänglich belegt, und zwar bis zu einer erstaunlichen Genauigkeit, die Modellvorstellungen dagegen enthalten doch wohl noch sehr viele Fantasieanteile. zwinkern

#30:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 21:30
    —
Vielleicht steckt hinter alle dem auch ein Mißverständnis, was Wissenschaften tun und erreichen können. Hier dazu ein Zitat von John von Neumann, das ich bei Stenger: "God, The Failed Hypothesis" fand:

"The sciences do not try to explain, they hardly even try to interpret, they mainly make models. By a model is meant a mathematical construct which, with the addition of certain verbal interpretations, describes observed phenomena. The justification of such a mathematical construct is solely and precisely that it is expected to work."

#31: Re: Ist die Philosophie tot? Autor: Myron BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 21:34
    —
step hat folgendes geschrieben:

Wenn Ontologie noch abstrakter und fundamentaler als Physik ist, warum können sich die Ontologen nicht auf eine einigen?


Das liegt in der Natur der Sache, denn "philosophy lacks the wonderful decision procedures that are present in logic and mathematics (proofs) and the natural sciences (observation and experiment, together with mathematics)." (Armstrong, D. M. Sketch for a Systematic Metaphysics. Oxford: Oxford University Press, 2010. p. ix)

Ein kurzer Abschnitt aus Heils Buch: Link!

#32: Re: Ist die Philosophie tot? Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 21:37
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
... Umgekehrt sind die Erfahrungswissenschaften nicht immun gegen metaphysische Kritik, wenn es um die metatheoretischen Voraussetzungen und Deutungen erfahrungswissenschaftlicher Theorien geht. Ein Paradebeispiel sind die Interpretationen der Quantenmechanik.

Wobei die vor allem von den Physikern selbst kritisiert wurden. Die Philosophen verstehen die nämlich i.a. nicht.

Und was an dieser Kritik metaphysisch sein soll, ist mir auch unklar. Oder halt, doch: Physiker kritisieren idZ tendenziell eher z.B. die mangelnde Voraussagefähigkeit / Falsifizierbarkeit, verdeckte ad-hocs usw., während Philosophen in dieser Debatte tatsächlich dazu neigen, intutive metaphysische Geschmacksurteile zu fällen, à la: "Die Vieleweltentheorie ist ontologisch zu gefräßig."

#33: Re: Ist die Philosophie tot? Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 21:39
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wenn Ontologie noch abstrakter und fundamentaler als Physik ist, warum können sich die Ontologen nicht auf eine einigen?


Das liegt in der Natur der Sache, denn "philosophy lacks the wonderful decision procedures that are present in logic and mathematics (proofs) and the natural sciences (observation and experiment, together with mathematics)." (Armstrong, D. M. Sketch for a Systematic Metaphysics. Oxford: Oxford University Press, 2010. p. ix)

Das spricht dann aber doch stark dagegen, daß hier fundamentale Modelle zu erwarten wären, denn worin sollte ihre Fundamentalität bestehen, wenn es so viele sich widersprechende davon gibt?

#34: Re: Ist die Philosophie tot? Autor: Myron BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 21:39
    —
step hat folgendes geschrieben:

Myron hat folgendes geschrieben:
"Metaphysics, and in particular ontology, sets the limits of scientific theorizing, at least in this sense: in plotting basic categories of being, ontology constrains science. These constraints are not externally imposed rules. The constraints are the expression of principles we are all—including the scientists—bound to accept. Such principles are not based on armchair reflection, but on our ongoing give and take with being."(p. 11)

Solche Constraints sind in der Tat keine Lehnstuhlreflektionen, sondern faktische, selbst wiederum naturwissenschaftlich fassbare Bedingungen.


Heil will nicht sagen, dass die Metaphysik/Ontologie eine empirische Disziplin ist.
Ein fundamentalontologisches Kategorienschema lässt sich nicht experimentell testen.

#35: Re: Ist die Philosophie tot? Autor: Myron BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 21:48
    —
step hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Das liegt in der Natur der Sache, denn "philosophy lacks the wonderful decision procedures that are present in logic and mathematics (proofs) and the natural sciences (observation and experiment, together with mathematics)." (Armstrong, D. M. Sketch for a Systematic Metaphysics. Oxford: Oxford University Press, 2010. p. ix)

Das spricht dann aber doch stark dagegen, daß hier fundamentale Modelle zu erwarten wären, denn worin sollte ihre Fundamentalität bestehen, wenn es so viele sich widersprechende davon gibt?


Objektive epistemische Gewissheit darf man in der Metaphysik/Ontik nicht erwarten. Daraus den Schluss zu ziehen, dass deshalb die Beschäftigung damit frucht- und nutzlos sei, ist jedoch völlig verfehlt.

#36: Re: Ist die Philosophie tot? Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 22:20
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Das liegt in der Natur der Sache, denn "philosophy lacks the wonderful decision procedures that are present in logic and mathematics (proofs) and the natural sciences (observation and experiment, together with mathematics)." (Armstrong, D. M. Sketch for a Systematic Metaphysics. Oxford: Oxford University Press, 2010. p. ix)
Das spricht dann aber doch stark dagegen, daß hier fundamentale Modelle zu erwarten wären, denn worin sollte ihre Fundamentalität bestehen, wenn es so viele sich widersprechende davon gibt?
Objektive epistemische Gewissheit darf man in der Metaphysik/Ontik nicht erwarten. Daraus den Schluss zu ziehen, dass deshalb die Beschäftigung damit frucht- und nutzlos sei, ist jedoch völlig verfehlt.
Ganz so weit würde ich auch nicht gehen, denn es könnte ja einen Nutzen jenseits einer besseren Weltbeschreibung geben. Mir ging es vor allem gegen die hochtrabenden Worte von der zusätzlichen Abstraktionsebene unterhalb der Physik.

#37:  Autor: Kival BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 23:16
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Kival hat folgendes geschrieben:
Philosophie kann auch Wissenschaft im engeren Sinne sein. So kann im Rahmen der Ethik zum Beispiel die Struktur existierender moralische Systeme sowie deren Inhalte analyisiert werden. In der Soziologie geht es hier ja meistens eher um die zugrndeliegenden Prozesse, im Rahmen der Ethik interessiert man sich eher für die konkreten Inhalte, wie sie tatsächlich zusammenängen und welche Arten von Rechtfertungsmustern es gibt. Ähnlich kann man auch Wissenschaftstheorie teilweise deskriptiv betreiben, in dem man Fallstudien betreibt und die Strukturen wissenschaftlicher Theorien, deren Entwicklung und die genutzten Argumentationsstrukturen analysiert. Auch hier ist der Unterschied zur Soziologie, dass man sich weniger auf die dabei zugrundeliegenden sozialen Prozesse konzentriert, und mehr auf Theorien selber.

Wenn Philosophie Wissenschaft wäre, was wäre ihr Gegenstand, was ihre Theorien, und wie wären sie zu belegen oder zu kritisieren? Und wenn du die Philosophie als Metawissenschaft behaupten willst, womit willst du das rechtfertigen?


Philosophie ist zum Teil wissenschaftlich, im Sinne empirischer Wissenschaft. Oder anders gesagt: Sie kann eben schon empirisch arbeiten, wie oben beschrieben. Wozu muss sich eine Analyse der logischen Strukturen (empirischer) Theorien rechtfertigen? Oder eine Analyse der Inhalte und logischen Strukturen der Moral von Gesellschaften. Auch die Soziologie muss nicht rechtfertigen, die sozialen Prozesse und Strukturen andereer Wissenschaften zu analysieren, sie tut es einfach. Die Soziologie hat aber einen (tendentiell) anderen Blickwinkel. Natürlich gibt es Überschneidungen, aber die gibt es immer. Es ist nicht die am weitesten verbreitete Herangehensweise der Philosophie im Bereich der Ethik und Wissenschaftstheorie, es gibt sie aber eben auch. Wenn es irgendeiner Rechtfertigung bedarf, dann ist es halt die, dass Philosohen darin ausgebildet werden Logik und Argumentation zu analyiseren. Und ja, das ist - unglücklicherweise - bei Soziologen nicht der Fall.

#38:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 27.09.2012, 23:34
    —
Kival hat folgendes geschrieben:

Philosophie ist zum Teil wissenschaftlich, im Sinne empirischer Wissenschaft. Oder anders gesagt: Sie kann eben schon empirisch arbeiten, wie oben beschrieben. Wozu muss sich eine Analyse der logischen Strukturen (empirischer) Theorien rechtfertigen? Oder eine Analyse der Inhalte und logischen Strukturen der Moral von Gesellschaften. Auch die Soziologie muss nicht rechtfertigen, die sozialen Prozesse und Strukturen andereer Wissenschaften zu analysieren, sie tut es einfach. Die Soziologie hat aber einen (tendentiell) anderen Blickwinkel. Natürlich gibt es Überschneidungen, aber die gibt es immer. Es ist nicht die am weitesten verbreitete Herangehensweise der Philosophie im Bereich der Ethik und Wissenschaftstheorie, es gibt sie aber eben auch. Wenn es irgendeiner Rechtfertigung bedarf, dann ist es halt die, dass Philosohen darin ausgebildet werden Logik und Argumentation zu analyiseren. Und ja, das ist - unglücklicherweise - bei Soziologen nicht der Fall.

Deine Kritik an Soziologen teile ich, aber ich sehe nicht, wo Philosophen da zum wissenschaftlichen Fortschritt beitragen. Sie stehen eher räsonierend am Wegesrand, und beklagen sich, daß ihnen niemand das Gefühl der eigenen Großartigkeit abnimmt.

Ich hab's am Anfang schon angedeutet, wenn man nicht ein genauere Vorstellung davon entwickelt, wie sich das menschliches Wissen aus vorwissenschaftlichen Zeiten bis heute entwickelt hat, man also das Problem menschlichen Wissenserwerbs philosophisch und nicht wissenssoziologisch angeht, dann kriegt man auch keine konkrete Vorstellung von unserem Problem.

#39: Re: Ist die Philosophie tot? Autor: Myron BeitragVerfasst am: 28.09.2012, 00:47
    —
step hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Das liegt in der Natur der Sache, denn "philosophy lacks the wonderful decision procedures that are present in logic and mathematics (proofs) and the natural sciences (observation and experiment, together with mathematics)." (Armstrong, D. M. Sketch for a Systematic Metaphysics. Oxford: Oxford University Press, 2010. p. ix)

Das spricht dann aber doch stark dagegen, daß hier fundamentale Modelle zu erwarten wären, denn worin sollte ihre Fundamentalität bestehen, wenn es so viele sich widersprechende davon gibt?


"Ontological theses are assayed not by measuring them directly against reality, but by considering their relative power. One thesis bests another when it proves more adept at making sense of our experiences of the universe in light of our most promising scientific theories."

"Ontologische Thesen werden nicht bewertet, indem man sie direkt an der Wirklichkeit misst, sondern indem man ihre relative Stärke erwägt. Eine These übertrumpft eine andere, wenn sie sich darin als geeigneter erweist, unsere Erfahrungen des Universums im Lichte der vielversprechendsten wissenschaftlichen Theorien verständlich zu machen."

[© meine Übers.]

(Heil, John. The Universe As We Find It. Oxford: Oxford University Press, 2012. p. 97)

#40:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 28.09.2012, 02:33
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Was machen wir nun mit jemandem, der diesen Glauben nicht teilt, der zum Beispiel stark bezweifelt, daß eine Philosophie der Geschichte einen zutreffenden Beitrag zur Geschichtswissenschaft zu leisten imstande ist?


Weiß ich nicht, weil ich mich in der Geschichtsphilosophie nicht auskenne.

Philosophy of History: http://plato.stanford.edu/entries/history/

#41:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 28.09.2012, 09:00
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Was machen wir nun mit jemandem, der diesen Glauben nicht teilt, der zum Beispiel stark bezweifelt, daß eine Philosophie der Geschichte einen zutreffenden Beitrag zur Geschichtswissenschaft zu leisten imstande ist?


Weiß ich nicht, weil ich mich in der Geschichtsphilosophie nicht auskenne.

Philosophy of History: http://plato.stanford.edu/entries/history/

Es ist eine Plage! Lachen Manchmal auch unterhaltsam zu lesen. Aber immer ein zeitbedingter Irrtum! In meinem Geschichtsstudium hieß es dazu: Wenn Peter etwas über Paul sagt, sagt er mehr über Peter als über Paul. In der Geschichtsphilosophie erfährt man also mehr über den Philosophen als über die Geschichte. zwinkern

#42: Re: Ist die Philosophie tot? Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 28.09.2012, 10:46
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
"Ontologische Thesen werden nicht bewertet, indem man sie direkt an der Wirklichkeit misst, sondern indem man ihre relative Stärke erwägt. Eine These übertrumpft eine andere, wenn sie sich darin als geeigneter erweist, unsere Erfahrungen des Universums im Lichte der vielversprechendsten wissenschaftlichen Theorien verständlich zu machen."[/i] [© meine Übers.] (Heil, John. The Universe As We Find It. Oxford: Oxford University Press, 2012. p. 97)

Wissenschaftliche Theorien werden aber nicht durch ontologische Thesen verständlicher, oder höchstens gaukelt man sich dadurch eine höhere Verständlichkeit vor. Wenn man wissenschaftliche Theorien verständlicher machen will, gibt es mE folgende Wege, die alle ihre Vor- und Nachteile haben:

1. sich in die Wissenschaft einarbeiten: der qualitativ beste Weg, aber zeitaufwändig und intellektuell nicht jedem gegeben

2. die Theorie gechickt erklären / kommunizieren: kann helfen, Verständnisschwierigkeiten zu überwinden

3. die realen Konsequenzen der Theorie betrachten/aufzeigen: überzeugend, aber die Abstraktion und Allgemeinheit geht verloren

4. die Theorie durch eine alltagstaugliche Analogie veranschaulichen: einfach und beliebt, allerdings immanent fehlerträchtig.

Das von Dir angegebene Kriterium für die Qualität ontologischer Thesen ("unsere Erfahrungen ... verständlicher machen") läuft im wesentlichen auf 3. und 4. hinaus und stellt die kommunikative Vereinfachung stark in den Vordergrund. Demnach wäre etwa ein populärwissenschaftlicher Fernsehmoderator ein potenziell hervorragender Ontologe.

#43: Re: Ist die Philosophie tot? Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 28.09.2012, 11:20
    —
step hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
"Ontologische Thesen werden nicht bewertet, indem man sie direkt an der Wirklichkeit misst, sondern indem man ihre relative Stärke erwägt. Eine These übertrumpft eine andere, wenn sie sich darin als geeigneter erweist, unsere Erfahrungen des Universums im Lichte der vielversprechendsten wissenschaftlichen Theorien verständlich zu machen."[/i] [© meine Übers.] (Heil, John. The Universe As We Find It. Oxford: Oxford University Press, 2012. p. 97)

Wissenschaftliche Theorien werden aber nicht durch ontologische Thesen verständlicher, oder höchstens gaukelt man sich dadurch eine höhere Verständlichkeit vor. Wenn man wissenschaftliche Theorien verständlicher machen will, gibt es mE folgende Wege, die alle ihre Vor- und Nachteile haben:

1. sich in die Wissenschaft einarbeiten: der qualitativ beste Weg, aber zeitaufwändig und intellektuell nicht jedem gegeben

2. die Theorie gechickt erklären / kommunizieren: kann helfen, Verständnisschwierigkeiten zu überwinden

3. die realen Konsequenzen der Theorie betrachten/aufzeigen: überzeugend, aber die Abstraktion und Allgemeinheit geht verloren

4. die Theorie durch eine alltagstaugliche Analogie veranschaulichen: einfach und beliebt, allerdings immanent fehlerträchtig.

Das von Dir angegebene Kriterium für die Qualität ontologischer Thesen ("unsere Erfahrungen ... verständlicher machen") läuft im wesentlichen auf 3. und 4. hinaus und stellt die kommunikative Vereinfachung stark in den Vordergrund. Demnach wäre etwa ein populärwissenschaftlicher Fernsehmoderator ein potenziell hervorragender Ontologe.

Ich halte solche Thesen für Weltanschauungen, die den Wissenschaften nur aufgesetzt werden, ihnen etwas unbewiesenes und unbeweisbares, überflüssiges hinzufügen. Überflüssig natürlich nur im Bezug auf die Wissenschaften. Denen, die solchen Thesen anhängen, sind sie sicherlich ziemlich wichtig. Insofern sind diese Philosophien den Religionen nicht unähnlich, auch wenn ihre Form der Erkenntnisgewinnung unterschiedlich ist.

Wenn gesagt wird, daß Weltanschauungen oder Weltbilder notwendig seien, daß jeder eine habe, so ist das vielleicht sogar richtig, nur hat jeder eine andere. Insofern mag die persönliche Weltanschauung Grundlage der eigenen wissenschaftlichen Arbeit sein, Grundlage der entsprechenden Wissenschaft allgemein ist sie nicht. Was dauerhaft ist am wissenschaftlichen Fortschritt sind die belegbaren Tatsachenbeobachtungen, das ist in den Menschenwissenschaften so, und sicherlich auch in den biologischen und physikalischen Wissenschaften, nicht dagegen die zeitbedingten Interpretationen und Modelle.

#44:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 28.09.2012, 11:59
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Wenn Peter etwas über Paul sagt, sagt er mehr über Peter als über Paul. In der Geschichtsphilosophie erfährt man also mehr über den Philosophen als über die Geschichte. zwinkern

Und in diesem Beitrag von dir mehr über dich als über Philosophen und über Geschichte. - etc. zwinkern

#45:  Autor: pera BeitragVerfasst am: 02.10.2012, 17:14
    —
Habe mir den ganzen Thread durchgelesen, das hat mich schon etwas milder gestimmt.
Früher hatte ich eine sehr große Werschätzung für die Philosophie, ja ich war blöd, denn ich hatte mir Antworten erwartet. Habe ich auch bekommen, aber leider zuviele. Was dazu führte, dass bei mir der Eindruck völliger Nutzlosigkeit der Philosophie entstand.
Habe ich im Laufe der Zeit revidiert und sehe es jetzt eher als ein amüsantes Spiel, ohne großen Wert für irgendwas, aber gut, das gilt auch für viele andere Dinge.
Das ist meine persönliche Meinung zur Philosophie, nicht sehr originell, aber immerhin. Smilie

#46:  Autor: WilsonWohnort: Swift Tuttle BeitragVerfasst am: 22.11.2015, 20:05
    —
interessant:
https://www.youtube.com/watch?v=NXmN7ADuDqc
Die Philosophie - Ein Denken aus dem Geist der Rechtfertigung


was treibt die philosophie so und was könnte sie treiben? Auf den Arm nehmen

#47: Re: Ist die Philosophie tot? Autor: Smart GottWohnort: Wien BeitragVerfasst am: 22.11.2015, 21:03
    —
Freidenker1 hat folgendes geschrieben:
Lange Zeit war die Philosophie die Mutter aller Wissenschaften. Doch was ist die Philosophie heute noch?…. Stewen Hawking meinte in seinem neuen Buch, die Philosophie seit tot. Was meint ihr?


Anton Zeilinger, einer der führender (Quanten)Physiker der Welt, sagt, dass es nicht seine Aufgabe sei, die "Wunder" der Quantenphysik zu erklären. Er erforsche, WIE sie funktioniert. WARUM sie funktioniert und was für Konsequenzen das für unser Weltbild hat, müsse aus der Philosophie kommen.

In diesem Sinne würde ich nicht sagen, dass die Philosophie tot sei. Ich glaube, dass sie vor einer potentiellen Renaissance steht. Alles was sie zum Wiederaufleben braucht, sind eines oder mehrere Gehirne, die es schaffen, ein Denkkonzept zu entwickeln, das das wundersame Verhalten im Quantenbereich begreifbar/begrifflich macht.

#48:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 23.11.2015, 01:16
    —
Wilson hat folgendes geschrieben:
interessant:
https://www.youtube.com/watch?v=NXmN7ADuDqc
Die Philosophie - Ein Denken aus dem Geist der Rechtfertigung


was treibt die philosophie so und was könnte sie treiben? Auf den Arm nehmen


Hmm. Bin kein Philosoph.
Aber er möchte gleich zu Anfang den Begriff Kritik vorstellen, bezieht sich dabei auf die "Kritiken" von Kant und unterschlägt, dass der Gebrauch dieses Begriffs gerade bei Kant nicht die jetzige Bedeutung sondern vielmehr Untersuchung bzw. Überprüfung meinte. Und genau dieses, nähmlich sein Mißverständnis wirft er dann der Philosophie vor. Lustig. Lachen

#49:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 29.04.2016, 17:36
    —
Ein Hoax im Umfeld des "Philosophen" Badiou.
Zitat:
Als postmoderner Scharlatan mixt er aus Heidegger, Lacan und der mathematischen Mengenlehre (Cantor, Bourbaki) eine esoterische Metaphysik mit Klassenkampfgarnitur.

taz

Allein der Titel: Ontologie, Neutralität und das Streben, nicht queer zu sein Gröhl...

Hier das Original:
Ontology, Neutrality and the Strive for (non) Being Queer Benedetta Tripodi Universitatea Alexandru Ioan Cuza Iasi Romania

#50:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 29.04.2016, 19:03
    —
unquest hat folgendes geschrieben:
Ein Hoax im Umfeld des "Philosophen" Badiou.
Zitat:
Als postmoderner Scharlatan mixt er aus Heidegger, Lacan und der mathematischen Mengenlehre (Cantor, Bourbaki) eine esoterische Metaphysik mit Klassenkampfgarnitur.

[url=http://www.taz.de/!5292549/]taz[/url]

Allein der Titel: Ontologie, Neutralität und das Streben, nicht queer zu sein Gröhl...

Hier das Original:
Ontology, Neutrality and the Strive for (non) Being Queer Benedetta Tripodi Universitatea Alexandru Ioan Cuza Iasi Romania


Die Postmoderne mit ihrer theoretischen und begrifflichen Beliebigkeit, welche großspurig das *Ende der großen Erzählungen* verkündet, ist im Grunde genommen der dezidierte Ausdruck des vervollkommneten Elends der bürgerlichen Philosophie.

Mir fehlt dabei auch noch der Name Zizek, noch so ein Suppenkasper ...- Smilie

#51:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 29.04.2016, 20:56
    —
Badiou und Zizek sind keine Postmodernen, und beide haben der Idee des "Endes der großen Erzählungen" explizit und entschieden widersprochen.

Dass als postmodern identifizierbare Gender Studies versuchen, sich beide anzueignen, war zu erwarten. Die nehmen ja ironischerweise immer alles auf, was gerade in Mode ist.

Zizek ist m.E. inzwischen theoretisch leider völig bankrott. Ich hab' ja meine Magisterarbeit über Zizek geschrieben - also in einer Zeit, als der Mann im Bereich Philosophie noch theoretisch relevant war. The Parallax View war mehr oder weniger sein letztes wirklich interessantes Buch. Welche Elemente seines Denkens als bürgerlich zu bezeichnen sind, wäre zu ermitteln. Seine hegelianische Verteidigung des Katholizismus fällt jedenfalls ganz klar darunter (und überzeugt übrigens noch nicht mal Katholiken). Andererseits kann die Idee, materialistische Theoriebildung mit Lacanscher Psychoanalyse zu verbinden, m.E. in der Tat dabei helfen, bestimme theoretische Lücken in der kritisch-materialistischen Ideologietheorie zu füllen. Allerdings wäre es bitter nötig, dabei stärker empirisch-sozialwissenschaftlich und weniger hermeneutisch vorzugehen als Zizek das tut. Zizeks philosophische Aneignung des Begriffs der Parallaxe ist m.E. ebenfalls von Relevanz für die materialistische Dialektik. Zumindest kann sie diese Frage nicht einfach ignorieren.

Badiou glaubt anscheinend ernsthaft, den Marxismus in eine Art Neoplatonismus umwandeln zu können. Das kann man natürlich von vorne herein abhaken.

#52:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 30.04.2016, 01:23
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Andererseits kann die Idee, materialistische Theoriebildung mit Lacanscher Psychoanalyse zu verbinden, m.E. in der Tat dabei helfen, bestimme theoretische Lücken in der kritisch-materialistischen Ideologietheorie zu füllen. Allerdings wäre es bitter nötig, dabei stärker empirisch-sozialwissenschaftlich und weniger hermeneutisch vorzugehen als Zizek das tut.


Willst du die MRI widerbeleben? Geschockt

#53:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 30.04.2016, 01:43
    —
Meinst du das hier?

#54:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 30.04.2016, 11:45
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Meinst du das hier?

Upps, nein.
Als ehemaliger Mitläufer habe ich den Bekanntheitsgrad der Gruppe 9.1.6 wohl überschätzt.

Aus Sicht des Subjekts stellt sich mir heute bei Betrachtung der Psychoanalyse die Frage, welche Mechnismen wirken müssen, offensichtlich Irrationales in ein Bewusstsein zu integrieren.
Und von Reich zu Hubbard dürfte nur ein Katzensprung sein.

#55:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 30.04.2016, 13:03
    —
unquest hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Meinst du das hier?

Upps, nein.
Als ehemaliger Mitläufer habe ich den Bekanntheitsgrad der Gruppe 9.1.6 wohl überschätzt.

Aus Sicht des Subjekts stellt sich mir heute bei Betrachtung der Psychoanalyse die Frage, welche Mechnismen wirken müssen, offensichtlich Irrationales in ein Bewusstsein zu integrieren.
Und von Reich zu Hubbard dürfte nur ein Katzensprung sein.

Ich bin mir da nicht sicher, ob die Psychoanalyse da wirklich das Mittel der Wahl ist - die ganz normale Psychologie ist da wahrscheinlich sinniger - ohne Freud seine Rolle bei der Entwicklung dieser Wissenschaft absprechen zu wollen.

Wobei Reich und Hubbart ja gar nicht die besonders stark vertretenen Gurus des Irrationalen sind. Zwei in der Gesellschaft erheblich weiter verbreitete Gurus sind Hahnemann und Steiner. Und es ist wie bei den anderen Religionen - die sind nicht alle einfach doof, die einem derartigen Glauben verfallen sind.

Was wahrscheinlich eine Rolle spielt, ist unsere Eigenschaft, ohne die entsprechende Ausbildung nicht zwischen Korrelation und Kausalzusammenhang zu unterscheiden. Dann führen ein oder zwei Schlüsselerlebnisse ganz schnell zum entsprechenden Aberglauben - dazu gibt es auch Untersuchungen. Was auch gut funktioniert, sind Unsinn erzählende Repektspersonen. Deren Aussagen werden anscheinend nur auf besondere Aufforderung hin in Frage gestellt, selbst wenn man es eigentlich besser wissen müsste - weiß ich nicht, ob es da "Offizielles" gibt, das ist eine eigene Beobachtung.

#56:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 30.04.2016, 15:26
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Wobei Reich und Hubbart ja gar nicht die besonders stark vertretenen Gurus des Irrationalen sind. Zwei in der Gesellschaft erheblich weiter verbreitete Gurus sind Hahnemann und Steiner. Und es ist wie bei den anderen Religionen - die sind nicht alle einfach doof, die einem derartigen Glauben verfallen sind.

Money und Butler wären noch Kandidaten für unseren Zeitgeist. Lachen

#57:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 30.04.2016, 23:30
    —
unquest hat folgendes geschrieben:
Upps, nein. Als ehemaliger Mitläufer habe ich den Bekanntheitsgrad der Gruppe 9.1.6 wohl überschätzt.

Marxismus-Reichianismus sagt mir natürlich was. Die genauen Abkürzungen der entsprechenden Gruppen kenne ich aber nicht, da ich selbst nie "Mitläufer" dieser Richtung war.

Den frühen Reich (Massenpsychologie des Faschismus, etc.) habe ich natürlich gelesen. So wie ich das sehe, ist das ein ganz anderer Ansatz als der Lacans. Psychoanalyse ist ja ein weites Feld.

Ob man die Psychoanalyse überhaupt auf empirische Füße stellen kann oder lieber ganz aufgeben sollte, ist natürlich eine Frage, die noch offen ist. Lacans Ansatz scheint mir diesbezüglich jedenfalls am vielversprechendsten zu sein. Dass aus Lacans Psychoanalyse esoterische Strömungen hervorgegangen wären, ist mir übrigens nicht bekannt. Kann aber natürlich sein. Kommt wohl auch darauf an, was man unter esoterisch versteht. Bei Reich steckt m.E. das "okkulte" Denken fast von Anfang an in der ganzen Art und Weise seiner Theoriebildung, ebenso z.B. am anderen Ende des politischen Spektrums bei C.G. Jung. Bei Lacan sehe ich das weniger gegeben. Allerdings ist Lacan auch ein ganzes Stück schwerer zu verstehen.

#58:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 01.05.2016, 13:42
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
unquest hat folgendes geschrieben:
Upps, nein. Als ehemaliger Mitläufer habe ich den Bekanntheitsgrad der Gruppe 9.1.6 wohl überschätzt.

Marxismus-Reichianismus sagt mir natürlich was. Die genauen Abkürzungen der entsprechenden Gruppen kenne ich aber nicht, da ich selbst nie "Mitläufer" dieser Richtung war.

Den frühen Reich (Massenpsychologie des Faschismus, etc.) habe ich natürlich gelesen. So wie ich das sehe, ist das ein ganz anderer Ansatz als der Lacans. Psychoanalyse ist ja ein weites Feld.

Ob man die Psychoanalyse überhaupt auf empirische Füße stellen kann oder lieber ganz aufgeben sollte, ist natürlich eine Frage, die noch offen ist. Lacans Ansatz scheint mir diesbezüglich jedenfalls am vielversprechendsten zu sein. Dass aus Lacans Psychoanalyse esoterische Strömungen hervorgegangen wären, ist mir übrigens nicht bekannt. Kann aber natürlich sein. Kommt wohl auch darauf an, was man unter esoterisch versteht. Bei Reich steckt m.E. das "okkulte" Denken fast von Anfang an in der ganzen Art und Weise seiner Theoriebildung, ebenso z.B. am anderen Ende des politischen Spektrums bei C.G. Jung. Bei Lacan sehe ich das weniger gegeben. Allerdings ist Lacan auch ein ganzes Stück schwerer zu verstehen.


Lacan habe ich nie verstanden.
Man soll Texte nicht aus dem Zusammenhang reißen. Da aber Lacan für seine klare Sprache bekannt ist, sei es mir erlaubt.

Zur psychoanalytischen Funktion imaginärer Zahlen schreibt er:






Hat die behauptete Tatsache, dass mein Schwanz der Wurzel aus -1 entspricht jetzt erkenntnistheoretischen oder therapeutischen Wert?
Stecken in diesem Text Geheimnisse die mir komplett verborgen geblieben sind?
Hat dieser Text überhaupt Inhalt der Sinn ergibt?

#59:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 02.05.2016, 04:06
    —
unquest hat folgendes geschrieben:
Man soll Texte nicht aus dem Zusammenhang reißen.

Als hättest du diesbezüglich jemals irgendwelche Hemmungen gehabt. Mit ein wenig Kenntnis der Lacanschen Theorie der symbolischen Ordnung und ihrer Beziehung zu jouissance lässt sich diese Aussage leicht einordnen. Lacan macht hier nicht eine Aussage über Wurzel minus eins, sondern er benutzt Wurzel minus eins als ein Beispiel, um sein Konzept des phallischen Signifikanten zu erläutern. Aber warum sich die Mühe machen, theoretische Hintergründe zu erarbeiten? Das kostet doch nur Zeit und strengt die Denkbirne viel zu sehr an. Allenfalls kann man noch darüber streiten, ob das Beispiel schlecht gewählt ist. Das einzige Argument dafür ist allerdings, dass es Schmalspurpolemikern wie dir Munition liefert.

Deine ganze Art, dich mit Theoriebildung im Bereich Geistes- und Gesellschaftswissenschafen zu beschäftigen, reduziert sich auf Cherrypicking und "Ich kapier's nicht, deshalb isses doof."

#60:  Autor: Er_Win BeitragVerfasst am: 02.05.2016, 08:48
    —
unquest hat folgendes geschrieben:

Hat dieser Text überhaupt Inhalt der Sinn ergibt?


unter mathematischen Aspekten zumindest sicher nicht Lachen

Es sollte bekannt sein, dass Lacan als mathematisch eher unterbelichtet galt...

Aber Tarvoc wird sicher den tieferen Sinn Lacans "mathematischer" Metapher erklären können - mir fehlt dazu auch die nötige konzeptionelle phallische Signifikanz ...

#61:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 02.05.2016, 12:13
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
unquest hat folgendes geschrieben:
Man soll Texte nicht aus dem Zusammenhang reißen.

Als hättest du diesbezüglich jemals irgendwelche Hemmungen gehabt. Mit ein wenig Kenntnis der Lacanschen Theorie der symbolischen Ordnung und ihrer Beziehung zu jouissance lässt sich diese Aussage leicht einordnen. Lacan macht hier nicht eine Aussage über Wurzel minus eins, sondern er benutzt Wurzel minus eins als ein Beispiel, um sein Konzept des phallischen Signifikanten zu erläutern. Aber warum sich die Mühe machen, theoretische Hintergründe zu erarbeiten? Das kostet doch nur Zeit und strengt die Denkbirne viel zu sehr an. Allenfalls kann man noch darüber streiten, ob das Beispiel schlecht gewählt ist. Das einzige Argument dafür ist allerdings, dass es Schmalspurpolemikern wie dir Munition liefert.

Deine ganze Art, dich mit Theoriebildung im Bereich Geistes- und Gesellschaftswissenschafen zu beschäftigen, reduziert sich auf Cherrypicking und "Ich kapier's nicht, deshalb isses doof."


Mir stellt es sich so dar:

Jeder Mathematiker, der zu obigem Text behaupten würde, dass es sich um Mathematik handelt, würde entweder eingewiesen oder seinen Job verlieren.
Es handelt sich de facto nicht um gültige mathematische Sätze. Aber Lacan tut so als könnte man hier rechnen.
Und auch wenn ich von Mathematik wenig bis sehr wenig Ahnung habe: Mir ist völlig schleierhaft, wie s(die Aussage) irgendwelche Zahlenwerte annehmen kann.

Und auch wenn du mir "Dummstellen" vorwirfst. Wie man der Bedeutung des Genießens durch den Koeffizienten einer Aussage der Mangelfunktion des Signifikanten etwas widererstatten kann, wird mir ein ewiges Rätsel bleiben.

#62: Re: Ist die Philosophie tot? Autor: lucWohnort: Nice. Paris. Köln BeitragVerfasst am: 02.05.2016, 13:26
    —
Freidenker1 hat folgendes geschrieben:
Lange Zeit war die Philosophie die Mutter aller Wissenschaften. Doch was ist die Philosophie heute noch? Viele ihrer Kinder hat sie an Einzelwissenschaften verloren. Seit Wittgenstein soll sich die Philosophie auf "Sprachtherapie" beschränken, die Knoten wieder auflösen, die meist von Philosophen selbst durch falschen Sprachgebrauch entstanden sind. Ich denke, die Philosophie war die vernünfterige Schwester der vom Wunschdenken, Teufels- und Gotteswahn besessenen Religion. Heute sind es die Erkenntnisse der Naturwissenschaftler, besonders die der Physiker, Biologen und die der Hirnforschung, die ein aufgeklärter Geist genau beobachten und verdauen sollte. Mehr zu diesem Thema könnt ihr in der neuen Freidenker Galerie finden. mehr hier:
http://www.freidenker-galerie.de/philosophie-hirnforschung-und-willensfreiheit/

Stewen Hawking meinte in seinem neuen Buch, die Philosophie seit tot.
Was meint ihr?


Philosophie habe ich oft als langweiliges Geschwätz und Erbsenzählerei empfunden. Wenn die Fachphilosophen anfangen zu diskutieren, wird es oft unverständlich und unerträglich jargonös. Abgesehen davon stellt sich die Menschheit immer noch existenzielle Fragen wie: Wer bin ich?Was will ich? Welche Zielsetzungen sind moralisch? Warum bin ich hier? Existiert Gott? Hat mein Leben einen Sinn?
3 Optionen bleiben: Religion, Mystik, Philosophie, die für ein Individuum eine Antwort geben können, auch wenn diese Antwort eine sehr persönliche Angelegenheit bleibt, bzw. bleiben sollte. Die Wissenschaft wird nie diese Art von Fragen beantworten. Die Wissenschaft wird vielleicht endgültig erklären, wie der Big Bang entstanden ist aber ganz bestimmt nicht warum es etwas gibt anstatt nichts, weil die Frage an sich unwissenschaftlich ist.

#63: Re: Ist die Philosophie tot? Autor: vrolijkeWohnort: Stuttgart BeitragVerfasst am: 02.05.2016, 13:37
    —
luc hat folgendes geschrieben:
Freidenker1 hat folgendes geschrieben:
Lange Zeit war die Philosophie die Mutter aller Wissenschaften. Doch was ist die Philosophie heute noch? Viele ihrer Kinder hat sie an Einzelwissenschaften verloren. Seit Wittgenstein soll sich die Philosophie auf "Sprachtherapie" beschränken, die Knoten wieder auflösen, die meist von Philosophen selbst durch falschen Sprachgebrauch entstanden sind. Ich denke, die Philosophie war die vernünfterige Schwester der vom Wunschdenken, Teufels- und Gotteswahn besessenen Religion. Heute sind es die Erkenntnisse der Naturwissenschaftler, besonders die der Physiker, Biologen und die der Hirnforschung, die ein aufgeklärter Geist genau beobachten und verdauen sollte. Mehr zu diesem Thema könnt ihr in der neuen Freidenker Galerie finden. mehr hier:
http://www.freidenker-galerie.de/philosophie-hirnforschung-und-willensfreiheit/

Stewen Hawking meinte in seinem neuen Buch, die Philosophie seit tot.
Was meint ihr?


Philosophie habe ich oft als langweiliges Geschwätz und Erbsenzählerei empfunden. Wenn die Fachphilosophen anfangen zu diskutieren, wird es oft unverständlich und unerträglich jargonös. Abgesehen davon stellt sich die Menschheit immer noch existenzielle Fragen wie: Wer bin ich?Was will ich? Welche Zielsetzungen sind moralisch? Warum bin ich hier? Existiert Gott? Hat mein Leben einen Sinn?
3 Optionen bleiben: Religion, Mystik, Philosophie, die für ein Individuum eine Antwort geben können, auch wenn diese Antwort eine sehr persönliche Angelegenheit bleibt, bzw. bleiben sollte. Die Wissenschaft wird nie diese Art von Fragen beantworten. Die Wissenschaft wird vielleicht endgültig erklären, wie der Big Bang entstanden ist aber ganz bestimmt nicht warum es etwas gibt anstatt nichts, weil die Frage an sich unwissenschaftlich ist.

Ein ehemaliger Geschäftsführer unserer Firma, ein Dr. Math. sagte mir mal: "Egal in welche Wissenschaft; wenn man tief genug eindringt, kommt man stets bei der Philosophie".

#64: Re: Ist die Philosophie tot? Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 02.05.2016, 13:47
    —
vrolijke hat folgendes geschrieben:
luc hat folgendes geschrieben:
Freidenker1 hat folgendes geschrieben:
Lange Zeit war die Philosophie die Mutter aller Wissenschaften. Doch was ist die Philosophie heute noch? Viele ihrer Kinder hat sie an Einzelwissenschaften verloren. Seit Wittgenstein soll sich die Philosophie auf "Sprachtherapie" beschränken, die Knoten wieder auflösen, die meist von Philosophen selbst durch falschen Sprachgebrauch entstanden sind. Ich denke, die Philosophie war die vernünfterige Schwester der vom Wunschdenken, Teufels- und Gotteswahn besessenen Religion. Heute sind es die Erkenntnisse der Naturwissenschaftler, besonders die der Physiker, Biologen und die der Hirnforschung, die ein aufgeklärter Geist genau beobachten und verdauen sollte. Mehr zu diesem Thema könnt ihr in der neuen Freidenker Galerie finden. mehr hier:
http://www.freidenker-galerie.de/philosophie-hirnforschung-und-willensfreiheit/

Stewen Hawking meinte in seinem neuen Buch, die Philosophie seit tot.
Was meint ihr?


Philosophie habe ich oft als langweiliges Geschwätz und Erbsenzählerei empfunden. Wenn die Fachphilosophen anfangen zu diskutieren, wird es oft unverständlich und unerträglich jargonös. Abgesehen davon stellt sich die Menschheit immer noch existenzielle Fragen wie: Wer bin ich?Was will ich? Welche Zielsetzungen sind moralisch? Warum bin ich hier? Existiert Gott? Hat mein Leben einen Sinn?
3 Optionen bleiben: Religion, Mystik, Philosophie, die für ein Individuum eine Antwort geben können, auch wenn diese Antwort eine sehr persönliche Angelegenheit bleibt, bzw. bleiben sollte. Die Wissenschaft wird nie diese Art von Fragen beantworten. Die Wissenschaft wird vielleicht endgültig erklären, wie der Big Bang entstanden ist aber ganz bestimmt nicht warum es etwas gibt anstatt nichts, weil die Frage an sich unwissenschaftlich ist.

Ein ehemaliger Geschäftsführer unserer Firma, ein Dr. Math. sagte mir mal: "Egal in welche Wissenschaft; wenn man tief genug eindringt, kommt man stets bei der Philosophie".

Ich kenn das anders: Egal welche Wissenschaft, wenn man nicht ief genug eindringt, kann man es immer noch als Philosophie verkaufen.
luc hat folgendes geschrieben:
... Existiert Gott? ...

Nachdem Gott von den interessierten und via Offenbarung mit dem Wissensmonopol ausgestatteten Kreisen nun extra so definiert wurde, dass er uns nicht zugänglich ist, ist diese Frage sinnlos, was sie dann wohl hinreichend als philosophisch qualifizieren sollte.

Sinnvoller wäre aber die Frage, wozu wir überhaupt einen Gott brauchen.

#65: Re: Ist die Philosophie tot? Autor: unquest BeitragVerfasst am: 02.05.2016, 14:09
    —
fwo hat folgendes geschrieben:

Sinnvoller wäre aber die Frage, wozu wir überhaupt einen Gott brauchen.


Ich lese gerade von Miller Die sexuelle Evolution (Partnerwahl und die Entstehung des Geistes). Wenn Millers Theorie zutrifft wäre Gott in weitesten Sinne Ergebnis der sexuellen Selektion. Sowas wie Schmuck. Smilie

#66: Re: Ist die Philosophie tot? Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 02.05.2016, 14:36
    —
unquest hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:

Sinnvoller wäre aber die Frage, wozu wir überhaupt einen Gott brauchen.


Ich lese gerade von Miller Die sexuelle Evolution (Partnerwahl und die Entstehung des Geistes). Wenn Millers Theorie zutrifft wäre Gott in weitesten Sinne Ergebnis der sexuellen Selektion. Sowas wie Schmuck. Smilie

Was Miller da alles unter partnerwahlgesteuert zusammenschreibt, ist nach den Rezensionen, die ich überflogen habe, unterhaltsam, aber bei dem wesentlichen Teil, das er so entstehen lassen möchte, userem (zu?) großen Gehirn, stimmt einfach die Reihenfolge nicht - das unterschlagen die Rezensionen allerdings. Erst die Kultur mit ihrer Krönung Sprache macht das Gehirn zum Balzwerkzeug, aber man brauchte es bereits, um die Kultur soweit anzuhäufen, es war auch schon lange vorher da. Insofern ist Kirschmanns Ansatz vom Werfer, der auch immer mehr Anhänger findet, von der zeitlichen Abfolge erheblich passgenauer. Das ist der Grund, warum ich mir dieses Buch nicht angetan habe.

#67: Re: Ist die Philosophie tot? Autor: unquest BeitragVerfasst am: 02.05.2016, 15:41
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
unquest hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:

Sinnvoller wäre aber die Frage, wozu wir überhaupt einen Gott brauchen.


Ich lese gerade von Miller Die sexuelle Evolution (Partnerwahl und die Entstehung des Geistes). Wenn Millers Theorie zutrifft wäre Gott in weitesten Sinne Ergebnis der sexuellen Selektion. Sowas wie Schmuck. Smilie

Was Miller da alles unter partnerwahlgesteuert zusammenschreibt, ist nach den Rezensionen, die ich überflogen habe, unterhaltsam, aber bei dem wesentlichen Teil, das er so entstehen lassen möchte, userem (zu?) großen Gehirn, stimmt einfach die Reihenfolge nicht - das unterschlagen die Rezensionen allerdings. Erst die Kultur mit ihrer Krönung Sprache macht das Gehirn zum Balzwerkzeug, aber man brauchte es bereits, um die Kultur soweit anzuhäufen, es war auch schon lange vorher da. Insofern ist Kirschmanns Ansatz vom Werfer, der auch immer mehr Anhänger findet, von der zeitlichen Abfolge erheblich passgenauer. Das ist der Grund, warum ich mir dieses Buch nicht angetan habe.

Wenn ich den Schlingel erwische, der dieses Buch empfohlen hat - es muss Kutschera oder Dennett gewesen sein. Dennoch. Man lernt wie Evolutions-Biologen denken.

#68: Re: Ist die Philosophie tot? Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 02.05.2016, 16:38
    —
unquest hat folgendes geschrieben:
....
Wenn ich den Schlingel erwische, der dieses Buch empfohlen hat - es muss Kutschera oder Dennett gewesen sein. Dennoch. Man lernt wie Evolutions-Biologen denken.

Im Spektrum gibt es zwei Rezensionen zu dem Buch, Harald Luksch, positiv, Wolfgang Wickler, eher zurückhaltend.

Aber auch, wenn ich sagen kann, warum ich nichts davon halte, muss das nichts heißen - ich leiste mir bei dem Thema eine eigene Meinung, die sich nicht unbedingt am "Mainstream" orientiert. So kann ich aus dem selben Grund, nämlich der zeitlichen Abfolge der Funktionalität nichts mit Dunbars Gossip-Theorie der Sprachentwicklung anfangen - der gute Mann ist aber nun mal der Guru auf dem Gebiet. Aber bei einem neuen Buch, an dem er mitgeschrieben hat, könnte es sein, dass er seine These modifiziert hat - das werde ich mir demnächst mal ansehen:
Clive Gamble, John Gowlett, Robin Dunbar
Evolution, Denken, Kultur
Das soziale Gehirn und die Entstehung des Menschlichen

#69:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 02.05.2016, 20:44
    —
unquest hat folgendes geschrieben:
Jeder Mathematiker, der zu obigem Text behaupten würde, dass es sich um Mathematik handelt, würde entweder eingewiesen oder seinen Job verlieren.

Wirklich niemand behauptet, dass es sich dabei um Mathematik handelt.

(Abgesehen davon ist das übrigens eine kühne Behauptung. So leicht verliert man als Akademiker seinen Job auch wieder nicht, und es haben sogar schon Leute auf Lehrstühlen sehr viel abenteuerlicheres Zeug behauptet. Und für Zwangseinweisungen gibt es zum Glück sogar noch viel höhere gesellschaftliche Hürden.)

unquest hat folgendes geschrieben:
Es handelt sich de facto nicht um gültige mathematische Sätze. Aber Lacan tut so als könnte man hier rechnen.

Nein, tut er nicht, und jeder, der versteht, was er da sagt, versteht auch, dass er das nicht tut. Deine ganze Kritik reduziert sich darauf, dass dir die Form der Darstellung nicht gefällt. Das ist eben das einzige, was übrig bleibt, wenn man den Inhalt nicht kennt. Das Blöde ist aber eben, dass man dann unter Umständen auch nicht versteht, warum er diese Form wählt.

unquest hat folgendes geschrieben:
Und auch wenn ich von Mathematik wenig bis sehr wenig Ahnung habe: Mir ist völlig schleierhaft, wie s(die Aussage) irgendwelche Zahlenwerte annehmen kann.

S steht hier nicht für eine Aussage, sondern für einen Signifikanten. Steht ja auch genau so da. Lacans Aussage hier hat eher Bezüge zur Linguistik als zur Mathematik. Es geht um den Zusammenhang zwischen psychischen Vorgängen und ihrer Symbolisierung, und um die Rückwirkung Letzterer auf Erstere. Dass Lacan ein Beispiel aus der Mathematik wählt, kann man von mir aus kritisieren, wenn man denn will. Nur sollte man schon vorher erfasst haben, was Lacan damit eigentlich sagen will. Aber das ist überhaupt nicht dein Ziel, oder?

Der Verweis auf den strukturalistischen Ethnologen Lévi-Strauss sollte eigentlich Hinweis genug sein, dass es hier nicht primär um Mathematik geht. Überhaupt scheint das Beispiel ursprünglich von ihm zu stammen und nicht von Lacan selbst. Womöglich handelt es sich von Lacans Seite aus hier primär um eine erläuternde Interpretation von Lévi-Strauss. Ich hab' allerdings nicht nachgeschaut, wo das bei Lévi-Strauss vorkommt. Eine Quellenangabe beinhaltet der von dir zitierte Teil ja nicht. Auch dass du diese Tatsache völlig übersiehst, zeigt, wie unsauber du hier arbeitest. Die Quelle von Lacans Beispiel nachzuschlagen, bevor du es kritisierst, wäre eigentlich deine Aufgabe und nicht meine.

Dich interessiert nicht, herauszufinden, wie Lacans Aussagen zu verstehen sind. Das einzige, was dich interessiert, ist, dass du sie nicht auf Anhieb verstehst.

unquest hat folgendes geschrieben:
Und auch wenn du mir "Dummstellen" vorwirfst.

Was ich dir vorwerfe, ist nicht Dummstellen, sondern gewollte Ahnungslosigkeit. Das ist ein Unterschied.
Ich glaube dir gerne, dass es dir tatsächlich ein Rätsel ist, was Lacan hier sagen will. Nur demonstrierst du eben auch, dass es dich letztlich sowieso einen Dreck interessiert.

unquest hat folgendes geschrieben:
Wie man der Bedeutung des Genießens durch den Koeffizienten einer Aussage der Mangelfunktion des Signifikanten etwas widererstatten kann, wird mir ein ewiges Rätsel bleiben.

Oder mit anderen Worten: "Ich kapier's nicht, also isses doof."


Zuletzt bearbeitet von Tarvoc am 02.05.2016, 21:31, insgesamt 4-mal bearbeitet

#70:  Autor: lucWohnort: Nice. Paris. Köln BeitragVerfasst am: 02.05.2016, 21:29
    —
Zitat:
Nachdem Gott von den interessierten und via Offenbarung mit dem Wissensmonopol ausgestatteten Kreisen nun extra so definiert wurde, dass er uns nicht zugänglich ist, ist diese Frage sinnlos, was sie dann wohl hinreichend als philosophisch qualifizieren sollte.

Sinnvoller wäre aber die Frage, wozu wir überhaupt einen Gott brauchen.


@ fwo
Egal wie abenteuerlich und vielleicht töricht die Frage nach einem Gott ist, kommt keiner in seinem Leben umhin, mit oder ohne wissenschaftliche bzw. philosophische Ausbildung, sich die Frage zu stellen, ob Gott existiert..

#71:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 02.05.2016, 21:33
    —
Er_Win hat folgendes geschrieben:
Es sollte bekannt sein, dass Lacan als mathematisch eher unterbelichtet galt...

Bei Lacans Beispielen aus der Mathematik tippe ich mir beim ersten Lesen auch öfters mal an die Stirn. In der Regel dienen sie aber ohnehin nur zur Erläuterung ganz anderer Inhalte.
Lacans psychoanalytische Arbeit erhebt keinen Anspruch darauf, ein Beitrag zur Mathematik zu sein. Darauf hinzuweisen, dass sie keiner ist, ist daher kein Akt der Kritik.

#72:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 02.05.2016, 21:51
    —
luc hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Nachdem Gott von den interessierten und via Offenbarung mit dem Wissensmonopol ausgestatteten Kreisen nun extra so definiert wurde, dass er uns nicht zugänglich ist, ist diese Frage sinnlos, was sie dann wohl hinreichend als philosophisch qualifizieren sollte.

Sinnvoller wäre aber die Frage, wozu wir überhaupt einen Gott brauchen.


@ fwo
Egal wie abenteuerlich und vielleicht töricht die Frage nach einem Gott ist, kommt keiner in seinem Leben umhin, mit oder ohne wissenschaftliche bzw. philosophische Ausbildung, sich die Frage zu stellen, ob Gott existiert..

Es ist richtig, dass von einigen soviel Bohei um dieses Gott gemacht wird, dass man nicht unhinkommt, mal nachzufragen, was das überhaupt sein soll. Ich habe das schon als Kind nicht begriffen und Prügel dafür bezogen - alles was ich dadurch begriffen habe, war, dass es meinen Eltern wohl wichtig war. Aber nachdem ich den Definitionstrick in der Schule erfahren habe (im Religionsunterricht - wurde natürlich nicht als Trick dargestellt), habe ich für mich entschieden, das ich das nicht brauche. Die Existenz ist mir egal und nach der Definition passiert mir auch nichts, wenn ich einfach davon ausgehe, dass Gott nicht existiert, ohne das weiter zu untersuchen. Es ist also keine Frage, die beantwortet werden muss.

Ob man sich die Frage nach Gott stellt, liegt an der Kultur, in der man aufwächst. Ich kann mir gut vorstellen, dass so eine Kultur Gott genauso vergessen kann, wie sie die Gottheiten vorher soweit vergessen hat, dass nur noch die sie kennen, die sich speziell dafür interessieren.

Dann wird die Frage nach Gott die Sache von ein paar Sonderlingen sein.

#73:  Autor: lucWohnort: Nice. Paris. Köln BeitragVerfasst am: 02.05.2016, 22:17
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
luc hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Nachdem Gott von den interessierten und via Offenbarung mit dem Wissensmonopol ausgestatteten Kreisen nun extra so definiert wurde, dass er uns nicht zugänglich ist, ist diese Frage sinnlos, was sie dann wohl hinreichend als philosophisch qualifizieren sollte.

Sinnvoller wäre aber die Frage, wozu wir überhaupt einen Gott brauchen.


@ fwo
Egal wie abenteuerlich und vielleicht töricht die Frage nach einem Gott ist, kommt keiner in seinem Leben umhin, mit oder ohne wissenschaftliche bzw. philosophische Ausbildung, sich die Frage zu stellen, ob Gott existiert..

Es ist richtig, dass von einigen soviel Bohei um dieses Gott gemacht wird, dass man nicht unhinkommt, mal nachzufragen, was das überhaupt sein soll. Ich habe das schon als Kind nicht begriffen und Prügel dafür bezogen - alles was ich dadurch begriffen habe, war, dass es meinen Eltern wohl wichtig war. Aber nachdem ich den Definitionstrick in der Schule erfahren habe (im Religionsunterricht - wurde natürlich nicht als Trick dargestellt), habe ich für mich entschieden, das ich das nicht brauche. Die Existenz ist mir egal und nach der Definition passiert mir auch nichts, wenn ich einfach davon ausgehe, dass Gott nicht existiert, ohne das weiter zu untersuchen. Es ist also keine Frage, die beantwortet werden muss.

Ob man sich die Frage nach Gott stellt, liegt an der Kultur, in der man aufwächst. Ich kann mir gut vorstellen, dass so eine Kultur Gott genauso vergessen kann, wie sie die Gottheiten vorher soweit vergessen hat, dass nur noch die sie kennen, die sich speziell dafür interessieren.

Dann wird die Frage nach Gott die Sache von ein paar Sonderlingen sein.


Ich persönlich habe ich mir diese Frage mit großer Intensität gestellt, bis ich verstanden habe
1) dass ich die Frage nicht beantworten kann.
2) dass die Frage für mich unwichtig ist. Egal an was ich glaube oder nicht glaube, ändert das nichts an meiner Verantwortung ein für mich moralisch akzeptables Leben zu führen. Moral, Gelassenheit und gesunder Menschenverstand brauchen keinen Gott.

#74:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 02.05.2016, 22:33
    —
luc hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
....Ob man sich die Frage nach Gott stellt, ....


Ich persönlich habe ich mir diese Frage mit großer Intensität gestellt, bis ich verstanden habe
1) dass ich die Frage nicht beantworten kann.
2) dass die Frage für mich unwichtig ist. Egal an was ich glaube oder nicht glaube, ändert das nichts an meiner Verantwortung ein für mich moralisch akzeptables Leben zu führen. Moral, Gelassenheit und gesunder Menschenverstand brauchen keinen Gott.

Wenn ich das summiere, dass heißt das bei diesem Ergebnis, dass Du der Frage nach Gott eine Wichtigkeit gegeben hast, die sie nicht verdient.

Ich habe meinen Kindern deshalb gleich gesagt, als im Kindergarten plötzlich von Gott erzählt wurde, dass ich den Kram für wertlos halte. Nachher gab es Religionsunterricht in der Schule und als sie mich gefragt haben, habe ich nur gesagt, dass diese Märchen zur Allgemeinbildung gehören. Inzwischen sind sie 15 und 17 und ich gehe davon aus, dass die in die Frage nach Gott nicht viel Zeit investieren werden.

Wahr ist, dass ich die Prügel bezogen habe (s.o.). Was mich deshalb an diesem Gott schon als Kind fasziniert hat, war, was es mit Menschen macht, an sowas zu glauben und warum die das tun. Daran habe ich allerdings ziemlich viele Gedanken verschwendet.

#75:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 02.05.2016, 22:34
    —
fwo hat folgendes geschrieben:

Ob man sich die Frage nach Gott stellt, liegt an der Kultur, in der man aufwächst. Ich kann mir gut vorstellen, dass so eine Kultur Gott genauso vergessen kann, wie sie die Gottheiten vorher soweit vergessen hat, dass nur noch die sie kennen, die sich speziell dafür interessieren.

Dann wird die Frage nach Gott die Sache von ein paar Sonderlingen sein.


Das scheint mir der entscheidende Punkt zu sein. Schon heute kann man dies in Familien sehen, in denen die Menschen seit mehreren Generationen Nichtreligiöse sind. Bei mir war es nur noch ein schütterer aber erfolgloser Versuch meiner Großmutter, mir einen Kontakt zu ihrem Glauben einzureden (obwohl bis zu diesem Zeitpunkt noch alle Mitglieder meiner Familie Kirchenmitglieder waren). Meine Kinder sind dann nur noch von "wohlmeinenden" Klassenkameraden als "Heiden" beschimpft worden, was ihr Interesse an der Gottesfrage im Keim erstickt hat. So wächst sich so etwas raus.

#76:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 02.05.2016, 22:37
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Was mich deshalb an diesem Gott schon als Kind fasziniert hat, war, was es mit Menschen macht, an sowas zu glauben und warum die das tun. Daran habe ich allerdings ziemlich viele Gedanken verschwendet.

Und? Weißt du es jetzt? zwinkern

#77:  Autor: lucWohnort: Nice. Paris. Köln BeitragVerfasst am: 02.05.2016, 22:56
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
luc hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
....Ob man sich die Frage nach Gott stellt, ....


Ich persönlich habe ich mir diese Frage mit großer Intensität gestellt, bis ich verstanden habe
1) dass ich die Frage nicht beantworten kann.
2) dass die Frage für mich unwichtig ist. Egal an was ich glaube oder nicht glaube, ändert das nichts an meiner Verantwortung ein für mich moralisch akzeptables Leben zu führen. Moral, Gelassenheit und gesunder Menschenverstand brauchen keinen Gott.

Wenn ich das summiere, dass heißt das bei diesem Ergebnis, dass Du der Frage nach Gott eine Wichtigkeit gegeben hast, die sie nicht verdient.

Ich habe meinen Kindern deshalb gleich gesagt, als im Kindergarten plötzlich von Gott erzählt wurde, dass ich den Kram für wertlos halte. Nachher gab es Religionsunterricht in der Schule und als sie mich gefragt haben, habe ich nur gesagt, dass diese Märchen zur Allgemeinbildung gehören. Inzwischen sind sie 15 und 17 und ich gehe davon aus, dass die in die Frage nach Gott nicht viel Zeit investieren werden.

Wahr ist, dass ich die Prügel bezogen habe (s.o.). Was mich deshalb an diesem Gott schon als Kind fasziniert hat, war, was es mit Menschen macht, an sowas zu glauben und warum die das tun. Daran habe ich allerdings ziemlich viele Gedanken verschwendet.


Bei mir hat es sehr lange gedauert, bis ich diese Erkenntnis hatte und ich glaube nicht, dass meine Umwelt, meine Familie, die Schule, usw. dazu beigetragen haben, bei mir metaphysische Fragen entstehen zu lassen. Die Umwelt war in der Beziehung eher neutral. Ich glaube, nach Gott zu fragen und nach absoluten Lösungen zu suchen war bei mir eher Veranlagung. zwinkern Ich habe eher vermisst, dass meine Eltern sich nie für solche Fragen interessiert haben und dass keine ernsthafte Diskussion über dieses Thema möglich war.

#78:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 03.05.2016, 00:38
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Was mich deshalb an diesem Gott schon als Kind fasziniert hat, war, was es mit Menschen macht, an sowas zu glauben und warum die das tun. Daran habe ich allerdings ziemlich viele Gedanken verschwendet.

Und? Weißt du es jetzt? zwinkern

Ich habe eine Vorstellung davon, die halte ich ja auch nicht hinter dem Berg, d.h stelle sie zur Diskussion, wo es passt. Aber wissen? Ich bin ja nur als Hobbypsychologe tätig und das auch nur in der Küchenpsychologie.

EDIT: p.s.
Dazu fällt mir Kästners Feststellung ein:

Wir haben’s schwer.
Denn wir wissen nur ungefähr,
woher,
jedoch die Frommen
wissen gar, wohin wir kommen!
Wer glaubt, weiß mehr.


Zuletzt bearbeitet von fwo am 03.05.2016, 02:29, insgesamt 2-mal bearbeitet

#79:  Autor: Kramer BeitragVerfasst am: 03.05.2016, 01:02
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Ob man sich die Frage nach Gott stellt, liegt an der Kultur, in der man aufwächst. Ich kann mir gut vorstellen, dass so eine Kultur Gott genauso vergessen kann, wie sie die Gottheiten vorher soweit vergessen hat, dass nur noch die sie kennen, die sich speziell dafür interessieren.

Dann wird die Frage nach Gott die Sache von ein paar Sonderlingen sein.


Ich vermute, wir leben gerade in so einer kulturellen Phase. Es gibt kein "kulturelles" die da oben und wir da unten mehr. Es gibt nicht mehr den Promi-Bonus, die Göttlichkeit des Ruhms. Vor 40 Jahren galt man noch als Gott, weil man gut Gitarre spielen konnte. Heute ist jeder Promi immer einen Fussbreit vom Shitstorm entfernt, sobald er mal was politisch Relevantes sagt.

#80:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 03.05.2016, 07:14
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
luc hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
....Ob man sich die Frage nach Gott stellt, ....


Ich persönlich habe ich mir diese Frage mit großer Intensität gestellt, bis ich verstanden habe
1) dass ich die Frage nicht beantworten kann.
2) dass die Frage für mich unwichtig ist. Egal an was ich glaube oder nicht glaube, ändert das nichts an meiner Verantwortung ein für mich moralisch akzeptables Leben zu führen. Moral, Gelassenheit und gesunder Menschenverstand brauchen keinen Gott.

Wenn ich das summiere, dass heißt das bei diesem Ergebnis, dass Du der Frage nach Gott eine Wichtigkeit gegeben hast, die sie nicht verdient.

Ich habe meinen Kindern deshalb gleich gesagt, als im Kindergarten plötzlich von Gott erzählt wurde, dass ich den Kram für wertlos halte. Nachher gab es Religionsunterricht in der Schule und als sie mich gefragt haben, habe ich nur gesagt, dass diese Märchen zur Allgemeinbildung gehören. Inzwischen sind sie 15 und 17 und ich gehe davon aus, dass die in die Frage nach Gott nicht viel Zeit investieren werden.

Wahr ist, dass ich die Prügel bezogen habe (s.o.). Was mich deshalb an diesem Gott schon als Kind fasziniert hat, war, was es mit Menschen macht, an sowas zu glauben und warum die das tun. Daran habe ich allerdings ziemlich viele Gedanken verschwendet.


Mit der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft, Privateigentum an den großen Produktionsmitteln, massenhafte Lohnarbeit, Internationalisierung der Produktion, Konzentration auf innovative - verkaufsträchtige - Technologien und im Zusammenhang damit eine entsprechende Ausbildung der breiten Masse werden die herkömmliche Religionen - als alte Herrschaftsideologien - zunehmend überflüssig. Dem Kapital bei seiner Selbstverwertung nützen sie nichts, vor allem, sofern sie in gewisser Weise das verstehen technischer und logischer Zusammenhänge behindern bzw. damit in Konflikt kommen. Somit hat sich die herkömmliche Religion zum Teil als Produktivitätshindernis erwiesen und kann somit in der alten Form ruhig verkümmern.

Das heisst nicht, dass Herrschaftideologien als solche überflüssig geworden wären. Sie bleiben wichtig, um die bürgerlich Art der Herrschaft zu unterstützen und mit teilrationalen Denkweisen kompatibel zu werden. Insofern hat etwa beim Christentum eine Transformation eingesetzt, die man oberflächlich als *Loslassen* von engen Bindungen an das ehemals Heilige verstehen könnte, also als Verabschiedung vom *Fundamentalismus*.

Leider ist die Negation der *fundamentalistischen*, alten Religiösität noch lange keine Aufklärung, vor allem, wenn neue Herrschaftsmärchen an deren Stelle treten.

Sollte sich der Islam als inkompatibel mit der zukünftigen Ökonomie seiner Kernländer erweisen, dann wird auch der Islam modifziert werden und sich wahrscheinlich in weitere ideologische Strömungen aufteilen und sich weiter modifizieren, so wie es das Christentum seit einiger Zeit erfährt. Dann sind auch postislamische Religionen ohne *Gott* möglich, so wie in der christlichen Kultursphäre auch.

Es kann aber auch sein, dass durch eine sich vertiefende Spaltung der Welt - zwischen Industrie- und abhängigen Ländern - in den rückstädigen Regionen Islamismen, Faschismen und *spirituelle* Ideologien noch stärker werden als derzeit schon.

Deswegen darf man nicht verharren auf dem reinen Gebiet des Kulturellen, des *Geistigen*. Es ist immer eine materielle Basis notwendig, auf deren Grundlage kulturelle Fortschritte und Emanzipationen gedeihen können. Was die Menschheit voran bringt, sind nicht in erster Linie andere Lehrpläne mit *besserem* Religions- und Philosophieunterricht - womöglich noch mit Nietzsche und Zizek als Vertreter der *Religionskritik* oder *Aufklärung* - sondern eine ökonomische Gleichheit und Gleichberechtigung aller Länder der Erde.

Rationale Denk- und Kommunikationsweisen brauchen kongeniale rationale Produktionsweisen, die ohne Ausbeutung von Mensch & Natur auskommen und außerdem soziale Gleichberechtigung automatisch hervor bringen.

Dieser Zusammenhang ist untrennbar. Für die Entwicklung der Welt in dem genannten Sinne tragen die führenden industrialierten Länder eine besondere Verantwortung, weil sie die Mittel haben.

Nun wissen wir aber, dass die politischen Prioritäten der Länder der "1. Welt" ganz andere sind. Da geht es gar nicht um rationale Entwicklung und Gleichberechtigung. Da geht es um Konkurrenz, um Rohstoffe, um Löhne, um Produktivität, um Miltärtechnologie und - um den schönen Schein drumherum, wie gehabt.

Religionskritik ist also mehr als nur die Frage *Gibbet Gott odda was, heh?*

Ein wenig komplexer ist es schon.

Die Philosophie muss sich auch diesen Zusammenhängen zwischen gesellschaftlichen Verhältnissen und Denken stellen.

Die postmodernen Philosopierichtungen und bestimmte *Pop-Philosophen* denken überhaupt nicht daran. Anstatt Zusammenhänge her- und darzustellen, werden sie geradezu zerstückelt und in neue, willkürlich Pseudozusammenhänge gestellt, weil - alles sei ja relativ. Mit assoziativen Denk- und Sprachstilen legt sich dieser Philosphentypus gar den Mantel des Geheimnisvollen - weil Unverständlichen - zu. Ja, so ein Meister, der muss doch ganz besonders tiefe Wahrheiten beherbergen. "Was willst du sagen Meister?" - fragen seine Anhänger und -innen.

Ich sach' ma' ne': Nur klare Gedanken lassen sich klar formulieren. Sicher ist der logische Umkehrschluss nicht immer korrekt. Aber bei gewissen *Philosophen* der Postmoderne und ähnlichen Relativdenkern habe ich den ganz starken Verdacht, dass es nicht nur die Sprache ist, die unklar ist ...- zwinkern

@Tarvoc: Das ist erst mal ein Teil der Antwort. Mehr sicher später. Aber ich hoffe, es ist soweit erst mal verständlich.

#81:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 03.05.2016, 08:52
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
....
Deswegen darf man nicht verharren auf dem reinen Gebiet des Kulturellen, des *Geistigen*. Es ist immer eine materielle Basis notwendig, auf deren Grundlage kulturelle Fortschritte und Emanzipationen gedeihen können. ....

Die ha'm wer doch schon lange. Die hieß lange Ak-47, heute heißt sie AK-12. Das ist doch die einzige Philosophie, die die Imerialisten verstehen. An der Qualität des G36 ist doch die ganze Misere des ausbeuterischen westlichen Systems schon zu erkennen.

#82:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 03.05.2016, 08:53
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:

Sollte sich der Islam als inkompatibel mit der zukünftigen Ökonomie seiner Kernländer erweisen, dann wird auch der Islam modifziert werden und sich wahrscheinlich in weitere ideologische Strömungen aufteilen und sich weiter modifizieren, so wie es das Christentum seit einiger Zeit erfährt. Dann sind auch postislamische Religionen ohne *Gott* möglich, so wie in der christlichen Kultursphäre auch.


Der Islam, besonders die Mullah-Herrschaft, hat sich längst als ein Hindernis der gegenwärtigen Ökonomie vieler wenn nicht aller islamischen Staaten erwiesen. Hat deren Ökonomie aber nichts genützt. Herrschaft geht halt vor Ökonomie. zwinkern

#83:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 03.05.2016, 18:28
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:

S steht hier nicht für eine Aussage, sondern für einen Signifikanten. Steht ja auch genau so da. Lacans Aussage hier hat eher Bezüge zur Linguistik als zur Mathematik. Es geht um den Zusammenhang zwischen psychischen Vorgängen und ihrer Symbolisierung, und um die Rückwirkung Letzterer auf Erstere. Dass Lacan ein Beispiel aus der Mathematik wählt, kann man von mir aus kritisieren, wenn man denn will. Nur sollte man schon vorher erfasst haben, was Lacan damit eigentlich sagen will. Aber das ist überhaupt nicht dein Ziel, oder?

Der Verweis auf den strukturalistischen Ethnologen Lévi-Strauss sollte eigentlich Hinweis genug sein, dass es hier nicht primär um Mathematik geht. Überhaupt scheint das Beispiel ursprünglich von ihm zu stammen und nicht von Lacan selbst. Womöglich handelt es sich von Lacans Seite aus hier primär um eine erläuternde Interpretation von Lévi-Strauss. Ich hab' allerdings nicht nachgeschaut, wo das bei Lévi-Strauss vorkommt. Eine Quellenangabe beinhaltet der von dir zitierte Teil ja nicht. Auch dass du diese Tatsache völlig übersiehst, zeigt, wie unsauber du hier arbeitest. Die Quelle von Lacans Beispiel nachzuschlagen, bevor du es kritisierst, wäre eigentlich deine Aufgabe und nicht meine.

Dich interessiert nicht, herauszufinden, wie Lacans Aussagen zu verstehen sind. Das einzige, was dich interessiert, ist, dass du sie nicht auf Anhieb verstehst.



Die Textstellen stammen aus
Schriften II, Olten: Walter 1975; Weinheim/Berlin: Quadriga 1991
Vorwort zur deutschen Ausgabe meiner ausgewählten Schriften (nicht in den Écrits enthalten), übersetzt von Norbert Haas
S. 195ff

Du scheinst einen anderen Text gelesen zu haben.
Er setzt "unserer Algebra zu Folge in einem Kalkül" irgendwie etwas ein und erhält für die Variable s(die Aussage) = Wurzel -1. Das steht so in dem Text.

Später gelangt er durch die "Umbiegung des mathematischen Algoritmus" zu irgendeinem Ergebnis, das mit dem "erektionsfähigen Organ" irgendetwas zu tun hat. Und auch das steht im Text.

Nur dient der Gebrauch der Mathematik lediglich der Angeberei. Ich bleibe dabei: Mindestens der Gebrauch der Mathematik hat keinen Inhalt und ist sinnlos.

#84:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 03.05.2016, 19:28
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
unquest hat folgendes geschrieben:
Man soll Texte nicht aus dem Zusammenhang reißen.

Als hättest du diesbezüglich jemals irgendwelche Hemmungen gehabt. Mit ein wenig Kenntnis der Lacanschen Theorie der symbolischen Ordnung und ihrer Beziehung zu jouissance lässt sich diese Aussage leicht einordnen. Lacan macht hier nicht eine Aussage über Wurzel minus eins, sondern er benutzt Wurzel minus eins als ein Beispiel, um sein Konzept des phallischen Signifikanten zu erläutern. Aber warum sich die Mühe machen, theoretische Hintergründe zu erarbeiten? Das kostet doch nur Zeit und strengt die Denkbirne viel zu sehr an. ...

Kannst du das was Lacan hier sagen will in einfacher deutscher Sprache sagen? Am Besten als Beispiel in Form einer Geschichte. "Treffen sich Jack und Jill. Da sagt Jack ..."


Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Deine ganze Art, dich mit Theoriebildung im Bereich Geistes- und Gesellschaftswissenschafen zu beschäftigen, reduziert sich auf Cherrypicking und "Ich kapier's nicht, deshalb isses doof."

Hmm. "Ich kapier's nicht, deshalb isses doof."

    - Wenn mir jemand was über Biochemie oder Messenger-RNA erzählt, dann muß ich passen und sagen, ich kapiers nicht, weil mir die Grundlagen fehlen.

    - Wenn mir jemand was über Physik erzählt, dann muß ich ab einem gewissen Niveau passen und sagen ich kapiers nicht. Ich könnte aber immerhin noch den Fakt zur Kenntnis nehmen, den eine Theorie beschreibt. Zum Beispiel die Periheldrehung des Mars und daß sich das mit Newton und Kepler nicht erklären läßt.


Was ist der Fakt hinter Lacans Theorie? Im Gegensatz zur Chemie oder zur Physik haben wir alle "Einblick" in unsere Gedanken- und Gefühlswelt.

#85:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 03.05.2016, 19:55
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
....
Was ist der Fakt hinter Lacans Theorie? Im Gegensatz zur Chemie oder zur Physik haben wir alle "Einblick" in unsere Gedanken- und Gefühlswelt.

Das ist doch auch genau das Problem der Philosophie: Der Anspruch, das Große und Ganze im Blickfeld zu haben, das alle angeht, verknüpft mit der Notwendigkeit, es so mysteriös zu formulieren, dass die Exklusivität und das Gehalt gewahrt bleiben.

Und während ich das schreibe, fällt mir auf, dass ich noch nichts dazugelernt habe:
fwo hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Zur Frage, ob die Wissenschaften die Philosophie brauchen: Sie brauchen sie nicht nur nicht, sondern richtig betrieben ist sie ihnen sogar lästig.

Und richtig betrieben ist sie dann, wenn sie die Welt um geheimnisvolle Konzepte bereichert, die sie nur selbst "versteht": Das sichert ihre Arbeitspätze. Cool

Irgendwie hat Philosophie manchmal soetwas von "Kunst am Bau", die da installiert wird, weil sie im Etat so vorgesehen ist, und deren Nährwert sich häufig auf die Macher beschränkt. Die nächsten Generationen müssen entscheiden, ob sie das Werk weitergeben oder durch Vergessen entsorgen wie eine Religion.
...

Am Kopf kratzen Gehört Gender Mainstreaming eingentlich auch zur Philosophie?

#86:  Autor: beachbernieWohnort: Haida Gwaii BeitragVerfasst am: 03.05.2016, 20:10
    —
fwo hat folgendes geschrieben:

Am Kopf kratzen Gehört Gender Mainstreaming eingentlich auch zur Philosophie?



Ja klar. Genauso wie sexistische Witze. Smilie

#87:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 04.05.2016, 00:55
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Was ist der Fakt hinter Lacans Theorie? Im Gegensatz zur Chemie oder zur Physik haben wir alle "Einblick" in unsere Gedanken- und Gefühlswelt.

Um... willst du damit andeuten, dass uns z.B. unsere eigenen emotionalen Reaktionen unmittelbar und vollständig transparent seien? Dir ist aber schon klar, dass du mit der Behauptung sehr viel mehr beseitigst als nur die Psychoanalyse?

#88:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 04.05.2016, 08:01
    —
Ich will damit nur dies sagen. Vergleiche:


1) Versuchspersonen lernen Begriffe in Deutsch und Suaheli. Zwei Wochen später wird abgefragt, wie an viele Paare sie sich noch erinnern. Einem Teil der Versuchspersonen wurde anfangs gesagt, sie erhalten EUR 1 für jedes gelernte Paar. Angeblich, so die Studie, behielt dieser Teil weniger Wortpaare, als jene, die nicht mit Geld belohnt wurden.

Hier können alle mitreden und sagen, halte ich für plausibel oder unplausibel. (Ich halte das für unplausibel.)



2) Maxwell-Gleichungen



Hier müßte man erst eine Geschichte finden, die den Nabla-Operator erklärt.




PS:

Apropos Geschichte. Kannst du eine zu Lacans obiger These erzählen?

