Bewusstsein und Evolution
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#1: Bewusstsein und Evolution Autor: depthWohnort: Frankfurt BeitragVerfasst am: 06.03.2010, 18:17
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Ich habe in letzter Zeit einiges über Hirnforschung gelesen, die Bewusstsein als emergentes Phänomen beschreibt. Was ich mich frage ist nun folgendes:
Wenn Bewusstsein rein emergent wäre, könnte es als reine Begleiterscheinung von Denkprozessen doch auch keine kausale Rückwirkung auf diese haben. Folglich wäre es also ausgeschlossen, dass es eine evolutionäre Erklärung für das Phänomen Bewusstsein geben könnte, denn es wäre für den Überlebens- und Fortpflanzungserfolg eines Individuums unerheblich ob es nur denkt (z.b. rein algorithmisch) oder ob es sich dessen auch bewusst ist.
Ist es aber nicht höchst unwahrscheinlich, dass sich ein solches Phänomen ohne Kontrolle eines evolutionären Prozesses entwickelt haben soll? Wäre dies nicht auch wie die berüchtigte spontane Boing 747 aus Schrott?
Weiss hier im Forum vielleicht jemand, ob es bereits Theorien gibt, die etwas über die Evolution des Bewusstseins aussagen?

#2: Re: Bewusstsein und Evolution Autor: Katatonia BeitragVerfasst am: 06.03.2010, 18:39
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depth hat folgendes geschrieben:

Wenn Bewusstsein rein emergent wäre, könnte es als reine Begleiterscheinung von Denkprozessen doch auch keine kausale Rückwirkung auf diese haben.

Bewusstsein ist nicht emergent im Sinne eines bloßen Epiphänomens, sondern untrennbar mit neuronalen Prozessen verbunden - es besteht quasi in der Aktivität und im Zusammenspiel bestimmter Neuronenverbände.

#3: Re: Bewusstsein und Evolution Autor: depthWohnort: Frankfurt BeitragVerfasst am: 06.03.2010, 18:46
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Katatonia hat folgendes geschrieben:
depth hat folgendes geschrieben:

Wenn Bewusstsein rein emergent wäre, könnte es als reine Begleiterscheinung von Denkprozessen doch auch keine kausale Rückwirkung auf diese haben.

Bewusstsein ist nicht emergent im Sinne eines bloßen Epiphänomens, sondern untrennbar mit neuronalen Prozessen verbunden - es besteht quasi in der Aktivität und im Zusammenspiel bestimmter Neuronenverbände.


Aber man könnte sich doch auch vorstellen, dass es eine Software oder einen Roboter geben könnte, der in der Lage wäre, vollständig wie ein Mensch zu agieren und zu kommunizieren. Hätte diese Maschine dann per Definition ein Bewusstsein? Oder gibt es irgendeine beobachtbare Qualität, von der man sagen kann, dass sie nur möglich ist, wenn ein Bewusstsein am Werke ist?


Zuletzt bearbeitet von depth am 06.03.2010, 22:59, insgesamt 2-mal bearbeitet

#4:  Autor: King Lui BeitragVerfasst am: 06.03.2010, 21:23
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Es gibt eine streng naturwissenschaftliche Sichtweise auf das Bewußtsein, das in seinem Reduktionismus vor allem für Anästhesisten bedeutsam ist.

Bereits hier stellen sich ein paar Fragen, in Bezug auf das Bewußtsein:

Inwieweit hat eine Lokalanästhesie bereits etwas mit Unterdrücken von Bewußtsein zu tun?

Wieso kann man schlafende Menschen nicht operieren? Sie würden unter Schmerzen aufwachen. Eine lokale Anästhesie oder eine Vollnarkose machen eine Operation aber möglich.

Weiter gibt es den philosophischen Begriff der Qualia. Aber auch dieser ist untrennbar mit neurologischen Prozessen verbunden, ebenso wie Schmerzen.

Sowohl Schmerzen als auch Qualia dürften meines Erachtens emergent sein, aber kein bloßes Epiphänomen. Wären Schmerzen ein Epiphänomen, würde ein Lebewesen bei Verletzung oder Operation ohne Anästhesie nicht auf diese reagieren.

depth hat folgendes geschrieben:
Aber man könnte sich doch auch vorstellen, dass es eineSoftware oder einen Roboter geben könnte, der in der Lage wäre, vollständig wie ein Mensch zu agieren und zu kommunizieren. Hätte diese Maschine dann per definition ein Bewusstsein? Oder gibt es irgendeine beobachtbare Qualität, von der man sagen kann, dass sie nur möglich ist, wenn ein Bewusstsein am Werke ist?

Das könnte man, aber aus evolutionärer Sicht sollte man vielleicht bereits bei den Schmerzen oder entwicklungsgeschichtlich noch früher anfangen das Thema zu betrachten, nicht erst bei der Qualia.

Ich kann mir schon vorstellen, dass Menschen die Evolution irgend einmal so gut verstanden haben, dass sie sie "nachbauen" können.


Zuletzt bearbeitet von King Lui am 06.03.2010, 23:07, insgesamt einmal bearbeitet

#5:  Autor: depthWohnort: Frankfurt BeitragVerfasst am: 06.03.2010, 22:56
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King Lui hat folgendes geschrieben:

Sowohl Schmerzen als auch Qualia dürften meines Erachtens emergent sein, aber kein bloßes Epiphänomen. Wären Schmerzen ein Epiphänomen, würde ein Lebewesen bei Verletzung oder Operation ohne Anästhesie nicht auf diese reagieren.


Warum? Ich kann mir doch das beschriebene Verhalten als durch eine Software verursacht vorstellen, die Selbsterhalt anstrebt und so entworfen ist, dass sie auf verletzende Reize mit Abwehrmanövern reagiert. Dazu wäre es nicht nötig, dass es Qualia gibt, oder? Dies wäre also kein Widerspruch gegen ein Bewusstsein als reines Epiphänomen.

#6:  Autor: King Lui BeitragVerfasst am: 06.03.2010, 23:33
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depth hat folgendes geschrieben:
Warum? Ich kann mir doch das geschriebene Verhalten als durch eine Software verursacht vorstellen, die Selbsterhalt anstrebt und so entworfen ist, dass sie auf verletzende Reize mit Abwehrmanövern reagiert. Dazu wäre es nicht nötig, dass es Qualia gibt, oder? Dies wäre also kein Widerspruch gegen ein Bewusstsein als reines Epiphänomen.


depth hat folgendes geschrieben:
Ich habe in letzter Zeit einiges über Hirnforschung gelesen, die Bewusstsein als emergentes Phänomen beschreibt. Was ich mich frage ist nun folgendes:
Wenn Bewusstsein rein emergent wäre, könnte es als reine Begleiterscheinung von Denkprozessen doch auch keine kausale Rückwirkung auf diese haben.


Katatonia hat nun ausser "Emergenz" auch den Begriff "Epiphänomen" in die Diskussion eingestreut.


Zitat:
Titel: Bewusstsein und Evolution

Ich wollte darauf hinweisen, dass auch Lebewesen, die Schmerzen empfinden können, obwohl sie möglicherweise nichts besitzen, was man als Qualia bezeichnen könnte, schon folgende Eigenschaft haben bzw. zu folgendem fähig sind.

1. Ihr Organismus besitzt ein emergentes Phänomen nämlich Schmerzempfinden.

2. Dieses emergente Phänomen ist kein bloßes Epiphänomen. Ein Organismus der Schmerzen empfinden kann, wird auf die Ursache von Schmerz auch Wirkung zeigen. Diese Wirkung ist eine kausale Rückwirkung auf das Verhalten des Organismus, der Schmerz empfindet.

Evolutionär betrachtet, ist Schmerzempfinden eine emergente Eigenschaft, die sehr wahrscheinlich bereits vor der Qualia in der Evolutionsgeschichte auftauchte.

#7:  Autor: depthWohnort: Frankfurt BeitragVerfasst am: 07.03.2010, 01:04
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Zitat:

1. Ihr Organismus besitzt ein emergentes Phänomen nämlich Schmerzempfinden.

2. Dieses emergente Phänomen ist kein bloßes Epiphänomen. Ein Organismus der Schmerzen empfinden kann, wird auf die Ursache von Schmerz auch Wirkung zeigen. Diese Wirkung ist eine kausale Rückwirkung auf das Verhalten des Organismus, der Schmerz empfindet.

Evolutionär betrachtet, ist Schmerzempfinden eine emergente Eigenschaft, die sehr wahrscheinlich bereits vor der Qualia in der Evolutionsgeschichte auftauchte.


Beide Punkte verstehe ich und halte ich für vollkommen schlüssig. Die Frage ist nur: Ist es denkbar, dass ein Individuum, das eine bewusste Schmerzempfindung (Qualia) besitzt, Selektionsvorteile gegenüber einem Individuum hat, das lediglich über eine qualialose Schmerzverarbeitung verfügt?


Zuletzt bearbeitet von depth am 07.03.2010, 09:51, insgesamt einmal bearbeitet

#8:  Autor: King Lui BeitragVerfasst am: 07.03.2010, 03:01
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depth hat folgendes geschrieben:
Bei Punkte verstehe ich und halte ich für vollkommen schlüssig. Die Frage ist nur: Ist es denkbar, dass ein Individuum, das eine bewusste Schmerzempfindung (Qualia) besitzt, Selektionsvorteile gegenüber einem Individuum hat, das lediglich über eine qualialose Schmerzverarbeitung verfügt?


Zitat:
Ich habe in letzter Zeit einiges über Hirnforschung gelesen, die Bewusstsein als emergentes Phänomen beschreibt. Was ich mich frage ist nun folgendes:
Wenn Bewusstsein rein emergent wäre, könnte es als reine Begleiterscheinung von Denkprozessen doch auch keine kausale Rückwirkung auf diese haben. Folglich wäre es also ausgeschlossen, dass es eine evolutionäre Erklärung für das Phänomen Bewusstsein geben könnte, denn es wäre für den Überlebens- und Fortpflanzungserfolg eines Individuums unerheblich ob es nur denkt (z.b. rein algorithmisch) oder ob es sich dessen auch bewusst ist.


Zuerst einmal wollte ich klarstellen, das meiner Meinung nach die Aussage von Katatonia sehr plausibel ist, dass emergente Phänomene kein blosses Epiphänomen sein müssen und in Bezug auf deine konkrete Frage auch nicht sind. Diese These wäre selbst ohne Qualia nicht schlüssig, und wenn man sie in Bezug auf evolutionäre Prozesse näher analysieren möchte, halte ich es für sinnvoll, hier bereits bei leichter zu verstehenden emergenten Phänomenen anzusetzen, wie beispielsweise dem Schmerzempfinden.

Ein Individuum, das außer Schmerzempfinden oder ähnlichen sensorischen Fähigkeiten auf die es eine kausale Wirkung zeigt, auch noch eine Qualia besitzt, hat einen Selektionsvorteil. Dieser wird aber erst dann deutlich erkennbar, wenn es auch noch Schlußfolgerungen darüber anstellen kann, was es über die Qualia bewußt wahrnimmt und - eben nicht ohne kausale Rückwirkung - diesen Schlussfolgerungen auch Handlungen folgen lassen kann.

Dieser Selektionsvorteil ist aber nicht absolut, obwohl berzugnehmend auf die menschliche Bevölkerungsexplosion in ihm doch einiges Potential steckt.

Das Potential, das manchen Bakterien aus evolutionärer Sicht innewohnt, ganz ohne Qualia, werte ich aber auch als sehr erstaunlich. Ich könnte diese Wertung aber ohne Qualia gar nicht durchführen.

#9: Re: Bewusstsein und Evolution Autor: Katatonia BeitragVerfasst am: 07.03.2010, 04:50
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depth hat folgendes geschrieben:

Aber man könnte sich doch auch vorstellen, dass es eine Software oder einen Roboter geben könnte, der in der Lage wäre, vollständig wie ein Mensch zu agieren und zu kommunizieren. Hätte diese Maschine dann per Definition ein Bewusstsein? Oder gibt es irgendeine beobachtbare Qualität, von der man sagen kann, dass sie nur möglich ist, wenn ein Bewusstsein am Werke ist?


depth hat folgendes geschrieben:
Bei Punkte verstehe ich und halte ich für vollkommen schlüssig. Die Frage ist nur: Ist es denkbar, dass ein Individuum, das eine bewusste Schmerzempfindung (Qualia) besitzt, Selektionsvorteile gegenüber einem Individuum hat, das lediglich über eine qualialose Schmerzverarbeitung verfügt?


Ich denke, die Frage ist falsch gestellt, denn du beziehst dich bei deiner Überlegung offensichtlich auf Individuen, die sich abgesehen vom Bewusstseinsaspekt nicht voneinander unterscheiden. Aber diese Alternative gab und gibt es nicht in der Evolution. Bewusstsein ist nicht ablösbar von bestimmter Neuronenaktivität, sondern besteht in ihr. Deine Frage wäre so gesehen vergleichbar mit derjenigen, ob es nicht auch Eiswürfel ohne die emergente Eigenschaft der Kälte geben könnte.

#10:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 07.03.2010, 07:17
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King Lui hat folgendes geschrieben:
.....
Weiter gibt es den philosophischen Begriff der Qualia. Aber auch dieser ist untrennbar mit neurologischen Prozessen verbunden, ebenso wie Schmerzen.....

Den Begriff habe ich auch schon gehört. Allerdings konnte mir bis jetzt noch niemand erkären, was das denn genau sein und wofür das nötig sein soll.

Nachdem Du ihn hier unbenutzt einfach hast fallenlassen - kannst Du mir hier weiterhelfen?

fwo

#11: Re: Bewusstsein und Evolution Autor: depthWohnort: Frankfurt BeitragVerfasst am: 07.03.2010, 10:01
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Katatonia hat folgendes geschrieben:

Ich denke, die Frage ist falsch gestellt, denn du beziehst dich bei deiner Überlegung offensichtlich auf Individuen, die sich abgesehen vom Bewusstseinsaspekt nicht voneinander unterscheiden. Aber diese Alternative gab und gibt es nicht in der Evolution. Bewusstsein ist nicht ablösbar von bestimmter Neuronenaktivität, sondern besteht in ihr. Deine Frage wäre so gesehen vergleichbar mit derjenigen, ob es nicht auch Eiswürfel ohne die emergente Eigenschaft der Kälte geben könnte.


Ist das wirklich zwingend? Was wir aus Experimenten wissen ist, dass Bewusstsein ohne neuronale Aktivität nicht existiert. Das heisst aber nicht, dass umgekehrt jede neuronale Reizverarbeitung automatisch Bewusstsein erzeugen muss. Auch die Informatik kennt neuronale Algorithmen zur Signalverarbeitung, die wunderbar funktionieren. Besitzen diese Bewusstsein? (Falls ja, müsste man ethische Bedenken haben, diese Programme zu stoppen.)

#12:  Autor: depthWohnort: Frankfurt BeitragVerfasst am: 07.03.2010, 10:10
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King Lui hat folgendes geschrieben:

Ein Individuum, das außer Schmerzempfinden oder ähnlichen sensorischen Fähigkeiten auf die es eine kausale Wirkung zeigt, auch noch eine Qualia besitzt, hat einen Selektionsvorteil. Dieser wird aber erst dann deutlich erkennbar, wenn es auch noch Schlußfolgerungen darüber anstellen kann, was es über die Qualia bewußt wahrnimmt und - eben nicht ohne kausale Rückwirkung - diesen Schlussfolgerungen auch Handlungen folgen lassen kann.


Aber was ist die Begründung für den Selektionsvorteil? Weicht ein Individuum Übeln besser aus, nur weil Schmerz wirklich bewusst weh tut? Ich denke, ein bewusstseinsloses Individuum, dem eine Mutation eine verbesserte Signalverabeitung beschert, mit der es Übeln besser ausweicht, muss exakt den gleichen Selektionsvorteil besitzen.