#89:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 04.05.2016, 08:37
    —
smallie hat folgendes geschrieben:

Kannst du das was Lacan hier sagen will in einfacher deutscher Sprache sagen?

Diese Unmöglichkeit dürfte sich auch bei Deleuze, Baudrillard, Butler, Kristeva und anderen finden.

Ursächlich dürften Theorien sein in denen das Gegenteil auch wahr sein kann. Und hier sind Dialektik, Psychoanalyse und Yin und Yang heiße Kandidaten. Um sich noch irgendwie zu retten driftet man in Sprachsektiererei ab und Unverständlichkeit wird zum Kennzeichen von Tiefe erklärt.

Dennoch stellt sich mir die Frage: Wie kann es sein, dass dieser schon oben von mir verlinkte Text nicht als Unsinn erkannt wird?
Hauptbestandteil des Textes ist Namedropping und der beliebige Gebrauch von In-Begriffen. Das muss doch auffallen?

#90:  Autor: AdvocatusDiaboliWohnort: München BeitragVerfasst am: 04.05.2016, 08:38
    —
beachbernie hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:

Am Kopf kratzen Gehört Gender Mainstreaming eingentlich auch zur Philosophie?



Ja klar. Genauso wie sexistische Witze. Smilie


Böse Dein schmutziges Gewitzel ist nicht lustig. Das sag ich als exponierter Vertreter der psychotischen Analphilosophie.

#91:  Autor: Er_Win BeitragVerfasst am: 04.05.2016, 10:31
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Zur Frage, ob die Wissenschaften die Philosophie brauchen: Sie brauchen sie nicht nur nicht, sondern richtig betrieben ist sie ihnen sogar lästig.

Und richtig betrieben ist sie dann, wenn sie die Welt um geheimnisvolle Konzepte bereichert, die sie nur selbst "versteht": Das sichert ihre Arbeitspätze. Cool

Irgendwie hat Philosophie manchmal soetwas von "Kunst am Bau", die da installiert wird, weil sie im Etat so vorgesehen ist, und deren Nährwert sich häufig auf die Macher beschränkt. Die nächsten Generationen müssen entscheiden, ob sie das Werk weitergeben oder durch Vergessen entsorgen wie eine Religion.

fwo


ich würde das nicht nur auf "Kunst am Bau" beschränken. Vielleicht sollte man Backhaus's Buchtitel bzw. den bekannten Spruch in Betrachtungen zeitgenössischer Kunst:

"Ist das Kunst oder kann das weg"

auch auf seine partielle Anwendbarkeit für gewisse filosofische Ergüsse überprüfen - also: "ist das Philosophie oder kann das weg" zynisches Grinsen

#92:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 04.05.2016, 11:38
    —
Was betreibt man eigentlich, wenn man darüber nachdenkt, ob Zahlen existieren? Oder darüber, warum sich die Natur regelhaft zu verhalten scheint? Scharlatane und Langweiler gibt es in jeder Disziplin. Kann man sich mit beschäftigen. So wie Schlager-Fans sich eben auch mit Musik beschäftigen. So what? Ist alles nur Schlager?

#93:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 04.05.2016, 11:48
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Was betreibt man eigentlich, wenn man darüber nachdenkt, ob Zahlen existieren? Oder darüber, warum sich die Natur regelhaft zu verhalten scheint? Scharlatane und Langweiler gibt es in jeder Disziplin. Kann man sich mit beschäftigen. So wie Schlager-Fans sich eben auch mit Musik beschäftigen. So what? Ist alles nur Schlager?

Glaube ich auch nicht.
Aber vielleicht sollte man es mit der Philosophie so halten wie mit dem Schlagergeschäft - die Qualität stellt sich heraus, wenn man das momentane gefällt mir / gefällt mir nicht schon lange vergessen hat.

Man könnte auch formulieren, dass es Marktbereiche gibt, in denen die Schaumschläger dominieren und bei denen es angeraten ist, mit der Betrachtung so lange zu warten, bis die Bläschen geplatzt sind und die Trübungen sich gesetzt haben. Ich habe den Eindruck, dass die Philosophie zu diesen Bereichen gehört.

#94:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 04.05.2016, 12:07
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Was betreibt man eigentlich, wenn man darüber nachdenkt, ob Zahlen existieren? Oder darüber, warum sich die Natur regelhaft zu verhalten scheint? Scharlatane und Langweiler gibt es in jeder Disziplin. Kann man sich mit beschäftigen. So wie Schlager-Fans sich eben auch mit Musik beschäftigen. So what? Ist alles nur Schlager?

Glaube ich auch nicht.
Aber vielleicht sollte man es mit der Philosophie so halten wie mit dem Schlagergeschäft - die Qualität stellt sich heraus, wenn man das momentane gefällt mir / gefällt mir nicht schon lange vergessen hat.

Man könnte auch formulieren, dass es Marktbereiche gibt, in denen die Schaumschläger dominieren und bei denen es angeraten ist, mit der Betrachtung so lange zu warten, bis die Bläschen geplatzt sind und die Trübungen sich gesetzt haben.


Das ist eine kluge Bemerkung..

fwo hat folgendes geschrieben:
Ich habe den Eindruck, dass die Philosophie zu diesen Bereichen gehört.


.. deren Gültigkeit sich jedoch über den gesamten Markt erstreckt. ; )


edit: korrektur

#95:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 04.05.2016, 14:27
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
.... kluge Bemerkung ...


Das ist eine kluge Bemerkung..

Ich muss doch sehr bitten - hast Du je etwas anderes von mir gelesen?
zelig hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Ich habe den Eindruck, dass die Philosophie zu diesen Bereichen gehört.


.. deren Gültigkeit sich jedoch über den gesamten Markt erstreckt. ; )
....

in unterschiedlichem Maß. Dieser gesamte Markt hat auch Bereiche der "harten Wissenschaft", die nur Spezialisten zugänglich sind und auch nichts anderes behaupten. Da gibt es zwar auch Schrott, der auch nicht unbedingt sofort als solcher enttarnt wird, aber die Gefahr der planvollen Schaumschlägerei ist auch deshalb geringer, weil Ideolekte, wie sie in der Philosophie für Qualitäts- und Markenzeichen gehalten werden, nicht benutzt werden können und dürfen.

#96:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 04.05.2016, 15:26
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
.... kluge Bemerkung ...


Das ist eine kluge Bemerkung..

Ich muss doch sehr bitten - hast Du je etwas anderes von mir gelesen?
zelig hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Ich habe den Eindruck, dass die Philosophie zu diesen Bereichen gehört.


.. deren Gültigkeit sich jedoch über den gesamten Markt erstreckt. ; )
....

in unterschiedlichem Maß. Dieser gesamte Markt hat auch Bereiche der "harten Wissenschaft", die nur Spezialisten zugänglich sind und auch nichts anderes behaupten. Da gibt es zwar auch Schrott, der auch nicht unbedingt sofort als solcher enttarnt wird, aber die Gefahr der planvollen Schaumschlägerei ist auch deshalb geringer, weil Ideolekte, wie sie in der Philosophie für Qualitäts- und Markenzeichen gehalten werden, nicht benutzt werden können und dürfen.




Genau. Und zwar in allen Wissenschaften.
Nicht schon wieder eine Diskussion darüber, was Du alles gerne nicht zu den Wissenschaften rechnen willst. Ist mir Wurscht. Deine Sprache hat deine ganz persönliche Wissenschaftstheorie schon eingepreist. Das nennnt man Ideologie. Interessiert mich nicht. Sorry.

#97:  Autor: Ratio BeitragVerfasst am: 04.05.2016, 15:38
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
.... kluge Bemerkung ...


Das ist eine kluge Bemerkung..

Ich muss doch sehr bitten - hast Du je etwas anderes von mir gelesen?
zelig hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Ich habe den Eindruck, dass die Philosophie zu diesen Bereichen gehört.


.. deren Gültigkeit sich jedoch über den gesamten Markt erstreckt. ; )
....

in unterschiedlichem Maß. Dieser gesamte Markt hat auch Bereiche der "harten Wissenschaft", die nur Spezialisten zugänglich sind und auch nichts anderes behaupten. Da gibt es zwar auch Schrott, der auch nicht unbedingt sofort als solcher enttarnt wird, aber die Gefahr der planvollen Schaumschlägerei ist auch deshalb geringer, weil Ideolekte, wie sie in der Philosophie für Qualitäts- und Markenzeichen gehalten werden, nicht benutzt werden können und dürfen.




Genau. Und zwar in allen Wissenschaften.
Nicht schon wieder eine Diskussion darüber, was Du alles gerne nicht zu den Wissenschaften rechnen willst. Ist mir Wurscht. Deine Sprache hat deine ganz persönliche Wissenschaftstheorie schon eingepreist. Das nennnt man Ideologie. Interessiert mich nicht. Sorry.


Ich denke hier habt ihr zwei verschiedene Dinge im Sinn. Fwo hat sich zwischenzeitlich mit dem Marktvergleich etwas von deiner Ausgangsfrage entfernt und bezieht sich im "harte Wissenschaften"-Kommentar nun auf jenen selbst eingeführten Markt-Themenbezug.

Sprich, unter Bezug zur Schaumschlägerei: Gewisse Dinge kann man nicht aufschäumen. Wenn ein Motor mit höherem Wirkungsgrad entwickelt wird, dann lassen sich alle nötigen Informationen zu den Eigenschaften bereits ermitteln. "Harte Wissenschaft" versteht sich also i.S.v. bekanntes Terrain (ggf. gegenüber Wissenschaftszweigen, die sich uns bislang noch nicht vollständig erschließen).

PS: Ich interpretiere hier natürlich frei und nach meinem Verständnis. Ob es so gemeint war ist nochmal eine andere Frage Lachen

#98:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 04.05.2016, 15:43
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
.... kluge Bemerkung ...


Das ist eine kluge Bemerkung..

Ich muss doch sehr bitten - hast Du je etwas anderes von mir gelesen?
zelig hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Ich habe den Eindruck, dass die Philosophie zu diesen Bereichen gehört.


.. deren Gültigkeit sich jedoch über den gesamten Markt erstreckt. ; )
....

in unterschiedlichem Maß. Dieser gesamte Markt hat auch Bereiche der "harten Wissenschaft", die nur Spezialisten zugänglich sind und auch nichts anderes behaupten. Da gibt es zwar auch Schrott, der auch nicht unbedingt sofort als solcher enttarnt wird, aber die Gefahr der planvollen Schaumschlägerei ist auch deshalb geringer, weil Ideolekte, wie sie in der Philosophie für Qualitäts- und Markenzeichen gehalten werden, nicht benutzt werden können und dürfen.


Die Philosophie ist durchaus wichtig. Jeder hat eh eine, nur die meisten halt eine sehr schlechte; dies trifft auch für viele Fachidio ... äh ... Wissenschaftler zu.

Was eine gute Philosophie als Instrument der Interpretation des gesamten aktuellsten Wissens über die Totalität und die Widersprüche der Welt mit jeder guten Wissenschaft gemeinsam hat, ist grundsätzlich zweierlei:

- eine mit sich und der Welt widerspruchsfreie Logik und
- die beständige Bildung solcher Begriffe und Abgrenzungen, die einem weiteren Erkenntnisfortschritt förderlich sind und sich an den Begriffen methodisch guter Wissenschaften orientieren (ein wenig tautologisch, ich weiß, aber beide Begriffsbildungen sind dennoch nicht identisch!)

Beides fehlt der postmodernen Philosophie, die insofern eigentlich (und uneigentlich) lediglich Geschwätz ist.

Die Philosophie ist darüber hinaus eine Art ständiges Zwischenfazit und Projektion vom Spezifischen ins Grundsätzliche. Die Wissenschaften können die allgemeinen Sätze der Philosophie dann wiederum bezogen auf spezifische Objekte überprüfen, was nicht unbedingt immer praktischen Wert haben muss.

Überhaupt ist die Herabstufung der Philosophie zur bloßen *Lebensphilosophie* - a là Dilthey et. al. - sowieso ein Kennzeichen des Spießertums, aber auch der Warenwelt, in der die Verwertung von jedem und allem die Priorität genießt, geplanter Verschleiß selbst bester Produkte eingeschlossen.

Dialektisch betrachtet - und das trifft sowohl auf die Wissenschaft als auch die Philosophie zu - ist eine gute Theorie immer die beste Praxis. Umgekehrt gilt das noch lange nicht ...-


Zuletzt bearbeitet von Skeptiker am 04.05.2016, 15:52, insgesamt 2-mal bearbeitet

#99:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 04.05.2016, 15:50
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
....
Die Philosophie ist durchaus wichtig. Jeder hat eh eine, nur die meisten halt eine sehr schlechte; ...-

Gute Philosophie ... schlechte Philosophie : Das sind doch bürgerliche Kategorien.

#100:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 04.05.2016, 15:55
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
.... kluge Bemerkung ...


Das ist eine kluge Bemerkung..

Ich muss doch sehr bitten - hast Du je etwas anderes von mir gelesen?
zelig hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Ich habe den Eindruck, dass die Philosophie zu diesen Bereichen gehört.


.. deren Gültigkeit sich jedoch über den gesamten Markt erstreckt. ; )
....

in unterschiedlichem Maß. Dieser gesamte Markt hat auch Bereiche der "harten Wissenschaft", die nur Spezialisten zugänglich sind und auch nichts anderes behaupten. Da gibt es zwar auch Schrott, der auch nicht unbedingt sofort als solcher enttarnt wird, aber die Gefahr der planvollen Schaumschlägerei ist auch deshalb geringer, weil Ideolekte, wie sie in der Philosophie für Qualitäts- und Markenzeichen gehalten werden, nicht benutzt werden können und dürfen.




Genau. Und zwar in allen Wissenschaften.
Nicht schon wieder eine Diskussion darüber, was Du alles gerne nicht zu den Wissenschaften rechnen willst. Ist mir Wurscht. Deine Sprache hat deine ganz persönliche Wissenschaftstheorie schon eingepreist. Das nennnt man Ideologie. Interessiert mich nicht. Sorry.

Ich weiß nicht, was Du jetzt gerade meinst, dass ich es meine, deshalb nur eine Frage, und ich nehme mit Absicht zwei Geisteswissenschaften:
Hältst Du die Gefahr planvoller Schaumschlägerei in der Mathematik und der Philosophie für gleich groß?

#101:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 04.05.2016, 16:23
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
.... kluge Bemerkung ...


Das ist eine kluge Bemerkung..

Ich muss doch sehr bitten - hast Du je etwas anderes von mir gelesen?
zelig hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Ich habe den Eindruck, dass die Philosophie zu diesen Bereichen gehört.


.. deren Gültigkeit sich jedoch über den gesamten Markt erstreckt. ; )
....

in unterschiedlichem Maß. Dieser gesamte Markt hat auch Bereiche der "harten Wissenschaft", die nur Spezialisten zugänglich sind und auch nichts anderes behaupten. Da gibt es zwar auch Schrott, der auch nicht unbedingt sofort als solcher enttarnt wird, aber die Gefahr der planvollen Schaumschlägerei ist auch deshalb geringer, weil Ideolekte, wie sie in der Philosophie für Qualitäts- und Markenzeichen gehalten werden, nicht benutzt werden können und dürfen.




Genau. Und zwar in allen Wissenschaften.
Nicht schon wieder eine Diskussion darüber, was Du alles gerne nicht zu den Wissenschaften rechnen willst. Ist mir Wurscht. Deine Sprache hat deine ganz persönliche Wissenschaftstheorie schon eingepreist. Das nennnt man Ideologie. Interessiert mich nicht. Sorry.

Ich weiß nicht, was Du jetzt gerade meinst, dass ich es meine, deshalb nur eine Frage, und ich nehme mit Absicht zwei Geisteswissenschaften:
Hältst Du die Gefahr planvoller Schaumschlägerei in der Mathematik und der Philosophie für gleich groß?


Die Schlager oder planvolle Schaumschlägerei interessieren mich nicht so dolle. ; )

#102:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 04.05.2016, 17:30
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Die Philosophie ist durchaus wichtig. Jeder hat eh eine, nur die meisten halt eine sehr schlechte; dies trifft auch für viele Fachidio ... äh ... Wissenschaftler zu.

Ja, diesen Satz hört man immer wieder. Er erinnert mich an die Behauptung mancher Religiöser, jeder Menschen hätte einen Glauben, den einen richtigen, oder einen der vielen falschen. Für beide Behauptungen gilt, daß sie nur dann zutreffen, wenn man die Begriffe "Glauben" bzw. "Philosophie" so allgemein faßt, daß sie nichts mehr aussagen; denn einen verbindlichen Inhalt haben beide nicht. Ansonsten ist es einfach nur eine Übergriffigkeit.

Und nein, die Philosophie ist schon lange nicht mehr die Grundlage der Wissenschaften. Das mag einer der Gründe sein für die abfälligen Bemerkungen mancher Philosophen über die Wissenschaften.

Das heißt nicht, daß ich Philosophie für nutzlos halte, und meine Bemerkungen sind auch nicht als Beitrag zu der Diskussion hier gemein, sondern einfach nur eine nicht einmal persönlich gemeinte Reaktion auf eine Bemerkung, die ich schon öfter gehört haben, die ich für falsch halte und die diesmal, vielleicht zufälltig, von Skeptiker kommt.

#103:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 04.05.2016, 18:00
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Das heißt nicht, daß ich Philosophie für nutzlos halte

Worin siehst du den Nutzen von Philosophie?

#104:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 04.05.2016, 18:07
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Die Philosophie ist durchaus wichtig. Jeder hat eh eine, nur die meisten halt eine sehr schlechte; dies trifft auch für viele Fachidio ... äh ... Wissenschaftler zu.

Ja, diesen Satz hört man immer wieder. Er erinnert mich an die Behauptung mancher Religiöser, jeder Menschen hätte einen Glauben, den einen richtigen, oder einen der vielen falschen. Für beide Behauptungen gilt, daß sie nur dann zutreffen, wenn man die Begriffe "Glauben" bzw. "Philosophie" so allgemein faßt, daß sie nichts mehr aussagen; denn einen verbindlichen Inhalt haben beide nicht. Ansonsten ist es einfach nur eine Übergriffigkeit.

Und nein, die Philosophie ist schon lange nicht mehr die Grundlage der Wissenschaften. Das mag einer der Gründe sein für die abfälligen Bemerkungen mancher Philosophen über die Wissenschaften.

Das heißt nicht, daß ich Philosophie für nutzlos halte, und meine Bemerkungen sind auch nicht als Beitrag zu der Diskussion hier gemein, sondern einfach nur eine nicht einmal persönlich gemeinte Reaktion auf eine Bemerkung, die ich schon öfter gehört haben, die ich für falsch halte und die diesmal, vielleicht zufälltig, von Skeptiker kommt.


Jeder denkende Mensch interpretiert seine Sinneswahrnehmungen, seine Erlebnisse, seine inneren Zustände und die Veränderungen und Entwicklungen derselben.

Nur sind viele Interpretationen von schlechter Qualität, weil entweder unlogisch, begrifflich falsch und/oder nicht gut wirklich begründbar und zwar unabhängig davon, ob es zu einer Philosophie reicht.

Das was du meinst, ist eine Form defensiver Verteidigung etwa religiöser Menschen, die der Meinung sind, nicht nur sie spekulieren unbegründet in der Gegend herum, sondern alle Menschen und es käme nur oder auch nicht darauf an, was man da herum spekuliert.

Philosophie ist aber nicht Philosophie zu nennen, wenn sie aus Spekulation, Unlogik, wissenschaftlicher Ignoranz bzw. Unkenntnis wissenschaftlicher Methoden oder aus unbegriffenen Begriffen besteht.

Wenn jemand an den Wahrheits-/Wahrscheinlichkeitswert einer Theorie/Aussage glaubt, sollte die Qualität von dessen Begründung schon state of the art sein. Deshalb geht es nicht darum, was jemand glaubt, sondern wie gut - und keineswegs, ob - jene Theorie/Aussage - begründet ist.

Aber das sollte doch eigentlich klar sein ...- Cool

#105:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 04.05.2016, 18:51
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Das heißt nicht, daß ich Philosophie für nutzlos halte

Worin siehst du den Nutzen von Philosophie?


Ganz einfach: Im Nutzen für die Philosophen.

#106:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 04.05.2016, 19:27
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Das heißt nicht, daß ich Philosophie für nutzlos halte

Worin siehst du den Nutzen von Philosophie?


Ganz einfach: Im Nutzen für die Philosophen.

Lachen
Ich hatte mich extra zurückgehalten.
Meine Antwort wäre auch gewesen: Sie ernährt die, die sie betreiben.

#107:  Autor: Kramer BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 00:19
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Was betreibt man eigentlich, wenn man darüber nachdenkt, ob Zahlen existieren? Oder darüber, warum sich die Natur regelhaft zu verhalten scheint? Scharlatane und Langweiler gibt es in jeder Disziplin. Kann man sich mit beschäftigen. So wie Schlager-Fans sich eben auch mit Musik beschäftigen. So what? Ist alles nur Schlager?


Das kann man sehr unterschiedlich sehen. Irgendjemand hat mal gesagt, es gäbe kein Musikgenre, das von sich aus besser wäre. Es gibt nur gute und schlechte Musik. Demnach gäbe es gute und schlechte "anspruchsvolle" Musik und guten und schlechten Schlager. (Btw., kennt hier jemand den "Mäckie-Boogie"?)

Oder man sieht es kategorisch, dann wären wohl Schlager und volkstümliche Musik schon prinzipiell "schlechte" Musik. Aber wäre dann nicht auch Religion so eine Art "volkstümliche Philosophie" und quasi der volkstümliche Erfolgsschlager unter den philosophischen Weltbetrachtungen?

#108:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 06:24
    —
Kramer hat folgendes geschrieben:
....
Oder man sieht es kategorisch, dann wären wohl Schlager und volkstümliche Musik schon prinzipiell "schlechte" Musik. Aber wäre dann nicht auch Religion so eine Art "volkstümliche Philosophie" und quasi der volkstümliche Erfolgsschlager unter den philosophischen Weltbetrachtungen?

Da ist ein Widerspruch zwischen Philosophie und Religion:
Die Philosophie lebt von der Freiheit und kann sie auch bedeuten.

Was Freiheit in der Religion bedeutet, die davon lebt, dass man Dir als Kind einen Gott implantiert hat, das müsste man erstmal untersuchen.

#109:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 09:58
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Die Philosophie ist durchaus wichtig. Jeder hat eh eine, nur die meisten halt eine sehr schlechte; dies trifft auch für viele Fachidio ... äh ... Wissenschaftler zu.

Ja, diesen Satz hört man immer wieder. Er erinnert mich an die Behauptung mancher Religiöser, jeder Menschen hätte einen Glauben, den einen richtigen, oder einen der vielen falschen. Für beide Behauptungen gilt, daß sie nur dann zutreffen, wenn man die Begriffe "Glauben" bzw. "Philosophie" so allgemein faßt, daß sie nichts mehr aussagen; denn einen verbindlichen Inhalt haben beide nicht. Ansonsten ist es einfach nur eine Übergriffigkeit.


Der Vorwurf des "Allgemeinen" bei einer Definition der Philosophie entbehrt natürlich nicht einer gewissen Komik. Denn die Welt in ihrer Allgemeinheit ist ja gerade erklärter Gegenstand der Philosophie. Und Jeder, der etwas Spezielles an der Welt betrachtet oder untersucht kann dies eben nur auf der Grundlage allgemeiner Annahmen. Und sofern man diese allgemeinen Annahmen rational überprüft, betreibt man eben Philosophie. Die Haupterrrungenschaft der abendländischen Philosophie ist die überwältigende Autorität des Rationalen und Begründeten. Und wenn ich mir ankucke, wie schlampig, oberflächlich und mutwillig selbst akademisch Gebildete, ob im Alltag oder im Beruf, argumentieren, begründen, Meinungen bilden und Entscheidungen treffen, will ich nicht recht an die Überflüssigkeit der Philosophie als akademische Disziplin glauben. Eher schon hielte ich es für angebracht, jedem wissenschaftlichen Studium obligatorisch ein Modul Philosophie vorzuschalten.

#110:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 10:20
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:

Der Vorwurf des "Allgemeinen" bei einer Definition der Philosophie entbehrt natürlich nicht einer gewissen Komik. Denn die Welt in ihrer Allgemeinheit ist ja gerade erklärter Gegenstand der Philosophie. Und Jeder, der etwas Spezielles an der Welt betrachtet oder untersucht kann dies eben nur auf der Grundlage allgemeiner Annahmen.

Ja, dann ist zB die "allgmeine Annahme" die der Alchemie, man könne Gold machen, und man bekommt Porzellan. Lachen Denn - gerade die Bemerkung, die Untersuchung des Speziellen in der Welt brauche ein Grundlage allgemeiner Annahmen, ist pure Philosophie, für die es keinen Beleg (wie auch) allerdings einen Haufen Gegenbeispiele gibt.

Theoretisch-empirische Wissenschaften sind nichts anderes als die ständige Abfolge von Tatsachenbeobachtung und Theoriebildung. Und diese Tatsachenbeobachtungen bestätigen die theoretischen Modelle, oder korrigieren sie oder schmeißen sie über den Haufen, so daß man nach neuen suchen muß. Es gibt da keinen absoluten Anfang, schon gar nicht den "allgemeiner Annahmen", ob philosophisch oder nicht.

Zumsel hat folgendes geschrieben:

Und sofern man diese allgemeinen Annahmen rational überprüft, betreibt man eben Philosophie. Die Haupterrrungenschaft der abendländischen Philosophie ist die überwältigende Autorität des Rationalen und Begründeten.

Abendländische Philosophie - Autorität?? Wie lange ist das denn her?

Zumsel hat folgendes geschrieben:

Und wenn ich mir ankucke, wie schlampig, oberflächlich und mutwillig selbst akademisch Gebildete, ob im Alltag oder im Beruf, argumentieren, begründen, Meinungen bilden und Entscheidungen treffen, will ich nicht recht an die Überflüssigkeit der Philosophie als akademische Disziplin glauben. Eher schon hielte ich es für angebracht, jedem wissenschaftlichen Studium obligatorisch ein Modul Philosophie vorzuschalten.

Das fände ich weit überzeugender, wenn man zeigen könnte, daß unter Philosophen auch nur der Anteil an Oberflächlichen und Schlampigen geringer wäre als in den Wissenschaften. Bei letzteren hat man dagegen meistens ein Mindestmaß an Sachkenntnis vom jeweiligen Gegenstand, kein Wunder, würden sie doch sonst von ihren Berufskollegen zerrissen.

Das ist übrigens der eigentliche Grund für den Fortschritt in den Wissenschaften: Nicht irgendwelche Onthologien, sondern die Korrektur durch die Fachkollegen. Wo sie nicht funktioniert, da auch kein Fortschritt, da fängt jede Generation wieder von vorn an. Die Philosophie trägt dazu, schon mangels Sachkenntnis, lange nichts mehr bei. Sie schafft ja nicht einmal Fortschritt in ihrem eigenen Fach.

#111:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 10:52
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Ja, dann ist zB die "allgmeine Annahme" die der Alchemie, man könne Gold machen, und man bekommt Porzellan. Lachen


Weiterlesen hilft mitunter:

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Und sofern man diese allgemeinen Annahmen rational überprüft, betreibt man eben Philosophie.


Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Denn - gerade die Bemerkung, die Untersuchung des Speziellen in der Welt brauche ein Grundlage allgemeiner Annahmen, ist pure Philosophie, für die es keinen Beleg (wie auch) allerdings einen Haufen Gegenbeispiele gibt.


Die Formulierung "pure Philosophie" finde ich putzig. Was soll denn das heißen? "Pure Rationalität"? Dem würde ich nun tatsächlich nicht widersprechen. Denn das, was du hier bestreitest, springt bei einer allgemeinen Betrachtung des Sachverhaltes nun wirklich ins Auge.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Theoretisch-empirische Wissenschaften sind nichts anderes als die ständige Abfolge von Tatsachenbeobachtung und Theoriebildung. Und diese Tatsachenbeobachtungen bestätigen die theoretischen Modelle, oder korrigieren sie oder schmeißen sie über den Haufen, so daß man nach neuen suchen muß.


Und auf welcher Grundlage zun sie das? Und wodurch erhält eine empirische Erkenntnis überhaupt ihren Wert für irgendetwas?

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Abendländische Philosophie - Autorität?? Wie lange ist das denn her?


Philosophie schult übrigens auch das logische Sprachverständnis. Dass die überragende Autorität des Rationalen eine Errungenschaft der Philosophie ist, muss nicht heißen, dass die Philosophie selbst (als akademische Disziplin) noch überragende Autorität besitzt.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Das ist übrigens der eigentliche Grund für den Fortschritt in den Wissenschaften: Nicht irgendwelche Onthologien, sondern die Korrektur durch die Fachkollegen. Wo sie nicht funktioniert, da auch kein Fortschritt, da fängt jede Generation wieder von vorn an. Die Philosophie trägt dazu, schon mangels Sachkenntnis, lange nichts mehr bei. Sie schafft ja nicht einmal Fortschritt in ihrem eigenen Fach.


Immerhin ergeht sie sich nicht im Breittreten von Plattitüden.

#112:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 10:54
    —
Kramer hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Was betreibt man eigentlich, wenn man darüber nachdenkt, ob Zahlen existieren? Oder darüber, warum sich die Natur regelhaft zu verhalten scheint? Scharlatane und Langweiler gibt es in jeder Disziplin. Kann man sich mit beschäftigen. So wie Schlager-Fans sich eben auch mit Musik beschäftigen. So what? Ist alles nur Schlager?


Das kann man sehr unterschiedlich sehen. Irgendjemand hat mal gesagt, es gäbe kein Musikgenre, das von sich aus besser wäre. Es gibt nur gute und schlechte Musik. Demnach gäbe es gute und schlechte "anspruchsvolle" Musik und guten und schlechten Schlager. (Btw., kennt hier jemand den "Mäckie-Boogie"?)


Das stimmt. Man müsste an der Stelle Profession und Geschmack trennen. Frank Farian ist vermutlich ein äusserst professioneller Musiker/Arrangeur/Komponist. Er versteht und bildet den Geschmack seines Publikums. Das kann man konzidieren, ohne mit dem Genre besonders viel anfangen zu können. Nur wenn wir wieder zum Thema zurückspringen, hieße das, man muss nicht besonders viel mit Philosophie am Hut haben - niemand ist gezwungen, sich mit philosophischen Themen auseinanderzusetzen. Aber es wäre lächerlich, eine aus dieser geschmacklichen Entscheidung resultierenden Ablehnung dieses "Genres" für valide oder begründet zu halten. Und so erscheint mir die aktuelle Diskussion teilweise.


Kramer hat folgendes geschrieben:
Oder man sieht es kategorisch, dann wären wohl Schlager und volkstümliche Musik schon prinzipiell "schlechte" Musik. Aber wäre dann nicht auch Religion so eine Art "volkstümliche Philosophie" und quasi der volkstümliche Erfolgsschlager unter den philosophischen Weltbetrachtungen?

Den Sprung von Philosophie zur Religion kann ich nicht nachvollziehen. Die Philosophie gehört zur Sphäre der Wissenschaften. Religion gehört nicht zu dieser Sphäre.

#113:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 11:04
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Kramer hat folgendes geschrieben:
Oder man sieht es kategorisch, dann wären wohl Schlager und volkstümliche Musik schon prinzipiell "schlechte" Musik. Aber wäre dann nicht auch Religion so eine Art "volkstümliche Philosophie" und quasi der volkstümliche Erfolgsschlager unter den philosophischen Weltbetrachtungen?

Den Sprung von Philosophie zur Religion kann ich nicht nachvollziehen. Die Philosophie gehört zur Sphäre der Wissenschaften. Religion gehört nicht zu dieser Sphäre.


Aber Religion, sofern sie nicht bloß Mythologie ist sondern als Theologie den Anspruch erhebt, die Welt rational fassbar erklären zu können, bedient sich natürlich schon gewisser philosophischer Methoden. Und umgekehrt beeinflusst natürlich eine von religiösen Vorstellungen beherrschte Welt (wie die des Mittelalters) die Art wie und unter Setzung welcher Prioritäten über die Welt und das Sein reflektiert wird.

#114:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 11:37
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Kramer hat folgendes geschrieben:
Oder man sieht es kategorisch, dann wären wohl Schlager und volkstümliche Musik schon prinzipiell "schlechte" Musik. Aber wäre dann nicht auch Religion so eine Art "volkstümliche Philosophie" und quasi der volkstümliche Erfolgsschlager unter den philosophischen Weltbetrachtungen?

Den Sprung von Philosophie zur Religion kann ich nicht nachvollziehen. Die Philosophie gehört zur Sphäre der Wissenschaften. Religion gehört nicht zu dieser Sphäre.


Aber Religion, sofern sie nicht bloß Mythologie ist sondern als Theologie den Anspruch erhebt, die Welt rational fassbar erklären zu können, bedient sich natürlich schon gewisser philosophischer Methoden.


Hm, ich weiß jetzt nicht so viel mit dem Begriff "Philosophische Methoden" anzufangen. Wenn Du damit auf die Introspektion abzielst, ja, da gibt es Übereinstimmungen, da nach meiner Auffassung bestimmte philosophische Themenbereiche den Mensch und seine innere Verfassung zwingend mit einbeziehen. Ich würde aber vermuten, daß Übereinstimmung in der Zusammensetzung und Konstellation der einbezogenen Bereiche nicht gegeben ist:
- Philosophie bezieht in diesem Rahmen den Mensch, seine Beziehung zu sich selbt und seine Stellung in der Welt mit ein.
- Religion (Vielleicht sprechen wir an dieser Stelle besser vom Glauben), bezieht den Mensch, seine Beziehung zu sich selbst, und seine Beziehung zu Gott mit ein.
Beides kommt ohne Introspektion nicht aus. Ich hoffe Dich richtig verstanden zu haben.
Theologie lässt sicht nach meinem laienhaften Verständnis -im Gegensatz zum Glauben- eher als Versuch, den Glauben in der Welt rational verständlich zu machen, verstehen.


Zumsel hat folgendes geschrieben:
Und umgekehrt beeinflusst natürlich eine von religiösen Vorstellungen beherrschte Welt (wie die des Mittelalters) die Art wie und unter Setzung welcher Prioritäten über die Welt und das Sein reflektiert wird.

Ja, natürlich! Hier darf man nur nicht den Fehler machen, den Verlauf der Ideengeschichte als relevant für Diskussionen dieser Art zu halten.

#115:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 11:42
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Kramer hat folgendes geschrieben:
Oder man sieht es kategorisch, dann wären wohl Schlager und volkstümliche Musik schon prinzipiell "schlechte" Musik. Aber wäre dann nicht auch Religion so eine Art "volkstümliche Philosophie" und quasi der volkstümliche Erfolgsschlager unter den philosophischen Weltbetrachtungen?

Den Sprung von Philosophie zur Religion kann ich nicht nachvollziehen. Die Philosophie gehört zur Sphäre der Wissenschaften. Religion gehört nicht zu dieser Sphäre.


Aber Religion, sofern sie nicht bloß Mythologie ist sondern als Theologie den Anspruch erhebt, die Welt rational fassbar erklären zu können, bedient sich natürlich schon gewisser philosophischer Methoden. Und umgekehrt beeinflusst natürlich eine von religiösen Vorstellungen beherrschte Welt (wie die des Mittelalters) die Art wie und unter Setzung welcher Prioritäten über die Welt und das Sein reflektiert wird.

Wenn ich zelig richtig verstehe, möchte er auch in Frage stellen, ob die Universität begriffen als „Gesamtheit der Wissenschaften“ überhaupt der richtige Ort für Religion, sprich Theologie ist.

#116:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 11:51
    —
unquest hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Kramer hat folgendes geschrieben:
Oder man sieht es kategorisch, dann wären wohl Schlager und volkstümliche Musik schon prinzipiell "schlechte" Musik. Aber wäre dann nicht auch Religion so eine Art "volkstümliche Philosophie" und quasi der volkstümliche Erfolgsschlager unter den philosophischen Weltbetrachtungen?

Den Sprung von Philosophie zur Religion kann ich nicht nachvollziehen. Die Philosophie gehört zur Sphäre der Wissenschaften. Religion gehört nicht zu dieser Sphäre.


Aber Religion, sofern sie nicht bloß Mythologie ist sondern als Theologie den Anspruch erhebt, die Welt rational fassbar erklären zu können, bedient sich natürlich schon gewisser philosophischer Methoden. Und umgekehrt beeinflusst natürlich eine von religiösen Vorstellungen beherrschte Welt (wie die des Mittelalters) die Art wie und unter Setzung welcher Prioritäten über die Welt und das Sein reflektiert wird.

Wenn ich zelig richtig verstehe, möchte er auch in Frage stellen, ob die Universität begriffen als „Gesamtheit der Wissenschaften“ überhaupt der richtige Ort für Religion, sprich Theologie ist.


Teils. Die Universität ist nicht der richtige Ort, um den Glauben zu lehren. Aber Theologie kann wissenschaftlich betrieben werden, da sie zum Objekt die in der Welt existierenden Phänomene des Glaubens haben kann. OK, ich gebe zu, daß sich das wahrscheinlich nicht so richtig sauber trennen lässt. Aber sind wir da nicht schon bei einem anderen Thema?

#117:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 12:18
    —
unquest hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:

Kannst du das was Lacan hier sagen will in einfacher deutscher Sprache sagen?

Diese Unmöglichkeit dürfte sich auch bei Deleuze, Baudrillard, Butler, Kristeva und anderen finden.

Ursächlich dürften Theorien sein in denen das Gegenteil auch wahr sein kann.

*beep* Rote Karte. Du meinst sicher Hypothesen. zwinkern

Kluge Philosophen haben behauptet, es müsse ein Kriterium geben, anhand dessen eine "Theorie" entscheidbar ist, bevor sie Theorie genannt werden darf.


unquest hat folgendes geschrieben:
Und hier sind Dialektik, Psychoanalyse und Yin und Yang heiße Kandidaten. Um sich noch irgendwie zu retten driftet man in Sprachsektiererei ab und Unverständlichkeit wird zum Kennzeichen von Tiefe erklärt.

...und niemand traut sich die Unverständlichkeit anzusprechen, aus Angst als Nixchecker dazustehen.


unquest hat folgendes geschrieben:
Dennoch stellt sich mir die Frage: Wie kann es sein, dass dieser schon oben von mir verlinkte Text nicht als Unsinn erkannt wird?
Hauptbestandteil des Textes ist Namedropping und der beliebige Gebrauch von In-Begriffen. Das muss doch auffallen?

neurosceptic hat auf seinem Blog dazu darauf verwiesen:

Zitat:
Notes on a Hoax

My laughter on first reading Huneman and Barberousse’s text quickly gave way to two concerns. One is that the joke is not so much on the abstruse theory-heads, as had surely been the case in the Sokal incident. The joke isn’t on anyone who is committed to any particular ideology or style of thinking at all. The joke is, rather, on the folks running these pop-up online journals with their ludicrously low editorial standards.

Remarkably, the editors of the Journal of Badiou Studies even admitted as much when they complained of Huneman and Barberousse’s ‘dated’ method of attack “in an age when the pressures on independent Open Access publishing include underfunding and time-pressured staff.” In other words, the editors effectively confess that they do not have the resources to produce a decent journal on their own, and so must rely on the good will of the contributors to not send them crap.

http://www.jehsmith.com/1/2016/04/notes-on-a-hoax.html

Das könnte auch eine Rolle spielen.

#118:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 12:19
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Das heißt nicht, daß ich Philosophie für nutzlos halte

Worin siehst du den Nutzen von Philosophie?


Ganz einfach: Im Nutzen für die Philosophen.

Lachen
Ich hatte mich extra zurückgehalten.
Meine Antwort wäre auch gewesen: Sie ernährt die, die sie betreiben.

Die Studie, die zeigt, daß man schlechter lernt, wenn ein EUR als Belohnung versprochen wird, habe ich schon angesprochen. Die Studie habe ich gelesen. Mir erscheint sie völlig wertlos, aber, hey, sie stammt von Professoren deutscher Unis.

Oder: hat jemand die Sache mit den Hurricanes vs. Himmicanes mitbekommen? Bei Wirbelstürmen mit weiblichen Namen sollen mehr Menschen umkommen, als wenn sie männliche Namen tragen. Weil weibliche Namen nicht so bedrohlich klingen, seien die Leute unvorsichtiger.

Siehe auch ganz aktuell auf Spiegel-Online oder in der SZ: Psychologie: In Flugzeugen mit erster Klasse wird öfter randaliert Genau hingesehen fehlen die Zahlen, welche die Sache tatsächlich belegen würden.

Oder aus der Physik: Was auf arxiv teilweise erscheint, ist abenteuerlich. Jeder Gedanke wird ohne Rücksicht auf Verluste 'rausgehauen. Wobei ich jetzt nicht sagen möchte, daß derartiges öffentliches Brainstorming schlecht sein muß, man sollte es nur nicht für bare Münze nehmen. (Das soll ein Wortspiel sein.)

#119:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 12:21
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Hm, ich weiß jetzt nicht so viel mit dem Begriff "Philosophische Methoden" anzufangen...


Damit meine ich den Versuch, durch Nachdenken und Schlussfolgern allgemeingültige Erkenntnisse über die Welt zu gewinnen.

zelig hat folgendes geschrieben:
...Theologie lässt sicht nach meinem laienhaften Verständnis -im Gegensatz zum Glauben- eher als Versuch, den Glauben in der Welt rational verständlich zu machen, verstehen.


Na ja, das ist m.E. historisch etwas zu simpel gedacht. Das Christentum bspw. ist ja schon in einigen seiner Grundannahmen Produkt der antiken Philosophie, d.h. gewisse philosophische Theorien sind der christlichen Theologie immanent und viele theologische Auseinandersetzungen wurden in Verbindung mit philosophischen Fragen geführt, siehe etwa den Streit um die richtige Deutung des Trinitätsdogmas als Streit zwischen Nominalisten und Realisten.

zelig hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Und umgekehrt beeinflusst natürlich eine von religiösen Vorstellungen beherrschte Welt (wie die des Mittelalters) die Art wie und unter Setzung welcher Prioritäten über die Welt und das Sein reflektiert wird.

Ja, natürlich! Hier darf man nur nicht den Fehler machen, den Verlauf der Ideengeschichte als relevant für Diskussionen dieser Art zu halten.


Relevant im Sinne von "Ersatz für Argumente" natürlich nicht. Aber immerhin kann die Kenntnis der Ideengeschichte davor bewahren, dieselben Fehler immer und immer wieder zu machen.

#120:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 12:29
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Theoretisch-empirische Wissenschaften sind nichts anderes als die ständige Abfolge von Tatsachenbeobachtung und Theoriebildung. Und diese Tatsachenbeobachtungen bestätigen die theoretischen Modelle, oder korrigieren sie oder schmeißen sie über den Haufen, so daß man nach neuen suchen muß.

Und auf welcher Grundlage zun sie das? Und wodurch erhält eine empirische Erkenntnis überhaupt ihren Wert für irgendetwas?


Nun, theoretisch-empirisches Wissen ermöglicht zB eine sachgerechtere Orientierung in dieser Welt, die ja leider ohne Bedienungsanleitung daherkommt.

Was die jeweiligen „Grundlagen“ betrifft, nun, woher kommen die? Keiner von uns wird damit geboren. Alle die, die hier so erbaulich von dem theoretischen a-priori jeder gedanklichen Tätigkeit zu reden wissen, haben sich selbst diese in jahrelanger Arbeit erst angeeignet, meistens sogar nicht einmal selbst erfunden, sondern von anderen übernommen. Ihr a-priori ist also definitiv ein a-posteriori.

Es ist sachlich nicht richtig, daß die praktisch-menschliche Wissensproduktion, egal ob vorwissenschaftlich, philosophisch oder wissenschaftlich, auf irgendeinem nicht mehr hintertragbarem a-priori beruht. Vielmehr ist dieses a-priori in der Regel eine nachträgliche Rationalisierung. Sie beschreibt nicht, wie die gedankliche Tätigkeit von Menschen realiter abläuft, sondern soll ihr nachträglich einen „Sinn“ zu geben. So ähnlich findet es sich jedenfalls in Karl Poppers Logik der Forschung:

"Und nicht aus diesem Grund verwerfen wir es [das Induktionsprinzip], weil in der Wissenschaft ein solches Prinzip tatsächlich nicht angewendet wird, sondern weil wir seine Einführung für überflüssig, unzweckmäßig, ja, für widerspruchsvoll halten"

Und am gleichen Ort:
"Wir geben also offen zu, daß wir uns bei unseren Festsetzungen in letzter Linie von unserer Wertschätzung, von unserer Vorliebe leiten lassen."

Popper ging es nicht darum, zu erklären, wie Wissenschaften nachprüfbar funktionieren, sondern wie sie seiner Ansicht nach funktionieren sollten! Vielleicht kommen wir da dem Unterschied zwischen Philosophie und theoretisch-empirischen Wissenschaften etwas näher.

#121:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 12:33
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Hm, ich weiß jetzt nicht so viel mit dem Begriff "Philosophische Methoden" anzufangen...

Damit meine ich den Versuch, durch Nachdenken und Schlussfolgern allgemeingültige Erkenntnisse über die Welt zu gewinnen.

Ja, das ist wohl so. Und solange Menschen kaum oder wenig nachprüfbares Wissen über diese Welt besaßen, war das auch wohl die einzige Möglichkeit eines realitischen Wissenserwerbs.

Das erklärt allerdings auch den heutigen Bedeutungsverlust der Philosophie. Denn durch bloßes Nachdenken gewinnt man leider kein nachprüfbares Wissen über diese Welt, sondern bestätigt meistens ungewollt nur die eigenen Vorurteile. War es nicht Dennett, der gesagt hat, daß heutzutage neues Wissen in der Regel kontraintuitiv ist?

#122:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 12:50
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
unquest hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Kramer hat folgendes geschrieben:
Oder man sieht es kategorisch, dann wären wohl Schlager und volkstümliche Musik schon prinzipiell "schlechte" Musik. Aber wäre dann nicht auch Religion so eine Art "volkstümliche Philosophie" und quasi der volkstümliche Erfolgsschlager unter den philosophischen Weltbetrachtungen?

Den Sprung von Philosophie zur Religion kann ich nicht nachvollziehen. Die Philosophie gehört zur Sphäre der Wissenschaften. Religion gehört nicht zu dieser Sphäre.


Aber Religion, sofern sie nicht bloß Mythologie ist sondern als Theologie den Anspruch erhebt, die Welt rational fassbar erklären zu können, bedient sich natürlich schon gewisser philosophischer Methoden. Und umgekehrt beeinflusst natürlich eine von religiösen Vorstellungen beherrschte Welt (wie die des Mittelalters) die Art wie und unter Setzung welcher Prioritäten über die Welt und das Sein reflektiert wird.

Wenn ich zelig richtig verstehe, möchte er auch in Frage stellen, ob die Universität begriffen als „Gesamtheit der Wissenschaften“ überhaupt der richtige Ort für Religion, sprich Theologie ist.


Teils. Die Universität ist nicht der richtige Ort, um den Glauben zu lehren. Aber Theologie kann wissenschaftlich betrieben werden, da sie zum Objekt die in der Welt existierenden Phänomene des Glaubens haben kann. OK, ich gebe zu, daß sich das wahrscheinlich nicht so richtig sauber trennen lässt. Aber sind wir da nicht schon bei einem anderen Thema?


Ist Wissenschaft etwas, was hauptsächlich an Universitäten betrieben wird? Ist alles, was an Universitäten betrieben wird, Wissenschaft?

Philosophen behaupten doch immer, bevor man sich über Begriffe unterhält, solle man sie klar definieren. Was also ist Religion (und in Abhängigkeit davon Theologie), Philosophie und Wissenschaft und in welcher Beziehung stehen sie zum akademischen Betrieb Universität?

#123:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 12:57
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Die Philosophie ist durchaus wichtig. Jeder hat eh eine, nur die meisten halt eine sehr schlechte; dies trifft auch für viele Fachidio ... äh ... Wissenschaftler zu.

Ja, diesen Satz hört man immer wieder. Er erinnert mich an die Behauptung mancher Religiöser, jeder Menschen hätte einen Glauben, den einen richtigen, oder einen der vielen falschen. Für beide Behauptungen gilt, daß sie nur dann zutreffen, wenn man die Begriffe "Glauben" bzw. "Philosophie" so allgemein faßt, daß sie nichts mehr aussagen; denn einen verbindlichen Inhalt haben beide nicht. Ansonsten ist es einfach nur eine Übergriffigkeit.


Der Vorwurf des "Allgemeinen" bei einer Definition der Philosophie entbehrt natürlich nicht einer gewissen Komik. Denn die Welt in ihrer Allgemeinheit ist ja gerade erklärter Gegenstand der Philosophie. Und Jeder, der etwas Spezielles an der Welt betrachtet oder untersucht kann dies eben nur auf der Grundlage allgemeiner Annahmen. Und sofern man diese allgemeinen Annahmen rational überprüft, betreibt man eben Philosophie. Die Haupterrrungenschaft der abendländischen Philosophie ist die überwältigende Autorität des Rationalen und Begründeten. Und wenn ich mir ankucke, wie schlampig, oberflächlich und mutwillig selbst akademisch Gebildete, ob im Alltag oder im Beruf, argumentieren, begründen, Meinungen bilden und Entscheidungen treffen, will ich nicht recht an die Überflüssigkeit der Philosophie als akademische Disziplin glauben. Eher schon hielte ich es für angebracht, jedem wissenschaftlichen Studium obligatorisch ein Modul Philosophie vorzuschalten.


Ja, das finde ich gut geschrieben, ich stimme dir insgesamt zu. Eine Philosophie der Mathematik, der Physik, der Biologie, der Ökonomie, des Rechts, usw. und dann die Verbindung zu einer integrierten Philosophie ist wichtig.

Eine selbständige Existenz der Philosophie ohne Anbindung an die Wissenschaften als Wissenschaften und ohne Verbindung zu realen Prozessen der Welt, der Gesellschaft, der menschlichen Interaktion, usw. halte ich heute für ein Ding der Unmöglich- und Sinnlosigkeit.

Die Philosophie ist meiner Ansicht nach eine Begleiterin der Wissenschaft von der Welt in ihrer Totalität und in ihren Einzelheiten. Aus den Forschungen über die (Bestand-)Teile der Welt ergeben sich Fragen wie "Was ist Leben?", "Was ist Bewusstsein?", "Was ist Entwicklung?" und dabei ist natürlich die enge Bezugnahme etwa zur Neurobiologie, zur extraterrestrischen Suche nach Leben oder zu den Debatten über Physikalismus, Biologismus oder Psychologismus naheliegend.

Während der Wissenschaftler die Wühlarbeit macht und keinen Blick hat für irgend was, hebt die Philosophie regelmäßig den Blick über den Horizont und versucht, das Bisherige immer wieder neu zu sortieren, zusammen zu fassen und mit anderen Horizonten zu verbinden.

Dabei muss auch die Philosophie an einer sauberen Logik und an sorgfältiger Begriffs- und Kategoriebildung arbeiten, so wie die Wissenschaften auch.

Das ist das, was ich grundsätzlich als den Nutzen, den Gebrauchswert guter Philosophie für die Menschheit und sein Leben & seine Auseinandersetzung mit der Natur, der Gesellschaft und seinesgleichen beschreiben würde ...-

#124:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 13:00
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Hm, ich weiß jetzt nicht so viel mit dem Begriff "Philosophische Methoden" anzufangen...

Damit meine ich den Versuch, durch Nachdenken und Schlussfolgern allgemeingültige Erkenntnisse über die Welt zu gewinnen.

Ja, das ist wohl so. Und solange Menschen kaum oder wenig nachprüfbares Wissen über diese Welt besaßen, war das auch wohl die einzige Möglichkeit eines realitischen Wissenserwerbs.

Das erklärt allerdings auch den heutigen Bedeutungsverlust der Philosophie. Denn durch bloßes Nachdenken gewinnt man leider kein nachprüfbares Wissen über diese Welt, sondern bestätigt meistens ungewollt nur die eigenen Vorurteile. War es nicht Dennett, der gesagt hat, daß heutzutage neues Wissen in der Regel kontraintuitiv ist?


Sowohl a priori als auch a posteriori-Urteile können intuitiv oder kontraintuitiv sein.
Und wie verteidigst Du Deine Aussage über die Unmöglichkeit nachprüfbares Wissen durch Nachdenken zu erlangen vor einem Mathematiker?
Man könnte in solchen Diskussionen regelmäßig den Eindruck bekommen, daß die Vorstellung herrscht, Naturwissenschaftler nehmen Photonen zwischen die Finger, kegeln sie gegeneinander, und beobachten dann Ein- und Ausfallswinkel. Um daraus wieder naturgesetzliche Formulierungen erstellen zu können.
So, liebe Mitforisten, ist es aber nun wirklich nicht. ; )

#125:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 13:04
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
unquest hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Kramer hat folgendes geschrieben:
Oder man sieht es kategorisch, dann wären wohl Schlager und volkstümliche Musik schon prinzipiell "schlechte" Musik. Aber wäre dann nicht auch Religion so eine Art "volkstümliche Philosophie" und quasi der volkstümliche Erfolgsschlager unter den philosophischen Weltbetrachtungen?

Den Sprung von Philosophie zur Religion kann ich nicht nachvollziehen. Die Philosophie gehört zur Sphäre der Wissenschaften. Religion gehört nicht zu dieser Sphäre.


Aber Religion, sofern sie nicht bloß Mythologie ist sondern als Theologie den Anspruch erhebt, die Welt rational fassbar erklären zu können, bedient sich natürlich schon gewisser philosophischer Methoden. Und umgekehrt beeinflusst natürlich eine von religiösen Vorstellungen beherrschte Welt (wie die des Mittelalters) die Art wie und unter Setzung welcher Prioritäten über die Welt und das Sein reflektiert wird.

Wenn ich zelig richtig verstehe, möchte er auch in Frage stellen, ob die Universität begriffen als „Gesamtheit der Wissenschaften“ überhaupt der richtige Ort für Religion, sprich Theologie ist.


Teils. Die Universität ist nicht der richtige Ort, um den Glauben zu lehren. Aber Theologie kann wissenschaftlich betrieben werden, da sie zum Objekt die in der Welt existierenden Phänomene des Glaubens haben kann. OK, ich gebe zu, daß sich das wahrscheinlich nicht so richtig sauber trennen lässt. Aber sind wir da nicht schon bei einem anderen Thema?


Ist Wissenschaft etwas, was hauptsächlich an Universitäten betrieben wird? Ist alles, was an Universitäten betrieben wird, Wissenschaft?

Nein. Aber gelehrt?

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Philosophen behaupten doch immer[...]

Danke. Gruß zurück. ; )

#126:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 13:36
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Während der Wissenschaftler die Wühlarbeit macht und keinen Blick hat für irgend was, hebt die Philosophie regelmäßig den Blick über den Horizont und versucht, das Bisherige immer wieder neu zu sortieren, zusammen zu fassen und mit anderen Horizonten zu verbinden.

Und tut sie das irgendwo?

Skeptiker hat folgendes geschrieben:

Dabei muss auch die Philosophie an einer sauberen Logik und an sorgfältiger Begriffs- und Kategoriebildung arbeiten, so wie die Wissenschaften auch.

Eine Wissenschaft ist sie also nicht. Was ist sie dann?

Skeptiker hat folgendes geschrieben:

Das ist das, was ich grundsätzlich als den Nutzen, den Gebrauchswert guter Philosophie für die Menschheit und sein Leben & seine Auseinandersetzung mit der Natur, der Gesellschaft und seinesgleichen beschreiben würde ...-

Ach ja, "gute" Philosophie, wie sie nicht jeder hat, im Gegensatz zu der "schlechten" der anderen. Du bist wirklich zum Piepen. Lachen

#127:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 13:38
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Ist Wissenschaft etwas, was hauptsächlich an Universitäten betrieben wird? Ist alles, was an Universitäten betrieben wird, Wissenschaft?

Nein. Aber gelehrt?

Ja, klar, wie Homeopathie. zwinkern

#128:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 13:44
    —
zelig hat folgendes geschrieben:

Und wie verteidigst Du Deine Aussage über die Unmöglichkeit nachprüfbares Wissen durch Nachdenken zu erlangen vor einem Mathematiker?

Mathematik ist ein von Menschen geschaffenes Symbolsystem, in dem es den Unterschied zwischen Theorie und Empirie nicht gibt. Im Gegensatz zu den theoretisch-empirischen Wissenschaften, in denen zwar die Modelle ebenfalls aus menschengemachten Symbolen bestehen, die Wirklichkeit, die zu beschreiben versuchen, aber nicht.

#129:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 14:08
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:

Und wie verteidigst Du Deine Aussage über die Unmöglichkeit nachprüfbares Wissen durch Nachdenken zu erlangen vor einem Mathematiker?

Mathematik ist ein von Menschen geschaffenes Symbolsystem, in dem es den Unterschied zwischen Theorie und Empirie nicht gibt. Im Gegensatz zu den theoretisch-empirischen Wissenschaften, in denen zwar die Modelle ebenfalls aus menschengemachten Symbolen bestehen, die Wirklichkeit, die zu beschreiben versuchen, aber nicht.


Uff. Das ist zu einfach. Dann stehst Du vor dem Problem, erklären zu müssen, warum das "von Menschen geschaffene Symbolsystem" die empirische Welt, vor und jenseits empirischer Kenntnis über sie, beschreiben kann.

Zur Erinnerung:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Denn durch bloßes Nachdenken gewinnt man leider kein nachprüfbares Wissen über diese Welt, sondern bestätigt meistens ungewollt nur die eigenen Vorurteile.

#130:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 14:31
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:

Und wie verteidigst Du Deine Aussage über die Unmöglichkeit nachprüfbares Wissen durch Nachdenken zu erlangen vor einem Mathematiker?

Mathematik ist ein von Menschen geschaffenes Symbolsystem, in dem es den Unterschied zwischen Theorie und Empirie nicht gibt. Im Gegensatz zu den theoretisch-empirischen Wissenschaften, in denen zwar die Modelle ebenfalls aus menschengemachten Symbolen bestehen, die Wirklichkeit, die zu beschreiben versuchen, aber nicht.


Uff. Das ist zu einfach. Dann stehst Du vor dem Problem, erklären zu müssen, warum das "von Menschen geschaffene Symbolsystem" die empirische Welt, vor und jenseits empirischer Kenntnis über sie, beschreiben kann.


Nun ist mein Mathematikstudium schon eine Weile her, aber wenn ich mich recht erinnere, ist die Fähigkeit der Mathematik, die empirisch beobachtbare Wirklichkeit zu beschreiben, nicht eine gewissermaßen "eingebaute" Eigenschaft der Mathematik, sondern hängt davon ab, wie gut sich reale Probleme "mathematisieren" lassen. Daher muß man die Ergebnisse hinterher auch immer an der Wirklichkeit überprüfen, was man bei innermathematischen Problemstellungen nicht muß. Da reicht, zu zeigen, daß alle Umformungen regelgerecht waren.

Daher nenne ich die Mathematik "eingleisig", weil rein theoretisch, während die theoretisch-empirischen Wissenschaften, und dazu gehören dann auch Anwendung der Mathematik in den Wissenschaften, zweigleisig zu nennen wären.

P.S.: Die angewandte Mathematik ist ja auch eher eine Methode, nicht eine eigenen Wissenschaft.

#131:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 14:46
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Während der Wissenschaftler die Wühlarbeit macht und keinen Blick hat für irgend was, hebt die Philosophie regelmäßig den Blick über den Horizont und versucht, das Bisherige immer wieder neu zu sortieren, zusammen zu fassen und mit anderen Horizonten zu verbinden.

Und tut sie das irgendwo?


Aber ja. Das weiß man auch, wenn man nicht ganz hinter'm Mond lebt, werter Marcellinus:

Zitat:
Philosophie der Physik

Kann man auf gut 100 Seiten einen Eindruck von philosophischen Problemen der Physik vermitteln? Man kann, wie der doppelt promovierte Physiker und Philosoph Norman Sieroka zeigt, der an der ETH Zürich lehrt. Aber braucht man überhaupt Philosophen, um Physik zu verstehen? Schließlich käme kaum jemand auf die Idee, eine kurze Philosophie der Chemie oder Geografie zu schreiben. (...)

Bei den alten Griechen waren alle Antworten auf die Frage, woraus die Natur auf der fundamentalen Ebene besteht – ob aus Wasser oder aus Atomen, ob aus den Elementen Erde, Wasser, Luft und Feuer oder den idealen geometrischen Körpern – pure Spekulation. Erst mit dem Aufkommen der empirischen Naturforschung etablierte sich die Physik als eigene Methode, die seither auf dem Wechselspiel von mathematischer Theorie und technischem Experiment beruht.

Doch die enormen Erfolge der Physik warfen stets Verständnisprobleme auf. Was ist ein Teilchen, was verstehen wir unter einem Feld? Was genau wirkt, wenn die Schwerkraft Körper anzieht? Und was schwingt, wenn wir Licht als Welle beschreiben? Ganz zu schweigen von den Deutungsfragen, mit denen sich Experten und Laien heute angesichts der Quantenmechanik herumschlagen. Die Begründer der Quantenphysik waren geradezu gezwungen, schlecht und recht zu philosophieren, um einigermaßen zu verstehen, was ihre umstürzend neuen Theorien besagten – und dieser Deutungsprozess ist bis heute nicht abgeschlossen. Auf diese Weise kommt die Naturphilosophie, die anfangs aus der Physik verdrängt wurde, nun erneut ins Spiel.


http://www.spektrum.de/rezension/buchkritik-zu-philosophie-der-physik/1323078


Also vom Spekulieren zur Wissenschaft und zur Wissenschaft hin zur nicht-spekulativen Philosophie.

Zitat:
Denkanstöße – Wege zu einer Philosophie der Biologie

Es ist nicht jedem Wissenschaftler gegeben, im Alter von 100 Jahren die Früchte eines langen Forscherlebens noch einmal in einem brillant geschriebenen Buch zusammenzubringen und zugleich Perspektiven für die Zukunft der eigenen Wissenschaft zu entwickeln. Dem großen deutsch-amerikanischen Evolutionsforscher und Ornithologen Ernst Mayr (1904-2005) war diese Krönung eines reichen Forscherlebens vergönnt.

Ein großartiges Buch von einem großartigen Forscher, der mit Recht als der Darwin des 20. Jahrhunderts bezeichnet wird. (...)

Es geht Mayr in seinem letzten großen Werk um drei Dinge, erstens die Klärung dessen, was die Evolution eigentlich ist, zweites um die Besonderheit der Biologie im Verhältnis zu den „harten Naturwissenschaften“ wie Physik und Chemie und drittens um den daraus sich ergebenden wissenschaftstheoretischen Status der Biologie. (...)

Im fünften Kapitel legt Darwin dar, dass diese Geistaustreibung der Teleologie aus der vordarwinschen Biologie weitreichende philosophische und weltanschauliche Konsequenzen hat. ...


http://www.scilogs.de/theologie-im-dialog/denkanst-e-wege-zu-einer-philosophie-der-biologie/


Und zur Philosophie der Ökonomie:

Ökonomisch-philosophische Manuskripte

Das sind jetzt ausgewählte Beispiel guter Philosophie. zwinkern

Gerade am letzteren Beispiel lässt sich der Kontrast zu solchen Büchern wie "wirtschaftsphilosphie für Manager" und ähnlichem pragmatischen und antiphilosophischen Klamauk verdeutlichen.

Das ist ungefähr ein Unterschied wie zwischen David Bowie und Dieter Bohlen, um dir mal vor Augen zu führen, was ich meine.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Dabei muss auch die Philosophie an einer sauberen Logik und an sorgfältiger Begriffs- und Kategoriebildung arbeiten, so wie die Wissenschaften auch.

Eine Wissenschaft ist sie also nicht. Was ist sie dann?


Eine logisch und denktechnisch saubere, fragen- und kategorienbildende Grundsatz-Disziplin, die alte Fragen unter dem Lichte neuer Erkenntnisse neu stellt und nach neuen Antworten darauf sucht. Außerdem kann gute Philosophie auch die Aufgabe der Methodenkritik der Wissenschaftsdisziplinen übernehmen.

Philosophie ist somit keine eigenständige Disziplin mehr, sie ist auch keine Wissenschaft, genau so wenig wie die Mathematik. Aber sie ist - ähnlich wie die Mathematik - eine Art Meta-Wissenschaft geworden, deren Methoden für die Wissenschaft von Belang sein können.

Im übrigen ist für mich gute Wissenschaft auch vor allem eine gute wissenschaftliche Methodik, die natürlich nicht nur in bloßem, theorielosen, positivistischem Empirismus bestehen darf.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Das ist das, was ich grundsätzlich als den Nutzen, den Gebrauchswert guter Philosophie für die Menschheit und sein Leben & seine Auseinandersetzung mit der Natur, der Gesellschaft und seinesgleichen beschreiben würde ...-

Ach ja, "gute" Philosophie, wie sie nicht jeder hat, im Gegensatz zu der "schlechten" der anderen. Du bist wirklich zum Piepen. Lachen


Das hast du wieder mal mißverstanden. Kannst du nicht einmal etwas richtig verstehen? Um *mich* vs. *andere* geht es gar nicht ...-

#132:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 15:01
    —
Zitat:
Denkanstöße – Wege zu einer Philosophie der Biologie

Es ist nicht jedem Wissenschaftler gegeben, im Alter von 100 Jahren die Früchte eines langen Forscherlebens noch einmal in einem brillant geschriebenen Buch zusammenzubringen und zugleich Perspektiven für die Zukunft der eigenen Wissenschaft zu entwickeln. Dem großen deutsch-amerikanischen Evolutionsforscher und Ornithologen Ernst Mayr (1904-2005) war diese Krönung eines reichen Forscherlebens vergönnt.

Ein großartiges Buch von einem großartigen Forscher, der mit Recht als der Darwin des 20. Jahrhunderts bezeichnet wird. (...)

Es geht Mayr in seinem letzten großen Werk um drei Dinge, erstens die Klärung dessen, was die Evolution eigentlich ist, zweites um die Besonderheit der Biologie im Verhältnis zu den „harten Naturwissenschaften“ wie Physik und Chemie und drittens um den daraus sich ergebenden wissenschaftstheoretischen Status der Biologie. (...)

Im fünften Kapitel legt Darwin dar, dass diese Geistaustreibung der Teleologie aus der vordarwinschen Biologie weitreichende philosophische und weltanschauliche Konsequenzen hat. ...


http://www.scilogs.de/theologie-im-dialog/denkanst-e-wege-zu-einer-philosophie-der-biologie/


Um dann bei der Biophilosophie nach Art eines Gerhard Vollmer zu landen? Gerade dieses Zitat (und der Teil, den du nicht zitierst) bestärkt mich in der Ansicht, daß das eigentlich unverstandene Problem nicht ein philosophisches ist, sondern ein wissenssoziologisches. Und dafür ist Philosophie nun einmal kein Ersatz.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:

Das hast du wieder mal mißverstanden. Kannst du nicht einmal etwas richtig verstehen?

Ich versteh' dich schon, bin nur gelegentlich anderer Meinung.

#133:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 15:31
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:

Ökonomisch-philosophische Manuskripte

Medizinisch-philosophische Schriften

#134:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 15:36
    —
unquest hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:

Ökonomisch-philosophische Manuskripte

Medizinisch-philosophische Schriften

Cool

#135:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 15:56
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Denkanstöße – Wege zu einer Philosophie der Biologie

Es ist nicht jedem Wissenschaftler gegeben, im Alter von 100 Jahren die Früchte eines langen Forscherlebens noch einmal in einem brillant geschriebenen Buch zusammenzubringen und zugleich Perspektiven für die Zukunft der eigenen Wissenschaft zu entwickeln. Dem großen deutsch-amerikanischen Evolutionsforscher und Ornithologen Ernst Mayr (1904-2005) war diese Krönung eines reichen Forscherlebens vergönnt.

Ein großartiges Buch von einem großartigen Forscher, der mit Recht als der Darwin des 20. Jahrhunderts bezeichnet wird. (...)

Es geht Mayr in seinem letzten großen Werk um drei Dinge, erstens die Klärung dessen, was die Evolution eigentlich ist, zweites um die Besonderheit der Biologie im Verhältnis zu den „harten Naturwissenschaften“ wie Physik und Chemie und drittens um den daraus sich ergebenden wissenschaftstheoretischen Status der Biologie. (...)

Im fünften Kapitel legt Darwin dar, dass diese Geistaustreibung der Teleologie aus der vordarwinschen Biologie weitreichende philosophische und weltanschauliche Konsequenzen hat. ...


http://www.scilogs.de/theologie-im-dialog/denkanst-e-wege-zu-einer-philosophie-der-biologie/


Um dann bei der Biophilosophie nach Art eines Gerhard Vollmer zu landen? Gerade dieses Zitat (und der Teil, den du nicht zitierst) bestärkt mich in der Ansicht, daß das eigentlich unverstandene Problem nicht ein philosophisches ist, sondern ein wissenssoziologisches. Und dafür ist Philosophie nun einmal kein Ersatz.


Die Wissenssoziologie hat selber große Schwächen und ist z.B. für das Problem der Ideologiediskussion keine brauchbare Lösung.

Ich trenne deshalb schon objektive Erkenntnis von ihrer Interpretation und untersuche dann, welche gesellschaftlichen Interessen möglicher Weise diese Interpreation beeinflussen, was aber die Objektivität der Erkenntnis selbst nicht tangieren sollte. Denn diese ist ja ein Ergebnis wissenschaftlicher Methodik.

Was Gerhard Vollmer und Michael Schmidt-Salomon mit ihren evolutiven Konzepten betrifft, so lehne ich die auch als arg verkürzt und unzulässige Übertragung (oberflächlicher) biologischer Konzepte der Evolutionstheorie ab. Nur ist das ja gerade mein Thema, zu unterscheiden zwischen guter Wissenschafts- und Naturphilosophie und schlechter. Ernst Mayr ist eine ganz andere Liga.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Das hast du wieder mal mißverstanden. Kannst du nicht einmal etwas richtig verstehen?

Ich versteh' dich schon, bin nur gelegentlich anderer Meinung.


Das ist kein Problem, dass du anderer Meinung bist. Aber man kann schlecht mit Unterstellungen diskutieren. Mein Thema sind hier die Kriterien guter vs. schlechter Philosophie, weil ich danach gefragt worden bin, was denn der Unterschied sei. Wenn ich versuche, das zu erkläre, erwarte ich nicht, dass das zum Anlass für höhnische Witzchen genommen wird. Es sei denn, es gibt von vorn herein gar kein Interesse an der Erklärung.

#136:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 16:17
    —
unquest hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:

Ökonomisch-philosophische Manuskripte

Medizinisch-philosophische Schriften


Der Unterschied ist: Letzteres wird heute (z.T.) von der Krankenkasse bezahlt, ersteres nicht.

Was sagt uns das über den Stellenwert der Wissenschaftlichkeit in diesem unserem Lande ...-? Sehr glücklich

#137:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 16:46
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
unquest hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:

Ökonomisch-philosophische Manuskripte

Medizinisch-philosophische Schriften

Der Unterschied ist: Letzteres wird heute (z.T.) von der Krankenkasse bezahlt, ersteres nicht.

Der Vergleich ist aber zumindest insofern nicht völlig falsch, als die ökonomisch-philosophischen Manuskripte in der Tat unwissenschaftlich sind und z.T. falsche Schlussfolgerungen beinhalten - übrigens nicht zuletzt gerade aufgrund der philosophischen Ansätze. Marx korrigiert diese Irrtümer in späteren Werken, und man muss auch im Kopf behalten, dass die Manuskripte selbst erst posthum veröffentlicht wurden und von Marx nie zur Veröffentlichung vorgesehen waren. Es gibt aber Gründe dafür, warum Marx das Wort Philosophie oder philosophisch in seinen späteren Werken nicht mehr zur Beschreibung der eigenen Tätigkeit verwendet. Die Deutsche Ideologie, vielleicht Marx' letztes im eigentlichen Sinne philosophisches Werk, beinhaltet sogar den expliziten Versuch einer Distanzierung gegen die Philosophie. Ebenso das Elend der Philosophie. Zumindest zur Kenntnis nehmen sollte man diese Tatsache.

#138:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 05.05.2016, 22:33
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
unquest hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:

Ökonomisch-philosophische Manuskripte

Medizinisch-philosophische Schriften

Der Unterschied ist: Letzteres wird heute (z.T.) von der Krankenkasse bezahlt, ersteres nicht.

Der Vergleich ist aber zumindest insofern nicht völlig falsch, als die ökonomisch-philosophischen Manuskripte in der Tat unwissenschaftlich sind und z.T. falsche Schlussfolgerungen beinhalten - übrigens nicht zuletzt gerade aufgrund der philosophischen Ansätze. Marx korrigiert diese Irrtümer in späteren Werken, und man muss auch im Kopf behalten, dass die Manuskripte selbst erst posthum veröffentlicht wurden und von Marx nie zur Veröffentlichung vorgesehen waren. Es gibt aber Gründe dafür, warum Marx das Wort Philosophie oder philosophisch in seinen späteren Werken nicht mehr zur Beschreibung der eigenen Tätigkeit verwendet. Die Deutsche Ideologie, vielleicht Marx' letztes im eigentlichen Sinne philosophisches Werk, beinhaltet sogar den expliziten Versuch einer Distanzierung gegen die Philosophie. Ebenso das Elend der Philosophie. Zumindest zur Kenntnis nehmen sollte man diese Tatsache.


Das stimmt doch so nicht. Weder hat sich Marx "distanziert", noch kann man seine späteren Werke von den Frühschriften trennen, ohne an Verständnisfähigkeit für seine gesamte Theorie einzubüßen.

Das, was schon Hegel mit dem Paradigma der Verwirklichung einer Idee durch dessen Aufhebung dialektisch formuliert hat, hat Marx nicht einfach verworfen. Das widerspricht der dialektischen Methode per se, die er - wie es heisst - "vom Kopf auf die Füße gestellt", also politisiert hat.

Aber nicht nur von Hegel, sondern auch von Feuerbach hat die marxistische Theorie ihren revolutionären Ansatz gewonnen.

Feuerbach hat folgendes geschrieben:
Die Philosophie zur Sache der Menschheit zu machen, das war mein erstes Bestreben. Aber wer einmal diesen Weg einschlägt, kommt notwendig zuletzt dahin, den Menschen zur Sache der Philosophie zu machen und die Philosophie selbst aufzuheben; denn sie wird nur dadurch Sache der Menschheit, dass sie eben aufhört, Philosophie zu sein.

Ludwig Feuerbach: Das Wesen des Christentums, Reclam, S. 391


Bei Marx findet sich das wie folgt wieder:

Zitat:
"Ihr könnt die Philosophie nicht aufheben, ohne sie zu verwirklichen. ... Die Philosophie kann sich nicht verwirklichen ohne die Aufhebung des Proletariats, das Proletariat kann sich nicht aufheben ohne die Verwirklichung der Philosophie."

Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung. MEW 1
http://kulturkritik.net/begriffe/begr_txt.php?lex=aufhebung


Was bei Hegel die von der Wirklichkeit abstrahierten Widersprüche sind, verwandelt sich bei Marx in die wirklichen Widersprüche, deren Überwindung eben nicht als abstraktes, logisches Prinzip möglich sei, sondern durch Überwindung und Verwirklichung der Philosophie zugleich.

Hier ist noch mal ein Link zum Text über Hegel, aber auch die Thesen zu Feuerbach sind hier wie gesagt von Belang:

http://www.mlwerke.de/me/me01/me01_378.htm

Es lohnt sich, diese Seite mal ganz durchzulesen, wobei ich auch besonders auf die Passagen über Luther hinweisen möchte, die einen Bezug zu den Vergleichen Christentum/Islam haben wie sie hier im Forum diskutiert werden.

Zu unquests Vergleich nochmal: Das ist schon deshalb Blödsinn, weil Philosophie <> Esoterik ist ...-

#139:  Autor: Kramer BeitragVerfasst am: 06.05.2016, 01:02
    —
zelig hat folgendes geschrieben:

Den Sprung von Philosophie zur Religion kann ich nicht nachvollziehen. Die Philosophie gehört zur Sphäre der Wissenschaften. Religion gehört nicht zu dieser Sphäre.


Das sehe ich anders. Die Philosophie ist ein Zwischending, sie kann sowohl religiös als auch wissenschaftlich sein. Oder willst Du mir hier hetzt wirklich einreden, die Religion wäre nicht auch ein Versuch, die Existenz an sich, die Welt, das Universum und den ganzen Rest zu erklären? Religion ist Philosophie, sie ist halt nur schlechte Philosophie.

#140:  Autor: Waldwuffel BeitragVerfasst am: 06.05.2016, 08:40
    —
Man sollte auch berücksichtigen, dass es nicht nur diese Schwafelphilosophen gibt. In der sog. analytischen Philosophie werden durchaus klar abgegrenzte Probleme methodisch und nachvollziehbar bearbeitet. Es geht dabei um Grundbegriffe, die sowohl im Alltag als auch in den Wissenschaften meist mehr oder weniger ungeklärt vorausgesetzt werden und deren genauere Erklärung nicht in den Bereich einer spezialisierten Wissenschaft fällt. Also Begriffe wie etwa Gegenstand, Kausalität, aber auch Gerechtigkeit usw. (Wobei natürlich auch Wissenschaftler sich mit der genaueren Bestimmung dieser Begriffe beschäftigen können und das auch tun - nur betreiben sie in dem Fall halt auch Philosophie). Eine sehr gute Erklärung dieser Art, Philosophie zu betreiben, gibt W. V. O. Quine in diesem Interview.

Natürlich kann man auch hier einwenden, dass eine solche Beschäftigung keinen Nutzen hat, im Sinne einer direkten praktischen Anwendung. Aber dann muss man erstmal erklären, warum nur solche Erkenntnisse wertvoll sind, die sich derart anwenden lassen. Das hat man ja nun auch nicht immer so gesehen. Und dass diese Grundbegriffe, um die es ernsthaften Philosophen geht, tatsächlich sinnvoll gebraucht werden können, dass sie dabei jedoch oft nicht wirklich bestimmt sind, steht für mich zumindest außer Frage. Von daher halte ich es auch nicht für sinnlos, sich mit ihnen in klärender Absicht zu beschäftigen.

#141:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 06.05.2016, 13:32
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Nun, theoretisch-empirisches Wissen ermöglicht zB eine sachgerechtere Orientierung in dieser Welt, die ja leider ohne Bedienungsanleitung daherkommt.


Ja, wenn du damit das Wissen meinst, dass es besser ist, sich in der Badewanne nicht die Haare zu fönen, stimmt das natürlich. Das ist dann aber auch wirklich ganz kleines Karo.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Was die jeweiligen „Grundlagen“ betrifft, nun, woher kommen die? Keiner von uns wird damit geboren. Alle die, die hier so erbaulich von dem theoretischen a-priori jeder gedanklichen Tätigkeit zu reden wissen, haben sich selbst diese in jahrelanger Arbeit erst angeeignet, meistens sogar nicht einmal selbst erfunden, sondern von anderen übernommen. Ihr a-priori ist also definitiv ein a-posteriori.


Eine "gedankliche Tätigkeit" erfinden.... übernehmen. Oje, vielleicht solltest du deine Begriffe erst mal ein wenig ordnen.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
...Das erklärt allerdings auch den heutigen Bedeutungsverlust der Philosophie. Denn durch bloßes Nachdenken gewinnt man leider kein nachprüfbares Wissen über diese Welt,...


Das ist so formuliert natürlich Blödsinn. Die ganze Logik beruht ja auf dem Prinzip des Erkenntnisgewinns durch Nachdenken. Was du vermutlich meinst ist das was Kant "Erkenntnis aus reiner Vernunft" nannte. Das Thema ist natürlich interessant, darum ging es mir hier aber nicht.

#142:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 06.05.2016, 14:12
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Nun, theoretisch-empirisches Wissen ermöglicht zB eine sachgerechtere Orientierung in dieser Welt, die ja leider ohne Bedienungsanleitung daherkommt.


Ja, wenn du damit das Wissen meinst, dass es besser ist, sich in der Badewanne nicht die Haare zu fönen, stimmt das natürlich. Das ist dann aber auch wirklich ganz kleines Karo.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Was die jeweiligen „Grundlagen“ betrifft, nun, woher kommen die? Keiner von uns wird damit geboren. Alle die, die hier so erbaulich von dem theoretischen a-priori jeder gedanklichen Tätigkeit zu reden wissen, haben sich selbst diese in jahrelanger Arbeit erst angeeignet, meistens sogar nicht einmal selbst erfunden, sondern von anderen übernommen. Ihr a-priori ist also definitiv ein a-posteriori.


Eine "gedankliche Tätigkeit" erfinden.... übernehmen. Oje, vielleicht solltest du deine Begriffe erst mal ein wenig ordnen.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
...Das erklärt allerdings auch den heutigen Bedeutungsverlust der Philosophie. Denn durch bloßes Nachdenken gewinnt man leider kein nachprüfbares Wissen über diese Welt,...


Das ist so formuliert natürlich Blödsinn. Die ganze Logik beruht ja auf dem Prinzip des Erkenntnisgewinns durch Nachdenken. Was du vermutlich meinst ist das was Kant "Erkenntnis aus reiner Vernunft" nannte. Das Thema ist natürlich interessant, darum ging es mir hier aber nicht.


Kommt mit einem einfachen deutschen Satz nicht zurecht, hält Sicherheitshinweise im Umgang mit einem Fön für die Spitze wissenschaftlicher Erkenntnis, oder hat (wahrscheinlicher) einen einfachen Witz nicht verstanden, und meint die wichtigsten Erkenntnisse erhielte man beim bloßen Nachdenken. Bezüglich des "ganz kleinen Karos" solltest du noch mal in dich gehen.

#143:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 06.05.2016, 14:21
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
... oder hat (wahrscheinlicher) einen einfachen Witz nicht verstanden,...


Der Rest interessiert mich nicht, aber den Witz würde ich wirklich gerne finden.

#144:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 06.05.2016, 14:33
    —
Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Man sollte auch berücksichtigen, dass es nicht nur diese Schwafelphilosophen gibt. In der sog. analytischen Philosophie werden durchaus klar abgegrenzte Probleme methodisch und nachvollziehbar bearbeitet. Es geht dabei um Grundbegriffe, die sowohl im Alltag als auch in den Wissenschaften meist mehr oder weniger ungeklärt vorausgesetzt werden und deren genauere Erklärung nicht in den Bereich einer spezialisierten Wissenschaft fällt. Also Begriffe wie etwa Gegenstand, Kausalität, aber auch Gerechtigkeit usw. (Wobei natürlich auch Wissenschaftler sich mit der genaueren Bestimmung dieser Begriffe beschäftigen können und das auch tun - nur betreiben sie in dem Fall halt auch Philosophie). Eine sehr gute Erklärung dieser Art, Philosophie zu betreiben, gibt W. V. O. Quine in diesem Interview.

Natürlich kann man auch hier einwenden, dass eine solche Beschäftigung keinen Nutzen hat, im Sinne einer direkten praktischen Anwendung. Aber dann muss man erstmal erklären, warum nur solche Erkenntnisse wertvoll sind, die sich derart anwenden lassen. Das hat man ja nun auch nicht immer so gesehen. Und dass diese Grundbegriffe, um die es ernsthaften Philosophen geht, tatsächlich sinnvoll gebraucht werden können, dass sie dabei jedoch oft nicht wirklich bestimmt sind, steht für mich zumindest außer Frage. Von daher halte ich es auch nicht für sinnlos, sich mit ihnen in klärender Absicht zu beschäftigen.

Aber auch hier scheint es Stolperfallen zu geben. Freges "Sinn und Bedeutung" wurde mit "meaning and reference" ins Englische übersetzt. Rückübersetzt wurden die Begriffe aus englischen Texten mit "Bedeutung und Bezug". Wenn das mal nicht zu dem einen oder anderen Mißverständnis führte. Smilie

#145:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 06.05.2016, 14:58
    —
Die Frage der Nützlichkeit wird sowieso bedarfslogisch gestellt, um die Philosophie abzuwerten. Die Suche nach der TOE ist voraussichtlich auf alle Ewigkeit vollkommmen unnütz, die Beschäftigung mit Stringtheorie, die Musik sowieso, und Kunst auch. Es ist auch unnütz hier im Forum zu posten, oder Geld für teure öffentliche Skulpturen auszugeben. Das alles wird immer in mit der angeblich fehlenden Nützlichkeit in Frage gestellt, weil jemand mit einer Sache etwas nicht anfangen kann, oder wenn er was damit anfangen kann, dann nur eine private Abneigung pflegt.
Es ist aber so, daß die Menschen neben dem Nutzen auch immer den Überfluß unnützer Tätigkeiten wie Erkenntnisgewinn pflegten. Es macht uns Menschen aus, daß wir Dinge wie Musik und Erkenntnis zweckfrei betreiben. Wie dumpf wären wir, wenn wir uns nur am Nutzbaren orientieren würden? Und wie wunderlich erscheint dieser Einwand aus der Feder von Leuten, die viel Zeit in das Forum investieren. Darauf hat Tarvoc von Beginn an abgezielt, indem er zurückspiegelt: Es ist hoffentlich so, daß die Philosophie sich keinem Nutzendenken unterwirft.

#146:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 06.05.2016, 15:33
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Die Frage der Nützlichkeit wird sowieso bedarfslogisch gestellt, um die Philosophie abzuwerten. Die Suche nach der TOE ist voraussichtlich auf alle Ewigkeit vollkommmen unnütz, die Beschäftigung mit Stringtheorie, die Musik sowieso, und Kunst auch. Es ist auch unnütz hier im Forum zu posten, oder Geld für teure öffentliche Skulpturen auszugeben. Das alles wird immer in mit der angeblich fehlenden Nützlichkeit in Frage gestellt, weil jemand mit einer Sache etwas nicht anfangen kann, oder wenn er was damit anfangen kann, dann nur eine private Abneigung pflegt.
Es ist aber so, daß die Menschen neben dem Nutzen auch immer den Überfluß unnützer Tätigkeiten wie Erkenntnisgewinn pflegten. Es macht uns Menschen aus, daß wir Dinge wie Musik und Erkenntnis zweckfrei betreiben. Wie dumpf wären wir, wenn wir uns nur am Nutzbaren orientieren würden? Und wie wunderlich erscheint dieser Einwand aus der Feder von Leuten, die viel Zeit in das Forum investieren. Darauf hat Tarvoc von Beginn an abgezielt, indem er zurückspiegelt: Es ist hoffentlich so, daß die Philosophie sich keinem Nutzendenken unterwirft.


So kann man die Frage dieses Threads auch beantworten. zwinkern

#147:  Autor: Waldwuffel BeitragVerfasst am: 06.05.2016, 15:46
    —
Das ist nun aber ein ganz spezielles Beispiel. Frege hatte da eben einen eigentümlichen Sprachgebrauch. Heute verwendet man auch in der deutschsprachigen analytischen Philosophie nicht mehr das Begriffspaar "Sinn und Bedeutung". Die deutschen Entsprechungen "Bedeutung" und "Referenz" oder "Bezug" sind gleich den englischen "meaning" und "reference". Und auch wenn es etwa in der Sprachphilosophie und zur Frage, was "Bedeutung" bedeutet, die unterschiedlichsten Ansätze gibt, werden solche Ausdrücke insgesamt schon so verwendet, dass man weiß, wovon die Rede ist, wenn man eine entsprechende Arbeit liest. In dieser Richtung der Philosophie ist man durchaus darum bemüht, sich klar auszudrücken und arbeitsteilig vorzugehen. (Außerdem drückt sich auch Frege so klar aus, dass man dem Text leicht entnehmen kann, was er mit "Sinn" und "Bedeutung" meint und dass "meaning" und "reference" weitgehend damit übereinstimmen.)
Bei Leuten wie Derrida oder schon Heidegger und vielleicht auch Hegel neige ich aber auch dazu, von Unsinn auszugehen. Ich muss allerdings gestehen, dass mich diese Autoren auch nie so sehr interessiert haben, dass ich mich länger mit ihnen beschäftigt hätte.

#148:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 06.05.2016, 16:30
    —
Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Das ist nun aber ein ganz spezielles Beispiel. Frege hatte da eben einen eigentümlichen Sprachgebrauch. Heute verwendet man auch in der deutschsprachigen analytischen Philosophie nicht mehr das Begriffspaar "Sinn und Bedeutung". Die deutschen Entsprechungen "Bedeutung" und "Referenz" oder "Bezug" sind gleich den englischen "meaning" und "reference". Und auch wenn es etwa in der Sprachphilosophie und zur Frage, was "Bedeutung" bedeutet, die unterschiedlichsten Ansätze gibt, werden solche Ausdrücke insgesamt schon so verwendet, dass man weiß, wovon die Rede ist, wenn man eine entsprechende Arbeit liest. In dieser Richtung der Philosophie ist man durchaus darum bemüht, sich klar auszudrücken und arbeitsteilig vorzugehen. (Außerdem drückt sich auch Frege so klar aus, dass man dem Text leicht entnehmen kann, was er mit "Sinn" und "Bedeutung" meint und dass "meaning" und "reference" weitgehend damit übereinstimmen.)
Bei Leuten wie Derrida oder schon Heidegger und vielleicht auch Hegel neige ich aber auch dazu, von Unsinn auszugehen. Ich muss allerdings gestehen, dass mich diese Autoren auch nie so sehr interessiert haben, dass ich mich länger mit ihnen beschäftigt hätte.

Nicht falsch verstehen. Ich lese gerade von Beckermann die Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes und bin begeistert von seinem Bemühen eine klare Sprache zu sprechen.

#149:  Autor: Waldwuffel BeitragVerfasst am: 06.05.2016, 16:55
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Ich habe deinen Einwand auch nicht so verstanden, als würdest du die (analytische) Philosophie ablehnen (das Buch von Beckermann ist, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, auch sehr gut. Es gibt in der Reihe auch noch eine sehr gute Einführung in die Erkenntnistheorie von Thomas Grundmann). Nur ist es mit Freges "Sinn und Bedeutung" tatsächlich eigentümlicher als im Allgemeinen. Oft wird in Einführungen in die Sprachphilosophie, wenn es um Frege geht, tatsächlich immer dazu geschrieben, ob "Bedeutung" gerade im Sinne Freges gemeint ist oder ob der Ausdruck hier verwendet wird wie allgemein üblich zwinkern. Frege steht ja auch überhaupt ganz am Anfang der modernen Sprachphilosophie. Eine richtige Terminologie hat sich da auch erst mit der Zeit entwickelt. In der analytischen Philosophie gibt es aber eben eine solche.

#150:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 06.05.2016, 17:29
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Das stimmt doch so nicht. Weder hat sich Marx "distanziert"´[...]

Stimmt nicht. Marx hat sich in der Deutschen Ideologie ganz klar vom Feuerbachschen Humanismus distanziert und ihn sogar höchst effektiv als Ideologie kritisiert, und nur vor dem theoretischen Hintergrund des Feuerbachschen Humanismus ergibt die Entfremdungstheorie der ök.-phil. Manuskripte überhaupt Sinn.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
noch kann man seine späteren Werke von den Frühschriften trennen, ohne an Verständnisfähigkeit für seine gesamte Theorie einzubüßen.

Dass man auch die Frühschriften kennen muss, um Marx voll zu verstehen, ist schon richtig. Natürlich habe ich nicht dazu geraten, die Frühschriften nicht zu lesen. Ihre Kenntnis sind selbstverständlich wichtig, um die Entwicklung des Marxschen Denkens nachzuvollziehen. Man darf sie nur nicht zu etwas machen, das sie nicht sind. Sie bilden weder die anthropologischen noch die philosophischen oder ethischen (und schon gleich gar nicht die ökonomischen!) Grundlagen der späteren Arbeiten.

Überhaupt weichst du mit der rein philologischen Frage nach Kontinuität dem eigentlichen Problem aus. Ob nun Marx' spätere Schriften theoretisch auf seinen Frühschriften beruhen oder nicht: Dass die ök.-phil. Manuskripte unwissenschaftlich sind, ist eine Tatsache. Dass einiges in ihnen schlicht falsch ist, ebenfalls. Wenn du wirklich der Ansicht bist, dass die Manuskripte die Grundlage der späteren Arbeiten bilden, dann müssten auch diese Irrtümer im gesamten Werk identifizierbar sein. Das würde allerdings potentiell das gesamte Marxsche Werk grundlegend in Frage stellen. Wenn die Füße, auf denen das Marxsche Werk steht, die ökonomisch-philosophischen Manuskripte sind, dann sind es tönerne Füße. Dass sogar der junge Marx die Manuskripte bereits nicht für veröffentlichungsfähig gehalten hat, sollte eigentlich ein Indikator dafür sein, dass irgendwas mit ihnen nicht stimmt.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Das, was schon Hegel mit dem Paradigma der Verwirklichung einer Idee durch dessen Aufhebung dialektisch formuliert hat, hat Marx nicht einfach verworfen.

Marx hat die Dialektik nicht einfach verworfen, richtig. Und? Was hat das mit den Frühschriften zu tun? Was du hier sagst, betrifft doch viel eher Marx' Verhältnis zu Hegel als das Verhältnis des späten Marx zu seinen eigenen Frühschriften. Oder willst du sagen, dass Marx die Ideen der ökonomisch-philosophischen Manuskripte dadurch dialektisch verwirklicht, dass er zuerst auf ihre Veröffentlichung verzichtet, dann ihre philosophische Grundlage in Grund und Boden kritisiert, und sie dann als Bezug komplett aufgibt? Klar, so könnte man natürlich argumentieren... Cool

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Aber nicht nur von Hegel, sondern auch von Feuerbach hat die marxistische Theorie ihren revolutionären Ansatz gewonnen.

Ist das der Grund, warum Marx in der Deutschen Ideologie Feuerbachs Philosophie als nichtrevolutionär, seinen Humanismus als den Humanismus des deutschen Bürgers kritisiert? Marx sagt's ganz klar: Seinen revolutionären Ansatz gewinnt er nicht aus der Beschäftigung mit deutschen Philosophen, sondern primär aus der Beschäftigung mit und dem Kontakt zu den damals im Entstehen befindlichen sozialistischen und kommunistischen Revolutionsbewegungen. Oder anders gesagt: Den revolutionären Ansatz gewinnt Marx' Theorie durch die entsprechende Praxis.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Bei Marx findet sich das wie folgt wieder:

Nun mal langsam. Du zitierst eine Frühschrift, um zu beweisen, dass es eine ungebrochene theoretische Kontinuität zwischen den Frühschriften und den Spätschriften gibt.

Wie genau funktioniert das argumentativ?

#151:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 06.05.2016, 18:21
    —
Hier mal ein paar Äußerungen von Marx zu Feuerbach aus der Deutschen Ideologie.

Es zeigt sich aus diesen Auseinandersetzungen auch, wie sehr Feuerbach sich täuscht, wenn er ("Wigand's Vierteljahrsschrift", 1845, Bd. 2) sich vermöge der Qualifikation "Gemeinmensch" für einen Kommunisten erklärt, in ein Prädikat "des" Menschen verwandelt, also das Wort Kommunist, das in der bestehenden Welt den Anhänger einer bestimmten revolutionären Partei bezeichnet, wieder in eine bloße Kategorie verwandeln zu können glaubt. Feuerbachs ganze Deduktion in Beziehung auf das Verhältnis der Menschen zueinander geht nur dahin, zu beweisen, daß die Menschen einander nötig haben und immer gehabt haben. Er will das Bewußtsein über diese Tatsache etablieren, er will also, wie die übrigen Theoretiker, nur ein richtiges Bewußtsein über ein bestehendes Faktum hervorbringen, während es dem wirklichen Kommunisten darauf ankommt, dies Bestehende umzustürzen.

Ist das der "revolutionäre Ansatz", den Marx von Feuerbach gewonnen hat?

Zu Feuerbachs Idealismus und zur Unwissenschaftlichkeit seines Ansatzes:

Feuerbachs "Auffassung" der sinnlichen Welt beschränkt sich einerseits auf die bloße Anschauung derselben und andrerseits auf die bloße Empfindung, er sagt "den Menschen" statt d[ie] "wirklichen historischen Menschen". "Der Mensch" ist realiter <in Wirklichkeit> "der Deutsche". Im ersten Falle, in der Anschauung der sinnlichen Welt, stößt er notwendig auf Dinge, die seinem Bewußtsein und seinem Gefühl widersprechen, die die von ihm vorausgesetzte Harmonie aller Teile der sinnlichen Welt und namentlich des Menschen mit der Natur stören. Um diese zu beseitigen, muß er dann zu einer doppelten Anschauung seine Zuflucht nehmen, zwischen einer profanen, die nur das "auf platter Hand Liegende", und einer höheren, philosophischen, die das "wahre Wesen" der Dinge erschaut.

Feuerbachs Philosophie ist nicht fähig, eine Kritik bügerlicher Verhältnisse zu geben, sondern endet in einer idealisierten Apologie:

Feuerbach hat allerdings den großen Vorzug vor den "reinen" Materialisten, daß er einsieht, wie auch der Mensch "sinnlicher Gegenstand" ist; aber abgesehen davon, daß er ihn nur als "sinnlichen Gegenstand", nicht als "sinnliche Tätigkeit" faßt, da er sich auch hierbei in der Theorie hält, die Menschen nicht in ihrem gegebenen gesellschaftlichen Zusammenhange, nicht unter ihren vorliegenden Lebensbedingungen, die sie zu Dem gemacht haben, was sie sind, auffaßt, so kommt er nie zu den wirklich existierenden, tätigen Menschen, sondern bleibt bei dem Abstraktum "der Mensch" stehen und bringt es nur dahin, den "wirklichen, individuellen, leibhaftigen Menschen" in der Empfindung anzuerkennen, d.h., er kennt keine andern "menschlichen Verhältnisse" "des Menschen zum Menschen", als Liebe und Freundschaft, und zwar idealisiert. Gibt keine Kritik der jetzigen Lebensverhältnisse. Er kommt also nie dazu, die sinnliche Welt als die gesamte lebendige sinnliche Tätigkeit der sie ausmachenden Individuen aufzufassen, und ist daher gezwungen, wenn er z.B. statt gesunder Menschen einen Haufen skrofulöser, überarbeiteter und schwindsüchtiger Hungerleider sieht, da zu der "höheren Anschauung" und zur ideellen "Ausgleichung in der Gattung" seine Zuflucht zu nehmen, also gerade da in den Idealismus zurückzufallen, wo der kommunistische Materialist die Notwendigkeit und zugleich die Bedingung einer Umgestaltung sowohl der Industrie wie der gesellschaftlichen Gliederung sieht.

http://www.mlwerke.de/me/me03/me03_017.htm#I_I


Zuletzt bearbeitet von Tarvoc am 06.05.2016, 18:24, insgesamt einmal bearbeitet

#152:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 06.05.2016, 18:22
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Die Frage der Nützlichkeit wird sowieso bedarfslogisch gestellt, um die Philosophie abzuwerten. Die Suche nach der TOE ist voraussichtlich auf alle Ewigkeit vollkommmen unnütz, die Beschäftigung mit Stringtheorie, die Musik sowieso, und Kunst auch. Es ist auch unnütz hier im Forum zu posten, oder Geld für teure öffentliche Skulpturen auszugeben. Das alles wird immer in mit der angeblich fehlenden Nützlichkeit in Frage gestellt, weil jemand mit einer Sache etwas nicht anfangen kann, oder wenn er was damit anfangen kann, dann nur eine private Abneigung pflegt. Es ist aber so, daß die Menschen neben dem Nutzen auch immer den Überfluß unnützer Tätigkeiten wie Erkenntnisgewinn pflegten. Es macht uns Menschen aus, daß wir Dinge wie Musik und Erkenntnis zweckfrei betreiben. Wie dumpf wären wir, wenn wir uns nur am Nutzbaren orientieren würden? Und wie wunderlich erscheint dieser Einwand aus der Feder von Leuten, die viel Zeit in das Forum investieren. Darauf hat Tarvoc von Beginn an abgezielt, indem er zurückspiegelt: Es ist hoffentlich so, daß die Philosophie sich keinem Nutzendenken unterwirft.

Genau so ist das. Überhaupt ist nicht klar, nach welchen Kriterien hier der Nutzen beurteilt werden soll. Wenn es nur um den subjektiven Privatnutzen geht, ist das ja sowieso jedermanns eigene Angelegenheit. Wenn es um etwas anderes gehen soll, fehlt hingegen jede inhaltliche Bestimmung und jedes Kriterium dieses Anderen.

#153:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 06.05.2016, 22:19
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Die Frage der Nützlichkeit wird sowieso bedarfslogisch gestellt, um die Philosophie abzuwerten. Die Suche nach der TOE ist voraussichtlich auf alle Ewigkeit vollkommmen unnütz, die Beschäftigung mit Stringtheorie, die Musik sowieso, und Kunst auch. Es ist auch unnütz hier im Forum zu posten, oder Geld für teure öffentliche Skulpturen auszugeben. Das alles wird immer in mit der angeblich fehlenden Nützlichkeit in Frage gestellt, weil jemand mit einer Sache etwas nicht anfangen kann, oder wenn er was damit anfangen kann, dann nur eine private Abneigung pflegt. Es ist aber so, daß die Menschen neben dem Nutzen auch immer den Überfluß unnützer Tätigkeiten wie Erkenntnisgewinn pflegten. Es macht uns Menschen aus, daß wir Dinge wie Musik und Erkenntnis zweckfrei betreiben. Wie dumpf wären wir, wenn wir uns nur am Nutzbaren orientieren würden? Und wie wunderlich erscheint dieser Einwand aus der Feder von Leuten, die viel Zeit in das Forum investieren. Darauf hat Tarvoc von Beginn an abgezielt, indem er zurückspiegelt: Es ist hoffentlich so, daß die Philosophie sich keinem Nutzendenken unterwirft.

Genau so ist das. Überhaupt ist nicht klar, nach welchen Kriterien hier der Nutzen beurteilt werden soll. Wenn es nur um den subjektiven Privatnutzen geht, ist das ja sowieso jedermanns eigene Angelegenheit. Wenn es um etwas anderes gehen soll, fehlt hingegen jede inhaltliche Bestimmung und jedes Kriterium dieses Anderen.

Es gibt mindestens ein Kriterium.

Bevor sich die Nützlichkeit einer Aussage prüfen läßt, muß erst eine Aussage vorliegen. Der Lacansche phallische Signifikant erscheint mir inhaltsleer. Das hat vielleicht subjektiven Privatnutzen für Lacan, wenn er sich an seinen eigenen Worten aufgeilt. Oder für seine Adepten.

Bevor nicht klar ist, was ein phallische Signifikant überhaupt sein soll, läßt sich die Idee noch nicht einmal kritisieren. Es gibt keine Idee dahinter, die vermittelbar wäre. Die Idee ist ein Vakuum.

steps sig lautet: "Die Leere ist Fülle, wenn man sie sieht". Bei der Lacanschen Art von Inhaltsleere sehe ich allerdings nichts.

#154:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 06.05.2016, 22:59
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Der Lacansche phallische Signifikant erscheint mir inhaltsleer.

Lachen Da stimmst du mit Lacan überein. zwinkern

Kleiner Witz am Rande. Das Lacansche Konzept des phallischen Signifikanten bezeichnet zunächst mal in der Tat ein Zeichen innerhalb eines Zeichensystems (z.B. einer Sprache), das nicht zur Bezeichnung von etwas dient (und insofern tatsächlich "leer" ist), sondern dessen Existenz eine funktionale Rolle innerhalb des Zeichensystems spielt. Üblicherweise handelt es sich um einen Signifikanten, der nicht einen weiteren Gegenstand bezeichnet, sondern lediglich die bisherige Signifikantenreihe nochmal zusammenfasst bzw. sie erst als zusammenhängende Reihe konstituiert. Er erzeugt die Reihe, indem er aus ihr herausfällt. Für allgemeinverständliche Beispiele bräuchte ich vielleicht etwas länger.

smallie hat folgendes geschrieben:
Bevor nicht klar ist, was ein phallische Signifikant überhaupt sein soll, läßt sich die Idee noch nicht einmal kritisieren. Es gibt keine Idee dahinter, die vermittelbar wäre. Die Idee ist ein Vakuum.

Naja, die Einsicht, dass es schwer fällt, den "Nutzen" von etwas zu beurteilen, mit dem man sich bisher noch nicht näher auseinandergesetzt hat, finde ich nun nicht so überraschend.

Das Zitat von Lacan wurde hier ja nicht gepostet, um eine Einführung in Lacans Ansatz zu geben. Ich bezweifle ernsthaft, dass unquest dazu überhaupt in der Lage wäre. Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich mir selbt zutrauen würde, Lacan zu unterrichten. Es gibt einige Autoren, bei denen ich es mir zutrauen würde, sie zu unterrichten, u.A. Marx (über den ich in Bonn letztes Jahr schon Seminare gehalten habe), Wittgenstein, Zizek und möglicherweise Nietzsche - aber bei Lacan wäre ich mir unsicher, so intensiv habe ich mich mit ihm bisher auch noch nicht beschäftigt. Falls ich es versuchen würde, würde ich aber mit ziemlicher Sicherheit nicht gerade dieses Zitat nehmen, um das Konzept des phallischen Signifikanten zu erläutern.

#155:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 06.05.2016, 23:27
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Totgesagte leben länger!

"Es gab eine Zeit und sie liegt noch nicht so gar weit hinter uns, wo die Ansicht weit verbreitet war, Philosophie sei eine Sache, die sich überlebt habe; an ihre Stelle seien die positiven Wissenschaften getreten. Als eine Art Vorstufe der wissenschaftlichen Erkenntnis möge sie ihre Zeit und ihr Recht gehabt haben; jetzt dagegen seien jene Versuche, durch allgemeine Spekulationen zur Erkenntnis der Welt und der Dinge zu gelangen, überlebt und abgetan. Nur als ein unschädliches Spiel für unfruchtbare, zu eigentlich wissenschaftlicher Arbeit nicht angelegte Köpfe möge sie noch eine Weile ein harmloses Dasein fristen, keineswegs aber könne die Beschäftigung mit ihr allen, die auf wissenschaftliche Bildung Anspruch machen, als Pflicht zugemutet werden.

Es kann hier unerörtert bleiben, ob die Philosophie an dieser Missachtung, der sie um die Mitte des Jahrhunderts verfallen war, selber einige Schuld hat. Es ist a priori wahrscheinlich. Nirgends war die Geringschätzung härter als in Deutschland; sie trat hier ein in zeitlicher Folge auf die Herrschaft der spekulativen Philosophie; es liegt nahe, einen ursächlichen Zusammenhang zu vermuten und in der Verachtung aller Philosophie die Reaktion gegen die Selbstüberhebung zu erblicken, mit der die spekulative Philosophie und ihre Jünger die wissenschaftliche Forschung nicht minder als den gesunden Menschenverstand beleidigt hatten. Nachdem sich der deutsche Leser lange genug durch harte Worte hatte einschüchtern, durch trüben Tiefsinn imponieren und durch den Vorwurf der Seichtigkeit das, was er verstand, verdächtig machen lassen, fasste er endlich doch ein Herz und entschloss sich, nun alles gering zu schätzen, was an jene peinlichen Erinnerungen rührte. Hätte Hegel Kants Alter erreicht, so hätte er selber noch den Rückschlag erlebt. Statt seiner litten nun andere, wie Fechner und Lotze, unter der Gleichgültigkeit, die sie nicht verschuldet und nicht verdient hatten.

Inzwischen ist eine neue Zeit herbeigekommen. Ist auch die Verachtung der Philosophie noch nicht ausgestorben, so darf man doch sagen, sie ist für das letzte Drittel des Jahrhunderts nicht mehr charakteristisch, wie sie es für das zweite war. Die Philosophie hat begonnen, von der öffentlichen Geringschätzung sich zu erholen; sie gewinnt wieder die Teilnahme größerer Kreise; im Besonderen ist auch ihr Verhältnis zur wissenschaftlichen Forschung wieder ein freundlicheres geworden.

Es kehrt damit der natürliche Zustand zurück. Denn in Wahrheit ist Philosophie so wenig eine Sache, die sich überlebt hat, oder die bloß einige leere und abstruse Köpfe angeht, dass sie vielmehr eine Angelegenheit aller Zeiten und aller Menschen ist. Ja, man kann sagen, Philosophie ist nicht eine Sache, die man haben oder auch nicht haben kann, auf gewisse Weise hat jeder Mensch, der sich über die Dumpfheit tierischen Dahinlebens erhebt, eine Philosophie. Es fragt sich bloß, was für eine, ob eine aus einigen zufälligen Wissensfragmenten und Gedankensplittern zusammengezimmerte, oder eine durchdachte und auf allseitiger Betrachtung der Wirklichkeit beruhende.

Was das intellektuelle Leben des Menschen von dem der Tiere unterscheidet, das ist die Fähigkeit theoretischer Betrachtung und die Richtung auf das Ganze. Das Tier sieht und hört, hat auch wohl Vorstellungen und Erinnerungen, aber es verweilt nicht dabei; sie kommen und gehen vereinzelt, wie es der Naturlauf fügt, sie haben ihre Bedeutung nur als Motive für den Willen. Im Menschen reißt sich die intellektuelle Tätigkeit vom Dienst des Bedürfnisses los; das theoretische Interesse erwacht; er sammelt und betrachtet die Elemente, welche die Wahrnehmung bietet, und kommt nicht zur Ruhe, bis er sie zu einer einheitlichen Gesamtanschauung der Dinge verknüpft hat. Praxis und Technik lassen an dem Einzelwissen sich genügen; das theoretische Interesse ist auf das Ganze gerichtet. So entsteht Philosophie. Sie ist im allgemeinsten Sinne des Wortes nichts anderes als der stets wiederholte Versuch, ein Ganzes von Vorstellungen und Gedanken über Gestalt und Zusammenhang, über Sinn und Bedeutung aller Dinge zu gewinnen.

Es ist offenbar, dass in diesem Sinne jedes Volk und jeder Mensch, wenigstens jeder normal entwickelte Mensch Philosophie hat. Auch der einfache Mann aus dem Volke hat eine Philosophie; sein Katechismus mag ihm die Grundzüge dazu geliefert haben; er weiß eine Antwort auf die Frage nach Ursprung und Bestimmung der Welt und des Menschenlebens. In diesem Sinne haben auch die Naturvölker eine Philosophie; auch der Indianer und Neuseeländer hatte sich eine Vorstellung von dem Weltganzen und seinem räumlichen Aufbau gemacht, er wusste eine Antwort auf die Frage nach dem Woher und Wohin der Dinge und sah zwischen den kosmischen Begebenheiten und dem menschlichen Leben einen sinnvollen Zusammenhang.

In diesem Sinne ist also Philosophie eine allgemein menschliche Funktion. Soweit es geistiges Leben gibt, so weit gibt es auch Philosophie."

(Paulsen, Friedrich. Einleitung in die Philosophie. 2. Aufl. Berlin: W. Hertz, 1893. S. 1-3)

"Die Zeit ruft alle ihre geistigen Kräfte auf, um einen neuen inneren Gehalt des Lebens zu erringen. In diesem Kampfe um einen neuen Lebensinhalt muss sie sich mit den großen Geistesführern der Vergangenheit verbünden. Und ihre Lebensanschauungen zu erneuern, ihre Gesinnung lebendig zu erhalten, ihr Werk fortzuführen, ist der nächste und wesentlichste Beruf der Philosophie als Geistesführung,—ist die Gegenwart dieser Philosophie.
Und so ist die Philosophie keine Sache bloß der Schule, sie ist eine Angelegenheit der Menschheit selbst, und darum hat sie sich nicht überlebt und wird sich nie überleben. Umsonst, dass der Mensch sich gleichgültig verhalten wollte zu den Problemen der Philosophie; sind es doch die wahren und wesentlichen Probleme seines Wissens und seines Lebens. Stetig muss die Menschheit fortschreiten in der Selbsterkenntnis der Vernunft und der Erkenntnis der Welt, im Streben nach einer auf dieser doppelten Erkenntnis beruhenden Weisheit: fortschreiten in philosophischer Wissenschaft und philosophischer Gesinnung."

(Riehl, Alois. Zur Einführung in die Philosophie der Gegenwart. 3. Aufl. Leipzig: B. G. Teubner, 1908. S. 273-4)

#156:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 06.05.2016, 23:39
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Tarvoc hat folgendes geschrieben:

Das Zitat von Lacan wurde hier ja nicht gepostet, um eine Einführung in Lacans Ansatz zu geben. Ich bezweifle ernsthaft, dass unquest dazu überhaupt in der Lage wäre.


Ich bin thematisch hier eh draußen. Hatte vor Jahren mal eine Einführung zu Lacan gelesen, als ich noch guten Willens war. Da er aber auf der Psychoanalyse aufbauen möchte und diese für mich nur eine veraltete Form von Scientology darstellt, ist der Drops für mich gelutscht. Was soll ich mit dem Namen-des-Vaters anfangen, wenn ich den Ödipuskomplex für ein Hirngespinst halte?

#157:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 07.05.2016, 00:02
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Myron hat folgendes geschrieben:
Totgesagte leben länger!

Deine Zitate sind über 100 Jahre alt! Welche wissenschaftliche Darstellung aus der Zeit würde man heute noch zur Beurteilung des Werts oder Unwerts wissenschaftlicher Arbeit redlicherweise heranziehen?

#158:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 07.05.2016, 00:11
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Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Totgesagte leben länger!

Deine Zitate sind über 100 Jahre alt!


Na und?! Was Paulsen&Riehl damals über die unentbehrliche Rolle der Philosophie geschrieben haben, ist auch heute noch zutreffend.

#159:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 07.05.2016, 00:15
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unquest hat folgendes geschrieben:
Ich lese gerade von Beckermann die Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes und bin begeistert von seinem Bemühen eine klare Sprache zu sprechen.


Gutes Buch.

#160:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 07.05.2016, 00:34
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smallie hat folgendes geschrieben:
steps sig lautet: "Die Leere ist Fülle, wenn man sie sieht". Bei der Lacanschen Art von Inhaltsleere sehe ich allerdings nichts.


Sie lautet jedoch:
Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.

Sie verneint den Sinn, um einen zu geben.

#161:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 07.05.2016, 01:06
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unquest hat folgendes geschrieben:
Ich lese gerade von Beckermann die Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes und bin begeistert von seinem Bemühen eine klare Sprache zu sprechen.

zelig hat folgendes geschrieben:
Gutes Buch.

Danke für die Empfehlung, kommt auf meine Liste.

#162:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 07.05.2016, 10:32
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Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Totgesagte leben länger!

Deine Zitate sind über 100 Jahre alt!


Tja, der Positivismus freilich ist noch älter.

#163:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 07.05.2016, 10:57
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Totgesagte leben länger!

Deine Zitate sind über 100 Jahre alt!


Tja, der Positivismus freilich ist noch älter.


Dann sag doch mal kurz, was du darunter verstehst, damit wir uns nicht um Worte streiten müssen.

#164:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 07.05.2016, 15:48
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:

Tja, der Positivismus freilich ist noch älter.

Dann sag doch mal kurz, was du darunter verstehst, damit wir uns nicht um Worte streiten müssen.


Zunächst ist zwischen dem alten, ursprünglichen Positivismus und dem neuen Positivismus (dem Neopositivismus, dem logischen Positivismus/Empirismus der Wiener und Berliner Schule) zu unterscheiden.

Siehe:

http://www.philosophie-woerterbuch.de/online-woerterbuch/?title=Positivismus&tx_gbwbphilosophie_main[entry]=699&tx_gbwbphilosophie_main[action]=show&tx_gbwbphilosophie_main[controller]=Lexicon&cHash=504c56ff6884f65556cecbf39054b0e4

http://www.textlog.de/4871.html

http://www.textlog.de/6522.html

#165:  Autor: Waldwuffel BeitragVerfasst am: 07.05.2016, 16:31
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Naja, diese beiden langen Zitate zum Weiterleben der Philosophie sagen aber nicht wirklich etwas aus. Da stehen nur zwei Meinungen, die besagen, die Philosophie sei nicht tot. Was genau Philosophie ausmachen soll, wird aber eigentlich gar nicht beschrieben. Nur, dass es irgendwie um eine Erkenntnis "des Ganzen" gehen soll bzw. dass es um Selbst- und Welterkenntnis in Anknüpfung an eine Vergangenheit gehe. Ich finde, beide Ansichten sind fragwürdig. Auch Philosophie lässt sich m.E. am besten betreiben, wenn man ihre Probleme (die zu einem Großteil wirklich schon von Beginn an bekannt sind) sauber voneinander unterscheidet, um sie so einer möglichen Lösung zuzuführen, um ihre Zusammenhänge zu erkennen usw. Ein umfassendes Weltbild zu konstruieren (auf welcher Grundlage eigentlich?), gehört m.E. nicht zu ihren Aufgaben. Und eine Kenntnis der "Tradition", also der Texte, in denen diese Probleme zuerst beschrieben wurden, ist dabei meiner Ansicht nach auch nicht unbedingt nötig. Oft werden sie in aktuellen Arbeiten einfach viel klarer beschrieben. Warum sollte man dann einen mehr oder weniger obskuren alten Text lesen, wenn es einem in erster Linie um das Problem an sich geht und nicht um die Rekonstruktion seiner Geschichte?

#166:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 07.05.2016, 17:38
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Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Naja, diese beiden langen Zitate zum Weiterleben der Philosophie sagen aber nicht wirklich etwas aus. Da stehen nur zwei Meinungen, die besagen, die Philosophie sei nicht tot. Was genau Philosophie ausmachen soll, wird aber eigentlich gar nicht beschrieben.


Falls du mehr erfahren willst, kannst du die beiden erwähnten Bücher kostenlos lesen:

* Paulsen: https://archive.org/details/einleitungindie00paul

* Riehl: https://archive.org/details/zureinfhrungind00riehgoog

#167:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 07.05.2016, 18:10
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Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Naja, diese beiden langen Zitate zum Weiterleben der Philosophie sagen aber nicht wirklich etwas aus. Da stehen nur zwei Meinungen, die besagen, die Philosophie sei nicht tot. Was genau Philosophie ausmachen soll, wird aber eigentlich gar nicht beschrieben. Nur, dass es irgendwie um eine Erkenntnis "des Ganzen" gehen soll bzw. dass es um Selbst- und Welterkenntnis in Anknüpfung an eine Vergangenheit gehe. Ich finde, beide Ansichten sind fragwürdig. Auch Philosophie lässt sich m.E. am besten betreiben, wenn man ihre Probleme (die zu einem Großteil wirklich schon von Beginn an bekannt sind) sauber voneinander unterscheidet, um sie so einer möglichen Lösung zuzuführen, um ihre Zusammenhänge zu erkennen usw. Ein umfassendes Weltbild zu konstruieren (auf welcher Grundlage eigentlich?), gehört m.E. nicht zu ihren Aufgaben.


Doch, die Beschäftigung mit dem Großen und Ganzen ist von jeher Teil der Philosophie, wobei allgemein zwischen zwei metaphilosophischen Herangehensweisen zu unterscheiden ist: der analytischen, kritischen, deskriptiven und der synthetischen, synoptischen, konstruktiven. Die Aufgabe der Philosophie besteht nicht nur, wie es Jack Smart ausdrückt, in der analytischen Klärung der Begriffe und Gedanken ("clarification of thought") und der kritischen Ausschaltung von Unsinn ("elimination of nonsense"), sondern auch in der synthetisch-synoptischen Entwerfung eines (vorläufigen) Weltbildes (auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnis) ("tentative adumbration of a world view").

Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Und eine Kenntnis der "Tradition", also der Texte, in denen diese Probleme zuerst beschrieben wurden, ist dabei meiner Ansicht nach auch nicht unbedingt nötig. Oft werden sie in aktuellen Arbeiten einfach viel klarer beschrieben. Warum sollte man dann einen mehr oder weniger obskuren alten Text lesen, wenn es einem in erster Linie um das Problem an sich geht und nicht um die Rekonstruktion seiner Geschichte?


Zwischen "alt" und "obskur" besteht kein Bedeutungszusammenhang. Viele alte Texte sind viel weniger obskur als neue. Auch "wenn es einem in erster Linie um das Problem an sich geht", erweisen sich ältere Texte oft als besser und klarer. "Neuer" und "besser" sind jedenfalls keine Synonyme. Oben wird Beckermanns Einführung in die Philosophie des Geistes erwähnt. Wer sich insbesondere mit dem Leib-Seele-Problem befassen will, dem sei beispielsweise das folgende Buch von 1906 empfohlen, das hervorragend ist und in Bezug auf "das Problem an sich" auch im Jahre 2016 noch absolut lesenswert und bedeutsam ist:

* Eisler, Rudolf. Leib und Seele: Darstellung und Kritik der neueren Theorien des Verhältnisses zwischen physischem und psychischem Dasein. Leipzig: Barth, 1906.

Der Gesamttext ist kostenlos verfügbar: https://archive.org/details/bub_gb_E7MRAAAAYAAJ

#168:  Autor: Waldwuffel BeitragVerfasst am: 07.05.2016, 18:53
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Ich finde tatsächlich, dass Philosophie nur als Sprachanalyse auf eine Weise betrieben werden kann, die mit den Wissenschaften kompatibel ist, denn anders können die "philosophischen Gegenstände" (etwa Begriffe wie Gegenstand, Möglichkeit/Notwendigkeit, Wahrheit, Kausalität usw.) m.E. nicht so gefasst werden, dass sie intersubjektiv zugänglich sind. Aus diesem Grund halte ich auch ältere philosophische Texte für tendenziell obskurer. Da man hier noch versucht hat, diese Gegenstände etwa als Dinge an sich oder als mentale Gegenstände durch Reflexion auf das eigene Bewusstsein usw. zu modellieren. Natürlich können die entsprechenden Probleme, Lösungsversuche und Argumente auch sehr gut sein und die Texte entsprechend lesenswert, durch diese problematischen Herangehensweisen sind sie aber insgesamt eher unklar bzw. der Zugang wird erschwert, weil man sie gewissermaßen erstmal "in die heutige Sprache übersetzen" muss, wenn man wirklich mit ihnen arbeiten will (sie also nicht aus rein historischen Gründen studiert).

#169:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 07.05.2016, 19:45
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Myron hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:

Tja, der Positivismus freilich ist noch älter.

Dann sag doch mal kurz, was du darunter verstehst, damit wir uns nicht um Worte streiten müssen.


Zunächst ist zwischen dem alten, ursprünglichen Positivismus und dem neuen Positivismus (dem Neopositivismus, dem logischen Positivismus/Empirismus der Wiener und Berliner Schule) zu unterscheiden.

Siehe:

http://www.philosophie-woerterbuch.de/online-woerterbuch/?title=Positivismus&tx_gbwbphilosophie_main[entry]=699&tx_gbwbphilosophie_main[action]=show&tx_gbwbphilosophie_main[controller]=Lexicon&cHash=504c56ff6884f65556cecbf39054b0e4

http://www.textlog.de/4871.html

http://www.textlog.de/6522.html


Nun hatte ich eigentlich Zumsel nach seiner Meinung gefragt. Ein Link auf Lexikon-Artikel ist da oft nicht hilfreich. Soweit ich das verstanden habe, versteht man unter einem Positivisten einen Vertreter der wissenschaftstheoretischen Vorstellung, daß man bei wissenschaftlicher Forschung oder bei Erkenntnisvorgängen überhaupt von "reinen" Beobachtungen ausgehen, aufgrund deren man dann nachträglich Theorien konstruiert. In diesem Sinne gilt Auguste Comte als der "Erzpositivist", was komisch ist, geäußert hat er sich ganz anders. 'Positiv' war für ihn einfach ein Synonym für 'wissenschaftlich':

„Denn wenn auch auf der einen Seite jede positive Theorie notwendigerweise auf Beobachtungen fundiert sein muß, so ist es auf der anderen Seite nicht weniger richtig, daß unser Verstand eine Theorie der einen oder anderen Art braucht, um zu beobachten. Wenn man bei der Betrachtung von Erscheinungen diese nicht unmittelbar in Beziehung zu gewissen Prinzipien setzen würde, wäre es nicht nur unmöglich für uns, diese isolierten Beobachtungen miteinander in Verbindung zu bringen ... wir würden sogar völlig unfähig sein, uns an die Tatsachen zu erinnern; man würde sie zum größten Teil nicht wahrnehmen.“ (Auguste Comte, Cours de Philosophie Positive, Band 1, Paris 1907)

Der positive, dh. wissenschaftliche Charakter aller Forschungsarbeit war für Comte eben diese wechselseitige Abhängigkeit von Theorie und Empirie.

#170:  Autor: schtonk BeitragVerfasst am: 07.05.2016, 21:40
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

[...]

Der positive, dh. wissenschaftliche Charakter aller Forschungsarbeit war für Comte eben diese wechselseitige Abhängigkeit von Theorie und Empirie.

Ja, das war schon sehr fortschrittlich im ersten Drittel des 19. Jhdts. Auf ihn geht auch die "Soziologie" zurück. Bis dahin dachte man über gesellschaftliche Zusammenhänge
rein mechanistisch (soziale Physik). Das Positive/der Positivismus wurde ja über 100 Jahre später zuungunsten der reinen Logik der Empirie kritisch hinterfragt,
von Popper und Adorno, die sich teils einig, in grundlegenden Dingen aber uneinig waren. Hatte dieser Positivismusstreit auch Auswirkungen auf die Philosophie?

#171:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 07.05.2016, 22:10
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Der Vergleich ist aber zumindest insofern nicht völlig falsch, als die ökonomisch-philosophischen Manuskripte in der Tat unwissenschaftlich sind und z.T. falsche Schlussfolgerungen beinhalten - übrigens nicht zuletzt gerade aufgrund der philosophischen Ansätze. Marx korrigiert diese Irrtümer in späteren Werken, und man muss auch im Kopf behalten, dass die Manuskripte selbst erst posthum veröffentlicht wurden und von Marx nie zur Veröffentlichung vorgesehen waren. Es gibt aber Gründe dafür, warum Marx das Wort Philosophie oder philosophisch in seinen späteren Werken nicht mehr zur Beschreibung der eigenen Tätigkeit verwendet. Die Deutsche Ideologie, vielleicht Marx' letztes im eigentlichen Sinne philosophisches Werk, beinhaltet sogar den expliziten Versuch einer Distanzierung gegen die Philosophie. Ebenso das Elend der Philosophie. Zumindest zur Kenntnis nehmen sollte man diese Tatsache.


Das stimmt doch so nicht. Weder hat sich Marx "distanziert", noch kann man seine späteren Werke von den Frühschriften trennen, ohne an Verständnisfähigkeit für seine gesamte Theorie einzubüßen.

Das, was schon Hegel mit dem Paradigma der Verwirklichung einer Idee durch dessen Aufhebung dialektisch formuliert hat, hat Marx nicht einfach verworfen. Das widerspricht der dialektischen Methode per se, die er - wie es heisst - "vom Kopf auf die Füße gestellt", also politisiert hat.

Aber nicht nur von Hegel, sondern auch von Feuerbach hat die marxistische Theorie ihren revolutionären Ansatz gewonnen.

Feuerbach hat folgendes geschrieben:
Die Philosophie zur Sache der Menschheit zu machen, das war mein erstes Bestreben. Aber wer einmal diesen Weg einschlägt, kommt notwendig zuletzt dahin, den Menschen zur Sache der Philosophie zu machen und die Philosophie selbst aufzuheben; denn sie wird nur dadurch Sache der Menschheit, dass sie eben aufhört, Philosophie zu sein.

Ludwig Feuerbach: Das Wesen des Christentums, Reclam, S. 391


Bei Marx findet sich das wie folgt wieder:

Zitat:
"Ihr könnt die Philosophie nicht aufheben, ohne sie zu verwirklichen. ... Die Philosophie kann sich nicht verwirklichen ohne die Aufhebung des Proletariats, das Proletariat kann sich nicht aufheben ohne die Verwirklichung der Philosophie."

Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung. MEW 1
http://kulturkritik.net/begriffe/begr_txt.php?lex=aufhebung


Stimmt nicht. Marx hat sich in der Deutschen Ideologie ganz klar vom Feuerbachschen Humanismus distanziert und ihn sogar höchst effektiv als Ideologie kritisiert, und nur vor dem theoretischen Hintergrund des Feuerbachschen Humanismus ergibt die Entfremdungstheorie der ök.-phil. Manuskripte überhaupt Sinn.


Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Hier mal ein paar Äußerungen von Marx zu Feuerbach aus der Deutschen Ideologie.

Es zeigt sich aus diesen Auseinandersetzungen auch, wie sehr Feuerbach sich täuscht, wenn er ("Wigand's Vierteljahrsschrift", 1845, Bd. 2) sich vermöge der Qualifikation "Gemeinmensch" für einen Kommunisten erklärt, in ein Prädikat "des" Menschen verwandelt, also das Wort Kommunist, das in der bestehenden Welt den Anhänger einer bestimmten revolutionären Partei bezeichnet, wieder in eine bloße Kategorie verwandeln zu können glaubt. Feuerbachs ganze Deduktion in Beziehung auf das Verhältnis der Menschen zueinander geht nur dahin, zu beweisen, daß die Menschen einander nötig haben und immer gehabt haben. Er will das Bewußtsein über diese Tatsache etablieren, er will also, wie die übrigen Theoretiker, nur ein richtiges Bewußtsein über ein bestehendes Faktum hervorbringen, während es dem wirklichen Kommunisten darauf ankommt, dies Bestehende umzustürzen.

Ist das der "revolutionäre Ansatz", den Marx von Feuerbach gewonnen hat?

Zu Feuerbachs Idealismus und zur Unwissenschaftlichkeit seines Ansatzes:

Feuerbachs "Auffassung" der sinnlichen Welt beschränkt sich einerseits auf die bloße Anschauung derselben und andrerseits auf die bloße Empfindung, er sagt "den Menschen" statt d[ie] "wirklichen historischen Menschen". "Der Mensch" ist realiter <in Wirklichkeit> "der Deutsche". Im ersten Falle, in der Anschauung der sinnlichen Welt, stößt er notwendig auf Dinge, die seinem Bewußtsein und seinem Gefühl widersprechen, die die von ihm vorausgesetzte Harmonie aller Teile der sinnlichen Welt und namentlich des Menschen mit der Natur stören. Um diese zu beseitigen, muß er dann zu einer doppelten Anschauung seine Zuflucht nehmen, zwischen einer profanen, die nur das "auf platter Hand Liegende", und einer höheren, philosophischen, die das "wahre Wesen" der Dinge erschaut.

Feuerbachs Philosophie ist nicht fähig, eine Kritik bügerlicher Verhältnisse zu geben, sondern endet in einer idealisierten Apologie:

Feuerbach hat allerdings den großen Vorzug vor den "reinen" Materialisten, daß er einsieht, wie auch der Mensch "sinnlicher Gegenstand" ist; aber abgesehen davon, daß er ihn nur als "sinnlichen Gegenstand", nicht als "sinnliche Tätigkeit" faßt, da er sich auch hierbei in der Theorie hält, die Menschen nicht in ihrem gegebenen gesellschaftlichen Zusammenhange, nicht unter ihren vorliegenden Lebensbedingungen, die sie zu Dem gemacht haben, was sie sind, auffaßt, so kommt er nie zu den wirklich existierenden, tätigen Menschen, sondern bleibt bei dem Abstraktum "der Mensch" stehen und bringt es nur dahin, den "wirklichen, individuellen, leibhaftigen Menschen" in der Empfindung anzuerkennen, d.h., er kennt keine andern "menschlichen Verhältnisse" "des Menschen zum Menschen", als Liebe und Freundschaft, und zwar idealisiert. Gibt keine Kritik der jetzigen Lebensverhältnisse. Er kommt also nie dazu, die sinnliche Welt als die gesamte lebendige sinnliche Tätigkeit der sie ausmachenden Individuen aufzufassen, und ist daher gezwungen, wenn er z.B. statt gesunder Menschen einen Haufen skrofulöser, überarbeiteter und schwindsüchtiger Hungerleider sieht, da zu der "höheren Anschauung" und zur ideellen "Ausgleichung in der Gattung" seine Zuflucht zu nehmen, also gerade da in den Idealismus zurückzufallen, wo der kommunistische Materialist die Notwendigkeit und zugleich die Bedingung einer Umgestaltung sowohl der Industrie wie der gesellschaftlichen Gliederung sieht.

http://www.mlwerke.de/me/me03/me03_017.htm#I_I


Nun sind wir von der vermeintlichen Ablehnung Hegels und der gesamten Philosophie auch noch zur Kritik Marx' an Feuerbach gekommen. Das war nicht meine Absicht; ich hatte Feuerbachs Passage nur zitiert, um zu unterstreichen, dass Marx auch vom Vormärz-Revolutionär Feuerbach sehr wichtige Impulse aufgenommen hat, insbesondere Feuerbachs Religionskritik. Dessen Formulierung, "die Philosophie aufzuheben" findet sich denn auch bei Marx fast wörtlich wieder - mit einem entscheidenden Unterschied. Marx formuliert die nötige Aufhebung der Philosophie dialektisch: Aufhebung der Philosophie durch Verwirklicung der selben!

Ansonsten ist die Kritik der Beschränktheit Feuerbachs in Sachen Revolution völlig richtig, so wie auch Marx' umfassende früehe Kritiken an Hegels spekulativen und idealistischen Methoden, die für die Praxis untauglich und irrelevant seien.

So weit so gut erst mal.

Doch meine Aussage war eine andere. Ich habe dem Begriff "Distanzierung" widersprochen. Marx hat sich nicht von Hegels wertvollem Kern "distanziert". Dazu mehr weiter unten.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
noch kann man seine späteren Werke von den Frühschriften trennen, ohne an Verständnisfähigkeit für seine gesamte Theorie einzubüßen.


Dass man auch die Frühschriften kennen muss, um Marx voll zu verstehen, ist schon richtig. Natürlich habe ich nicht dazu geraten, die Frühschriften nicht zu lesen. Ihre Kenntnis sind selbstverständlich wichtig, um die Entwicklung des Marxschen Denkens nachzuvollziehen. Man darf sie nur nicht zu etwas machen, das sie nicht sind. Sie bilden weder die anthropologischen noch die philosophischen oder ethischen (und schon gleich gar nicht die ökonomischen!) Grundlagen der späteren Arbeiten.


Die Thematik der Entfremdung etwa in den Frühschriften taucht auch später als wichtiges, aber variiertes Thema auf. Die philosophischen Grundlagen finden sich auch im Kapital wieder, nur nicht mehr so offensichtlich. Was bei Hegel noch die Bewegung des Denkens war als eine Entwicklung innerer Widersprüche (- nicht bloß *logischer* Widersprüche! -) findet sich in Marx' Hauptwerk wieder als Bewegung des sich selbst verwertenden Kapitals anhand von dessen inneren Widersprüchen zwischen Wert und Gebrauchswert vor allem.

Ich hatte schon mal hier im Forum von Marx' dialektischer Methode geschrieben:

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Im folgenden antwortet Marx auf eine Rezension seines Buches "Das Kapital" (Band 1), in der seine dialektische Methode angesprochen wird:

Zitat:
Herr M. Block - "Les Théoriciens du Socialisme en Allemagne. Extrait du Journal des Économistes, juillet et août 1872" - entdeckt, daß meine Methode analytisch ist, und sagt u.a.:

"Par cet ouvrage M. Marx se classe parmi les esprits analytiques les plus éminents."
<"Durch dieses Werk reiht sich Herr Marx unter die bedeutendsten analytischen Denker ein.">

Die deutschen Rezensenten schreien natürlich über Hegelsche Sophistik. Der Petersburger "Europäischer Bote", in einem Artikel, der ausschließlich die Methode des "Kapital" behandelt (Mainummer 1872, p. 427-436), findet meine Forschungsmethode streng realistisch. Er sagt:

"Auf den ersten Blick, wenn man nach der äußern Form der Darstellung urteilt, ist Marx der größte Idealphilosoph, und zwar im deutschen, d.h. schlechten Sinn des Wortes. In der Tat aber ist er unendlich mehr Realist als alle seine Vorgänger im Geschäft der ökonomischen Kritik ... Man kann ihn in keiner Weise einen Idealisten nennen."

Ich kann dem Herrn Verfasser <I. I. Kaufmann> nicht besser antworten als durch einige Auszüge aus seiner eignen Kritik, die zudem manchen meiner Leser, dem das russische Original unzugänglich ist, interessieren mögen.

Nach einem Zitat aus meiner Vorrede zur "Kritik der Pol. Oek.", Berlin 1859, p. IV-VII <siehe Band 13, S. 8-10>, wo ich die materialistische Grundlage meiner Methode erörtert habe, fährt der Herr Verfasser fort:

"Für Marx ist nur eins wichtig: das Gesetz der Phänomene zu finden, mit deren Untersuchung er sich beschäftigt. Und ihm ist nicht nur das Gesetz wichtig, das sie beherrscht, soweit sie eine fertige Form haben und in einem Zusammenhang stehn, wie er in einer gegebnen Zeitperiode beobachtet wird. Für ihn ist noch vor allem wichtig das Gesetz ihrer Veränderung, ihrer Entwicklung, d.h. der Übergang aus einer Form in die andre, aus einer Ordnung des Zusamenhangs in eine andre.

Sobald er einmal dies Gesetz entdeckt hat, untersucht er im Detail die Folgen, worin es sich im gesellschaftlichen Leben kundgibt ... Demzufolge bemüht sich Marx nur um eins: durch genaue wissenschaftliche Untersuchung die Notwendigkeit bestimmter Ordnungen der gesellschaftlichen Verhältnisse nachzuweisen und soviel als möglich untadelhaft die Tatsachen zu konstatieren, die ihm zu Ausgangs- und Stützpunkten dienen. Hierzu ist vollständig hinreichend, wenn er mit der Notwendigkeit der gegenwärtigen Ordnung zugleich die Notwendigkeit einer andren Ordnung nachweist, worin die erste unvermeidlich übergehn muß, ganz gleichgültig, ob die Menschen das glauben oder nicht glauben, ob sie sich dessen bewußt oder nicht bewußt sind.

Marx betrachtet die gesellschaftliche Bewegung als einen naturgeschichtlichen Prozeß, den Gesetze lenken, die nicht nur von dem Willen, dem Bewußtsein und der Absicht der Menschen unabhängig sind, sondern vielmehr umgekehrt deren Wollen, Bewußtsein und Absichten bestimmen ... Wenn das bewußte Element in der Kulturgeschichte eine so untergeordnete Rolle spielt, dann versteht es sich von selbst, daß die Kritik, deren Gegenstand die Kultur selbst ist, weniger als irgend etwas andres, irgendeine Form oder irgendein Resultat des Bewußtseins zur Grundlage haben kann. Das heißt, nicht die Idee, sondern nur die äußere Erscheinung kann ihr als Ausgangspunkt dienen. Die Kritik wird sich beschränken auf die Vergleichung und Konfrontierung einer Tatsache nicht mit der Idee, sondern mit der andren Tatsache.

Für sie ist es nur wichtig, daß beide Tatsachen möglichst genau untersucht werden und wirklich die eine gegenüber der andren verschiedene Entwicklungsmomente bilden, vor allem aber wichtig, daß nicht minder genau die Serie der Ordnungen erforscht wird, die Aufeinanderfolge und Verbindung, worin die Entwicklungsstufen erscheinen. Aber, wird man sagen, die allgemeinen Gesetze des ökonomischen Lebens sind ein und dieselben; ganz gleichgültig, ob man sie auf Gegenwart oder Vergangenheit anwendet. Grade das leugnet Marx. Nach ihm existieren solche abstrakte Gesetze nicht ... Nach seiner Meinung besitzt im Gegenteil jede historische Periode ihre eignen Gesetze ...

Sobald das Leben eine gegebene Entwicklungsperiode überlebt hat, aus einem gegebnen Stadium in ein andres übertritt, beginnt es auch durch andre Gesetze gelenkt zu werden. Mit einem Wort, das ökonomische Leben bietet uns eine der Entwicklungsgeschichte auf andren Gebieten der Biologie analoge Erscheinung ... Die alten Ökonomen verkannten die Natur ökonomischer Gesetze, als sie dieselben mit den Gesetzen der Physik und Chemie verglichen ... Eine tiefere Analyse der Erscheinungen bewies, daß soziale Organismen sich voneinander ebenso gründlich unterscheiden als Pflanzen- und Tierorganismen ... Ja, eine und dieselbe Erscheinung unterliegt ganz und gar verschiednen Gesetzen infolge des verschiednen Gesamtbaus jener Organismen, der Abweichung ihrer einzelnen Organe, des Unterschieds der Bedingungen, worin sie funktionieren usw.

Marx leugnet z.B., daß das Bevölkerungsgesetz dasselbe ist zu allen Zeiten und an allen Orten. Er versichert im Gegenteil, daß jede Entwicklungsstufe ihr eignes Bevölkerungsgesetz hat ... Mit der verschiednen Entwicklung der Produktivkraft ändern sich die Verhältnisse und die sie regelnden Gesetze. Indem sich Marx das Ziel stellt, von diesem Gesichtspunkt aus die kapitalistische Wirtschaftsordnung zu erforschen und zu erklären, formuliert er nur streng wissenschaftlich das Ziel, welches jede genaue Untersuchung des ökonomischen Lebens haben muß ... Der wissenschaftliche Wert solcher Forschung liegt in der Aufklärung der besondren Gesetze, welche Entstehung, Existenz, Entwicklung, Tod eines gegebenen gesellschaftlichen Organismus und seinen Ersatz durch einen andren, höheren regeln. Und diesen Wert hat in der Tat das Buch von Marx."

Indem der Herr Verfasser das, was er meine wirkliche Methode nennt, so treffend und, soweit meine persönliche Anwendung derselben in Betracht kommt, so wohlwollend schildert, was andres hat er geschildert als die dialektische Methode?

Allerdings muß sich die Darstellungsweise formell von der Forschungsweise unterscheiden. Die Forschung hat den Stoff sich im Detail anzueignen, seine verschiednen Entwicklungsformen zu analysieren und deren innres Band aufzuspüren. Erst nachdem diese Arbeit vollbracht, kann die wirkliche Bewegung entsprechend dargestellt werden. Gelingt dies und spiegelt sich nun das Leben des Stoffs ideell wider, so mag es aussehn, als habe man es mit einer Konstruktion a priori zu tun.

Meine dialektische Methode ist der Grundlage nach von der Hegelschen nicht nur verschieden, sondern ihr direktes Gegenteil. Für Hegel ist der Denkprozeß, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg des wirklichen, das nur seine äußere Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle.

Die mystifizierende Seite der Hegelschen Dialektik habe ich vor beinah 30 Jahren, zu einer Zeit kritisiert, wo sie noch Tagesmode war. Aber grade als ich den ersten Band des "Kapital" ausarbeitete, gefiel sich das verdrießliche, anmaßliche und mittelmäßige Epigonentum, welches jetzt im gebildeten Deutschland das große Wort führt, darin, Hegel zu behandeln, wie der brave Moses Mendelssohn zu Lessings Zeit den Spinoza behandelt hat, nämlich als "toten Hund". Ich bekannte mich daher offen als Schüler jenes großen Denkers und kokettierte sogar hier und da im Kapitel über die Werttheorie mit der ihm eigentümlichen Ausdrucksweise. Die Mystifikation, welche die Dialektik in Hegels Händen erleidet, verhindert in keiner Weise, daß er ihre allgemeinen Bewegungsformen zuerst in umfassender und bewußter Weise dargestellt hat. Sie steht bei ihm auf dem Kopf. Man muß sie umstülpen, um den rationellen Kern in der mystischen Hülle zu entdecken.

In ihrer mystifizierten Form ward die Dialektik deutsche Mode, weil sie das Bestehende zu verklären schien. In ihrer rationellen Gestalt ist sie dem Bürgertum und seinen doktrinären Wortführern ein Ärgernis und ein Greuel, weil sie in dem positiven Verständnis des Bestehenden zugleich auch das Verständnis seiner Negation, seines notwendigen Untergangs einschließt, jede gewordne Form im Flusse der Bewegung, also auch nach ihrer vergänglichen Seite auffaßt, sich durch nichts imponieren läßt, ihrem Wesen nach kritisch und revolutionär ist.

Die widerspruchsvolle Bewegung der kapitalistischen Gesellschaft macht sich dem praktischen Bourgeois am schlagendsten fühlbar in den Wechselfällen des periodischen Zyklus, den die moderne Industrie durchläuft, und deren Gipfelpunkt - die allgemeine Krise. Sie ist wieder im Anmarsch, obgleich noch begriffen in den Vorstadien, und wird durch die Allseitigkeit ihres Schauplatzes, wie die Intensität ihrer Wirkung, selbst den Glückspilzen des neuen heilige, preußisch-deutschen Reichs Dialektik einpauken.

London, 24. Januar 1873

Karl Marx


http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_018.htm


Wohlgemerkt Tarvoc: Das schreibt Marx als Nachwort zum ersten Band vom Kapital und nicht in irgend *unwissenschaftlichen* Frühschrift.

Und in einem früheren Brief an seinen Mitarbeiter und Mitstreiter Engels, während vorbereitender Arbeiten an seiner ökonomischen Theorie:

Zitat:
"Übrigens finde ich hübsche Entwicklungen. Z. B. die ganze Lehre vom Profit, wie sie bisher war, habe ich über den Haufen geworfen.

In der Methode des Bearbeitens hat es mir großen Dienst geleistet, dass ich durch bloßen Zufall - Freiligrath fand einige, ursprünglich dem Bakunin gehörige Bände Hegels und schickte sie mir als Präsent - Hegels ‚Logik’ wieder durchgeblättert hatte.

Wenn je wieder Zeit für solche Arbeiten kommt, hätte ich große Lust, in 2 oder 3 Druckbögen das Rationelle an der Methode, die Hegel entdeckt, aber zugleich mystifiziert hat, dem gemeinen Menschenverstand zugänglich zu machen."


Marx an Engels, Januar 1858, MEGA III/9, S. 24f.
(14 Jahre nach der "Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie")


Eine "Distanzierung" von Hegel und gar gleich der ganzen Philosophie liest sich - denke ich mal - etwas anders, doer wie siehst du das? zwinkern

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Überhaupt weichst du mit der rein philologischen Frage nach Kontinuität dem eigentlichen Problem aus. Ob nun Marx' spätere Schriften theoretisch auf seinen Frühschriften beruhen oder nicht: Dass die ök.-phil. Manuskripte unwissenschaftlich sind, ist eine Tatsache. Dass einiges in ihnen schlicht falsch ist, ebenfalls. Wenn du wirklich der Ansicht bist, dass die Manuskripte die Grundlage der späteren Arbeiten bilden, dann müssten auch diese Irrtümer im gesamten Werk identifizierbar sein. Das würde allerdings potentiell das gesamte Marxsche Werk grundlegend in Frage stellen. Wenn die Füße, auf denen das Marxsche Werk steht, die ökonomisch-philosophischen Manuskripte sind, dann sind es tönerne Füße. Dass sogar der junge Marx die Manuskripte bereits nicht für veröffentlichungsfähig gehalten hat, sollte eigentlich ein Indikator dafür sein, dass irgendwas mit ihnen nicht stimmt.


Nein. Marx und Engels habe die frühen philosophisch-ökonomischen Manuskripte ausdrücklich - wie sie es nannten - zur eigenen "Selbstvergewisserung" verfasst. Dass sie nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren, hatte sie zum Zeitpunkt des Schreibens bestimmt und nicht etwa zu einem späteren Zeitpunkt. Der Zweck diese Manuskripte war die begriffliche und thematisch Vorbereitung der geplanten Veröffentlichungen. Das ist alles.

Einen wissenschaftlichen Anspruch hatte dennoch die dort entwickelten Begriffe schon. Sie finden sich nämlich in der späteren Werken im wesentlichen wieder - ergänzt nun aber durch neue wissenschaftliche - darunter übrigens auch empiriche - Forschungen.

Also: Es ist nicht nur empfehlenswert, die Frühschriften zu kennen, sondern es ist unerlässlich, um überhaupt die Spätschriften zu verstehen.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Das, was schon Hegel mit dem Paradigma der Verwirklichung einer Idee durch dessen Aufhebung dialektisch formuliert hat, hat Marx nicht einfach verworfen.


Marx hat die Dialektik nicht einfach verworfen, richtig. Und? Was hat das mit den Frühschriften zu tun? Was du hier sagst, betrifft doch viel eher Marx' Verhältnis zu Hegel als das Verhältnis des späten Marx zu seinen eigenen Frühschriften. Oder willst du sagen, dass Marx die Ideen der ökonomisch-philosophischen Manuskripte dadurch dialektisch verwirklicht, dass er zuerst auf ihre Veröffentlichung verzichtet, dann ihre philosophische Grundlage in Grund und Boden kritisiert, und sie dann als Bezug komplett aufgibt? Klar, so könnte man natürlich argumentieren... Cool


Zum Gefetteten:

Marx hat die Dialektik nicht verworfen, sondern "das Rationelle an der Methode, die Hegel entdeckt, aber zugleich mystifiziert hat" - s.o.! - "vom Kopf auf die Füße gestellt" und für die Analyse des Kapitalverhältnisses angewandt.

Was das mit den Frühschriften zu tun hat? Dort hat er z.B. eine Kritik an Hegels Rechtsphilosophie betrieben, was man mit dem "vom Kopf auf die Füße stellen" umschreiben kann. Das aber war doch für Marx erst die Voraussetzung für die Anwendung der wertvollen Teile der Hegel'schen Philosophie auf die Kapitalanalyse.

Weder von einer "Distanzierung" zu Hegel noch von einem "in Grund und Boden"-Kritisieren seiner ins materialistisch und wissenschaftliche gewendeten Methode kann ernsthaft die Rede sein.

Anders als etwa bei max Stirner oder Malthus. Diese Figuren hat Marx mit Recht als Reaktionäre durch und durch charakterisiert und richtig erkannt, dass an deren Theorien schon von Grund auf nichts Richtiges dran ist. Überhaupt kein Vergleich zu seiner Art der Kritik an Hegel und Feuerbach.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Aber nicht nur von Hegel, sondern auch von Feuerbach hat die marxistische Theorie ihren revolutionären Ansatz gewonnen.


Ist das der Grund, warum Marx in der Deutschen Ideologie Feuerbachs Philosophie als nichtrevolutionär, seinen Humanismus als den Humanismus des deutschen Bürgers kritisiert? Marx sagt's ganz klar: Seinen revolutionären Ansatz gewinnt er nicht aus der Beschäftigung mit deutschen Philosophen, sondern primär aus der Beschäftigung mit und dem Kontakt zu den damals im Entstehen befindlichen sozialistischen und kommunistischen Revolutionsbewegungen. Oder anders gesagt: Den revolutionären Ansatz gewinnt Marx' Theorie durch die entsprechende Praxis.


Wobei seine Kritik an der Praxis die war, dass die Praxis eine theorielose Praxis war. Marx war in seiner politischen Tätigkeit stets ein solidarischer Kritiker der sozialistischen Bewegungen und Parteien. Die Verbindung, die Dialektik von Theorie und Praxis und deren gegenseitige Höherentwicklung war ihm ein Anliegen.

Richtig ist natürlich, dass Klassenkampf nicht in der Lösung theoretischer Widersprüche besteht. Es kommt also darauf an, die Welt praktisch zu verändern, nicht nur philosophisch zu interpretieren.

Doch die korrekte Analyse der realen Widersprüche und nicht bloß der Widersprüche des Denkens erfordert dennoch eine gründliche Theorie, welche etwa den Schleier der bürgerlichen Ideologien durchlöchert und die gesellschaftlichen Verhältnisse offen darstellt.

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Es war ja übrigens so, dass etwa in den MEGA-Bänden die Frühschriften von Marx lange Zeit gar nicht enthalten waren. Für die Sowjetunion hat sich Stalin gegen ihre Herausgabe ausgesprochen. Und so dachte man auch unter *Experten* lange Zeit, die Frühschriften gehörten eigentlich gar nicht zum Marxismus; es reiche, sich die *reiferen* Werk anzusehen und *den Sozialismus zu verwirklichen*.

Das reicht meiner Ansicht nach nicht, sondern es verkürzt das Verstädnis auch und gerade von Marx & Engels *reiferen* Werken ...-

edit: "das Elend der Philosophie" richtete sich gegen Proudhon und seine Schrift "Die Philosophie des Elends", nicht gegen die Philosophie als solche.

#172:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 07.05.2016, 22:52
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Nun sind wir von der vermeintlichen Ablehnung Hegels und der gesamten Philosophie auch noch zur Kritik Marx' an Feuerbach gekommen.

Wie bitte? Ich habe nie behauptet, Marx hätte Hegel abgelehnt. Was ich gesagt hatte, war, dass Marx sein eigenes Entfremdungskonzept aus den ök.-phil. Manuskripten aufgegeben hat.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Das war nicht meine Absicht; ich hatte Feuerbachs Passage nur zitiert, um zu unterstreichen, dass Marx auch vom Vormärz-Revolutionär Feuerbach sehr wichtige Impulse aufgenommen hat, insbesondere Feuerbachs Religionskritik.

Nun, Marx war mehr oder weniger von Anfang an Religionskritiker, und dafür gibt es sogar biographische Gründe, die ein ganzes Stück weiter zurück reichen als seine Bekanntschaft mit Feuerbach, und u.A. mit seiner Jugend und seinem Verhältnis zu seinem Vater zu tun haben, aber auch mit den politischen Verhältnissen, unter denen er aufwuchs. Es stimmt, dass Marx zunächst Feuerbachs Religionskritik aufnimmt. Es ist aber nicht so, dass er sie lediglich erweitert. Die Deutsche Ideologie eröffnet der Religionskritik der damaligen Zeit vielmehr einen neuen Blickwinkel, aus dem auch Feuerbachs Humanismus noch als im Grunde genommen religiöses Phänomen erscheint.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Doch meine Aussage war eine andere. Ich habe dem Begriff "Distanzierung" widersprochen.

In gewisser Weise passt der Begriff auch nicht, aber anders als du meinst. Distanzierung ist eine defensive Haltung. Marx' Angriff auf den Humanismus der Junghegelianer (Feuerbach inklusive) in der Deutschen Ideologie war hingegen außerordentlich offensiv und polemisch. Dass Marx mit Bauer und Stirner am schärfsten ins Gericht geht, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier auch eine Abkehr vom Feuerbachschen Humanismus stattfindet.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Marx hat sich nicht von Hegels wertvollem Kern "distanziert".

Das war auch nicht die Behauptung. Meine Behauptung war, Marx habe sich vom Humanismus Feuerbachscher Provenienz abgewendet. Natürlich kann man die Frage stellen, was Marx von Feuerbach mitnimmt. Aber der Marx nach der Deutschen Ideologie ist kein Feuerbachianer mehr. Seine ganze Herangehensweise an gesellschaftliche und ökonomische Themen ist nicht mehr feuerbachianisch - weshalb er eben auch den Entfremdungsbegriff der ök.-phil. Manuskripte nicht mehr systematisch aufnehmen kann. Dass er die selben Produktionsverhältnisse auch später wieder kritisch thematisiert, stimmt natürlich. Nur funktioniert die Kritik nicht mehr so wie in den ök.-phil. Manuskripten.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Einen wissenschaftlichen Anspruch hatte dennoch die dort entwickelten Begriffe schon. Sie finden sich nämlich in der späteren Werken im wesentlichen wieder - ergänzt nun aber durch neue wissenschaftliche - darunter übrigens auch empiriche - Forschungen.