King Lui hat folgendes geschrieben:

Das Potential, das manchen Bakterien aus evolutionärer Sicht innewohnt, ganz ohne Qualia, werte ich aber auch als sehr erstaunlich. Ich könnte diese Wertung aber ohne Qualia gar nicht durchführen.


Selbstverständlich könnte man auch ohne Qualia Dinge bewerten. Mit Wertung meine ich, das Einbeziehen von Tatsachen in zukünftige Handlungsweisen. Jede signalverarbeitende Software bewertet Reize, sie ist sich ihrer wohl nur nicht bewusst.

#13:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 07.03.2010, 10:19
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King Lui hat folgendes geschrieben:
Es gibt eine streng naturwissenschaftliche Sichtweise auf das Bewußtsein, das in seinem Reduktionismus vor allem für Anästhesisten bedeutsam ist.

Den Satz verstehe ich - evtl. schon grammatikalisch - nicht.

Falls Du hier aussagen willst, daß eine streng naturwissenschaftliche Sichtweise auf das Bewußtsein vor allem für Anästhesisten bedeutsam sei, so widerspreche ich. Eine streng naturwissenschaftliche Sichtweise bietet noch die beste Chance, Bewußtsein zu erklären.

"Bewußtsein" ist ja ziemlich schlecht definiert, besonders Philosophen konnten sich (im Gegensatz zu den Anästhesisten beispielsweise) bisher nicht entfernt auf eine Definition einigen. Ich persönlich meine, daß das, was meist unter "Bewußtsein" verstanden wird, so etwas ist wie die Fähigkeit, neben der Modellierung der Welt (z.B. der Verarbeitung von Sinnesreizen) auch diesen Modellierungsvorgang selbst abzubilden. Vielleicht kann man sogar jeden Wahrnehmungsvorgang als rudimentäres Bewußtsein ansehen. Etwas grob ausgedrückt, gehört also mE nicht sehr viel dazu, damit eine Wahrnehmung "bewußt" ist.

#14: Re: Bewusstsein und Evolution Autor: Katatonia BeitragVerfasst am: 07.03.2010, 15:28
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depth hat folgendes geschrieben:
Katatonia hat folgendes geschrieben:

Ich denke, die Frage ist falsch gestellt, denn du beziehst dich bei deiner Überlegung offensichtlich auf Individuen, die sich abgesehen vom Bewusstseinsaspekt nicht voneinander unterscheiden. Aber diese Alternative gab und gibt es nicht in der Evolution. Bewusstsein ist nicht ablösbar von bestimmter Neuronenaktivität, sondern besteht in ihr. Deine Frage wäre so gesehen vergleichbar mit derjenigen, ob es nicht auch Eiswürfel ohne die emergente Eigenschaft der Kälte geben könnte.


Ist das wirklich zwingend? Was wir aus Experimenten wissen ist, dass Bewusstsein ohne neuronale Aktivität nicht existiert. Das heisst aber nicht, dass umgekehrt jede neuronale Reizverarbeitung automatisch Bewusstsein erzeugen muss.

Ja, das trifft natürlich nicht auf jede zu. Nur ab einer gegebenen Komplexitätsstufe und bei bestimmten Neuronenaktivitäten (so z.B. wahrscheinlich synchrones Feuern gewisser Nervenzellverbände) ist dies der Fall.

#15:  Autor: King Lui BeitragVerfasst am: 07.03.2010, 17:41
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step hat folgendes geschrieben:
King Lui hat folgendes geschrieben:
Es gibt eine streng naturwissenschaftliche Sichtweise auf das Bewußtsein, das in seinem Reduktionismus vor allem für Anästhesisten bedeutsam ist.

Den Satz verstehe ich - evtl. schon grammatikalisch - nicht.

Falls Du hier aussagen willst, daß eine streng naturwissenschaftliche Sichtweise auf das Bewußtsein vor allem für Anästhesisten bedeutsam sei, so widerspreche ich. Eine streng naturwissenschaftliche Sichtweise bietet noch die beste Chance, Bewußtsein zu erklären.

"Bewußtsein" ist ja ziemlich schlecht definiert, besonders Philosophen konnten sich (im Gegensatz zu den Anästhesisten beispielsweise) bisher nicht entfernt auf eine Definition einigen. Ich persönlich meine, daß das, was meist unter "Bewußtsein" verstanden wird, so etwas ist wie die Fähigkeit, neben der Modellierung der Welt (z.B. der Verarbeitung von Sinnesreizen) auch diesen Modellierungsvorgang selbst abzubilden. Vielleicht kann man sogar jeden Wahrnehmungsvorgang als rudimentäres Bewußtsein ansehen. Etwas grob ausgedrückt, gehört also mE nicht sehr viel dazu, damit eine Wahrnehmung "bewußt" ist.

Ich bin mir noch nicht im klaren, was "Bewußtsein" eigentlich ist, und nicht zuletzt deswegen habe ich mich hier an der Diskussion überhaupt beteiligt, und möglicherweise auch einige unsortierte Überlegungen geäußert. Wir sind hier in einem Diskussionsforum, und vielleicht kommt ja etwas interessantes bei der Diskussion heraus. Wenn du meine unsortierten Gedanken nicht verstanden hast, dürfte das eher an mir liegen.

Neuansatz:
Ich halte es für erfolgversprechend sich damit näher auseinanderzusetzen, was Anästhesisten nun eigentlich betäuben. Ist es Bewußtsein, oder etwas anderes?

Wie definieren Anästhesisten Bewußtsein? Ist ihre Definition tatsächlich klar?

Der Begriff "Bewußtsein" ist schlecht definiert. Zwischenzeitlich gibt es den Begriff "Qualia", der Bewußtsein oder einen Teilaspekt des Bewußtseins als ein subjektives Phänomen definiert. Kulturgeschichtlich dürfte es lange Zeit konsens gewesen sein, dass Bewußtsein ein objektives Faktum ist und nicht subjektiv. Ist Qualia ein Begriff, über den sich Philosophen, um eine Auseinandersetzung herumdrücken wollen, dass nicht sehr viel dazugehört, dass Wahrnehmung bewußt wird, oder wurde der Begriff nicht doch eher deswegen in den Sprachgebrauch übernommen, weil neuronale Prozesse eben vorrangig nicht bewußt funktionieren, auch nicht bei der Bewußtseinsbildung?

Ich habe nun einige Fragen gestellt, die ich für interessant halte und die wohl schon mit dem Thema dieses Strangs zu tun haben.

Die Fragen richten sich natürlich nicht konkret an dich, wenn ich nun auch auf deinen Beitrag eine Antwort, die Fragen beinhaltet, verfasst habe.

#16:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 07.03.2010, 18:10
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King Lui hat folgendes geschrieben:
Wie definieren Anästhesisten Bewußtsein? Ist ihre Definition tatsächlich klar?

Auch nicht wirklich. Aber sie haben klare Ziele, nämlich Schmerzfreiheit, evtl. auch noch Fehlen der Erinnerung. Sie stellen also z.B. empirisch fest, daß Schmerz meist nicht mehr wahrgenommen wird, wenn bestimmte Thalamus-Funktionen ausgeschaltet werden. Damit wissen sie zwar nicht, wie Bewußtsein zustandekommt, aber sie kömnnen es ausschalten.

Mir ging es darum, daß die Naturwissenschaft nicht nur mit einem solchen Ansatz an Bewußtsein herangeht, sondern versucht, kausale Mechanismen zu finden, die zu Phänomenen führen, die wir i.a. als "bewußt" bezeichnen, z.B. die Gerichtetheit der Wahrnehmung und die Beziehung ihrer Resultate auf einen Kontext.

Ich habe noch kein gutes Argument gelesen, wieso man Tieren oder auch entsprechend ausgestatteten Maschinen "(bewußte) Wahrnehmung" absprechen sollte. Die das tun, geben meistens auf Nachbohren hin zu, daß sie etwas viel engeres meinen als Bewußtsein, nämlich Personalität, oder gar menschliche Personalität.

#17: 40-Hertz-Feuer und Spiegelneurone Autor: Tso Wang BeitragVerfasst am: 07.03.2010, 18:48
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Katatonia hat folgendes geschrieben:
depth hat folgendes geschrieben:

Wenn Bewusstsein rein emergent wäre, könnte es als reine Begleiterscheinung von Denkprozessen doch auch keine kausale Rückwirkung auf diese haben.

Bewusstsein ist nicht emergent im Sinne eines bloßen Epiphänomens, sondern untrennbar mit neuronalen Prozessen verbunden - es besteht quasi in der Aktivität und im Zusammenspiel bestimmter Neuronenverbände.



.

Ja, das sog. 40-Hertz-Neuronenfeuer, das auch beim Autismus ("Spiegelneurone") eine besondere Rolle zu spielen scheint.

()

#18: Re: 40-Hertz-Feuer und Spiegelneurone Autor: Tso Wang BeitragVerfasst am: 09.03.2010, 16:38
    —
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Möglicherweise sind besagte Spiegelneuronen ein wichtiges Phänomen der kulturellen/ sozialen Evolution des Menschen.

Ein Spiel von Spiegeln

()

#19: Re: 40-Hertz-Feuer und Spiegelneurone Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 09.03.2010, 20:23
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Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Möglicherweise sind besagte Spiegelneuronen ein wichtiges Phänomen der kulturellen/ sozialen Evolution des Menschen.

Das mag gut sein, zielt aber eher in Richtung eines Selbstmodells. Fürs einfache "bewußte Wahrnehmen" benötigt man wohl keine Spiegelneuronen.

#20: Re: 40-Hertz-Feuer und Spiegelneurone Autor: Tso Wang BeitragVerfasst am: 10.03.2010, 11:58
    —
step hat folgendes geschrieben:
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Möglicherweise sind besagte Spiegelneuronen ein wichtiges Phänomen der kulturellen/ sozialen Evolution des Menschen.

Das mag gut sein, zielt aber eher in Richtung eines Selbstmodells. Fürs einfache "bewußte Wahrnehmen" benötigt man wohl keine Spiegelneuronen.



.

Das bewußte Wahrnehmen ist mit dem Selbstmodell ("Selbstbewußtsein") vermutlich eng verknüpft. Inwieweit das bewußte Wahrnehmen bei Lernprozesen - beispielsweise in der kindlichen Sprachentwicklung ("Imitieren auditiver Signale") oder das "sich-selbst-mit-den-Augen-der-anderen-Sehen" (Selbstbwewußtsein, Selbstreflexion, Introspektion) - mit dem weitestgehend außerhalb der bewußtseinsfähigen Großhirnrinde liegenden Spiegelneuronensystem interagiert, ist derzeit von großem Interesse in der Forschung. Da gibt's bestimmt noch einige Überraschungen.

()

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http://www.spektrum.de/artikel/870219&_z=798888
http://www.gehirn-und-geist.de/artikel/859922&_z=798884
http://wwwuser.gwdg.de/~glauer/Publikationen/downloads/lauer_spiegelneuronen.pdf
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/zeitreisen/423092/

#21:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 20.03.2010, 07:39
    —
King Lui hat folgendes geschrieben:

Ich wollte darauf hinweisen, dass auch Lebewesen, die Schmerzen empfinden können, obwohl sie möglicherweise nichts besitzen, was man als Qualia bezeichnen könnte, …


Man kann keine Schmerzen haben, ohne deren Schmerzhaftigkeit (ein "Quale") zu spüren.
Ein Satz wie "Er hat große Schmerzen, aber zum Glück spürt er sie nicht" ist widersinnig.

#22:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 20.03.2010, 07:55
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
King Lui hat folgendes geschrieben:
.....
Weiter gibt es den philosophischen Begriff der Qualia. Aber auch dieser ist untrennbar mit neurologischen Prozessen verbunden, ebenso wie Schmerzen.....

Den Begriff habe ich auch schon gehört. Allerdings konnte mir bis jetzt noch niemand erkären, was das denn genau sein und wofür das nötig sein soll.


Ein Quale (Plural "Qualia) als eine "Anmutungsqualität" ist eine besondere Art und Weise, wie sich ein Erlebnis innerlich anfühlt, wie es auf einem innerlich wirkt. Nimm den Geruch von Essig als Beispiel. Wenn du weißt, wie Essig riecht, dann kennst du die Qualia des Geruchserlebnisses mit der Beschreibung "Riechen an Essig".


Zuletzt bearbeitet von Myron am 20.03.2010, 08:05, insgesamt einmal bearbeitet

#23:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 20.03.2010, 08:01
    —
King Lui hat folgendes geschrieben:

Der Begriff "Bewußtsein" ist schlecht definiert.


Ein Bewusstsein haben, bei Bewusstsein sein heißt Erlebnisse haben, d.h. Empfindungen, Gefühle, Stimmungen, Gedanken oder Vorstellungen haben.
Ein bewusstes Lebewesen lebt nicht nur, es erlebt sich und seine Umwelt.

#24:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 20.03.2010, 11:05
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Wenn du weißt, wie Essig riecht, dann kennst du die Qualia des Geruchserlebnisses mit der Beschreibung "Riechen an Essig".

Diese Formulierung trägt aber den Kern des Problems bereits in sich: "Ich kenne die Qualia" suggeriert, die Qualia seien etwas über die Wahrnehmung, die Identifikation eines Musters, die damit verbundenen Gefühlsreaktionen ... Hinausgehendes, etwas z.B. die "Röte an sich" Ausmachendes.

Erst mit dieser Mystifizierung ergibt sich mE das Qualia-Scheinproblem. Daß die mit der (chemisch wohldefinierten) Wahrnehmung von Essig verbundenen Gefühle und Assoziationen individuell verschieden sind, ist eigentlich eine Trivialität.

#25:  Autor: Grotemson BeitragVerfasst am: 20.03.2010, 14:14
    —
Mit Bewusstsein wird- zusätzlich zu der des Erlebens- natürlich die Ebene des Selbst-Bewusstseins gezählt. Ich denke, die zusammen getragenen Aspekte hier geben bereits ein anständiges Bild.
Gefährlich und zentral für diese Diskussion, wieder zusätzlich und ergänzend der Frage nach den Qualia, ist die Frage, ob Bewusstsein überhaupt neurale Vorgänge reduzierbar ist, eine Frage, die interesanterweise Hirforscher für gelöst und Pilosophe für weitgehend ungelöst halten, genau wie bei der Definition des Bewusstseins. Zentral dürfte außerdem der Begriff der Supervenienz sein, das bedeutet, wer superveniert hier über wen(und warum eigentlich?).
Es ist durchaus nicht offensichtlich, wie sich etwas Nichtmaterielles additiv aus materiellen Vorgängen zusammensetzen soll, vor allem etwas so kartesianisch Selbstevidentes wie Schmerz, bzw. Schmerzempfinden, was hier ja qua Berkleys Formel esse est percipi dasselbe ist. Zweifelt man an dieser, heutzutage von Neurobiologen vertretenen und extrem reduktionistischen Sichtweise, ist es auch zweifelhaft, inwiefern das Bewusstsein überhaupt durch "gewöhnliche" evolutionäre Prozesse beeinflusst wird und mit ihnen in Zusammenhang gebracht werden kann. Könnte es nicht auch sein, dass die Frage nach dem Selektionsvorteil des Bewusstseins auch insofern verfehlt ist, als es eben keinen hat? Vielleicht gibt es ja eine gesonderte "geistige" Evolution, die gänzlich andere Formen annimmt.
Zuletzt: Hat hier Jemand schon Metzings Buch: "Der Ego Tunnel" gelesen? Ich denke, es berührt auch dieses Thema.

#26:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 20.03.2010, 14:58
    —
step hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Wenn du weißt, wie Essig riecht, dann kennst du die Qualia des Geruchserlebnisses mit der Beschreibung "Riechen an Essig".