Im Kontext dieser Diskussion ist die Frage entscheidend, was sich alles nicht wiederfindet. Wo es im Spätwerk eine systematische Entwicklung des Entfremdungsbegriffs gibt, wüsste ich nicht.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Also: Es ist nicht nur empfehlenswert, die Frühschriften zu kennen, sondern es ist unerlässlich, um überhaupt die Spätschriften zu verstehen.

Willst du damit ernsthaft behaupten, Marx und Engels hätten wissentlich Schriften veröffentlicht, die für sich alleine genommen völlig unverständlich sind, und gleichzeitig genau die Schriften zurückgehalten, die als einzige zu einem Verständnis der veröffentlichten Schriften führen könnten? Dir ist schon klar, dass du den beiden damit extreme intellektuelle Unredlichkeit unterstellst?

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Was das mit den Frühschriften zu tun hat? Dort hat er z.B. eine Kritik an Hegels Rechtsphilosophie betrieben, was man mit dem "vom Kopf auf die Füße stellen" umschreiben kann.

Vieles in den Frühschriften steht vor allem selbst noch auf dem Kopf. Überhaupt ist diese Metapher weniger aussagekräftig als sie aussieht.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Wobei seine Kritik an der Praxis die war, dass die Praxis eine theorielose Praxis war.

Nicht allgemein. Erstens gab es bereits sozialistische Theorie aus dem Umkreis der entsprechenden politischen und sozialen Bewegungen, die von Marx auch durchaus kritisch behandelt wurde, und zweitens hielt Marx das Proletariat noch bis zum Kommunistischen Manifest für weitestgehend illusionslos - ein Irrtum, von dem er sich erst später befreit hat. Marx hat Theorielosigkeit in den diversen revolutionären Bewegungen nur da kritisiert, wo er sie tatsächlich vorgefunden hat.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Es war ja übrigens so, dass etwa in den MEGA-Bänden die Frühschriften von Marx lange Zeit gar nicht enthalten waren. Für die Sowjetunion hat sich Stalin gegen ihre Herausgabe ausgesprochen. Und so dachte man auch unter *Experten* lange Zeit, die Frühschriften gehörten eigentlich gar nicht zum Marxismus; es reiche, sich die *reiferen* Werk anzusehen und *den Sozialismus zu verwirklichen*.

Ich spreche mich nicht dafür aus, die ök.-phil. Manuskripte nicht zu lesen oder nicht zu veröffentlichen. Man muss sie nur richtig einordnen. Die Manuskripte beinhalten eine Reihe von Irrtümern, die Marx später als solche erkannt hat - weshalb er die entsprechenden Konzepte nicht oder nicht systematisch wieder aufnimmt. Dass darüber hinaus auch Richtiges in den Manuskripten steht, ist sehr gut möglich. Dass die Kenntnis der Manuskripte Einsicht in die Entwicklung des Marxschen Denkens in dieser frühen Phase geben kann, sollte auch klar sein.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Das reicht meiner Ansicht nach nicht, sondern es verkürzt das Verstädnis auch und gerade von Marx & Engels *reiferen* Werken ...-

Vielleicht wäre es hilfreich, wenn du konkretisieren könntest, in welcher Weise es das Verständnis des Spätwerks verkürzt.

Kennst du übrigens Sahra Wagenknechts Arbeit über die ök.-phil. Manuskripte? Der Titel ist Vom Kopf auf die Füße? Zur Hegelrezeption des jungen Marx, oder: Das Problem einer dialektisch-materialistischen Wissenschaftsmethode. M.E. eine ganz ausgezeichnete Arbeit und definitiv mehr als einen Blick wert.

#173:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 07.05.2016, 23:20
    —
schtonk hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

[...]

Der positive, dh. wissenschaftliche Charakter aller Forschungsarbeit war für Comte eben diese wechselseitige Abhängigkeit von Theorie und Empirie.

Ja, das war schon sehr fortschrittlich im ersten Drittel des 19. Jhdts.

Wirklich?

Aristoteles, Alhazen, Grosseteste, Roger Bacon, Francis Bacon haben das Thema auch schon beharkt. Was hat Comte dem Neues hinzugefügt?

Vergleiche Francis Bacon:

smallie hat folgendes geschrieben:



Zitat:
Francis Bacon - Novum Organum (1620)

To move from the sensible to the real requires the correction of the senses, the tables of natural history, the abstraction of propositions and the induction of notions. In other words, the full carrying out of the inductive method is needed.

http://plato.stanford.edu/entries/francis-bacon/


Hume hat die induktive Methode später angegriffen und sinngemäß gesagt, daß Steine heute und gestern und vorgestern zu Boden gefallen sind, sei kein Beweis, daß sie auch morgen noch zu Boden fallen. Da hat er recht, und damit Poppers Argument vorweggenommen.

Ich müßte mich aber mit dem Klammerbeutel pudern, um auf ein Beispiel zu kommen, in dem Steine nach oben fallen.


schtonk hat folgendes geschrieben:
Auf ihn geht auch die "Soziologie" zurück.

Der Begriff geht auf Comte zurück, das Fachgebiet selbst ist älter. Das gab es schon bei Ibn Khaldun.

Ob Platons zoon politikon auch schon Soziologie ist?



schtonk hat folgendes geschrieben:
Bis dahin dachte man über gesellschaftliche Zusammenhänge rein mechanistisch (soziale Physik).

Das verstehe ich nicht.

Jede Theorie stellt einen mechanistischen Zusammenhang zwischen verschiedenen Größen fest. nee



schtonk hat folgendes geschrieben:
Das Positive/der Positivismus wurde ja über 100 Jahre später zuungunsten der reinen Logik der Empirie kritisch hinterfragt,
von Popper und Adorno, die sich teils einig, in grundlegenden Dingen aber uneinig waren. Hatte dieser Positivismusstreit auch Auswirkungen auf die Philosophie?

Das ist ein sehr gute Frage. Bin schon gespannt, ob und welche Antworten dazu kommen. Pfeifen


EDIT: Zitat korrigiert. Da ist mir ein aktueller Kommentar hineingerutscht.


Zuletzt bearbeitet von smallie am 08.05.2016, 15:19, insgesamt einmal bearbeitet

#174:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 08.05.2016, 00:35
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Ob Platons zoon politikon auch schon Soziologie ist?

Nein, das fällt unter philosophische Anthropologie und Staatsphilosophie.

#175:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 08.05.2016, 14:03
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Nun sind wir von der vermeintlichen Ablehnung Hegels und der gesamten Philosophie auch noch zur Kritik Marx' an Feuerbach gekommen.

Wie bitte? Ich habe nie behauptet, Marx hätte Hegel abgelehnt. Was ich gesagt hatte, war, dass Marx sein eigenes Entfremdungskonzept aus den ök.-phil. Manuskripten aufgegeben hat.


Hat er das? Marx hat den Entfremdungsbegriff Hegels schon früh kritisiert und dargelegt, inwiefern dieser Hegel'sche Begriff bloß die Entfremdung vom menschlichen Selbstbewusstsein des Menschen als quasi *geistiges Wesen* betrifft, während Marx bereits früh klartellt, dass die materielle Lebens- und Produktionsweise des Menschen als Teil der Menschheit entscheidend ist. Dabei *entschuldigt* sich Marx quasi dafür, dass er bei der Formulierung dieses seine Gedankens anfangs noch eine philsophische Phraseologie benutzt, was aber nichts daran ändert, dass der Inhalt bereits von Anfang an in eine materialistische Richtung verweist, was auch der eigentliche Ansporn der Kritik Hegels ist. Diese Kritik war aber irgendwann abgeschlossen und damit auch die philsophische Phraseologie.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Doch meine Aussage war eine andere. Ich habe dem Begriff "Distanzierung" widersprochen.


In gewisser Weise passt der Begriff auch nicht, aber anders als du meinst. Distanzierung ist eine defensive Haltung. Marx' Angriff auf den Humanismus der Junghegelianer (Feuerbach inklusive) in der Deutschen Ideologie war hingegen außerordentlich offensiv und polemisch. Dass Marx mit Bauer und Stirner am schärfsten ins Gericht geht, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier auch eine Abkehr vom Feuerbachschen Humanismus stattfindet.


Die grundsätzliche Wertschäftzung und Dankbarkeit für Feuerbach blieb. Marx hatte ihm einiges zu verdanken, im Gegensatz zu Bauer und Stirner, die einfach nur völlig daneben waren, in einfach allem.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Marx hat sich nicht von Hegels wertvollem Kern "distanziert".


Das war auch nicht die Behauptung. Meine Behauptung war, Marx habe sich vom Humanismus Feuerbachscher Provenienz abgewendet. Natürlich kann man die Frage stellen, was Marx von Feuerbach mitnimmt. Aber der Marx nach der Deutschen Ideologie ist kein Feuerbachianer mehr. Seine ganze Herangehensweise an gesellschaftliche und ökonomische Themen ist nicht mehr feuerbachianisch - weshalb er eben auch den Entfremdungsbegriff der ök.-phil. Manuskripte nicht mehr systematisch aufnehmen kann. Dass er die selben Produktionsverhältnisse auch später wieder kritisch thematisiert, stimmt natürlich. Nur funktioniert die Kritik nicht mehr so wie in den ök.-phil. Manuskripten.


Das kann man so stehen lassen.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Einen wissenschaftlichen Anspruch hatte dennoch die dort entwickelten Begriffe schon. Sie finden sich nämlich in der späteren Werken im wesentlichen wieder - ergänzt nun aber durch neue wissenschaftliche - darunter übrigens auch empiriche - Forschungen.


Im Kontext dieser Diskussion ist die Frage entscheidend, was sich alles nicht wiederfindet. Wo es im Spätwerk eine systematische Entwicklung des Entfremdungsbegriffs gibt, wüsste ich nicht.


Marx hat in den Grundrissen bereits den Entfremdungsbegriff mit der bürgerlichen Arbeitsteilung und Lohnarbeit verknüpft, also mit dem Begriff der Arbeit unter den Bedingungen des Kapitals. Diese Konkretisierung war aber schon in ganh allgemeiner Form von Anfang an vorbereitet. Nun kam die wissenschaftliche Bestimmung der menschlichen Entfremdung, die er allerdings tatsächlich mehr implizit beschreibt, auch wenn hin und wieder direkt Aussagen dazu im Kapital aufblitzen:

Zitat:
Die Teilung der Arbeit vereinseitigt diese Arbeitskraft zum ganz partikularisierten Geschick, ein Teilwerkzeug zu führen. (...) Übrigens ist die "zeitliche" Wirkung der Maschinerie permanent, indem sie beständig neue Produktionsgebiete ergreift. Die verselbständigte und entfremdete Gestalt, welche die kapitalistische Produktionsweise überhaupt den Arbeitsbedingungen und dem Arbeitsprodukt gegenüber dem Arbeiter gibt, entwickelt sich also mit der Maschinerie zum vollständigen Gegensatz. Daher mit ihr zum erstenmal die brutale Revolte des Arbeiters gegen das Arbeitsmittel.

"Maschinerie und große Industrie", S. 455

Scheidung zwischen dem Arbeitsprodukt und der Arbeit selbst, zwischen den objektiven Arbeitsbedingungen und der subjektiven Arbeitskraft, war also die tatsächlich gegebne Grundlage, der Ausgangspunkt des kapitalistischen Produktionsprozesses. (...) Einerseits verwandelt der Produktionsprozeß fortwährend den stofflichen Reichtum in Kapital, in Verwertungs- und Genußmittel für den Kapitalisten. Andrerseits kommt der Arbeiter beständig aus dem Prozeß heraus, wie er in ihn eintrat - persönliche Quelle des Reichtums, aber entblößt von allen Mitteln, diesen Reichtum für sich zu verwirklichen.

Da vor seinem Eintritt in den Prozeß seine eigne Arbeit ihm selbst entfremdet, dem Kapitalisten angeeignet und dem Kapital einverleibt ist, vergegenständlicht sie sich während des Prozesses beständig in fremdem Produkt. Da der Produktionsprozeß zugleich der Konsumtionsprozeß der Arbeitskraft durch den Kapitalisten, verwandelt sich das Produkt des Arbeiters nicht nur fortwährend in Ware, sondern in Kapital, Wert, der die wertschöpfende Kraft aussaugt, Lebensmittel, die Personen kaufen, Produktionsmittel, die den Produzenten anwenden. Der Arbeiter selbst produziert daher beständig den objektiven Reichtum als Kapital, ihm fremde, ihn beherrschende und ausbeutende Macht, und der Kapitalist produziert ebenso beständig die Arbeitskraft als subjektive, von ihren eignen Vergegenständlichungs- und Verwirklichungsmitteln getrennte, abstrakte, in der bloßen Leiblichkeit des Arbeiters existierende Reichtumsquelle, kurz den Arbeiter als Lohnarbeiter.


"Der Akkumulationsprozeß des Kapitals", S. 596

Das stets wachsende Gewicht der im lebendigen Arbeitsprozeß unter der Form von Produktionsmitteln mitwirkenden vergangnen Arbeit wird also ihrer dem Arbeiter selbst, dessen vergangne und unbezahlte Arbeit sie ist, entfremdeten Gestalt zugeschrieben, ihrer Kapitalgestalt.

"Verwandlung von Mehrwert in Kapital", S. 635

Alle Zitate aus: MEW 23, "Das Kapital", Bd. I


Die Kategorien "Arbeitsteilung" - "Vergesellschaftsform der Arbeit" - "Abstraktion vom Arbeitszweck", aber auch "Verdinglichung" oder "Fetischisierung" werden hier im *Spätwerk* zu postphilosophischen Konkretisierungen des Entfremdungsthemas, welches deshalb kein bloßes *Relikt* früherer Zeiten ist, weil es Bezug zu Hauptwiderspruch des Kapitalverhältnisses hat, nämlich dem Widerspruch Tauschwert-Gebrauchwert.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Also: Es ist nicht nur empfehlenswert, die Frühschriften zu kennen, sondern es ist unerlässlich, um überhaupt die Spätschriften zu verstehen.

Willst du damit ernsthaft behaupten, Marx und Engels hätten wissentlich Schriften veröffentlicht, die für sich alleine genommen völlig unverständlich sind, und gleichzeitig genau die Schriften zurückgehalten, die als einzige zu einem Verständnis der veröffentlichten Schriften führen könnten? Dir ist schon klar, dass du den beiden damit extreme intellektuelle Unredlichkeit unterstellst?


Nein, diese Unterstellung einer Unterstellung muss ich zurückweisen.

Aber wenn man versucht, ein Buch allein aus seinen Schlusskapiteln zu verstehen, wird man oft nicht weit kommen. Das Marx'sche Werk ist nicht nur in seiner Entwicklung, sondern auch in seinen Kerninhalten meiner Ansicht nach als *Gesamtkunstwerk* zu betrachten - mit Fehlern, zweifellos, mit Korrekturen immer wieder, aber diese sind eben nie einfache Negationen (- "Distanzierungen", "in Grund und Boden kritisieren" -), das sollte man beachten.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Wobei seine Kritik an der Praxis die war, dass die Praxis eine theorielose Praxis war.


Nicht allgemein. Erstens gab es bereits sozialistische Theorie aus dem Umkreis der entsprechenden politischen und sozialen Bewegungen, die von Marx auch durchaus kritisch behandelt wurde, und zweitens hielt Marx das Proletariat noch bis zum Kommunistischen Manifest für weitestgehend illusionslos - ein Irrtum, von dem er sich erst später befreit hat. Marx hat Theorielosigkeit in den diversen revolutionären Bewegungen nur da kritisiert, wo er sie tatsächlich vorgefunden hat.


Er hat keine falschen Theorien kritisiert? Man kann wohl schlecht ene Theorie kritisieren, die noch nicht da ist. Wie gesagt, die solidarische Kritik an dem sozialen Bewegungen war die Methode seines politischen Eingreifens. Dabei kam es auch zu so lustigen Auseinandersetzungen wie mit den Anarchisten um Bakunin. Cool

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Es war ja übrigens so, dass etwa in den MEGA-Bänden die Frühschriften von Marx lange Zeit gar nicht enthalten waren. Für die Sowjetunion hat sich Stalin gegen ihre Herausgabe ausgesprochen. Und so dachte man auch unter *Experten* lange Zeit, die Frühschriften gehörten eigentlich gar nicht zum Marxismus; es reiche, sich die *reiferen* Werk anzusehen und *den Sozialismus zu verwirklichen*.


Ich spreche mich nicht dafür aus, die ök.-phil. Manuskripte nicht zu lesen oder nicht zu veröffentlichen. Man muss sie nur richtig einordnen. Die Manuskripte beinhalten eine Reihe von Irrtümern, die Marx später als solche erkannt hat - weshalb er die entsprechenden Konzepte nicht oder nicht systematisch wieder aufnimmt. Dass darüber hinaus auch Richtiges in den Manuskripten steht, ist sehr gut möglich. Dass die Kenntnis der Manuskripte Einsicht in die Entwicklung des Marxschen Denkens in dieser frühen Phase geben kann, sollte auch klar sein.


Die Manuskripte sind so etwas wie ein faszinierender Einblick in die Gedankenwerkstatt *der Beiden* und ist nur zu empfehlen. Man sollte sie nicht unterschätzen. Fast alle Keime späterer Gedanken sind darin schon enthalten oder deuten sich an.

In der von Barbara Zehnpfennig herausgegebenen Edition der "Ökonomisch-Philosophischen Manuskripte" schreibt sie im Einleitungstext:

Zitat:
Die frühen, erstmals 1932 aus dem Nachlaß publizierten "Ökonomisch-philosophischen Manuskripte" (auch: Pariser Manuskripte) bieten einen Schlüsseltext für das philosophische Verständnis des Marxschen Gesamtwerks, der Antrieb und Zielpunkt seines Denkens offenlegt, also das benennt, was in den ökonomischen Analysen der späteren Zeit vorausgesetzt, aber nicht mehr ausgesprochen wird.

https://meiner.de/oekonomisch-philosophische-manuskripte.html


Man kann m.E. von einem einheitlichen Forschungsprozeß der Untersuchung philosophischer und ökonomischer Fragestellungen ausgehen.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Das reicht meiner Ansicht nach nicht, sondern es verkürzt das Verstädnis auch und gerade von Marx & Engels *reiferen* Werken ...-

Vielleicht wäre es hilfreich, wenn du konkretisieren könntest, in welcher Weise es das Verständnis des Spätwerks verkürzt.


Das kann man mit einem Film vergleichen, in dem viele versteckte Anspielungen auf frühere Episoden oder auch reale Ereignisse vorkommen und den man nur dann wirklich verstehen kann, wenn man jene Episoden oder Ereignisse bereits kennt.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Kennst du übrigens Sahra Wagenknechts Arbeit über die ök.-phil. Manuskripte? Der Titel ist Vom Kopf auf die Füße? Zur Hegelrezeption des jungen Marx, oder: Das Problem einer dialektisch-materialistischen Wissenschaftsmethode. M.E. eine ganz ausgezeichnete Arbeit und definitiv mehr als einen Blick wert.


Du meinst, Sahra Wagenknecht hat nach ihre letzten, etwas schwächeren Verlautbarungen auch mal eine vernünftige Arbeit hinbekommen? Und das soll ich glauben? Sehr glücklich

Nee, Spaß bei Seite. Ich denke, es ist ein wichtiges Buch zum Thema.

Aber ich habe da auch eine 60-seitige Arbeit, die ich dir empfehlen kann:

Ingo Elbe: Entfremdete und abstrakte Arbeit. Marx' Ökonomisch-philosophische Manuskripte im Vergleich zu seiner späteren Kritik der politischen Ökonomie

Sowohl Marx als auch Hegel sind m.E. philosophisch-theoretische Brocken, an denen man kaum vorbei kommt, wenn man politisch-ökonomische Ereignisse analysieren möchte.

Dagegen sieht jedenfalls der krude Positivismus (Comte) oder Empirismus (Mach, Avenarius) etwas blaß aus, würde ich sagen, aber auch die postmodernen Sprachshows, die offenbar nur für *Eingeweihte* verfasst werden und zum Verständnis der Welt wenig beitragen können ...-

#176:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 08.05.2016, 17:31
    —
Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Ich finde tatsächlich, dass Philosophie nur als Sprachanalyse auf eine Weise betrieben werden kann, die mit den Wissenschaften kompatibel ist, denn anders können die "philosophischen Gegenstände" (etwa Begriffe wie Gegenstand, Möglichkeit/Notwendigkeit, Wahrheit, Kausalität usw.) m.E. nicht so gefasst werden, dass sie intersubjektiv zugänglich sind. Aus diesem Grund halte ich auch ältere philosophische Texte für tendenziell obskurer. Da man hier noch versucht hat, diese Gegenstände etwa als Dinge an sich oder als mentale Gegenstände durch Reflexion auf das eigene Bewusstsein usw. zu modellieren.


Dass die Philosophie und insbesondere die Metaphysik wissenschaftskompatibel sein soll, d.h. dass sie mit dem wissenschaftlichen Wissen vereinbar sein soll, steht außer Frage.

Die logischen Positivisten/Empiristen reduzierten die Philosophie auf Wissenschaftstheorie (-logik & -semantik). In meinen Augen ist die analytische Untersuchung und Klärung von Begriffen und Aussagen jedoch nur ein Mittel zum Zweck. Linguistik und Logik sind Hilfsdisziplinen der Metaphysik, aber kein Ersatz für sie. Denn die Metaphysik will nicht nur über das Sprechen über Gott und die Welt sprechen, sondern über Gott und die Welt.

Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Natürlich können die entsprechenden Probleme, Lösungsversuche und Argumente auch sehr gut sein und die Texte entsprechend lesenswert, durch diese problematischen Herangehensweisen sind sie aber insgesamt eher unklar bzw. der Zugang wird erschwert, weil man sie gewissermaßen erstmal "in die heutige Sprache übersetzen" muss, wenn man wirklich mit ihnen arbeiten will (sie also nicht aus rein historischen Gründen studiert).


Ja, je älter ein Text ist, desto unvertrauter ist die Sprache. Andererseits hat man bei älteren Texten die Gelegenheit, mal wieder richtig gutes Deutsch zu lesen (worin es noch nicht von Anglizismen wimmelt). Und mit deutschen Texten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts sollte ein Muttersprachler eigentlich keine Schwierigkeiten haben.

#177:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 08.05.2016, 17:36
    —
+++Die Marx-Hegel-Feuerbach-Diskussion ist hier fehl am Platze!+++

#178:  Autor: schtonk BeitragVerfasst am: 08.05.2016, 18:10
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
+++Die Marx-Hegel-Feuerbach-Diskussion ist hier fehl am Platze!+++

Wenn du eine Anregung hast, kannst du eine PN an die Moderation schicken.
Fettgedrucktes Besserwissertum muss nicht sein.

#179:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 08.05.2016, 18:25
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

Linguistik und Logik sind Hilfsdisziplinen der Metaphysik, aber kein Ersatz für sie. Denn die Metaphysik will nicht nur über das Sprechen über Gott und die Welt sprechen, sondern über Gott und die Welt.

Also so eine Art Religion.

Myron hat folgendes geschrieben:

Ja, je älter ein Text ist, desto unvertrauter ist die Sprache. Andererseits hat man bei älteren Texten die Gelegenheit, mal wieder richtig gutes Deutsch zu lesen (worin es noch nicht von Anglizismen wimmelt).

Ja, das Gefühl kann ich nachvollziehen. zwinkern

Myron hat folgendes geschrieben:

Und mit deutschen Texten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts sollte ein Muttersprachler eigentlich keine Schwierigkeiten haben.

So, meinst du? Na, zumindest sollte man sich klar darüber sein, daß jemand der am Ende des 19. Jh. über Philosophie und Wissenschaften spricht, nicht die des 21. Jh. meinen kann.

#180:  Autor: Waldwuffel BeitragVerfasst am: 08.05.2016, 18:32
    —
Das "in die heutige Sprache übersetzen" habe ich ja bewusst in Anführungszeichen gesetzt. Ich meinte damit natürlich nicht, dass man das alte Deutsch erst übersetzen müsse, sondern dass man den alten, problematischen philosophischen (etwa bewusstseinsphilosophischen) Ansatz gewissermaßen in die heutige philosophische Sprache "übersetzen" muss, wenn man mit einem solchen Text wirklich philosophisch arbeiten will (ihn also nicht einfach als historisches Dokument studiert).

Und doch, ich finde, dass die Philosophie, wenn sie sinnvoll, v.a. wissenschaftskompatibel, sein soll, eher damit beschäftigt ist, wie "über Gott und die Welt gesprochen" wird. Bei Fragen wie: "was ist ein Gegenstand?", kann man erstmal antworten, dass "Gegenstand" ein Wort ist. Bzw. man kann diese Frage umformulieren in: "was bedeutet das Wort 'Gegenstand'?". Damit bleibt meiner Ansicht nach auch alles Wesentliche einer solchen philosophischen Frage erhalten, während problematische Annahmen wie etwa die, dass es so etwas wie "den Gegenstand" irgendwie als irgendein abstraktes Etwas irgendwo in der Welt geben könnte, von vornherein ausgeschlossen werden.

#181:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 08.05.2016, 19:08
    —
schtonk hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
+++Die Marx-Hegel-Feuerbach-Diskussion ist hier fehl am Platze!+++

Wenn du eine Anregung hast, kannst du eine PN an die Moderation schicken.
Fettgedrucktes Besserwissertum muss nicht sein.


Du pflaumst mich dafür an, dass ich auf die Deplatziertheit einer Nebendiskusssion hinweise? Geht's noch, Herr Moderator?! Wenn du deinen Job gemacht hättest, dann hätte meine Ermahnung nicht sein müssen.

#182:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 08.05.2016, 19:14
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Linguistik und Logik sind Hilfsdisziplinen der Metaphysik, aber kein Ersatz für sie. Denn die Metaphysik will nicht nur über das Sprechen über Gott und die Welt sprechen, sondern über Gott und die Welt.

Also so eine Art Religion.


Nein, so eine Art Philosophie.

#183:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 08.05.2016, 19:21
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Linguistik und Logik sind Hilfsdisziplinen der Metaphysik, aber kein Ersatz für sie. Denn die Metaphysik will nicht nur über das Sprechen über Gott und die Welt sprechen, sondern über Gott und die Welt.

Also so eine Art Religion.

Nein, so eine Art Philosophie.


So wie Habermas?

#184:  Autor: schtonk BeitragVerfasst am: 08.05.2016, 19:31
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
schtonk hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
+++Die Marx-Hegel-Feuerbach-Diskussion ist hier fehl am Platze!+++

Wenn du eine Anregung hast, kannst du eine PN an die Moderation schicken.
Fettgedrucktes Besserwissertum muss nicht sein.


Du pflaumst mich dafür an, dass ich auf die Deplatziertheit einer Nebendiskusssion hinweise? Geht's noch, Herr Moderator?! Wenn du deinen Job gemacht hättest, dann hätte meine Ermahnung nicht sein müssen.

1. Du hast hier keine "Ermahnung" zu schreiben.
2. Du hast nicht meinen "Job" zu beurteilen.
3. Habe ich den Weg eines Einwandes/einer Anregung genannt.

#185:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 08.05.2016, 20:36
    —
Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Und doch, ich finde, dass die Philosophie, wenn sie sinnvoll, v.a. wissenschaftskompatibel, sein soll, eher damit beschäftigt ist, wie "über Gott und die Welt gesprochen" wird. Bei Fragen wie: "was ist ein Gegenstand?", kann man erstmal antworten, dass "Gegenstand" ein Wort ist. Bzw. man kann diese Frage umformulieren in: "was bedeutet das Wort 'Gegenstand'?". Damit bleibt meiner Ansicht nach auch alles Wesentliche einer solchen philosophischen Frage erhalten, während problematische Annahmen wie etwa die, dass es so etwas wie "den Gegenstand" irgendwie als irgendein abstraktes Etwas irgendwo in der Welt geben könnte, von vornherein ausgeschlossen werden.


Natürlichen denken Philosophen in Begriffen, aber sie denken mittels dieser über Gegenstände (im weitesten Sinne des Wortes) in der Welt nach (einschließlich der Begriffe selbst). Viele zeitgenössische Philosophen denken, dass die alte Metaphysik mit ihrem aristotelischen Realismus und der entsprechenden Auffassung der Ontologie als "Seinswissenschaft" seit Kant und dessen Konzeptualismus – Ontologie nur noch als "Begriffswissenschaft", als "Ideologie" im wörtlichen Sinne als Ideenlehre – tot sei. Dem kantianischen Konzeptualismus zufolge ist der Untersuchungsgegenstand der Metaphysik nicht die Realität selbst, sondern unsere Repräsentationen der Realität. Dass diese die Realität in ihrem "Ansichsein" erfassen können, wird bezweifelt oder gar verneint. Von hier ist der Weg nicht mehr weit zu einem antirealistischen Konventionalismus, der in der Metaphysik nicht mehr sieht als ein willkürliches Spiel mit Begriffen, eine bloße Begriffsdichtung, die der Kunst zuzuordnen ist und nicht der Wissenschaft. Das war die Auffassung der logischen Positivisten wie z.B. Carnap.

Übrigens, die Metaphysik ist in zwei Hauptbereiche unterteilbar, wobei es keine scharfe Abgrenzung gibt. Donald Williams unterscheidet zwischen analytischer Ontologie (analytic ontology) und spekulativer Kosmologie (speculative cosmology). Diese entspricht praktisch Christian Wolffs Unterscheidung zwischen metaphysica generalis sive ontologia und metaphysica specialis, sowie Edmund Husserls Unterscheidung zwischen formaler Ontologie und materialer/regionaler Ontologie.

Die analytische Ontologie ist allgemeiner und themenneutraler als die spekulative Kosmologie, weil sie sich als Kategorienlehre mit den Grundbegriffen des Seins bzw. Denkens befasst, welche in den besonderen Bereichen der Kosmologie grundlegende Anwendung finden. So setzt beispielsweise die generelle Ontologie der Objekte keine besondere Theorie über die Welt voraus, z.B. diejenige, dass es nur materielle Objekte gibt. Sie stellt allgemeinste und grundlegendste Fragen wie "Was ist eine Eigenschaft überhaupt und gibt es so etwas wirklich?".

Ob die zeitgenössische Metaphysik noch als spekulative, rationale (im Gegensatz zur empirischen, nicht zur irrationalen) Kosmologie praktizierbar ist und nicht nur noch als analytische Ontologie im konzeptualistischen Sinne einer rein deskriptiven Analyse von Begriffen und Begriffssystemen (in welchem Fall die Bezeichnung "analytische Ideologie" passender wäre), ist eine heiß umstrittene Frage.

Ich meine, dass man auch heutzutage noch gerechtfertigterweise ernsthafte und sinnvolle Metaphysik betreiben kann, die sich nicht mit logisch-semantischen Analysen zufriedengibt. Das ist allerdings nur in Partnerschaft mit der und nicht in Gegnerschaft zur Wissenschaft möglich.

Die zeitgenössischen Metaphysiker sollten jedoch ehrlicherweise den früheren apriorisch-dogmatischen Anspruch und die Hoffnung auf metaphysisches Wissen (synthetisches Wissen a priori) und metaphysische Gewissheiten aufgeben und stattdessen epistemische Bescheidenheit und Vorsichtigkeit bezüglich ihrer Annahmen und Behauptungen an den Tag legen.

#186:  Autor: Waldwuffel BeitragVerfasst am: 08.05.2016, 21:29
    —
Was soll denn eine solche spekulative Metaphysik deiner Ansicht nach leisten?

#187: Demokrit Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 08.05.2016, 21:40
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Ich meine, dass man auch heutzutage noch gerechtfertigterweise ernsthafte und sinnvolle Metaphysik betreiben kann, die sich nicht mit logisch-semantischen Analysen zufriedengibt. Das ist allerdings nur in Partnerschaft mit der und nicht in Gegnerschaft zur Wissenschaft möglich.

Die zeitgenössischen Metaphysiker sollten jedoch ehrlicherweise den früheren apriorisch-dogmatischen Anspruch und die Hoffnung auf metaphysisches Wissen (synthetisches Wissen a priori) und metaphysische Gewissheiten aufgeben und stattdessen epistemische Bescheidenheit und Vorsichtigkeit bezüglich ihrer Annahmen und Behauptungen an den Tag legen.


Ich finde auch, dass den Metaphysikern etwas weniger Dogmatismus und mehr Bescheidenheit gut zu Gesicht stünde.

Die Anregung der Anbindung der Philosophie an die modernen Wissenschaften wurde oben bereits geäußert. Stichwörter waren: Philosophie der Physik, der Biologie, der Ökonomie, etc.

Angeblich soll das aber hier keinen Platz haben. Das ist dem Metaphysiker wohl etwas zuviel Partnerschaft zur Wissenschaft. Dann lieber weiter die Kategoriensysteme wälzen. Cool

Auch der griechische Philosoph Demokrit hat nicht nur Philosophie betrieben, sondern sich mit wissenschaftlichen Theorien beschäftigt.

Sehr interessant finde ich z.B. seine Atomtheorie:

Zitat:
Atomistischer Materialismus

Wie sein Lehrer Leukipp – und in Abweichung von dessen Lehrer Parmenides[3] – postulierte er, dass die gesamte Natur aus kleinsten, unteilbaren Einheiten, den Atomen, zusammengesetzt sei. Demokrits zentrale Aussage dazu lautet (gemäß einem Dokument von Galen aus dem 2. Jahrhundert):[4]

„Nur scheinbar hat ein Ding eine Farbe, nur scheinbar ist es süß oder bitter; in Wirklichkeit gibt es nur Atome im leeren Raum.“

Jedes dieser Atome sollte fest und massiv, aber nicht gleich sein. Es gebe unendlich viele Atome: runde, glatte, unregelmäßige und krumme. Wenn diese sich einander näherten, zusammenfielen oder miteinander verflöchten, dann erschienen die einen als Wasser, andere als Feuer, als Pflanze oder als Mensch. (...)

Alles, was sich im Weltall bewege, gründe entweder auf Zufall oder auf Notwendigkeit. Diese Lehre ist ein konsequenter und atomistischer Materialismus. Die wesentlichen Grundzüge finden sich bei den materialistisch gesinnten Naturforschern späterer Perioden beinahe unverändert wieder. (...)

Wie neuere Forschungen zeigen, hat sich Demokrit auch ausführlich mit medizinischen und biologischen Fragen beschäftigt. Aristoteles würdigte Demokrit als einen Pionier der biologischen Forschung. So hat Demokrit eine Reihe von biologischen Schriften verfasst, von denen aber keine vollständig erhalten ist. Diogenes Laertius 9,46-49 überliefert insgesamt 70 Titel des Demokrit. Darunter sind fünf medizinische Schriften (...)

Demokrit soll zusammen mit Anaxagoras die Ansicht vertreten haben, dass die Milchstraße eine Anhäufung von Sternen sei. Das wurde erst nach Erfindung des Fernrohrs durch Galileo Galilei bestätigt.


Demokrit (griechisch Δημόκριτος Dēmókritos, auch Demokrit von Abdera; * 460/459 v. Chr. in Abdera in Thrakien verstarb vermutlich † 371 v. Chr.) war ein antiker griechischer Philosoph, der den Vorsokratikern zugerechnet wird. Als Schüler des Leukipp wirkte und lehrte er in seiner Heimatstadt Abdera; er selber beeinflusste Epikur.

https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Demokrit&oldid=153406380




Demokrit: Universalgelehrter der Antike

Der Faden der überragenden griechischen Hochkultur und kulturellen Wiege Europas, den auch Demokrit sponn, wurde durch die christliche und mittelalterliche Epoche vorübergehend zerrissen.

Aber die Art Demokrits, Philosophie zu betreiben, bleibt ein großes Vorbild auch für die heutige Philosophie, finde ich ...-

#188:  Autor: Waldwuffel BeitragVerfasst am: 08.05.2016, 22:42
    —
Wie meinst du denn das? Dass Philosophen heute noch oder wieder spekulative Naturphilosophie betreiben sollten? Am Kopf kratzen

#189: Re: Demokrit Autor: Myron BeitragVerfasst am: 08.05.2016, 23:03
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Angeblich soll das aber hier keinen Platz haben. Das ist dem Metaphysiker wohl etwas zuviel Partnerschaft zur Wissenschaft. Dann lieber weiter die Kategoriensysteme wälzen.


Die ontologische Kategorienlehre ist von grundlegender Bedeutung für die theoretische Wissenschaft.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Auch der griechische Philosoph Demokrit hat nicht nur Philosophie betrieben, sondern sich mit wissenschaftlichen Theorien beschäftigt.
Sehr interessant finde ich z.B. seine Atomtheorie:…


…welche eine metaphysische Theorie war und ist.
Im Übrigen ist die Trennung von Philosophie und Wissenschaft neuzeitlichen Ursprungs. So trägt z.B. Newtons berühmtestes Werk von 1686 noch den Titel "Philosophiae Naturalis Principia Mathematica", "Mathematische Grundsätze der Naturphilosophie", nicht "Mathematische Grundsätze der Naturwissenschaft".

Es gibt keine (scharfe) Grenze zwischen der Metaphysik als philosophischen Kosmologie und der wissenschaftlichen Kosmologie. Erstere ist der theoretischste, spekulativste Teil der theoretischen Kosmologie.

"Metaphysics is the most general department of a common enquiry into both the particularities and the generalities of existence, which is a seamless web from the particular claims of natural history onwards through ever-increasingly general theses in the theoretical and mathematical sciences."

"Die Metaphysik ist die allgemeinste Abteilung einer gemeinsamen Erforschung sowohl der Einzelheiten als auch der Allgemeinheiten des Seins, die von den Einzelthesen der Naturgeschichte bis zu den immer allgemeiner werdenden Thesen in den theoretischen und mathematischen Wissenschaften ein nahtloses Netzwerk ist."

[© meine Übers.]

(Campbell, Keith. Abstract Particulars. Oxford: Blackwell, 1990. p. 2)

#190:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 08.05.2016, 23:07
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Hat er das? Marx hat den Entfremdungsbegriff Hegels schon früh kritisiert und dargelegt, inwiefern dieser Hegel'sche Begriff bloß die Entfremdung vom menschlichen Selbstbewusstsein des Menschen als quasi *geistiges Wesen* betrifft, während Marx bereits früh klartellt, dass die materielle Lebens- und Produktionsweise des Menschen als Teil der Menschheit entscheidend ist.

Ja. Der Unterschied ist der, dass Marx in den Manuskripten noch meinte, den Entfremdungsbegriff zur Kritik der bestehenden Verhältnisse mobilisieren zu können, während er später erkannte, dass der Entfremdungsbegriff sich nicht systematisch zur Kritik materieller Verhältnisse verwenden lässt, ohne sich damit auch entweder den Hegelschen Idealismus oder ein an Feuerbach angelehntes idealisiertes Konzept "des Menschen" philosophisch einzukaufen. Deshalb verwendet und entwickelt er den Begriff der Entfremdung in späteren Werken zumindest nicht mehr systematisch, sondern benutzt primär andere Begriffe, um die Phänomene ökonomischer Ausbeutung und ihre psychologischen Folgen zu beschreiben.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Dabei *entschuldigt* sich Marx quasi dafür, dass er bei der Formulierung dieses seine Gedankens anfangs noch eine philsophische Phraseologie benutzt, was aber nichts daran ändert, dass der Inhalt bereits von Anfang an in eine materialistische Richtung verweist, was auch der eigentliche Ansporn der Kritik Hegels ist. Diese Kritik war aber irgendwann abgeschlossen und damit auch die philsophische Phraseologie.

"In eine materialistische Richtung verweisen" ist aber eben nicht das selbe wie materialistisch sein. Dass Marx' immanente Kritik des Idealismus für die Entwicklung des Marxschen Materialismus notwendig war, ist schon richtig, das heißt aber eben nicht, dass sie selbst bereits materialistisch war. Es ist auch nicht nur das Problem der "Phraseologie". Marx hat ja nicht wie Bruno Bauer "nur gegen Phrasen zu kämpfen". Mit den Phrasen handelt man sich eben auch schon die dazugehörigen philosophischen Inhalte ein.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Die grundsätzliche Wertschäftzung und Dankbarkeit für Feuerbach blieb.

Ist das eine biographische Bemerkung? In Marx' Werk spielt Feuerbach nach der Deutschen Ideologie soweit ich das sehe jedenfalls keine Rolle mehr.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Diese Konkretisierung war aber schon in ganh allgemeiner Form von Anfang an vorbereitet. Nun kam die wissenschaftliche Bestimmung der menschlichen Entfremdung, die er allerdings tatsächlich mehr implizit beschreibt, auch wenn hin und wieder direkt Aussagen dazu im Kapital aufblitzen.

Du wirst feststellen, dass in den von dir zitierten Passagen aus dem Kapital das Wort Entfremdung nicht mehr auftaucht. Es gibt sogar ein oder zwei Stellen im Kapital, wo es tatsächlich noch vorkommt, allerdings eben nicht mehr systematisch entwickelt. Die ökonomischen Verhältnisse, die Marx in den Manuskripten mit dem Wort "Entfremdung" umschreiben wollte, existieren natürlich im Kapitalismus. Das Problem ist aber, dass der Versuch, diese Verhältnisse systematisch mit eben diesem von Hegel und Feuerbach übernommenen Begriff zu theoretisieren, selbst zu einer idealistischen Mystifizierung dieser Verhältnisse führt. Deswegen würde ich sagen, dass es sich genau umgekehrt verhält: Die späteren Werke sind der Schlüssel zum Verständnis der Manuskripte, nicht umgekehrt. Im Kapital haben wir die theoretisch richtige materialistische Erfassung der materiellen Verhältnisse, in den Manuskripten eine zumindest teilweise mystifizierende Darstellung, und die späteren Werke können uns helfen, diese Mystifizierungen in den Manuskripten zu identifizieren.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Die Kategorien "Arbeitsteilung" - "Vergesellschaftsform der Arbeit" - "Abstraktion vom Arbeitszweck", aber auch "Verdinglichung" oder "Fetischisierung" werden hier im *Spätwerk* zu postphilosophischen Konkretisierungen des Entfremdungsthemas, welches deshalb kein bloßes *Relikt* früherer Zeiten ist, weil es Bezug zu Hauptwiderspruch des Kapitalverhältnisses hat, nämlich dem Widerspruch Tauschwert-Gebrauchwert.

Ja, natürlich. Aber es hat eben Gründe, dass Marx statt des Entfremdungsbegriffs zu Begriffen wie Verdinglichung und Fetischisierung wechselt. Mit dem Entfremdungsbegriff kauft man sich ein idealistisches oder philosophisch-anthropologisches Verständnis der entsprechenden Verhältnisse ein, während sich Marx Begriffe Verdinglichung und Fetischisierung ohne diesen spezifischen philosophischen Ballast entwickeln konnte. Daher kann Marx im Kapitel zum Fetischcharakter der Ware den Fetischbegriff sogar in Anschlag bringen, um neben dem Protestantismus indirekt auch den Feuerbachschen Humanismus (bzw. den Kult des Allgemeinmenschen) als Resultat der Wertbestimmung durch Arbeitskraft zu kritisieren. Mit dem Entfremdungsbegriff wäre das nicht machbar, weil er sich eben schon selbst im theoretischen Kontext eines solchen Humanismus bewegt. Es gibt natürlich eine Verwandtschaft der Konzepte, aber sie sind nicht deckungsgleich.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Also: Es ist nicht nur empfehlenswert, die Frühschriften zu kennen, sondern es ist unerlässlich, um überhaupt die Spätschriften zu verstehen

Willst du damit ernsthaft behaupten, Marx und Engels hätten wissentlich Schriften veröffentlicht, die für sich alleine genommen völlig unverständlich sind, und gleichzeitig genau die Schriften zurückgehalten, die als einzige zu einem Verständnis der veröffentlichten Schriften führen könnten? Dir ist schon klar, dass du den beiden damit extreme intellektuelle Unredlichkeit unterstellst?

Nein, diese Unterstellung einer Unterstellung muss ich zurückweisen. Aber wenn man versucht, ein Buch allein aus seinen Schlusskapiteln zu verstehen, wird man oft nicht weit kommen. - Das Marx'sche Werk ist nicht nur in seiner Entwicklung, sondern auch in seinen Kerninhalten meiner Ansicht nach als *Gesamtkunstwerk* zu betrachten - .

Skeptiker, du sagst immer noch genau das selbe. Du sagst, dass man das Kapital nur verstehen kann, wenn man Schriften von Marx gelesen hat, die dieser sich entschlossen hatte, nicht zu veröffentlichen. Um in deiner Metapher zu bleiben: Du behauptest, dass Marx sein eigenes "Gesamtkunstwerk" in einer Form veröffentlichte, das nur die aus sich selbst heraus völlig unverständlichen "Schlusskapitel" beinhaltet, während er die "Anfangskapitel", die zum Verständnis notwendig sind, gewollt ausgelassen hat. Das ist buchstäblich das, was du hier sagst. Keine Metapher kann über die für dich höchst unangenehme Tatsache hinwegtäuschen, dass Marx selbst sich dazu entschlossen hat, die Manuskripte nicht zu veröffentlichen. Das war keine Verschwörung von bösen Stalinisten, sondern Marx' eigene Entscheidung, aus welchen Gründen auch immer. Wenn man das Kapital wirklich nicht verstehen kann, ohne die Manuskripte zu kennen, dann hat Marx ein unverständliches Werk veröffentlicht und den Schlüssel zu seinem Verständnis absichtlich zurückgehalten. Daran gibt es überhaupt nichts herumzudeuten. Das folgt schlichtweg logisch zwingend aus deinen Prämissen.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Er hat keine falschen Theorien kritisiert?

Wie bitte? Das steht nicht in meinem Zitat. Natürlich hat Marx auch falsche sozialistische Theorien kritisiert. Mein Punkt war, dass nicht alle sozialistischen und kommunistischen Bewegungen seiner Zeit theorielos waren, und er auch nicht alle dafür kritisiert hat. Okay, das war vielleicht etwas spitzfindig meinerseits.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Du meinst, Sahra Wagenknecht hat nach ihre letzten, etwas schwächeren Verlautbarungen auch mal eine vernünftige Arbeit hinbekommen? Und das soll ich glauben? Sehr glücklich

Nein, das ist eine von Wagenknechts älteren Arbeiten - aus der Zeit, als sie noch Marxistin war. zwinkern

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Aber ich habe da auch eine 60-seitige Arbeit, die ich dir empfehlen kann:

Danke. Ich setz' es auf meine Liste. Smilie


Zuletzt bearbeitet von Tarvoc am 08.05.2016, 23:09, insgesamt einmal bearbeitet

#191:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 08.05.2016, 23:08
    —
Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Wie meinst du denn das? Dass Philosophen heute noch oder wieder spekulative Naturphilosophie betreiben sollten?


Ganz genau – das tun sie ja auch.

(Übrigens, etymologisch entspricht das lateinische Wort "speculatio" dem griechischen Wort "theoria".)


Zuletzt bearbeitet von Myron am 08.05.2016, 23:11, insgesamt 2-mal bearbeitet

#192:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 08.05.2016, 23:11
    —
Übrigens halte ich die Abtrennung der Marx-Diskussion in einen eigenen Thread für keine schlechte Idee.

#193:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 08.05.2016, 23:13
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Wie meinst du denn das? Dass Philosophen heute noch oder wieder spekulative Naturphilosophie betreiben sollten?


Ganz genau – das tun sie ja auch.

Nach all dem, was ich hier gelesen habe, wundert mich das nun wirklich nicht mehr.

Myron hat folgendes geschrieben:

Randbemerkung: Etymologisch entspricht das lateinische Wort "speculatio" dem griechischen Wort "theoria".

Seitdem hat sich die Welt aber ein bißchen weitergedreht. Obwohl - dein Teil der Welt wohl nicht.

#194:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 08.05.2016, 23:27
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

(Übrigens, etymologisch entspricht das lateinische Wort "speculatio" dem griechischen Wort "theoria".)


Mit "spekulativer Kosmologie" im metaphysischen Sinn ist allerdings "metaempirische" oder "hyperempirische" theoretische Kosmologie gemeint und nicht der theoretische Teil der wissenschaftlichen, empirisch-physikalischen Kosmologie. Rudolf Eisler definiert die metaphysische Spekulation im engeren Sinn als "das Forschen nach dem Überempirischen." In diesem Sinn stellt die spekulative Kosmologie Mutmaßungen über Fragen an, die empirisch unbeantwortet, "unterbeantwortet" oder (gegenwärtig oder grundsätzlich) unbeantwortbar sind. Sie ist also eine "konjekturale" Weltlehre. Sie hat auch eine "synoptische" Funktion, indem sie die Erkenntnisse der Einzelwissenschaften allgemein zusammenfasst und zu einem Gesamtbild der Welt, der Wirklichkeit gestaltet (welches mehr oder weniger spekulativ oder konjektural ist).

#195:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 08.05.2016, 23:46
    —
Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Was soll denn eine solche spekulative Metaphysik deiner Ansicht nach leisten?


Vernünftige und glaubwürdige Auffassung der Wirklichkeit, Erkennung von Möglichkeiten ("möglicher Welten") und Bewahrung der Nichtmetaphysiker vor schlechter Metaphysik.

#196:  Autor: Waldwuffel BeitragVerfasst am: 08.05.2016, 23:48
    —
Das liest sich für mich so, als sollten Philosophen nach deinem Verständnis in den Bereichen, die die Naturwissenschaften noch nicht erschlossen haben, herumspekulieren und eigene "Theorien" entwickeln (die dann wohl nicht empirisch überprüfbar wären, weil es ja sonst einfach naturwissenschaftliche Theorien wären), bis irgendwann die Wissenschaften selbst Erklärungen gefunden haben. Das wäre doch nun aber wirklich sinn- und nutzlos... Eine Art Gedankenspiel zum bloßen Zeitvertreib...

Und, wirklich? Spekulative Naturphilosophie wie etwa bei Demokrit? Nein, da habe ich ein gänzlich anderes Verständnis vom Aufgabenbereich der Philosophie...

#197:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 08.05.2016, 23:49
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Seitdem hat sich die Welt aber ein bißchen weitergedreht. Obwohl - dein Teil der Welt wohl nicht.


Es freut mich, dass sich die Welt nach der Dürreperiode, in der der logische Positivismus/Empirismus/Szientismus mit seinem "Metaphysik = Bullshit/Nonsense"-Mantra vorherrschte, weitergedreht hat und sich die Philosophie längst in einer fruchtbaren post-post-metaphysischen Phase befindet.

#198:  Autor: Waldwuffel BeitragVerfasst am: 08.05.2016, 23:55
    —
Also, in den Einführungen in die zeitgenössische Metaphysik, die ich kenne, ist allerdings nirgends die Rede von einer spekulativen Naturphilosophie... Die beschränken sich (meiner Meinung nach zurecht) auf das, was du Kategorienlehre genannt hast.

#199:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 09.05.2016, 00:18
    —
Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Das liest sich für mich so, als sollten Philosophen nach deinem Verständnis in den Bereichen, die die Naturwissenschaften noch nicht erschlossen haben, herumspekulieren und eigene "Theorien" entwickeln (die dann wohl nicht empirisch überprüfbar wären, weil es ja sonst einfach naturwissenschaftliche Theorien wären), bis irgendwann die Wissenschaften selbst Erklärungen gefunden haben. Das wäre doch nun aber wirklich sinn- und nutzlos... Eine Art Gedankenspiel zum bloßen Zeitvertreib...


Ja, die Metaphysiker entwickeln selbst Theorien, was nicht heißt, dass sie dies im luftleeren Raum tun (sollen), d.h. unter Missachtung der empirischen Fakten und der theoretischen Diskussionen in den Wissenschaften.

Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Und, wirklich? Spekulative Naturphilosophie wie etwa bei Demokrit?


Ja – allerdings nicht so ganz wie zu Demokrits vorwissenschaftlichen Zeiten. Rationale Naturphilosophie oder Metaphysik lässt sich heutzutage nicht mehr ohne oder gegen die Naturwissenschaft betreiben. Dass es heutzutage noch allerlei irrationale, antiwissenschaftliche Metaphysik gibt, die in den düsteren Sümpfen des Supernaturalismus, Okkultismus oder Mystizismus umherwatet, bedauere ich sehr.
Die Metaphysik, die ich befürworte, ist rationalistisch und naturalistisch; und sie sieht sich als Partnerin der Erfahrungswissenschaft.


Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Nein, da habe ich ein gänzlich anderes Verständnis vom Aufgabenbereich der Philosophie...


Welches denn?

#200:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 09.05.2016, 00:21
    —
Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Also, in den Einführungen in die zeitgenössische Metaphysik, die ich kenne, ist allerdings nirgends die Rede von einer spekulativen Naturphilosophie... Die beschränken sich (meiner Meinung nach zurecht) auf das, was du Kategorienlehre genannt hast.


Von welchen Einführungen sprichst du?

Nehmen wir das Inhaltsverzeichnis des Routledge Companion to Metaphysics von 2009 als Beispiel. Die Themen im Part 3 gehören zur spekulativen Naturphilosophie (Kosmologie):

Table of Contents:
General Introduction Robin Le Poidevin Part 1: History of Metaphysics Peter Simons1. Pre-Socratic Themes: Being, Not-being and Mind David Sedley 2. Plato: Arguments for Forms Richard Patterson 3. Aristotle: Form, Matter and Substance Stephen Makin 4. Aristotle: Time and Change Ursula Coope 5. Medieval Metaphysics 1: The Problem of Universals Claude Panaccio 6. Medieval Metaphysics 2: Things, Non-things, God and Time John Marenbon 7. Descartes: The Real Distinction Dugald Murdoch 8. Hobbes: Matter, Cause and Motion George MacDonald Ross 9. Spinoza: Substance, Attribute and Mode Richard Glauser 10. Locke: The Primary and Secondary Quality Distinction Lisa Downing 11. Leibniz: Mind-body Causation and Pre-established Harmony Gonzalo Rodriguez-Pereyra 12. Berkeley: Arguments for Idealism Tom Stoneham 13. Hume: Necessary Connections and Distinct Existences Alexander Miller 14. Kant: The Possibility of Metaphysics Lucy Allais 15. Hegel and Schopenhauer: Reason and Will Rolf-Peter Horstmann 16. Anti-Metaphysics I: Nietzsche Maudemarie Clark 17. Bradley: the Supra-relational Absolute William Mander 18. Whitehead: Process and Cosmology Peter Simons 19. Heidegger: The Question of Being Herman Philipse 20. Anti-Metaphysics II: verificationism and kindred views Cheryl Misak 21. Metaphysics revivified Avrum Stroll Part 2: Ontology: On What Exists Ross P. Cameron22. To Be Christopher Daly 23. Not to Be Graham Priest 24. Razor Arguments Peter Forrest 25. Substance David Robb 26. Intrinsic and Extrinsic Properties Ross P. Cameron 27. Universals: The Contemporary Debate Fraser McBride 28. Particulars Herbert Hochberg 29. Persistence, Composition and Identity Nikk Effingham 30. Relations John Heil 31. Facts, Events and States of Affairs Julian Dodd 32. Possible Worlds and Possibilia John Divers 33. Mathematical Entities Peter Clark 34. Fictional Objects Richard Hanley 35. Vagueness Elizabeth Barnes 36. Minor Entities: Surfaces, Holes and Shadows Roberto Casati 37. Truth-Makers and Truth-Bearers John Bigelow 38. Values Kevin Mulligan Part 3: Metaphysics and Science Robin Le Poidevin 39. Space, Absolute and Relational Tim Maudlin 40. The Infinite Daniel Nolan 41. The Passage of Time Eric Olsen 42. The Direction of Time D. H. Mellor 43. Causation Michael Tooley 44. Laws and Dispositions Stephen Mumford 45. Probability and Determinism Philip Percival 46. Essences and Natural Kinds Alexander Bird 47. Metaphysics and Relativity Katherine Hawley 48. Metaphysics and Quantum Physics Peter J. Lewis 49. Supervenience, Reductionism and Emergence Howard Robinson 50. Biometaphysics Barry Smith 51. Social Entities Amie L. Thomasson 52. The Mental and the Physical Louise Antony 53. The Self John Campbell A Short Glossary of Metaphysics Peter Simons and Ross P. Cameron

Quelle: https://www.routledge.com/products/9780415396318

#201:  Autor: Waldwuffel BeitragVerfasst am: 09.05.2016, 00:45
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Wie gesagt: die Klärung der Grundbegriffe unseres Weltbezugs, die allgemein vorausgesetzt werden, deren Bestimmung aufgrund ihrer Allgemeinheit aber nicht in den Bereich der spezialisierten Wissenschaften fällt. Also etwa: was ist Wissen/was bedeutet "Wissen"? Welche Kriterien müssen erfüllt sein, um einer Person Wissen zuzuschreiben? Oder was ist ein Gegenstand/was bedeutet "Gegenstand"? Fallen darunter nur physische Dinge oder kann man auch etwa von Zahlen als abstrakten Gegenständen sprechen? Usw. (Also etwa das, was du "Kategorienlehre" genannt hast.)

Ich finde auch, dass die guten Philosophen der Vergangenheit, Platon etwa, zu weiten Teilen auch nichts anderes getan haben. Sie haben nur nicht ausdrücklich oder bewusst Sprachanalyse betrieben, sondern meinten, es müssten sich in der Welt oder im Subjekt irgendwelche bestimmten Gegenstände oder Strukturen befinden, die diesen Ausdrücken entsprechen, was allerlei problematische Theorien zur Folge hatte.

#202:  Autor: Waldwuffel BeitragVerfasst am: 09.05.2016, 00:49
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Myron hat folgendes geschrieben:
Von welchen Einführungen sprichst du?


Etwa Loux: "Metaphysics. A Contemporary Introduction" oder Lowe: "A Survey of Metaphysics". Wenn da etwas behandelt wird, das du zur "spekulativen Kosmologie" zählen würdest, dann habe ich noch nicht verstanden, was du damit meinst.

#203:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 09.05.2016, 01:16
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Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Von welchen Einführungen sprichst du?


Etwa Loux: "Metaphysics. A Contemporary Introduction" oder Lowe: "A Survey of Metaphysics". Wenn da etwas behandelt wird, das du zur "spekulativen Kosmologie" zählen würdest, dann habe ich noch nicht verstanden, was du damit meinst.


Diese beiden Bücher stehen in meinem Regal.
Also, schaumermal:

* Lowe: https://global.oup.com/academic/product/a-survey-of-metaphysics-9780198752530?type=listing&lang=en&cc=us#

Teil V gehört ganz klar zur spekulativen Kosmologie oder Naturphilosophie.

* Loux: https://www.routledge.com/products/9780415401340

Die Teile 7 und 8 zähle ich zur spekulativen Kosmologie.

Dazu gehören für mich allgemein die Philosophien von Raum und Zeit, von Materie und Energie, und z.B. die Philosophie des Geistes.

Wie gesagt, die Williams'sche Aufteilung der Metaphysik bedeutet nicht, dass eine klare und scharfe Grenze gibt:

"First philosophy, according to the traditional schedule, is analytic ontology, examining the traits necessary to whatever is, in this or any other possible world. Its cardinal problem is that of substance and attribute, or at any rate something cognate with this in that family of ideas which contains also subsistence and inherence, subject and predicate, particular and universal, singular and general, individual and class, and matter and form. It is the question how a thing can be an instance of many properties while a property may inhere in many instances, the question how everything is a case of a kind, a this-such, an essence endowed with existence, an existent differentiated by essence, and so forth. Concerned with what it means to be a thing or a kind at all, it is some wise prior to and independent of the other great branch of metaphysics, speculative cosmology: what kinds of things are there, what stuff are they made of, how are they strung together?"

(Williams, Donald Cary. "The Elements of Being." 1953. Reprinted in Principles of Empirical Realism, 74-109. Springfield, IL: Charles C Thomas, 1966. p. 74)

"Williams contrasted 'analytic ontology' with 'speculative cosmology'. But despite the austere ring of the first phrase and the permissive flavour of the second, Williams was talking about a distinction to be made within fundamental metaphysics. Analytic ontology takes up the deepest and most abstract questions of all, for instance whether everything in the world is purely particular. Speculative cosmology deals with (relatively!) less abstract issues, such as the nature of space and time, the nature of mind, and so forth, matters where observational fact and scientific discovery appear to be more directly relevant."

(Armstrong, D. M. "Reply to Forrest." In Ontology, Causality and Mind: Essays in Honour of D. M. Armstrong, edited by John Bacon, Keith Campbell and Lloyd Reinhardt, 65-72. Cambridge: Cambridge University Press, 1993. p. 66)

"Metaphysics divides into two rather different branches, which D. C. Williams dubs analytic ontology and speculative cosmology.
In analytic ontology we ask questions about the categories we need for understanding any facts, for example: Are there properties as well as objects? Are there such thing as events, or only objects which change? Are there such things as sets or numbers apart from things in sets or things counted? Are there facts o propositions? What is a disposition? What is a cause? How does a theory make commitments as to the existence of things?
In speculative cosmology we are not so formidably abstract. We seek a general account of the main features of the world and ask, for example: Are there spirits as well as bodies? Are there gods or angels? What of space and time? What sorts of causes are at work in determining events?
Analytic ontology is more general, and in an orderly exposition of a metaphysical system it would be laid out first, to set the ground frame of sorts of items (such as objects, properties, events, causes) within which a cosmology can be developed by introducing specific examples of such items (such as God, materiality, vibration, natural selection). But everybody is interested in cosmology before they come to study philosophy, and the point of questions in ontology is often hard to see unless we have cosmological consequences in mind."

(pp. 21-2)

"D. C. Williams divides the field of metaphysics into two broad subdivisions, speculative cosmology and analytic ontology. Speculative cosmology…is concerned with developing the best general description of ourselves and our world that we can devise. Cosmology deals with questions of what manner of world this is. In particularist systems it answers these questions in terms of what kinds of thing we must recognize and how these relate to each other.
But there is another kind of question, even more abstract and general, to which cosmology leads us. We find ourselves asking just what is a thing anyway? Are there entities other than things? If so, what are they? Granted that there are, for example, causal connections in our world, just what is involved in a causal relationship? These general, structural problems belong to analytic ontology.
The problems of analytic philosophy can be pursued in large measure independently of cosmology—indeed for most of this century they have almost monopolized metaphysics. But philosophy is a seamless garment, and problems of one kind lead to problems of the other. …So the division of metaphysics into two departments is a convenience for study, rather than an absolute distinction."

(p. 107)

(Campbell, Keith. Metaphysics: An Introduction. Encino, CA: Dickenson, 1976.)

#204:  Autor: Waldwuffel BeitragVerfasst am: 09.05.2016, 07:21
    —
Ich kann da keinen wesentlichen Unterschied zwischen zwei Bereichen der Metaphysik erkennnen. Nur muss ein Philosoph, der sich mit der Klärung von Begriffen wie Raum oder Zeit beschäftigt, natürlich auch die Verwendung dieser Ausdrücke in den entsprechenden Naturwissenschaften berücksichtigen. Aber auch dabei geht es letzten Endes um die Begriffsklärung und es wird nicht etwa die naturwissenschaftliche Theorie philosophisch fortgeschrieben oder erweitert. Erst recht werden dabei keine Verständnislücken geschlossen, die im Rahmen dieser naturwissenschaftlichen Theorien noch bestehen. Der Philosoph verwendet diese Begriffe m.E. nicht, um selbst Naturphänomene zu erklären. Was die alten Naturphilosophen mit ihren Spekulationen ja tun wollten und was, wenn ich dich richtig verstehe, auch deine "spekulative Kosmologie" leisten soll ("In diesem Sinn stellt die spekulative Kosmologie Mutmaßungen über Fragen an, die empirisch unbeantwortet, "unterbeantwortet" oder (gegenwärtig oder grundsätzlich) unbeantwortbar sind").

Deine letzten Zitate gehen auch in die Richtung, die ich jetzt beschrieben habe, finde ich. Also dass einige Fragen der Metaphysik, wie etwa die nach dem "Wesen" von Raum und Zeit bzw. nach der Bedeutung dieser Ausdrücke, vielleicht weniger allgemein und abstrakt sind als die nach der Bedeutung von Ausdrücken wie "Gegenstand" bzw. dass bei diesen Begriffen eine nähere Verbindung zu bestimmten Naturwissenschaften besteht. Aber ich finde, wie gesagt, nicht, dass das einen im wesentlichen ganz eigenen Bereich der Metaphysik bildet.

#205:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 09.05.2016, 18:33
    —
Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Ich kann da keinen wesentlichen Unterschied zwischen zwei Bereichen der Metaphysik erkennnen. Nur muss ein Philosoph, der sich mit der Klärung von Begriffen wie Raum oder Zeit beschäftigt, natürlich auch die Verwendung dieser Ausdrücke in den entsprechenden Naturwissenschaften berücksichtigen. Aber auch dabei geht es letzten Endes um die Begriffsklärung und es wird nicht etwa die naturwissenschaftliche Theorie philosophisch fortgeschrieben oder erweitert. Erst recht werden dabei keine Verständnislücken geschlossen, die im Rahmen dieser naturwissenschaftlichen Theorien noch bestehen. Der Philosoph verwendet diese Begriffe m.E. nicht, um selbst Naturphänomene zu erklären. Was die alten Naturphilosophen mit ihren Spekulationen ja tun wollten und was, wenn ich dich richtig verstehe, auch deine "spekulative Kosmologie" leisten soll ("In diesem Sinn stellt die spekulative Kosmologie Mutmaßungen über Fragen an, die empirisch unbeantwortet, "unterbeantwortet" oder (gegenwärtig oder grundsätzlich) unbeantwortbar sind").

Deine letzten Zitate gehen auch in die Richtung, die ich jetzt beschrieben habe, finde ich. Also dass einige Fragen der Metaphysik, wie etwa die nach dem "Wesen" von Raum und Zeit bzw. nach der Bedeutung dieser Ausdrücke, vielleicht weniger allgemein und abstrakt sind als die nach der Bedeutung von Ausdrücken wie "Gegenstand" bzw. dass bei diesen Begriffen eine nähere Verbindung zu bestimmten Naturwissenschaften besteht. Aber ich finde, wie gesagt, nicht, dass das einen im wesentlichen ganz eigenen Bereich der Metaphysik bildet.


Es gibt eine traditionelle, auf Christian Wolff zurückgehende Aufteilung der Metaphysik in (rationale) Kosmologie, (rationale) Psychologie und (rationale) Theologie. (Der Titel eines Wolff'schen Werkes von 1719 lautet "Vernünftige Gedanken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt".)
Siehe: Christian Wolff > Theoretical Philosophy

Aus naturalistischer Sicht ist die philosophische (rationale, spekulative) Kosmologie als Weltlehre Naturlehre, Naturphilosophie (weil es keine göttliche, theistische oder ungöttliche, platonistische Übernatur gibt); und "die Naturphilosophie ist spekulative Physik." (Schelling) Da Williams Naturalist war, ist spekulative Kosmologie in seinem Sinn sozusagen spekulative Physik (im weitesten Sinne des Wortes, also die lebenden und fühlenden/denkenden Naturwesen wie den Menschen einschließend) – sowie spekulative Psychologie, die nun Philosophie des Geistes (philosophy of mind) heißt.
Die rationale (nicht- oder überempirische), spekulative Physik kann von der rationalen Ontologie/Ontik als analytischer Kategorienlehre unterschieden werden.

Diese Unterscheidung entspricht weitestgehend derjenigen von Charlie Broad zwischen spekulativer Philosophie und kritischer Philosophie: http://plato.stanford.edu/entries/broad/#Met

In seinen eigenen Worten:

http://www.ditext.com/broad/csp.html

http://www.ditext.com/broad/st/st-intro.html

"These two branches of Philosophy – the analysis and definition of our fundamental concepts, and the clear statement and resolute criticism of our fundamental beliefs – I call Critical Philosophy. …Now there is another kind of Philosophy; and, as this is more exciting, it is what laymen generally understand by the name. This is what I call Speculative Philosophy. It has a different object, is pursued by a different method, and leads to results of a different degree of certainty from Critical Philosophy. Its object is to take over the results of the various sciences, to add to them the results of the religious and ethical experiences of mankind, and then to reflect upon the whole. The hope is that, by this means, we may be able to reach some general conclusions as to the nature of the Universe, and as to our position and prospects in it."

#206:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 09.05.2016, 18:49
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Waldwuffel hat folgendes geschrieben:

Deine letzten Zitate gehen auch in die Richtung, die ich jetzt beschrieben habe, finde ich. Also dass einige Fragen der Metaphysik, wie etwa die nach dem "Wesen" von Raum und Zeit bzw. nach der Bedeutung dieser Ausdrücke, vielleicht weniger allgemein und abstrakt sind als die nach der Bedeutung von Ausdrücken wie "Gegenstand" bzw. dass bei diesen Begriffen eine nähere Verbindung zu bestimmten Naturwissenschaften besteht. Aber ich finde, wie gesagt, nicht, dass das einen im wesentlichen ganz eigenen Bereich der Metaphysik bildet.


Wie gesagt, die Unterscheidung zwischen Ontologie als Seins- oder Kategorienlehre und Kosmologie als Welt- oder Naturlehre bedeutet keineswegs, dass wir es mit zwei gänzlich getrennten, nicht überlappenden Bereichen innerhalb der Metaphysik zu tun haben.

"[T]he division of metaphysics into two departments is a convenience for study, rather than an absolute distinction."

(Campbell, Keith. Metaphysics: An Introduction. Encino, CA: Dickenson, 1976. p. 107)

#207:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 09.05.2016, 20:11
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Myron hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

(Übrigens, etymologisch entspricht das lateinische Wort "speculatio" dem griechischen Wort "theoria".)

Mit "spekulativer Kosmologie" im metaphysischen Sinn ist allerdings "metaempirische" oder "hyperempirische" theoretische Kosmologie gemeint und nicht der theoretische Teil der wissenschaftlichen, empirisch-physikalischen Kosmologie. Rudolf Eisler definiert die metaphysische Spekulation im engeren Sinn als "das Forschen nach dem Überempirischen." In diesem Sinn stellt die spekulative Kosmologie Mutmaßungen über Fragen an, die empirisch unbeantwortet, "unterbeantwortet" oder (gegenwärtig oder grundsätzlich) unbeantwortbar sind. Sie ist also eine "konjekturale" Weltlehre. Sie hat auch eine "synoptische" Funktion, indem sie die Erkenntnisse der Einzelwissenschaften allgemein zusammenfasst und zu einem Gesamtbild der Welt, der Wirklichkeit gestaltet (welches mehr oder weniger spekulativ oder konjektural ist).


Ein kluger User hier schrieb einmal, „An der Grenze des Wissens beginnt Nichtwissen, nicht Wissen um Design.“ Es war gegen Vertreter des "Intelligent Design" gezielt, und so argumentieren auch andere Religiöse, die in den wirklichen oder vermeintlichen Lücken unseres wissenschaftlichen Wissens (und an solchen Lücken gibt es ja nun wahrlich keinen Mangel) ihre jeweiligen Götter und Welterklärungen unterzubringen versuchen. Ähnlich verfährt offenbar die philosophische, spekulative Metaphysik.

„Wenn schließlich Menschen in einem bestimmten Wissenszweig in ihrem Denken das positive oder wissenschaftliche Stadium erreicht haben, geben sie auf nach absoluten Anfängen oder absoluten Zielen zu fragen, die zwar gefühlsmäßig für sie selbst eine große Bedeutung haben, aber durch keine Beobachtung zu belegen sind, und ihr Erkenntnisziel richtet sich darauf, wie beobachtbare Ereignisse miteinander in Zusammenhang stehen. Theorien, so könnte man es in unserer heutigen Sprache ausdrücken, sind Modelle beobachtbarer Zusammenhänge.“
(Norbert Elias, Gesammelte Schriften, Bd. 5, S. 48 )

Religiöse oder Philosophen nennen das dann gerne mal „dürre“, „oberflächlich“ oder „ganz kleines Karo“.

Mac Born schrieb zur religiösen oder philosophischen Suche nach absoluten, endgültigen Antworten schon 1964: „Ich glaube, daß Ideen wie absolute Richtigkeit, absolute Genauigkeit, endgültige Wahrheit usw. Hirngespinste sind, die in keiner Wissenschaft zugelassen werden sollten. … Diese Lockerung des Denkens scheint mir als der größte Segen, den die heutige Wissenschaft uns gebracht hat. Ist doch der Glaube an eine einzige Wahrheit und dessen Besitzer zu sein, die tiefste Wurzel allen Übels auf der Welt.“

Fragen, die „unbeantwortet“, „unterbeantwortet“ oder „(gegenwärtig oder grundsätzlich) unbeantwortbar“ sind, sind eben und vor allem genau dies: „unbeantwortet“. Also findet man entweder eine durch Tatsachenbeobachtungen belegbare Antwort, oder man sucht eben weiter. Mutmaßungen, Spekulationen oder haltlose Behauptungen sind etwas für den Stammtisch, oder wie es Thomas Metzinger im letzten SPIEGEL so schön (und etwas dezenter) formulierte: „Welt­an­schau­li­che De­bat­ten sind was fürs Feuille­ton und für Leu­te, die sich selbst gern als „In­tel­lek­tu­el­le“ be­zeich­nen.“

Myron hat folgendes geschrieben:
Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Was soll denn eine solche spekulative Metaphysik deiner Ansicht nach leisten?

Vernünftige und glaubwürdige Auffassung der Wirklichkeit, Erkennung von Möglichkeiten ("möglicher Welten") und Bewahrung der Nichtmetaphysiker vor schlechter Metaphysik.


Oh, vielen Dank! Rolf Hellmut Foerster schrieb einmal: „Zur Metaphysik kommt man […], indem man beim Nachdenken über eine Sache dem Denken selbst den Vorrang vor der Sache gibt.“ Besser noch als das Bewahren vor schlechter Metaphysik wäre also das Bewahren vor Metaphysik überhaupt.

#208:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 09.05.2016, 21:52
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Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Ein kluger User hier schrieb einmal, „An der Grenze des Wissens beginnt Nichtwissen, nicht Wissen um Design.“ Es war gegen Vertreter des "Intelligent Design" gezielt, und so argumentieren auch andere Religiöse, die in den wirklichen oder vermeintlichen Lücken unseres wissenschaftlichen Wissens (und an solchen Lücken gibt es ja nun wahrlich keinen Mangel) ihre jeweiligen Götter und Welterklärungen unterzubringen versuchen. Ähnlich verfährt offenbar die philosophische, spekulative Metaphysik.


Diejenige, die ich meine, verfährt nicht so. Sie behauptet nicht, dort etwas zu wissen, wo die Wissenschaft nichts weiß. Metaphysik als spekulative Kosmologie kann heutzutage nicht mehr gerechtfertigterweise apriorisch-deduktiv im idealistisch-platonistischen Sinne betrieben werden. Die Errichtung spekulativer Luftschlösser à la Hegel is zu Recht "out", weil sich die Wirklichkeit nicht aus reinen, erfahrungsfernen Begriffen und Grundsätzen ableiten, bestimmen und erkennen lässt.
Nach meiner realistisch-naturalistischen Auffassung verfährt die spekulative Kosmologie nicht axiomatisch-deduktiv, sondern induktiv.

"Metaphysik (…) ist die Wissenschaft von den Grundbegriffen (Prinzipien) des Erkennens und der Einzelwissenschaften in ihrem letzten für uns erreichbaren Sinne und in ihrem Zusammenhange untereinander und mit den Forderungen des nach Einheit und Geschlossenheit (Harmonie) der Weltanschauung strebenden Denkens. Die Metaphysik ist keine Sonderwissenschaft geheimnisvoller Art, sondern die (relativ) abschließende, auch nach dem Sinn und der Bedeutung der Welt fragende, in diesem Sinne spekulative Verarbeitung der Voraussetzungen und Ergebnisse der Einzelwissenschaft mit Hilfe der Erkenntniskritik und schließlich auch der künstlerisch gestaltenden Phantasie und der Intuition. …Die Metaphysik darf die Erfahrung nicht überfliegen, nicht aus selbstgemachten Begriffen die Erfahrungstatsachen ableiten, sie muß vielmehr von der Erfahrung ausgehen, diese bis zum jeweiligen Ende begleiten und erst dann, auf dem durch die Erfahrung angedeuteten Wege die Erfahrung transcendieren."

(Rudolf Eisler: http://www.textlog.de/4434.html)

"Unsere Zeit glaubt nicht mehr an die Möglichkeit, durch dialektische Begriffsentwicklung die Gedanken oder den Sinn der Wirklichkeit a priori zu erkennen. Sie kennt, wie nur eine Wirklichkeit, so nur eine Wahrheit und einen Weg zu ihr: die denkende Erfahrung. Erfahrungsloses Denken führt so wenig zur Erkenntnis der Wirklichkeit, als gedankenlose Erfahrung. Der Philosoph hat keine via regia zur Erkenntnis; die reine Spekulation ist in Wahrheit nichts anderes als eine verzerrte Reflexion über Erkenntnisse, die uneingestandener Erfahrung verdankt werden."

(Paulsen, Friedrich. Einleitung in die Philosophie. 15. Aufl. Stuttgart: Cotta, 1906. S. 16)

"Metaphysicians must abandon the hope of finding a theory of the world which can be guaranteed certain. We cannot expect to arrive at any knowledge more surely founded than the self-corrective yet still provisional theories which scientific method yields. Metaphysical truths are synthetic. And they are not necessary in any tough logical sense. They cannot be guaranteed by the principle of noncontradiction. How then are they to be validated? The short answer is that they stand at the bar of experience as do all opinions of common life or recondite science."
(pp. 17-8 )

"A clearer conception of the nature of science, together with a chastened program for metaphysics, thus leads us to view metaphysics as continuous with science, sharing both its risks and its dignity. Metaphysics is the attempt to interpret all experience, including science, so as to form one coherent and systematic view of the world and man's place in it. In this way it tackles those simple yet profound questions from which we began. … In this view metaphysics is in no privileged position from which it can lay down the law for knowledge of other kinds. It is in no position to insist, for example, that every science must be deterministic. Metaphysics stands subject to correction in the light of the development of science no less than the other way about. As Quine would put it, there is no first philosophy which can give the law to science and pontificate, for example, as to the reality of atoms. Rather, atomic theory and metaphysics both must be validated in the light of one another and the continuing test furnished by the unfolding data of experiment and discovery."
(p. 19)

(Campbell, Keith. Metaphysics: An Introduction. Encino, CA: Dickenson, 1976.)

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Mac Born schrieb zur religiösen oder philosophischen Suche nach absoluten, endgültigen Antworten schon 1964: „Ich glaube, daß Ideen wie absolute Richtigkeit, absolute Genauigkeit, endgültige Wahrheit usw. Hirngespinste sind, die in keiner Wissenschaft zugelassen werden sollten. … Diese Lockerung des Denkens scheint mir als der größte Segen, den die heutige Wissenschaft uns gebracht hat. Ist doch der Glaube an eine einzige Wahrheit und dessen Besitzer zu sein, die tiefste Wurzel allen Übels auf der Welt.“


Wie ich bereits anmerkte, die Metaphysiker sollten epistemisch bescheiden bleiben und von dogmatischen Wissens- oder Gewissheitsansprüchen Abstand nehmen, was jedoch nicht bedeutet, dass sie auch von allen Glaubungen, Meinungen oder Vermutungen/Mutmaßungen Abstand nehmen und ihren Beruf insgesamt aufgeben sollten. Denn es gibt einen Mittelweg zwischen Absolutismus, Dogmatismus und Neutralismus/Quietismus bezüglich metaphysischer Themen und Probleme.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Fragen, die „unbeantwortet“, „unterbeantwortet“ oder „(gegenwärtig oder grundsätzlich) unbeantwortbar“ sind, sind eben und vor allem genau dies: „unbeantwortet“. Also findet man entweder eine durch Tatsachenbeobachtungen belegbare Antwort, oder man sucht eben weiter. Mutmaßungen, Spekulationen oder haltlose Behauptungen sind etwas für den Stammtisch, oder wie es Thomas Metzinger im letzten SPIEGEL so schön (und etwas dezenter) formulierte: „Welt­an­schau­li­che De­bat­ten sind was fürs Feuille­ton und für Leu­te, die sich selbst gern als „In­tel­lek­tu­el­le“ be­zeich­nen.“


Spricht's und beteiligt sich selbst rege an den "weltanschaulichen Debatten" im Bereich der Philosophie des Geistes (Materialismus vs. Spiritualismus).

Unter metaphysischen Mutmaßungen verstehe ich keine "haltlosen Behauptungen" oder "Stammtischparolen", sondern wohldurchdachte, vernünftig begründete und vertretbare Meinungen, die mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen im Einklang stehen. Rationale Argumentation ist in der Philosophie ebenso wichtig wie in der Wissenschaft.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Vernünftige und glaubwürdige Auffassung der Wirklichkeit, Erkennung von Möglichkeiten ("möglicher Welten") und Bewahrung der Nichtmetaphysiker vor schlechter Metaphysik.

Oh, vielen Dank! Rolf Hellmut Foerster schrieb einmal: „Zur Metaphysik kommt man […], indem man beim Nachdenken über eine Sache dem Denken selbst den Vorrang vor der Sache gibt.“ Besser noch als das Bewahren vor schlechter Metaphysik wäre also das Bewahren vor Metaphysik überhaupt.


Wohl kaum! Der Mensch wird immer auch metaphysisch denken, solange er überhaupt über Gott und die Welt nachdenkt.

#209:  Autor: schtonk BeitragVerfasst am: 09.05.2016, 22:08
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Myron hat folgendes geschrieben:


[...]

Rationale Argumentation ist in der Philosophie ebenso wichtig wie in der Wissenschaft.

...

Kurze Zwischenfrage: Du grenzt Philosophie also von der Wissenschaft ab. Was ist sie dann?

#210:  Autor: Hebart BeitragVerfasst am: 09.05.2016, 22:10
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Myron hat folgendes geschrieben:
Unter metaphysischen Mutmaßungen verstehe ich keine "haltlosen Behauptungen" oder "Stammtischparolen", sondern wohldurchdachte, vernünftig begründete und vertretbare Meinungen, die mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen im Einklang stehen. Rationale Argumentation ist in der Philosophie ebenso wichtig wie in der Wissenschaft.


Es scheint dabei aber manchmal ein Problem zwischen Empirie und wissenschaftlicher Erkenntnis zu existieren..., ich für meinen Teil interessiere mich mittlerweile mehr für Empirie, denn rationaler Erkenntnis Schulterzucken

#211: Hegel tot, aber die Philosophie lebt? Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 09.05.2016, 22:38
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Die Errichtung spekulativer Luftschlösser à la Hegel is zu Recht "out" (...)

"Unsere Zeit glaubt nicht mehr an die Möglichkeit, durch dialektische Begriffsentwicklung die Gedanken oder den Sinn der Wirklichkeit a priori zu erkennen. ....

(Paulsen, Friedrich. Einleitung in die Philosophie. 15. Aufl. Stuttgart: Cotta, 1906. S. 16)


Wusste ich's doch. Dein Anti-Hegelianismus hat nichts mit vermeintlicher Themenfremdheit zu tun, sondern mit deiner philosophischen Ablehnung.

Wenn ich lese, dass ein Herr Paulsen, Friedrich im Jahre 1906 - 8 Jahre vor Ausbruch des 1. imperialistischen deutschen Krieges - behauptet, dass "unsere Zeit" nicht mehr an die dialektische Begriffsbestimmung glaube, dann kann ich nur schmunzeln.

Was ich Tarvoc versucht habe, zu sagen, war, dass die "Distanzierung", das "in-Grund-und-Boden-Kritiseren" der Hegel'schen Dialektik bedeuten würde, dass man quasi das dialektische Kind mit dem Bade zusammen ausschüttet, d.h. also die mystifizierende zusammen mit der rationalen Form der Dialektik.

Das ist übrigens auch der Grund, weshalb ich die philosophisch-ökonomischen Manuskripte für so wichtig halte. Denn in deren Schlussteil wird genau diese Entmystifizierung von Hegels idealistischer und spekulativer Dialektik vollzogen, was später im Kapital natürlich nicht mehr erfolgt ist und auch nicht mehr erfolgen musste.

Im übrigen passt es nicht zusammen, @Myron, wenn bei der Hegel'schen Form der Dialektik das Spekulative abgelehnt und verworfen wird, während es in der Metaphysik als wichtige, ja normale Sache hingestellt wird.

Hegel tot, es lebe die Philosophie? zwinkern

Übrigens ein kleiner Buchtipp für deine lange Bücherschrankwand:

Zitat:
Eines Abends saßen wir mit einigen aus Berlin, Jena und Heidelberg und anderen Universitäten anwesenden Freunden im Gasthofe zum blauen Sterne in Dresden beisammen ... Hegel bestellte einige Flaschen Champagner und ersuchte die Herren, nachdem er ringsum eingeschenkt hatte, zum Gedächtnis des Tages die Gläser zu leeren. »Wir alle taten es, ohne uns sofort der Bedeutung dieses Tages zu erinnern. Befremdend sah Hegel uns an und sagte dann mit erhobener Stimme: ›Dies Glas gilt dem 14. Juli 1789 – der Erstürmung der Bastille.‹«

Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen. (Philosophische Bibliothek) Gebundene Ausgabe – 15. Dezember 2013, , herausgegeben von Günter Nicolin, S. 214


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Noch mal zu Demokrit. Nein, das war kein spekulativer Metaphysiker, sondern er war philosophierender Wissenschaftler und wissenschaftlicher Philosoph. Während es zu seiner Zeit üblich war, von den *4 Elementen* zu sprechen - Erde, Wasser, Feuer, Luft - vertrat er einen atimistischen Materialismus, der später von Aristoteles allerdings abgelehnt worden ist. Demokrits Theorie, dass die Welt sich durch Zufall und Notwendigkeit verändere, findet sich auch in der modernden Gesellschafts- und Naturwissenschaft an zentraler Stelle wieder. Man nehme nur Mutation und Selektion in Biologie oder die philosophischen Arbeiten Jaques Monods.

Irgendwann habe man Philosophie und Wissenschaft getrennt, schreibst du.

Dass beides nicht das selbe ist, heisst nicht, dass beides getrennt gehört. Siehe demokrit, siehe meine Ausführungen zu Ernst Mayr und zur Philosophie der Physik und der Ökonomie.

Sicher ist es wichtig, Philosophie zu kategorisieren. Nur hat Philosophie auch immer einen konkreten Inhalt und sie hat von sich aus immer Bezüge zu der Epoche, in der sie entsteht oder neu aufgelegt wird, sie hat Bezüge zu gesellschaftlichen Zuständen und Entwicklungen und schwebt eben nicht wie der Geist über dem Wasser. Und last but not least hat Philosophie, wenn sie denn Philosophie bleiben will, enge Bezüge zu den modernsten wissenschaftlichen Methoden und Forschungen.

Wäre dies nicht so, wäre Philosophie sozusagen *nicht von dieser Welt*, also zeitlos, sinnlos ...-


Zuletzt bearbeitet von Skeptiker am 09.05.2016, 23:10, insgesamt einmal bearbeitet

#212:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 09.05.2016, 23:10
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Es sollte erwähnt werden, dass das Verhältnis von Empirie und Theorie auch in der Wissenschaft viel komplizierter ist, als oft angenommen wird. Denn sobald man theoretisch über reine Beobachtungssätze und deren logisch deduzierbare Folgesätze hinausgeht, und somit nur noch ein Wahrscheinlichkeitsverhältnis (< 1) zwischen empirischen Daten und Thesen/Theorien besteht, kommt man dem Metaphysischen (dem "Metaempirischen") auch innerhalb der Wissenschaft immer näher. Auch darin findet sich das Problem der Unterbestimmtheit von Theorien durch empirische Daten. Und physikalische Theorien wie z.B. die Stringtheorie oder die Multiversumtheorie sind nicht nur empirisch unterbestimmt, sondern gänzlich empirisch unbestimmt, unbestätigt. Hier haben wir Metaphysik in der Physik!

Ein konsequenter Antimetaphysiker als radikaler Empirist/Positivist muss auch ein wissenschaftlicher Antirealist (Phänomenalist, Instrumentalist) sein.

"The relations between theory and data are more complex than the idea of refutation by a specifiable run of perception would allow. A theory is accepted and retained so long as it remains an integral part of the best overall explanatory account of the phenomena we encounter. And precisely the same is true of responsible metaphysics. Space, time, God, events, causal determinism, spiritual minds, properties, classes, numbers, substances all have a title to a place in our metaphysic to the extent that they belong in the best total theory. The best total theory is only the best, not the best possible one, and only the best for the time being.
It is, of course, possible to insulate any metaphysical belief from the risk of refutation. This is done by always explaining away every consideration which seems to refute it. But this is not something special about metaphysics. It is equally possible to insulate any belief whatever, whether a favorite scientific theory or some particular claim as to matter of fact, in just the same way."


(Campbell, Keith. Metaphysics: An Introduction. Encino, CA: Dickenson, 1976. p. 18 )

"To begin with, let us acknowledge that the powers of observation have been greatly exaggerated. Although scientists may use their senses, observation does not settle everything. What we believe in science is theoretical to a large extent. In that case, perhaps metaphysics is continuous with science. What metaphysicists do is not outlandishly different from what everyone else does who wants to understand the world. Metaphysics is at the more abstract and theoretical end of the scale, but it looks like more of a sliding scale than there being a very sharp boundary between the two disciplines.

In metaphysics, we have our thinking, our reasoning, as our guide to how the world could be or how it should be. We can reject accounts of some feature of the world if they are absurd, either by being counterintuitive or outright contradictory. The latter is preferable. A theory may entail that the world is some way but also not that way, in which case we would have grounds to reject that theory as incoherent. It may be rare that things are so clear cut, however. And even if they were, the defender of the theory might try to explain away the contradiction. More often, we would challenge a theory for saying or entailing something implausible. If one says that time flows, for instance, then it seems that one ought to be able to state the rate at which it flows. But we saw that this could not be meaningfully answered: it would trivially have to flow at one second per second. We also considered the theory that absences could be causes, but this also produced an absurd consequence. We would have to allow that a nothing could nevertheless have causal powers and, as we saw, that among the causes of any event would be the absence of anything that could have prevented it.

When a consequence is so counterintuitive, we say that we have reduced the theory to absurdity. In the case of substance, it looked like we had reduced to absurdity the theory that a particular was a bundle of properties. There couldn’t be, within that theory, two particulars with all the same properties, and there seems no good reason why we should accept this. There are, of course, philosophers who think the theory can avoid this reductio ad absurdum, so it is never the absolute end of the matter. And others might deny that such a consequence really is absurd. Nor should we assume that the truth of the matter always will be intuitive. We sometimes have to follow the argument and accept all it entails, even if it’s surprising. There is always room for further philosophical debate, therefore.

Nothing here really hinged on the use of the senses. Certainly, you need to be a thinking thing to even get started in philosophy, and experiencing the world seems a precondition of that. Your senses probably also showed you that particularity was a feature of the world that needed explaining. It looks like there are particular things. But after that, it was down to your thinking in the abstract what a particular must be, or a cause, or time. You can explore the various theories, as fully as needs be. Some of them do not stand up to scrutiny.

Provisionally, we can reject some of the theories if it looks as though they have an intractable problem: if they seem to involve a contradiction or other absurdity. We accept that the problem may be overcome at some future point. So far, it doesn’t look as if what the metaphysicist is doing is that much different from what some of the cleverest scientists do. A theoretical physicist might reject theories on similar grounds. There is one difference. Metaphysicists reject theories on the basis of reasoning alone: where the problem of the theory is one of internal coherence or contradiction with some other set of theories that we hold dear. In the case of sciences, the conflict that is the basis for rejecting a theory may be with some observational evidence. Science wants the theory to fit the observational facts, whereas the data of metaphysics are non-observational.

So far, this looks defensible. Metaphysics does not look conspicuously any less defensible than science. But, it might be argued, this is because we have only looked at the negative case in which a theory is rejected. Of course, a theory should be rejected if it is self-contradictory or leads to absurdity, whether it is in science or philosophy. But that only gives us grounds for ruling out theories, not for accepting them. And here it might be thought that science has the upper hand because it can find empirical confirmation of its theories. In philosophy, it is conceivable and very likely to be the case that there is more than one coherent theory about some issue. Multiple theories could be true individually even if they couldn’t all be true at once. So how do we decide which one is right? Perhaps there is no truth in metaphysics, just a bunch of theories between which we cannot choose.

This again ignores the way that we think in both philosophy and in science. As we know from the philosophy of science, it is problematic to state simply that we know which theory of the world is true, simply by looking. Doing so may provide useful data, that rules some theories out, but more than one theory could be consistent with the data. How do we decide which theory is true, then? How do we know that anything is true? This is not an easy question to answer. Some observations may even be partly determined by the theories that we believe, so it is far from a simple matter in the scientific case. Truth in metaphysics is also hard work, but the point is that we shouldn’t subject truth in metaphysics to any more stringent standards than we do in other cases. And what we probably then find is that our theories are provisional and fallible. We accept that they may have to be revised but that, nevertheless, it may be rational to work with them.

The relationship between metaphysics and science is likely to be a lot more complicated than the story just told. We often like the two to cohere even if they are not in outright conflict. Ideally, we would like a metaphysics that is fit for the world described by science, and science that is metaphysically sound. We have already seen a case that illustrates this. Questions were raised about simultaneity in Chapter 6: a notion that is challenged by relativity theory in science. Relativity theory does not refute certain philosophical accounts of absolute space and time, it could be maintained. But we may nevertheless think it preferable to develop a metaphysics for the way the world is, as described in the best available scientific theory. What we might then achieve is a scientifically informed metaphysics. This might give us a coherent account of the world that works on both a concrete and abstract level."


(Mumford, Stephen. Metaphysics: A Very Short Introduction. Oxford: Oxford University Press, 2012. pp. 103-6)

#213:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 09.05.2016, 23:14
    —
schtonk hat folgendes geschrieben:
Kurze Zwischenfrage: Du grenzt Philosophie also von der Wissenschaft ab. Was ist sie dann?


Ich sehe da vielmehr ein Kontinuum, ein kontinuierliches Spektrum mit der reinen Theorie (dem reinen Denken/Vorstellen) und der reinen Empirie (dem reinen Empfinden/Wahrnehmen) als Polen: http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?p=2054938#2054938

Hegel definiert die Philosophie im allgemeinsten Sinn als "die denkende Betrachtung der Gegenstände". Ich würde ergänzen: "…im Lichte der Erfahrung".

Jack Smart definiert die Metaphysik schlicht als "das philosophische Studium des Universums und unseres Platzes darin" ("Platz" im wörtlichen und übertragenen Sinn).

#214: Re: Hegel tot, aber die Philosophie lebt? Autor: Myron BeitragVerfasst am: 10.05.2016, 00:16
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Die Errichtung spekulativer Luftschlösser à la Hegel is zu Recht "out" (...)

"Unsere Zeit glaubt nicht mehr an die Möglichkeit, durch dialektische Begriffsentwicklung die Gedanken oder den Sinn der Wirklichkeit a priori zu erkennen. ....

(Paulsen, Friedrich. Einleitung in die Philosophie. 15. Aufl. Stuttgart: Cotta, 1906. S. 16)


Wusste ich's doch. Dein Anti-Hegelianismus hat nichts mit vermeintlicher Themenfremdheit zu tun, sondern mit deiner philosophischen Ablehnung.

Im übrigen passt es nicht zusammen, @Myron, wenn bei der Hegel'schen Form der Dialektik das Spekulative abgelehnt und verworfen wird, während es in der Metaphysik als wichtige, ja normale Sache hingestellt wird.


Die Ablehnung der spekulativen Methodik Hegels und ihres absoluten Erkenntnisanspruchs bedeutet nicht die allgemeine Ablehnung spekulativen Denkens.

"Es ist der gemeinsame Grundcharakter der Philosophien Fichtes, Schellings, Hegels, dass sie durch ein neues Verfahren rein begrifflichen Denkens, unabhängig von der Erfahrung und den empirischen Wissenschaften, ein System absoluter Erkenntnis der Wirklichkeit hervorbringen zu können überzeugt sind. 'Die Wissenschaftslehre,' sagt Fichte, 'fragt schlechterdings nicht nach der Erfahrung und nimmt auf sie schlechthin keine Rücksicht. Sie müsste wahr sein, wenn es auch gar keine Erfahrung geben könnte, und sie wäre a priori sicher, dass alle mögliche künftige Erfahrung sich nach den durch sie aufgestellten Gesetzen würde richten müssen.' Ebenso erklärt er am Eingang der Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, 'dass der Philosoph ohne Rücksicht auf irgendeine Erfahrung und schlechthin a priori sein Geschäft (hier die Konstruktion der Geschichte) treibe und die gesamte Zeit und alle möglichen Epochen derselben a priori müsse beschreiben können.'

In gleicher Weise, wie Fichte die Geschichte a priori deduziert, konstruierte Schelling die Natur a priori, indem er gelegentlich gegen die 'blinde und ideenlose Art der Naturforschung, die seit dem Verderben der Philosophie durch Bacon, der Physik durch Boyle und Newton allgemein sich festgesetzt hat', seinen Zorn auslässt. In Hegel erreicht die spekulative Philosophie ihre Vollendung; die ganze Wirklichkeit wird von ihm aus Begriffen konstruiert; Wirklichkeit und Wahrheit fallen in seinem System zusammen. Daneben stehen die empirischen Wissenschaften; nicht ex principiis, aus dem Begriff, sondern ex datis, durch äußerliche Kunde, sammeln sie allerlei Kenntnis des Einzelnen. Die eigentliche Erkenntnis der Wirklichkeit ist die philosophische; ihre Form, die dialektische Begriffsentwicklung, ist nichts anderes als die subjektive Wiederholung des objektiven Entwicklungsprozesses der Idee, d.i. der Wirklichkeit selbst.

Noch nie hatte die Philosophie eine so stolze Sprache geführt. Völlig auf sich selbst ruhend, hatte sie die Wissenschaften, deren sie früher als ihrer Organe sich bedient hatte, nunmehr aus dem Dienst entlassen, sie bedurfte ihrer nicht mehr, sie hatte jenen 'königlichen Weg' zur Erkenntnis entdeckt, und brachte nun selbst aus sich selber die absolute Erkenntnis der Dinge zustande. Der alte Begriff ist also, wenn man will, auch hier erhalten: Philosophie der Inbegriff aller eigentlich wissenschaftlichen Erkenntnis; aber mit einem Unterschied: früher gehörte die wissenschaftliche Forschung, besonders die naturwissenschaftliche, dazu, jetzt war sie als ein vorwissenschaftliches Verfahren ausgeschieden."


(Paulsen, Friedrich. Einleitung in die Philosophie. 15. Aufl. Stuttgart: Cotta, 1906. S. 29-30)

#215:  Autor: Waldwuffel BeitragVerfasst am: 10.05.2016, 08:43
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
In seinen eigenen Worten:


Mich würde vielmehr interessieren, wie du in deinen eigenen Worten jetzt genau diese spekulative Kosmologie beschreiben würdest. Ich habe ja oben dargelegt, dass und warum ich eine philosophische Beschäftigung mit etwa Raum und Zeit auch für Begriffsanalyse halte. Darauf hast du nur wieder geantwortet, dass irgendwelche Philosophen die Metaphysik seit Langem in zwei Bereiche aufteilen. Was dieser zweite Bereich, die spekulative Kosmologie, sein soll, weiß ich aber immer noch nicht. Irgendwie soll da mehr als nur Sprachanalyse betrieben werden, es sollen über Fragen bezüglich der Natur, für die es (noch) keine naturwissenschaftlichen Antworten gibt, "Vermutungen" angestellt werden usw., aber es soll auch keine Beschreibung der Natur herauskommen, die etwa den Status einer naturwissenschaftlichen Theorie beansprucht. Darunter kann ich mir einfach nichts vorstellen. Was genau soll das nun sein, das über eine bloße Analyse der Begriffe (in näherer Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften) hinausgeht?

#216:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 10.05.2016, 09:27
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Fragen, die „unbeantwortet“, „unterbeantwortet“ oder „(gegenwärtig oder grundsätzlich) unbeantwortbar“ sind, sind eben und vor allem genau dies: „unbeantwortet“. Also findet man entweder eine durch Tatsachenbeobachtungen belegbare Antwort, oder man sucht eben weiter. Mutmaßungen, Spekulationen oder haltlose Behauptungen sind etwas für den Stammtisch, oder wie es Thomas Metzinger im letzten SPIEGEL so schön (und etwas dezenter) formulierte: „Welt­an­schau­li­che De­bat­ten sind was fürs Feuille­ton und für Leu­te, die sich selbst gern als „In­tel­lek­tu­el­le“ be­zeich­nen.“

Spricht's und beteiligt sich selbst rege an den "weltanschaulichen Debatten" ...

Da hast du nur leider allzu recht!

Myron hat folgendes geschrieben:

...im Bereich der Philosophie des Geistes (Materialismus vs. Spiritualismus).

Hier allerdings nicht.

Dazu noch mal ein Zitat: „Übrigens lehrte mich das Studium von medizinischen Grundwissenschaften wie Physiologie und Anatomie zugleich auch der Vorstellung zu mißtrauen, daß der Mensch ein Stück Materie sei. Was sich zeigte, war, daß der Mensch eine enorm komplizierte Organisation von Materie ist. Die gesamte Materie, aus der ein Mensch besteht, mag noch beieinander sein - wenn die Organisation der Materie nicht mehr richtig funktioniert oder ganz zusammenbricht, verliert der Organismus die Fähigkeit, sich selbst zu rekonstruieren, und wir sagen dann: der Mensch ist tot.“
(N.E. Bd 17, S. 19)

Insofern wird aus dem philosophischen Gegensatz von Materialismus vs Spiritualismus eine wissenschaftliche, dh. durch Tatsachenbeobachtungen überprüfbare Modellvorstellung. zwinkern

#217:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 10.05.2016, 09:53
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Ein kluger User hier schrieb einmal...Ähnlich verfährt offenbar die philosophische, spekulative Metaphysik....Wenn schließlich Menschen in einem bestimmten Wissenszweig in ihrem Denken das positive oder wissenschaftliche Stadium erreicht haben,...Religiöse oder Philosophen nennen das dann gerne mal...Mac Born schrieb...oder wie es Thomas Metzinger im letzten SPIEGEL so schön (und etwas dezenter) formulierte...Rolf Hellmut Foerster schrieb einmal...

haltlose Behauptungen sind etwas für den Stammtisch...


So sieht's doch mal aus! Und immer schön im empirisch fassbaren bleiben und sich um Gottes Willen nicht in Schwafeleien verlieren.

#218: Re: Hegel tot, aber die Philosophie lebt? Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 10.05.2016, 17:23
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Die Errichtung spekulativer Luftschlösser à la Hegel is zu Recht "out" (...)

"Unsere Zeit glaubt nicht mehr an die Möglichkeit, durch dialektische Begriffsentwicklung die Gedanken oder den Sinn der Wirklichkeit a priori zu erkennen. ....

(Paulsen, Friedrich. Einleitung in die Philosophie. 15. Aufl. Stuttgart: Cotta, 1906. S. 16)


Wusste ich's doch. Dein Anti-Hegelianismus hat nichts mit vermeintlicher Themenfremdheit zu tun, sondern mit deiner philosophischen Ablehnung.

Im übrigen passt es nicht zusammen, @Myron, wenn bei der Hegel'schen Form der Dialektik das Spekulative abgelehnt und verworfen wird, während es in der Metaphysik als wichtige, ja normale Sache hingestellt wird.


Die Ablehnung der spekulativen Methodik Hegels und ihres absoluten Erkenntnisanspruchs bedeutet nicht die allgemeine Ablehnung spekulativen Denkens.

"Es ist der gemeinsame Grundcharakter der Philosophien Fichtes, Schellings, Hegels, dass sie durch ein neues Verfahren rein begrifflichen Denkens, unabhängig von der Erfahrung und den empirischen Wissenschaften, ein System absoluter Erkenntnis der Wirklichkeit hervorbringen zu können überzeugt sind. 'Die Wissenschaftslehre,' sagt Fichte, 'fragt schlechterdings nicht nach der Erfahrung und nimmt auf sie schlechthin keine Rücksicht. Sie müsste wahr sein, wenn es auch gar keine Erfahrung geben könnte, und sie wäre a priori sicher, dass alle mögliche künftige Erfahrung sich nach den durch sie aufgestellten Gesetzen würde richten müssen.' Ebenso erklärt er am Eingang der Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, 'dass der Philosoph ohne Rücksicht auf irgendeine Erfahrung und schlechthin a priori sein Geschäft (hier die Konstruktion der Geschichte) treibe und die gesamte Zeit und alle möglichen Epochen derselben a priori müsse beschreiben können.'

In gleicher Weise, wie Fichte die Geschichte a priori deduziert, konstruierte Schelling die Natur a priori, indem er gelegentlich gegen die 'blinde und ideenlose Art der Naturforschung, die seit dem Verderben der Philosophie durch Bacon, der Physik durch Boyle und Newton allgemein sich festgesetzt hat', seinen Zorn auslässt. In Hegel erreicht die spekulative Philosophie ihre Vollendung; die ganze Wirklichkeit wird von ihm aus Begriffen konstruiert; Wirklichkeit und Wahrheit fallen in seinem System zusammen. Daneben stehen die empirischen Wissenschaften; nicht ex principiis, aus dem Begriff, sondern ex datis, durch äußerliche Kunde, sammeln sie allerlei Kenntnis des Einzelnen. Die eigentliche Erkenntnis der Wirklichkeit ist die philosophische; ihre Form, die dialektische Begriffsentwicklung, ist nichts anderes als die subjektive Wiederholung des objektiven Entwicklungsprozesses der Idee, d.i. der Wirklichkeit selbst.

Noch nie hatte die Philosophie eine so stolze Sprache geführt. Völlig auf sich selbst ruhend, hatte sie die Wissenschaften, deren sie früher als ihrer Organe sich bedient hatte, nunmehr aus dem Dienst entlassen, sie bedurfte ihrer nicht mehr, sie hatte jenen 'königlichen Weg' zur Erkenntnis entdeckt, und brachte nun selbst aus sich selber die absolute Erkenntnis der Dinge zustande. Der alte Begriff ist also, wenn man will, auch hier erhalten: Philosophie der Inbegriff aller eigentlich wissenschaftlichen Erkenntnis; aber mit einem Unterschied: früher gehörte die wissenschaftliche Forschung, besonders die naturwissenschaftliche, dazu, jetzt war sie als ein vorwissenschaftliches Verfahren ausgeschieden."


(Paulsen, Friedrich. Einleitung in die Philosophie. 15. Aufl. Stuttgart: Cotta, 1906. S. 29-30)


Die Bedeutung Hegels liegt - im Gegensatz zu den anderen beiden - in etwas anderem, besonderem. Er entwickelte die Logik weiter hin zu einer dialektischen Logik.

Hegels Theorien von der Einheit der Widersprüche, von der widersprüchlichen Entwicklung der Welt - allerdings in diesem Fall des *Weltgeistes* - war in dieser Form völlig neu, auch wenn Hegel an philosohische Vorläufer wie Heraklit anknüpfte.

Hegel brachte den Entwicklungsgedanken nicht nur in die Philosophie, sondern auch in die Soziologie und diverse andere Wissenschaften ein, in der ihm eigenen, falschen Form, aber vom Kern her ist das immer noch revolutionär und die Forschung wird zu klären haben, wie wahr und brauchbar eine rationale Dialektik sein kann.

Auch Demokrit hat mit seinen allgemeinen Kategorien "Zufall und Notwendigkeit" strukturelle Paradigmen geschaffen, die sich in einigen Wissenschaften als allgemein wahr und/oder allgemeingültig bzw. als brauchbar erwiesen haben.

Eine reine Empirie ist jedenfalls unzureichend; man ist gezwungen, deren Ergebnisse thoretisch richtig zu interpretieren. Das geht kaum durch Spekulation, oder höchstens zufällig.

Empirie für das Erfahrbare und Metaphysik für das nicht Erfahrbare scheint zunächst naheliegend. Doch am Beispiel der Allgemeinen Relativitätstheorie und der Entdeckung schwarzer Löcher hat sich gezeigt, dass auch ohne Empirie mit Hilfe guter theoretischer Methoden, eine Annäherung an die Wahrheit über die Welt stattfinden kann, ohne spekulative Methoden anzuwenden.

Die Strukturen der Dialektik und des Demokritischen Paradigmas sehe ich von ihrem strukturtheoretischen Ansatz her als verwandt mit der theoretischen Mathematik und Physik an.

Ein kurzer Satz zur analytischen Philosophie: Davon halte ich nichts.

#219: Re: Hegel tot, aber die Philosophie lebt? Autor: Waldwuffel BeitragVerfasst am: 10.05.2016, 17:52
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Ein kurzer Satz zur analytischen Philosophie: Davon halte ich nichts.


Darf ich fragen, warum?

#220: Re: Hegel tot, aber die Philosophie lebt? Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 10.05.2016, 18:12
    —
Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Ein kurzer Satz zur analytischen Philosophie: Davon halte ich nichts.


Darf ich fragen, warum?


Karl Popper hat folgendes geschrieben:
Ein Philosoph, der sich sein Leben lang mit der Sprache beschäftigt, ist wie ein Zimmermann, der seine ganze Arbeitszeit damit verbringt, seine Werkzeuge zu schärfen.


Wo Popper Recht hat, hat er Recht ...- Cool

#221: Re: Hegel tot, aber die Philosophie lebt? Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 10.05.2016, 18:38
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:

Doch am Beispiel der Allgemeinen Relativitätstheorie und der Entdeckung schwarzer Löcher hat sich gezeigt, dass auch ohne Empirie mit Hilfe guter theoretischer Methoden, eine Annäherung an die Wahrheit über die Welt stattfinden kann, ohne spekulative Methoden anzuwenden.


In deinem nächsten Leben kannst du mir dann man erklären, wie du belegen willst, daß etwas "eine Annäherung an die Wahrheit" ist, wenn du (wie wir alle) "die Wahrheit" gar nicht kennst.

"Ich weiß zwar nicht, wo El Dorado liegt, aber ich bin jetzt garantiert näher dran!" *prust*

P.S.: Natürlich beruht die Relativitätstheorie auf empirischen Daten, ebenso wie auf theoretischen Erkenntnissen. Das eine gibt's nicht ohne das andere, oder es gibt in einem Fach keinen Fortschritt.

#222: Re: Hegel tot, aber die Philosophie lebt? Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 10.05.2016, 18:48
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:

Doch am Beispiel der Allgemeinen Relativitätstheorie und der Entdeckung schwarzer Löcher hat sich gezeigt, dass auch ohne Empirie mit Hilfe guter theoretischer Methoden, eine Annäherung an die Wahrheit über die Welt stattfinden kann, ohne spekulative Methoden anzuwenden.


In deinem nächsten Leben kannst du mir dann man erklären, wie du belegen willst, daß etwas "eine Annäherung an die Wahrheit" ist, wenn du (wie wir alle) "die Wahrheit" gar nicht kennst.

"Ich weiß zwar nicht, wo El Dorado liegt, aber ich bin jetzt garantiert näher dran!" *prust*

P.S.: Natürlich beruht die Relativitätstheorie auf empirischen Daten, ebenso wie auf theoretischen Erkenntnissen. Das eine gibt's nicht ohne das andere, oder es gibt in einem Fach keinen Fortschritt.


Du willst doch wohl nicht bezweifeln, dass die ART über die heute bekannte Empirie weit hinaus reicht und dennoch womöglich der Wahrheit sehr nahe ist, ganz ohne Metaphysik und Spekulation ...-? zwinkern

#223:  Autor: Waldwuffel BeitragVerfasst am: 10.05.2016, 19:05
    —
Naja, das ist jetzt natürlich etwas platt...

Analytische Philosophie ist ja nicht gleichbedeutend mit Sprachphilosophie. Es wird nur die Sprache, als das Medium aller unserer Erkenntnisse, zur Grundlage der philosophischen Analyse gemacht. Und ich finde, dass das tatsächlich die richtige Herangehensweise ist. Die "philosophischen Gegenstände" sind ja letzten Endes (allgemeine und abstrakte) Begriffe wie etwa "Erkenntnis", "Wahrheit" usw. und von daher ist es doch überaus naheliegend sie erstmal so, wie sie sind, als sprachliche Gebilde aufzufassen und entsprechend zu analysieren. Das haben frühere Philosophen doch im Prinzip auch schon getan, Platon etwa. Nur war ihnen das bis zum "linguistic turn" nicht wirklich bewusst und man meinte, man müsse nicht bei der Sprache ansetzen, sondern bei irgendwelchen "idealen Gegenständen" oder "Vorstellungen" oder ähnlich Zweifelhaftem bzw. zumindest nicht intersubjektiv Zugänglichem. Ich finde, dass durch die Hinwendung zur Sprache als dem "Material" der philosophischen Arbeit alles sehr viel klarer geworden ist, während die philosophischen Probleme nichts verloren haben.

Womit sollten sich Philosophen denn deiner Ansicht nach beschäftigen?


Zuletzt bearbeitet von Waldwuffel am 10.05.2016, 19:12, insgesamt 2-mal bearbeitet

#224: Re: Hegel tot, aber die Philosophie lebt? Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 10.05.2016, 19:09
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Natürlich beruht die Relativitätstheorie auf empirischen Daten, ebenso wie auf theoretischen Erkenntnissen. Das eine gibt's nicht ohne das andere, oder es gibt in einem Fach keinen Fortschritt.


Du willst doch wohl nicht bezweifeln, dass die ART über die heute bekannte Empirie weit hinaus reicht und dennoch womöglich der Wahrheit sehr nahe ist, ganz ohne Metaphysik und Spekulation ...-? zwinkern


Es gibt wohl keinen Zweifel, daß die Allgemeine Relativitätstheorie ein erheblicher Fortschritt für die physikalischen Wissenschaften war und ist.

Ob sie über die heute bekannte Empirie hinausreicht, was ja wohl heißen soll, daß sie theoretische Vorhersagen möglich macht, die heute noch nicht durch Tatsachenbeobachtungen belegt sind, kann ich als physikalischer Laie nicht beurteilen, ist aber auch kein Problem. Nehmen wir an, es wäre so, so gäbe es genau drei Möglichkeiten, entweder, man findet diese empirischen Belege noch, dann ist das eine Bestätigung, oder man finden Gegenbelege, dann muß man die Theorie eben anpassen, oder man findet nichts, und man sucht weiter.

In keinem dieser Fälle, so sehe ich das jedenfalls, wäre dies ein Grund, an der Tatsache zu zweifeln, daß die physikalischen Theorien Einsteins ein großer Fortschritt in der Geschichte der Physik waren, nur eben kein Endpunkt. Und darum, um dem Vergleich zu vorherigen Theorie und Erkenntnissen geht es, wenn man die Wert wissenschaftlicher Arbeiten beurteilen will.

Nur den Begriff "Wahrheit" halte ich in diesem Zusammenhang für Quatsch. Es ist Ausdruck der Illusion, unser Wissen nähere sich irgendeinem vorgegebenen Ziel, irgendeinem absoluten Ende, einer endgültigen Gewißheit. Wir kennen so etwas nicht, können es uns daher auch nicht vorstellen, und es spricht auch vieles dagegen, daß es so etwas gibt. Da wir es nicht kennen, können wir auch nicht sagen, wie weit wir davon weg sind. Dieser Begriff ist einfach ein Relikt aus religiösen Zeiten. Er mag innerhalb von eingleisigen Systemen wie Mathematik oder Logik weiterhin seine Berechtigung haben. Aber in den theoretisch-empirischen Wissenschaften gaukelt er nur eine Sicherheit vor, wo keine ist.

#225:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 10.05.2016, 21:15
    —
Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Naja, das ist jetzt natürlich etwas platt...


Zugegeben. Aber was besseres habe ich von Popper nicht gefunden. Pfeifen

Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Analytische Philosophie ist ja nicht gleichbedeutend mit Sprachphilosophie. Es wird nur die Sprache, als das Medium aller unserer Erkenntnisse, zur Grundlage der philosophischen Analyse gemacht. Und ich finde, dass das tatsächlich die richtige Herangehensweise ist. Die "philosophischen Gegenstände" sind ja letzten Endes (allgemeine und abstrakte) Begriffe wie etwa "Erkenntnis", "Wahrheit" usw. und von daher ist es doch überaus naheliegend sie erstmal so, wie sie sind, als sprachliche Gebilde aufzufassen und entsprechend zu analysieren. Das haben frühere Philosophen doch im Prinzip auch schon getan, Platon etwa. Nur war ihnen das bis zum "linguistic turn" nicht wirklich bewusst und man meinte, man müsse nicht bei der Sprache ansetzen, sondern bei irgendwelchen "idealen Gegenständen" oder "Vorstellungen" oder ähnlich Zweifelhaftem bzw. zumindest nicht intersubjektiv Zugänglichem. Ich finde, dass durch die Hinwendung zur Sprache als dem "Material" der philosophischen Arbeit alles sehr viel klarer geworden ist, während die philosophischen Probleme nichts verloren haben.


Die Fortsetzung des Neopositivismus, bei dem alles *analysiert* wird, was empirisch zugänglich ist und zudem, alles, was gesagt wird oder gesagt werden kann, muss natürlich alles vernachlässigen, was nicht direkt empirisch zugänglich ist oder was nicht gesagt wird oder gesagt werden kann, (etwa weil es nicht bewusst ist).

Insofern ist es nur folgerichtig, dass die Nachfolger Comtes, u.a. zuweilen von einem tiefen Erkenntnispessimismus durchdrungen sind, auf der anderen Seite aber nach *tiefen Begriffen und Prinzipien* suchen. Nur - wie will man die finden, wenn die Erkenntnis der Sache selbst hinten runter fällt?

Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Womit sollten sich Philosophen denn deiner Ansicht nach beschäftigen?


Mit den Fragen nach der Bedeutung wissenschaftlicher Erkenntisse im Hinsicht auf das Verhältnis zu bisherigen Erkenntnissen und auf mögliche gesellschaftliche Implikationen.

Das wurde oben bereits in einem verlinkten Artikel ganz gut beschrieben:

Zitat:
Philosophie der Physik

Kann man auf gut 100 Seiten einen Eindruck von philosophischen Problemen der Physik vermitteln? Man kann, wie der doppelt promovierte Physiker und Philosoph Norman Sieroka zeigt, der an der ETH Zürich lehrt. Aber braucht man überhaupt Philosophen, um Physik zu verstehen? Schließlich käme kaum jemand auf die Idee, eine kurze Philosophie der Chemie oder Geografie zu schreiben. (...)

Bei den alten Griechen waren alle Antworten auf die Frage, woraus die Natur auf der fundamentalen Ebene besteht – ob aus Wasser oder aus Atomen, ob aus den Elementen Erde, Wasser, Luft und Feuer oder den idealen geometrischen Körpern – pure Spekulation. Erst mit dem Aufkommen der empirischen Naturforschung etablierte sich die Physik als eigene Methode, die seither auf dem Wechselspiel von mathematischer Theorie und technischem Experiment beruht.

Doch die enormen Erfolge der Physik warfen stets Verständnisprobleme auf. Was ist ein Teilchen, was verstehen wir unter einem Feld? Was genau wirkt, wenn die Schwerkraft Körper anzieht? Und was schwingt, wenn wir Licht als Welle beschreiben? Ganz zu schweigen von den Deutungsfragen, mit denen sich Experten und Laien heute angesichts der Quantenmechanik herumschlagen. Die Begründer der Quantenphysik waren geradezu gezwungen, schlecht und recht zu philosophieren, um einigermaßen zu verstehen, was ihre umstürzend neuen Theorien besagten – und dieser Deutungsprozess ist bis heute nicht abgeschlossen. Auf diese Weise kommt die Naturphilosophie, die anfangs aus der Physik verdrängt wurde, nun erneut ins Spiel.


http://www.spektrum.de/rezension/buchkritik-zu-philosophie-der-physik/1323078


Das aber heisst auch, dass Philosophie in Zukunft keine selbständige Existenz mehr hat und dennoch mehr sein wird als bloß spekulative Metaphysik.

Das ist meine Ansicht zu einer sinnvollen Rolle der Philosophie, die wieder vom Positivismus und Sprachanalysen runterkommen muss ...-

#226: Re: Hegel tot, aber die Philosophie lebt? Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 10.05.2016, 21:23
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Natürlich beruht die Relativitätstheorie auf empirischen Daten, ebenso wie auf theoretischen Erkenntnissen. Das eine gibt's nicht ohne das andere, oder es gibt in einem Fach keinen Fortschritt.


Du willst doch wohl nicht bezweifeln, dass die ART über die heute bekannte Empirie weit hinaus reicht und dennoch womöglich der Wahrheit sehr nahe ist, ganz ohne Metaphysik und Spekulation ...-? zwinkern


Es gibt wohl keinen Zweifel, daß die Allgemeine Relativitätstheorie ein erheblicher Fortschritt für die physikalischen Wissenschaften war und ist.

Ob sie über die heute bekannte Empirie hinausreicht, was ja wohl heißen soll, daß sie theoretische Vorhersagen möglich macht, die heute noch nicht durch Tatsachenbeobachtungen belegt sind, kann ich als physikalischer Laie nicht beurteilen, ist aber auch kein Problem. Nehmen wir an, es wäre so, so gäbe es genau drei Möglichkeiten, entweder, man findet diese empirischen Belege noch, dann ist das eine Bestätigung, oder man finden Gegenbelege, dann muß man die Theorie eben anpassen, oder man findet nichts, und man sucht weiter.

In keinem dieser Fälle, so sehe ich das jedenfalls, wäre dies ein Grund, an der Tatsache zu zweifeln, daß die physikalischen Theorien Einsteins ein großer Fortschritt in der Geschichte der Physik waren, nur eben kein Endpunkt. Und darum, um dem Vergleich zu vorherigen Theorie und Erkenntnissen geht es, wenn man die Wert wissenschaftlicher Arbeiten beurteilen will.

Nur den Begriff "Wahrheit" halte ich in diesem Zusammenhang für Quatsch. Es ist Ausdruck der Illusion, unser Wissen nähere sich irgendeinem vorgegebenen Ziel, irgendeinem absoluten Ende, einer endgültigen Gewißheit. Wir kennen so etwas nicht, können es uns daher auch nicht vorstellen, und es spricht auch vieles dagegen, daß es so etwas gibt. Da wir es nicht kennen, können wir auch nicht sagen, wie weit wir davon weg sind. Dieser Begriff ist einfach ein Relikt aus religiösen Zeiten. Er mag innerhalb von eingleisigen Systemen wie Mathematik oder Logik weiterhin seine Berechtigung haben. Aber in den theoretisch-empirischen Wissenschaften gaukelt er nur eine Sicherheit vor, wo keine ist.


Deshalb habe ich ja auch nur von einer Annäherung an die Wahrheit geschrieben. Ich halte es aber nicht für Quatsch von einer relativen, aber dennoch obektiven Realität zu sprechen, auch wenn diese niemals vollständig erkennbar sein wird, weder durch den Menschen noch durch andere intelligente Leberwesen irgendwo *da draußen.

Ich bin auch der Meinung, dass es keinen Endpunkt der Erkenntnis gibt.

#227: Re: Hegel tot, aber die Philosophie lebt? Autor: Myron BeitragVerfasst am: 10.05.2016, 21:52
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Die Bedeutung Hegels liegt - im Gegensatz zu den anderen beiden - in etwas anderem, besonderem. Er entwickelte die Logik weiter hin zu einer dialektischen Logik.


Zur Entwicklung der formalen Logik hat er nichts Nennenswertes beigetragen.

#228:  Autor: Waldwuffel BeitragVerfasst am: 10.05.2016, 22:13
    —
"Was ist ein Teilchen, was verstehen wir unter einem Feld? Was genau wirkt, wenn die Schwerkraft Körper anzieht? Und was schwingt, wenn wir Licht als Welle beschreiben? Ganz zu schweigen von den Deutungsfragen, mit denen sich Experten und Laien heute angesichts der Quantenmechanik herumschlagen."

Ja, und solche Fragen lassen sich m.E. am besten mit sprachanalytischen Methoden bearbeiten. Denn "Was verstehen wir unter einem Feld?" ist doch eigentlich nur eine andere Formulierung für: "Was bedeutet 'Feld' in diesem Zusammenhang?"
Mit "tiefen Begriffen und Prinzipien" beschäftigt sich die analytische Philosophie eigentlich nicht, sondern vielmehr genau mit solchen Problemen wie denen, die du gerade zitiert hast...

#229:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 11.05.2016, 09:01
    —
Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
"Was ist ein Teilchen, was verstehen wir unter einem Feld? Was genau wirkt, wenn die Schwerkraft Körper anzieht? Und was schwingt, wenn wir Licht als Welle beschreiben? Ganz zu schweigen von den Deutungsfragen, mit denen sich Experten und Laien heute angesichts der Quantenmechanik herumschlagen."

Ja, und solche Fragen lassen sich m.E. am besten mit sprachanalytischen Methoden bearbeiten. Denn "Was verstehen wir unter einem Feld?" ist doch eigentlich nur eine andere Formulierung für: "Was bedeutet 'Feld' in diesem Zusammenhang?"
Mit "tiefen Begriffen und Prinzipien" beschäftigt sich die analytische Philosophie eigentlich nicht, sondern vielmehr genau mit solchen Problemen wie denen, die du gerade zitiert hast...


Fachbegriffe sind Teil der theoretischen Modelle eines Fachs. Bist du sicher, daß sich Fachwissenschaftler den Gebrauch und die Bedeutung ihrer Begriffe von Fachfremden vorschreiben lassen?

#230: Re: Hegel tot, aber die Philosophie lebt? Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 11.05.2016, 09:35
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Die Bedeutung Hegels liegt - im Gegensatz zu den anderen beiden - in etwas anderem, besonderem. Er entwickelte die Logik weiter hin zu einer dialektischen Logik.


Zur Entwicklung der formalen Logik hat er nichts Nennenswertes beigetragen.


Würde ich so nicht sagen:

http://www.zeno.org/Philosophie/M/Hegel,+Georg+Wilhelm+Friedrich/Wissenschaft+der+Logik

Das ist aber nicht leicht zu lesen und selbst Zusammenfassungen sind meist ziemlich lang.

Im Gegensatz zur Sprachphilosophie und zum Neopositivismus geht es Hegel aber nicht um zusammenhanglose Begriffe und Dinge, sondern um deren Verbindung und dialektische Einheit oder Negation oder negative Einheit.

@Waldwuffel: Die Begriffe kommen aus der Wissenschaft und nicht aus der Sprachphilosophie und können nur anhand der wissenschaftlchen Entwicklung ihrerseits weiter entwickelt werden.

#231:  Autor: Waldwuffel BeitragVerfasst am: 11.05.2016, 10:07
    —
Dann könnte auch ein Begriff wie "Gegenstand" nur im Rahmen eines Alltagsgesprächs analysiert und expliziert werden, da er der Alltagssprache entstammt...
Es geht auch nicht darum, den Wissenschaftlern vorzuschreiben, wie sie solche Termini technisch gebrauchen sollen, sondern darum, durch Analyse aller möglichen Bedeutungsdimensionen eines solchen Ausdrucks zu einem Wissen darüber zu gelangen, was solche Ausdrücke im Allgemeinen bedeuten (oder, wie man es früher ausgedrückt hätte, um herauszufinden, was etwa Raum und Zeit letzten Endes "wirklich sind").

#232:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 11.05.2016, 10:16
    —
Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Dann könnte auch ein Begriff wie "Gegenstand" nur im Rahmen eines Alltagsgesprächs analysiert und expliziert werden, da er der Alltagssprache entstammt...
Es geht auch nicht darum, den Wissenschaftlern vorzuschreiben, wie sie solche Termini technisch gebrauchen sollen, sondern darum, durch Analyse aller möglichen Bedeutungsdimensionen eines solchen Ausdrucks zu einem Wissen darüber zu gelangen, was solche Ausdrücke im Allgemeinen bedeuten (oder, wie man es früher ausgedrückt hätte, um herauszufinden, was etwa Raum und Zeit letzten Endes "wirklich sind").


Mit Sprachanalyse bekommst du nur heraus, wie Menschen über bestimmte Dinge gesprochen, wie sie bestimmte Begriffe verwendet haben. Was sie "wirklich sind", findest du so nicht. Du kannst das Wort "Sonne" noch so lang und so breit analysieren, in welcher Sprache du willst, daß es einen Fusionsreaktor bezeichnet, bekommst du im Leben nicht heraus.

#233:  Autor: Waldwuffel BeitragVerfasst am: 11.05.2016, 10:29
    —
Ich sehe das so: das Wissen, das wir über die Welt und alle Dinge, die sie enthält, haben, ist sprachlich formuliert. Es gibt die verschiedensten Gebrauchsweisen von etwa Wörtern in den unterschiedlichsten Kontexten. Um also zu wissen, was das Allgemeine und Grundsätzliche eines bestimmten Dinges ist, quasi die "platonische Idee", muss man alle diese relevanten Gebrauchsweisen des entsprechenden Wortes bzw. der entsprechenden sprachlichen Form untersuchen und herausfinden, was die allein gemeinsam zugrundeliegende Bedeutung ist.
Die Sprachanalyse erzeugt damit also nicht selbst das Wissen von den Dingen (das tun heute vor allem die Wissenschaften, aber auch "Alltagserkenntnisse" können im Prinzip berücksichtigt werden), sie vereinheitlicht nur die verschiedenen Aspekte des Wissens, das wir von bestimmten Gegenständen haben, und bringt es in eine klarere Form.

#234:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 11.05.2016, 10:43
    —
Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Ich sehe das so: das Wissen, das wir über die Welt und alle Dinge, die sie enthält, haben, ist sprachlich formuliert. Es gibt die verschiedensten Gebrauchsweisen von etwa Wörtern in den unterschiedlichsten Kontexten. Um also zu wissen, was das Allgemeine und Grundsätzliche eines bestimmten Dinges ist, quasi die "platonische Idee", muss man alle diese relevanten Gebrauchsweisen des entsprechenden Wortes bzw. der entsprechenden sprachlichen Form untersuchen und herausfinden, was die allein gemeinsam zugrundeliegende Bedeutung ist.
Die Sprachanalyse erzeugt damit also nicht selbst das Wissen von den Dingen (das tun heute vor allem die Wissenschaften, aber auch "Alltagserkenntnisse" können im Prinzip berücksichtigt werden), sie vereinheitlicht nur die verschiedenen Aspekte des Wissens, das wir von bestimmten Gegenständen haben, und bringt es in eine klarere Form.


Ich denke, es wäre zweckmäßiger, den Zusammenhang zwischen bestimmten Begriffen und dem zu zeigen, was damit begriffen werden soll. Dann dürfte sich sehr schnell zeigen, welcher Begriffsgebrauch der sachgerechtere ist. Die Suche nach der "platonischen Idee" landet meiner Ansicht nach genau da: bei idealistischen Fantasien, bei der Vorstellung, irgendetwas über die "Dinge an sich" müsse auf geheimnisvolle Weise in den Begriffen enthalten sein, anstatt sich klar zu machen, daß sprachliche Begriffe nichts anderes sind als menschengemachte Symbole, der Bedeutung sich mit dem wandeln, was Menschen in sie hineinlegen, ohne daß sich deshalb die Symbole wandeln müssen.

Das Symbol "Sonne", um nur einmal auf dieses Beispiel zurückzugreifen, existiert in den unterschiedlichen Sprachen vermutlich so lange, wie Menschen an den Himmel schauen. Seine Bedeutung hat sich seitdem beständig verändert, von einer Gottheit, die im Wagen über den Taghimmel fährt, bis zu einem Wärme spendenden Heliumreaktor im Zentrum unseres Sonnensystems, und ob das schon alles ist, was man über unsere Sonne wissen kann, wissen wir nicht. Zumindest ist unsere Vorstellung realistischer als die früherer Zeiten, aber ob wir "das Ding an sich" damit erfaßt haben, wissen wir nicht. Aber nichts davon ist dem Begriff selbst zu entnehmen. Die "platonische Idee" ist eine Fantasievorstellung.

#235:  Autor: Waldwuffel BeitragVerfasst am: 11.05.2016, 10:47
    —
Ein gutes Beispiel sind etwa psychische "Gegenstände". Neben dem Alltagsverständnis beschäftigen sich damit die verschiedsten Wissenschaften wie die Psychologie und die Neurowissenschaften. Die haben aber grundlegend verschiedene Perspektiven auf diese Gegenstände und eben grundlegend verschiedene Sprachen. Man kann aber durchaus sinnvoll sagen, dass sie sich mit denselben Gegenständen beschäftigen. Wenn man das sagen kann, dann muss es da "etwas geben", auf das sich beide Wissenschaften beziehen können. Nur was ist das? Von den einzelnen Wissenschaften wird man jeweils eine Antwort in ihrer Sprache bekommen, sie werden also andere Aspekte oder Bedeutungsdimensionen auslassen. Um eine grundlegendere und allgemeinere Vorstellung davon zu bekommen, was diese Gegenstände sind, was für Eigenschaften sie haben usw., muss man also die verschiedenen Sprachen analysieren und eine Bedeutung konstruieren, die das Wesentliche aller fachspezifischen Verwendungsweisen der entsprechenden Ausdrücke enthält und sie sinnvoll zueinander ins Verhältnis setzt. Ich finde, man kann dabei schon davon sprechen, dass man, wenn das gelingt, am Ende ein besseres Verständnis davon bekommt, was diese Gegenstände "wirklich sind".

#236:  Autor: Waldwuffel BeitragVerfasst am: 11.05.2016, 10:58
    —
"Platonische Idee" habe ich ja bewusst in Anführungszeichen gesetzt. Ich meine damit natürlich nicht wirklich das, worauf Platon hinauswollte, also irgendwelche idealen Gegenstände, die den Einzeldingen irgendwie "zugrundeliegen". Eher anders herum: eine im Nachhinein, d.h. im Anschluss an den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess entwickelte und auf ihm basierende Konzeption dieser Gegenstände, die alles Wesentliche umfasst, das man bisher über sie herausgefunden hat.

#237:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 11.05.2016, 11:09
    —
Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Ein gutes Beispiel sind etwa psychische "Gegenstände". Neben dem Alltagsverständnis beschäftigen sich damit die verschiedsten Wissenschaften wie die Psychologie und die Neurowissenschaften. Die haben aber grundlegend verschiedene Perspektiven auf diese Gegenstände und eben grundlegend verschiedene Sprachen. Man kann aber durchaus sinnvoll sagen, dass sie sich mit denselben Gegenständen beschäftigen. Wenn man das sagen kann, dann muss es da "etwas geben", auf das sich beide Wissenschaften beziehen können. Nur was ist das? Von den einzelnen Wissenschaften wird man jeweils eine Antwort in ihrer Sprache bekommen, sie werden also andere Aspekte oder Bedeutungsdimensionen auslassen. Um eine grundlegendere und allgemeinere Vorstellung davon zu bekommen, was diese Gegenstände sind, was für Eigenschaften sie haben usw., muss man also die verschiedenen Sprachen analysieren und eine Bedeutung konstruieren, die das Wesentliche aller fachspezifischen Verwendungsweisen der entsprechenden Ausdrücke enthält und sie sinnvoll zueinander ins Verhältnis setzt. Ich finde, man kann dabei schon davon sprechen, dass man, wenn das gelingt, am Ende ein besseres Verständnis davon bekommt, was diese Gegenstände "wirklich sind".


Zwei Wissenschaften werden sich nur dann über einen gemeinsamen Gegenstandsbereich verständigen können, wenn es Individuen gibt, die sich in beiden Fachgebieten auskennen. Sprachforscher helfen da nicht weiter, es sein denn, sie sind, wie in deinem Beispiel, vor allem Psychologen und Neurowissenschaftler, und zwar beides zugleich.

Ja, unterschiedliche Forschungsbereiche haben unterschiedliche Begrifflichkeiten. Um deren Bedeutung zu verstehen, nützt es aber nichts, diese Begriffe zu untersuchen, ohne zu wissen, was damit begriffen werden soll. Ein Begriff selbst sagt mir nichts, wenn ich seine fachspezifische Verwendung nicht kenne, wenn ich nicht weiß, auf welche Fakten oder Modelle von Zusammenhängen er sich bezieht. Diese Fakten und Theorien muß man vergleichen, und dafür evtl. gemeinsame Begriffe finden.

In den Begriffen selbst steckt die Bedeutung in den seltensten Fällen. Dem Begriff "Kuckuck" kann ich zur Not noch etwas über die Lautäußerungen dieses Vogels entnehmen. Dem Begriff "Meise" kann ich sprachlich noch entnehmen, daß es sich vermutlich um einen kleinen Vogel handelt. Und das sind noch Alltagsbegriffe. Wissenschaftlich und schon gar über "das Ding an sich" gibt das nichts her.

#238:  Autor: Waldwuffel BeitragVerfasst am: 11.05.2016, 11:22
    —
Natürlich muss der Philosoph, der solche Sprachanalysen macht, sich auch gut in den entsprechenden Wissenschaften auskennen, damit dabei etwas Sinnvolles herauskommen kann (was in Wirklichkeit wohl oft genug nicht der Fall ist). Bzw. ich bin, wie gesagt, der Ansicht, dass auch die Wissenschaftler selbst bisweilen Philosophie betreiben, wenn sie so über ihre Begriffe nachdenken.

Ich verstehe unter Philosohie tatsächlich nur diese Tätigkeit der Begriffsanalyse- und klärung und kein Unternehmen, eine bestimmte Art "idealer Gegestände" zu erforschen oder so etwas. (Wobei die Philosophie sich m.E. eben vor allem mit einer begrenzen Menge allgemeinster und abstraktester Begriffe wie etwa Gegenstand, Wissen, Kausalität usw. beschäftigt).

#239:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 11.05.2016, 11:23
    —
Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
"Platonische Idee" habe ich ja bewusst in Anführungszeichen gesetzt. Ich meine damit natürlich nicht wirklich das, worauf Platon hinauswollte, also irgendwelche idealen Gegenstände, die den Einzeldingen irgendwie "zugrundeliegen". Eher anders herum: eine im Nachhinein, d.h. im Anschluss an den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess entwickelte und auf ihm basierende Konzeption dieser Gegenstände, die alles Wesentliche umfasst, das man bisher über sie herausgefunden hat.


Vielleicht bin ich im Moment auch nicht ganz auf der Höhe und tue etwas, was ich andersherum kritisiere: Mich mit dir über bloße Begriffe zu streiten (obwohl, ein richtiger Streit war es ja nicht). Vermutlich sind wir inhaltlich gar nicht so weit auseinander, verwenden nur andere Begriffe, und verbinden die mit anderen Vorstellungen, also genau das, was du durch Betrachtung der jeweiligen Sprache nachträglich zu harmonisieren versuchst. Habe ich dich da in etwa richtig verstanden?

#240:  Autor: Waldwuffel BeitragVerfasst am: 11.05.2016, 11:28
    —
Ja, ich denke auch, dass wir da eigentlich recht nahe beieinander sind. Dass die Philosophie nicht irgendwelches zusätzliches Wissen generiert, das über die Erkenntnisse der Wissenschaften wesentlich hinausgeht, ist jedenfalls auch meine Ansicht. Und dass zumindest innerhalb der Wissenschaften auch Begriffsklärungen vorgenommen werden, scheinst du ja genauso zu sehen.

#241:  Autor: Effô TisettiWohnort: 75 BeitragVerfasst am: 11.05.2016, 11:31
    —
Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Ein gutes Beispiel sind etwa psychische "Gegenstände". Neben dem Alltagsverständnis beschäftigen sich damit die verschiedsten Wissenschaften wie die Psychologie und die Neurowissenschaften. Die haben aber grundlegend verschiedene Perspektiven auf diese Gegenstände und eben grundlegend verschiedene Sprachen. Man kann aber durchaus sinnvoll sagen, dass sie sich mit denselben Gegenständen beschäftigen. Wenn man das sagen kann, dann muss es da "etwas geben", auf das sich beide Wissenschaften beziehen können. Nur was ist das? Von den einzelnen Wissenschaften wird man jeweils eine Antwort in ihrer Sprache bekommen, sie werden also andere Aspekte oder Bedeutungsdimensionen auslassen. Um eine grundlegendere und allgemeinere Vorstellung davon zu bekommen, was diese Gegenstände sind, was für Eigenschaften sie haben usw., muss man also die verschiedenen Sprachen analysieren und eine Bedeutung konstruieren, die das Wesentliche aller fachspezifischen Verwendungsweisen der entsprechenden Ausdrücke enthält und sie sinnvoll zueinander ins Verhältnis setzt. Ich finde, man kann dabei schon davon sprechen, dass man, wenn das gelingt, am Ende ein besseres Verständnis davon bekommt, was diese Gegenstände "wirklich sind".


Ja, wäre wünschenswert, aber das kriegen die "Sprachforscher" ja selbst schon nicht hin: So reden die linguistische Pragmatik und die Sprach- und Kommunikationspsychologie ebenfalls in weiten Teilen über dieselben Phänomene/Gegenstände. Allerdings tatsächlich mit völlig unterschiedlichen Begrifflichkeiten. Das bekommt allerdings nur mit, wer sich gleichzeitig mit beiden beschäftigt. Es fehlt, so scheint mir, eine koordinierende Instanz. Aber die müsste nicht nur firm in beiden Teildisziplinen sein, sondern auch (von wem?) mit entsprechender "Macht" ausgestattet sein, um entsprechende Kaffeekränzchen zu einem Ergebnis zu führen...

#242:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 11.05.2016, 11:36
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
.... Dem Begriff "Meise" kann ich sprachlich noch entnehmen, daß es sich vermutlich um einen kleinen Vogel handelt.....

Außerdem sollte man wissen, dass es sich um Höhlenbrüter handelt, sonst wird die Redewendung von der "Meise unter dem Pony" nicht in der Bedeutung Hohlkopf verstanden, wobei das Wort hohl hier anders zu verstehen ist als bei einer Flasche (es sei denn, es ist wieder eine Person gemeint).

Das wesentlich an Sprache ist, dass es sich bei den Bedeutungen letzlich um Vereinbarungen handelt. Diese zu erforschen, dient der Sicherheit in der Kommunikation, aber nicht der Anhäufung von Wissen über die Welt - obwohl die benutzte Sprache, die in dem Moment der Benutzung ja die vereinbarte Bedeutung enthält, sehr viel von dem enthält, was wir im Moment über die Welt wissen.

#243:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 11.05.2016, 11:41
    —
fwo hat folgendes geschrieben:

Das wesentlich an Sprache ist, dass es sich bei den Bedeutungen letzlich um Vereinbarungen handelt. Diese zu erforschen, dient der Sicherheit in der Kommunikation, aber nicht der Anhäufung von Wissen über die Welt ...

So isses!

fwo hat folgendes geschrieben:

... obwohl die benutzte Sprache, die in dem Moment der Benutzung ja die vereinbarte Bedeutung enthält, sehr viel von dem enthält, was wir im Moment über die Welt wissen.

oder zu wissen meinen. zwinkern

#244:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 11.05.2016, 11:42
    —
Effô Tisetti hat folgendes geschrieben:

Ja, wäre wünschenswert, aber das kriegen die "Sprachforscher" ja selbst schon nicht hin: So reden die linguistische Pragmatik und die Sprach- und Kommunikationspsychologie ebenfalls in weiten Teilen über dieselben Phänomene/Gegenstände. Allerdings tatsächlich mit völlig unterschiedlichen Begrifflichkeiten. Das bekommt allerdings nur mit, wer sich gleichzeitig mit beiden beschäftigt. Es fehlt, so scheint mir, eine koordinierende Instanz. Aber die müsste nicht nur firm in beiden Teildisziplinen sein, sondern auch (von wem?) mit entsprechender "Macht" ausgestattet sein, um entsprechende Kaffeekränzchen zu einem Ergebnis zu führen...


Ist das nicht Teil des Wirrwarrs in den Menschenwissenschaften überhaupt?

#245:  Autor: Effô TisettiWohnort: 75 BeitragVerfasst am: 11.05.2016, 11:43
    —
Effô Tisetti hat folgendes geschrieben:
Aber die müsste nicht nur firm in beiden Teildisziplinen sein, sondern auch (von wem?) mit entsprechender "Macht" ausgestattet sein, um entsprechende Kaffeekränzchen zu einem Ergebnis zu führen...


Kleine Ergänzung: also keine Philosophen. zwinkern

#246:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 11.05.2016, 11:45
    —
Effô Tisetti hat folgendes geschrieben:
Effô Tisetti hat folgendes geschrieben:
Aber die müsste nicht nur firm in beiden Teildisziplinen sein, sondern auch (von wem?) mit entsprechender "Macht" ausgestattet sein, um entsprechende Kaffeekränzchen zu einem Ergebnis zu führen...


Kleine Ergänzung: also keine Philosophen. zwinkern

Sehr glücklich

#247:  Autor: Effô TisettiWohnort: 75 BeitragVerfasst am: 11.05.2016, 11:48
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Effô Tisetti hat folgendes geschrieben:

Ja, wäre wünschenswert, aber das kriegen die "Sprachforscher" ja selbst schon nicht hin: So reden die linguistische Pragmatik und die Sprach- und Kommunikationspsychologie ebenfalls in weiten Teilen über dieselben Phänomene/Gegenstände. Allerdings tatsächlich mit völlig unterschiedlichen Begrifflichkeiten. Das bekommt allerdings nur mit, wer sich gleichzeitig mit beiden beschäftigt. Es fehlt, so scheint mir, eine koordinierende Instanz. Aber die müsste nicht nur firm in beiden Teildisziplinen sein, sondern auch (von wem?) mit entsprechender "Macht" ausgestattet sein, um entsprechende Kaffeekränzchen zu einem Ergebnis zu führen...


Ist das nicht Teil des Wirrwarrs in den Menschenwissenschaften überhaupt?


Vielleicht. Mich würde allerdings schwer wundern, wenn es das in den "technischen" oder Naturwissenschaften nicht gäbe. Die Linguistik hat übrigens auch Teilbereiche, in denen sie - obwohl "Geisteswissenschaft" - mit "harten Fakten" arbeitet; anders als z.B. die Literaturwissenschaft (deren Vertreter mich wahrscheinlich gleich digital dafür steinigen...).

#248:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 11.05.2016, 12:15
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
....
fwo hat folgendes geschrieben:

... obwohl die benutzte Sprache, die in dem Moment der Benutzung ja die vereinbarte Bedeutung enthält, sehr viel von dem enthält, was wir im Moment über die Welt wissen.

oder zu wissen meinen. zwinkern

Ich hatte vor dem Abschicken des Posts einen Moment gezögert, ob ich nicht genau diese Korrektur, die Du nachgeliefert hast, einfügen sollte.

Da ich aber (wie Du eigentlich auch) nicht von einer absoluten Wahrheit ausgehe, ist das identisch. Wissen ist dann nichts anderes, als die gedanklichen Voraussetzungen, die ich mache, um die Welt zu bewerten, d.h. es gilt für den Moment, in dem es benutzt wird - und kann sich im Nachhinein auch als falsch herausstellen.

#249:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 11.05.2016, 20:10
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
...
Im Gegensatz zur Sprachphilosophie und zum Neopositivismus geht es Hegel aber nicht um zusammenhanglose Begriffe und Dinge, sondern um deren Verbindung und dialektische Einheit oder Negation oder negative Einheit.

Nach dieser Formulierung würde Hegel heute einen esoterischen Blog betreiben.

Du scheinst Dialektik auch für einen Begriff der Logik zu halten.
Aber gibt es wirklich noch Bücher über Logik, in denen der Begriff Dialektik als in der Logik brauchbarer Begriff überhaupt noch akzeptiert wird?

Behauptung:
Ich ersetze den Begriff "Dialektik" in Texten durch "Yin und Yang" und weder Sinngehalt noch Erklärungswert des Textes wird verändert.

#250:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 11.05.2016, 22:51
    —
unquest hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
...
Im Gegensatz zur Sprachphilosophie und zum Neopositivismus geht es Hegel aber nicht um zusammenhanglose Begriffe und Dinge, sondern um deren Verbindung und dialektische Einheit oder Negation oder negative Einheit.

Nach dieser Formulierung würde Hegel heute einen esoterischen Blog betreiben.

Du scheinst Dialektik auch für einen Begriff der Logik zu halten.
Aber gibt es wirklich noch Bücher über Logik, in denen der Begriff Dialektik als in der Logik brauchbarer Begriff überhaupt noch akzeptiert wird?

Behauptung:
Ich ersetze den Begriff "Dialektik" in Texten durch "Yin und Yang" und weder Sinngehalt noch Erklärungswert des Textes wird verändert.


Du kannst es nicht lassen, was? zwinkern

Es ist spät und deshalb nur eine knappe Antwort.

Zitat:
Dialektik ist ein uneinheitlich gebrauchter Ausdruck der westlichen Philosophie.

In der Antike und im Mittelalter bezeichnete er eine Methode der Gesprächsführung oder Argumentation sowie den Bereich, der heute mit Logik bezeichnet wird. (...)

Bei Hegel ist die Dialektik die der Metaphysik entgegengesetzte Methode der Erkenntnis, zugleich die innere Gesetzmäßigkeit der Selbstbewegung des Denkens und der Selbstbewegung der Wirklichkeit.


https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Dialektik&oldid=154053447


Während *Yin und Yang* heute für reaktionäre Konzepte der esoterischen *Ganzheitlichkeit* oder des soziologischen Organizismus herhalten müssen, hat Dialektik mit solchen Gleichgewichtslehren von *hell und dunkel* - welche ja Platzhalter für dies und das sind - nichts zu tun.

In der dialektischen Logik gilt im Gegensatz zur klassischen Logik nicht einfach der Satz des *tertium non datur*, sondern das in der klassischen Logik ausgeschlossene Dritte wird z.B. als Synthese und Weiterentwicklung zweier widersprüchlicher Positionen vorgestellt.

Auch in der Literatur spielt dialektische Logik eine Rolle, etwa in:

Dialektische Logik: Hegels Wissenschaft der Logik und ihre realphilosophischen Wirklichkeitsweisen Taschenbuch – 16. März 2005, von Max Gottschlich (Herausgeber), Michael Wladika



Hegel, immer wieder Hegel

Übrigens zahlen einige Krankenkassen nicht nur Homöopathie, sondern auch chinesische Medizin nach Yin & Yang. Aber Hegel zahlt keine Krankenkasse, so weit ich weiß ...- Cool

#251:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 11.05.2016, 23:13
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:

In der dialektischen Logik gilt im Gegensatz zur klassischen Logik nicht einfach der Satz des *tertium non datur*, sondern das in der klassischen Logik ausgeschlossene Dritte wird z.B. als Synthese und Weiterentwicklung zweier widersprüchlicher Positionen vorgestellt.

Antagonistisches, was immer das auch sei, erzeugt irgendwie einen unendlichen Regress, der etwas hervorbringt. Toll. Und das hat mit Logik jetzt was zu tun?

Zitat:
Übrigens zahlen einige Krankenkassen nicht nur Homöopathie, sondern auch chinesische Medizin nach Yin & Yang. Aber Hegel zahlt keine Krankenkasse, so weit ich weiß ...- Cool


Wie es scheint, wird "Dialektik" an mit von Steuergeldern finanzierten Universitäten gelehrt und Menschen halten sich für gebildet, wenn sie den Begriff gebrauchen. Gehts schlimmer? Lachen

#252:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 11.05.2016, 23:33
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Während *Yin und Yang* heute für reaktionäre Konzepte der esoterischen *Ganzheitlichkeit* oder des soziologischen Organizismus herhalten müssen, hat Dialektik mit solchen Gleichgewichtslehren von *hell und dunkel* - welche ja Platzhalter für dies und das sind - nichts zu tun.

Ich kann zwar kein Chinesisch und kenne daher nur Übersetzungen des Tao-Te King, aber so wie ich das sehe, hat Lao-Tzes Denken mit den heute daraus abgeleiteten esoterischen kosmologisch-metaphysischen Gleichgewichtslehren nur bedingt zu tun. Es scheint sich mir vielmehr um eine Klugheitslehre zu handeln, die eine ganze Reihe an Gemeinsamkeiten mit den Philosophien Heraklits und Epikurs aufweist, die im westlichen Denken bekanntlich durchaus einflussreiche Vorläufer der modernen Dialektik und des modernen Materialismus darstellten. Bertold Brecht war ja nicht ohne Grund faszinitert vom Tao-Te King, und hat u.A. ein Gedicht über seine Entstehung geschrieben. Das heißt nicht, dass das Tao-Te King nicht unwissenschaftliche Metaphysiken enthält. Nur ist das eben bei allen Philosophen dieser Zeit der Fall. Selbst Epikur glaubte an die Existenz von Göttern und hielt sie für die ultimative Verkörperung von ἀταραξία.

Es kommt eben darauf an, worauf man bei der Lektüre des Tao-Te King den Akzent setzt. Wenn man den Akzent auf die Metaphysik des Tao setzt, kommt man zu diversen esoterischen kosmologischen Gleichgewichtslehren. Wenn man den Akzent hingegen auf die praktische Philosophie Lao-Tzes setzt und seine Metaphysik aus ihr heraus versteht, findet man eine Klugheitslehre, die gut ein Vorläufer materialistischer Positionen sein könnte, und die den entsprechenden antiken europäischen Klugheitslehren nicht allzu unähnlich ist.

#253:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 11.05.2016, 23:46
    —
unquest hat folgendes geschrieben:
Ich ersetze den Begriff "Dialektik" in Texten durch "Yin und Yang" und weder Sinngehalt noch Erklärungswert des Textes wird verändert.

Du ersetzt ein Konzept, das du nicht kapierst, durch ein anderes, das du auch nicht wirklich kapierst, und endest damit, dass du immer noch nichts kapierst. Was für eine Überraschung... noc

#254:  Autor: Waldwuffel BeitragVerfasst am: 12.05.2016, 08:39
    —
Ich kenne einige, deren Kompetenz ich sehr schätze, und die wiederum Hegel sehr schätzen, von daher will ich nicht sagen, dass er wohl nur Unsinn verzapft hat, aber ich bin doch sehr skeptisch.
Mein Eindruck ist, dass die Texte von Hegel nicht nur so schwer verständlich sind, weil die Inhalte so kompliziert sind, sondern dass Hegel auch bewusst dunkel geschrieben hat. Vieles ist rein metaphorisch oder allegorisch beschrieben, nicht als zusätzliche Verdeutlichung, sondern von vornherein und ausschließlich, und entsprechend wird der Inhalt nicht eindeutig übermittelt. Etwa das berühmte Kapitel über "Herrschaft und Knechtschaft". Da kenne ich Interpretationen, die darin soziale Verhältnisse sehen, ebenso wie solche, die annehmen, dass darin Verhältnisse innerhalb des Bewusstseins beschrieben werden. Vielleicht ist auch beides gleichzeitig der Fall und es bestehen verschiedenste Beziehungen zwischen beiden Ebenen.
Wenn so unterschiedliche Interpretationen eines Textes möglich sind und auch nach zweihundert Jahren noch nicht klar ist, was nun damit gemeint ist, dann bedeutet das auf jeden Fall, dass der Text unklar ist. Darüber hinaus habe ich bei Hegel, etwa im Gegensatz zu Kant, bei dem es natürlich auch unklare Stellen gibt, wie gesagt, den Eindruck, dass diese Uneindeutigkeit gewollt ist, da er permanent so schreibt und nicht nur an besonders komplizierten Stellen oder solchen, die ihm offenbar selbst noch Verständnisschwierigkeiten bereitet haben. Von daher kann ich mit Hegel nichts anfangen bzw. deshalb habe ich kein großes Interesse an ihm. Da beschäftige ich mich lieber mit Autoren, die auch verstanden werden wollten.