Diese Formulierung trägt aber den Kern des Problems bereits in sich: "Ich kenne die Qualia" suggeriert, die Qualia seien etwas über die Wahrnehmung, die Identifikation eines Musters, die damit verbundenen Gefühlsreaktionen ... Hinausgehendes, etwas z.B. die "Röte an sich" Ausmachendes.

Erst mit dieser Mystifizierung ergibt sich mE das Qualia-Scheinproblem. Daß die mit der (chemisch wohldefinierten) Wahrnehmung von Essig verbundenen Gefühle und Assoziationen individuell verschieden sind, ist eigentlich eine Trivialität.

Jupp. Eigentlich reicht hier die "persönliche Empfindung" bzw. die Erinnerung daran. Ein besonderer Sinn der Einführung dieser Qualia erschließt sich mir nicht aus dieser Antwort.

fwo

#27:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 20.03.2010, 15:10
    —
Grotemson hat folgendes geschrieben:
... etwas Nichtmaterielles ...

Ja, wenn man erstmal von etwas "Nichtmateriellem" spricht, wird es natürlich schwierig zu zeigen, wie es mit Materiellem interagiert. Daran verausgaben sich dann Tausende von Philospohen, Theologen, Esoterikern usw.

Grotemson hat folgendes geschrieben:
Zuletzt: Hat hier Jemand schon Metzings Buch: "Der Ego Tunnel" gelesen? Ich denke, es berührt auch dieses Thema.

Ja, unter anderem ich, und habe es auch schon empfohlen hier im Forum. Vor allem der erste und der dritte Teil sind mE lesenswert.

#28:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 20.03.2010, 15:21
    —
Grotemson hat folgendes geschrieben:
.....
Es ist durchaus nicht offensichtlich, wie sich etwas Nichtmaterielles additiv aus materiellen Vorgängen zusammensetzen soll, vor allem etwas so kartesianisch Selbstevidentes wie Schmerz, bzw. Schmerzempfinden, was hier ja qua Berkleys Formel esse est percipi dasselbe ist. Zweifelt man an dieser, heutzutage von Neurobiologen vertretenen und extrem reduktionistischen Sichtweise, ist es auch zweifelhaft, inwiefern das Bewusstsein überhaupt durch "gewöhnliche" evolutionäre Prozesse beeinflusst wird und mit ihnen in Zusammenhang gebracht werden kann. Könnte es nicht auch sein, dass die Frage nach dem Selektionsvorteil des Bewusstseins auch insofern verfehlt ist, als es eben keinen hat? Vielleicht gibt es ja eine gesonderte "geistige" Evolution, die gänzlich andere Formen annimmt.....

Auf der Informationsebene ist das, was während ich das hier tippe, in meinem Rechner abläuft, ähnlich "nichtmateriell" wie das, was ich gerade formuliere. Troztdem halte ich unsere reduktionistische Sicht von Computern für hinreichend, sie zu beschreiben.
Die Frage, ob eine Eigenschaft, die in einer evolutionär entstandenen Welt des Lebendigen weit verbreitet und in ihrer Ausprägung artspezifisch ist, einen evolutionären Vorteil hat oder nicht, ist allerdings müßig. Hätte sie den nicht, wäre das Verbreitungsmuster ein anderes, wenn ich davon ausgehe, dass überhaupt eine Eigenschaft eines Lebewesens geben kann, die keinen Einfluss auf seine Fittness hat.
Eine geistige Evolution gibt es durchaus, die ist auch bekannt und wird bereits beschrieben - von unseren Geisteswissenschaften: Ihr Objekt ist die Kultur (bitte hier im biologischen Kontext zu verstehen).

fwo

#29:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 20.03.2010, 15:26
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Eigentlich reicht hier die "persönliche Empfindung" bzw. die Erinnerung daran. Ein besonderer Sinn der Einführung dieser Qualia erschließt sich mir nicht aus dieser Antwort.

'Qualia' ist ein Wort für "persönliche Empfindungen" bzw. subjektive Erlebnisgehalte.

Daraus ergibt sich das Erklärungslückenargument.

#30:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 20.03.2010, 15:31
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Eigentlich reicht hier die "persönliche Empfindung" bzw. die Erinnerung daran. Ein besonderer Sinn der Einführung dieser Qualia erschließt sich mir nicht aus dieser Antwort.
'Qualia' ist ein Wort für "persönliche Empfindungen" bzw. subjektive Erlebnisgehalte.

Daraus ergibt sich das Erklärungslückenargument.

... welches jedoch nur aussagt, daß wir noch keine vollständige Erklärung von bewußtem Erleben haben.

Das klassische Qualia-Argument wurde aber verwendet, um zu behaupten, es sei gar nicht möglich, bewußtes Erleben materiell zu erklären.

#31:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 20.03.2010, 15:48
    —
step hat folgendes geschrieben:
... welches jedoch nur aussagt, daß wir noch keine vollständige Erklärung von bewußtem Erleben haben.

Genau.

step hat folgendes geschrieben:
Das klassische Qualia-Argument wurde aber verwendet, um zu behaupten, es sei gar nicht möglich, bewußtes Erleben materiell zu erklären.

Mag sein, meiner Meinung nach ist es dazu aber nicht geeignet. Vielleicht sind subjektive Erlebnisgehalte mal erklärbar, vielleicht auch nicht; wer kann schon zuverlässig sagen, welche neuen Erkenntnisse wir morgen haben? Da würde man sich etwas zu weit aus dem Fenster lehnen.

Jedoch ist das mE heutzutage eine offene Frage, die Erklärungslücke besteht, das bleibt festzuhalten.

#32:  Autor: Grotemson BeitragVerfasst am: 20.03.2010, 18:18
    —
Zitat:
Ja, wenn man erstmal von etwas "Nichtmateriellem" spricht, wird es natürlich schwierig zu zeigen, wie es mit Materiellem interagiert. Daran verausgaben sich dann Tausende von Philospohen, Theologen, Esoterikern usw.

Und deswegen ist es besser, erst gar nicht darüber zu sprechen??(Obwohl die Existenz von Gedanken offensichtlicher nicht sein könnte)

Zitat:
Ja, unter anderem ich, und habe es auch schon empfohlen hier im Forum. Vor allem der erste und der dritte Teil sind mE lesenswert.

Im Gegensatz zu dieser Meinung habe ich in meinem Umfeld bisher nur Schlechtes über das Buch gehört, unter anderem, dass sich Metzing die Argumente von Castaneda(wie geht dieses N mit der Welle?) nicht gut genug duchgelesen hat, also gar nicht. Auf jeden Fall werde ich es mir zulegen.




Zitat:
Auf der Informationsebene ist das, was während ich das hier tippe, in meinem Rechner abläuft, ähnlich "nichtmateriell" wie das, was ich gerade formuliere. Troztdem halte ich unsere reduktionistische Sicht von Computern für hinreichend, sie zu beschreiben.

Ich denke, dass dieser Vergleich völlig verfehlt ist und auf mindestens einem Bein schwer hinkt. Die Tatsache, dass ich, was du getippt hast, lesen kann, ist sehr wohl vom Computer abhängig, denn er hat erst ermöglicht, dass du es auf virtuelles Papier bannen konntest. Das hat aber rein gar nichts mit der Existenz von Gedanken per se zu tun, nur mit ihrer Sichtbarmachung. Du kannst also nicht von diesem Beispiel auf das Gehirn und den Geist schließen.

Zitat:
Die Frage, ob eine Eigenschaft, die in einer evolutionär entstandenen Welt des Lebendigen weit verbreitet und in ihrer Ausprägung artspezifisch ist, einen evolutionären Vorteil hat oder nicht, ist allerdings müßig.

Sie ist insofern müßig, als ihre evolutionsbiologische Antwort eine Art Zirkularität bildet. Wenn ich davon ausgehe, dass eine so weit verbreitete "Eigenschaft"(dass das Bewusstsein keine Eigenschaft ist, beiseite gelassen), nur durch Selektion zu ihrer jetzigen Ausbreitung gekommen ist, dann ist das Bewusstsein natürlich in den evolutionären Prozessen involviert. Aber das ist zirkulär. Gerade OB es durch Selrktions berührt werden kann, ist ja die Frage. Man kann sie somit nicht mit dem Rekurs auf evolutionsbiologische Prämissen beantworten.

#33:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 20.03.2010, 18:41
    —
Grotemson hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wenn man erstmal von etwas "Nichtmateriellem" spricht, wird es natürlich schwierig zu zeigen, wie es mit Materiellem interagiert. Daran verausgaben sich dann Tausende von Philospohen, Theologen, Esoterikern usw.
Und deswegen ist es besser, erst gar nicht darüber zu sprechen??

Du meinst von "Nichtmateriellem"? Definier das doch mal.

Grotemson hat folgendes geschrieben:
(Obwohl die Existenz von Gedanken offensichtlicher nicht sein könnte)

Ja und? Wo ist da jetzt was "nichtmateriell"? Wenn Du "materiell" so eng definierst, daß es nur die Elementarteilchen sind, dann ist sogar eine "Zahnbürste" nichtmateriell, denn "ihre" (?) Form & Funktion spiegeln mehr wieder als nur das, was durch "ihre" (?) Elementarteilchen gegeben ist.

#34:  Autor: ShadaikWohnort: MG BeitragVerfasst am: 20.03.2010, 20:51
    —
Grotemson hat folgendes geschrieben:
Mit Bewusstsein wird- zusätzlich zu der des Erlebens- natürlich die Ebene des Selbst-Bewusstseins gezählt. Ich denke, die zusammen getragenen Aspekte hier geben bereits ein anständiges Bild.
Für mich sieht das eher aus, als würde man einen undefinierten Bdegriff durch fünf andere undefinierte Begriffe umschreiben.

#35:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 20.03.2010, 21:03
    —
step hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Wenn du weißt, wie Essig riecht, dann kennst du die Qualia des Geruchserlebnisses mit der Beschreibung "Riechen an Essig".

Diese Formulierung trägt aber den Kern des Problems bereits in sich: "Ich kenne die Qualia" suggeriert, die Qualia seien etwas über die Wahrnehmung, die Identifikation eines Musters, die damit verbundenen Gefühlsreaktionen ... Hinausgehendes, etwas z.B. die "Röte an sich" Ausmachendes.


Nö, eigentlich nicht.
Die Qualia eines Erlebnisses, einer Erfahrung zu kennen, heißt nichts anderes, als zu wissen, wie es ist, das Erlebnis/die Erfahrung zu haben.

"Feelings and experiences vary widely. For example, I run my fingers over sandpaper, smell a skunk, feel a sharp pain in my finger, seem to see bright purple, become extremely angry. In each of these cases, I am the subject of a mental state with a very distinctive subjective character. There is something it is like for me to undergo each state, some phenomenology that it has. Philosophers often use the term ‘qualia’ (singular ‘quale’) to refer to the introspectively accessible, phenomenal aspects of our mental lives. In this standard, broad sense of the term, it is difficult to deny that there are qualia."
———
"Gefühle und Erlebnisse variieren beträchtlich. Ich fahre beispielsweise mit meinen Fingern über Sandpapier, rieche ein Stinktier, spüre einen stechenden Schmerz in meinem Finger, scheine ein leuchtendes Lila zu sehen, werde äußerst wütend. In jedem dieser Fälle bin ich das Subjekt eines Geisteszustandes mit einem ganz eigenen subjektiven Charakter. Es gibt eine bestimmte Weise, wie es für mich ist, einen solchen Zustand zu erleben, eine bestimmte Erscheinungsweise, die er hat. Die Philosophen benutzen den Ausdruck 'Qualia' (Singular 'Quale') oft, um auf die introspektiv zugänglichen, phänomenellen Aspekte unseres Geisteslebens Bezug zu nehmen. Ausgehend von diesem weiten Standardsinn des Wortes, ist es schwierig zu leugnen, dass es Qualia gibt."

[© meine Übers.]

(http://plato.stanford.edu/entries/qualia)

#36:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 20.03.2010, 21:06
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Die Qualia eines Erlebnisses, einer Erfahrung zu kennen, heißt nichts anderes, als zu wissen, wie es ist, das Erlebnis/die Erfahrung zu haben.

Wo ist dann der Unterschied zwischen
"ein Erlebnis kennen"
und
"die Qualia eines Erlebnisses kennen"
?

#37:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 20.03.2010, 21:17
    —
Grotemson hat folgendes geschrieben:
Mit Bewusstsein wird- zusätzlich zu der des Erlebens- natürlich die Ebene des Selbst-Bewusstseins gezählt.


Bewusstsein ist nicht gleich Selbstbewusstsein, d.h. höheres Bewusstsein des Bewusstseins.
Letzteres setzt begriffliche oder sprachliche Fähigkeiten voraus, wie wir sie nur bei hochentwickelten Säugetieren finden. Denn ohne diese Fähigkeiten kann ein Tier keine Vorstellung von sich selbst und der Vergangenheit sowie der Zukunft entwickeln.

Grotemson hat folgendes geschrieben:

Zentral dürfte außerdem der Begriff der Supervenienz sein, das bedeutet, wer superveniert hier über wen(und warum eigentlich?).


Aus neurowissenschaftlicher und allgemein aus materialistischer Sicht sind es bekanntlich die psychischen Eigenschaften, die von den physischen Eigenschaften abhängig sind und davon bestimmt werden.

Grotemson hat folgendes geschrieben:

Es ist durchaus nicht offensichtlich, wie sich etwas Nichtmaterielles additiv aus materiellen Vorgängen zusammensetzen soll, vor allem etwas so kartesianisch Selbstevidentes wie Schmerz, bzw. Schmerzempfinden, was hier ja qua Berkleys Formel esse est percipi dasselbe ist.


Emergente Eigenschaften sind ja gerade Eigenschaften komplexer Systeme, die nicht durch bloße "Addition" von Eigenschaften der einfachen Systemelemente hervorgebracht werden.
Bewusstseinserzeugung ist etwas ganz anderes als Bauklötzchenstapeln.

#38:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 20.03.2010, 21:24
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Eigentlich reicht hier die "persönliche Empfindung" bzw. die Erinnerung daran. Ein besonderer Sinn der Einführung dieser Qualia erschließt sich mir nicht aus dieser Antwort.


Es geht bei den Qualia um den besonderen, eigentümlichen subjektiven Charakter (u.a.) von Empfindungen, d.h. darum, wie es sich für einen anfühlt, eine bestimmte Empfindung zu haben.

#39: Re: Bewusstsein und Evolution Autor: Myron BeitragVerfasst am: 20.03.2010, 21:26
    —
depth hat folgendes geschrieben:
Was wir aus Experimenten wissen ist, dass Bewusstsein ohne neuronale Aktivität nicht existiert. Das heisst aber nicht, dass umgekehrt jede neuronale Reizverarbeitung automatisch Bewusstsein erzeugen muss.


Das ist ja auch nicht der Fall. Nicht jeder neuronale Prozess ist ein psychoneuronaler Prozess.

#40:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 20.03.2010, 21:31
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

'Qualia' ist ein Wort für "persönliche Empfindungen" bzw. subjektive Erlebnisgehalte.


Genauer gesagt: ein Wort für die subjektiven Erscheinungsweisen von Empfindungen, Gefühlen usw.

#41:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 20.03.2010, 21:37
    —
step hat folgendes geschrieben:

Wo ist dann der Unterschied zwischen
"ein Erlebnis kennen"
und
"die Qualia eines Erlebnisses kennen"
?


Ein Erlebnis kennt man, wenn man es gehabt hat; und während man es hat, lernt man dessen Qualia kennen.

#42:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 20.03.2010, 21:44
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:

Wo ist dann der Unterschied zwischen
"ein Erlebnis kennen"
und
"die Qualia eines Erlebnisses kennen"
?
Ein Erlebnis kennt man, wenn man es gehabt hat; und während man es hat, lernt man dessen Qualia kennen.

Nice try. zwinkern

Idee Meine Freundin kenne ich, wenn ich sie gehabt habe; und während ich sie habe, lerne ich ihre Qualitäten kennen ...


Zuletzt bearbeitet von step am 20.03.2010, 22:27, insgesamt einmal bearbeitet

#43:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 20.03.2010, 22:25
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Eigentlich reicht hier die "persönliche Empfindung" bzw. die Erinnerung daran. Ein besonderer Sinn der Einführung dieser Qualia erschließt sich mir nicht aus dieser Antwort.


Es geht bei den Qualia um den besonderen, eigentümlichen subjektiven Charakter (u.a.) von Empfindungen, d.h. darum, wie es sich für einen anfühlt, eine bestimmte Empfindung zu haben.

Am Kopf kratzen Wenn nun also die Qualia die Empfindungen der Empfindungen sind, was ist dann der Unterschied zur Empfindung oder zur Empfindung der Empfindung der Empfindung?

fwo

#44: Re: Bewusstsein und Evolution Autor: DominikWohnort: Deutschland BeitragVerfasst am: 20.03.2010, 22:44
    —
depth hat folgendes geschrieben:
Ich habe in letzter Zeit einiges über Hirnforschung gelesen, die Bewusstsein als emergentes Phänomen beschreibt. Was ich mich frage ist nun folgendes:
Wenn Bewusstsein rein emergent wäre, könnte es als reine Begleiterscheinung von Denkprozessen doch auch keine kausale Rückwirkung auf diese haben. Folglich wäre es also ausgeschlossen, dass es eine evolutionäre Erklärung für das Phänomen Bewusstsein geben könnte, denn es wäre für den Überlebens- und Fortpflanzungserfolg eines Individuums unerheblich ob es nur denkt (z.b. rein algorithmisch) oder ob es sich dessen auch bewusst ist.
Ist es aber nicht höchst unwahrscheinlich, dass sich ein solches Phänomen ohne Kontrolle eines evolutionären Prozesses entwickelt haben soll? Wäre dies nicht auch wie die berüchtigte spontane Boing 747 aus Schrott?
Weiss hier im Forum vielleicht jemand, ob es bereits Theorien gibt, die etwas über die Evolution des Bewusstseins aussagen?


2 gute Erklärungen: Theorie des sozialen Schachspiels. Formuliert von Richard Leakey in "Der Ursprung des Menschen". Darin werden gruppendynamische Prozesse als u.U. geistig besonders anspruchsvoll angenommen, weil Individuen von anderen als "soziale Werkzeuge" (etwa zum durchsetzten eigener interessen gegenüber anderen, also Politik, Lüge, Allianzen, ...) benutzt werden. Sehr geile Theorie, vor allem wenn man sich Schimpansengruppen anschaut oder Serien wie verbotene Liebe oder an die eigene jugend zurückdenkt.
Theorie vom geistigen Pfauenschwanz in "The Red Queen" von Mat Ridley. Arten entwickeln von umwelteinflüssen unabhängig seltsame eigenschaften einzig weil sie beim weibchen eindruck schinden, oder sie konkurrenten bekämpfen helfen. bsp: hirschgeweih, pfauenschwanz, großhirn. beste theorie meines wissens zZ.

#45:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 20.03.2010, 23:02
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Wenn nun also die Qualia die Empfindungen der Empfindungen sind, was ist dann der Unterschied zur Empfindung oder zur Empfindung der Empfindung der Empfindung?


Die Qualia sind als Erlebnisqualitäten Teil aller Erlebnisse wie der Empfindungen.

#46: Re: Bewusstsein und Evolution Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 20.03.2010, 23:30
    —
depth hat folgendes geschrieben:
Wenn Bewusstsein rein emergent wäre, könnte es als reine Begleiterscheinung von Denkprozessen doch auch keine kausale Rückwirkung auf diese haben.

Ist das wirklich so? Ich vermute, das ist ein Fehlschluss, der damit zusammenhängt, daß wir zwischen emergenter Reifikation und resuktionistischer Kausalität schwanken. Eine (wie üblich hinkende) Analogie:

Was hat kausale Rückwirkungen auf die Zähne, die Zahnbürste oder nur die Elementarteilchen, aus denen sie besteht?

#47: Re: Bewusstsein und Evolution Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 20.03.2010, 23:33
    —
Dominik hat folgendes geschrieben:
2 gute Erklärungen: Theorie des sozialen Schachspiels. Formuliert von Richard Leakey in "Der Ursprung des Menschen". Darin werden gruppendynamische Prozesse als u.U. geistig besonders anspruchsvoll angenommen, weil Individuen von anderen als "soziale Werkzeuge" (etwa zum durchsetzten eigener interessen gegenüber anderen, also Politik, Lüge, Allianzen, ...) benutzt werden. Sehr geile Theorie, vor allem wenn man sich Schimpansengruppen anschaut oder Serien wie verbotene Liebe oder an die eigene jugend zurückdenkt.

Das erklärt gar nichts.

Dominik hat folgendes geschrieben:
Theorie vom geistigen Pfauenschwanz in "The Red Queen" von Mat Ridley. Arten entwickeln von umwelteinflüssen unabhängig seltsame eigenschaften einzig weil sie beim weibchen eindruck schinden, oder sie konkurrenten bekämpfen helfen. bsp: hirschgeweih, pfauenschwanz, großhirn. beste theorie meines wissens zZ.

Ach ja? Und wieso haben dann Weibchen ebenso ein Großhirn?

Das Frage, das Rätsel hier ist: wenn (kausale) neuronale Prozesse für sich genommen hinreichende Ursachen für Verhalten sind, wozu dann zusätzlich ein subjektives Erleben? Das erscheint doch dann irgendwie überflüssig, doppelt gemoppelt. Wieso sollten bestimmte neuronale Prozesse 'geistig anspruchsvoll' sein und ein Bewusstsein benötigen? Welche Funktion hat Bewusstsein, wozu ist es gut? Oder hat es keine Funktion, ist nur ein verzichtbares Epiphänomen? Wozu überhaupt bewusstes Wissen, Erklärungen, Deutungen, Abstraktionen, Handlungen? Warum nicht einfach lediglich unbewusste Abläufe, Geschehnisse, durch neuronale Prozesse verursacht?

#48: Re: Bewusstsein und Evolution Autor: Myron BeitragVerfasst am: 20.03.2010, 23:45
    —
step hat folgendes geschrieben:
depth hat folgendes geschrieben:
Wenn Bewusstsein rein emergent wäre, könnte es als reine Begleiterscheinung von Denkprozessen doch auch keine kausale Rückwirkung auf diese haben.

Ist das wirklich so? Ich vermute, das ist ein Fehlschluss, der damit zusammenhängt, daß wir zwischen emergenter Reifikation und resuktionistischer Kausalität schwanken. Eine (wie üblich hinkende) Analogie.


Bewusstseinserlebnisse als besondere Nervenvorgänge mit einer subjektiven Seite sind nicht wirkungslos; sie wirken nur nicht vermöge ihrer psychischen Qualitäten, sondern allein vermöge ihrer physischen Qualitäten. Qualia verleihen den psychophysischen Körpervorgängen weder nichtphysische noch zusätzliche physische Wirkkräfte. Sie sind epiphänomenal.

#49: Re: Bewusstsein und Evolution Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 21.03.2010, 01:39
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Bewusstseinserlebnisse als besondere Nervenvorgänge mit einer subjektiven Seite sind nicht wirkungslos; sie wirken nur nicht vermöge ihrer psychischen Qualitäten, sondern allein vermöge ihrer physischen Qualitäten. Qualia verleihen den psychophysischen Körpervorgängen weder nichtphysische noch zusätzliche physische Wirkkräfte. Sie sind epiphänomenal.

Hm, dahinter steckt aber mE die ungenannte Prämisse, man könne sinnvoll nur von physikalischen (kausalen) Wirkungen sprechen. Aber wo steht das eigentlich, wer legt das fest, wie ist das begründet?

Wenn ich Zahnschmerzen habe, dann gehe ich zum Zahnarzt. Meiner Meinung nach ist diese Grund-Handlung-Sichtweise eine sinnvolle, d.h. es scheint mir eine gute Erklärung dafür, dass ich zum Zahnarzt ging und zwar deswegen, weil andere das leicht nachvollziehen können, indem sie sich in meine Situation hineindenken (-> "würde ich auch so machen"). Dabei ist es unerheblich, welche neuronalen Prozesse genau im Einzelnen diesen Schmerz erzeugt haben, es könnten auch andere sein (in einer gedachten anderen Welt). Das ist letztlich nicht relevant, wie das physikalisch ablief (-> multiple Realisierung).

Und das ist ja auch immer noch keine Erklärung dafür, wieso es überhaupt Qualia gibt, welche Funktion die haben, wie die entstehen, wie die mit neuronalen Prozessen zusammenhängen und wieso es diesen Zusammenhang gibt. Man kann sich ja problemlos vorstellen, dass mein kranker Zahn den Gang zum Zahnarzt verursacht, ohne dass ich dazu ein Bewusstsein haben müsste; dass einfach alles so abläuft, wie jetzt auch, nur ohne Bewusstsein. Wieso sind wir keine philosophischen Zombies, wenn 'in Wirklichkeit' nur die neuronalen Prozesse eine Wirkung haben können, die also völlig hinreichende Bedingung für alles Funktionieren aller Abläufe in der Welt sind?

Wozu gibt es überhaupt Erkenntnis? Welchen Sinn und Zweck hat die? Warum läuft nicht alles einfach so ab, wie es abläuft?

Und wenn Erkenntnis (mE gibt es keine unbewusste Erkenntnis - 'Erkenntnis' ist mit 'Bewusstsein' untrennbar verknüpft) nur ein Epiphänomen (eine zum Funktionieren des Organismus verzichtbare Nebenerscheinung - kann problemlos wegfallen, ohne dass sich auch nur das Geringste an dem Verhalten des Organismus ändert) ist, auf welchen Naturgesetzen beruht sie?

Und wieso könnte man annehmen, dass dieses Epiphänomen etwas mit der Realität zu tun haben sollte? Ist das Epiphänomen durch Zufall (in einer anderen Welt ist es völlig anders) oder (Natur-)Gesetze verursacht? Falls Letzteres: welche Naturgesetze sind das? Woraus ergeben die sich? Aus intrinsischen Eigenschaften von Materie (Panpsychismus) oder durch 'Emergenz'? Inwieweit sind diese Naturgesetze physikalischer Art?

(Wobei 'Emergenz' mE (oft) keine Erklärung ist, nur eine Verschleierung von 'weiß-ich-nicht-kann-ich-nicht-erklären-isso'. Und meiner Meinung nach sollte man einfach ehrlich sagen, wenn man etwas nicht weiß, das ist mE sehr viel hilfreicher als eine Pseudo-Erklärung, die einen nur davon abhält, weiter zu fragen, offene, nicht geklärte Phänomene zu erkennen und weiterhin nach Erklärungen zu suchen.)

Was ist Wissen, was Information, was sind Gedanken, was sind Erkenntnisse, was sind Theorien, was Konzepte, was Konstrukte, was Prozesse, was Abstraktionen, was Darstellungen, was Interpretationen, was Kommunikation, was Beschreibungen? Alles nur (letztlich irrelevante, nicht wirkkräftige, daher auch völlig anders sein könnende bzw. gar nicht existieren müssende) Epiphänomene des einzig richtigen wahren realen Geschehens / kausalen Ablaufes der Welt, das durch die Darstellung neuronaler / physikalischer Prozesse hinreichend beschrieben werden kann?

Das hört sich zumindest für mich extrem widersprüchlich und letztlich selbstaufhebend an. Das kann nicht richtig sein, da stimmt was nicht.

#50: Re: Bewusstsein und Evolution Autor: DominikWohnort: Deutschland BeitragVerfasst am: 21.03.2010, 11:36
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Dominik hat folgendes geschrieben:
2 gute Erklärungen: Theorie des sozialen Schachspiels. Formuliert von Richard Leakey in "Der Ursprung des Menschen". Darin werden gruppendynamische Prozesse als u.U. geistig besonders anspruchsvoll angenommen, weil Individuen von anderen als "soziale Werkzeuge" (etwa zum durchsetzten eigener interessen gegenüber anderen, also Politik, Lüge, Allianzen, ...) benutzt werden. Sehr geile Theorie, vor allem wenn man sich Schimpansengruppen anschaut oder Serien wie verbotene Liebe oder an die eigene jugend zurückdenkt.

Das erklärt gar nichts.

Dominik hat folgendes geschrieben:
Theorie vom geistigen Pfauenschwanz in "The Red Queen" von Mat Ridley. Arten entwickeln von umwelteinflüssen unabhängig seltsame eigenschaften einzig weil sie beim weibchen eindruck schinden, oder sie konkurrenten bekämpfen helfen. bsp: hirschgeweih, pfauenschwanz, großhirn. beste theorie meines wissens zZ.

Ach ja? Und wieso haben dann Weibchen ebenso ein Großhirn?

Das Frage, das Rätsel hier ist: wenn (kausale) neuronale Prozesse für sich genommen hinreichende Ursachen für Verhalten sind, wozu dann zusätzlich ein subjektives Erleben? Das erscheint doch dann irgendwie überflüssig, doppelt gemoppelt. Wieso sollten bestimmte neuronale Prozesse 'geistig anspruchsvoll' sein und ein Bewusstsein benötigen? Welche Funktion hat Bewusstsein, wozu ist es gut? Oder hat es keine Funktion, ist nur ein verzichtbares Epiphänomen? Wozu überhaupt bewusstes Wissen, Erklärungen, Deutungen, Abstraktionen, Handlungen? Warum nicht einfach lediglich unbewusste Abläufe, Geschehnisse, durch neuronale Prozesse verursacht?


Wenns dich interessiert, besorg dir die Bücher.
Ein bißchen Ahnung hab ich übrigens. Meine Abschlußprüfung (einziger 1er) in Humanbiologie ging über aktuelle Theorien zur menschlichen Gehirnevolution...

#51: Re: Bewusstsein und Evolution Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 21.03.2010, 13:46
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....Wieso sollten bestimmte neuronale Prozesse 'geistig anspruchsvoll' sein und ein Bewusstsein benötigen? Welche Funktion hat Bewusstsein, wozu ist es gut? Oder hat es keine Funktion, ist nur ein verzichtbares Epiphänomen? Wozu überhaupt bewusstes Wissen, Erklärungen, Deutungen, Abstraktionen, Handlungen? Warum nicht einfach lediglich unbewusste Abläufe, Geschehnisse, durch neuronale Prozesse verursacht?

Es sind keine neuronalen Prozesse, die ein Bewusstsein benötigen, sondern es geht um Handlungsmöglichkeiten, die durch das Bewusstsein geschaffen werden, die ohne nicht existieren - Evolution befördert keine Ansprüche, sondern Nutzen.

Um es aus der Deisignersicht zu betrachten, weil die einfacher fällt: Wenn ich eine Maschine baue, die mit wechselnden Bedingungen zurechtkommen soll, hann ich mir den Bedingungsvorrat ansehen, für jede mögliche Bedingung das bestimmende Signal definieren und die Reaktion auf dieses Signal programmieren. Diese Maschine ist rein reaktiv und wird von Bedingungen außerhalb des geplanten Bedingungsvorrates plattgemacht wie ein Igel von einem Auto.