#255:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 12.05.2016, 10:06
    —
Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Etwa das berühmte Kapitel über "Herrschaft und Knechtschaft". Da kenne ich Interpretationen, die darin soziale Verhältnisse sehen, ebenso wie solche, die annehmen, dass darin Verhältnisse innerhalb des Bewusstseins beschrieben werden.

Dieser Widerspruch lässt sich leicht auflösen. Für Hegel sind die sozialen Verhältnisse Ausdrücke von "Verhältnissen innerhalb des Bewusstseins" (Begriffen).

Trotz dieser idealistischen Verdrehung finde ich Hegels Analyse von Herrschaft und Knechtschaft immer noch sehr aufschlussreich hinsichtlich der Bewusstseinsbildung unter vor-kapitalistischen Verhältnissen. Hegel unterschätzt in seiner Beschreibung aber m.E. die Relevanz nicht-lethaler Körperstrafen in solchen Verhältnissen. In seiner Analyse kommt das ja gar nicht vor, sondern er gründet das Verhältnis ausschließlich auf die Entscheidung des Knechts zwischen Knechtschaft und Tod. Das ist mir schon beim ersten Lesen merkwürdig vorgekommen.

#256:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 12.05.2016, 10:57
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
unquest hat folgendes geschrieben:
Ich ersetze den Begriff "Dialektik" in Texten durch "Yin und Yang" und weder Sinngehalt noch Erklärungswert des Textes wird verändert.

Du ersetzt ein Konzept, das du nicht kapierst, durch ein anderes, das du auch nicht wirklich kapierst, und endest damit, dass du immer noch nichts kapierst. Was für eine Überraschung... noc

Da mit dem Begriff der Dialektik weniger Prozesse des Verstehens als viel mehr Gaben der Erleuchtung verbunden sind, ist dein Ad hominem hinfällig.

Aber vielleicht ist ja ein Physiker im Forum anwesend, der uns mit Hilfe der Dialektik den Aufbau von Atomen erklärt oder ein Historiker, der uns z.B. den Zusammenbruch der Maya Gesellschaft mit Hilfe des Klassenmodells erläutert.

#257:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 12.05.2016, 11:06
    —
unquest hat folgendes geschrieben:

Aber vielleicht ist ja ein Physiker im Forum anwesend, der uns mit Hilfe der Dialektik den Aufbau von Atomen erklärt oder ein Historiker, der uns z.B. den Zusammenbruch der Maya Gesellschaft mit Hilfe des Klassenmodells erläutert.


Letzteren findest du wohl leichter, besser wird es dadurch allerdings auch nicht. SCNR

#258:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 12.05.2016, 11:40
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
unquest hat folgendes geschrieben:

Aber vielleicht ist ja ein Physiker im Forum anwesend, der uns mit Hilfe der Dialektik den Aufbau von Atomen erklärt oder ein Historiker, der uns z.B. den Zusammenbruch der Maya Gesellschaft mit Hilfe des Klassenmodells erläutert.


Letzteren findest du wohl leichter, besser wird es dadurch allerdings auch nicht. SCNR

Könntest du Recht haben. Je weniger Tatsachen von einem Gegenstand bekannt sind, desto präziser arbeitet die "dialektische Logik".

#259:  Autor: Waldwuffel BeitragVerfasst am: 12.05.2016, 15:06
    —
@Tarvoc: okay, dazu kann ich jetzt leider nichts Qualifiziertes sagen, da ich mich ja mit Hegel nicht besonders intensiv beschäftigt habe.
Aber was sagst du denn zu meinem grundsätzlichen Vorwurf, dass Hegel durchgängig eine uneindeutige Sprache verwendet hat? Den Eindruck bekomme ich zumindest jedes mal, wenn ich mal in einen seiner Texte schaue. Und die Vielzahl der verschiedenen Interpretationen scheint mir das auch zu bestätigen.

Ach so, zur Logik: die Dialektik spielt in der modernen Logik natürlich wirklich keine Rolle. Allerdings hat man, wenn ich mich richtig erinnere, durchaus mal versucht, sie zu formalisieren.
Ich kann damit aber insgesamt auch nichts anfangen. Die Sperrigkeit dieser Texte schreckt mich einfach gleich wieder ab. Und da ich finde, dass man mit anderen Herangehensweisen an philosophische Probleme durchaus zu nachvollziehbaren Ergebnissen kommt und da auch sowas wie ein Fortschritt erkennbar, ein Dialog zwischen Philosophen mit den verschiedensten Positionen in einer mehr oder weniger gleichen Sprache möglich ist, usw., hält sich mein Interesse, mich mit dem hegelschen Ansatz, oder überhaupt mit irgendeiner dieser "Autorenphilosophien", näher zu beschäftigen, in sehr engen Grenzen.

#260:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 12.05.2016, 15:44
    —
Fußnote: Metaphysik ist nicht Linguistik, und Ontologie ist nicht Lexikologie!

#261:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 12.05.2016, 15:48
    —
"Panlogismus (pan, logos): All-Vernunft-Lehre. der metaphysische Standpunkt, welchem gemäß als die absolute Wirklichkeit des Alls der Logos (s. d.), das Logische, Vernünftige, die Vernunft, Idee (s. d.) betrachtet wird. Der Panlogismus ist die metaphysische Form des Intellektualismus (s. d.). Er verlangt als Ergänzung den Voluntarismus (s. d.), da die Idee, das Vernünftige nur durch den Willen realisiert werden kann, ohne diesen nur Abstraktion ist.

Ansätze zum Panlogismus finden sich schon bei HERAKLIT (s. Logos), PLATO (s. Idee), ARISTOTELES (s. Gott als noêsis noêseôs), PLOTIN (s. Geist, Logos), in der Gnostik (s. d.), bei TERTULLIAN (»Sicut naturalia, ita rationalia in Deo omnia,« Adv. Marc. I, 23. vgl. De poenit. 1), AVERROËS (s. Intellekt), SPINOZA (s. Intellekt), BARDILI, nach welchem im All überall ein Denken besteht (Gr. d. erst. Log.), J. G. FICHTE (s. Dialektik). Als System wird der Panlogismus von HEGEL begründet. Nach ihm ist alles Wirkliche vernünftig (Rechtsphilos. S. 17), das Absolute ist Idee (s. d.), objektive Vernunft, Geist, sich dialektisch (s. d.) entfaltende Idee (s. d.), Logos, Begriff (s. d.), alles Endliche ist Moment (s. d.) des logischen Prozesses des Alls. »Die Hegelsche Weisheit kurz ausgedrückt ist, daß die Welt ein kristallisierter Syllogismus sei,« sagt SCHOPENHAUER (Neue Paralipom. § 75), ein heftiger Gegner des Panlogismus."


http://www.textlog.de/4802.html

#262:  Autor: Waldwuffel BeitragVerfasst am: 12.05.2016, 15:58
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Fußnote: Metaphysik ist nicht Linguistik, und Ontologie ist nicht Lexikologie!


Warum dieser Einwand gegen die analytische Methodik in der Philosophie nicht wirklich greift, habe ich oben schon mal angesprochen. Analytische Philosophie ist nicht gleichbedeutend mit Sprachphilosophie (also der philosophischen Beschäftigung mit Sprache) und sie ist natürlich ebensowenig gleichzusetzen mit der Linguistik. Es wird bloß die Sprache, als das Medium unserer Erkenntnis, als "Material" der philosophischen Analyse verwendet (im Gegensatz etwa zu "Vorstellungen" oder "idealen Gegenständen"). Hintergrund ist, dass dieses "Material", anders als die übrigen Kandidaten, intersubjektiv zugänglich ist. Und ich finde, dass sich sämtliche relevanten philosophischen Probleme tatsächlich so umformulieren lassen, ohne dass etwas Wesentliches verloren ginge.

#263:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 12.05.2016, 19:45
    —
Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Aber was sagst du denn zu meinem grundsätzlichen Vorwurf, dass Hegel durchgängig eine uneindeutige Sprache verwendet hat?

Das ist kein "Vorwurf", sondern entspricht explizit Hegels Selbstverständnis. Ein Aspekt der Hegelschen Philosophie besteht gerade darin, dass er aufzeigt, wie ein und der selbe Sachverhalt unter verschiedenen philosophischen Perspektiven unterschiedliche Bedeutung erhalten kann. Die Vieldeutigkeit seiner Aussagen ist gerade ein notwendiges Resultat dieser Methode, verschiedene Perspektiven unmittelbar einander gegenüberzustellen.

#264:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 12.05.2016, 19:54
    —
unquest hat folgendes geschrieben:
Könntest du Recht haben. Je weniger Tatsachen von einem Gegenstand bekannt sind, desto präziser arbeitet die "dialektische Logik".

Dafür braucht man keine Dialektik. Dass du dich jedenfalls auch ganz ohne Dialektik wunderbar über Sachen auslassen, von denen du keine Ahnung hast, wissen wir ja inzwischen.

#265:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 12.05.2016, 20:13
    —
Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Fußnote: Metaphysik ist nicht Linguistik, und Ontologie ist nicht Lexikologie!


Warum dieser Einwand gegen die analytische Methodik in der Philosophie nicht wirklich greift, habe ich oben schon mal angesprochen. Analytische Philosophie ist nicht gleichbedeutend mit Sprachphilosophie (also der philosophischen Beschäftigung mit Sprache) und sie ist natürlich ebensowenig gleichzusetzen mit der Linguistik. Es wird bloß die Sprache, als das Medium unserer Erkenntnis, als "Material" der philosophischen Analyse verwendet (im Gegensatz etwa zu "Vorstellungen" oder "idealen Gegenständen"). Hintergrund ist, dass dieses "Material", anders als die übrigen Kandidaten, intersubjektiv zugänglich ist. Und ich finde, dass sich sämtliche relevanten philosophischen Probleme tatsächlich so umformulieren lassen, ohne dass etwas Wesentliches verloren ginge.


Ich habe nichts gegen die analytische Methodik, sondern ich wollte nur unterstreichen, dass der eigentliche Gegenstand der Metaphysik die (außersprachliche) Wirklichkeit ("selbst", "an sich") ist (was Kantianer und andere metaphysische Antirealisten freilich bestreiten).

#266:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 12.05.2016, 20:23
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
unquest hat folgendes geschrieben:
Ich ersetze den Begriff "Dialektik" in Texten durch "Yin und Yang" und weder Sinngehalt noch Erklärungswert des Textes wird verändert.

Du ersetzt ein Konzept, das du nicht kapierst, durch ein anderes, das du auch nicht wirklich kapierst, und endest damit, dass du immer noch nichts kapierst. Was für eine Überraschung... noc


Gut gesagt, Tarvoc! Daumen hoch!

Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
... die Dialektik spielt in der modernen Logik natürlich wirklich keine Rolle.


Den oben genannten Literaturhinweis zur modernen dialektischen Logik solltest du erst einmal zur Kenntnis nehmen. Das Buch ist jedenfalls nicht von 1906. zwinkern

Ich würde gerne mal von dir gezeigt bekommen, wie und wo bitte schön die *moderne Logik* ähnliche Leistungen für das strukturelle und dynamische Verständnis verschiedener Systeme vollbringt wie eine vom Kopf auf die Füße gestellte, rationale dialektische Logik. Da bin ich gespannt!

unquest hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
In der dialektischen Logik gilt im Gegensatz zur klassischen Logik nicht einfach der Satz des *tertium non datur*, sondern das in der klassischen Logik ausgeschlossene Dritte wird z.B. als Synthese und Weiterentwicklung zweier widersprüchlicher Positionen vorgestellt.

Antagonistisches, was immer das auch sei, erzeugt irgendwie einen unendlichen Regress, der etwas hervorbringt. Toll. Und das hat mit Logik jetzt was zu tun?


Die Frage ist nicht allein, was die Dialektik mit der Logik zu tun hat; das wird in den von mir gebrachten Hinweisen durchaus erklärt. Aber die willst du ja nicht zur Kenntnis nehmen.

Die Frage ist vor allem auch, was eine Logik mit der Welt zu tun hat und inwieweit es also eine der Welt angemessene Logik ist.

Schau'n wir mal, wie es da mit der dialektischen Logik heute aussieht:

1. Ökonomie

Da sieht es so aus, dass Marx eine Dialektik der Wertform entdeckt hat, die in der Lage ist, zu erklären, warum aus den Widersprüchen des Tauschwertes nicht irgendeine Synthese entsteht, sondern ganz bestimmte Formen des Wertes. (Backhaus hat einige Fehler und Unklarheiten drin, aber davon nicht irritieren lassen, ruhig mal drin herum blättern und lesen!)

2. Biologie

In einer Rezension des Buches "Das ist Biologie" von Ernst Mayr schreibt der Rezensent Udo Gansloßer:

Zitat:
Dieses Buch kann man getrost als eine Synthese der Biologie des 20. Jahrhunderts bezeichnen. Ernst Mayr, der in drei Vierteln des 20. Jahrhunderts bedeutende biologische Arbeiten und Bücher veröffentlicht hat, zeigt hier mit überzeugenden Argumenten auf, dass – und wie – die Biologie eine eigenständige Wissenschaft ist. (...)

In den nächsten drei Kapiteln geht es um die spezifisch biologischen Denkansätze und die Geschichte der Biologie. So wie Mayr sie darstellt, ist sie ein Triumph der Dialektik in dem Sinne, dass fast immer keines von zwei konkurrierenden Konzepten, sondern eine Synthese als beste Erklärung der Tatsachen letztendlich die Oberhand gewinnt. Die noch aktuelle Diskussion, ob Verhalten angeboren oder erworben sei, liefert dafür ein gutes Beispiel. Nach dieser Grundlegung schildert Mayr beispielhaft an vier Teilgebieten der Biologie – Systematik und Beherrschung der Vielfalt, Entwicklungsbiologie, Ökologie und Evolutionsbiologie – historische Entwicklung, frühere und derzeitige Erklärungsansätze, wichtige Begriffe und Teildisziplinen.


http://www.spektrum.de/rezension/das-ist-biologie/570681


Das Buch von Mayr geht natürlich auch besonders auf das Thema der Emergenz ein. Auch hier ist eine dialektische Logik meiner Ansicht nach recht ergiebig, wie auch schon anderen Wissenschaftlern aufgefallen ist.

3. Physik

Die neueren physikalischen Forschungen sind mit sehr widersprüchlichen Phänomen konfrontiert, etwa bei der Doppelnatur der Materie sowohl als Welle als auch Teilchen und im Zusammenhang damit der Unschärferelation.

Auch hier scheint sich nicht die Dialektik der Welt und der Natur anzunähern, sondern umgekehrt und dem entsprechend hat Heisenberg einmal geäußert:

Zitat:
„Die Natur offenbart uns immer mehr ihren dialektischen Charakter, gerade im Bereich der Elementarteilchen. Aber die meisten Menschen können die Dialektik nicht vertragen – auch die Regierenden können das nicht. Dialektik schafft Unruhe und Unordnung. Die Menschen wollen eindeutige und konfektionierte Ansichten zur Verfügung haben.“

http://www.linksnet.de/de/artikel/24102

Quellenbezug: Robert Havemann Bibliographie: Mit unveröffentlichten Texten aus dem Nachlass
von Werner Theuer, Bernd Florath, S. 288 f.



All dies ist ja wohl kaum zu ignorieren und sollte demzufolge im weiteren Diskussionsverlauf berücksichtigt werden anstatt immer die selben dümmlichen Klischees wieder zu käuen ...-

#267:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 12.05.2016, 20:26
    —
Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Ich kann da keinen wesentlichen Unterschied zwischen zwei Bereichen der Metaphysik erkennnen.


Ich habe nicht von einem "wesentlichen" Unterschied gesprochen. Wenn man der klassischen Wolff'schen Unterteilung folgend die (analytische) Ontologie der generellen Metaphysik zuordnet und die (spekulative, philosophische) Kosmologie der speziellen Metaphysik, dann kann man sagen, dass sich Letztere mit konkreteren, weniger abstrakten und weniger generellen Themen befasst. Aus naturalistischer Sicht ist sie nichts weiter als die Metaphysik der Natur, wohingegen sie aus supernaturalistischer Sicht sowohl die Metaphysik der Natur als auch die Metaphysik der Übernatur (d.h. spiritueller Substanzen wie Gott oder abstrakter Objekte) ist.

#268:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 12.05.2016, 20:35
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:

3. Physik
Die neueren physikalischen Forschungen sind mit sehr widersprüchlichen Phänomen konfrontiert, etwa bei der Doppelnatur der Materie sowohl als Welle als auch Teilchen und im Zusammenhang damit der Unschärferelation.


Der Begriff einer widersprüchlichen Wirklichkeit ist widersprüchlich, da Widersprüchlichkeit die Wirklichkeit ausschließt.

"Die Tautologie lässt der Wirklichkeit den ganzen – unendlichen – logischen Raum; die Kontradiktion erfüllt den ganzen logischen Raum und lässt der Wirklichkeit keinen Punkt. Keine von beiden kann daher die Wirklichkeit irgendwie bestimmen"
—L. Wittgenstein (Tractatus 4.463)

#269:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 12.05.2016, 20:58
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
3. Physik
Die neueren physikalischen Forschungen sind mit sehr widersprüchlichen Phänomen konfrontiert, etwa bei der Doppelnatur der Materie sowohl als Welle als auch Teilchen und im Zusammenhang damit der Unschärferelation.
Der Begriff einer widersprüchlichen Wirklichkeit ist widersprüchlich, da Widersprüchlichkeit die Wirklichkeit ausschließt.

"Die Tautologie lässt der Wirklichkeit den ganzen – unendlichen – logischen Raum; die Kontradiktion erfüllt den ganzen logischen Raum und lässt der Wirklichkeit keinen Punkt. Keine von beiden kann daher die Wirklichkeit irgendwie bestimmen"
—L. Wittgenstein (Tractatus 4.463)

Hmm ... außer die Wirklichkeit läge gar nicht im logischen Raum zwinkern

#270:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 12.05.2016, 21:22
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
3. Physik
Die neueren physikalischen Forschungen sind mit sehr widersprüchlichen Phänomen konfrontiert, etwa bei der Doppelnatur der Materie sowohl als Welle als auch Teilchen und im Zusammenhang damit der Unschärferelation.

In der Physik haben sich scheinbar widersprüchliche Phänomene bisher immer als Folge zu einfacher Modelle erwiesen und sind durch gute Theorien aufgelöst worden, so auch die von genannten.

Bei der Unschärferelation ist mir zudem unklar, worin überhaupt da These, Antithese und Synthese bestehen soll ... es ist eher eine typische Kommutatorrelation - es erinnert also eindeutig mehr an ein bestimmtes Muster aus der Algebra als an den Kampf der Arbeiterklasse. Nun sind Hegel und Marx bei Philosophen viel bekannter als Algebra, daher stülpt man eben den Klassenkampf über die Unschärferelation ...

#271:  Autor: Waldwuffel BeitragVerfasst am: 12.05.2016, 22:33
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Ich würde gerne mal von dir gezeigt bekommen, wie und wo bitte schön die *moderne Logik* ähnliche Leistungen für das strukturelle und dynamische Verständnis verschiedener Systeme vollbringt wie eine vom Kopf auf die Füße gestellte, rationale dialektische Logik. Da bin ich gespannt!


Was das "dynamische Verständnis" von Systemen hier genau sein soll, weiß ich nicht, aber die Struktur von Systemen ist doch eigentlich genau das, womit sich die Logik insgesamt überhaupt beschäftigt, also die Gültigkeit von Argumenten in formaler Hinsicht.

Und das Buch, auf das du verwiesen hast, ist doch eins über Hegels Dialektik und eben keines über moderne Logik.

#272:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 12.05.2016, 22:36
    —
step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
3. Physik
Die neueren physikalischen Forschungen sind mit sehr widersprüchlichen Phänomen konfrontiert, etwa bei der Doppelnatur der Materie sowohl als Welle als auch Teilchen und im Zusammenhang damit der Unschärferelation.

In der Physik haben sich scheinbar widersprüchliche Phänomene bisher immer als Folge zu einfacher Modelle erwiesen und sind durch gute Theorien aufgelöst worden, so auch die von genannten.

Bei der Unschärferelation ist mir zudem unklar, worin überhaupt da These, Antithese und Synthese bestehen soll


Die Frage ist hier, wie die Unschärfe - entweder des Ortes oder der Zeit - und damit die Unklarheit des Zustandes beider Parameter aufgelöst werden kann. Nach der 0-1-Logik ist dies nicht möglich. Aber durch die Annahme zwar widersprüchlicher aber dennoch komplementärer Aussagen ist eine Art dialektischer Beschreibung gelungen, die z.B. auf die spekulative und metaphysische Annahme einer Mehrweltentheorie verzichtet.

These und Antithese sind Platzhalter für gegensätzliche Zustände bzw. Eigenschaften, was sinnbildlich in "Schrödingers Katze" veranschaulicht wird oder in Shakespeares Frage "Sein oder Nicht-Sein". Die Synthese bedeutet die Auflösung, jedoch nicht einfach die Negation der beiden Thesen.

step hat folgendes geschrieben:
... es ist eher eine typische Kommutatorrelation - es erinnert also eindeutig mehr an ein bestimmtes Muster aus der Algebra als an den Kampf der Arbeiterklasse. Nun sind Hegel und Marx bei Philosophen viel bekannter als Algebra, daher stülpt man eben den Klassenkampf über die Unschärferelation ...


In meinem Beitrag habe ich aber ein Zitat von Werner Heisenberg gebracht und keines von Marx oder Engels. Es ist durchaus interessant, wie einige prominente Wissenschaftler sich zur Dialektik äußern ...-

#273:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 12.05.2016, 22:39
    —
Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Ich würde gerne mal von dir gezeigt bekommen, wie und wo bitte schön die *moderne Logik* ähnliche Leistungen für das strukturelle und dynamische Verständnis verschiedener Systeme vollbringt wie eine vom Kopf auf die Füße gestellte, rationale dialektische Logik. Da bin ich gespannt!


Was das "dynamische Verständnis" von Systemen hier genau sein soll, weiß ich nicht, aber die Struktur von Systemen ist doch eigentlich genau das, womit sich die Logik insgesamt überhaupt beschäftigt, also die Gültigkeit von Argumenten in formaler Hinsicht.

Und das Buch, auf das du verwiesen hast, ist doch eins über Hegels Dialektik und eben keines über moderne Logik.


Und ist denn die *moderne Logik* nur für sich selber da? Woraus leitet sie sich denn ab?

@Myron: Wie löst denn Wittgenstein die Fragen der Quantenpyhsik philosophisch?

#274:  Autor: Waldwuffel BeitragVerfasst am: 12.05.2016, 22:41
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Ich habe nicht von einem "wesentlichen" Unterschied gesprochen. Wenn man der klassischen Wolff'schen Unterteilung folgend die (analytische) Ontologie der generellen Metaphysik zuordnet und die (spekulative, philosophische) Kosmologie der speziellen Metaphysik, dann kann man sagen, dass sich Letztere mit konkreteren, weniger abstrakten und weniger generellen Themen befasst. Aus naturalistischer Sicht ist sie nichts weiter als die Metaphysik der Natur, wohingegen sie aus supernaturalistischer Sicht sowohl die Metaphysik der Natur als auch die Metaphysik der Übernatur (d.h. spiritueller Substanzen wie Gott oder abstrakter Objekte) ist.


Okay, das sehe ich ja auch so, dass sich die Metaphysik sich mit mehr oder weniger abstrakten Begriffen beschäftigt und dass bei bestimmten Begriffen ein näherer Bezug zu einzelnen Wissenschaften besteht. Wobei ich den Unterschied allerdings nicht für so groß halte, dass man zwei Bereiche annehmen müsste.
Darauf bin ich ja schon mal eingegangen und habe in dem Zusammenhang auch erklärt, dass und warum ich meine, dass die Metaphysik auch dort nur Begriffsanalyse ist. Was genau deine "spekulative Kosmologie" überhaupt leisten soll, ist mir nach wie vor nicht klar.

#275:  Autor: Waldwuffel BeitragVerfasst am: 12.05.2016, 22:44
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Und ist denn die *moderne Logik* nur für sich selber da? Woraus leitet sie sich denn ab?


Natürlich nicht, wie kommst du denn von meiner Aussage dazu? Mit Hilfe der Logik lassen sich alle möglichen Argumente in den verschiedensten Bereichen auf ihre formale Gültigkeit untersuchen. Dafür ist sie letzten Endes da.

#276:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 12.05.2016, 22:47
    —
Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Und ist denn die *moderne Logik* nur für sich selber da? Woraus leitet sie sich denn ab?


Natürlich nicht, wie kommst du denn von meiner Aussage dazu? Mit Hilfe der Logik lassen sich alle möglichen Argumente in den verschiedensten Bereichen auf ihre formale Gültigkeit untersuchen. Dafür ist sie letzten Endes da.


Auch alle möglichen Dinge in den verschiedensten Bereichen?

#277:  Autor: Waldwuffel BeitragVerfasst am: 12.05.2016, 22:59
    —
Was meinst du denn damit? Der Gegenstandbereich der Logik sind Argumente.

#278:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 13.05.2016, 09:00
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:

3. Physik

Die neueren physikalischen Forschungen sind mit sehr widersprüchlichen Phänomen konfrontiert, etwa bei der Doppelnatur der Materie sowohl als Welle als auch Teilchen und im Zusammenhang damit der Unschärferelation.

Auch hier scheint sich nicht die Dialektik der Welt und der Natur anzunähern, sondern umgekehrt und dem entsprechend hat Heisenberg einmal geäußert:

Zitat:
„Die Natur offenbart uns immer mehr ihren dialektischen Charakter, gerade im Bereich der Elementarteilchen. Aber die meisten Menschen können die Dialektik nicht vertragen – auch die Regierenden können das nicht. Dialektik schafft Unruhe und Unordnung. Die Menschen wollen eindeutige und konfektionierte Ansichten zur Verfügung haben.“

http://www.linksnet.de/de/artikel/24102

Quellenbezug: Robert Havemann Bibliographie: Mit unveröffentlichten Texten aus dem Nachlass
von Werner Theuer, Bernd Florath, S. 288 f.



All dies ist ja wohl kaum zu ignorieren und sollte demzufolge im weiteren Diskussionsverlauf berücksichtigt werden anstatt immer die selben dümmlichen Klischees wieder zu käuen ...-



Irgendwas kann hier nicht stimmen und irgendwie kam mir das Muster deiner Argumentation bekannt vor.

Kurzer Ausflug.
Der Koran ist Gottes Wort. Er ist vollkommen. Alle Wahrheit steht im Koran.

Diese drei Voraussetzungen führen selbstverständlich zu, gelinde gesagt, mißlichen Konsequenzen.
Begegnet man nun in der Wirklichkeit einer Tatsache, die nicht im Koran steht müssen Antworten her. Und tatsächlich läßt sich mit entsprechenden Textstellen oder Hadithen auch eine Antwort finden.
Das ist übrigens gar nicht so einfach und führt zu den irrwitzigsten Konstruktionen. Kann man eine Erfindung z.B. selbst nach zehnmaligem Wenden der Texte nicht finden, bleibt die Möglichkeit den Erfinder zum Muslim zu erklären. Da wir bekanntlich alle als Proto-Muslime geboren werden, muss nur ein Hinweis gefunden werden, dass der Betreffende sich zu Allah hingewandt hat. So kann auch Einstein bei Bedarf mal Muslim sein. Die Welt ist wieder in Ordnung.



Was hat das mit dir zu tun?

Es gibt Erfinder die genial Probleme lösen. Es gibt Wissenschaftler die uns die Welt verständlich machen. Dabei wenden sie unter Umständen alle erdenklichen Logigen an - NUR KEINE DIALEKTIK.
Dann kommst du her, schaust ob irgendwo eine Dualität oder Antagonismus zu finden ist und schwupps ists "dialektische Logik".
Siehst du nicht den Unterschied? Die anderen machen mit Hilfe ihrer Logik erfolgreiche Aussagen über die Zukunft und du stülpst ihnen ein primitives Schema, das übrigend zu keinen Voraussagen und Erklärungen überhaupt fähig ist, einfach über.

Gehts noch?

Und zu deinem Zitat: Sollte man bei Rosenberg oder seinem Umfeld eine Textstelle finden in der er das Wort "dialektisch" positiv gebraucht wird; wird somit die "dialektische Logik" bestätigt oder wird er zum Marxisten erklärt?


Zuletzt bearbeitet von unquest am 13.05.2016, 09:10, insgesamt einmal bearbeitet

#279:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 13.05.2016, 09:08
    —
unquest hat folgendes geschrieben:
Es gibt Wissenschaftler die uns die Welt verständlich machen. Dabei wenden sie unter Umständen alle erdenklichen Logigen an - NUR KEINE DIALEKTIK.

...und wenn es Wissenschaftler gibt, die das anders sehen, interessiert dich das natürlich wieder null. Schließlich weisst du wie immer besser als sie selbst, was sie tun.

unquest hat folgendes geschrieben:
Und zu deinem Zitat: Sollte man bei Rosenberg oder seinem Umfeld eine Textstelle finden in der er das Wort "dialektisch" positiv gebraucht wird; wird somit die "dialektische Logik" bestätigt oder wird er zum Marxisten erklärt?

Ad-Hitlerum-Fehlschluss.

#280:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 13.05.2016, 10:09
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
unquest hat folgendes geschrieben:
Es gibt Wissenschaftler die uns die Welt verständlich machen. Dabei wenden sie unter Umständen alle erdenklichen Logigen an - NUR KEINE DIALEKTIK.

...und wenn es Wissenschaftler gibt, die das anders sehen, interessiert dich das natürlich wieder null. Schließlich weisst du wie immer besser als sie selbst, was sie tun.


Da es auch einen wissenschaftlichen Abschluss in Ballett an Universitäten gibt und hier "dialektisch" Körper und Musik eine Einheit bilden, hat meine Behauptung selbstverständlich nur begrenzt Gültigkeit.

Aber es scheint mir in der Tat unverständlich, warum ein Wissenschaftler seine Tätigkeit des Denkens mit einem unendlichen Regress, dessen Inhalt: "Thesen zu Synthesen machen", begleiten sollte.

#281:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 13.05.2016, 21:03
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
These und Antithese sind Platzhalter für gegensätzliche Zustände bzw. Eigenschaften, was sinnbildlich in "Schrödingers Katze" veranschaulicht wird oder in Shakespeares Frage "Sein oder Nicht-Sein". Die Synthese bedeutet die Auflösung, jedoch nicht einfach die Negation der beiden Thesen.

Die Verkürzung der Dialektik auf das T-A-S Schema ist ohnehin sachlich falsch. Es lässt sich leicht zeigen, dass bei Weitem nicht alles, was Hegel als Dialektik betreibt, in dieses Schema fällt. Bei Marx wird's sogar noch komplizierter.

#282:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 13.05.2016, 21:06
    —
unquest hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
...und wenn es Wissenschaftler gibt, die das anders sehen, interessiert dich das natürlich wieder null. Schließlich weisst du wie immer besser als sie selbst, was sie tun.

Da es auch einen wissenschaftlichen Abschluss in Ballett an Universitäten gibt [...]

Klar, Heisenbergs Arbeit im Bereich Physik hat ja bekanntlich genau den selben Stellenwert wie ein Abschluss in Ballett. Mit den Augen rollen

unquest hat folgendes geschrieben:
Aber es scheint mir in der Tat unverständlich [...]

Warum überrascht mich das nicht? zynisches Grinsen

#283:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 13.05.2016, 21:51
    —
Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Und ist denn die *moderne Logik* nur für sich selber da? Woraus leitet sie sich denn ab?


Natürlich nicht, wie kommst du denn von meiner Aussage dazu? Mit Hilfe der Logik lassen sich alle möglichen Argumente in den verschiedensten Bereichen auf ihre formale Gültigkeit untersuchen. Dafür ist sie letzten Endes da.


Auch alle möglichen Dinge in den verschiedensten Bereichen?


Was meinst du denn damit? Der Gegenstandbereich der Logik sind Argumente.


Auch Argumente aus dem Bereich der Quantenphysik?

#284:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 13.05.2016, 22:11
    —
unquest hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
3. Physik

Die neueren physikalischen Forschungen sind mit sehr widersprüchlichen Phänomen konfrontiert, etwa bei der Doppelnatur der Materie sowohl als Welle als auch Teilchen und im Zusammenhang damit der Unschärferelation.

Auch hier scheint sich nicht die Dialektik der Welt und der Natur anzunähern, sondern umgekehrt und dem entsprechend hat Heisenberg einmal geäußert:

Zitat:
„Die Natur offenbart uns immer mehr ihren dialektischen Charakter, gerade im Bereich der Elementarteilchen. Aber die meisten Menschen können die Dialektik nicht vertragen – auch die Regierenden können das nicht. Dialektik schafft Unruhe und Unordnung. Die Menschen wollen eindeutige und konfektionierte Ansichten zur Verfügung haben.“

http://www.linksnet.de/de/artikel/24102

Quellenbezug: Robert Havemann Bibliographie: Mit unveröffentlichten Texten aus dem Nachlass
von Werner Theuer, Bernd Florath, S. 288 f.



All dies ist ja wohl kaum zu ignorieren und sollte demzufolge im weiteren Diskussionsverlauf berücksichtigt werden anstatt immer die selben dümmlichen Klischees wieder zu käuen ...-


Irgendwas kann hier nicht stimmen und irgendwie kam mir das Muster deiner Argumentation bekannt vor.

Kurzer Ausflug.
Der Koran ist Gottes Wort. Er ist vollkommen. Alle Wahrheit steht im Koran.

Diese drei Voraussetzungen führen selbstverständlich zu, gelinde gesagt, mißlichen Konsequenzen.
Begegnet man nun in der Wirklichkeit einer Tatsache, die nicht im Koran steht müssen Antworten her. Und tatsächlich läßt sich mit entsprechenden Textstellen oder Hadithen auch eine Antwort finden.
Das ist übrigens gar nicht so einfach und führt zu den irrwitzigsten Konstruktionen. Kann man eine Erfindung z.B. selbst nach zehnmaligem Wenden der Texte nicht finden, bleibt die Möglichkeit den Erfinder zum Muslim zu erklären. Da wir bekanntlich alle als Proto-Muslime geboren werden, muss nur ein Hinweis gefunden werden, dass der Betreffende sich zu Allah hingewandt hat. So kann auch Einstein bei Bedarf mal Muslim sein. Die Welt ist wieder in Ordnung.


Es gibt auch noch die Möglichkeit weder Moslem noch Nicht-Moslem zu sein, sondern etwas Drittes, was vollkommen jenseits dieser engen Fragestellung ist.

Wobei wir schon wieder mitten drin im Thema wären.

unquest hat folgendes geschrieben:
Was hat das mit dir zu tun?


Der dialektische Zusammenhang ist mir auch nicht ganz klar, bisher.

unquest hat folgendes geschrieben:
Es gibt Erfinder die genial Probleme lösen. Es gibt Wissenschaftler die uns die Welt verständlich machen. Dabei wenden sie unter Umständen alle erdenklichen Logigen an - NUR KEINE DIALEKTIK.


Sondern Großpapas Logik aus der Mottenkiste, wo in großen Lettern ARISTOTELES draus steht? Geschockt

unquest hat folgendes geschrieben:
Dann kommst du her, schaust ob irgendwo eine Dualität oder Antagonismus zu finden ist und schwupps ists "dialektische Logik".
Siehst du nicht den Unterschied? Die anderen machen mit Hilfe ihrer Logik erfolgreiche Aussagen über die Zukunft und du stülpst ihnen ein primitives Schema, das übrigend zu keinen Voraussagen und Erklärungen überhaupt fähig ist, einfach über.

Gehts noch?


Was kann ich für die Ansichten von Werner Heisenberg und Ernst Mayr? Schulterzucken

Außer, dass ich deren Ansichten gelegentlich wiedergebe, habe ich mit diesen daher gelaufenen Gestalten selbstverständlich nichts zu tun, so als Moslem, Homöopathie-Anhänger und gleichzeitiger Vertreter der Lehre des Yin & Yang. Pfeifen

unquest hat folgendes geschrieben:
Und zu deinem Zitat: Sollte man bei Rosenberg oder seinem Umfeld eine Textstelle finden in der er das Wort "dialektisch" positiv gebraucht wird; wird somit die "dialektische Logik" bestätigt oder wird er zum Marxisten erklärt?


Ja, wenn die Dialektik das selbe wäre wie Yin & Yang, dann wäre Rosenberg vielleicht das selbe wie ein Dialektiker.

Oder auch: Wenn Deutschland keine zwei Weltkriege begonnen hätte, dann hätte es womöglich keine zwei Weltkriege begonnen, sondern - sagen wir - das Anpflanzen neuer Blumenbeete heute in Deutschland und morgen die ganze Welt.

Da tun sich logische Abgründe auf, bei denen man sich kaum zurück halten kann, sie zu untersuchen, wenn man nicht gerade damit beschäftigt wäre, sich vor lauter Lachen zurück zu halten ...- Sehr glücklich

#285:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 13.05.2016, 23:43
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
These und Antithese sind Platzhalter für gegensätzliche Zustände bzw. Eigenschaften, was sinnbildlich in "Schrödingers Katze" veranschaulicht wird oder in Shakespeares Frage "Sein oder Nicht-Sein". Die Synthese bedeutet die Auflösung, jedoch nicht einfach die Negation der beiden Thesen.

Die Verkürzung der Dialektik auf das T-A-S Schema ist ohnehin sachlich falsch. Es lässt sich leicht zeigen, dass bei Weitem nicht alles, was Hegel als Dialektik betreibt, in dieses Schema fällt. Bei Marx wird's sogar noch komplizierter.


Ich bezweifle nicht, dass es Dialektik als Konzept in Form eines Gesetzes gibt und daraus kann man Komplexität gewinnen. Moses hat Gesetze bekommen und den Talmud nicht komplex zu nennen wäre sicherlich falsch.

Was ich aber bezweifle ist, dass es eine dialektische Logik gibt.

Folgende Sätze beschreiben den gleichen Sachverhalt in unterschiedlichen Logiken:

Es ist notwendig der Fall, dass p genau dann, wenn es unmöglich der Fall ist, dass nicht p.
Für jedes Objekt x, x hat die Eigenschaft f genau dann, wenn es kein Objekt x gibt, so dass x nicht f hat.
Es ist obligatorisch, dass p genau dann, wenn es nicht erlaubt ist, dass nicht p.

Wie würde dies in paralleler Struktur in dialektischer Logik formuliert?

#286:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 13.05.2016, 23:57
    —
unquest hat folgendes geschrieben:
Folgende Sätze beschreiben den gleichen Sachverhalt in unterschiedlichen Logiken:

Es ist notwendig der Fall, dass p genau dann, wenn es unmöglich der Fall ist, dass nicht p.
Für jedes Objekt x, x hat die Eigenschaft f genau dann, wenn es kein Objekt x gibt, so dass x nicht f hat.
Es ist obligatorisch, dass p genau dann, wenn es nicht erlaubt ist, dass nicht p.

Wie würdest du die Beschäftigung mit den begrifflichen Voraussetzungen dieser drei Sätze ("notwendig", "der Fall sein", "unmöglich", "Objekt", "Eigenschaft", etc.) und der Logik dieser Begriffe und ihrer Verhältnisse nennen? Oder ist das gar nicht erst auf deinem Schirm?

#287:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 14.05.2016, 00:02
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
unquest hat folgendes geschrieben:
Folgende Sätze beschreiben den gleichen Sachverhalt in unterschiedlichen Logiken:

Es ist notwendig der Fall, dass p genau dann, wenn es unmöglich der Fall ist, dass nicht p.
Für jedes Objekt x, x hat die Eigenschaft f genau dann, wenn es kein Objekt x gibt, so dass x nicht f hat.
Es ist obligatorisch, dass p genau dann, wenn es nicht erlaubt ist, dass nicht p.

Wie würdest du die Beschäftigung mit den begrifflichen Voraussetzungen dieser drei Sätze ("notwendig", "der Fall sein", "unmöglich", "Objekt", "Eigenschaft", etc.) und der Logik dieser Begriffe und ihrer Verhältnisse nennen? Oder ist das gar nicht erst auf deinem Schirm?

Die "Beschäftigung mit begrifflichen Voraussetzungen..." ist dann folglich dialektische Logik. Richtig? Das hört sich für mich nach Sprechakttheorie an.

#288:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 14.05.2016, 00:17
    —
unquest hat folgendes geschrieben:
Die "Beschäftigung mit begrifflichen Voraussetzungen..." ist dann folglich dialektische Logik. Richtig?

Zumindest ist das einer der Bereiche, in denen Dialektik zur Anwendung kommen kann. Und nein, das ist nicht nur Sprechakttheorie, obwohl Sprechakttheorie dabei natürlich eine Rolle spielen kann. Schon die Semantik löst sich nicht einfach in Sprechakttheorie (= Pragmatik) auf - und Begriffslogik ist auch nicht ganz das selbe wie Semantik, obwohl beide natürlich in enger Beziehung zueinander stehen. Mein Punkt ist der, dass du insgesamt einen verkürzten Begriff von Logik zu haben scheinst. Oder jedenfalls scheint deine Fragestellung das zu implizieren.

#289:  Autor: Waldwuffel BeitragVerfasst am: 14.05.2016, 07:38
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Und ist denn die *moderne Logik* nur für sich selber da? Woraus leitet sie sich denn ab?


Natürlich nicht, wie kommst du denn von meiner Aussage dazu? Mit Hilfe der Logik lassen sich alle möglichen Argumente in den verschiedensten Bereichen auf ihre formale Gültigkeit untersuchen. Dafür ist sie letzten Endes da.


Auch alle möglichen Dinge in den verschiedensten Bereichen?


Was meinst du denn damit? Der Gegenstandbereich der Logik sind Argumente.


Auch Argumente aus dem Bereich der Quantenphysik?


Zu Einzelheiten kann ich da leider nichts sagen, da ich mich damit nicht gut auskenne (ich habe aber tatsächlich vor, in der nächsten Zeit intensiver Physik zu studieren), aber ich weiß, dass hier sogar besondere Anpassungen bzw. Erweiterungen der klassischen Logik gemacht oder zumindest vorgeschlagen wurden. Informationen dazu findet man unter dem Stichwort "Quantenlogik". Ich kann mich auch daran erinnern, dass Quine im Zusammenhang mit seinem Holismus und der Ablehnung der analytisch-synthetisch-Unterscheidung erwähnt, dass etwa in der Quantenmechanik zum Teil die Logik verändert werden sollte, statt bestimmte Beobachtungen zu verwerfen.
All das bewegt sich aber schon noch innerhalb der Logik, wie man diese Disziplin heute versteht, also innerhalb des strukturwissenschaftlichen Fachs "Logik", und hat nichts mit Dialektik im Sinne Hegels zu tun.

#290:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 14.05.2016, 11:29
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
3. Physik
Die neueren physikalischen Forschungen sind mit sehr widersprüchlichen Phänomen konfrontiert, etwa bei der Doppelnatur der Materie sowohl als Welle als auch Teilchen und im Zusammenhang damit der Unschärferelation.

In der Physik haben sich scheinbar widersprüchliche Phänomene bisher immer als Folge zu einfacher Modelle erwiesen und sind durch gute Theorien aufgelöst worden, so auch die von genannten.

Bei der Unschärferelation ist mir zudem unklar, worin überhaupt da These, Antithese und Synthese bestehen soll


Die Frage ist hier, wie die Unschärfe - entweder des Ortes oder der Zeit - und damit die Unklarheit des Zustandes beider Parameter aufgelöst werden kann. Nach der 0-1-Logik ist dies nicht möglich. Aber durch die Annahme zwar widersprüchlicher aber dennoch komplementärer Aussagen ist eine Art dialektischer Beschreibung gelungen, die z.B. auf die spekulative und metaphysische Annahme einer Mehrweltentheorie verzichtet.

Das klingt, als sei die Natur selbst widersprüchlich. Tatsächlich sind es aber nur unsere falschen Vorstellungen von den Dingen, die widersprüchlich sind.

Als Versuch, die Sache in einfachen Worten zu beschreiben.

Erst der klassische Fall. Das hier soll ein Ziegel sein.



Mit bloßem Auge kann ich grob messen, wo sich der Ziegel gerade befindet. Der Ziegel hat Licht reflektiert, das in mein Auge gefallen ist. Weil der Ziegel schwer ist, verändert das Licht, das auf ihn fällt, seine Bahn nicht. Weil er groß ist, im Vergleich zur Wellenlänge sichtbaren Lichts, kann ich seinen Ort ziemlich genau bestimmen.



Nochmal das gleiche Bild, aber nun soll das ein Partikel sein, meinetwegen ein Elektron.



Um den Ort des Elektrons zu bestimmen schicke ich ein anderes Partikel zum Elektron, meinetwegen ein Photon.

Mit der quantenmechanischen Lupe betrachtet stellen sich Partikel als Wellenpakete dar:



Wo beginnt und wo endet das Teilchen in dieser Darstellung? Schwer zu sagen. Wollte ich die Position des Elektrons genauer bestimmen, müßte ich den Puls schmaler machen. Also eine kleinere Wellenlänge = höhere Frequenz nehmen; höhere Frequenzen sind aber energiereicher. Je energiereich mein Wellenpaket ist, desto mehr beeinflusst es das zu vermessende Teilchen in seinem Impuls. Je präziser meine Ortsmessung ist, desto mehr versaut es mir eine anschließende Impulsmessung.


An einer Stelle hinkt diese Analogie, weil das Wellenpaket komplexwertig ist. Aber der Kern der Unschärferelation erscheint mir damit passabel beschrieben.




Skeptiker hat folgendes geschrieben:
These und Antithese sind Platzhalter für gegensätzliche Zustände bzw. Eigenschaften, was sinnbildlich in "Schrödingers Katze" veranschaulicht wird oder in Shakespeares Frage "Sein oder Nicht-Sein". Die Synthese bedeutet die Auflösung, jedoch nicht einfach die Negation der beiden Thesen.

Das geht nicht auf.

Wenn ich zwei Thesen T und A habe, gibt es diese vier Möglichkeiten.

Code:
(1)  T falsch - A falsch
(2)  T wahr   - A falsch
(3)  T falsch - A wahr
(4)  T wahr   - A wahr


"wahr" und "falsch" sage ich nur aus Konvention und Bequemlichkeit.

(1) bis (3) dürfte der übliche Ablauf in den Wissenschaften sein. Wenn Kepler die Planetenbahnen besser beschreibt als Ptolemäus, dann braucht es keine Synthese, um beides zusammenzubringen.

Bleibt Fall (4). Der ist paradox, er widerspricht der Eingangsannahme. Tatsächlich liegen hier drei Thesen vor. Allerdings wurde die dritte These G verschwiegen. Sie lautet:

    These G: A und T sind gegensätzlich.


Ich müßte meine Wahrheitstabelle demnach auf acht Zeilen ausweiten:

Code:
T falsch A wahr   G wahr
T wahr   A falsch G wahr
...


Wenn ein Dialektiker den Fall (4) beweist, dann ist gleichzeitig die Grundannahme widerlegt, es handle sich um Gegensätze.

Diese Zeile in der Wahrheitstabelle ist immer falsch:

Code:
T wahr A wahr G wahr


Dialektik ist ihre eigene Antithese. Da gibt es nur eine Lösung: keine. Pfeifen

#291:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 15.05.2016, 20:40
    —
Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Was genau deine "spekulative Kosmologie" überhaupt leisten soll, ist mir nach wie vor nicht klar.


1. Die intellektuelle Erforschung von Möglichkeiten, möglicher Welten.

"The answer that I favour divides the task of ontology into two parts, one which is wholly a priori and another which admits empirical elements. The a priori part is devoted to exploring the realm of metaphysical possibility, seeking to establish what kinds of things could exist and, more importantly, co-exist to make up a single possible world. The empirically conditioned part seeks to establish, on the basis of empirical evidence and informed by our most successful scientific theories, what kinds of things do exist in this, the actual world. But the two tasks are not independent: in particular, the second task depends upon the first. We are in no position to be able to judge what kinds of things actually do exist, even in the light of the most scientifically well-informed experience, unless we can effectively determine what kinds of things could exist, because empirical evidence can only be evidence for the existence of something whose existence is antecedently possible."


(Lowe, E. J. The Four-Category Ontology: A Metaphysical Foundation for Natural Science. Oxford: Oxford University Press, 2006. pp. 4-5)


2. Die theoretische Auslegung erfahrungswissenschaftlicher Tatsachen.

"[Metaphysics] has a real value, but a value of a different kind from that which has sometimes been ascribed to it. It is concerned not with the accumulation of facts, but with the interpretation of previously ascertained facts, looked at broadly and as a whole. When the facts of physical Nature and of Mind and the special laws of their connection have been discovered and systematised by the most adequate methods of experiment, observation, and mathematical calculation at our disposal, the question still remains, how we are to conceive of the whole realm of such facts consistently with the general conditions of logical and coherent thought. If we choose to define positive science as the systematic establishment of the special laws of connection between facts, we may say that over and above the scientific problem of the systematisation of facts there is the further philosophical problem of their interpretation. This latter problem does not cease to be legitimate because it has been illegitimately confounded by certain thinkers with the former."

(Taylor, Alfred Edward. Elements of Metaphysics. 2nd ed. New York: Macmillan, 1909. pp. 47-8 )

3. Die rationale Entscheidung zwischen Hypothesen, die mit allen Erfahrungstatsachen gleichermaßen vereinbar sind (und eine empirische Entscheidung zwischen ihnen somit nicht möglich ist).

"That philosophy is at least the elimination of nonsense and the clarification of thought is something of which I have not the least doubt. However, I should also wish to argue that philosophy is more than this, and that it is the business of the philosopher to decide between various synoptic hypotheses on grounds of plausibility. Of course, scientists have to decide between hypotheses, and with a slight over-simplification we may say that they do so by means of observation and experiment. It may be, however, that no available method of experiment and observation will decide between two hypotheses. The philosopher may legitimately, I think, feel it within his province to speculate on the relative plausibilities of the two hypotheses if they are of such generality and importance as to affect our overall world view. ...A philosopher might have to decide between two hypotheses for which there not only is no available empirical test but for which there could be no possible empirical test."

(Smart, J. J. C. Philosophy and Scientific Realism. London: Routledge & Kegan Paul, 1963. pp. 8-9)

4. Die Gestaltung eines umfassenden Weltbildes.

"Philosophy…has to do not only with unravelling conceptual muddles but also with the tentative adumbration of a world view."

(Smart, J. J. C. Philosophy and Scientific Realism. London: Routledge & Kegan Paul, 1963. p. vii)

#292:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 16.05.2016, 21:28
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
@Myron: Wie löst denn Wittgenstein die Fragen der Quantenpyhsik philosophisch?

Ich weiss nicht genau, ob Wittgenstein sich irgendwo zur Quantenphysik geäußert hat. Wittgenstein verstand die Aufgabe der Philosophie weniger darin, wissenschaftliche Fragen philosophisch zu lösen, und eher darin, durch Sprachkritik metaphysische (bzw. philosophisch verwirrte) Anschauungen zu beseitigen und damit den Boden für wissenschaftliche Lösungen zu bereiten.

#293: Realität und Dialektik Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 17.05.2016, 19:36
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
@Myron: Wie löst denn Wittgenstein die Fragen der Quantenpyhsik philosophisch?

Ich weiss nicht genau, ob Wittgenstein sich irgendwo zur Quantenphysik geäußert hat. Wittgenstein verstand die Aufgabe der Philosophie weniger darin, wissenschaftliche Fragen philosophisch zu lösen, und eher darin, durch Sprachkritik metaphysische (bzw. philosophisch verwirrte) Anschauungen zu beseitigen und damit den Boden für wissenschaftliche Lösungen zu bereiten.


Zunächst mal: Meine Nachfrage @Myron bezieht sich auf seinen folgenden Beitrag:

Myron hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:

3. Physik
Die neueren physikalischen Forschungen sind mit sehr widersprüchlichen Phänomen konfrontiert, etwa bei der Doppelnatur der Materie sowohl als Welle als auch Teilchen und im Zusammenhang damit der Unschärferelation.


Der Begriff einer widersprüchlichen Wirklichkeit ist widersprüchlich, da Widersprüchlichkeit die Wirklichkeit ausschließt.

"Die Tautologie lässt der Wirklichkeit den ganzen – unendlichen – logischen Raum; die Kontradiktion erfüllt den ganzen logischen Raum und lässt der Wirklichkeit keinen Punkt. Keine von beiden kann daher die Wirklichkeit irgendwie bestimmen"
—L. Wittgenstein (Tractatus 4.463)


Deswegen fragte ich Myron, wie Wittgenstein wohl damit umgehen würde, wenn sich die Wirklichkeit selbst als a) wirklich und b) widersprüchlich erweisen würde bzw. erweist - gemäß der *alten Logik*.

Wie Waldwuffel richtig erkannt hat, müsste man dann die *klassische Logik* ändern, bzw. ihren beschränkten Gültigkeitsbereich angeben, so wie es ja auch für die Newton'sche Physik geschehen ist, die eben nur für kleine Geschwindigkeiten Sinn macht.

Der Begriff der Tautologie - hier auch von smallie ins Spiel gebracht - lässt sich auf die reale Widersprüchlichkeit der Doppelnatur des Lichts etwa gar nicht mehr sinnvoll anwenden.

Und hier macht es eben Sinn, wenn Heisenberg davon spricht, dass sich Physik immer mehr der Dialektik annähert. Er hat eben erkannt, dass die herkömmliche, statische Logik der umfassenden Wirklichkeit nicht mehr gerecht wird ...-

#294:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 17.05.2016, 19:58
    —
Sorry, hatte mir den Kontext nicht genau genug angesehen.

Zunächst mal ist die Logik des Tractatus selbst bereits nicht mehr die klassisch-aristotelische.

Davon abgesehen ist Myrons ganzes Zitat fragwürdig. Man muss unbedingt im Kopf behalten, dass Wittgenstein selbst ab einem bestimmten Zeitpunkt das Projekt des Tractatus als grundsätzlich gescheitert ansah und den Grund für das Scheitern u.A. genau in der Frage des Verhältnisses der Logik zur Welt verortete. Das Tractatus als Autorität zu genau dieser Frage als Autorität zu zitieren ist daher per se problematisch und erfordert mindestens eine zusätzliche Rechtfertigung.

Was die Widersprüchlichkeit der Welt angeht: Ich würde ja sagen, dass das einen eigenen Thread wert wäre, allerdings bin ich mir nicht ganz sicher, ob das nicht den Rahmen des Forums komplett sprengt. Nur so viel: Es gibt formale Logiken, die mit wahren Widersprüchen arbeiten. Im Rahmen parakonsistenter Logiken wird auch über dialetheische Logiken diskutiert. Graham Priest arbeitet zum Beispiel zu dem Thema.

#295: Re: Realität und Dialektik Autor: Myron BeitragVerfasst am: 17.05.2016, 20:10
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:

Zunächst mal: Meine Nachfrage @Myron bezieht sich auf seinen folgenden Beitrag:
Myron hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:

3. Physik
Die neueren physikalischen Forschungen sind mit sehr widersprüchlichen Phänomen konfrontiert, etwa bei der Doppelnatur der Materie sowohl als Welle als auch Teilchen und im Zusammenhang damit der Unschärferelation.


Der Begriff einer widersprüchlichen Wirklichkeit ist widersprüchlich, da Widersprüchlichkeit die Wirklichkeit ausschließt.

"Die Tautologie lässt der Wirklichkeit den ganzen – unendlichen – logischen Raum; die Kontradiktion erfüllt den ganzen logischen Raum und lässt der Wirklichkeit keinen Punkt. Keine von beiden kann daher die Wirklichkeit irgendwie bestimmen"
—L. Wittgenstein (Tractatus 4.463)


Deswegen fragte ich Myron, wie Wittgenstein wohl damit umgehen würde, wenn sich die Wirklichkeit selbst als a) wirklich und b) widersprüchlich erweisen würde bzw. erweist - gemäß der *alten Logik*.


Die Wirklichkeit kann sich nicht als widersprüchlich erweisen, da logische Unmöglichkeit physikalische Unmöglichkeit einschließt. Wenn ein Physiker behauptet, widersprüchliche physikalische Tatsachen festgestellt zu haben, dann weiß ich a priori, dass dies eine falsche Behauptung ist. Das logische Nichtwiderspruchsgesetz ist keine empirische Hypothese, die durch Beobachtungen widerlegt werden kann. Wenn es den Quantenphysikern nicht gelingt, eine logisch (und ontologisch) stimmige Interpretation ihrer Messdaten zu ersinnen, dann liegt das an ihrer geistigen Beschränktheit und nicht an einer Widersprüchlichkeit der Wirklichkeit.

#296: Re: Realität und Dialektik Autor: zelig BeitragVerfasst am: 17.05.2016, 20:23
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:

Zunächst mal: Meine Nachfrage @Myron bezieht sich auf seinen folgenden Beitrag:
Myron hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:

3. Physik
Die neueren physikalischen Forschungen sind mit sehr widersprüchlichen Phänomen konfrontiert, etwa bei der Doppelnatur der Materie sowohl als Welle als auch Teilchen und im Zusammenhang damit der Unschärferelation.


Der Begriff einer widersprüchlichen Wirklichkeit ist widersprüchlich, da Widersprüchlichkeit die Wirklichkeit ausschließt.

"Die Tautologie lässt der Wirklichkeit den ganzen – unendlichen – logischen Raum; die Kontradiktion erfüllt den ganzen logischen Raum und lässt der Wirklichkeit keinen Punkt. Keine von beiden kann daher die Wirklichkeit irgendwie bestimmen"
—L. Wittgenstein (Tractatus 4.463)


Deswegen fragte ich Myron, wie Wittgenstein wohl damit umgehen würde, wenn sich die Wirklichkeit selbst als a) wirklich und b) widersprüchlich erweisen würde bzw. erweist - gemäß der *alten Logik*.


Die Wirklichkeit kann sich nicht als widersprüchlich erweisen, da logische Unmöglichkeit physikalische Unmöglichkeit einschließt. Wenn ein Physiker behauptet, widersprüchliche physikalische Tatsachen festgestellt zu haben, dann weiß ich a priori, dass dies eine falsche Behauptung ist. Das logische Nichtwiderspruchsgesetz ist keine empirische Hypothese, die durch Beobachtungen widerlegt werden kann. Wenn es den Quantenphysikern nicht gelingt, eine logisch (und ontologisch) stimmige Interpretation ihrer Messdaten zu ersinnen, dann liegt das an ihrer geistigen Beschränktheit und nicht an einer Widersprüchlichkeit der Wirklichkeit.


Endlich. Die Formale Logik macht keine Aussagen über die sogenannte Wirklichkeit. Das Objekt der formalen Logik sind die Aussagen selber. Die Doppelnatur von Welle und Teilchen ist keineswegs ein Beispiel für formale Widersprüchlichkeit. Angelehnt an obige Aussage wäre ein Beispiel für formale Widersprüchlichkeit die Aussage: "Materie besteht aus Teilchen und sie besteht nicht aus Teilchen." Oder: "Materie hat eine Wellennatur und Materie hat nicht eine Wellennatur."

Die Doppelnatur von Welle und Teilchen widerstrebt unserem Vorstellungsvermögen, aber sie ist nicht logisch widersprüchlich.

#297: Re: Realität und Dialektik Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 17.05.2016, 20:53
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

Die Wirklichkeit kann sich nicht als widersprüchlich erweisen, da logische Unmöglichkeit physikalische Unmöglichkeit einschließt. Wenn ein Physiker behauptet, widersprüchliche physikalische Tatsachen festgestellt zu haben, dann weiß ich a priori, dass dies eine falsche Behauptung ist. Das logische Nichtwiderspruchsgesetz ist keine empirische Hypothese, die durch Beobachtungen widerlegt werden kann.


Sondern? Was ist das "logische Nichtwiderspruchsgesetz" dann? Eine "ewige Wahrheit"? Oder eine Banalität, weil mit jeder vermeintlichen Widersprüchlichkeit einfach nur das angepaßt werden muß, was man jeweils für "logisch" hält?

#298: Re: Realität und Dialektik Autor: zelig BeitragVerfasst am: 17.05.2016, 21:06
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Die Wirklichkeit kann sich nicht als widersprüchlich erweisen, da logische Unmöglichkeit physikalische Unmöglichkeit einschließt. Wenn ein Physiker behauptet, widersprüchliche physikalische Tatsachen festgestellt zu haben, dann weiß ich a priori, dass dies eine falsche Behauptung ist. Das logische Nichtwiderspruchsgesetz ist keine empirische Hypothese, die durch Beobachtungen widerlegt werden kann.


Sondern? Was ist das "logische Nichtwiderspruchsgesetz" dann?[...]


https://de.wikipedia.org/wiki/Boolesche_Algebra

#299: Re: Realität und Dialektik Autor: Myron BeitragVerfasst am: 17.05.2016, 22:39
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Die Wirklichkeit kann sich nicht als widersprüchlich erweisen, da logische Unmöglichkeit physikalische Unmöglichkeit einschließt. Wenn ein Physiker behauptet, widersprüchliche physikalische Tatsachen festgestellt zu haben, dann weiß ich a priori, dass dies eine falsche Behauptung ist. Das logische Nichtwiderspruchsgesetz ist keine empirische Hypothese, die durch Beobachtungen widerlegt werden kann.


Sondern? Was ist das "logische Nichtwiderspruchsgesetz" dann? Eine "ewige Wahrheit"?


Ja, eine ewige, notwendige Wahrheit, eine, die in allen möglichen Welten besteht. In unmöglichen Welten besteht sie nicht, aber die wirkliche Welt ist ja keine von diesen, da sie eine der möglichen Welten ist.

#300:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 17.05.2016, 22:48
    —
"Mögliche Welten". Meiner Ansicht nach eines derjenigen aus der Philosophie stammenden Konzepte, die man am besten möglichst schnell möglichst gründlich wieder loswird. Pfeifen

(Nachtrag: Ich hab' nichts gegen die Mehrwelteninterpretation der Quantenmechanik, insoweit ich sie überhaupt verstehe. Leider meinen Philosophen mit "mögliche Welt" aber was anderes.)

#301:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 18.05.2016, 12:56
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Die Wirklichkeit kann sich nicht als widersprüchlich erweisen, da logische Unmöglichkeit physikalische Unmöglichkeit einschließt. Wenn ein Physiker behauptet, widersprüchliche physikalische Tatsachen festgestellt zu haben, dann weiß ich a priori, dass dies eine falsche Behauptung ist. Das logische Nichtwiderspruchsgesetz ist keine empirische Hypothese, die durch Beobachtungen widerlegt werden kann.


Sondern? Was ist das "logische Nichtwiderspruchsgesetz" dann? Eine "ewige Wahrheit"?


Ja, eine ewige, notwendige Wahrheit, eine, die in allen möglichen Welten besteht. In unmöglichen Welten besteht sie nicht, aber die wirkliche Welt ist ja keine von diesen, da sie eine der möglichen Welten ist.


Ich habe mal ein bißchen nach dem Stichwort „Nichtwiderspruchsgesetz“ gesucht, und fand dort als Antwort auf deinen Glauben an diese „ewige, notwendige Wahrheit in allen möglichen Welten“, von der a priori feststehe, „daß das logisch Unmögliche physikalisch unmöglich sei“, unter der Überschrift „Physik muß man nicht „glauben““, folgende Antwort:

„Logik ist die Lehre des vernünftigen Schlussfolgerns. (Wikipedia)

Sie beruht also auf dem was jemandem zu einem bestimmten Zeitpunkt "vernünftig" erscheint. Insofern unterscheidet sie sich dadurch von der Mathematik, die ausgehend von sehr einfachen Grundgesetzen komplexe und belastbare Aussagen möglich macht.

Physik ist die Repräsentation der Mathematik in der Wirklichkeit und sie kümmert sich nicht darum, ob wir etwas als "vernünftig" ansehen oder nicht. Das spannende an der Quantenphysik ist ja eben die Tatsache, dass die geltenden Gesetze im kleinen den Erfahrungen des Alltags widersprechen. Insofern muss sich der "gesunde Menschenverstand" gelegentlich der Beobachtung beugen. Dem Einen mag es "logisch" erscheinen, dass man nach dem Tod in den Himmel kommt, dem Anderen, dass vom Vollmond bestrahltes Wasser mit kosmischer Energie aufgeladen wird, oder dass die Alltags Erfahrung, ein Objekt kann nicht gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten sein, in der Größenordnung der Quantenwelt weiterhin uneingeschränkt gültig ist.

Die Aufgabe der Wissenschaft und in diesem Fall der Physik ist es, diese naheliegenden und "logischen" Schlussfolgerungen akribisch zu prüfen und den Glauben von der Wirklichkeit zu unterscheiden. Manchmal mit überraschenden Resultaten. Mit zunehmender Erkenntnis ändert sich dann auch die Ansicht was "vernünftig" und demnach "logisch" ist.“

#302:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 18.05.2016, 12:59
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
"Mögliche Welten". Meiner Ansicht nach eines derjenigen aus der Philosophie stammenden Konzepte, die man am besten möglichst schnell möglichst gründlich wieder loswird. Pfeifen

(Nachtrag: Ich hab' nichts gegen die Mehrwelteninterpretation der Quantenmechanik, insoweit ich sie überhaupt verstehe. Leider meinen Philosophen mit "mögliche Welt" aber was anderes.)


Sind Spekulationen über "mögliche Welten" nicht eh besser in der Science Fiction aufgehoben? Zumindest sind sie dort weit unterhaltsamer. zwinkern

#303:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 18.05.2016, 13:29
    —
Die Rede von den möglichen Welten hatte oder hat den Sinn, daß man überlegt, ob man sich überhaupt Umstände vorstellen kann, unter denen eine Angelegenheit sich anders Verhalten könnte. Jedenfalls in diesem Zusammenhang. Hypothetische Überlegungen werden in allen Wissenschaften angestellt. Es ist zum Beispiel ein herausforderndes Rätsel, warum die Naturkonstanten genau die Werte haben, die unsere Existenz überhaupt ermöglichen. Die Anfangsbedingungen unseres Universum scheinen nämlich sehr speziell zu sein. So daß die Existenz eines toten Universums sehr viel plausibler erscheint, als die des unsrigen. Physiker und Astronomen stellen laufend hypothetische Gedanken zu den möglichen Welten mit anderen Startbedingungen an - damit wir unsere Welt besser verstehen lernen.
Auf die Logik bezogen könnte man zB überlegen, ob eine Aussage in irgendeiner denkbaren Realität zugleich wahr und nicht wahr sein könnte. Wenn man zu der Auffassung gelangt (und ich glaube das ist der Stand der Dinge), daß das nicht der Fall ist, dann handelt es wohl tatsächlich um eine "ewige Wahrheit", um die spöttische Formulierung aufzugreifen.

#304:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 18.05.2016, 17:09
    —
Myron und zelig haben bereits erkannt, wo's hapert.

Das selbe noch mal in meinen Worten:

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
In der dialektischen Logik gilt im Gegensatz zur klassischen Logik nicht einfach der Satz des *tertium non datur*, sondern das in der klassischen Logik ausgeschlossene Dritte wird z.B. als Synthese und Weiterentwicklung zweier widersprüchlicher Positionen vorgestellt.

Ich denke, hier liegt ein Mißverständnis vor. Du meinst natürlichsprachliche Sätze und Begriffe seien ebenso präzise wie formallogische.

Vermutlich gibt einen Jargon, für das was ich sagen will, aber ich kenne ihn nicht. Deshalb in meinen Privatbegriffen. Man muß unterscheiden zwischen:

    - formaler Logik
    - Domänen- oder Weltenlogik


In der formalen Logik geht es um Schlußregeln und Wahrheitswerte.

    wahr & wahr --> wahr
    wahr & falsch --> falsch

    a & (a ==> b) ==> b




In der Weltenlogik geht es um die Gegenstände der Welt und ihre Beziehungen.

Ich bau mal schnell eine Beispielwelt. Sie hat einen Himmel mit Sonnenschein oder Wolken, darunter eine Wiese. Wenn es regnet, ist die Wiese naß. Nach einer Stunde Sonnenschein ist sie wieder trocken. Aus diesem Weltwissen lassen sich mittels formaler Logik Fakten ableiten. Die Wiese ist naß? Dann muß es vor höchstens einer Stunde geregnet haben.

Was formale Logik nicht leisten kann: neues Weltwissen herzuleiten ohne relevante, neue Beobachtungen.

    - es regnet, aber die Wiese wird nicht naß. Klar, da hat jemand einen Schirm aufgestellt.
    - es hat nicht geregnet, trotzdem ist die Wiese an einer Stelle naß. Klar, an dieser Stelle hat sich eine Kuh erleichtert.


Neue Elemente der "Domänenlogik" wie der Schirm und die Kuh lassen sich nicht formal aus meiner Beispielwelt erschließen. Genau das scheint Hegel aber mittels der dialektischen Logik zu versuchen.


Siehe auch Myrons Zitat:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Die Errichtung spekulativer Luftschlösser à la Hegel is zu Recht "out" (...)

"Unsere Zeit glaubt nicht mehr an die Möglichkeit, durch dialektische Begriffsentwicklung die Gedanken oder den Sinn der Wirklichkeit a priori zu erkennen. ....

(Paulsen, Friedrich. Einleitung in die Philosophie. 15. Aufl. Stuttgart: Cotta, 1906. S. 16)




Zurück zum Thema *tertium non datur*, das ausgeschlossene Dritte.

Natürliche Sprache arbeitet mit schwammigen Begriffen. Bei dieser Schwammigkeit ist Drittes nie ausgeschlossen. Begriffe wandeln sich. Partikel heißt immer noch Partikel, aber gestern dachte man ein Partikel ist etwas wie ein Ziegelstein, heute denkt man, ein Partikel ist ein Wellenpaket. Der Fehler ist zu meinen, die Ziegelnatur von Partikeln sei bewiesen, sobald sie für Ziegel von einem Kubikmillimeter aufwärts bewiesen ist.


Drei saloppe Beispiele:

    (1) entweder eine ganze Zahl ist gerade oder sie ist ungerade.
    (2) entweder man lebt, oder man ist tot.
    (3) entweder man ist weiblich, oder man ist männlich.


Bei (1) ist das ausgeschlossene Dritte berechtigt.
Bei (2) müßte ich exotische Beispiele bringen, damit es falsch wäre. Meh, gut, Vieren sind jetzt nicht so exotisch.
(3) ist falsch. Es gibt XX, XY, XYY, XXY und so weiter. Wir haben noch nicht mal Namen für diese Kombinationen von Geschlechtschromosomen.


Diese Begriffswandlungen oder Begriffsunschärfen lassen sich nicht formal herleiten, sie müssen intuitiv und durch Beobachtung gefunden werden. Sonst hätten bereits die Menschen der Antike die ganze Welt durch Nachdenken erklären können. Dümmer als wir waren sie nicht - es fehlten ihnen nur die notwendigen Beobachtungen.



PS:

Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten spielt auch in der Geschichte der Mathematik eine Rolle. Aber das würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Vielleicht komm ich nochmal darauf zurück, wenn es passt.

#305:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 18.05.2016, 17:09
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Ich habe mal ein bißchen nach dem Stichwort „Nichtwiderspruchsgesetz“ gesucht, und fand dort als Antwort auf deinen Glauben an diese „ewige, notwendige Wahrheit in allen möglichen Welten“, von der a priori feststehe, „daß das logisch Unmögliche physikalisch unmöglich sei“, unter der Überschrift „Physik muß man nicht „glauben““, folgende Antwort:

"Logik ist die Lehre des vernünftigen Schlussfolgerns." (Wikipedia)

Sie beruht also auf dem was jemandem zu einem bestimmten Zeitpunkt "vernünftig" erscheint. Insofern unterscheidet sie sich dadurch von der Mathematik, die ausgehend von sehr einfachen Grundgesetzen komplexe und belastbare Aussagen möglich macht.


Die obige Definition ist psychologistisch, weil sie Denkvorgänge zum Gegenstand der Logik macht, was der Vater der modernen formalen Logik, Gottlob Frege, aufs Schärfste kritisiert hat. Nicht Denkvorgänge, sondern Zusammenhänge von Gedanken bilden den Gegenstand der Logik, wobei Gedanken im Sinne Freges keine konkreten, psychischen Sachen, d.h. keine Denkungen, sind, sondern abstrakte Sachen, die weder psychischer noch physischer Natur sind. Fregesche Gedanken sind Aussagen, aber keine sprachlichen Aussagesätze, sondern dasjenige Übersprachliche, was Aussagesätze aussagen. Im Englischen wird dafür das Wort "proposition" gebraucht. Entsprechend heißt die Aussagenlogik ("Gedankenlogik") im Englischen "propositional logic".

Was schlussfolgerndes Denken vernünftig macht, ist Folgerichtigkeit, welches Merkmal durch die logischen Gesetze bestimmt wird. Diese sind keine psychologischen Denkgesetze. Man muss nicht logisch, d.h. folgerichtig, denken, und viele tun es ja auch nicht; aber wenn man logisch denken und sozusagen die Spur der Wahrheit verfolgen will, dann muss man sich nach den logischen Gesetzen richten.

"Wie die Ethik kann man auch die Logik eine normative Wissenschaft nennen. Wie muss ich denken, um das Ziel, die Wahrheit, zu erreichen? Die Beantwortung dieser Frage erwarten wir von der Logik, aber wir verlangen nicht von ihr, dass sie auf das Besondere jedes Wissensgebietes und deren Gegenstände eingehe; sondern nur das Allgemeinste, was für alle Gebiete des Denkens Geltung hat, anzugeben, weisen wir der Logik als Aufgabe zu. Die Regeln für unser Denken und Fürwahrhalten müssen wir [als] bestimmt denken durch die Gesetze des Wahrseins. Mit diesen sind jene gegeben. Wir können mithin auch sagen: die Logik ist die Wissenschaft der allgemeinsten Gesetze des Wahrseins."

(Frege, Gottlob. "Logik." 1897. In Gottlob Frege: Schriften zur Logik und Sprachphilosophie; Aus dem Nachlass, hrsg. v. Gottfried Gabriel, 4. Aufl., 35-73. Hamburg: Meiner, 2001. S. 38-9)

Fußnote:
Frege war ein logischer Absolutist oder Monist in dem Sinne, dass er glaubte, es gebe nur ein korrektes logisches System mit universeller Geltung. Ich weiß, dass einige Logiker anderer Meinung sind und einen logischen Relativismus oder Pluralismus vertreten, welcher in einen reinen Konventionalismus münden kann, dem zufolge logische Systeme oder Kalküle nichts weiter als formale Spiele mit konventionellen, d.h. willkürlich festgelegten, Regeln sind.

Logical Pluralism: http://plato.stanford.edu/entries/logical-pluralism/

#306:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 18.05.2016, 17:17
    —
Ich denke zwar, daß das geht am Problem, „daß das logisch Unmögliche physikalisch unmöglich sei“, vorbei geht, aber das macht nichts.

#307:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 18.05.2016, 17:18
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
"Mögliche Welten". Meiner Ansicht nach eines derjenigen aus der Philosophie stammenden Konzepte, die man am besten möglichst schnell möglichst gründlich wieder loswird. Pfeifen

(Nachtrag: Ich hab' nichts gegen die Mehrwelteninterpretation der Quantenmechanik, insoweit ich sie überhaupt verstehe. Leider meinen Philosophen mit "mögliche Welt" aber was anderes.)

Sind Spekulationen über "mögliche Welten" nicht eh besser in der Science Fiction aufgehoben? Zumindest sind sie dort weit unterhaltsamer. zwinkern


Über die Ontologie möglicher Welten müssen wir hier nicht streiten, weil ich diesen Begriff lediglich zur Veranschaulichung gebraucht habe.

Possible Worlds: http://plato.stanford.edu/entries/possible-worlds/

Impossible Worlds: http://plato.stanford.edu/entries/impossible-worlds/

#308:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 18.05.2016, 17:19
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Ich denke zwar, daß das geht am Problem, „daß das logisch Unmögliche physikalisch unmöglich sei“, vorbei geht, aber das macht nichts.


Worauf genau bezieht sich "das"?

#309:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 18.05.2016, 17:36
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Ich denke zwar, daß das geht am Problem, „daß das logisch Unmögliche physikalisch unmöglich sei“, vorbei geht, aber das macht nichts.


Worauf genau bezieht sich "das"?


Welches "das"? Smilie

#310: Re: Realität und Dialektik Autor: smallie BeitragVerfasst am: 18.05.2016, 17:40
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Wie Waldwuffel richtig erkannt hat, müsste man dann die *klassische Logik* ändern, bzw. ihren beschränkten Gültigkeitsbereich angeben, so wie es ja auch für die Newton'sche Physik geschehen ist, die eben nur für kleine Geschwindigkeiten Sinn macht.