Um hier flexibler zu werden, muss ich weitergehen von der programmatisch fertig vorweggenommenen Situation / Bedingung, die ich an einem bestimmten Signal erkenne zu einer Analyse der Umgebung, die diese nicht als statisch annimmt, sondern ihre Dynamik und damit ihren Trend erfasst und in einer Trendverlängerung sogar in die Zukunft geht. Das macht wiederum nur Sinn, wenn diese Maschine sich selbst als den Teil der Situation definiert, den sie beeinflussen kann, dessen Trend sie also verändern kann. Was wir Bewusstsein nennen, ist die Möglichkeit der simulierten Trendverlängerung der eigenen Situation einschließlich einer Einbeziehungen möglicher Trendveränderungen. Um ein einfaches Beispiel zu nehmen (den Versuch habe ich als Kind mit einem Hund gemacht, den wir in Pflege hatten, und ziemlich lange darüber nachgedacht) : Ich fordere den Hund auf, mir zu folgen, gehe dann durch eine Tür und schließe sie, bevor der Hund folgen kann. Ergebnis: Der Hund dreht auf der Stelle um und läuft einen ihm bekannten Umweg, auf dem er zu mir, das heißt hinter die Tür gelangt. Das bedeutet, dass der Hund nicht nur über eine Representation der Örtklichkeit verfügt, sondern auch über eine begrenzte Möglichkeit in die Zukunft zu sehen und entsprechend zu handeln: Bewusstsein ermöglicht Planung.

fwo

#52:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 21.03.2010, 14:29
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Hm, dahinter steckt aber mE die ungenannte Prämisse, man könne sinnvoll nur von physikalischen (kausalen) Wirkungen sprechen. Aber wo steht das eigentlich, wer legt das fest, wie ist das begründet?

Das liegt mE darin begründet, daß Begriffe wie "Wirkung", ja letztlich alle sinnvollen Begriffe, egal ob emergent, epi oder sonstwas, immer empirisch sind.

Will man also z.B. "Wirkung" definieren, würde man zu so etwas ähnlichem kommen wie:

Ein Zustand A(i) bewirkt einen Zustand B(m), wenn die Kombination {A(i), B(n)} mit n ungleich m in der Realität nicht beobachtet wird.

Ich will nicht auf der genauen Definition herumreiten, sondern nur plausibel machen, daß es auf die Empirie rekurriert.

Ein dergestalt gefundener empirischer Zusammenhang wird damit jedoch automatisch zu einer im weitesten Sinne physikalischen Frage. Würde man beispielsweise eine Wirkung finden, die nicht physikalisch realisiert ist (z.B. Bewußtsein 1 zu Bewußtsein 2 ohne Umweg über Elementarteilchen), so müßte man die Physik erweitern.

Hinter dieser "Festlegung", wie Du es nennst, steht also kein wirklich starkes reduktionistisches Postulat, sondern sozusagen nicht mehr als die Feststellung, daß Wirkungen nicht zufällig sind.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wenn ich Zahnschmerzen habe, dann gehe ich zum Zahnarzt. ... Dabei ist es unerheblich, welche neuronalen Prozesse genau im Einzelnen diesen Schmerz erzeugt haben, es könnten auch andere sein (in einer gedachten anderen Welt). Das ist letztlich nicht relevant, wie das physikalisch ablief (-> multiple Realisierung).

Richtig, die multiple Realisierung geht aber nur in die eine Richtung (und auch das nur makroskopisch): Mit meiner Definition oben gibst Du sozusagen ein A(j) an, das ebenfalls B(m) bewirkt, was völlig unproblematisch ist. Ebenso bewirkt die linkskreisende Bewegung meiner grünen Zahnbürste eine Säuberung der Zähne, obwohl auch Rechtskreisen mit einer blauen Zahnbürste etwas Vergleichbares bewirken würde.

Je genauer ich aber die Wirkung definiere, desto weniger Freiheitsgrade der Realisierung bleiben, und desto relevanter zutage tritt die "mikroskopische" Kausalität.

Noch ein extremes Beispiel: Wenn Du Vater wirst, ist es irrelevant, wann und wie genau, ja sogar mit welcher Mutter, Du das Kind gezeugt hast, die Wirkung ist oberflächlich betrachtet identisch (ein Kind).

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und das ist ja auch immer noch keine Erklärung dafür, wieso es überhaupt Qualia gibt, welche Funktion die haben, wie die entstehen, wie die mit neuronalen Prozessen zusammenhängen und wieso es diesen Zusammenhang gibt. Man kann sich ja problemlos vorstellen, dass mein kranker Zahn den Gang zum Zahnarzt verursacht, ohne dass ich dazu ein Bewusstsein haben müsste; dass einfach alles so abläuft, wie jetzt auch, nur ohne Bewusstsein. ...

Vielleicht ist "Bewußtheit" eine Nebenwirkung komplexer neuronaler Wirkungsabläufe? Ist nicht das, was "Bewußtheit" z.B. eines Schmerzes, Gedankens oder Gefühls ausmacht, nichts anderes als das zusätzliche "Gefühl der Meinigkeit" (Metzinger)?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Warum läuft nicht alles einfach so ab, wie es abläuft?

Die Frage verstehe ich nicht. Es läuft doch alles so ab, wie es abläuft.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... Und wieso könnte man annehmen, dass dieses Epiphänomen etwas mit der Realität zu tun haben sollte?

Weil wir es in der Realität beobachten.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... Und meiner Meinung nach sollte man einfach ehrlich sagen, wenn man etwas nicht weiß, das ist mE sehr viel hilfreicher als eine Pseudo-Erklärung, die einen nur davon abhält, weiter zu fragen, offene, nicht geklärte Phänomene zu erkennen und weiterhin nach Erklärungen zu suchen.

Ja, und aus meiner Sicht ist idZ der ehrlichste Ansatz, Neuro/Kognitionswissenschaft zu betreiben, anstatt den Geist zum Tabu zu erklären.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... Alles nur (letztlich irrelevante, nicht wirkkräftige, daher auch völlig anders sein könnende bzw. gar nicht existieren müssende) Epiphänomene des einzig richtigen wahren realen Geschehens / kausalen Ablaufes der Welt, das durch die Darstellung neuronaler / physikalischer Prozesse hinreichend beschrieben werden kann? Das hört sich zumindest für mich extrem widersprüchlich und letztlich selbstaufhebend an. Das kann nicht richtig sein, da stimmt was nicht.

Ein Fehler liegt darin, daß Du zuweilen übertreibst oder Wörter in ihrer Bedeutung überdehnst, um einen Widerspruch zu produzieren:

- "Relevanz" ist etwas völlig Unterschiedliches, je nachdem in bezug auf was man sie fordert.

- Eine Beschreibung kann, obwohl prinzipiell vollständig, evtl. nicht hinreichend sein, z.B. uneffizient.

- Ob ein Epi-Zustand A (selbst Epiphänomen von a) einen Epizustand B (epi von b) "bewirkt" und nicht nur a->b, ist eine Definitionsfrage. Wenn nämlich A und B hinreichend stark mit a und b korrelieren, macht man im Alltag keinen großen Fehler, wenn man "A bewirkt B" sagt. So ist diese Redeweise ja überhaupt erst entstanden. Erst in Sonderfällen, wenn sich Widersprüche zu den Gesetzen der a/b-Ebene ergeben, muß man genauer hinschauen. Oder bevor man den Ursachenbegriff zu weit dehnt (z.B. "causa finalis").


Zuletzt bearbeitet von step am 21.03.2010, 15:34, insgesamt einmal bearbeitet

#53:  Autor: Grotemson BeitragVerfasst am: 21.03.2010, 14:54
    —
Eine Berreicherung, und eine potentielle Antwort auf alle, die berechtigterweise eine klare Definition(die es nicht gibt) fordern, ist übrigens auch der Eintrag in der Stanford Encyclopedia of Philosophy zu Consciousness:
http://plato.stanford.edu/entries/consciousness/

Zitat:
Du meinst von "Nichtmateriellem"? Definier das doch mal

Der Term ist selbsterklärend. Gedanken sind nicht materiell. Sie bestehen weder aus Stein, noch aus Atomen, noch aus Quarks. Man kann sie nicht verbrennen, nicht zerbrechen und auch nicht treten oder durch einen Teilchenbeschleniger jagen. Der Gedanke, Gedanken bestünden aus Teilchen ist sogar so absurd, dass nicht einmal Neurowissenschaftler ihn vertreten.



Zitat:
Aus neurowissenschaftlicher und allgemein aus materialistischer Sicht sind es bekanntlich die psychischen Eigenschaften, die von den physischen Eigenschaften abhängig sind und davon bestimmt werden.

Glücklicherweise ist die Sichtweise nicht nur anzweifelbar, sondern wird von Vielen auch als inkosistent bezeichnet. Wie zum Beispiel lässt sich aus rein materialistischer Sicht das Phänomen der Bezugnahme erklären? Wenn ich mich gedanklich auf einen Baum beziehe, fliegen da die kleinen Teilchen zum Baum, und wieder zurück?
Wie ist außerdem dem Einwand zu begegnen, dass zwar mentale Ereignisse mit neuralen koinzidieren, aber nicht Klassen von mentalen Ereignissen mit neuralen Klassen?

Zitat:
Was wir Bewusstsein nennen, ist die Möglichkeit der simulierten Trendverlängerung der eigenen Situation einschließlich einer Einbeziehungen möglicher Trendveränderungen.

Bewusstsein ermöglicht zwar Planung, aber das Seltsame ist ja, dass man gar nicht etwas so Komplexes braucht, um Planung zu simulieren. Das Eichhörnchen sammelt auch eifrig Nüsse, und diese Instinkthandlung ist offensichtlich genug, um sich auf etwaige "Wintertrends" vorzubereiten. Was ich sagen will ist, dass du hier Komplexitätsreduktion betreibst. Es gibt unzählige Aspekte im Bewusstsein, die für den von dir beschriebenen Vorgang völlig überflüssig, also nutzlos sind. Wieso sollten diese dann existieren?
Außerdem hat sich, um das mal ganz platt zu sagen, erhöhte Bewusstseinsaktivität(hier: Höheres Bewusstsein in unserer Population lange nicht als positiver Selektionsfaktor bewährt. Freigeister, Denker und Gelehrte wurden in regelmäßigen Abständen verbrannt, gelyncht, geteert und gefedert. Trotzdem, das ist doch das Unglaubliche und sogar antievolutionäre daran, hat es eine Entwicklung des menschlichen Bewusstseins gegeben.

#54:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 21.03.2010, 15:02
    —
Grotemson hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Du meinst von "Nichtmateriellem"? Definier das doch mal
Der Term ist selbsterklärend. Gedanken sind nicht materiell. Sie bestehen weder aus Stein, noch aus Atomen, noch aus Quarks. Man kann sie nicht verbrennen, nicht zerbrechen und auch nicht treten oder durch einen Teilchenbeschleniger jagen. ...

Hmm ... was ist, wenn ich Gedanken durch das Anlegen eines elektromagnetischen Feldes verändere?

#55:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 21.03.2010, 15:20
    —
Grotemson hat folgendes geschrieben:
....
Zitat:
Was wir Bewusstsein nennen, ist die Möglichkeit der simulierten Trendverlängerung der eigenen Situation einschließlich einer Einbeziehungen möglicher Trendveränderungen.

Bewusstsein ermöglicht zwar Planung, aber das Seltsame ist ja, dass man gar nicht etwas so Komplexes braucht, um Planung zu simulieren. Das Eichhörnchen sammelt auch eifrig Nüsse, und diese Instinkthandlung ist offensichtlich genug, um sich auf etwaige "Wintertrends" vorzubereiten. Was ich sagen will ist, dass du hier Komplexitätsreduktion betreibst. Es gibt unzählige Aspekte im Bewusstsein, die für den von dir beschriebenen Vorgang völlig überflüssig, also nutzlos sind. Wieso sollten diese dann existieren?
Außerdem hat sich, um das mal ganz platt zu sagen, erhöhte Bewusstseinsaktivität(hier: Höheres Bewusstsein in unserer Population lange nicht als positiver Selektionsfaktor bewährt. Freigeister, Denker und Gelehrte wurden in regelmäßigen Abständen verbrannt, gelyncht, geteert und gefedert. Trotzdem, das ist doch das Unglaubliche und sogar antievolutionäre daran, hat es eine Entwicklung des menschlichen Bewusstseins gegeben.

@Grotemson: Nochmal: Es wäre ganz schön, wenn Du etwas überschaubarer zitieren würdest - normalerweise lese ich mir nicht alles, was hier geschrieben wurde, daraufhin durch, ob mich jemand für würdig befunden hat, mir zu antworten.

Warum das Eichhörnchen keine optimale allgemeine Lösung, sondern nur die Lösung für genau seine Probleme darstellt, habe ich beschrieben - Du stellst hier also eine Frage, auf die die Antwort bereits in dem Post steht, auf den zu antworten Du vorgibst. Ansonsten ist richtig, dass das Experiment Mensch von der Natur noch nicht abgeschlossen ist - allerdings war es bisher ein voller Erfolg, für den das Abschneiden Einzelner, mit dem Du hier argumentierst, unwesentlich ist: Dass es Personen gibt, die an Fettleibigkeit krepieren, ist kein Argument gegen das Erfolgsmodell Nahrungsaufnahme. Hinzu kommt, dass wir es bei menschlischem Handeln bzw. menschlichen Möglichkeiten bereits mit einer zweistufigen Evolution zu tun haben, der biologischen (=genetischen) und der kulturellen. Dass Kulturen es schaffen, einzelne prominente Träger zu eliminieren, ändert nicht daran, dass Menschen genetisch auf die Kulturfähigkeit hin ausgelesen werden. Der Widerspruch, von dem Du schreibst, existiert in der Sache nicht.

fwo

#56: Re: Bewusstsein und Evolution Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 21.03.2010, 20:12
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....Wieso sollten bestimmte neuronale Prozesse 'geistig anspruchsvoll' sein und ein Bewusstsein benötigen? Welche Funktion hat Bewusstsein, wozu ist es gut? Oder hat es keine Funktion, ist nur ein verzichtbares Epiphänomen? Wozu überhaupt bewusstes Wissen, Erklärungen, Deutungen, Abstraktionen, Handlungen? Warum nicht einfach lediglich unbewusste Abläufe, Geschehnisse, durch neuronale Prozesse verursacht?

Es sind keine neuronalen Prozesse, die ein Bewusstsein benötigen, sondern es geht um Handlungsmöglichkeiten, die durch das Bewusstsein geschaffen werden, die ohne nicht existieren - Evolution befördert keine Ansprüche, sondern Nutzen.

Wie meinst Du das? Das verstehe ich nicht. Welche Handlungsmöglichkeiten werden durch das Bewusstsein geschaffen, welche würden ohne es nicht existieren und warum nicht?

fwo hat folgendes geschrieben:
Um es aus der Deisignersicht zu betrachten, weil die einfacher fällt: Wenn ich eine Maschine baue, die mit wechselnden Bedingungen zurechtkommen soll, hann ich mir den Bedingungsvorrat ansehen, für jede mögliche Bedingung das bestimmende Signal definieren und die Reaktion auf dieses Signal programmieren. Diese Maschine ist rein reaktiv und wird von Bedingungen außerhalb des geplanten Bedingungsvorrates plattgemacht wie ein Igel von einem Auto.

Um hier flexibler zu werden, muss ich weitergehen von der programmatisch fertig vorweggenommenen Situation / Bedingung, die ich an einem bestimmten Signal erkenne zu einer Analyse der Umgebung, die diese nicht als statisch annimmt, sondern ihre Dynamik und damit ihren Trend erfasst und in einer Trendverlängerung sogar in die Zukunft geht. Das macht wiederum nur Sinn, wenn diese Maschine sich selbst als den Teil der Situation definiert, den sie beeinflussen kann, dessen Trend sie also verändern kann. Was wir Bewusstsein nennen, ist die Möglichkeit der simulierten Trendverlängerung der eigenen Situation einschließlich einer Einbeziehungen möglicher Trendveränderungen.