Nun ja. Newton selbst hegte Zweifel an der logischen Richtigkeit seiner Gravitationstheorie. Es leuchtete ihm nicht ein, wie eine Wirkung - etwa wenn ich hier einen Stuhl verrücke, instantan und ohne Übertragungsmedium auf den Mond und alle andere Gestirne wirken sollte.

Diese Details geraten bei der allgemeinen Darstellung Newtons gerne unter die Räder. So was sollte im Physikunterricht eigentlich auch erwähnt werden.


Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Und hier macht es eben Sinn, wenn Heisenberg davon spricht, dass sich Physik immer mehr der Dialektik annähert. Er hat eben erkannt, dass die herkömmliche, statische Logik der umfassenden Wirklichkeit nicht mehr gerecht wird ...-

Du traust dich was. Du traust dich aus ein paar dürren Zeilen herauszulesen, wie Heisenberg zur Hegelschen Dialektik stand?


Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Zitat:
„Die Natur offenbart uns immer mehr ihren dialektischen Charakter, gerade im Bereich der Elementarteilchen. Aber die meisten Menschen können die Dialektik nicht vertragen – auch die Regierenden können das nicht. Dialektik schafft Unruhe und Unordnung. Die Menschen wollen eindeutige und konfektionierte Ansichten zur Verfügung haben.“

http://www.linksnet.de/de/artikel/24102

Quellenbezug: Robert Havemann Bibliographie: Mit unveröffentlichten Texten aus dem Nachlass
von Werner Theuer, Bernd Florath, S. 288 f.



All dies ist ja wohl kaum zu ignorieren und sollte demzufolge im weiteren Diskussionsverlauf berücksichtigt werden anstatt immer die selben dümmlichen Klischees wieder zu käuen ...-

Diese drei Sätze machen Heisenberg nicht zum Hegelianer. zwinkern Da möchte ich erst den Zusammenhang kennen, in dem sie gesagt wurden.

Hier einige Zitate aus Heisenbergs Der Teil und das Ganze. Heisenberg erzählt von einem Gespräch zwischen ihm, Wolfgang Pauli und Otto Laporte.

Das trug sich 1921 zu. Damals war das Bohrsche Atommodell noch kein Jahrzehnt alt.

Zitat:
Der Begriff »Verstehen« in der modernen Physik

Wolfgang fragte mich einmal - ich glaube, es war abends im Wirtshaus in Grainau - ob ich die Einsteinsche Relativitätstheorie verstanden hätte, die im Sommerfeldschen Seminar eine so große Rolle spielte. Ich konnte nur antworten, daß ich das nicht wisse, da mir nicht klar sei, was eigentlich das Wort »Verstehen« in unserer Naturwissenschaft bedeute. Das mathematische Gerüst der Relativitätstheorie mache mir zwar keine Schwierigkeiten; aber damit hätte ich doch wohl noch nicht verstanden, warum ein bewegter Beobachter mit dem Wort »Zeit« etwas anderes meine als ein ruhender Beobachter. Diese Verwirrung des Zeitbegriffs bleibe mir unheimlich und insofern auch noch unverständlich.

»Aber wenn du das mathematische Gerüst kennst«, wandte Wolfgang ein, »so kannst du doch für jedes gegebene Experiment ausrechnen, was der ruhende Beobachter und was der bewegte Beobachter wahrnehmen oder messen wird. Du weißt auch, daß wir allen Grund haben anzunehmen, daß ein wirkliches Experiment genauso ausfallen wird, wie die Rechnung vorhersagt. Was verlangst du dann mehr?«

[...]

Otto empfand meine Skrupel als unbegründet.

»In der Schulphilosophie sieht es freilich so aus«, meinte er, »als ob solche Begriffe wie ›Raum‹ und ›Zeit‹ schon eine feste, nicht mehr zu ändernde Bedeutung hätten. Aber das zeigt eben nur, daß diese Schulphilosophie falsch ist. Ich kann mit schön formulierten Redensarten über das ›Wesen‹ von Raum und Zeit nichts anfangen. Du hast dich wahrscheinlich schon zuviel mit Philosophie beschäftigt. Aber du solltest auch die beherzigenswerte Definition kennen: ›Philosophie ist der systematische Mißbrauch einer eigens zu diesem Zwecke erfundenen Nomenklatur‹.

Jeder Absolutheitsanspruch ist eben von vorneherein abzulehnen. In Wirklichkeit sollte man nur solche Wörter oder Begriffe benutzen, die unmittelbar auf sinnliche Wahrnehmung bezogen werden können, wobei man sinnliche Wahrnehmung natürlich auch durch kompliziertere physikalische Beobachtung ersetzen darf. Solche Begriffe können ohne viel Erklärung verstanden werden.

Gerade dieser Rückgriff auf das Beobachtbare war Einsteins großes Verdienst. Einstein ist mit Recht in seiner Relativitätstheorie von der banalen Feststellung ausgegangen: Zeit ist das, was man von der Uhr abliest. Wenn du dich an solche banale Bedeutung der Wörter hältst, so gibt es in der Relativitätstheorie keine Schwierigkeiten. Sobald eine Theorie gestattet, das Ergebnis der Beobachtungen richtig vorherzusagen, so liefert sie damit auch alles, was für ein Verständnis nötig ist.«

Wolfgang machte dazu einige Vorbehalte. [...]

http://brilliant-learning.com/wp-content/uploads/downloads/2013/04/Werner-Heisenberg-Der-Teil-und-das-Ganze.pdf

So geht es dann noch eine Weile hin- und her. Ganz interessant, aber ich möchte keine Bleiwüste einstellen.

#311:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 18.05.2016, 17:43
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Zurück zum Thema *tertium non datur*, das ausgeschlossene Dritte.
Natürliche Sprache arbeitet mit schwammigen Begriffen. Bei dieser Schwammigkeit ist Drittes nie ausgeschlossen. Begriffe wandeln sich. Partikel heißt immer noch Partikel, aber gestern dachte man ein Partikel ist etwas wie ein Ziegelstein, heute denkt man, ein Partikel ist ein Wellenpaket.


Hier gibt es übrigens ein schwerwiegendes Problem:

"Wellenpakete freier, massiver Teilchen zerfließen, weil sie aus Anteilen mit unterschiedlichen Impulsen und daher unterschiedlichen Geschwindigkeiten zusammengesetzt sind."

Quelle: http://theory.gsi.de/~vanhees/faq/qm/node51.html

"What appeared to be localised particles are really moving `wave packets', or localised concentrations of waves. This view has the difficulty, however, that the wave packets do not remain localised after any length of time. In rectilinear unperturbed motion, for example, the different frequencies in the wave packet move at slightly different velocities, so the wave packet will eventually become more and more spread out."

Quelle: http://www.generativescience.org/books/pnb/quantum-ontologies.html

Die Instabilität von Wellenpaketen ist mit der Stabilität von Teilchen schwerlich vereinbar.

smallie hat folgendes geschrieben:
Drei saloppe Beispiele:

    (1) entweder eine ganze Zahl ist gerade oder sie ist ungerade.
    (2) entweder man lebt, oder man ist tot.
    (3) entweder man ist weiblich, oder man ist männlich.


Bei (1) ist das ausgeschlossene Dritte berechtigt.
Bei (2) müßte ich exotische Beispiele bringen, damit es falsch wäre. Meh, gut, Vieren sind jetzt nicht so exotisch.
(3) ist falsch. Es gibt XX, XY, XYY, XXY und so weiter. Wir haben noch nicht mal Namen für diese Kombinationen von Geschlechtschromosomen.

Diese Begriffswandlungen oder Begriffsunschärfen lassen sich nicht formal herleiten, sie müssen intuitiv und durch Beobachtung gefunden werden. Sonst hätten bereits die Menschen der Antike die ganze Welt durch Nachdenken erklären können. Dümmer als wir waren sie nicht - es fehlten ihnen nur die notwendigen Beobachtungen.


Die klassische Disjunktion ist nicht exklusiv ("entweder…oder…"), sondern inklusiv ("…oder…"), d.h. "p v q" ist auch dann wahr, wenn sowohl p als auch q wahr ist. Es gibt allerdings eine Ausnahme für den Fall, dass q = ~p: p v ~p. Denn es kann nicht sein, dass sowohl p als auch ~p wahr ist.

#312:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 18.05.2016, 21:15
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Die Rede von den möglichen Welten hatte oder hat den Sinn, daß man überlegt, ob man sich überhaupt Umstände vorstellen kann, unter denen eine Angelegenheit sich anders Verhalten könnte. Jedenfalls in diesem Zusammenhang.

Nur setzt man damit eben schon voraus, dass die Grenzen der eigenen Vorstellungskraft auch die Grenzen der Welt sind.

#313:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 18.05.2016, 21:17
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Du meinst natürlichsprachliche Sätze und Begriffe seien ebenso präzise wie formallogische.

Wenn wir von gesellschaftlicher Dialektik sprechen, dann hat das m.E. in der Tat primär deshalb einen Sinn, weil sich Gesellschaft nicht formallogisch darstellen lässt und alle relevanten Interaktionen in natürlicher Sprache ablaufen. Die formale Logik hat eben Grenzen, was die Darstellung der Wirklichkeit angeht.

smallie hat folgendes geschrieben:
Ich bau mal schnell eine Beispielwelt.

Das ist genau der Grund, warum ich mit der Rede von "möglichen Welten" Schwierigkeiten habe. De Fakto ist das, was ein Philosoph meint, wenn er von einer "möglichen Welt" redet, einfach eine mögliche Gesamtheit widerspruchsfreier Sätze innerhalb einer nicht-parakonsistenten Logik. Dass eine solche "mögliche Welt" nicht widersprüchlich sein kann, ergibt sich tautologisch aus der Definition. Nur verwenden die meisten Philosophen (inklusive Myron hier), wenn von "möglichen Welten" sprechen, diesen Ausdruck so, als sei damit etwas gemeint, das äquivalent zu dem ist, was wir im Alltag die (wirkliche) Welt nennen. Nur ist es das eben nicht.

#314:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 18.05.2016, 22:02
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Du meinst natürlichsprachliche Sätze und Begriffe seien ebenso präzise wie formallogische.

Wenn wir von gesellschaftlicher Dialektik sprechen, dann hat das m.E. in der Tat primär deshalb einen Sinn, weil sich Gesellschaft nicht formallogisch darstellen lässt und alle relevanten Interaktionen in natürlicher Sprache ablaufen. Die formale Logik hat eben Grenzen, was die Darstellung der Wirklichkeit angeht.

Aber warum wird vorausgesetzt, dass Natur und Kultur widersprüchlich seien?

#315:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 18.05.2016, 22:07
    —
unquest hat folgendes geschrieben:
Aber warum wird vorausgesetzt, dass Natur und Kultur widersprüchlich seien?

Huh? Meinst du jetzt, warum vorausgesetzt wird, dass Natur und Kultur einander widersprechen, oder warum vorausgesetzt wird, dass Natur und Kultur jeweils immanent widersprüchlich seien? Deine Formulierung könnte beides bedeuten. Überhaupt verstehe ich nicht ganz, wie du zu dem Schluss kommst, dass hier so etwas vorausgesetzt würde.

#316:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 18.05.2016, 22:22
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
unquest hat folgendes geschrieben:
Aber warum wird vorausgesetzt, dass Natur und Kultur widersprüchlich seien?

Huh? Meinst du jetzt, warum vorausgesetzt wird, dass Natur und Kultur einander widersprechen, oder warum vorausgesetzt wird, dass Natur und Kultur jeweils immanent widersprüchlich seien? Deine Formulierung könnte beides bedeuten. Überhaupt verstehe ich nicht ganz, wie du zu dem Schluss kommst, dass hier so etwas vorausgesetzt würde.

Das Zweite.

Zitat:
Es ist also die Geschichte der Natur wie der menschlichen Gesellschaft, aus der die Gesetze der Dialektik abstrahiert werden. Sie sind eben nichts andres als die allgemeinsten Gesetze dieser beiden Phasen der geschichtlichen Entwicklung sowie des Denkens selbst. Und zwar reduzieren sie sich der Hauptsache nach auf drei:

das Gesetz des Umschlagens von Quantität in Qualität und umgekehrt;

das Gesetz von der Durchdringung der Gegensätze;

das Gesetz von der Negation der Negation.

http://www.mlwerke.de/me/me20/me20_348.htm

#317:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 19.05.2016, 01:15
    —
Engels' Naturphilosophie ist... ahem... hust... nun ja...
Ich sag's mal so: Widersprüche in der Natur diskutierst du vielleicht besser mit Skeptiker, ihn scheint dieses Zeug ja zu interessieren.

Was Widersprüche in Gesellschaften angeht, so werden diese natürlich nicht "vorausgesetzt", sondern vorgefunden.

#318:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 19.05.2016, 09:00
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Engels' Naturphilosophie ist... ahem... hust... nun ja...
Ich sag's mal so: Widersprüche in der Natur diskutierst du vielleicht besser mit Skeptiker, ihn scheint dieses Zeug ja zu interessieren.

Was Widersprüche in Gesellschaften angeht, so werden diese natürlich nicht "vorausgesetzt", sondern vorgefunden.


Lachen

Also, es wäre zu diskutieren, ob Widersprüche in der Natur ebenfalls vorgefunden werden, etwa in der natürlichen Evolution. Die Evolutionstheorie war ja für Hegel eine Inspiration für die Entwicklung seiner Form von Dialektik. Und indirekt waren die Darwin'schen Forschungen damit auch wichtig für die Entwicklung des Marxismus. Das hängt ja über viele Fäden miteinander zusammen.

Und auch die heutigen dialektischen Anwandlungen moderner Naturwissenschaftler, die ja auch nicht gerade weniger werden, haben damit zu tun, was diese Naturwissenschaftler in der Natur - im Mikro-, Meso-, Makrobereich - so vorfinden. Und das wollen die sich natürlich erklären, zumal einiges davon etwas unvorhersehbar und überraschend war und ist.

Materie verhält sich mal als Welle mit Interferenzfähigkeit und mal als Teilchen ohne diese Fähigkeit, je nach Wechselbeziehungen mit anderer Materie und auch mit Gravitation.

Hier stellen die Eigenschaften *Teilchen* und *Welle* offenbar keinen Widerpruch in Form einer Kontradiktion dar, jedoch ging die zweiwertige, alte Logik davon aus, dass entweder p oder ~p. Und hier hat man p und q, wobei p <> q. Das ist was anderes, sicherlich und da kommen dann solche Konzepte wir die mehrwertige Logik ins Spiel. (Du hattest ja von paradoxer Logik gesprochen.)

Das Schweben des Zustandes der Materie unter quantenmechanischen Gesetzen wird als "Superposition" bezeichnet. Und @step: dies wäre die Synthese aus p und q ---> r, ein dritter Zustand aus den ersten beiden, der weder p noch q ist, aber dennoch auch p und q beinhaltet, um er selbst zu sein, immer wieder zu werden.

Genau so wurde auch das dialektische Verständnis von Ernst Mayr beschrieben, welcher fand, dass bei zwei möglichen Entwicklungsalternativen von a und b nicht a oder b verwirklicht wird, sonder etwas anderes, drittes, eine Synthese aus a und b.

Das ist Dialektik und eine Erweiterung der bisherigen - statischen - Logik; hier kommt die Entwicklungsdynamik der Natur selbst ins Spiel, aber auch die stets relevanten und unterschiedlichen Wechselwirkungen, die darin involviert sind.

Und man kann das, was man in der Natur an allgemeinen, dialektischen Bewegungen erkennt, sicherlich versuchen, af *die Gesellschaft* zu *übertragen*. Das ist aber schlecht. Besser wäre es schon, Dialektik in gesellschaftlichen Entwicklungen *vorzufinden*.

Philosophen jedenfalls sind nach meinem Verständnis nicht nur dazu da, um Logik um der Logik willen zu betreiben, so wie Mathematiker Mathematik um der Mathematik willen. Sie müssen auch ein Gespür dafür haben, wann sich Logik bzw. Mathematik und abstrakte Konzepte halt von der Realität ablösen und nichts mehr damit zu tun haben. Dies gilt es stets zu prüfen in Kommunikation mit der wissenschaftlichen Forschung selbst selbstverständlich.

unquest hat folgendes geschrieben:
Aber warum wird vorausgesetzt, dass Natur und Kultur widersprüchlich seien?


Wer sagt das? Engels? Und wenn ja, wo?

Das, was man sagen kann ist, dass man Gesetzmäßigkeiten der Natur erstens verstehen muss und zweitens nicht einfach auf Kultur *anwenden* kann. Solche Vulgärversionen gibt's ja.

Wenn du über Engels diskutieren möchtest, müsstest du ihn erst mal verstehen. Einfach ein Zitatschnipsel von ihm hier rein zu schmeißen, ist sinnlos.

Und irgendwelche *Fragen* zu stellen, die auf keiner Grundlage beruhen, ebenfalls ...- Cool

#319:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 19.05.2016, 13:43
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Zurück zum Thema *tertium non datur*, das ausgeschlossene Dritte.
Natürliche Sprache arbeitet mit schwammigen Begriffen. Bei dieser Schwammigkeit ist Drittes nie ausgeschlossen. Begriffe wandeln sich. Partikel heißt immer noch Partikel, aber gestern dachte man ein Partikel ist etwas wie ein Ziegelstein, heute denkt man, ein Partikel ist ein Wellenpaket.


Hier gibt es übrigens ein schwerwiegendes Problem:

"Wellenpakete freier, massiver Teilchen zerfließen, weil sie aus Anteilen mit unterschiedlichen Impulsen und daher unterschiedlichen Geschwindigkeiten zusammengesetzt sind."

Quelle: http://theory.gsi.de/~vanhees/faq/qm/node51.html

"What appeared to be localised particles are really moving `wave packets', or localised concentrations of waves. This view has the difficulty, however, that the wave packets do not remain localised after any length of time. In rectilinear unperturbed motion, for example, the different frequencies in the wave packet move at slightly different velocities, so the wave packet will eventually become more and more spread out."

Quelle: http://www.generativescience.org/books/pnb/quantum-ontologies.html

Die Instabilität von Wellenpaketen ist mit der Stabilität von Teilchen schwerlich vereinbar.

Ein schwerwiegendes Problem gibt es hier tatsächlich - nämlich das mir der Formalismus im ersten Link zu hoch ist. Pfeifen

Dennoch denke ich, daß hier nur folgendes gemeint sein kann:

Platziere ein Partikel in eine Vakuumkammer in Schwerelosigkeit. Das Partikel wird sich trotzdem minimal bewegen auf einem zufälligen Pfad (random walk) analog zur brownschen Bewegung von Atomen oder Moleküle in einem Medium.

Der Grund dafür dürften Quantenfluktuationen in einem Vakuum sein. Das zumindest lese ich da mit meinem Laien-Verständnis hinein.


Myron hat folgendes geschrieben:
Die Instabilität von Wellenpaketen ist mit der Stabilität von Teilchen schwerlich vereinbar.

Hmm. Bei Stabilität und Instabilität denke ich zuerst an radioaktiven Zerfall.

In diesem Sinne erscheinen mir Wellenpakete nicht instabil, auch wenn sich der Ort meines Partikels im Laufe der Zeit schlechter vorhersagen läßt.



Myron hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Drei saloppe Beispiele:

    (1) entweder eine ganze Zahl ist gerade oder sie ist ungerade.
    (2) entweder man lebt, oder man ist tot.
    (3) entweder man ist weiblich, oder man ist männlich.


Bei (1) ist das ausgeschlossene Dritte berechtigt.
Bei (2) müßte ich exotische Beispiele bringen, damit es falsch wäre. Meh, gut, Vieren sind jetzt nicht so exotisch.
(3) ist falsch. Es gibt XX, XY, XYY, XXY und so weiter. Wir haben noch nicht mal Namen für diese Kombinationen von Geschlechtschromosomen.


Die klassische Disjunktion ist nicht exklusiv ("entweder…oder…"), sondern inklusiv ("…oder…"), d.h. "p v q" ist auch dann wahr, wenn sowohl p als auch q wahr ist.

Gut, daß ich salopp gesagt habe. Pfeifen


Myron hat folgendes geschrieben:
Es gibt allerdings eine Ausnahme für den Fall, dass q = ~p: p v ~p. Denn es kann nicht sein, dass sowohl p als auch ~p wahr ist.

Kann es wirklich nicht sein, dass sowohl p als auch ~p wahr ist?

    Sei p: Parallelen schneiden sich nicht.


Tatsächlich schneiden sich Parallelen unter gewissen Bedingungen doch. Ist jetzt p und ~p gleichzeitig wahr?

#320:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 19.05.2016, 14:13
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Du meinst natürlichsprachliche Sätze und Begriffe seien ebenso präzise wie formallogische.

Wenn wir von gesellschaftlicher Dialektik sprechen, dann hat das m.E. in der Tat primär deshalb einen Sinn, weil sich Gesellschaft nicht formallogisch darstellen lässt und alle relevanten Interaktionen in natürlicher Sprache ablaufen. Die formale Logik hat eben Grenzen, was die Darstellung der Wirklichkeit angeht.

Es ist nicht Aufgabe der formalen Logik, die Wirklichkeit darzustellen.

Formale Logik verknüpft nur beliebige Aussagen über die Wirklichkeit.

Das hat zelig auch schon so gesagt:

zelig hat folgendes geschrieben:
Die Formale Logik macht keine Aussagen über die sogenannte Wirklichkeit. Das Objekt der formalen Logik sind die Aussagen selber.




Tarvoc hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Ich bau mal schnell eine Beispielwelt.

Das ist genau der Grund, warum ich mit der Rede von "möglichen Welten" Schwierigkeiten habe. De Fakto ist das, was ein Philosoph meint, wenn er von einer "möglichen Welt" redet, einfach eine mögliche Gesamtheit widerspruchsfreier Sätze innerhalb einer nicht-parakonsistenten Logik. Dass eine solche "mögliche Welt" nicht widersprüchlich sein kann, ergibt sich tautologisch aus der Definition. Nur verwenden die meisten Philosophen (inklusive Myron hier), wenn von "möglichen Welten" sprechen, diesen Ausdruck so, als sei damit etwas gemeint, das äquivalent zu dem ist, was wir im Alltag die (wirkliche) Welt nennen. Nur ist es das eben nicht.

Errm. Versteh ich nicht. Inhaltlich nicht. Formal auch nicht, denn, laß mich das auseinander klauben:

    - De Fakto meint ein Philosoph mit "möglichen Welten" dieses: ...
    - Die meisten Philosophen inkl. Myron verwenden den Begriff anders.

Und nun?

#321:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 19.05.2016, 14:49
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Die Evolutionstheorie war ja für Hegel eine Inspiration für die Entwicklung seiner Form von Dialektik. Und indirekt waren die Darwin'schen Forschungen damit auch wichtig für die Entwicklung des Marxismus. Das hängt ja über viele Fäden miteinander zusammen.

Ja, sicher. Zustimmung

Hegel: 1770 - 1831
Darwin: brach 1834 zu seiner Reise mit der Beagle auf.

Womit logisch zweifelsfrei erwiesen ist, daß es Zeitmaschinen gibt. Mr. Green

#322: Evolution und das alte Schema F Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 19.05.2016, 16:29
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Die Evolutionstheorie war ja für Hegel eine Inspiration für die Entwicklung seiner Form von Dialektik. Und indirekt waren die Darwin'schen Forschungen damit auch wichtig für die Entwicklung des Marxismus. Das hängt ja über viele Fäden miteinander zusammen.

Ja, sicher. Zustimmung

Hegel: 1770 - 1831
Darwin: brach 1834 zu seiner Reise mit der Beagle auf.

Womit logisch zweifelsfrei erwiesen ist, daß es Zeitmaschinen gibt. Mr. Green


Die Evolution als Theorie gibt es nicht erst seit Darwin. Diese Erkenntnisse lagen schon vorher *in der Luft*. Aber erst mit Darwin war die Evolutionstheorie eine Grundlage für eine materialistisch-dialektische Logik.

Zu Zeiten Hegels waren die Verhältnisse reif für die biologische Evolutionstheorie und mit Lamarck, Cuvier und Saint-Hilaire wurden erste Evolutionstheorien entwickelt, auf denen aufbauend und in kritischer Distanzierung zu diesen sich dann die Darwin'sche entwickelte.

Aber das Bewusstwerden der unablässigen Veränderlichkeit der Dinge und damit einhergehend auch die Gedanken der Höherentwicklung und des Fortschritts fanden ihren theoretischen Niederschlag sowohl in der Evolutionsbiologie als auch in der Dialektik Hegels und dann später der materialistischen Interpretation der Dialektik. Interessant ist hier das Verhältnis zwischen Logischem und Historischem.

Was Hegel da zwischen Lamarck und Darwin theoretisch ausarbeitete, war ein grundlegend neues Verständnis der Welt als prozesshaftes, sich ständig bewegendes, sich veränderndes, sich umgestaltendes und sich entwicklendes Geschehen.

Somit kann man sagen, dass sowohl auf der Ebene der Logik als auch des Natur- und Geschichtsverständnisses die alte statische und ahistorische Denkweise, also das alte logische *Schema F* verlassen wurde, das interessanter Weise mit jedem tieferen Fortschritt der Wissenschaft auch als beschränkt und für bestimmte erforschte Bereiche der Wirklichkeit sogar obsolet erscheint ...-!

#323: Re: Evolution und das alte Schema F Autor: unquest BeitragVerfasst am: 19.05.2016, 17:13
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:

Somit kann man sagen, dass sowohl auf der Ebene der Logik als auch des Natur- und Geschichtsverständnisses die alte statische und ahistorische Denkweise, also das alte logische *Schema F* verlassen wurde, das interessanter Weise mit jedem tieferen Fortschritt der Wissenschaft auch als beschränkt und für bestimmte erforschte Bereiche der Wirklichkeit sogar obsolet erscheint ...-!


An dieser Stelle sollte nicht verschwiegen werden, dass wir der materialistisch-dialektischen Logik Hegels ein tiefes und umfangreiches Verständnis der Elektrizität verdanken.

Zitat:
Die Elektrizität ist der reine Zweck der Gestalt, der sich von ihr befreit, die Gestalt, die ihre Gleichgültigkeit aufzuheben anfängt; denn die Elektrizität ist das unmittelbare Hervortreten oder das noch von der Gestalt herkommende, noch durch sie bedingte Dasein, - oder noch nicht die Auflösung der Gestalt selbst, sondern der oberflächliche Prozeß, worin die Differenzen die Gestalt verlassen, aber sie zu ihrer Bedingung haben und noch nicht an ihnen selbständig sind. Dieses Verhältnis scheint zufällig, weil es nur an sich notwendig ist.

http://www.hegel.de/werke_frei/hw108097.htm

Die der traditionellen Logik verpflichteten Maxwell-Gleichungen sind somit als hinfällig anzusehen.

#324: Re: Evolution und das alte Schema F Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 19.05.2016, 17:27
    —
unquest hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:

Somit kann man sagen, dass sowohl auf der Ebene der Logik als auch des Natur- und Geschichtsverständnisses die alte statische und ahistorische Denkweise, also das alte logische *Schema F* verlassen wurde, das interessanter Weise mit jedem tieferen Fortschritt der Wissenschaft auch als beschränkt und für bestimmte erforschte Bereiche der Wirklichkeit sogar obsolet erscheint ...-!


An dieser Stelle sollte nicht verschwiegen werden, dass wir der materialistisch-dialektischen Logik Hegels ein tiefes und umfangreiches Verständnis der Elektrizität verdanken.

Zitat:
Die Elektrizität ist der reine Zweck der Gestalt, der sich von ihr befreit, die Gestalt, die ihre Gleichgültigkeit aufzuheben anfängt; denn die Elektrizität ist das unmittelbare Hervortreten oder das noch von der Gestalt herkommende, noch durch sie bedingte Dasein, - oder noch nicht die Auflösung der Gestalt selbst, sondern der oberflächliche Prozeß, worin die Differenzen die Gestalt verlassen, aber sie zu ihrer Bedingung haben und noch nicht an ihnen selbständig sind. Dieses Verhältnis scheint zufällig, weil es nur an sich notwendig ist.

http://www.hegel.de/werke_frei/hw108097.htm

Die der traditionellen Logik verpflichteten Maxwell-Gleichungen sind somit als hinfällig anzusehen.


Trotz allem schwer verständlichen in Hegels Stil zeigt dein Zitat aber doch, dass er sich Gedanken über naturwissenschaftliche Erkenntnisse machte und sie philosophisch deutete.

So ist es beste Philosophenart!

Falls die herkömmliche Logik bei der Deutung der Maxwell-Gleichungen überholt wäre, hieße das noch lange nicht, dass die Gleichungen selbst überholt wären. Das sollte man schon unterscheiden ...-! freakteach

#325:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 19.05.2016, 21:36
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Errm. Versteh ich nicht. Inhaltlich nicht. Formal auch nicht, denn, laß mich das auseinander klauben:

    - De Fakto meint ein Philosoph mit "möglichen Welten" dieses: ...
    - Die meisten Philosophen inkl. Myron verwenden den Begriff anders.

Und nun?

Mann. Der Punkt ist, dass der Begriff "mögliche Welt" effektiv nie etwas anderes bezeichnet als im ersten Fall, weil der Begriff genau darauf Bezug nehmend entwickelt wurde und auch gar nicht klar ist, was damit anderes bezeichnet werden sollte. Manche Philosophen (wie z.B. Myron) laden aber eben die Logik metaphysisch auf und andere tun das nicht.

#326: Re: Evolution und das alte Schema F Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 19.05.2016, 21:42
    —
unquest hat folgendes geschrieben:
An dieser Stelle sollte nicht verschwiegen werden, dass wir der materialistisch-dialektischen Logik Hegels ein tiefes und umfangreiches Verständnis der Elektrizität verdanken.

Wenn zum Beispiel Lenin bemerkt, dass Elektrizität der halbe Sozialismus sei, dann ist das für dich natürlich auch eine Bemerkung über die Physik elektrischer Ströme. Was auch sonst? freakteach


Zuletzt bearbeitet von Tarvoc am 20.05.2016, 00:58, insgesamt einmal bearbeitet

#327: Re: Evolution und das alte Schema F Autor: smallie BeitragVerfasst am: 20.05.2016, 00:11
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Die Evolutionstheorie war ja für Hegel eine Inspiration für die Entwicklung seiner Form von Dialektik. Und indirekt waren die Darwin'schen Forschungen damit auch wichtig für die Entwicklung des Marxismus. Das hängt ja über viele Fäden miteinander zusammen.

Ja, sicher. Zustimmung

Hegel: 1770 - 1831
Darwin: brach 1834 zu seiner Reise mit der Beagle auf.

Womit logisch zweifelsfrei erwiesen ist, daß es Zeitmaschinen gibt. Mr. Green


Die Evolution als Theorie gibt es nicht erst seit Darwin. Diese Erkenntnisse lagen schon vorher *in der Luft*.

Das ist unbestritten.

Die Frage ist, wie genau haben diese Vorlaufer-Ideen Hegel beeinflusst? Da würde ich gern Zitate sehen. Hab' mir selbst eins gesucht. Erster Treffer:

Zitat:
An Introduction to Hegel, Freedom, Truth and History

Hegel macht seine Gegnerschaft zur Evolutionstheorie am Anfang und am Ende der Naturphilosophie deutlich. In der Einleitung sagt er beispielsweise: "Spezies als etwas darzustellen, das sich schrittweise, eine nach der anderen im Lauf der Zeit entwickelt ist ein vollig leerer Gedanke. ... Die Tiere des Landes entwickelten sich nicht natürlich aus den aquatischen, noch erhoben sie sich in die Lüfte, als sie das Wasser verließen." In seiner Besprechung der Geologie räumt er ein, das Leben sei entstanden, verwirft jedoch erneut die Idee, daß Arten ineinander übergehen:


    sogar falls die Erde einstmals kein Leben trug, sondern nur chemische Vorgänge usw. kannte, so war doch in dem Moment, als der Blitz des Lebens in Materie schlug, sofort die bestimmte und vollständige Kreatur vorhanden, so wie Minerva voll bewaffnet herbei springt vom Kopf des Jupiter ... Der Mensch hat sich nicht selbst aus dem Tier entwickelt, noch das Tier aus der Pflanze; jedes ist auf Anhieb, das was es ist.


Hegels anti-evolutionäre Haltung speist sich aus seinem philosophischen Interesse an logischen, nicht aber an zeitlichen Erscheinungen in der Natur.




Hegel makes his hostility to evolutionary theory clear at the beginning and towards the end of the Philosophy of Nature. In the Introduction, for example, he states that ‘it is a completely empty thought to represent species as developing successively, one after the other, in time.... The land animal did not develop naturally out of the aquatic animal, nor did it fly into the air on leaving the water.’ In his discussion of geology in the section on organics he admits that the earth has a history during which life itself emerged, but he repeats his rejection of the idea that living species evolve into one another:

    “even if the earth was once in a state where it had no living things but only the chemical process, and so on, yet the moment the lightning of life strikes into matter, at once there is present a determinate, complete creature, as Minerva fully armed springs forth from the head of Jupiter.... Man has not developed himself out of the animal, nor the animal out of the plant; each is at a single stroke what it is.”


Hegel’s anti-evolutionary stance obviously has its source in his philosophical interest in the logical rather than temporal relations between phenomena in nature.

https://www.marxists.org/reference/archive/hegel/help/houlgate1.htm




Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Was Hegel da zwischen Lamarck und Darwin theoretisch ausarbeitete, war ein grundlegend neues Verständnis der Welt als prozesshaftes, sich ständig bewegendes, sich veränderndes, sich umgestaltendes und sich entwicklendes Geschehen.

Wie das wohl im Original klingt?

So wie ich meinen Pappenheimer kenne, steht am Ende dieses Geschehens das Absolute oder Gott. Frage

#328: Re: Evolution und das alte Schema F Autor: smallie BeitragVerfasst am: 20.05.2016, 01:04
    —
unquest hat folgendes geschrieben:
An dieser Stelle sollte nicht verschwiegen werden, dass wir der materialistisch-dialektischen Logik Hegels ein tiefes und umfangreiches Verständnis der Elektrizität verdanken.

Zitat:
Die Elektrizität ist der reine Zweck der Gestalt, der sich von ihr befreit, die Gestalt, die ihre Gleichgültigkeit aufzuheben anfängt; denn die Elektrizität ist das unmittelbare Hervortreten oder das noch von der Gestalt herkommende, noch durch sie bedingte Dasein, - oder noch nicht die Auflösung der Gestalt selbst, sondern der oberflächliche Prozeß, worin die Differenzen die Gestalt verlassen, aber sie zu ihrer Bedingung haben und noch nicht an ihnen selbständig sind. Dieses Verhältnis scheint zufällig, weil es nur an sich notwendig ist.

http://www.hegel.de/werke_frei/hw108097.htm

OMFG. Das geht seitenlang so. Geschockt

#329: Re: Evolution und das alte Schema F Autor: smallie BeitragVerfasst am: 20.05.2016, 12:46
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
unquest hat folgendes geschrieben:
An dieser Stelle sollte nicht verschwiegen werden, dass wir der materialistisch-dialektischen Logik Hegels ein tiefes und umfangreiches Verständnis der Elektrizität verdanken.
Zitat:
Die Elektrizität ist der reine Zweck der Gestalt, der sich von ihr befreit, die Gestalt, die ihre Gleichgültigkeit aufzuheben anfängt; denn die Elektrizität ist das unmittelbare Hervortreten oder das noch von der Gestalt herkommende, noch durch sie bedingte Dasein, - oder noch nicht die Auflösung der Gestalt selbst, sondern der oberflächliche Prozeß, worin die Differenzen die Gestalt verlassen, aber sie zu ihrer Bedingung haben und noch nicht an ihnen selbständig sind. Dieses Verhältnis scheint zufällig, weil es nur an sich notwendig ist.

http://www.hegel.de/werke_frei/hw108097.htm

Die der traditionellen Logik verpflichteten Maxwell-Gleichungen sind somit als hinfällig anzusehen.


Trotz allem schwer verständlichen in Hegels Stil zeigt dein Zitat aber doch, dass er sich Gedanken über naturwissenschaftliche Erkenntnisse machte und sie philosophisch deutete.

Du stellst Hegel gerade dieses Zeugnis aus:

    Er hat sich stets bemüht.



Skeptiker hat folgendes geschrieben:
So ist es beste Philosophenart!

Was Hegel da zusammenschreibt, ist fürchterlichster Unfug. Das ist nicht "schwer verständlich" - sondern unverständlich, weil frei von Inhalt.


Noch ein paar gefällig?

Hegel hat folgendes geschrieben:
Der Unterschied an der besonderten Körperlichkeit § 321

Das Prinzip des einen Gliedes des Unterschiedes (das Fürsichsein) ist das Feuer (§ 283), aber noch nicht als realer chemischer Prozeß (§ 316), auch nicht mehr die mechanische Sprödigkeit, sondern in der physischen Besonderheit, Brennlichkeit an sich, welche zugleich different nach außen das Verhältnis zum Negativen in elementarischer Allgemeinheit, zu der Luft, dem unscheinbar Verzehrenden (§ 282), der Prozeß derselben am Körperlichen ist; die spezifische Individualität als einfacher theoretischer Prozeß, die unscheinbare Verflüchtigung des Körpers an der Luft - der Geruch.

Die Eigenschaft des Geruchs der Körper, als für sich existierende Materie (s. § 126), der Riechstoff, ist das Öl, das als Flamme verbrennende. Als bloße Eigenschaft existiert das Riechen z. B. in dem ekelhaften Geruche des Metalls.



Hegel hat folgendes geschrieben:
Verhältnis zum Licht § 317

In der gestalteten Körperlichkeit ist die erste Bestimmung ihre mit sich identische Selbstischkeit, die abstrakte Selbstmanifestation ihrer als unbestimmter, einfacher Individualität, - das Licht. Aber die Gestalt leuchtet als solche nicht, sondern diese Eigenschaft ist (vorh. §) ein Verhältnis zum Lichte; 1. Der Körper ist als reiner Kristall in der vollkommenen Homogenität seiner neutral-existierenden inneren Individualisierung durchsichtig und ein Medium für das Licht.

Was in Beziehung auf Durchsichtigkeit die innere Kohäsionslosigkeit der Luft ist, ist im konkreten Körper die Homogenität der in sich kohärenten und kristallisierten Gestalt. - Der individuelle Körper unbestimmt genommen, ist freilich sowohl durchsichtig als undurchsichtig, durchscheinend usf. Aber die Durchsichtigkeit ist die nächste erste Bestimmung desselben als Kristalls, dessen physische Homogenität noch nicht weiter in sich besondert und vertieft ist.



Hegel hat folgendes geschrieben:
Die Besonderung des individuellen Körpers § 316

Die Gestaltung, das den Raum bestimmende Individualisieren des Mechanismus, geht in die physikalische Besonderung über. Der individuelle Körper ist an sich die physische Totalität; diese ist an ihm im Unterschiede, aber wie er in der Individualität bestimmt und gehalten ist, zu setzen. Der Körper als das Subjekt dieser Bestimmungen enthält dieselben als Eigenschaften oder Prädikate; aber so, daß sie zugleich ein Verhalten zu ihren ungebundenen, allgemeinen Elementen und Prozesse mit denselben sind. Es ist ihre unmittelbare, noch nicht gesetzte (welches Setzen der chemische Prozeß ist) Besonderung, wonach sie noch nicht in die Individualität zurückgeführt, nur Verhältnisse zu jenen Elementen, nicht die reale Totalität des Prozesses, sind. Ihre Unterscheidung gegeneinander ist die ihrer Elemente, deren logische Bestimmtheit in ihrer Sphäre aufgezeigt worden.

Lieber Vogonen-Lyrik, als so etwas. Pfeifen Mr. Green


Ist es nicht erstaunlich, daß Hegel als Ikone gilt, obwohl er solchen Mist schreibt? Das sagt etwas über die Gesellschaft, die derartiges nicht als inhaltsleer erkennt.

Nicht umsonst räumt Popper in "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" Hegel viel Platz ein. zynisches Grinsen

#330: Re: Evolution und das alte Schema F Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 20.05.2016, 13:06
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Lieber Vogonen-Lyrik, als so etwas. Pfeifen Mr. Green

Vogonen-Lyrik ist ja auch einfacher zu verstehen. zwinkern

#331:  Autor: Klaus-Peter BeitragVerfasst am: 20.05.2016, 15:35
    —
Wie schrieb Karl Popper am Ende seines köstlichen Aufsatzes "Wider die Großen Worte":

Karl R. Popper hat folgendes geschrieben:
Wie Sie ja wissen, bin ich ein Gegner von Marx; aber unter seinen vielen Bemerkungen, die ich bewundere, ist die folgende: „In ihrer mystifizierten Form ward die Dialektik deutsche Mode.“ Sie ist’s noch immer.

Das ist meine Entschuldigung dafür, daß ich mich auf diese Diskussion nicht einlasse, sondern lieber daran arbeite, meine Ideen möglichst einfach zu formulieren. Das ist oft nicht leicht.

#332:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 20.05.2016, 15:37
    —
Was die Ablehnung unnötig komplizierter und obskurer Ausdrucksweisen in der Philosophie angeht, waren Marx und Popper in der Tat erstaunlich dicht beieinander. Sogar die Argumente sind z.T. ähnlich.

#333:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 21.05.2016, 00:58
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Was die Ablehnung unnötig komplizierter und obskurer Ausdrucksweisen in der Philosophie angeht, waren Marx und Popper in der Tat erstaunlich dicht beieinander. Sogar die Argumente sind z.T. ähnlich.

Nun ja. Er schätzte den Humanisten in Marx, was auch sein mildes Urteil über den Marxismus erklärt und sein Engagement Marxisten in die Mont Pelerin Society aufzunehmen.

#334:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 21.05.2016, 03:24
    —
Da sieht man's mal wieder. Marx aus den falschen Gründen zu schätzen ist konterrevolutionär! freakteach noc zwinkern

#335: Re: Evolution und das alte Schema F Autor: Er_Win BeitragVerfasst am: 21.05.2016, 09:07
    —
smallie hat folgendes geschrieben:

Ist es nicht erstaunlich, daß Hegel als Ikone gilt, obwohl er solchen Mist schreibt? Das sagt etwas über die Gesellschaft, die derartiges nicht als inhaltsleer erkennt.


ich bin nun wirklich kein Hegel-Fanboy (um zeligs Duktus zu verwenden), finde aber doch, dass es eher etwas über dich aussagt, wenn du dein Verständnis von Hegel "der (ganzen) Gesellschaft" vereinnahmend überstülpst.

Auch deine Einlassungen über Logik(en) hier - wie von @myron bereits angemerkt - lassen nicht wirklich den Eindruck entstehen, dass du darin "zuhause" bist...

Du könntest dir ja mal zumindest Möllers 'Hegel für Dummies' reinziehen bevor du seinen "Mist" liest und bewertest zwinkern

#336: Re: Evolution und das alte Schema F Autor: Klaus-Peter BeitragVerfasst am: 21.05.2016, 14:00
    —
Er_Win hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:

Ist es nicht erstaunlich, daß Hegel als Ikone gilt, obwohl er solchen Mist schreibt? Das sagt etwas über die Gesellschaft, die derartiges nicht als inhaltsleer erkennt.


ich bin nun wirklich kein Hegel-Fanboy (um zeligs Duktus zu verwenden), finde aber doch, dass es eher etwas über dich aussagt, wenn du dein Verständnis von Hegel "der (ganzen) Gesellschaft" vereinnahmend überstülpst.

Auch deine Einlassungen über Logik(en) hier - wie von @myron bereits angemerkt - lassen nicht wirklich den Eindruck entstehen, dass du darin "zuhause" bist...

Du könntest dir ja mal zumindest Möllers 'Hegel für Dummies' reinziehen bevor du seinen "Mist" liest und bewertest zwinkern

Ich sehe (auch und insbesondere nach Lektüre von Möllers 'Hegel für Dummies') keinen Grund, anderer Meinung zu sein als Smallie (und Schopenhauer und Popper).

Um Schopenhauer zu zitieren: "Hegel [ist] ... ein platter, geistloser, ekelhaft-widriger, unwissenschftlicher Scharlatan, der mit beispielloser Frechheit Aberwitz und Unsinn zusammenschmiert".

#337:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 21.05.2016, 20:00
    —
Er_Win hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:

Ist es nicht erstaunlich, daß Hegel als Ikone gilt, obwohl er solchen Mist schreibt? Das sagt etwas über die Gesellschaft, die derartiges nicht als inhaltsleer erkennt.


ich bin nun wirklich kein Hegel-Fanboy (um zeligs Duktus zu verwenden), finde aber doch, dass es eher etwas über dich aussagt, wenn du dein Verständnis von Hegel "der (ganzen) Gesellschaft" vereinnahmend überstülpst.

Schau dir den Link von unquest an, stöbere ein bisschen darin herum. Dann bleibt nur die Einsicht, Hegel war batshit crazy, völlig durchgeknallt und berauscht vom Klang seiner eigenen Worte.


Er_Win hat folgendes geschrieben:
Auch deine Einlassungen über Logik(en) hier - wie von @myron bereits angemerkt - lassen nicht wirklich den Eindruck entstehen, dass du darin "zuhause" bist...

Du meinst die Sache mit p xor ~p = wahr ?

Du bist doch vom Fach - aber ich will dir zugute halten, daß man im Mathematikstudium eher wenig über die Geschichte der Mathematik lernt. Kurzfassung:

Über Logik und Schlußverfahren haben viele Autoren geschrieben: Aristoteles, Leibniz, Bool und auch Frege. Bertrand Russell hat Frege gelesen - und ist auf einen Widerspruch gestoßen. Nämlich:

    Gegeben sei die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten. Oder:
    Der Barbier von Sevillia rasiert alle, die sich nicht selbst rasieren.


Das ist paradox. Russell und Whitehead kamen in Folge auf die Idee, zwischen Aussagen, Aussagen über Aussagen und Aussagen über (Aussagen über Aussagen) zu unterscheiden. Das heilt zwar das Paradox, ist für mein ästhetisches Empfinden aber etwas willkürlich. Egal. Jedenfalls wollten Russell und Whitehead aus der Fregeschen Logik, die ganze Mathematik ableiten. Etwa auf Seite 800 kommen sie dann endlich auf 1 + 1 = 2. Pfeifen

Stichwort Grundlagenstreit der Mathematik. David Hilbert war der Meinung, alle mathematischen Sätze ließen sich durch Anwendung eines Formalismuses aufstellen. Luitzen Brouwer hielt dagegen und sagte, der Satz vom ausgeschlossenen Dritten sei nicht berechtigt.

Kurz darauf kam Gödel. Seine Ergebnisse geben den Intuitionalisten um Brouwer recht.

Die Diskussion über den Satz vom ausgeschlossenen Dritten, p xor ~p = wahr, hat also eine mindestens hundert Jahre alte Tradition in der Mathematik. Hegel behauptet: mit meiner dialektischen Methode läßt sich das ausgeschlossende Dritte finden. Aus heutiger Sicht ist das natürlich albern.

Ich freue mich schon auf deine Antwort, wie du dazu stehst, solltest du in der Materie zuhause sein. Mr. Green



Er_Win hat folgendes geschrieben:
Du könntest dir ja mal zumindest Möllers 'Hegel für Dummies' reinziehen bevor du seinen "Mist" liest und bewertest zwinkern

Da finde ich nur Aussagen, die mein Urteil bestätigen. nee


Möller über Hegel hat folgendes geschrieben:
Für Hegel ist das Geistige das allein Wirkliche. Während bei anderen Spielarten des Idealismus die Materie, einmal geschaffen oder entstanden, eine tatsächliche wenn auch sekundäre Existenz hat, ist bei Hegel der Geist nicht etwa nur primär, er ist das einzig Existierende. Materie ist nur eine spezifische Form von Geist.

Null Punkte. Das ist ganz fürchterliche Esoterik.


Hegel hat folgendes geschrieben:
Der Staat ist die Wirklichkeit der sittlichen Idee.

Hegel war ein philosophischer Arschkriecher der absoluten preussischen Monarchie. Seine Politphilosophie kann auch die polnische PI oder Erdogan für sich in Anspruch nehmen.


Hegel hat folgendes geschrieben:
Die Art einer Verfassung ist ferner dadurch bestimmt, ob alle Bürger, insofern sie Bürger sind, Anteil an der Regierung haben. Eine solche Verfassung ist die Demokratie.

Irreführendes Zitat. Siehe unten, was er tatsächlich sagt.


Hegel hat folgendes geschrieben:
Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit.

Tja, aber was ist, wenn ich die Notwendigkeit nicht einsehe?

Es ist widerlich, was Hegel zu Thema Individuum und Staat schreibt. Hegel ist proto-faschistisch. Aus dem Gedächtnis und polemisch zusammengefasst:

    Freiheit steht jedem Menschen zu. Jeder vernünftige Mensch kann hier nur zum selben Schluß kommen, was vernünftig ist, weil eben die dialektische Methode so geil ist und keinen Zweifel zuläßt. So eint sich dann der Volkskörper als Gemeinschaft vernünftiger Menschen. Der weisungsbefugte Repräsentant des Volkskörpers ist der (absolute) Monarch.


In wesentlichen Teilen hier nachzulesen:

Hegel hat folgendes geschrieben:
In der Regierung als organischer Totalität ist 1. die Subjektivität als die in der Entwicklung des Begriffs unendliche Einheit desselben mit sich selbst, der alles haltende, beschließende Wille des Staats, die höchste Spitze desselben wie [seine] alles durchdringende Einheit, - die fürstliche Regierungsgewalt.

In der vollkommenen Form des Staats, in der alle Momente des Begriffs ihre freie Existenz erlangt haben, ist diese Subjektivität nicht eine sogenannte moralische Person oder ein aus einer Majorität hervorgehendes Beschließen - Formen, in welchen die Einheit des beschließenden Willens nicht eine wirkliche Existenz hat -, sondern als wirkliche Individualität Wille eines beschließenden Individuums; - Monarchie.

Die monarchische Verfassung ist daher die Verfassung der entwickelten Vernunft; alle anderen Verfassungen gehören niedrigeren Stufen der Entwicklung und Realisierung der Vernunft an.

http://www.hegel.de/werke_frei/hw108166.htm

Hegel hat also nicht nur Unfug erzählt, er hat auch noch anti-aufklärerischen Unfug erzählt. Mit den Augen rollen

#338:  Autor: schtonk BeitragVerfasst am: 21.05.2016, 21:10
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
...Hegel war ... berauscht vom Klang seiner eigenen Worte.

Da kenne ich noch jemanden.

Hegel auf einige Zitate zu reduzieren, einige aversive Bekundungen dazuzumengen und mit dem Schopen zu hauen ist simpel.
Das sage ich nicht, weil ich ihn verteidigen will.

#339:  Autor: Klaus-Peter BeitragVerfasst am: 21.05.2016, 22:18
    —
schtonk hat folgendes geschrieben:

Hegel auf einige Zitate zu reduzieren, einige aversive Bekundungen dazuzumengen und mit dem Schopen zu hauen ist simpel.

Mag sein. Aber für diese Philosophie hinreichend.

Die komplexere Frage ist in der Tat die, die Smallie aufgeworfen hat: Wie kommt es, dass solch ein Scheißdreck so wirkmächtig sein konnte, dass Hegel einigen Leuten als großer Philosoph gilt? Irgendwie muss diese Philosophie attraktiv gewesen sein.

Karl Popper hat dabei einige Punkte herausgearbeitet, warum dieser Müll attraktiv war. Ein paar Beispiele:

- Sein Essentialismus: Er erlaubt gelehrt klingendes Schreiben, ohne sich um solche Dinge wie Tatsachen und wissenschaftliche Ergebnisse kümmern zu müssen.
- Seine an Aristoteles und Platon anknüpfende totalitäre Theorie, die für die preussische Staatsmacht und für alle, die sich nach dem Mythos des heilen Stammeslebens sehnen, also für die Feinde der Offenen Gesellschaft, attraktiv macht
- Sein Historizismus: die These, dass die geschichtliche Entwicklung das Wesen der Dinge, ja sogar das Wesen der Vernuft enthüllt. (spätere Nachfolger sprachen von der "Macht der Vorsehung", die als Richterin dem Erfolg recht gibt ).
- Die Idee der Führung durch den "großen Mann", der Geschichte macht und über der kleinbürgerlichen Moral steht.

#340:  Autor: schtonk BeitragVerfasst am: 21.05.2016, 22:52
    —
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:

Karl Popper hat dabei einige Punkte herausgearbeitet, warum dieser Müll attraktiv war. Ein paar Beispiele:

- Sein Essentialismus: Er erlaubt gelehrt klingendes Schreiben, ohne sich um solche Dinge wie Tatsachen und wissenschaftliche Ergebnisse kümmern zu müssen.
- Seine an Aristoteles und Platon anknüpfende totalitäre Theorie, die für die preussische Staatsmacht und für alle, die sich nach dem Mythos des heilen Stammeslebens sehnen, also für die Feinde der Offenen Gesellschaft, attraktiv macht
- Sein Historizismus: die These, dass die geschichtliche Entwicklung das Wesen der Dinge, ja sogar das Wesen der Vernuft enthüllt. (spätere Nachfolger sprachen von der "Macht der Vorsehung", die als Richterin dem Erfolg recht gibt ).
- Die Idee der Führung durch den "großen Mann", der Geschichte macht und über der kleinbürgerlichen Moral steht.

Dem kann ich folgen.

#341:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 22.05.2016, 03:19
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Hegel war ein philosophischer Arschkriecher der absoluten preussischen Monarchie.

Seine Glorifizierung Napoleons passt ja auch ganz wunderbar zu einem strammen Preußen.

#342: Re: Evolution und das alte Schema F Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 22.05.2016, 03:22
    —
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Um Schopenhauer zu zitieren: "Hegel [ist] ... ein platter, geistloser, ekelhaft-widriger, unwissenschftlicher Scharlatan, der mit beispielloser Frechheit Aberwitz und Unsinn zusammenschmiert".

Ohne Hegel verteidigen zu wollen: Zu dumm, dass diese Beschreibung, wenn man nur böswillig genug ist, ohne Weiteres auch auf Schopenhauer passt.

#343: Re: Evolution und das alte Schema F Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 22.05.2016, 07:21
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Um Schopenhauer zu zitieren: "Hegel [ist] ... ein platter, geistloser, ekelhaft-widriger, unwissenschftlicher Scharlatan, der mit beispielloser Frechheit Aberwitz und Unsinn zusammenschmiert".

Ohne Hegel verteidigen zu wollen: Zu dumm, dass diese Beschreibung, wenn man nur böswillig genug ist, ohne Weiteres auch auf Schopenhauer passt.

Schopenhauer hat aber zumindest sprachwitz.

#344:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 22.05.2016, 10:27
    —
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
schtonk hat folgendes geschrieben:

Hegel auf einige Zitate zu reduzieren, einige aversive Bekundungen dazuzumengen und mit dem Schopen zu hauen ist simpel.

Mag sein. Aber für diese Philosophie hinreichend.

Die komplexere Frage ist in der Tat die, die Smallie aufgeworfen hat: Wie kommt es, dass solch ein Scheißdreck so wirkmächtig sein konnte, dass Hegel einigen Leuten als großer Philosoph gilt? Irgendwie muss diese Philosophie attraktiv gewesen sein.

Karl Popper hat dabei einige Punkte herausgearbeitet, warum dieser Müll attraktiv war. Ein paar Beispiele:

- Sein Essentialismus: Er erlaubt gelehrt klingendes Schreiben, ohne sich um solche Dinge wie Tatsachen und wissenschaftliche Ergebnisse kümmern zu müssen.
- Seine an Aristoteles und Platon anknüpfende totalitäre Theorie, die für die preussische Staatsmacht und für alle, die sich nach dem Mythos des heilen Stammeslebens sehnen, also für die Feinde der Offenen Gesellschaft, attraktiv macht
- Sein Historizismus: die These, dass die geschichtliche Entwicklung das Wesen der Dinge, ja sogar das Wesen der Vernuft enthüllt. (spätere Nachfolger sprachen von der "Macht der Vorsehung", die als Richterin dem Erfolg recht gibt ).
- Die Idee der Führung durch den "großen Mann", der Geschichte macht und über der kleinbürgerlichen Moral steht.


Empirisch gesehen war es so, dass Schopenhauer und Nietzsche zu den Lieblingsphilosophen Mussolinis und Hitlers gehörten, Hegel dagegen nicht. Welcher Philosoph kann diesen Sachverhalt am besten erklären, obwohl doch Hegel vom "großen Mann" gesprochen haben soll? Als Preis gibt's eine vergoldete Ananas.

Im Nachkriegsdeutschland, Abteilung West war es so, dass nach der kurzen Reformphase der 60er/70er Jahre und der dann eingeleiteten *geistig-moralischen Wende* - Sir Karl Popper sehr schnell die Rolle eines Hofphilosophen bekam, der die bestehenden Verhältnisse als *offen* etc. schönredete und harmonisierte und die "faktische »Tyrannei« bzw. mangelnde Demokratie auch in freien Gesellschaften" unter den Tisch fallen ließ. "Besonders wohl wegen seiner liberalen Grundhaltung wurde er von der Queen geadelt."

Neoliberale Grundhaltung wohlgemerkt.

Hier eine kleine Kritik zu Popper:
Die offene Gesellschaft und ihre falschen Propheten

Schopenhauer und Popper sind also kaum geeignete Kritiker Hegels.

Aber natürlich gibt es viele berechtigte Gründe einer Kritik Hegels. Da ist seine Sprache, von der Bloch mal sagte, sie erkläre sich daraus, dass Hegel eben "unerhörte Dinge" zu sagen habe.

Und da ist Hegels unsäglicher Extrem-Idealismus, die ihm den Blick verstellt für die materielle Entwicklung und Geschichte der Welt.

Deshalb war es nötig, ihn hier vom Kopf auf die Füße zu stellen und dabei seine progressiven Inhalte sorgfältig zu extrahieren.

Wenn herausragende Wissenschaftler der modernen Zeit in der Natur selbst eine Logik entdecken, die über das alte statische Logikverständnis hinaus geht, dann zeigt sich hier die Bedeutung Hegels für die moderne Wissenschaftsphilosophie. In der *Dialektik für Dummies* von Peter Möller lesen wir:

Zitat:
Die zweiwertige Logik ist im praktischen Leben unverzichtbar, aber sie allein reicht nicht aus, um die Welt zu verstehen.

http://www.philolex.de/aufsatz6.htm


Was sich zeigen lässt.

@smallie hatte gefragt, inwiefern Hegel von der Evolutionstheorie seiner Zeit inspiriert war und dazu eine kleine Passage:

Zitat:
Den Grundgedanken der Evolution lehnt Hegel ausdrücklich ab, wie Wandschneider ... feststellt: "Entwicklung im eigentlichen Sinn kommt Hegel zufolge nur dem Begriff zu ..." (...)

Doch insgesamt kommt Wandschneider zu dem Schluss: "Kurzum: Hegels Naturphilosophie bietet - als einzige mir bekannte Position und Hegels eigenen Formulierungen zum Trotz - einen überzeugenden naturontologischen Erklärungsrahmen für jenen zeitlichen Aufstufungsprozeß der Natur, den wir heute als 'Evolution' bezeichnen."


Logik, Mathematik und Naturphilosophie im objektiven Idealismus. Festschrift für Dieter Wandschneider. Hrsg.: Neuser / Hösle, S. 92, Fußnote 8
Leseprobe Google Books


Und zwar nimmt Hegel die Evolutionstheorie von Lamarck, Cuvier, Saint Hilaire u.a. auf und erkennt zunächst an, dass es in der belebten Natur niedere und höhere Komplexitätsabstufungen gibt. Dann aber kritisiert er an diesen Vor-Darwinistischen Forschern/Theoretikern ihre gradualistischen Ansatz, bei dem stets der Sprung von neuer Quantität zu neuer Qualität fehle:

Zitat:
Die zwei Formen, in denen der Stufengang der Natur gefaßt worden, sind Evolution und Emanation. Der Gang der Evolution, die vom Unvollkommenen, Formlosen anfängt, ist, daß zuerst Feuchtes und Wassergebilde waren, aus dem Wasser Pflanzen, Polypen, Molusken, dann Fische hervorgegangen seien, dann Landtiere; aus dem Tiere sei endlich der Mensch entsprungen. Diese allmähliche Veränderung nennt man Erklären und Begreifen, und diese von der Naturphilosophie veranlaßte Vorstellung grassiert noch; aber dieser quantitative Unterschied, wenn er auch am leichtesten zu verstehen ist, so erklärt er doch nichts.

Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Betrachtungsweisen der Natur, Begriff der Natur, § 247

Die neue Qualität oder das neue Etwas ist demselben Fortgange seiner Veränderung unterworfen und so fort ins Unendliche.

Insofern der Fortgang von einer Qualität in stetiger Kontinuität der Quantität ist, sind die einem qualifizierenden Punkte sich nähernden Verhältnisse, quantitativ betrachtet, nur durch das Mehr und Weniger unterschieden. Die Veränderung ist nach dieser Seite eine allmähliche. Aber die Allmählichkeit betrifft bloß das Äußerliche der Veränderung, nicht das Qualitative derselben; das vorhergehende quantitative Verhältnis, das dem folgenden unendlich nahe ist, ist noch ein anderes qualitatives Dasein.

Nach der qualitativen Seite wird daher das bloß quantitative Fortgehen der Allmählichkeit, das keine Grenze an sich selbst ist, absolut abgebrochen; indem die neu eintretende Qualität nach ihrer bloß quantitativen Beziehung eine gegen die verschwindende unbestimmt andere, eine gleichgültige ist, ist der Übergang ein Sprung, beide sind als völlig äußerliche gegeneinander gesetzt. – Man sucht sich gern durch die Allmählichkeit des Übergangs eine Veränderung begreiflich zu machen; aber vielmehr ist die Allmählichkeit gerade die bloß gleichgültige Änderung, das Gegenteil der qualitativen. In der Allmählichkeit ist vielmehr der Zusammenhang der beiden Realitäten – sie werden als Zustände oder als selbständige Dinge genommen – aufgehoben; es ist gesetzt, daß keine die Grenze der anderen, sondern eine der anderen schlechthin äußerlich ist; hiermit wird gerade das, was zum Begreifen nötig ist, wenn auch noch sowenig dazu erfordert wird, entfernt.


Hegel: "Wissenschaft der Logik. Dritter Abschnitt: Das Maß"


Hier kann man das "Umschlagen von gradueller Änderungen, von Quantität in Qualität" heraus hören.

Mit der wissenschaftlichen Weiterentwicklung der Evolutionstheorie und nach Darwin der Entdeckung der Genetik und der Rolle der Mutationen und des Zufalls in Wechselwirkung mit Umweltbedingungen wurde dann die Kategorie des "Sprungs" im Gegensatz zur einstigen Kategorie der "Allmählichkeit" plötzlich wieder up-to-date und damit eben jener Hegel'sche Ansatz.

Dies kann man nicht einfach mit so einer Billigheimer-"Kritik" wie der von Schopenhauer oder Popper wegwischen ...-

#345:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 22.05.2016, 10:39
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Empirisch gesehen war es so, dass Schopenhauer und Nietzsche zu den Lieblingsphilosophen Mussolinis und Hitlers gehörten, Hegel dagegen nicht....


Jetzt mal nicht so schnell aus der Hüfte. Denn natürlich hast du in der Aufzählung von Hitlers Lieblingsphilosophen Kant vergessen. Und der gilt immerhin als Begründer des Deutschen Idealismus, zu dem auch Hegel zählt. GWFH und AH hatten also immerhin denselben Guru, das sollte dir zu denken geben.

#346:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 22.05.2016, 11:00
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Empirisch gesehen war es so, dass Schopenhauer und Nietzsche zu den Lieblingsphilosophen Mussolinis und Hitlers gehörten, Hegel dagegen nicht.

Weder noch. Was Mussolini angeht, weiss ich nicht genau, was er (außer Evola) so gelesen hat, aber die primären Quellen für Hitlers eigene Weltanschauung sind ziemlich genau bekannt, und die wenigsten davon waren überhaupt Philosophen. Primär waren das Richard Wagner, Chamberlain, Dietrich Eckart und noch einige andere. Ein nachhaltiger Einfluss Nietzsches auf Hitler ist weder aus seinen Schriften noch seinen Reden nachzuweisen. Man kann Nietzsche aus seinen eigenen Werken heraus inhaltlich eine gewisse Nähe zum Faschismus attestieren - nur wird leider umgekehrt kein Schuh daraus. Der Einfluss Nietzsches auf den deutschen Faschismus und seine Führer ist absolut marginal.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Denn natürlich hast du in der Aufzählung von Hitlers Lieblingsphilosophen Kant vergessen.

Kant spielte in der Tat in der akademischen Philosophie zur Zeit des Nationalsozialismus eine große Rolle, größer als die Hegels oder Nietzsches. Die Forderung nach einer Verknüpfung von Nationalsozialismus und Kantischer Philosophie auch außerhalb der philosophischen Seminare vertrat u.A. Reichspressechef Otto Dietrich, aber auch noch einige andere. Bezüglich der Frage, inwieweit diese Richtung innerhalb des NS auf Hitler selbst Einfluss hatte, oder inwieweit Hitler Kant überhaupt zur Kenntnis nahm, bin ich mir aber nicht so ganz sicher.


Zuletzt bearbeitet von Tarvoc am 24.05.2016, 00:59, insgesamt einmal bearbeitet

#347:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 23.05.2016, 19:05
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Empirisch gesehen war es so, dass Schopenhauer und Nietzsche zu den Lieblingsphilosophen Mussolinis und Hitlers gehörten, Hegel dagegen nicht.

Weder noch. Was Mussolini angeht, weiss ich nicht genau, was er (außer Evola) so gelesen hat, aber die primären Quellen für Hitlers eigene Weltanschauung sind ziemlich genau bekannt, und die wenigsten davon waren überhaupt Philosophen. Primär waren das Richard Wagner, Chamberlain, Dietrich Eckart und noch einige andere. Ein nachhaltiger Einfluss Nietzsches auf Hitler ist weder aus seinen Schriften noch seinen Reden nachzuweisen. Man kann Nietzsche aus seinen eigenen Werken heraus inhaltlich eine gewisse Nähe zum Faschismus attestieren - nur wird leider umgekehrt kein Schuh daraus. Der Einfluss Nietzsches auf den deutschen Faschismus und seine Führer ist absolut marginal.


Marginal würde ich nun nicht gerade sagen.

Aber es ging ja oben vor allem um Schopenhauer. Und der war, wie auch Nietzsche sowohl bei Mussolini als auch bei Hitler ganz vorne im Bücherregal. Das ist allgemein bekannt.

Hegel dagegen spielte bei den beiden nicht nur keine Rolle, sondern war ein philosophisches Feindbild. Dies nur so zum Thema des vermeintlichen *Protofaschisten Hegel*, als den smallie und Klaus-Peter ihn gerne hindrehen wollten.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Denn natürlich hast du in der Aufzählung von Hitlers Lieblingsphilosophen Kant vergessen.

Kant spielte in der Tat in der akademischen Philosophie zur Zeit des Nationalsozialismus eine große Rolle, größer als die Hegels oder Nietzsches. Die Forderung nach einer Verknüpfung von Nationalsozialismus und Kantischer Philosophie auch außerhalb der philosophischen Seminare vertrat u.A. Reichspressechef Otto Dietrich, aber auch noch einige andere. Bezüglich der Frage, inwieweit diese Richtung innerhalb des NS auf Hitler selbst Einfluss hatte, oder inwieweit Hitler Kant überhaupt zur Kenntnis nahm, bin ich mir aber nicht so ganz sicher.


Das Zitat war von Zumsel, nicht von mir. Ist hier korrigert.

Kant war in seinem philosophischen Einfluss auf Hitler und Mussolini gleich null. Von Hitler und Rosenberg wurde z.B, sein kategorischer Imperativ zu einem *Führer-Imperativ* nach dem Motto:

"Handle so, dass der Führer zufrieden wäre, wenn er deine Handlungen sehen würde!"

Ist kein Witz, war wirklich so.

Und das ist etwas anderes als Einfluss ...-

#348:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 23.05.2016, 19:59
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Kant war in seinem philosophischen Einfluss auf Hitler und Mussolini gleich null.


Tja, aber er stand eben bei Hitler neben Schopenhauer und Nietzsche "ganz vorne im Bücherregal", was ja das Kernkriterium bei deinen geschichtsphilosophischen Analysebemühungen zu sein scheint.

Führerhauptquartier, 25.10.1941
Zitat:
...Die Juden würden bei uns sofort Schopenhauer, Nietzsche, Kant beseitigt haben, und
wenn der Bolschewismus das zweihundert Jahre bei uns gemacht hätte, was würde da auf die
Nachwelt kommen? Sämtliche großen Männer der
Vergangenheit würden der Vergessenheit
anheimgefallen oder der Zukunft als Mörder und Verbrecher überliefert sein!...


Führerhauptquartier, 19.05.1944
Zitat:
...In der großen Innenhalle der Bibliothek in Linz werden später einmal Kant,
Schopenhauer und Nietzsche stehen, unsere größten Denker, denen die Engländer, Franzosen
und Amerikaner nichts, aber auch gar nichts Gleichwertiges an die Seite stellen können....


Wenn du irgendwo ergiebigeres von Hitler über einen der drei finden solltest, gib Bescheid.

#349:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 23.05.2016, 22:50
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Kant war in seinem philosophischen Einfluss auf Hitler und Mussolini gleich null.


Tja, aber er stand eben bei Hitler neben Schopenhauer und Nietzsche "ganz vorne im Bücherregal", was ja das Kernkriterium bei deinen geschichtsphilosophischen Analysebemühungen zu sein scheint.

Führerhauptquartier, 25.10.1941
Zitat:
...Die Juden würden bei uns sofort Schopenhauer, Nietzsche, Kant beseitigt haben, und
wenn der Bolschewismus das zweihundert Jahre bei uns gemacht hätte, was würde da auf die
Nachwelt kommen? Sämtliche großen Männer der
Vergangenheit würden der Vergessenheit
anheimgefallen oder der Zukunft als Mörder und Verbrecher überliefert sein!...


Führerhauptquartier, 19.05.1944
Zitat:
...In der großen Innenhalle der Bibliothek in Linz werden später einmal Kant,
Schopenhauer und Nietzsche stehen, unsere größten Denker, denen die Engländer, Franzosen
und Amerikaner nichts, aber auch gar nichts Gleichwertiges an die Seite stellen können....


Wenn du irgendwo ergiebigeres von Hitler über einen der drei finden solltest, gib Bescheid.


So so. Nachrichten aus dem Führerhauptquartier.

Trotzdem fehlt Hegel im Bücherregal, so wie auch beim *Duce*. Da beissen die Bunkerratten keinen Faden ab. Manchmal ist die Empirie eben unerbittlich ...- Schulterzucken Sehr glücklich

#350:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 23.05.2016, 23:05
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Trotzdem fehlt Hegel im Bücherregal, so wie auch beim *Duce*. Da beissen die Bunkerratten keinen Faden ab. Manchmal ist die Empirie eben unerbittlich ...- Schulterzucken Sehr glücklich

Sicherlich kann man die Rezeptionsgeschichte eines Autors nie beiseite lassen. Aber sollte ich mich heute beispielsweise beim Lesen Hegels von dem Gedanken leiten lassen, dass er bei Drecksäcken wie Lenin, Stalin oder Mao im Regal stand? Ich denke mal nicht.

#351:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 23.05.2016, 23:26
    —
unquest hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Trotzdem fehlt Hegel im Bücherregal, so wie auch beim *Duce*. Da beissen die Bunkerratten keinen Faden ab. Manchmal ist die Empirie eben unerbittlich ...- Schulterzucken Sehr glücklich

Sicherlich kann man die Rezeptionsgeschichte eines Autors nie beiseite lassen. Aber sollte ich mich heute beispielsweise beim Lesen Hegels von dem Gedanken leiten lassen, dass er bei Drecksäcken wie Lenin, Stalin oder Mao im Regal stand? Ich denke mal nicht.


Wenn es um die philosophischen Vorläufer des Faschismus geht, dann sind damit jedenfalls andere Namen und philosophische Richtungen verbunden, was sich auch zeigen lässt.

Bei diesem Punkt kann man zunächst mal inne halten, bevor man das nächste Fass aufmacht ...-

edit: Vor dem Schlafengehen noch eine kurze Ergänzung:

Wenn Popper sich nur auf Platon, Hegel und Marx stürzt, jedoch Schopenhauer, Nietzsche, usw. bei seiner *Verteidigung der offenen Gesellschaft* außen vor lässt, dann ist das mit Sicherheit kein Versehen, sondern Ausdruck einer verhängnisvollen Einseitigkeit, wenn du verstehst, was ich meine.

muede

#352:  Autor: Kramer BeitragVerfasst am: 23.05.2016, 23:46
    —
Wenn ich irgendwann mal die Weltherrschaft hinter mir habe und man fragt, was in meinem Regal stand: Das lustige Taschenbuch.

#353:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 24.05.2016, 01:09
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Und das ist etwas anderes als Einfluss ...-

Mit den Augen rollen Auch Nietzsche und Schopenhauer gingen in die NS-Ideologie allerhöchstens verstümmelt ein.

#354:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 24.05.2016, 09:41
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Und das ist etwas anderes als Einfluss ...-

Mit den Augen rollen Auch Nietzsche und Schopenhauer gingen in die NS-Ideologie allerhöchstens verstümmelt ein.


Was Hitler persönlich betrifft ist zu bezwifeln, dass er überhaupt in ernstzunehmendem Maße philosophische Texte gelesen hat. Sein Denken war von Assoziationen bestimmt. Wenn es klare Einflüsse gegeben hat, dann kamen die v.a. von rassistischen Esoterikern. Ansonsten war Hitler in den allermeisten Bereichen bestenfalls halbgebildet und bezog seine Kenntnisse größtenteils aus dem, was er an Zitaten, Wiedergaben und Rezeptionen bei anderen bruchstückhaft aufgeschnappt hat. Das einzige, worin Hitler nennenswert gebildet war, waren militärische Angelegenheiten.

Und die "NS-Ideologie" war im Prinzip völig auf Hitlert zugeschnitten. Innere Konsistenzen sucht man da i.d.R vergeblich.

#355:  Autor: Er_Win BeitragVerfasst am: 27.05.2016, 10:25
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:

Den oben genannten Literaturhinweis zur modernen dialektischen Logik solltest du erst einmal zur Kenntnis nehmen. Das Buch ist jedenfalls nicht von 1906. zwinkern

Ich würde gerne mal von dir gezeigt bekommen, wie und wo bitte schön die *moderne Logik* ähnliche Leistungen für das strukturelle und dynamische Verständnis verschiedener Systeme vollbringt wie eine vom Kopf auf die Füße gestellte, rationale dialektische Logik.


Ich habe dich aber vor einiger Zeit bereits auf Konzepte moderner Logiken hingewiesen, egal ob eher nach den Prinzipien Unschärfe oder Multipolarität ausgerichtet, welche quasi "Dialektik" als Spezialfall beinhalten. Das hast du scheinbar auch nicht zur Kenntnis genommen ... zwinkern

#356:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 27.05.2016, 10:29
    —
Er_Win hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:

Den oben genannten Literaturhinweis zur modernen dialektischen Logik solltest du erst einmal zur Kenntnis nehmen. Das Buch ist jedenfalls nicht von 1906. zwinkern

Ich würde gerne mal von dir gezeigt bekommen, wie und wo bitte schön die *moderne Logik* ähnliche Leistungen für das strukturelle und dynamische Verständnis verschiedener Systeme vollbringt wie eine vom Kopf auf die Füße gestellte, rationale dialektische Logik.


Ich habe dich aber vor einiger Zeit bereits auf Konzepte moderner Logiken hingewiesen, egal ob eher nach den Prinzipien Unschärfe oder Multipolarität ausgerichtet, welche quasi "Dialektik" als Spezialfall beinhalten. Das hast du scheinbar auch nicht zur Kenntnis genommen ... zwinkern

Nicht scheinbar, sondern anscheinend.

#357:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 27.05.2016, 18:40
    —
Er_Win hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:

Den oben genannten Literaturhinweis zur modernen dialektischen Logik solltest du erst einmal zur Kenntnis nehmen. Das Buch ist jedenfalls nicht von 1906. zwinkern

Ich würde gerne mal von dir gezeigt bekommen, wie und wo bitte schön die *moderne Logik* ähnliche Leistungen für das strukturelle und dynamische Verständnis verschiedener Systeme vollbringt wie eine vom Kopf auf die Füße gestellte, rationale dialektische Logik.


Ich habe dich aber vor einiger Zeit bereits auf Konzepte moderner Logiken hingewiesen, egal ob eher nach den Prinzipien Unschärfe oder Multipolarität ausgerichtet, welche quasi "Dialektik" als Spezialfall beinhalten. Das hast du scheinbar auch nicht zur Kenntnis genommen ... zwinkern


Ach ihr Mathematiker. Ihr erfindet hier ein Konzept, da ein Schema und sicher, es gibt viele alternative Logiken, z.B. Fuzzy-Logic.

Die Frage ist aber doch immer die: Was davon findet sich in der Natur, in der Gesellschaft auch konkret wieder?

Nehmen wir mal die Fibonacci-Folge. Die lässt sich in einigen natürlichen Phänomenen wieder finden und ist von daher eine wichtige systematische Regel.

Und auch dialektische Prinzipien, die nicht mehr durch die herkömmliche zweiwertige Logik interpretiert werden können, sind empirisch existent.