Nein, ist es nicht. Einen autonomen Roboter zu bauen, der dynamisch und flexibel auf äußere und innere Veranderungen reagieren kann und der sich selber reparieren oder klonen kann, kann ich mir problemlos vorstellen (das ist zwar nicht trivial, in dem Sinne, dass ich das mal eben in ein, zwei Tagen hinzaubern könnte, es ist aber möglich in dem Sinne, dass ich mir die dazu notwendigen und hinreichenden Hard- und Softwaremodule konzeptuell vorstellen kann). Dazu braucht man "nur" ein paar komplizierte Algorithmen, die natürlich in der Lage dazu sein müssen, ein Modell der Umwelt und auch ein Modell der eigenen Zustände zu erstellen und die auch in irgend einer Weise die wahrscheinliche Zukunft hochrechnen müssen. Und man benötigt ein paar Sensoren (für innen und außen) und einen Bewegungs- und Greifmechanismus. All das ist machbar und wird ja auch schon gemacht, dabei gibt es mE kein prinzipielles Problem.

Aber an welcher Stelle kommt dabei Bewusstsein ins Spiel? All diese Algorithmen laufen 'unbewusst' ab, es gibt bei einem solchen Roboter keine Notwendigkeit für bewusstes Erleben, damit er so funktioniert, wie er soll, nämlich flexibel und dynamisch in Bezug auf vorher unbekannte Umweltbedingungen.

Wie man bewusstes Erleben in einem Algorithmus implementieren könnte, ist mir auch höchst unklar. Keinen Schimmer einer Ahnung, wie das gehen könnte. Nur weil der Roboter interne Repräsentationen von sich und seiner Umwelt hat, erlebt er noch lange nichts, er funktioniert halt einfach nur. Wenn der Sensor seiner Batterie anschlägt, weil die mal wieder aufgeladen werden muss, wird eben das Auflade-Softwaremodul aktiviert, das den Roboter zum nächsten Aufladepunkt lenkt (in Verbindung mit dem Wahrnehmungs- und den restlichen Modulen). Aber das ist nichts mit Bewusstsein.

fwo hat folgendes geschrieben:
Bewusstsein ermöglicht Planung.

Auch das verstehe ich nicht. Wenn es neuronale Vorgänge im Gehirn gibt, die man mit 'Planung' gleich setzen kann, dann sind diese neuronalen Vorgänge logischerweise die hinreichende Voraussetzung für 'Planung'. 'Bewusstsein' ist dann nur ein Nebeneffekt dieser neuronalen Vorgänge, ein unnützer, keine Auswirkung habender, ein beliebiger, unnötiger.

#57: Re: Bewusstsein und Evolution Autor: Myron BeitragVerfasst am: 21.03.2010, 20:15
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Hm, dahinter steckt aber mE die ungenannte Prämisse, man könne sinnvoll nur von physikalischen (kausalen) Wirkungen sprechen. Aber wo steht das eigentlich, wer legt das fest, wie ist das begründet?


"To believe in the phenomenal aspect of the world, but deny that it is epiphenomenal, is to bet against the truth of physics. Given the success of physics hitherto, and even with due allowance for the foundational ailments of quantum mechanics, such betting is rash! A friend of the phenomenal aspect would be safer to join Jackson in defense of epiphenomenal qualia."
———
"An den phänomenalen Aspekt der Welt zu glauben, aber zu leugnen, dass er epiphänomenal ist, heißt, gegen die Wahrheit der Physik zu wetten. In Anbetracht des bisherigen Erfolges der Physik, und selbst bei einer angemessenen Einkalkulierung des Grundlagenleidens der Quantenmechanik, ist eine solche Wette voreilig! Für einen Freund des phänomenalen Aspekts wäre es weniger riskant, sich Jackson und dessen Verteidigung epiphänomenaler Qualia anzuschließen."

[© meine Übers.]

(Lewis, David. "What Experience Teaches." 1988. In: David Lewis, Papers in Metaphysics and Epistemology, 262-290. Cambridge: Cambridge University Press, 1999. p. 283)

(Frank Jackson ist ein australischer Philosoph: "Epiphenomenal Qualia")

Auch ich setze lieber auf die Wahrheit der Physik und der reduktionistischen Naturwissenschaft allgemein als auf den supernaturalistischen Glauben an spirituelle Kräfte oder Mächte sui generis.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Wenn ich Zahnschmerzen habe, dann gehe ich zum Zahnarzt. Meiner Meinung nach ist diese Grund-Handlung-Sichtweise eine sinnvolle, d.h. es scheint mir eine gute Erklärung dafür, dass ich zum Zahnarzt ging und zwar deswegen, weil andere das leicht nachvollziehen können, indem sie sich in meine Situation hineindenken (-> "würde ich auch so machen"). Dabei ist es unerheblich, welche neuronalen Prozesse genau im Einzelnen diesen Schmerz erzeugt haben, es könnten auch andere sein (in einer gedachten anderen Welt). Das ist letztlich nicht relevant, wie das physikalisch ablief (-> multiple Realisierung).


Dass es eine zulässige "mentalistische" Beschreibungs- und Erklärungssprache außerhalb der rein physikalischen gibt, gestehen die meisten Physikalisten gerne zu; sie bestreiten nur, dass dazu die ontologische Postulierung hyperphysischer Kräfte oder Mächte erforderlich ist.
Wir können ruhig weiterhin von psychischer Kausalität sprechen und unsere "Grund-Handlungs-Sichtweise" beibehalten, solange wir im Hinterkopf behalten, dass das, was an psychischen Ereignissen die eigentliche kausale Arbeit leistet, allein deren neurophysiologische Seite ist.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Und das ist ja auch immer noch keine Erklärung dafür, wieso es überhaupt Qualia gibt, welche Funktion die haben, wie die entstehen, wie die mit neuronalen Prozessen zusammenhängen und wieso es diesen Zusammenhang gibt.


Durch Qualia wird ein Organismus laufend (aber nur unvollständig) darüber informiert, was in ihm selbst und in seiner Umwelt vor sich geht. Über solche subjektiven Informationen verfügen zu können, scheint für einen Organismus sehr wohl von Nutzen zu sein.
(Zur Frage der Funktion des Bewusstseins siehe: http://plato.stanford.edu/entries/consciousness/#6)

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Man kann sich ja problemlos vorstellen, dass mein kranker Zahn den Gang zum Zahnarzt verursacht, ohne dass ich dazu ein Bewusstsein haben müsste; dass einfach alles so abläuft, wie jetzt auch, nur ohne Bewusstsein.


Wenn wir das subjektive Erleben, also die Qualia subtrahieren, dann kann eben nicht alles Physische gleichbleiben, denn dann verschwinden auch alle psychophysischen Prozesse, die wesensmäßig "qualiahaltig" sind. Und ohne die psychophysischen Prozesse findet auch eine Vielzahl anderer physischer Prozesse nicht mehr statt, sodass die Vorstellung der Möglichkeit einer bewusstseinslosen Zombiewelt, die mit der unsrigen Nichtzombiewelt physikalisch und insbesondere verhaltensmäßig identisch ist, auf einem Denkfehler beruht. Durch die Subtraktion des Bewusstseins würde sich die ganze Welt physikalisch verändern, sodass gar keine passende Vergleichsgrundlage zwischen der Zombiewelt und der Nichtzombiewelt gegeben ist.

#58: Re: Bewusstsein und Evolution Autor: Myron BeitragVerfasst am: 21.03.2010, 20:39
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

Wir können ruhig weiterhin von psychischer Kausalität sprechen und unsere "Grund-Handlungs-Sichtweise" beibehalten, solange wir im Hinterkopf behalten, dass das, was an psychischen Ereignissen die eigentliche kausale Arbeit leistet, allein deren neurophysiologische Seite ist.


Wenn man von der "kontrafaktualistischen" Kausalitätstheorie ausgeht, dann kann man Qualia sogar als "kausal relevant" bezeichnen:

http://plato.stanford.edu/entries/causation-counterfactual

"The basic idea of counterfactual theories of causation is that the meaning of causal claims can be explained in terms of counterfactual conditionals of the form 'If A had not occurred, C would not have occurred'."

Man kann also z.B. sagen: "Wenn ich keine Zahnschmerzen gehabt hätte, dann wäre ich nicht zum Zahnarzt gegangen."
Denn wenn ich keine Zahnschmerzen gehabt hätte, dann hätte es das entsprechende psychophysische Ereignis nicht gegeben; und wenn es das entsprechende psychophysische Ereignis nicht gegeben hätte, dann hätte es nicht kraft seiner physischen Qualitäten das entsprechende Verhalten, d.h. mein Gehen zum Zahnarzt, auslösen können.

Ich bestreite jedoch, dass eine wahre kontrafaktische Aussage wie die obige bereits eine hinreichende Bedingung für das Vorliegen echter effizienter Kausalität ist. Denn in meinen Augen folgt aus der Tatsache, dass ich nicht zum Zahnarzt gegangen wäre, wenn ich keine Zahnschmerzen gespürt hätte, noch nicht, dass es per se die gefühlten Qualia meines Schmerzerlebnisses waren, die mich dazu bewegt haben, zum Zahnarzt zu gehen.
Die phänomenale Intensität eines Schmerzerlebnisses spiegelt zwar dessen neurophysiologische Intensität wider, aber sie ist nicht per se ein Wirkfaktor—weder ein nichtphysischer noch ein zusätzlicher physischer.

#59: Re: Bewusstsein und Evolution Autor: Myron BeitragVerfasst am: 21.03.2010, 20:53
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Das Frage, das Rätsel hier ist: wenn (kausale) neuronale Prozesse für sich genommen hinreichende Ursachen für Verhalten sind, wozu dann zusätzlich ein subjektives Erleben?


Das Gesamtverhalten eines Menschen lässt sich eben nicht dadurch identisch reproduzieren, dass man alle psychophysischen Prozesse, die in seinem Körper stattfinden, durch rein physische, d.i. qualialose Prozesse ersetzt. Ein Zombie-Mozart würde nicht die gleiche Musik komponieren wie der bewusste Mozart.

#60: Re: Bewusstsein und Evolution Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 21.03.2010, 21:39
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Das Gesamtverhalten eines Menschen lässt sich eben nicht dadurch identisch reproduzieren, dass man alle psychophysischen Prozesse, die in seinem Körper stattfinden, durch rein physische, d.i. qualialose Prozesse ersetzt. Ein Zombie-Mozart würde nicht die gleiche Musik komponieren wie der bewusste Mozart.

Sehe ich ebenso. Mir ist aber auch völlig unklar, wieso ein reines Begleitphänomen irrelevant sein sollte. Allein schon weil das Begleitphänomen beobachtet werden kann, ändert es den Ablauf.

#61: Re: Bewusstsein und Evolution Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 21.03.2010, 22:12
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Auch ich setze lieber auf die Wahrheit der Physik und der reduktionistischen Naturwissenschaft allgemein als auf den supernaturalistischen Glauben an spirituelle Kräfte oder Mächte sui generis.

Hm, da fehlt Dir vielleicht aber nur die Phantasie, Dir noch andere Alternativen als diese beiden vorzustellen.

Man muss ja nicht die Physik als falsch ansehen oder gar Supernaturalismus deklarieren, um zu bezweifeln, dass die physikalische Beschreibung der Welt die 'einzig richtige', die 'grundlegende', die 'einzig wahre', die 'eigentliche' ist und alles andere nur Epiphänomene, Illusionen, falsch, ungenau, letztlich nebensächlich, redundant oder dergleichen und nur 'echte effiziente Kausalität' entscheidend (für was eigentlich?) wäre.

Eine Behauptung, die ja schon alleine dadurch, dass 'Beschreibung' kein physikalischer Begriff ist, (und 'Begriff' und 'Behauptung' auch nicht), sich mE selber ad absurdum führt.

Die Alternative wäre, die subjektive Wahrnehmung und Interpretation der Welt als die einzige Realität anzunehmen. Was nun nicht bedeutet, dass es keine Welt außerhalb gäbe, also Solipsismus, sondern was einfach nur heißt, dass es keinen dritten, außerhalb von Subjekten liegenden Standpunkt gibt, der eine 'einzig wahre Beschreibung' gewährleisten könnte. So einer wird aber immer unweigerlich implizit angenommen, wenn man kausale materielle Abläufe als das 'einzig Wahre', das 'letztlich Richtige' proklamiert. Dabei wird übersehen, dass man das immer letztlich nur von einem subjektiven Standpunkt, der einzige, den man einnehmen kann, erklären muss. Auch 'Erklärung' ist ja ein mentaler Begriff, kein physikalischer. In der Zombie-Welt gibt es keine Erklärungen, (wiewohl es alle 'Äußerungen', d.h. die beobachtbaren physikalischen Grundlagen davon, exakt so gibt wie hier), auch diese sind gleichfalls Epiphänomene, (unnötige Begleiterscheinungen der neuronalen Prozesse), wenn Bewusstsein ein Epiphänomen ist.

Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Das Frage, das Rätsel hier ist: wenn (kausale) neuronale Prozesse für sich genommen hinreichende Ursachen für Verhalten sind, wozu dann zusätzlich ein subjektives Erleben?

Das Gesamtverhalten eines Menschen lässt sich eben nicht dadurch identisch reproduzieren, dass man alle psychophysischen Prozesse, die in seinem Körper stattfinden, durch rein physische, d.i. qualialose Prozesse ersetzt. Ein Zombie-Mozart würde nicht die gleiche Musik komponieren wie der bewusste Mozart.

Wieso das denn? Du steckst da anscheinend schon irgendeine Prämisse rein, die ich nicht genau fassen kann. Wenn im Zombie-Mozart (in einer parallelen Zombie-Welt) alles genauso ablaufen würde wie in unserer, mit dem einzigen kleinen Unterschied, dass damit kein bewusstes Erleben verbunden ist, dann würde selbstverständlich der Zombie-Mozart genau dieselben Stücke schreiben (wenn Bewusstsein ein Epiphänomen ist). So wie eine Zombie-Dampflok in der der Zombie-Welt, die genauso funktionieren würde wie eine Dampflokomotive in unserer Welt, mit dem einzigen Unterschied, dass sie keinen sichtbaren Dampf ausstoßen würde, genauso fahren würde wie unsere Lok.

Wenn Bewusstsein ein Epiphänomen ist, selber keine Rückwirkung hat, dann kann man es in diesem Experiment problemlos weglassen, und die Stücke Mozarts werden ebenso geschrieben wie die von unserem Mozart. Durch die kausalen neuronalen Vorgänge im Gehirn (und außerhalb) bewirkt / kausal verursacht. Mehr braucht es nicht, wenn alles letztlich reduktiv darauf zurückführbar ist, wenn die die einzig richtige wahre Realität sind.

Oder wenn Dir das mit den Zombies zu abgefahren ist: wie oben schon gesagt, kann man sich problemlos Roboter vorstellen, die dynamisch und flexibel mit unbekannten Umwelten umgehen können, die sich selber reproduzieren und reparieren können. Aber einen Roboter, der Bewusstsein entwickelt, liegt etwas außerhalb meiner Vorstellungskraft, da ich noch nicht einmal im Ansatz weiß, wie das zu bewerkstelligen wäre, wie das implementiert werden könnte. Na gut, ich kenne natürlich die Behauptungen, die besagen, Bewusstsein sei ein notwendiger Nebeneffekt von hinreichender Komplexität. Der Roboter müsste nur komplex genug sein und schon hätte er phänomenales Bewusstsein. Aber, naja, das hört sich für mich ziemlich nach Zauberei oder Supernaturalismus an.

#62:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 21.03.2010, 22:29
    —
Grotemson hat folgendes geschrieben:

Der Term ist selbsterklärend. Gedanken sind nicht materiell. Sie bestehen weder aus Stein, noch aus Atomen, noch aus Quarks. Man kann sie nicht verbrennen, nicht zerbrechen und auch nicht treten oder durch einen Teilchenbeschleniger jagen. Der Gedanke, Gedanken bestünden aus Teilchen ist sogar so absurd, dass nicht einmal Neurowissenschaftler ihn vertreten.