Mich interessiert deine Aussage von den Logiken, welche Dialektik als Spezialfall enthalten. Das kannst du ruhig mal näher erläutern. Dann werde ich bestimmt auch darauf eingehen ...- Auf den Arm nehmen

#358:  Autor: Er_Win BeitragVerfasst am: 27.05.2016, 20:07
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:

Mich interessiert deine Aussage von den Logiken, welche Dialektik als Spezialfall enthalten. Das kannst du ruhig mal näher erläutern. Dann werde ich bestimmt auch darauf eingehen ...- Auf den Arm nehmen


dann guck mal in das alte Posting ...

Und deinen Standpunkt, dass sich die Dialektik insoferne bevorzugt auszeichnet, als dass sie (alleinig ?) in der Natur/Kultur vorfindbar sei, halte ich für gewagt - insbesonders dort wo sie noch mit ideologischem Geschwurbel überfrachtet wird, das zwar kein Mist ist, aber für den das Prädikat "vorfindbar" einen Euphemismus darstellt.

Was sämtliche Modelle/Abstraktionen anlangt bin ich ganz bei den Konstruktivisten: die werden nicht vorgefunden sondern qua Geist konstruiert und modellieren das was wahr_zu_nehmen ist mehr oder weniger gut bzw. voraussagbar.

#359:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 28.05.2016, 15:24
    —
Er_Win hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Mich interessiert deine Aussage von den Logiken, welche Dialektik als Spezialfall enthalten. Das kannst du ruhig mal näher erläutern. Dann werde ich bestimmt auch darauf eingehen ...- Auf den Arm nehmen


dann guck mal in das alte Posting ...


Ich habe aber von dir keinen Hinweis gefunden, bei welcher Logik die Dialektik als Spezialfall gilt.

Unter den von dir verlinkten "nichtklassischen Logiken" wären relevant mehrwertige Logiken, Fuzzy Logic aber auch Quantenlogik.

Und es ist so, dass in letzterer die klassische Logik als Spezialfall bzw. als Grenzfall zu betrachten ist, so wie die klassische Mechanik als Spezialfall der ART anzusehen ist.

In der Quantenlogik etwa ist das Prinzip des tertium non datur (a v ~a) ebenso wenig bzw. eben nur als Grenz- und Spezialfall gültig wie das Distributionsgesetz der Boole'schen Algebra:
a AND (b OR c) <==> (a AND b) OR (a AND c).

Beides gilt in der Quantenlogik nicht und zwar keineswegs, weil sich das jemand *ausgedacht* hätte, sondern weil bestimmte Erscheinungen der Quantenmechanik sich mit jenen beiden Prinzipien nicht vereinbaren lassen.

Man hat also quasi eine dialektische Logik in der Natur selbst vorgefunden, so wie man die Fibonacci-Folge in der Natur selber vorfindet.

Er_Win hat folgendes geschrieben:
Und deinen Standpunkt, dass sich die Dialektik insoferne bevorzugt auszeichnet, als dass sie (alleinig ?) in der Natur/Kultur vorfindbar sei, halte ich für gewagt - insbesonders dort wo sie noch mit ideologischem Geschwurbel überfrachtet wird, das zwar kein Mist ist, aber für den das Prädikat "vorfindbar" einen Euphemismus darstellt.


Die Weiterentwicklung der klassischen Logik bzw. ihre a) Negation durch die b) mehrwertige Logiken und c) die Entwicklung hin zu einer Quantenlogik, worin beide *Edukte* a und b quasi enthalten und modifziert und zu etwas Drittem geworden sind war zunächst durch Hegel in der Tat spekulativ entstanden, d.h. eigentlich auch in Anlehnung an die sich abzeichnende moderne Evolutionstheorie. Doch spätestens mit der Entdeckung jener Unschärfe-Effekte sowie dann mit der voll entwickelten Evolutionstheorie war nun das Prädikat "vorfindbar" berechtigt.

Die quantenlogischen Ansätze sind deshalb nicht einfach mathematisch-analytische Theorien, was einige als Begründung dafür nehmen, es sei eben keine richtige Logik (was ja nicht gerade konsequent ist).

Er_Win hat folgendes geschrieben:
Was sämtliche Modelle/Abstraktionen anlangt bin ich ganz bei den Konstruktivisten: die werden nicht vorgefunden sondern qua Geist konstruiert und modellieren das was wahr_zu_nehmen ist mehr oder weniger gut bzw. voraussagbar.


Ich dagegen halte die objektive Realität für erkennbar, genauer gesagt, halte ich es für möglich, sich jener ständig weiter anzunähern.

Erst daraus ergeben sich dann unterschiedliche *Modelle*, die aber nicht nur voraussagen (j --> z) können, sondern auch Jetziges aus Vergangenem herleiten (j <-- v) ...-

#360:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 28.05.2016, 22:46
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Man hat also quasi eine dialektische Logik in der Natur selbst vorgefunden, so wie man die Fibonacci-Folge in der Natur selber vorfindet.

Kurzer Zwischenstand zur aktuellen Dialektikforschung.

1. Dialektik ist ein Konzept. Kein Rezept.
2. Als universales Prinzip wirkt Dialektik in der Natur wenn etwas unbestimmt scheint und in der Kultur wenn Klassen kämpfen.
3. Ferner ist sie Methode und Forschungsrichtung z.B. als dialektische Theologie.
4. Sie ist auch ein Gesetz und beschreibt wie aus Mengen Eigenschaften werden.
5. Scheitern herkömmliche Logiken kann Dialektik bei Bedarf das Gegenteil wahr und das Ganze unwahr machen.
6. Beim Menschen führt sie als Hegelschaden zur Allwissenheit.

#361:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 29.05.2016, 04:22
    —
unquest hat folgendes geschrieben:
....
6. Beim Menschen führt sie als Hegelschaden zur Allwissenheit.

Sichd Hegelschäden eigentlich versicherbar?

#362:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 29.05.2016, 05:24
    —
Er_Win hat folgendes geschrieben:
Ich habe dich aber vor einiger Zeit bereits auf Konzepte moderner Logiken hingewiesen, egal ob eher nach den Prinzipien Unschärfe oder Multipolarität ausgerichtet, welche quasi "Dialektik" als Spezialfall beinhalten.

Damit habe ich persönlich gar kein Problem.

Eine etwas andere Deutung, die mir kürzlich in den Sinn kam, wäre die, Dialektik als einen anderen Umgang mit Logik als den üblichen aufzufassen. Die Regel der Logik, dass Kontradiktionen immer falsch und Tautologien immer wahr sind, gilt natürlich für Dialektiker genauso wie für alle anderen Menschen, Quantenphysik hin oder her. Der Unterschied scheint mir der zu sein, dass die meisten Theoretiker Kontradiktionen um jeden Preis vermeiden wollen, während Tautologien zwar als uninteressant gelten, aber sehr viel eher hingenommen werden. In der Dialektik handhabt man es genau umgekehrt: Die Tautologie ist das, was um jeden Preis zu vermeiden ist, selbst wenn das bedeutet, stattdessen eine Kontradiktion zu produzieren.

Siehe auch Wittgenstein im Tractatus:

6.12 Dass die Sätze der Logik Tautologien sind, das zeigt die formalen - logischen - Eigenschaften der Sprache, der Welt. Dass ihre Bestandteile so verknüpft eine Tautologie ergeben, das charakterisiert die Logik ihrer Bestandteile. Damit Sätze, auf bestimmte Art und Weise verknüpft, eine Tautologie ergeben, dazu müssen sie bestimmte Eigenschaften der Struktur haben. Dass sie so verbunden eine Tautologie ergeben, zeigt also, dass sie diese Eigenschaften der Struktur besitzen.
6.1202 Es ist klar, dass man zu demselben Zweck statt der Tautologien auch die Kontradiktionen verwenden könnte.

#363:  Autor: Er_Win BeitragVerfasst am: 29.05.2016, 10:02
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
unquest hat folgendes geschrieben:
....
6. Beim Menschen führt sie als Hegelschaden zur Allwissenheit.

Sichd Hegelschäden eigentlich versicherbar?


Natürlich - ich versichere dir, sie sind in der Natur *ääähm vorfindbar Pfeifen

#364:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 29.05.2016, 11:29
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
unquest hat folgendes geschrieben:
....
6. Beim Menschen führt sie als Hegelschaden zur Allwissenheit.

Sichd Hegelschäden eigentlich versicherbar?


Hegelphobien und Hegeltraumata könnte man vielleicht in den ICD-Katalog aufnehmen ...- Am Kopf kratzen

#365:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 29.05.2016, 13:05
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Er_Win hat folgendes geschrieben:
Ich habe dich aber vor einiger Zeit bereits auf Konzepte moderner Logiken hingewiesen, egal ob eher nach den Prinzipien Unschärfe oder Multipolarität ausgerichtet, welche quasi "Dialektik" als Spezialfall beinhalten.

Damit habe ich persönlich gar kein Problem.

Eine etwas andere Deutung, die mir kürzlich in den Sinn kam, wäre die, Dialektik als einen anderen Umgang mit Logik als den üblichen aufzufassen. Die Regel der Logik, dass Kontradiktionen immer falsch und Tautologien immer wahr sind, gilt natürlich für Dialektiker genauso wie für alle anderen Menschen, Quantenphysik hin oder her. Der Unterschied scheint mir der zu sein, dass die meisten Theoretiker Kontradiktionen um jeden Preis vermeiden wollen, während Tautologien zwar als uninteressant gelten, aber sehr viel eher hingenommen werden. In der Dialektik handhabt man es genau umgekehrt: Die Tautologie ist das, was um jeden Preis zu vermeiden ist, selbst wenn das bedeutet, stattdessen eine Kontradiktion zu produzieren.

Siehe auch Wittgenstein im Tractatus:

6.12 Dass die Sätze der Logik Tautologien sind, das zeigt die formalen - logischen - Eigenschaften der Sprache, der Welt. Dass ihre Bestandteile so verknüpft eine Tautologie ergeben, das charakterisiert die Logik ihrer Bestandteile. Damit Sätze, auf bestimmte Art und Weise verknüpft, eine Tautologie ergeben, dazu müssen sie bestimmte Eigenschaften der Struktur haben. Dass sie so verbunden eine Tautologie ergeben, zeigt also, dass sie diese Eigenschaften der Struktur besitzen.
6.1202 Es ist klar, dass man zu demselben Zweck statt der Tautologien auch die Kontradiktionen verwenden könnte.

Für wie aussichtsreich hälst du die Rezeption der analytischen Philosophie des Idealismus?
So schreibt z.B. Habermas zu Brandoms Expressiver Vernunft:
Zitat:
»Expressive Vernunft ist ein ähnlicher Meilenstein in der theoretischen Philosophie wie Anfang der siebziger Jahre John Rawls' Eine Theorie der Gerechtigkeit in der praktischen.«

#366:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 29.05.2016, 17:05
    —
unquest hat folgendes geschrieben:
Für wie aussichtsreich hälst du die Rezeption der analytischen Philosophie des Idealismus?

Meinst du die Rezeption des Idealismus durch die analytische Philosophie?

#367:  Autor: Er_Win BeitragVerfasst am: 29.05.2016, 18:07
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:


Und auch dialektische Prinzipien, die nicht mehr durch die herkömmliche zweiwertige Logik interpretiert werden können, sind empirisch existent.

Mich interessiert deine Aussage von den Logiken, welche Dialektik als Spezialfall enthalten. Das kannst du ruhig mal näher erläutern. Dann werde ich bestimmt auch darauf eingehen ...- Auf den Arm nehmen


Erstens habe ich gar nichts "gegen" Dialektik und zweitens bejahe ich durchaus, dass Polarität ja sogar Multipolarität in deinem Sinne natürlich "vorfindbar" ist, sowie dass der klassischen zweiwertigen Logik keine Universallösungskompetenz zukommt.

Dialektik ist genauso wenig wie das von Kibed wieder aufgegriffene Tetralemma - welches das Prinzip der dualen Polarität erweitert - eine der formalen mehrwertigen Logiken und dieses hatte ich vordergründig im Sinn.

#368:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 29.05.2016, 22:44
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
unquest hat folgendes geschrieben:
Für wie aussichtsreich hälst du die Rezeption der analytischen Philosophie des Idealismus?

Meinst du die Rezeption des Idealismus durch die analytische Philosophie?

Ja genau. U.a. bin ich auf diesen Aufsatz gestossen.

#369:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 29.05.2016, 22:50
    —
Wenn ich etwas Zeit und Ruhe habe, werd' ich mir das mal etwas genauer anschauen.

#370:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 04.06.2016, 01:05
    —
Wen's interessiert:
Hegel's Dialectics (gestern neu erschienen in der Stanford Encyclopedia of Philosophy)

#371:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 04.06.2016, 01:23
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
unquest hat folgendes geschrieben:
Für wie aussichtsreich hälst du die Rezeption der analytischen Philosophie des Idealismus?

Meinst du die Rezeption des Idealismus durch die analytische Philosophie?


Russell's & Moore's "Revolte" gegen den Idealismus hat in der Frühgeschichte der analytischen Philosophie eine entscheidende Rolle gespielt.

"Analytic philosophy underwent several internal micro-revolutions that divide its history into five phases. The first phase runs approximately from 1900 to 1910. It is characterized by the quasi-Platonic form of realism initially endorsed by Moore and Russell as an alternative to Idealism."

Analytic Philosophy: http://www.iep.utm.edu/analytic/

"British Idealism was a belated assimilation of German Idealism which held sway in Britain between the 1870s and 1920s. …Russell and his Cambridge contemporary G. E. Moore had initially sympathized with British Idealism. Their 'revolt' against it marked a decisive moment in the emergence of amalytic philosophy.

It was towards the end of 1898 that Moore and I rebelled against both Kant and Hegel. Moore led the way, but I followed closely in his footsteps…I felt a great liberation, as if I had escaped from a hot house into a wind swept headland…In the first exuberance of liberation, I became a naive realist and rejoiced in the thought that grass really is green.
([B. Russell: My Philosophical Development] 1959: 42, 62)"

(p. 31)

"[A]nalytic philosophy is also to a large extent the invention of German speakers. Of course its emergence owes much to Russell, Moore and American Pragmatism. Yet it owes even more to Frege, Wittgenstein and logical positivism. No one would think of analytic philosophy as a specifically Anglophone phenomenon, if the Nazis had not driven many of its pioneers out of central Europe."
(p. 66)

"[T]he contrast is not between Anglophone and Germanophone, or between analytic and continental philosophy per se. Rather, there is an 'Anglo-Austrian Analytic Axis' which includes Britain on the one hand and the former Habsburg empire (especially Austria, Czechoslovakia and parts of Poland) on the other. … [T]he contrast is between a level-headed and realist Austrian tradition close to, and partly inspired by, British empiricism and an obscurantist and idealist German tradition going back to Kant."
(p. 74)

(Glock, Hans-Johann. What is Analytic Philosophy? Cambridge: Cambridge University Press, 2008.)

#372:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 04.06.2016, 01:51
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

(Glock, Hans-Johann. What is Analytic Philosophy? Cambridge: Cambridge University Press, 2008.)


Gerade erst entdeckt: Glocks empfehlenswertes Buch ist in einer deutschen Übersetzung erhältlich: http://www.wbg-wissenverbindet.de/shop/de/wbg/buch/buch/was-ist-analytische-philosophie--b254965-001

#373:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 04.06.2016, 12:19
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

(Glock, Hans-Johann. What is Analytic Philosophy? Cambridge: Cambridge University Press, 2008.)


Gerade erst entdeckt: Glocks empfehlenswertes Buch ist in einer deutschen Übersetzung erhältlich: http://www.wbg-wissenverbindet.de/shop/de/wbg/buch/buch/was-ist-analytische-philosophie--b254965-001


Thnx.

Übrigens erinnere ich mich an mein erstes Semester, in dem anfänglich über die formale Logik mit ungefähr den gleichen Missverständnissen hantiert wurde, wie hier. Ich erinnere mich speziell auch an das Argument, formale Logik sei ein statisches System, das Prozesse wie die Blüte einer Pflanze nicht beschreiben könne. : )

#374:  Autor: kerengWohnort: Hamburg BeitragVerfasst am: 04.06.2016, 20:30
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Habe heute in der Bahn gelesen: Heidrun Hesse: "Vernunft und Selbstbehauptung - Kritische Theorie als Kritik der neuzeitlichen Rationalität" (die ersten 30 Seiten). Wenn Heidrun (ich kannte sie persönlich) die Gedanken Kants und Hegels korrekt wiedergibt, kann man die beiden getrost vergessen.

Michael Schmidt-Salomon, Sam Harris und Steven Pinker können auf ganz andereren Grundlagen aufsetzen. Sind Ethik-Theoretiker, die keine Ahnung von Evolution hatten, heute noch relevant?

#375:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 04.06.2016, 20:36
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Myron hat folgendes geschrieben:
[T]he contrast is between a level-headed and realist Austrian tradition close to, and partly inspired by, British empiricism and an obscurantist and idealist German tradition going back to Kant.

Selbst dieser Kontrast ist aber sehr viel uneindeutiger, als er auf den ersten Blick erscheint, und wird heute primär durch das systematische Totschweigen von Ähnlichkeiten künstlich am Leben erhalten. Tatsächlich finden sich Ähnlichkeiten nicht selten an Stellen, wo man sie am wenigsten vermutet. Beispielsweise gibt es eine inhaltliche Nähe zwischen Wittgensteins Privatsprachenargument und einigen von Hegel formulierten Gedanken, z.B. im Kapitel über sinnliche Gewissheit in der Phänomenologie, und das obwohl Wittgenstein sich bis zu seinem Tod standhaft weigerte, Hegel auch nur zu lesen.

Interessanterweise sind es in erster Linie die nüchternen und realistischen Analytiker, die diese Notwendigkeit verspüren, ihre eigene Identität und Position primär durch dieses Freund-Feind-Schema zu bestimmen. Während so manche Vertreter der analytischen Tradition sich kontinentaler Philosophie entweder überhaupt nicht oder nur zu dem Zweck widmet, sie im Schnellverfahren als Unsinn abstempeln zu können, oft bevor die Argumente wirklich durchdrungen wurden (vergleichbar mit unquests Herangehensweise hier im Forum), hatten kontinentale Philosophen in Frankreich und Deutschland nie Schwierigkeiten damit, analytische Philosophie auch positiv aufzunehmen. Ein gutes Beispiel dafür wäre die Aufnahme von Austins Sprechakttheorie durch Jean-Francois Lyotard.

Was den nüchternen und realistischen Charakter der analytischen Philosophie angeht, ist es für mich auch interessant, hier in den USA aus erster Hand zu beobachten, welche Rolle "Speech Intuition" in der Argumentation vieler Analytiker spielt. Sobald man etwas nicht mehr argumentativ begründen kann, wird an die Sprachintuition appelliert und dann die Diskussion mit diesem Appell abgebrochen. Umgekehrt scheint es mir so, als resultierte ein guter Teil des Obskurantismus der kontinentalen Philosophie gerade daraus, dass man versucht, diesen Begründungsabbruch zu vermeiden und selbst für das, von dem der britische oder österreichische nüchterne Realist sagen würde, dass es intuitiv einleuchten müsste, noch entweder eine nachvollziehbare Begründung oder zumindest eine Kritik zu formulieren. Am deutlichsten ist das bei Hegel, bei dem der Versuch "voraussetzungslosen Denkens" geradezu programmatisch ist (ob man diesen Versuch nun für erfolgreich hält oder nicht).

Die analytische Philosophie befindet sich heute in einer gewissen Krise. Man muss das nicht überbewerten, aber man kann durchaus feststellen, dass sich selbst in den USA und England, bisher die Zentren der analytischen Tradition, zunehmend mehr Philosophen kontinentalen Traditionen zuwenden - ob man diese Entwicklung nun begrüßt oder nicht. Wenn die analytische Philosophie sich nicht öffnet und ihren Zwang zur Selbstabgrenzung überwindet, könnte sie in den nächsten Jahrzehnten zunehmend bedeutungsloser werden.

#376:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 05.06.2016, 00:53
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Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
[T]he contrast is between a level-headed and realist Austrian tradition close to, and partly inspired by, British empiricism and an obscurantist and idealist German tradition going back to Kant.

Selbst dieser Kontrast ist aber sehr viel uneindeutiger, als er auf den ersten Blick erscheint, und wird heute primär durch das systematische Totschweigen von Ähnlichkeiten künstlich am Leben erhalten. Tatsächlich finden sich Ähnlichkeiten nicht selten an Stellen, wo man sie am wenigsten vermutet. Beispielsweise gibt es eine inhaltliche Nähe zwischen Wittgensteins Privatsprachenargument und einigen von Hegel formulierten Gedanken, z.B. im Kapitel über sinnliche Gewissheit in der Phänomenologie, und das obwohl Wittgenstein sich bis zu seinem Tod standhaft weigerte, Hegel auch nur zu lesen.

Interessanterweise sind es in erster Linie die nüchternen und realistischen Analytiker, die diese Notwendigkeit verspüren, ihre eigene Identität und Position primär durch dieses Freund-Feind-Schema zu bestimmen. Während so manche Vertreter der analytischen Tradition sich kontinentaler Philosophie entweder überhaupt nicht oder nur zu dem Zweck widmet, sie im Schnellverfahren als Unsinn abstempeln zu können, oft bevor die Argumente wirklich durchdrungen wurden (vergleichbar mit unquests Herangehensweise hier im Forum), hatten kontinentale Philosophen in Frankreich und Deutschland nie Schwierigkeiten damit, analytische Philosophie auch positiv aufzunehmen. Ein gutes Beispiel dafür wäre die Aufnahme von Austins Sprechakttheorie durch Jean-Francois Lyotard.

Die analytische Philosophie befindet sich heute in einer gewissen Krise. Man muss das nicht überbewerten, aber man kann durchaus feststellen, dass sich selbst in den USA und England, bisher die Zentren der analytischen Tradition, zunehmend mehr Philosophen kontinentalen Traditionen zuwenden - ob man diese Entwicklung nun begrüßt oder nicht. Wenn die analytische Philosophie sich nicht öffnet und ihren Zwang zur Selbstabgrenzung überwindet, könnte sie in den nächsten Jahrzehnten zunehmend bedeutungsloser werden.


Ich meine, die analytische Philosophie hat ihre Krise und ihre Erstarrung in "scholastischer Sterilität" durch die Rehabilitierung der Metaphysik bereits hinter sich. Die Carnap'sche "Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache" ist nun selbst überwunden, wodurch sich die analytische Philosophie in fruchtbarer Weise weiterentwickelt hat. Philosophie darf längst wieder mehr sein als Logik, Sprachphilosophie und Wissenschaftstheorie.
Interessanterweise weist Peter Simons darauf hin, dass die Gleichung analytische Philosophie = antimetaphysische Philosophie keineswegs von Anfang an galt, sondern nur während ihrer "positivistischen" mittleren Periode in den 30er-50er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Siehe ganz unten stehendes Zitat!

Die Entspannung und Öffnung der analytischen Philosophie hat erfreulicherweise auch bewirkt, dass die (von Husserl ausgehende) Phänomenologie nicht mehr einfach als "kontinental" abgestempelt und links liegen gelassen wird.
Ebenso erfreulich ist, dass sich analytische Philosophen (die ja mehrheitlich Naturalisten sind) nun auch öfter und eingehender mit den philosophisch-ontologischen Aspekten der Sozialwissenschaften befassen, und nicht nur mit denjenigen der Naturwissenschaften. Ein Vorreiter ist John Searle (z.B. mit "Making the Social World", 2010).

Überhaupt gebe ich dir insofern recht, als allein die Unterscheidung analytische Philosophie vs. kontinentale Philosophie aufgrund dessen unsinnig erscheint, dass auf der einen Seite ein methodisches Merkmal verwendet wird und auf der anderen ein geographisches. Ein Gegensatz ist damit nicht definiert (wie z.B. bei der Unterscheidung von analytischer Philosophie und synthetischer Philosophie).

Was gilt denn als Teil der sogenannten Kontinentalphilosophie oder, besser, der "nichtanalytischen Kontinentalphilosophie"? Hier ist eine Liste:

"Continental philosophy is the name for a 200-year period in the history of philosophy that begins with the publication of Kant's critical philosophy in the 1780s. This led on to the following key movements:

1. German idealism and romanticism and its aftermath (Fichte, Schelling, Hegel, Schlegel and Novalis, Schleiermacher, Schopenhauer)

2. The critique of metaphysics and the ‘masters of suspicion’ (Feuerbach, Marx, Nietzsche, Freud, Bergson)

3. Germanophone phenomenology and existential philosophy (Husserl, Max Scheler, Karl Jaspers, Heidegger)

4. French phenomenology, Hegelianism, and anti-Hegelianism (Kojève, Sartre, Merleau-Ponty, Levinas, Bataille, de Beauvoir)

5. Hermeneutics (Dilthey, Gadamer, Ricoeur)

6. Western Marxism and the Frankfurt School (Lukacs, Benjamin, Horkheimer, Adorno, Marcuse, Habermas)

7. French structuralism (Lévi-Strauss, Lacan, Althusser), poststructuralism (Foucault, Derrida, Deleuze), postmodernism (Lyotard, Baudrillard), and feminism (Irigaray, Kristeva)"


(Critchley, Simon. Continental Philosophy: A Very Short Introduction. Oxford: Oxford University Press, 2001. p. 12)


"Among those with an outdated or partial conception of analytic philosophy, the whole movement is associated with the rejection of metaphysics. But such rejection, however motivated and justified, was never the sole prerogative of analytic philosophy, nor was it ever the majority view within that movement. Early analytic philosophers engaged in metaphysics without compunction, and it was only during the 'middle period' of the 1930s–1950s that, under the influence of logical positivism and ordinary language philosophy, metaphysics was first rejected and later marginalized. It is this publicity-catching period that is taken pars pro toto.…

Whichever philosophers are taken to be the parents or progenitors of analytic philosophy, whether Russell and Moore, Frege, Bolzano, or even Leibniz, all of them were fully engaged in metaphysics. In Leibniz and Bolzano we have a monadology of mental or physical atomic substances, in Bolzano and Frege we have a timeless Platonic realm of abstract objects guaranteeing the objectivity of logic and meaning, in Moore and Russell we have a world of many material objects existing independently of minds.

As analytic philosophers grappled with the problems in the foundations of mathematics and engaged in consolidating the new logic, attention shifted to the language medium and the metaphysical dimension faded from attention. Wittgenstein's trenchant prohibitions on nonsense found resonance with continental European logicians and philosophers of science whose suspicion of metaphysics derived from empiricist tendencies in Germany and France, and these crystallized in the Vienna Circle's attempts to demonstrate the senselessness of metaphysics.

These efforts quickly emerged as self-defeating, but a general suspicion of metaphysics as reactionary and backward-looking lingered through analytic philosophy's establishment as a dominant movement. Never completely extinguished even in the analytical movement, metaphysics began to re-emerge to prominence in the 1950s with the work of Quine, Strawson, and others, and the increasing importance of logical and linguistic semantics afforded a ready avenue for the re-establishment of metaphysics as the ontic counterpart to language, as it had been among the early analytics.

The rediscovery of genuine and unsolved metaphysical problems at the hands of several analytic philosophers gradually led to a de-emphasis on the linguistic and semantic approach to metaphysics, and in a reverse of the linguistic turn, metaphysics was pursued in wide circles in relative autonomy. As the new millenium dawned, it was clear not only that metaphysics was no longer dead, but that its resurrection as analytic metaphysics was one of the more remarkable developments in philosophy in general and in its analytic strain in particular."


(Simons, Peter. "Metaphysics in Analytic Philosophy." In The Oxford Handbook of the History of Analytic Philosophy, edited by Michael Beaney, 709-728. Oxford: Oxford University Press, 2013. pp. 709-710)

#377:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 05.06.2016, 18:50
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Myron hat folgendes geschrieben:
Was gilt denn als Teil der sogenannten Kontinentalphilosophie oder, besser, der "nichtanalytischen Kontinentalphilosophie"? Hier ist eine Liste:

"Continental philosophy is the name for a 200-year period in the history of philosophy that begins with the publication of Kant's critical philosophy in the 1780s. This led on to the following key movements:

1. German idealism and romanticism and its aftermath (Fichte, Schelling, Hegel, Schlegel and Novalis, Schleiermacher, Schopenhauer)

2. The critique of metaphysics and the ‘masters of suspicion’ (Feuerbach, Marx, Nietzsche, Freud, Bergson)

3. Germanophone phenomenology and existential philosophy (Husserl, Max Scheler, Karl Jaspers, Heidegger)

4. French phenomenology, Hegelianism, and anti-Hegelianism (Kojève, Sartre, Merleau-Ponty, Levinas, Bataille, de Beauvoir)

5. Hermeneutics (Dilthey, Gadamer, Ricoeur)

6. Western Marxism and the Frankfurt School (Lukacs, Benjamin, Horkheimer, Adorno, Marcuse, Habermas)

7. French structuralism (Lévi-Strauss, Lacan, Althusser), poststructuralism (Foucault, Derrida, Deleuze), postmodernism (Lyotard, Baudrillard), and feminism (Irigaray, Kristeva)"


(Critchley, Simon. Continental Philosophy: A Very Short Introduction. Oxford: Oxford University Press, 2001. p. 12)


Seltsamerweise wird der Neukantianismus nicht erwähnt, der immerhin zwischen ca. 1870 und 1920 die vorherrschende Richtung in der deutschen Philosophie war. Es wird tatsächlich oft übersehen, dass es eine bedeutsame Bewegung nach dem deutschen Idealismus und vor der analytischen Philosophie gegeben hat. Wen's interessiert, dem sei folgendes Buch empfohlen (das leider nur noch antiquarisch oder bibliothekarisch erhältlich ist):

* Köhnke, Klaus Chr. Entstehung und Aufstieg des Neukantianismus: Die deutsche Universitätsphilosophie zwischen Idealismus und Positivismus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1986.

Eine gute Einführung (auf Englisch): Neo-Kantianism (in der Internet Encyclopedia of Philosophy)

———

"Simply defined, neo-Kantianism, in a historical sense, was the movement in 19th-century Germany to rehabilitate Kant's philosophy. Neo-Kantianism was the predominant philosophical movement in Germany in the final decades of the 19th century, and its influence spread far and wide, to Italy, France, England and Russia. The golden age of neo-Kantianism was from 1860 to 1914.

Customarily, neo-Kantianism is divided into three main schools or groups: the Marburg school, whose chief protagonists were Hermann Cohen (1842-1918), Paul Natorp (1854-1924) and Ernst Cassirer (1874-1945); the Southwestern, Baden or Heidelberg school, whose major representatives were Wilhelm Windelband (1848-1915), Heinrich Rickert (1863-1936) and Emil Lask (1875-1915); and the neo-Friesian school in Göttingen under the leadership of Leonard Nelson (1882-1927). The dominant neo-Kantian universities were Marburg, Göttingen, Strassburg and Heidelberg; Berlin too eventually became a centre of neo-Kantianism later in the 19th and early 20th century, when Friedrich Paulsen (1896-1901) [life: 1846-1908], Alois Riehl (1884-1924) and Benno Erdmann (1851-1924) held chairs there.

It is necessary to emphasise that these three schools do not define or exhaust neo-Kantianism. If one reads every article and every book by every member of all these groups, one would still be far from having an adequate knowledge of the movement. These groups came into being relatively late, between 1880 and 1904, decades after the core of the movement had been formed. All the founding figures of neo-Kantianism preceded them; and even later neo-Kantians fell outside their orbits. Among these 'outsiders' were the Berliners Riehl, Paulsen and Erdmann, but also Johannes Volkelt (1848-1930), Hans Vaihinger (1852-1933), Erich Adickes (1866-1928), Arthur Liebert (1878-1946), Emil Arnoldt (1828-1905), and last, but certainly not least, Hermann Helmholtz (1821-1894). We too easily ignore these thinkers, some of whom played a crucial role in the movement, if we think of neo-Kantianism strictly in terms of schools.

The crucial formative decade for neo-Kantianism was the 1860s. Although there had been several neo-Kantian manifestos in earlier decades, they grew in number and coalesced into a single force only in the 1860s. It was this decade that some of the most dynamic young philosophers in Germany wrote articles, essays and even whole books, championing the cause of Kant's philosophy. There were five major figures who helped to re-establish Kant in this decade: Kuno Fischer (1824-1907), Eduard Zeller (1814-1908), Otto Liebmann (1840-1912), Jürgen Bona Meyer (1829-1897) and Friedrich Albert Lange (1828-1875)."


(Beiser, Frederick C. The Genesis of Neo-Kantianism, 1796–1880. Oxford: Oxford University Press, 2014. pp. 1-2)

#378:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 05.06.2016, 19:10
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Myron hat folgendes geschrieben:
Seltsamerweise wird der Neukantianismus nicht erwähnt, der immerhin zwischen ca. 1870 und 1920 die vorherrschende Richtung in der deutschen Philosophie war.

Also mir kommt's oft so vor als sei sie das bis heute. Kann aber sein, dass das spezifisch für Bonn ist.

#379:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 30.06.2016, 00:23
    —
In dem Buch "Wie wir die soziale Welt machen: Die Struktur der menschlichen Zivilisation" argumentiert Searle am Ende recht schlüssig für einige Einschränkungen der Menschenrechte.

Kennt jemand eine gute Kritik an seiner Position?

#380:  Autor: schtonk BeitragVerfasst am: 30.06.2016, 00:26
    —
unquest hat folgendes geschrieben:
In dem Buch "Wie wir die soziale Welt machen: Die Struktur der menschlichen Zivilisation" argumentiert Searle am Ende recht schlüssig für einige Einschränkungen der Menschenrechte.

Kennt jemand eine gute Kritik an seiner Position?

Ich kenne das Buch nicht. Kannst du vllt kurz umreißen, wie das Argument lautet?

#381:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 30.06.2016, 01:19
    —
schtonk hat folgendes geschrieben:
unquest hat folgendes geschrieben:
In dem Buch "Wie wir die soziale Welt machen: Die Struktur der menschlichen Zivilisation" argumentiert Searle am Ende recht schlüssig für einige Einschränkungen der Menschenrechte.

Kennt jemand eine gute Kritik an seiner Position?

Ich kenne das Buch nicht. Kannst du vllt kurz umreißen, wie das Argument lautet?


In aller Kürze:
Negative Rechte hält er für leicht begründbar. Da aber jedes Recht für ihn nur auch als Pflicht realisierbar ist, könne manches positive Recht nur sehr schwer bis gar nicht begründbar sein. Konkret: Wie kann ich dazu verpflichtet werden, dass du ein Haus besitzt.

Er selbst fasst es so zusammen:

http://666kb.com/i/da8jzx02a6a5usco9.jpg
http://666kb.com/i/da8k2ma7sixs4k6cp.jpg

Bild wegen überbreite in Link umgewandelt. vrolijke.

#382:  Autor: schtonk BeitragVerfasst am: 30.06.2016, 01:58
    —
unquest hat folgendes geschrieben:
schtonk hat folgendes geschrieben:
unquest hat folgendes geschrieben:
In dem Buch "Wie wir die soziale Welt machen: Die Struktur der menschlichen Zivilisation" argumentiert Searle am Ende recht schlüssig für einige Einschränkungen der Menschenrechte.

Kennt jemand eine gute Kritik an seiner Position?

Ich kenne das Buch nicht. Kannst du vllt kurz umreißen, wie das Argument lautet?


In aller Kürze:
Negative Rechte hält er für leicht begründbar. Da aber jedes Recht für ihn nur auch als Pflicht realisierbar ist, könne manches positive Recht nur sehr schwer bis gar nicht begründbar sein. Konkret: Wie kann ich dazu verpflichtet werden, dass du ein Haus besitzt.

Er selbst fasst es so zusammen:

[img]Abb. 1 Anhang Searle[/img]
[img]Abb. 2 Anhang Searle[/img]


Deine Frage war:
unquest hat folgendes geschrieben:
...
Kennt jemand eine gute Kritik an seiner Position?


Ich kenne keine solche, habe mir aber selbst ein paar Gedanken gemacht, nachdem ich hier nachgelesen hatte:

-> Link gekürzt

Die Gedanken sind aber noch nicht druckreif, weil vorläufig. Ist ja schon spät Smilie



Link gekürzt. vrolijke

#383:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 30.06.2016, 23:19
    —
Das passt mir wunderbar in den Kram und zu dem noch Unbeantwortetem im Koran-Thread.

unquest hat folgendes geschrieben:
schtonk hat folgendes geschrieben:
unquest hat folgendes geschrieben:
In dem Buch "Wie wir die soziale Welt machen: Die Struktur der menschlichen Zivilisation" argumentiert Searle am Ende recht schlüssig für einige Einschränkungen der Menschenrechte.

Kennt jemand eine gute Kritik an seiner Position?

Ich kenne das Buch nicht. Kannst du vllt kurz umreißen, wie das Argument lautet?


In aller Kürze:
Negative Rechte hält er für leicht begründbar. Da aber jedes Recht für ihn nur auch als Pflicht realisierbar ist, könne manches positive Recht nur sehr schwer bis gar nicht begründbar sein. Konkret: Wie kann ich dazu verpflichtet werden, dass du ein Haus besitzt.

Er selbst fasst es so zusammen:

<schnipp>

Ich bin mir nur noch nicht ganz sicher, ob wir es gleich lesen. Deshalb zum Abgleich einer meiner üblichen, naiven Vergleiche. Ahhem.


    1) Ich habe das Recht zu homosexuellen Handlungen
    2) Ich habe das Recht zu homosexuellen Handlungen und andere die Pflicht, mich daran nicht zu hindern.
    3) Ich habe das Recht zu homosexuellen Handlungen und andere die Pflicht, mich vor dritten zu schützen, die mich an diesen Handlungen hindern wollen.


Ist das so eine gültige Zusammenfassung von Searle?


Falls ja, dann sag' ich schon mal was dazu. Falls nein, müßte ich mir was anderes überlegen. Pfeifen

2) folgt für mich unmittelbar aus 1). Interessant ist Fall 3).

Ich hoffe doch, daß irgend jemand für mich Partei ergreifen würde, wenn ich als Schwuler auf der Straße zusammengeschlagen werde. Andererseits würde ich nicht so weit gehen und fordern, daß in Saudi-Arabien oder im Iran einmarschiert werden muß, um dort die Rechte der Homosexuellen zu schützen.

Das passt eigentlich nicht zusammen. Bin ich inkonsequent? Ohne das zu Ende gedacht zu haben, sage ich vorsichtig mal ja.

Und bin von meiner eigenen Antwort erschreckt. Da kämen wir aus dem Einmarschieren gar nicht mehr heraus. Gut gemeint ist nicht immer gut. Und die Rechnung befreite Homosexuelle gegen die Verheerungen eines Krieges stelle ich lieber nicht auf.

Und auch: Was ist, wenn jemand meint, bei uns einmarschieren zu müssen, weil homosexuelle Handlungen die Menschenwürde verletzen? Das Problem scheint mir eher zu sein, daß es keine Einigkeit über 1) gibt. Was ist dann zu tun?

#384:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 01.07.2016, 07:07
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
[...]
Das passt eigentlich nicht zusammen. Bin ich inkonsequent? Ohne das zu Ende gedacht zu haben, sage ich vorsichtig mal ja.

Und bin von meiner eigenen Antwort erschreckt. Da kämen wir aus dem Einmarschieren gar nicht mehr heraus. Gut gemeint ist nicht immer gut. Und die Rechnung befreite Homosexuelle gegen die Verheerungen eines Krieges stelle ich lieber nicht auf.

Und auch: Was ist, wenn jemand meint, bei uns einmarschieren zu müssen, weil homosexuelle Handlungen die Menschenwürde verletzen? Das Problem scheint mir eher zu sein, daß es keine Einigkeit über 1) gibt. Was ist dann zu tun?


Der Verlockung widerstehen, konzeptionelle Reinheit der Wirklichkeit überzustülpen.
Anders gesagt, mit einem sehr alten Zitat:
"Geh mir aus der Sonne!" : ) *

#385:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 01.07.2016, 12:14
    —
smallie hat folgendes geschrieben:

    1) Ich habe das Recht zu homosexuellen Handlungen
    2) Ich habe das Recht zu homosexuellen Handlungen und andere die Pflicht, mich daran nicht zu hindern.
    3) Ich habe das Recht zu homosexuellen Handlungen und andere die Pflicht, mich vor dritten zu schützen, die mich an diesen Handlungen hindern wollen.


Ist das so eine gültige Zusammenfassung von Searle?


Falls ja, dann sag' ich schon mal was dazu. Falls nein, müßte ich mir was anderes überlegen. Pfeifen

2) folgt für mich unmittelbar aus 1). Interessant ist Fall 3).

Ich hoffe doch, daß irgend jemand für mich Partei ergreifen würde, wenn ich als Schwuler auf der Straße zusammengeschlagen werde. Andererseits würde ich nicht so weit gehen und fordern, daß in Saudi-Arabien oder im Iran einmarschiert werden muß, um dort die Rechte der Homosexuellen zu schützen.

Das passt eigentlich nicht zusammen. Bin ich inkonsequent? Ohne das zu Ende gedacht zu haben, sage ich vorsichtig mal ja.

Und bin von meiner eigenen Antwort erschreckt. Da kämen wir aus dem Einmarschieren gar nicht mehr heraus. Gut gemeint ist nicht immer gut. Und die Rechnung befreite Homosexuelle gegen die Verheerungen eines Krieges stelle ich lieber nicht auf.

Und auch: Was ist, wenn jemand meint, bei uns einmarschieren zu müssen, weil homosexuelle Handlungen die Menschenwürde verletzen? Das Problem scheint mir eher zu sein, daß es keine Einigkeit über 1) gibt. Was ist dann zu tun?


Wenn wir Schutz als ein positives Recht ansehen, würde dein Beispiel aus meiner Sicht passen.
Da jedes Recht aus Searles Sicht ein Recht gegen jemanden ist, wärst du also für den Schutz weltweit in der Pflicht. Und wie du schreibst, mit den merkwürdigsten Konsequenzen.

Er schreibt dazu:




#386:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 02.07.2016, 03:40
    —
smallie hat folgendes geschrieben:

Ich hoffe doch, daß irgend jemand für mich Partei ergreifen würde, wenn ich als Schwuler auf der Straße zusammengeschlagen werde. Andererseits würde ich nicht so weit gehen und fordern, daß in Saudi-Arabien oder im Iran einmarschiert werden muß, um dort die Rechte der Homosexuellen zu schützen.


Die Sache ist ja die, dass das Beginnen eines Krieges durchaus selbst als unmoralische Handlung zu sehen ist und auch in jedem Falle moralisch zumindest bedenkliche Handlungen nach sich zieht. Zudem ist auch gar nicht von vorne herein klar, dass eine solche Invasion den Homosexuellen in den entsprechenden Ländern auch tatsächlich langfristig nützt. Die Frage ist also, inwiefern mich die Moral zu unmoralischem Handeln verpflichten kann. Auch abgesehen von der Frage nach der Zweckmäßigkeit der Mittel haben wir hier mal wieder das alte Problem der Güterabwägung.

#387:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 02.07.2016, 03:45
    —
Zitat:


Nein, nicht zwingend. Wären etwa die Produktionsmittel nicht in privaten Händen, sondern demokratisch vergesellschaftet und bedürfnisorientiert geplant, so würde das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard und Schulbildung anderen Menschen keine Pflichten auferlegen, die sich nicht ohnehin bereits auch schon aus ihrem eigenen Recht auf die selben Dinge ergeben.

#388:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 03.07.2016, 22:00
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
[...]
Das passt eigentlich nicht zusammen. Bin ich inkonsequent? Ohne das zu Ende gedacht zu haben, sage ich vorsichtig mal ja.

Und bin von meiner eigenen Antwort erschreckt. Da kämen wir aus dem Einmarschieren gar nicht mehr heraus. Gut gemeint ist nicht immer gut. Und die Rechnung befreite Homosexuelle gegen die Verheerungen eines Krieges stelle ich lieber nicht auf.

Und auch: Was ist, wenn jemand meint, bei uns einmarschieren zu müssen, weil homosexuelle Handlungen die Menschenwürde verletzen? Das Problem scheint mir eher zu sein, daß es keine Einigkeit über 1) gibt. Was ist dann zu tun?


Der Verlockung widerstehen, konzeptionelle Reinheit der Wirklichkeit überzustülpen.

Ein schöner Satz.

Wo das Konzept nicht hinreicht, da hilft nur eine gute Dosis Pragmatismus.

Nebenbei kann man daran arbeiten, die Wirklichkeit dem Konzept überzustülpen. zwinkern

Der Vorteil eines Konzeptes ist, eine Richtung vorzugeben. Auch Pragmatismus braucht eine Richtung, um dem Vorwurf der Willkürlichkeit zu entgehen. Der Nachteil ist, daß ursprünglich pragmatische Konzepte öfter mal zum Dogma erhoben werden.


zelig hat folgendes geschrieben:
Anders gesagt, mit einem sehr alten Zitat:
"Geh mir aus der Sonne!" : ) *

Auch ein sehr schöner Satz.

Kann aber ins Auge gehen. Diogenes hatte Glück. Archimedes nicht.

    Archimedes: "Störe meine Kreise nicht." *wird erschlagen"

#389:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 03.07.2016, 22:01
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:

Ich hoffe doch, daß irgend jemand für mich Partei ergreifen würde, wenn ich als Schwuler auf der Straße zusammengeschlagen werde. Andererseits würde ich nicht so weit gehen und fordern, daß in Saudi-Arabien oder im Iran einmarschiert werden muß, um dort die Rechte der Homosexuellen zu schützen.


Die Sache ist ja die, dass das Beginnen eines Krieges durchaus selbst als unmoralische Handlung zu sehen ist und auch in jedem Falle moralisch zumindest bedenkliche Handlungen nach sich zieht. Zudem ist auch gar nicht von vorne herein klar, dass eine solche Invasion den Homosexuellen in den entsprechenden Ländern auch tatsächlich langfristig nützt.

Ok. Siehe Fangfrage weiter unten.


Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Die Frage ist also, inwiefern mich die Moral zu unmoralischem Handeln verpflichten kann.

Natürlich gar nicht, das wäre paradox. zwinkern


Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Auch abgesehen von der Frage nach der Zweckmäßigkeit der Mittel haben wir hier mal wieder das alte Problem der Güterabwägung.

Passt. Als Versuch, wie so eine Abwägung im Detail aussehen könnte.


SCHWERE DER BEEINTRÄCHTIGUNG

    Schiefen Blicken ausgesetzt sein - beschimpft werden - verprügelt werden - aufgeknüpft werden (Einzelfall) - aufgeknüpft werden (organisiert)


RISIKO

    Notwehrbeihilfeverweigerungsrecht. (scnr)

    Wenn mir jemand die Zähne einschlagen will, dann kann ich nicht verlangen, daß eine einzelne Person dazwischen geht - besonders, wenn zu erwarten ist, daß ihr ebenfalls die Zähne eingeschlagen werden. Da hat niemand etwas davon.


SCHADEN-NUTZEN-RECHNUNG

    500 000 Befreite gegen 2 Millionen geschädigte. Welche Zahlen muß ich einsetzen damit die Rechnung ein klares pro oder contra ergibt?

    "Krieg ist eine unmoralische Handlung" - muß natürlich auch begründet werden. Die Fangfrage: Irak-Krieg vs. Ex-Jugoslawien ist ein Beispiel, bei dem die Meinungen auseinandergehen.



ENDLICHE RESOURCEN, VERWÄSSERUNG UND BEDÜRFTIGKEIT

    Wenn ich 1000 EUR für 1000 Bedürftige habe, kann ich die 1000 EUR einem einzigen oder meinetwegen 10 Bedürftigen spenden. Oder ich kann jedem 1 EUR spenden - der Betrag wäre damit aber ziemlich verwässert.


NÄHE

    Wenn neben mir ein Rad umfällt, stelle ich es wieder auf. Wenn in China ein Rad umfällt, dann laß ich's sein. So viele Resourcen habe ich nicht.

    Das ist bildlich gesprochen. Ich werde in der Antwort auf unquest konkreter werden.

#390:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 03.07.2016, 22:05
    —
schtonk hat folgendes geschrieben:

-> *linky*

Wenn du den Link in [url]Beschreibungstext[/url] setzt, bricht das Seitenlayout bei mir bestimmt nicht mehr um. Bitte. Danke.

#391:  Autor: schtonk BeitragVerfasst am: 03.07.2016, 22:12
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
schtonk hat folgendes geschrieben:

-> *linky*

Wenn du den Link in [url]Beschreibungstext[/url] setzt, bricht das Seitenlayout bei mir bestimmt nicht mehr um. Bitte. Danke.

Stell dich nicht so an. Bitte.

#392:  Autor: Klaus-Peter BeitragVerfasst am: 03.07.2016, 23:08
    —
schtonk hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
schtonk hat folgendes geschrieben:

-> *linky*

Wenn du den Link in [url]Beschreibungstext[/url] setzt, bricht das Seitenlayout bei mir bestimmt nicht mehr um. Bitte. Danke.

Stell dich nicht so an. Bitte.


Ich halte diese Antwort für eine grobe Respektlosigkeit gegenüber den Usern dieses Forums.

Vielleicht findet sich ja ein Moderator, der das berechtigte Anliegen von Smallie in Angriff nimmt.

#393:  Autor: schtonk BeitragVerfasst am: 03.07.2016, 23:39
    —
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
schtonk hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
schtonk hat folgendes geschrieben:

-> *linky*

Wenn du den Link in [url]Beschreibungstext[/url] setzt, bricht das Seitenlayout bei mir bestimmt nicht mehr um. Bitte. Danke.

Stell dich nicht so an. Bitte.


Ich halte diese Antwort für eine grobe Respektlosigkeit gegenüber den Usern dieses Forums.

Vielleicht findet sich ja ein Moderator, der das berechtigte Anliegen von Smallie in Angriff nimmt.

Lachen

#394:  Autor: HFRudolph BeitragVerfasst am: 05.09.2016, 11:27
    —
smalli hat folgendes geschrieben:
Wenn du den Link in [url]Beschreibungstext[/url] setzt, bricht das Seitenlayout bei mir bestimmt nicht mehr um. Bitte. Danke.

Das liegt an der breiten Grafik. Dein Browser und die Forensoftware sind inkompatibel.

#395:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 05.09.2016, 13:01
    —
Die gegenwärtige akademische Philosophie ist... leider zu großen Teilen Produktion von Ideologie. Allerdings sind philosophisch ausgebildete Leute oft auch besser dafür ausgerüstet, sich damit schon auf grundlegender Ebene kritisch auseinanderzusetzen als Leute aus den Naturwissenschaften (obwohl diesbezüglich Zusammenarbeiten wünschenswert wären) - einfach deshalb, weil sie sich schon ihr ganzes Studium hindurch genau mit diesen Dingen auseinandersetzen mussten. Unglücklicherweise bedeutet das allerdings, dass Philosophen letztlich hauptsächlich Probleme lösen müssen, die von ihrem eigenen Fach und ihren eigenen Kollegen überhaupt erst erzeugt worden sind. Aber das hat ja schon Marx festgestellt, und nach ihm auch Nietzsche und Wittgenstein (obwohl Nietzsche selbst Ideologieproduzent war).

#396:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 05.09.2016, 13:07
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:

Unglücklicherweise bedeutet das allerdings, dass Philosophen letztlich hauptsächlich Probleme lösen müssen, die von ihrem eigenen Fach und ihren eigenen Kollegen überhaupt erst erzeugt worden sind. Aber das hat ja schon Marx festgestellt, und nach ihm auch Nietzsche und Wittgenstein (obwohl Nietzsche selbst Ideologieproduzent war).


Marx nicht? SCNR zwinkern

#397:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 05.09.2016, 13:08
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Marx nicht?

Der frühe Marx m.E. auch - allerdings hat er sich eben später bezüglich dieser Dinge korrigiert. Mich würde aber interessieren, ob du konkrete Beispiele für Ideologie in Marx' Werk geben kannst. zwinkern

#398:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 05.09.2016, 13:35
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Marx nicht?

Der frühe Marx m.E. auch - allerdings hat er sich eben später bezüglich dieser Dinge korrigiert. Mich würde aber interessieren, ob du konkrete Beispiele für Ideologie in Marx' Werk geben kannst. zwinkern


He, es war nur eine Bemerkung! zwinkern Als erstes müßten wir uns auf einen Ideologie-Begriff einigen, und uns dann Marx-Zitate um die Ohren hauen. Und wozu?

Außerdem halte ich die Frage, ob Marx' Werk Ideologie ist, oder nur enthält, für falsch gestellt, selbst Teil einer Ideologie, die meint, es gäbe so etwas wie ideologiefreie Erkenntnis, oder jede ideologisch motivierte Erkenntnis sei naturnotwendig falsch.

Interessanter fände ich die Frage nach den realistischen bzw. fantastischen Gehalten seiner Theorie, die Frage, wie realistisch, wie sachgerecht sie eigentlich war, und wie große ihr Anteil an der Weiterentwicklung der Menschenwissenschaften.

Spätestens da kämen wir, angesichts der Wirkungsgeschichte des Marxismus (welche Wirkungen haben eigentlich Ideen?), der ideologischen wie politischen Folgen dieser Theorie in ein Minenfeld.

In diesem Minenfeld habe ich zuletzt vor ca. 40 Jahren gesteckt, während meines Studiums. Damals war die politische Relevanz dieser Fragen allerdings noch eine andere. Mein Bedarf daran hat seitdem etwas nachgelassen. Ich hoffe, du nimmst mir das nicht übel. Smilie

#399:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 05.09.2016, 17:21
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Außerdem halte ich die Frage, ob Marx' Werk Ideologie ist, oder nur enthält, für falsch gestellt, selbst Teil einer Ideologie, die meint, es gäbe so etwas wie ideologiefreie Erkenntnis, oder jede ideologisch motivierte Erkenntnis sei naturnotwendig falsch.

Ideologie ist schon ein mit kritischer Absicht eingeführter Begriff. Wenn man den Ideologiebegriff derart aufweicht, dass er einfach jede irgendwie geartete Vermittlung bezeichnet, dann kann man ihn auch gleich weglassen.

Die Auffassung, nur falsches Bewusstsein sei als Ideologie zu bezeichnen, ist nicht selbst ideologisch (nach welchem Kriterium denn auch bitte?), sondern einfach eine übliche Begriffsbestimmung im ideologiekritischen Diskurs.

#400:  Autor: unquest BeitragVerfasst am: 05.09.2016, 18:01
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
He, es war nur eine Bemerkung! zwinkern ... Als erstes müßten wir uns auf einen Ideologie-Begriff einigen, ...


Das sieht nach Arbeit aus. Lachen
Peter Tepe führt in den Ergänzungen zum seinem Buch folgende Möglichkeiten des Gebrauchs auf:


#401:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 05.09.2016, 18:43
    —
unquest hat folgendes geschrieben:
Das sieht nach Arbeit aus. Lachen

Da kann man ja schon mal mindestens alles rausstreichen, bei dem die Definition das zu definierende Wort wieder enthält. Also mindestens 5, 7 und 7a. Davon abgesehen fehlen in der Liste auch noch einige Verwendungen.

Davon abgesehen kannst du dir den Quatsch aber ohnehin sparen, da zum Verständnis meines ursprünglichen Beitrages ohnehin nur der von mir verwendete Ideologiebegriff relevant ist. Cool Mr. Green

#402:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 05.09.2016, 18:54
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Außerdem halte ich die Frage, ob Marx' Werk Ideologie ist, oder nur enthält, für falsch gestellt, selbst Teil einer Ideologie, die meint, es gäbe so etwas wie ideologiefreie Erkenntnis, oder jede ideologisch motivierte Erkenntnis sei naturnotwendig falsch.

Ideologie ist schon ein mit kritischer Absicht eingeführter Begriff. Wenn man den Ideologiebegriff derart aufweicht, dass er einfach jede irgendwie geartete Vermittlung bezeichnet, dann kann man ihn auch gleich weglassen.

Die Auffassung, nur falsches Bewusstsein sei als Ideologie zu bezeichnen, ist nicht selbst ideologisch (nach welchem Kriterium denn auch bitte?), sondern einfach eine übliche Begriffsbestimmung im ideologiekritischen Diskurs.


Ja, Klasse! Und das "falsche Bewußtsein" haben natürlich die anderen! Wenn das die "übliche Begriffsbestimmung im ideologiekritischen Diskurs" ist, dann ist das genau das Problem dieses "Diskurses".

#403:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 05.09.2016, 19:49
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Ja, Klasse! Und das "falsche Bewußtsein" haben natürlich die anderen!

Mit den Augen rollen Blödsinn. Falsche Auffassungen haben diejenigen, die eben falsche Auffassungen haben. Dass sich Auffassungen auf verschiedene Weisen kritisch prüfen und gegebenenfalls widerlegen lassen, wirst du ja wohl hoffentlich nicht bestreiten, oder?

#404:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 05.09.2016, 20:23
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Ja, Klasse! Und das "falsche Bewußtsein" haben natürlich die anderen!

Mit den Augen rollen Blödsinn. Falsche Auffassungen haben diejenigen, die eben falsche Auffassungen haben. Dass sich Auffassungen auf verschiedene Weisen kritisch prüfen und gegebenenfalls widerlegen lassen, wirst du ja wohl hoffentlich nicht bestreiten, oder?


Nein, nur ging es doch ursprünglich nicht um falsche Auffassungen, sondern um ideologische, um den Unterschied zwischen "falschem" und "richtigem" Bewußtsein.

Nun müssen aber falsche Auffassungen, zB. über astronomische Zusammenhänge, nicht unbedingt Ausdruck eines ideologischen, eines "falschen" Bewußtseins sein. Es wäre auch schlicht mangelndes Wissen als Ursache denkbar. Anders herum muß nicht jede ideologische Anschauung, jede Anschauung als Ausdruck "falscher" gesellschaftlicher Interessen zwingend falsch sein.

Die Frage eines "richtigen" oder "falschen" Bewußtseins erscheint mit ein theoretisches Konstrukt, daß dabei nicht weiterhilft. Es scheint mir kein Zufall, daß die diesen Begriff auf einmal auch nicht mehr verwendest. Nur ist damit die Frage nach der Ideologie auf einmal wieder offen.

Sicherlich lassen sich falsche Auffassungen widerlegen, wenn ihre Aussagen so konstruiert sind, daß sie einer Überprüfung zugänglich sind. Was leider nicht für alle Aussagen gilt. Womit wir von Marx zu Popper gekommen wären. zwinkern

#405:  Autor: beachbernieWohnort: Haida Gwaii BeitragVerfasst am: 05.09.2016, 20:43
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Ja, Klasse! Und das "falsche Bewußtsein" haben natürlich die anderen!

Mit den Augen rollen Blödsinn. Falsche Auffassungen haben diejenigen, die eben falsche Auffassungen haben. Dass sich Auffassungen auf verschiedene Weisen kritisch prüfen und gegebenenfalls widerlegen lassen, wirst du ja wohl hoffentlich nicht bestreiten, oder?


Wer aber bestimmt nach welchen Kriterien welches Bewusstsein "falsch" oder "richtig" ist?

#406:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 05.09.2016, 21:25
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Nein, nur ging es doch ursprünglich nicht um falsche Auffassungen, sondern um ideologische, um den Unterschied zwischen "falschem" und "richtigem" Bewußtsein.

Richtig. Michael Forster macht hinsichtlich des Marxschen Ideologiebegriffs drei Kriterien für Ideologie fest, die alle drei zutreffen müssen.

Ideologische Überzeugungen sind demnach
1. nachweislich falsch,
2. Ausdruck der Interessenlage einer bestimmten Klasse oder gesellschaftlichen Gruppe, und
3. verbreitet gerade aufgrund der Tatsache, dass sie ein Ausdruck dieser Interessenlage sind.


Zuletzt bearbeitet von Tarvoc am 05.09.2016, 21:33, insgesamt 2-mal bearbeitet

#407:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 05.09.2016, 21:27
    —
beachbernie hat folgendes geschrieben:
Wer aber bestimmt nach welchen Kriterien welches Bewusstsein "falsch" oder "richtig" ist?

Wie? Du fragst doch auch sonst nicht, "wer bestimmt", nach welchen "Kriterien" eine bestimmte Überzeugung falsch ist oder nicht. Die selben wie sonst auch.

Oder meinst du, es müsse irgendwie autoritär verfügt werden, welche Ansichten richtig sind und welche falsch? Ist doch absurd. Mit den Augen rollen

#408:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 05.09.2016, 21:39
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Nein, nur ging es doch ursprünglich nicht um falsche Auffassungen, sondern um ideologische, um den Unterschied zwischen "falschem" und "richtigem" Bewußtsein.

Richtig. Michael Forster macht hinsichtlich des Marxschen Ideologiebegriffs drei Kriterien für Ideologie fest, die alle drei zutreffen müssen.

Ideologische Überzeugungen sind demnach
1. nachweislich falsch,
2. Ausdruck der Interessenlage einer bestimmten Klasse oder gesellschaftlichen Gruppe, und
3. verbreitet gerade aufgrund der Tatsache, dass sie ein Ausdruck dieser Interessenlage sind.


Nur finde ich da das "falsche Bewußtsein" nicht mehr wieder, denn die Interessenlage einer Klasse oder Gruppe kann ja offenbar auch richtige Vorstellungen hervorbringen.

#409:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 05.09.2016, 22:02
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Nur finde ich da das "falsche Bewußtsein" nicht mehr wieder, denn die Interessenlage einer Klasse oder Gruppe kann ja offenbar auch richtige Vorstellungen hervorbringen.

Falsches Bewusstsein ist schon synonym mit falscher Überzeugung. War aber schon bei Marx so.

Das, was die Ideologie hervorbringt, ist ja der Theorie nach nicht das ideologische Bewusstsein (das wäre zirkulär), sondern die gesellschaftlichen Verhältnisse selbst.

#410:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 05.09.2016, 22:10
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Nur finde ich da das "falsche Bewußtsein" nicht mehr wieder, denn die Interessenlage einer Klasse oder Gruppe kann ja offenbar auch richtige Vorstellungen hervorbringen.

Falsches Bewusstsein ist schon synonym mit falscher Überzeugung. War aber schon bei Marx so.

Das, was die Ideologie hervorbringt, ist ja der Theorie nach nicht das ideologische Bewusstsein (das wäre zirkulär), sondern die gesellschaftlichen Verhältnisse selbst.


Gibt es vor dem Hintergrund dieser Ausführung Beispiele für gesellschaftliche Verhältnisse, die nicht durch Ideologie hervorgebracht wurden?

#411:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 05.09.2016, 22:38
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Gibt es vor dem Hintergrund dieser Ausführung Beispiele für gesellschaftliche Verhältnisse, die nicht durch Ideologie hervorgebracht wurden?

Wie? Umgekehrt. Die Verhältnisse bringen die Ideologie hervor.

#412:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 05.09.2016, 22:44
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Gibt es vor dem Hintergrund dieser Ausführung Beispiele für gesellschaftliche Verhältnisse, die nicht durch Ideologie hervorgebracht wurden?

Wie? Umgekehrt. Die Verhältnisse bringen die Ideologie hervor.


OK. Ich hatte mich schon gewundert. Der Satz lässt sich auf zweierlei Weise lesen. Und ich hab die falsche erwischt.

#413:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 05.09.2016, 22:48
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Der Satz lässt sich auf zweierlei Weise lesen.

Richtig. Ich hätte besser geschrieben: "Das, wodurch die Ideologie hervorgebracht wird..."

#414:  Autor: HFRudolph BeitragVerfasst am: 13.09.2016, 11:42
    —
schtonk hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
schtonk hat folgendes geschrieben:

-> *linky*

Wenn du den Link in [url]Beschreibungstext[/url] setzt, bricht das Seitenlayout bei mir bestimmt nicht mehr um. Bitte. Danke.

Stell dich nicht so an. Bitte.

Zu den Aufgaben der Moderation gehörte es früher auch mal, das Layout in Ordnung zu bringen. Ich habe - um ehrlich zu sein - wenig Verständnis dafür, wenn man soetwas absichtlich stehen lässt.

Überall dort, wo Menschen Philosophie nur reproduzieren und nicht mehr vertreten oder anwenden und überall dort, wo die Philosophie der sogenannten Philosophen darin besteht, sich selbst als Lexikon zu verstehen, ist die Philosophie tot.

#415:  Autor: WilsonWohnort: Swift Tuttle BeitragVerfasst am: 13.10.2016, 15:28
    —
https://www.youtube.com/watch?v=bjCpB3Due1A
Hegel - Was ist Dialektik

die eher allgemein gehaltene einführung ist interessant...

#416:  Autor: Malone BeitragVerfasst am: 02.04.2017, 01:49
    —
beachbernie hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Ja, Klasse! Und das "falsche Bewußtsein" haben natürlich die anderen!

Mit den Augen rollen Blödsinn. Falsche Auffassungen haben diejenigen, die eben falsche Auffassungen haben. Dass sich Auffassungen auf verschiedene Weisen kritisch prüfen und gegebenenfalls widerlegen lassen, wirst du ja wohl hoffentlich nicht bestreiten, oder?


Wer aber bestimmt nach welchen Kriterien welches Bewusstsein "falsch" oder "richtig" ist?


Ich denke - unter Ausblendung metaphysischer Faktoren - lässt sich belegen, dass Freiheit der wichtigste Wert von allen sein muss. Und daraus ließe sich alles andere ableiten.

#417:  Autor: Kramer BeitragVerfasst am: 02.04.2017, 02:00
    —
Malone hat folgendes geschrieben:
Ich denke - unter Ausblendung metaphysischer Faktoren - lässt sich belegen, dass Freiheit der wichtigste Wert von allen sein muss. Und daraus ließe sich alles andere ableiten.


Nö. Denn bei der Freiheit stellt sich sofort die Frage "Wessen Freiheit?"

#418:  Autor: Malone BeitragVerfasst am: 02.04.2017, 02:16
    —
Kramer hat folgendes geschrieben:
Malone hat folgendes geschrieben:
Ich denke - unter Ausblendung metaphysischer Faktoren - lässt sich belegen, dass Freiheit der wichtigste Wert von allen sein muss. Und daraus ließe sich alles andere ableiten.


Nö. Denn bei der Freiheit stellt sich sofort die Frage "Wessen Freiheit?"


Die Freiheit dessen, der andere in ihren Grundbedürfnissen nicht beeinträchtigt. Und diese Grundbedürfnisse sind meines Erachtens gar nicht so schwer zu definieren. Wobei natürlich immer eine gewisse Grauzone besteht.

Hast du denn einen besseren Vorschlag?

#419:  Autor: Kramer BeitragVerfasst am: 02.04.2017, 02:57
    —
Malone hat folgendes geschrieben:
Die Freiheit dessen, der andere in ihren Grundbedürfnissen nicht beeinträchtigt.


Dann halte ich dagegen, dass jeder Arbeitgeber, der Menschen im Niedriglohnsektor, in Leiharbeit oder in befristeten Arbeitsstellen oder ähnlichem beschäftigt, die Grundbedürfinisse dieser Menschen beeinträchtigt. Stimmst Du zu, dass diese Form von Freiheit Unfreiheit schafft und somit eingeschränkt werden muss?

#420:  Autor: Malone BeitragVerfasst am: 02.04.2017, 03:26
    —
Kramer hat folgendes geschrieben:
Malone hat folgendes geschrieben:
Die Freiheit dessen, der andere in ihren Grundbedürfnissen nicht beeinträchtigt.


Dann halte ich dagegen, dass jeder Arbeitgeber, der Menschen im Niedriglohnsektor, in Leiharbeit oder in befristeten Arbeitsstellen oder ähnlichem beschäftigt, die Grundbedürfinisse dieser Menschen beeinträchtigt. Stimmst Du zu, dass diese Form von Freiheit Unfreiheit schafft und somit eingeschränkt werden muss?


Jain. Es ist nicht die Aufgabe des Unternehmers, für Gerechtigkeit zu sorgen. Da ist der Staat gefragt, dessen Rolle ich hiermit - als bekennender Ordoliberaler - ausdrücklich bejahe. Insofern befürworte ich die Negative Einkommenssteuer, wie übrigens die meisten Ökonomen.

#421:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 02.04.2017, 12:59
    —
Malone hat folgendes geschrieben:
Kramer hat folgendes geschrieben:
Malone hat folgendes geschrieben:
Die Freiheit dessen, der andere in ihren Grundbedürfnissen nicht beeinträchtigt.


Dann halte ich dagegen, dass jeder Arbeitgeber, der Menschen im Niedriglohnsektor, in Leiharbeit oder in befristeten Arbeitsstellen oder ähnlichem beschäftigt, die Grundbedürfinisse dieser Menschen beeinträchtigt. Stimmst Du zu, dass diese Form von Freiheit Unfreiheit schafft und somit eingeschränkt werden muss?


Jain. Es ist nicht die Aufgabe des Unternehmers, für Gerechtigkeit zu sorgen. Da ist der Staat gefragt, dessen Rolle ich hiermit - als bekennender Ordoliberaler - ausdrücklich bejahe. Insofern befürworte ich die Negative Einkommenssteuer, wie übrigens die meisten Ökonomen.


Die Niedriglöhner haben also die *Freiheit*, zu Niedriglöhnen zu arbeiten und der Staat sorgt anschließend für *Gerechtigkeit*, indem er nicht die Unternehmer höher, sondern die Niedriglöhner geringer besteuert. Da bleibt zumindest die unternehmerische Freiheit zur Ausbeutung doppelt unangetastet: einmal durch die Freiheit, Arbeiter gering zu entlohnen und zweitens durch die Freiheit, die Profite daraus noch steuerlich subventioniert zu bekommen, weil der Staat somit quasi selber die Niedriglöhne aufstockt.

Mit einem solchen Verständnis von *Freiheit* wäre der Kaufmann Mohammed sicherlich voll einverstanden gewesen.

Also ist dein Freiheitsbegriff voll Islam-konform ...- Daumen hoch!

#422:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 02.04.2017, 16:30
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Mit einem solchen Verständnis von *Freiheit* wäre der Kaufmann Mohammed sicherlich voll einverstanden gewesen.

Aber nur für solche Kaufmänner, die brav ihre Almosensteuer zahlen, um den Armen wenigstens *etwas* zu helfen. Das verletzt dann schon wieder die Freiheit des Arbeitgebers, wie ein guter Ordoliberaler sie versteht. zynisches Grinsen

#423:  Autor: Kramer BeitragVerfasst am: 02.04.2017, 17:04
    —
Malone hat folgendes geschrieben:
Jain. Es ist nicht die Aufgabe des Unternehmers, für Gerechtigkeit zu sorgen. Da ist der Staat gefragt, dessen Rolle ich hiermit - als bekennender Ordoliberaler - ausdrücklich bejahe.


Wenn Gerechtigkeit hier mehr als Freiheit wiegt, ist Freiheit wohl doch nicht der wichtigste Wert von allen.

#424:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 02.04.2017, 20:07
    —
Kramer hat folgendes geschrieben:
Wenn Gerechtigkeit hier mehr als Freiheit wiegt, ist Freiheit wohl doch nicht der wichtigste Wert von allen.

Ich finde, das Ganze zeigt eher, dass mindestens mit dem verwendeten Freiheitsbegriff was nicht stimmt. Der Witz ist doch hier der, dass die gewährte "Freiheit des Arbeitgebers" die Arbeiter auch in ihrer Freiheit beschneidet.

#425:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 02.04.2017, 20:51
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Kramer hat folgendes geschrieben:
Wenn Gerechtigkeit hier mehr als Freiheit wiegt, ist Freiheit wohl doch nicht der wichtigste Wert von allen.

Ich finde, das Ganze zeigt eher, dass mindestens mit dem verwendeten Freiheitsbegriff was nicht stimmt. Der Witz ist doch hier der, dass die gewährte "Freiheit des Arbeitgebers" die Arbeiter auch in ihrer Freiheit beschneidet.


Wieso? Sie hätten doch auch Unternehmer werden können! diablo

#426:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 02.04.2017, 21:28
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Wieso? Sie hätten doch auch Unternehmer werden können! diablo

Leider gibt es tatsächlich so einige Leute, die solche Sachen ernst meinen. Kann man womöglich auch als Zeichen dafür sehen, dass die Philosophie tot ist. Deprimiert

#427:  Autor: WilsonWohnort: Swift Tuttle BeitragVerfasst am: 03.04.2017, 00:13
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Wieso? Sie hätten doch auch Unternehmer werden können! diablo

Leider gibt es tatsächlich so einige Leute, die solche Sachen ernst meinen. Kann man womöglich auch als Zeichen dafür sehen, dass die Philosophie tot ist. Deprimiert


Sehr glücklich

#428:  Autor: Malone BeitragVerfasst am: 05.04.2017, 23:04
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Malone hat folgendes geschrieben:
Kramer hat folgendes geschrieben:
Malone hat folgendes geschrieben:
Die Freiheit dessen, der andere in ihren Grundbedürfnissen nicht beeinträchtigt.


Dann halte ich dagegen, dass jeder Arbeitgeber, der Menschen im Niedriglohnsektor, in Leiharbeit oder in befristeten Arbeitsstellen oder ähnlichem beschäftigt, die Grundbedürfinisse dieser Menschen beeinträchtigt. Stimmst Du zu, dass diese Form von Freiheit Unfreiheit schafft und somit eingeschränkt werden muss?


Jain. Es ist nicht die Aufgabe des Unternehmers, für Gerechtigkeit zu sorgen. Da ist der Staat gefragt, dessen Rolle ich hiermit - als bekennender Ordoliberaler - ausdrücklich bejahe. Insofern befürworte ich die Negative Einkommenssteuer, wie übrigens die meisten Ökonomen.


Die Niedriglöhner haben also die *Freiheit*, zu Niedriglöhnen zu arbeiten und der Staat sorgt anschließend für *Gerechtigkeit*, indem er nicht die Unternehmer höher, sondern die Niedriglöhner geringer besteuert. Da bleibt zumindest die unternehmerische Freiheit zur Ausbeutung doppelt unangetastet: einmal durch die Freiheit, Arbeiter gering zu entlohnen und zweitens durch die Freiheit, die Profite daraus noch steuerlich subventioniert zu bekommen, weil der Staat somit quasi selber die Niedriglöhne aufstockt.



Du weißt ja nicht, womit ich die Negative Einkommenssteuer finanzieren will, bzw. ich habe nicht gesagt, dass sie die einzige Steuer sein soll. Prinzipiell bin ich ein Befürworter einer hohen Erbschaftssteuer und hohen Steuern auf umwelt- oder gesundheitsschädliche Produkte.

Du führst da auch einige Kampfbegriffe ins Feld, die ich gerne mal von der anderen Seite beleuchten würde: Soll man jemandem verbieten, andere für ihn (mit)arbeiten zu lassen? Das macht ein (neuer) Unternehmer in der Regel: er hat eine Idee und macht daraus ein Produkt. Am Anfang kann er es vielleicht noch selbst herstellen, aber wenn es von den Verbrauchern gut angenommen wird und mehr Aufträge eingehen, als er selbst bewältigen kann, bietet er jemand anderem an, dass der die Arbeit erledigt und bezahlt ihn dafür nach Vereinbarung. Was wäre denn deine Alternative dazu?


Zitat:
Mit einem solchen Verständnis von *Freiheit* wäre der Kaufmann Mohammed sicherlich voll einverstanden gewesen.

Also ist dein Freiheitsbegriff voll Islam-konform ...- Daumen hoch!


Naja, er hat sich ja umorientiert in Richtung Bandit, Kriegsherr und Plünderer. Ok, für manche hier ist auch das kein großer Unterschied zum Unternehmer. Und der Islam und der Kapitalismus haben wenig gemein: außer der einst laizistischen Türkei ist es keinem islamischen Staat gelungen, eine nennenswerte (private) Industrie aufzubauen.

#429:  Autor: Malone BeitragVerfasst am: 05.04.2017, 23:06
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Kramer hat folgendes geschrieben:
Wenn Gerechtigkeit hier mehr als Freiheit wiegt, ist Freiheit wohl doch nicht der wichtigste Wert von allen.

Ich finde, das Ganze zeigt eher, dass mindestens mit dem verwendeten Freiheitsbegriff was nicht stimmt. Der Witz ist doch hier der, dass die gewährte "Freiheit des Arbeitgebers" die Arbeiter auch in ihrer Freiheit beschneidet.


Ist ja mal ganz was Neues, dass die Freiheit des einen mit der des anderen im Konflikt steht.

#430:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 07.04.2017, 08:28
    —
Malone hat folgendes geschrieben:
Ist ja mal ganz was Neues, dass die Freiheit des einen mit der des anderen im Konflikt steht.

Geschockt Am Kopf kratzen

#431:  Autor: Samson83 BeitragVerfasst am: 07.04.2017, 10:11
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Malone hat folgendes geschrieben:
Ist ja mal ganz was Neues, dass die Freiheit des einen mit der des anderen im Konflikt steht.

Geschockt Am Kopf kratzen

"Freiheit" ist als pauschaler Begriff ohne Wert. Unsere Verfassung hat verstanden, dass Freiheit immer einen bestimmten Bezug voraussetzt, im Sinne von "Freiheit wessen und wozu".

Natürlich steht die Berufsausübungsfreiheit des Arbeitnehmers im Konflikt mit dem Eigentumsrecht des Unternehmers. Um diesen Konflikt zu lösen hat der liebe Gott die Gewerkschaften erfunden.

Was "die Philosophie" damit zu tun hat, erschließt sich mir nicht. Ich habe nach Tarvocs Schilderung - und ehrlich gesagt nach seinen eigenen Beiträgen - den Eindruck, dass Schopenhauers "über Universitätsphilosophie" immer noch zutrifft.

Und die Aussage meines Dozenten und Doktorvaters im Kapitalgesellschaftsrecht bzgl. Rechtsphilosophie "braucht kein Mensch. Sie schon gar nicht" immer noch zutrifft.



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