Fregesche Gedanken sind abstrakt, d.h. weder physisch noch psychisch. Aus nominalistischer Sicht ist diese Art von Gedanken irreal. Als psychophysische Phänomene sind Gedanken nicht immateriell, weil sie Nervenvorgänge sind, die durch die elektrochemischen Aktivitäten von Nervenzellen zustande kommen. Deren subjektive Seite ist sprachlicher Natur. Das Denken von Sätzen ist ein besonderer Nervenvorgang, wobei die Materialisten nicht sagen, dass die subjektiv erscheinenden Satzbilder wie Nervenzellen aus Atomen bestehen.

Grotemson hat folgendes geschrieben:

Wie zum Beispiel lässt sich aus rein materialistischer Sicht das Phänomen der Bezugnahme erklären? Wenn ich mich gedanklich auf einen Baum beziehe, fliegen da die kleinen Teilchen zum Baum, und wieder zurück?


Intentionale-repräsentationale Geisteszustände können durch Wahrnehmungen realer Gegenstände hervorgerufen werden, aber sie sind davon nicht abhängig, da sie sich ja auch auf inexistente, irreale Sachen und Sachverhalte beziehen können.

Vielleicht bin ich einfach zu naiv oder zu unwissend, aber ich frage mich, inwiefern das Vorkommen intentional-repräsentationaler Geisteszustände überhaupt eine Bedrohung für den (nichteliminativistischen) Materialismus darstellt, wie die Antimaterialisten behaupten.
Es ist eine unleugbare natürliche Tatsache, dass es diese Art von "selbsttranszendenten" Geisteszuständen gibt, und aus materialistischer Sicht handelt es sich dabei um besondere Körper- bzw. Gehirnzustände mit einem semantischen Gehalt, der durch soziale semiotische, insbesondere linguistische Codes bestimmt wird.

Grotemson hat folgendes geschrieben:

Wie ist außerdem dem Einwand zu begegnen, dass zwar mentale Ereignisse mit neuralen koinzidieren, aber nicht Klassen von mentalen Ereignissen mit neuralen Klassen?


Das Problem des Typenphysikalismus und der multiplen Realisierbarkeit stellt sich für mich nicht, weil ich nicht an Universalien glaube. Für mich sind Eigenschaften wie die Dinge, die sie besitzen, Individuen (engl. "tropes"), die einander zwar vollkommen gleichen können, aber niemals miteinander numerisch identisch sind. Solche Einzeleigenschaften oder Eigenheiten, wie ich sie nenne, sind einmalig und können von daher immer nur von einem einzigen Gegenstand besessen werden.
Das bedeutet konkret, dass jedes einzelne psychophysische Ereignis seine eigenen, einmaligen Psycho-Qualia besitzt, die es unmöglich mit einem anderen derartigen Ereignis teilen kann. Ein psychophysisches Ereignis wie ein Schmerz ist also "ganzheitlich individuell" im Hinblick auf seinen psychischen Aspekt und den ihn bedingenden physischen Aspekt.
Was allerdings, wie gesagt, durchaus möglich ist, ist, dass die Schmerzhaftigkeit eines Schmerzerlebnisses des einen Wesens derjenigen eines Schmerzerlebnisses eines anderen Wesens gleicht, auch wenn deren neurophysische Qualitäten einander nicht gleichen. Das stellt jedoch für den Materialisten, der in Bezug auf Universalien Nominalist ist, kein Problem dar. Denn mir ist kein metaphysisches Gesetz bekannt, dem zufolge zwei numerisch verschiedene Qualia zweier Bewusstseinsereignisse nur dann qualitativ identisch sein können, wenn auch all deren numerisch verschiedene physische Eigenschaften qualitativ identisch sind.

Und wenn ich sage, dass psychische Eigenschaften (Eigenheiten) physische Eigenschaften (Eigenheiten) sind, dann meine ich als aspektdualistischer Materialist damit nicht, dass sie rein physische Eigenschaften sind, sondern psychophysische (phänophysische) Eigenschaften. Das heißt, es gibt sowohl objektive als subjektive physische Eigenschaften (im ontologischen Sinne von "objektiv" und "subjektiv"), wobei die Prädikate der Physik sich nur auf die erstere Art von Eigenschaften beziehen.


Zuletzt bearbeitet von Myron am 22.03.2010, 00:10, insgesamt 2-mal bearbeitet

#63: Re: Bewusstsein und Evolution Autor: Myron BeitragVerfasst am: 21.03.2010, 22:52
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step hat folgendes geschrieben:
Mir ist aber auch völlig unklar, wieso ein reines Begleitphänomen irrelevant sein sollte. Allein schon weil das Begleitphänomen beobachtet werden kann, ändert es den Ablauf.


Gut, dadurch, dass der Organismus die an sich epiphänomenale phänomenale Information in Gestalt der Qualia innerlich abruft und verarbeitet, kann man schon sagen, dass Qualia relevant, insbesondere verhaltensrelevant sind.
Aber nichtsdestoweniger bedeutet dies mitnichten, dass mit den Qualia neuartige hyperphysische Wirkfaktoren im physischen Universum aufgetaucht sind.

#64:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 21.03.2010, 23:17
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Myron hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Mir ist aber auch völlig unklar, wieso ein reines Begleitphänomen irrelevant sein sollte. Allein schon weil das Begleitphänomen beobachtet werden kann, ändert es den Ablauf.
Gut, dadurch, dass der Organismus die an sich epiphänomenale phänomenale Information in Gestalt der Qualia innerlich abruft und verarbeitet, kann man schon sagen, dass Qualia relevant, insbesondere verhaltensrelevant sind.

Genau, das Gehirn modelliert ja unter anderem auch wiederum, daß es Empfindungen produziert.

Myron hat folgendes geschrieben:
Aber nichtsdestoweniger bedeutet dies mitnichten, dass mit den Qualia neuartige hyperphysische Wirkfaktoren im physischen Universum aufgetaucht sind.

#65: Re: Bewusstsein und Evolution Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 22.03.2010, 05:36
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....Wieso sollten bestimmte neuronale Prozesse 'geistig anspruchsvoll' sein und ein Bewusstsein benötigen? Welche Funktion hat Bewusstsein, wozu ist es gut? Oder hat es keine Funktion, ist nur ein verzichtbares Epiphänomen? Wozu überhaupt bewusstes Wissen, Erklärungen, Deutungen, Abstraktionen, Handlungen? Warum nicht einfach lediglich unbewusste Abläufe, Geschehnisse, durch neuronale Prozesse verursacht?

Es sind keine neuronalen Prozesse, die ein Bewusstsein benötigen, sondern es geht um Handlungsmöglichkeiten, die durch das Bewusstsein geschaffen werden, die ohne nicht existieren - Evolution befördert keine Ansprüche, sondern Nutzen.

Wie meinst Du das? Das verstehe ich nicht. Welche Handlungsmöglichkeiten werden durch das Bewusstsein geschaffen, welche würden ohne es nicht existieren und warum nicht?

Das war der abstract - stellst Du die Frage nach dem nächsten Teil immer noch?
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

fwo hat folgendes geschrieben:
Um es aus der Deisignersicht zu betrachten, weil die einfacher fällt: Wenn ich eine Maschine baue, die mit wechselnden Bedingungen zurechtkommen soll, hann ich mir den Bedingungsvorrat ansehen, für jede mögliche Bedingung das bestimmende Signal definieren und die Reaktion auf dieses Signal programmieren. Diese Maschine ist rein reaktiv und wird von Bedingungen außerhalb des geplanten Bedingungsvorrates plattgemacht wie ein Igel von einem Auto.

Um hier flexibler zu werden, muss ich weitergehen von der programmatisch fertig vorweggenommenen Situation / Bedingung, die ich an einem bestimmten Signal erkenne zu einer Analyse der Umgebung, die diese nicht als statisch annimmt, sondern ihre Dynamik und damit ihren Trend erfasst und in einer Trendverlängerung sogar in die Zukunft geht. Das macht wiederum nur Sinn, wenn diese Maschine sich selbst als den Teil der Situation definiert, den sie beeinflussen kann, dessen Trend sie also verändern kann. Was wir Bewusstsein nennen, ist die Möglichkeit der simulierten Trendverlängerung der eigenen Situation einschließlich einer Einbeziehungen möglicher Trendveränderungen.

Nein, ist es nicht. Einen autonomen Roboter zu bauen, der dynamisch und flexibel auf äußere und innere Veranderungen reagieren kann und der sich selber reparieren oder klonen kann, kann ich mir problemlos vorstellen (das ist zwar nicht trivial, in dem Sinne, dass ich das mal eben in ein, zwei Tagen hinzaubern könnte, es ist aber möglich in dem Sinne, dass ich mir die dazu notwendigen und hinreichenden Hard- und Softwaremodule konzeptuell vorstellen kann). Dazu braucht man "nur" ein paar komplizierte Algorithmen, die natürlich in der Lage dazu sein müssen, ein Modell der Umwelt und auch ein Modell der eigenen Zustände zu erstellen und die auch in irgend einer Weise die wahrscheinliche Zukunft hochrechnen müssen. Und man benötigt ein paar Sensoren (für innen und außen) und einen Bewegungs- und Greifmechanismus. All das ist machbar und wird ja auch schon gemacht, dabei gibt es mE kein prinzipielles Problem.

Aber an welcher Stelle kommt dabei Bewusstsein ins Spiel? All diese Algorithmen laufen 'unbewusst' ab, es gibt bei einem solchen Roboter keine Notwendigkeit für bewusstes Erleben, damit er so funktioniert, wie er soll, nämlich flexibel und dynamisch in Bezug auf vorher unbekannte Umweltbedingungen.

Wie man bewusstes Erleben in einem Algorithmus implementieren könnte, ist mir auch höchst unklar. Keinen Schimmer einer Ahnung, wie das gehen könnte. Nur weil der Roboter interne Repräsentationen von sich und seiner Umwelt hat, erlebt er noch lange nichts, er funktioniert halt einfach nur. Wenn der Sensor seiner Batterie anschlägt, weil die mal wieder aufgeladen werden muss, wird eben das Auflade-Softwaremodul aktiviert, das den Roboter zum nächsten Aufladepunkt lenkt (in Verbindung mit dem Wahrnehmungs- und den restlichen Modulen). Aber das ist nichts mit Bewusstsein.

fwo hat folgendes geschrieben:
Bewusstsein ermöglicht Planung.

Auch das verstehe ich nicht. Wenn es neuronale Vorgänge im Gehirn gibt, die man mit 'Planung' gleich setzen kann, dann sind diese neuronalen Vorgänge logischerweise die hinreichende Voraussetzung für 'Planung'. 'Bewusstsein' ist dann nur ein Nebeneffekt dieser neuronalen Vorgänge, ein unnützer, keine Auswirkung habender, ein beliebiger, unnötiger.

Vielleicht hättest Du die Geschichte mit dem Hund nicht unterschlagen sollen:
fwo hat folgendes geschrieben:
....Um ein einfaches Beispiel zu nehmen (den Versuch habe ich als Kind mit einem Hund gemacht, den wir in Pflege hatten, und ziemlich lange darüber nachgedacht) : Ich fordere den Hund auf, mir zu folgen, gehe dann durch eine Tür und schließe sie, bevor der Hund folgen kann. Ergebnis: Der Hund dreht auf der Stelle um und läuft einen ihm bekannten Umweg, auf dem er zu mir, das heißt hinter die Tür gelangt. Das bedeutet, dass der Hund nicht nur über eine Representation der Örtklichkeit verfügt, sondern auch über eine begrenzte Möglichkeit in die Zukunft zu sehen und entsprechend zu handeln....
Wir sind hier noch nicht beim reflektierenden Selbstbewusstsein, sondern in der Vorform. Dein Beispiel mit der Batterie ist eben keine Planung - die liegt noch beim Programmierer und nicht bei der Maschine. Planung wäre, wenn die Maschine nicht nur ab einem bestimmten Energiestand reagiert, bei dem dann das Auffüllflag gesetzt wird, der das Auflademodul aktiviert, sondern bei einer Aufmerksamkeit auf Energie ohne besonderes Flag eine Vorhersage (=Trendverlängerung) macht, wann das Auffüllen akut sein wird und wie dei anderen Aktivitäten zu in ihrer Priorität einzuteilen sind, damit zu diesem Zeitpunkt ein Auffüllen der Energie möglich sein wird.

Und das aber als Programmieraufgabe nicht speziell für die Energie gelöst, sondern in allgemeiner Form für einen allgemeinen existenziellen Parameter, für den die Energie nur ein Beispiel war. Die Möglichkeit der Planung setzt voraus, dass es eine Einheit gibt, die handelt, oder in der Betrachtung dynamischer Situationen, deren Trend nicht nur veränderbar ist, sondern diese Veränderung wird durch die Maschine gesteuert und betrifft sie selbst: Planung bedarf einer Identität. Am Hundebeispiel von mir: Eine rein reaktiv über Flags gesteuerte Maschine hätte mich nicht oder nur über Zufallsalgoritmen finden können. Aber dieser Hund hatte nicht nur die Lokalität im Kopf, sondern "wusste", dass er zu mir kommen würde (das ist in dem Moment, als er sich umdreht, um den Umweg zu laufen, Zukunft) und er "wusste", dass er es selbst sein würde, der dann bei mir ankommen würde, dieer Hund verfügt also über eine Identität. Ohne zu wissen, ob und wie sich das alles für den Hund anfühlt, würde ich das bereits als Bewusstsein bezeichnen.

fwo

#66:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 22.03.2010, 20:35
    —
Mein Roboter hat einen Sensor zur Erfassung der Umwelt (Ultraschall- oder Laserabstandssensor). Spendieren wir ihm jetzt noch eine Kamera und ein Funkmodul. Fortbewegen kann er sich mit einem Kettenlaufwerk. Geben wir ihm noch eine Aufgabe, damit er nicht ganz nutzlos ist. Der Roboter soll also radioaktiv verseuchte Stoffe in einem großen Gebäudekomplex aufspüren, dazu benötigt er dann noch einen zusätzlichen Sensor für radioaktive Strahlung. Um seine Batterie wieder aufzuladen, muss er ab und zu aus einer Steckdose Energie beziehen.

Das Gebäudemodell wird permanent mithilfe des Abstandssensors erzeugt, dieses Modell ist im Prinzip lediglich eine dynamisch erweiterbare Matrix, die für jede Koordinate (im 5-cm Abstand beispielsweise) entweder eine Null (-> kein Hindernis), eine Eins (-> Hindernis) oder den Wert UNKNOWN enthält.

Die Kamera ist lediglich dazu da, um die Lage von Steckdosen herausfinden zu können.

Der Roboter fährt also in das Gebäude, baut das Gebäudemodell immer weiter auf, je weiter er kommt, (wobei er auch seinen aktuellen Standpunkt im Gebäudemodell laufend aktualisiert), ein Softwaremodul filtert laufend aus den von der Kamera gelieferten Daten Steckdosen heraus und speichert deren Position bei Erfolg in einer Liste und ein anderes gibt permanent die aktuelle Radioaktivität und seine Position per Funkmodul nach außen.

Zusätzlich wird ununterbrochen der Abstand zur nächsten bekannten Steckdose berechnet und mit der verbleibenden Akkukapazität in Relation gesetzt. Wird dabei ein gewisses Sicherheitspolster unterschritten, fährt der Roboter auf dem kürzesten Weg zu dieser nächsten Steckdose und lädt dort seinen Akku auf.

Das Ganze ist nun halbwegs trivial zu implementieren, die Steckdosen-Mustererkennung und das Einfädeln der Kontakte in die Steckdose wird dabei noch der komplizierteste Part sein (wiewohl nicht besonders schwierig). Jedoch der Aufbau des Gebäudemodelles inkl. der eigenen Position ist ziemlich trivial und die Berechnung des kürzesten Weges zur nächsten bekannten Steckdose ebenso. Könnte man nun auch leicht so erweitern, dass das Gebäudemodell veränderbar ist, d.h. kommt der Roboter an eine Tür, die vorher offen war, jetzt aber durch den Wind oder so zugeschlagen wurde, dann wird das Gebäudemodell aktualisiert und ein neuer Weg zu der dann nächsten Steckdose errechnet.

Ist das nun genug 'Planung' für Dich? Eigentlich sollte das all Deine o.g. Anforderungen erfüllen.

Ein Bewusstsein wird dieser Roboter jedoch wohl kaum haben.

#67:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 22.03.2010, 21:07
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....
Ein Bewusstsein wird dieser Roboter jedoch wohl kaum haben.

Glaube ich auch nicht - der ist auch für eine so kleine Welt (Aufgabe) programmiert, dass das Programm komplett von dir ist - er füllt während seines Lebens nur Variabeln mit neuen Werten.

Die Maschine habe ich nur für die leichtere Beschreibbarkeit der in meinen Augen wesentlichen Eigenschaften genommen - eine zusätzliche muss wohl sein, dass eine gewisse Selbstprogrammierbarkeit hinzukommt - damit Du siehst, dass die Planung, die Du als Programmierer vornimmst, nicht die ich, die ich meine. Nimm dir als Beispiel lieber den Hund, den nie jemand auf die Wohnung meiner Eltern programmieren konnte, und der erst als fertige Maschine mit dem Auftrag gefüttert wurde, mir zu folgen. Und weil Du nicht weißt, wie sich Hund von innen anfühlt (es sei denn, Du hast mal einen präpariert - aber das meine ich hier nicht zwinkern ) kommst Du auch nicht in Versuchung, dein eigenes Bewusstsein, das erheblich komplexer ist, als Modell zu nehmen.

fwo

#68:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 22.03.2010, 21:45
    —
Ähnlich wie fwo halte ich bei der Frage, wo Bewußtsein anfängt, die "eigenen" Qualia und das menschliche Bewußtsein für einen denkbar schlechten Ansatzpunkt. U.a. deswegen, weil immer die Gefahr besteht, daß wir "höhere" Bewußtseinsphänomene, also z.B. personales Bewußtsein, mit einfacheren Phänomenen vermischen.

Besser sollte man tatsächlich versuchen zu beantworten, ob beispielsweise ein Tier, das von seinem Verhaltensrepertoire her dem von AP beschriebenen Roboter nicht ganz unänhlich ist, Bewußtsein hat. Etwa eine Fruchtfliege oder ein Regenwurm.

Ich persönlich denke, daß der Schritt zur Bewußtheit von Wahrnehmungen dann stattfindet, wenn das Gehirn die Wahrnehmungen auf eine Art "innere Bühne" bringt. Das kann durchaus schon bei Tieren mit einem mittelkomplexen Gehirn der Fall sein. Es scheint mir daher auch wahrscheinlich, daß eine künstliche Intelligenz, die auf einem hinreichend parallelen Rechensubstrat läuft und hinreichend sensoriell und lernfähig angelegt ist, Bewußtsein ausbildet, Aufmerksamkeit richten kann usw.

#69:  Autor: Tso Wang BeitragVerfasst am: 22.03.2010, 22:51
    —
.

Läuft gerade auf 3sat:

"Dem Bewußtsein auf der Spur"

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#70:  Autor: AscaniusWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 23.03.2010, 01:55
    —
Warum nur vergeuden sogar Neurobiologen ihre Zeit immer wieder mit denselben Banalitäten? Selbstverständlich liegen zwischen einem Gehirnprozess, seiner Bewußtwerdung und der Anzeige seiner Bewußtwerdung jeweils minimale Zeitspannen - wie sollte es auch anders sein können? Selbstverständlich ist (auch nichtbegriffliches) Bewußtsein (von etwas) als höchstemergente Eigenschaft enorm komplexer neuronaler Systeme an eben diese Systeme gebunden und nicht mit anderen Mitteln simulierbar. Biophysikalische und biochemische Prozesse in Gehirnen haben nun mal nicht das Geringste mit dem gemeinsam, was in Computern oder anderen Artefakten vor sich geht - nicht einmal dann, wenn die Ergebnisse die gleichen sind.

#71:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 23.03.2010, 02:33
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....
Ein Bewusstsein wird dieser Roboter jedoch wohl kaum haben.

Glaube ich auch nicht - der ist auch für eine so kleine Welt (Aufgabe) programmiert, dass das Programm komplett von dir ist - er füllt während seines Lebens nur Variabeln mit neuen Werten.

Die Maschine habe ich nur für die leichtere Beschreibbarkeit der in meinen Augen wesentlichen Eigenschaften genommen - eine zusätzliche muss wohl sein, dass eine gewisse Selbstprogrammierbarkeit hinzukommt - damit Du siehst, dass die Planung, die Du als Programmierer vornimmst, nicht die ich, die ich meine. Nimm dir als Beispiel lieber den Hund, den nie jemand auf die Wohnung meiner Eltern programmieren konnte, und der erst als fertige Maschine mit dem Auftrag gefüttert wurde, mir zu folgen.

Hm, den Unterschied sehe ich jetzt nicht so recht. Mein Roboter wurde ja auch nicht auf ein bestimmtes Gebäude programmiert, er musste sich auch ein Modell dieses Gebäudes quasi erst erarbeiten. Der Roboter ist insofern (obgleich so primitiv wie dargestellt) universell, als dass er in beliebigen Gebäuden eingesetzt werden kann.

Willst Du letztlich darauf hinaus, dass es irgendwie wesentlich sei, dass das eine System (Roboter) von einem Programmierer (abstrakter gesagt: Designer) entworfen wurde und das andere (Hund) nicht? Aber das ist kein wesentlicher Unterschied für einen Vergleich der Fähigkeiten der beiden Systeme, bzw. wüsste ich nicht, inwiefern er wesentlich sein könnte. Ist doch für die aktuellen (und zukünftigen) Fähigkeiten egal, ob die evolutionär entstanden sind oder programmiert wurden.

Beide Systeme können sich in einem unbekannten Terrain orientieren. Wobei das Terrain des Roboters im Falle des von mir skizzierten primitiven Roboters bestimmte Eigenschaften haben muss: es muss eben sein, der Roboter kann in seiner Gebäudemodell-Tabelle keine allzu großen Niveauunterschiede abheften und bewältigen; das Terrain des Hundes kann sehr viel vielfältiger sein, insofern ist er nun flexibler und komplexer, keine Frage.

Naja, aber der Roboter ist nun mal so wie oben skizziert nur ein extrem primitives System, das kann auf einem uralten Prozessor von Anno-Dunnemals laufen. Der Erweiterungen sind nun keine Grenzen gesetzt, man kann ihn dazu programmieren, dass er einen Aufzug benutzt (zum Beispiel). Aber selbst wenn ich das immer weiter forttreibe, dem Roboter immer mehr Fähigkeiten implementiere, immer bessere Prozessoren und einen immer größeren Speicher verwende: ich sehe nicht, wo dabei irgendwo Bewusstsein hinzukommen sollte. Ich sehe noch nicht einmal, was das bringen könnte, inwiefern die Funktionalität des Roboters durch ein Bewusstsein gesteigert werden könnte.

Denken wir uns einfach mal einen ganz furchtbar fortgeschrittenen Roboter der Zukunft. Der hat kein Kettenlaufwerk mehr, sondern künstliche Beine und Arme, (so wie Prothesen, die müssen nicht genauso aussehen wie menschliche Arme und Beine, nur so funktionieren, dieselben Bewegungen ausführen können). Damit kann er laufen wie ein Mensch, er kann malen und Skulpturen erstellen, (nachdem seine Sensoren eine große Menge bestehender Kunstwerke erfasst haben), er kann tanzen und neue Tänze zeigen, (nachdem seine Sensoren wiederum massig Daten über Tänze von Menschen erfasst haben), er kann mit einem Schwert gegen Schwertmeister kämpfen und diese oft besiegen, (nach einigem Training), er kann menschliche Emotionen lesen und diese ziemlich zuverlässig anzeigen, sagen wir durch eine LED-Skala von eins bis zehn - von extrem gut bis ganz mies drauf - (wieder nach einem langen Training, bei dem ihm jedesmal eingegeben wurde, welche Emotion den Bildaufnahmen der Person entspricht). Er kann genial Schach spielen, niemand kann ihn schlagen. Sprechen und somit über Sprache kommunizieren kann er jedoch nicht. Man kann ihn also nichts fragen, man kann ihn nur beobachten und so seine Fähigkeiten feststellen.

Hat dieser Roboter nun ein Bewusstsein? Ich meine nicht, ich wüsste auch nicht, wieso man das annehmen könnte. Und das Programmierer vs. Evolution-Argument zieht dabei nicht, das halte ich für unwesentlich.

#72:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 23.03.2010, 03:57
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
....
Hat dieser Roboter nun ein Bewusstsein? Ich meine nicht, ich wüsste auch nicht, wieso man das annehmen könnte. Und das Programmierer vs. Evolution-Argument zieht dabei nicht, das halte ich für unwesentlich.

Ich kann mich auch nicht entsinnen, dass ich soetwas wie ein Evolution-Argument gebracht hätte. Was ich geschrieben habe, war folgendes:
fwo hat folgendes geschrieben:
.....
Um es aus der Deisignersicht zu betrachten, weil die einfacher fällt: Wenn ich eine Maschine baue, die mit wechselnden Bedingungen zurechtkommen soll, hann ich mir den Bedingungsvorrat ansehen, für jede mögliche Bedingung das bestimmende Signal definieren und die Reaktion auf dieses Signal programmieren. Diese Maschine ist rein reaktiv und wird von Bedingungen außerhalb des geplanten Bedingungsvorrates plattgemacht wie ein Igel von einem Auto.

Um hier flexibler zu werden, muss ich weitergehen von der programmatisch fertig vorweggenommenen Situation / Bedingung, die ich an einem bestimmten Signal erkenne zu einer Analyse der Umgebung, die diese nicht als statisch annimmt, sondern ihre Dynamik und damit ihren Trend erfasst und in einer Trendverlängerung sogar in die Zukunft geht. Das macht wiederum nur Sinn, wenn diese Maschine sich selbst als den Teil der Situation definiert, den sie beeinflussen kann, dessen Trend sie also verändern kann. Was wir Bewusstsein nennen, ist die Möglichkeit der simulierten Trendverlängerung der eigenen Situation einschließlich einer Einbeziehungen möglicher Trendveränderungen. ....

Was Du im Moment spielst, ist eine Erweiterung des Bedingungsvorrates, der möglichen Flags und der möglichen Reaktionen. Ich hatte ja darum gebeten, die menschlichen Fähigkeiten erstmal wegzulassen, und Du lässt ihn Schach spielen, ohne ihm die Fähigkeit zu geben, das zu lernen, denn Sprache soll er nicht können. Das Schachspiel, die Regeln und die Strategie hätte er also von dir. Dabei ist es mir Wurscht, ob wir eine Maschine haben oder ein Produkt der Evolution - ich habe allgemeinere Programme gefordert: Ein Programm, dass unabhängig vom Problem in die Zukunft sehen kann, mit der einfachen Methode der Trendverlängerung vorhandener Wahrnehmungen in Verbindung mit gespeicherter Information. Der Prozess-Scheduler muss gegenüber dem des reaktiv über fest installierte Reizmuster gesteuerten Automaten wie einem Insekt breits über eine Kommunikation außerhalb des Austausches der Gestimmtheit verfügen (wobei wir soetwas, allerdings wieder in der Firmware, in Form z.B. der Tanzsprache (Bienen) auch bei Insekten schon kennen.)

Eine Planung, die nicht vom Programmierer kommt, sondern vom programmierten Individuum (das ist der Gegensatz, von dem ich gesprochen habe, nicht die Evolution) braucht ein minimales Verständnis von Zeit und Lernfähigkeit, die nicht am Objekt orientiert ist, sondern an den Eingabekanälen (Optik, Akustik, (Chemorezeption,) Mechanorezeption sowohl für die Eigenschaften der Umwelt als auch für die eigene Bewegung im Raum. Planung bedeutet nun, für jeden aktuellen bewussten Prozess, je nach der vom Scheduler vorgegebenen Proirität einen Befehlsstapel anzulegen, der geeignet ist, zum Prozessziel zu führen, auch wenn der Prozess und/oder das Ziel zur Zeit der Programmierung der Maschine noch nicht bekannt waren. Dass im Hintergrund dann noch fest verdrahtete rein reaktive Programme laufen, nur um Basisprozesse dieser Hardware zu steuern, ist unwesentlich.

Nun vergleich das mal mit deinem Ansatz - wobei ich immer noch nur einen Hund im Auge habe und keinen Schachspieler.

fwo

#73:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 23.03.2010, 04:28
    —
Ascanius hat folgendes geschrieben:
Warum nur vergeuden sogar Neurobiologen ihre Zeit immer wieder mit denselben Banalitäten? Selbstverständlich liegen zwischen einem Gehirnprozess, seiner Bewußtwerdung und der Anzeige seiner Bewußtwerdung jeweils minimale Zeitspannen - wie sollte es auch anders sein können?


Wenn Bewusstseinsvorgänge Gehirnvorgänge sind, dann werden sie von diesen nicht verursacht, sondern sie laufen gleichzeitig damit ab, d.h. ohne irgendeine zeitliche Verzögerung.
Zwischen zwei identischen Vorgängen kann es logischerweise keine Zeitunterschiede geben.

#74:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 23.03.2010, 04:39
    —
step hat folgendes geschrieben:
Ähnlich wie fwo halte ich bei der Frage, wo Bewußtsein anfängt, die "eigenen" Qualia und das menschliche Bewußtsein für einen denkbar schlechten Ansatzpunkt. U.a. deswegen, weil immer die Gefahr besteht, daß wir "höhere" Bewußtseinsphänomene, also z.B. personales Bewußtsein, mit einfacheren Phänomenen vermischen.


Diese Gefahr besteht in der Tat!
Bewusstsein ist nicht auf denk- oder sprachfähige, "vernunftbegabte" Lebewesen beschränkt.
Die Naturgeschichte des Bewusstseins beginnt mit einfachen Sinneswahrnehmungen und Empfindungen fernab jeglichen Selbstbewusstseins, das Lebewesen besitzen, die wir als Personen bezeichnen.

#75:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 23.03.2010, 05:00
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
Warum nur vergeuden sogar Neurobiologen ihre Zeit immer wieder mit denselben Banalitäten? Selbstverständlich liegen zwischen einem Gehirnprozess, seiner Bewußtwerdung und der Anzeige seiner Bewußtwerdung jeweils minimale Zeitspannen - wie sollte es auch anders sein können?


Wenn Bewusstseinsvorgänge Gehirnvorgänge sind, dann werden sie von diesen nicht verursacht, sondern sie laufen gleichzeitig damit ab, d.h. ohne irgendeine zeitliche Verzögerung.
Zwischen zwei identischen Vorgängen kann es logischerweise keine Zeitunterschiede geben.

Dieses Phänomen könnte man erklären, indem man ein Vielschichten-Modell annimmt, von dem jede Schicht soetwas wie Makrodefinitionen der jeweils darunter liegenden Schicht einthält - sowas wie ein gestaffeltes Interpretersystem. Wenn ich jetzt davon ausgehe, dass das Bewusstsein sich in der obersten Schicht abspielt, aber jeder Denkakt in dieser Hierarchie einmal bis zum Boden durchprozessiert und wieder auf die oberste Ebene zurückübersetzt werden muss, dann messe ich die maximale Tätigkeit und meine Muster, wenn der Prozess in der untersten Ebene angekommen ist....

fwo

#76:  Autor: AscaniusWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 23.03.2010, 07:04
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Wenn Bewusstseinsvorgänge Gehirnvorgänge sind, dann werden sie von diesen nicht verursacht, sondern sie laufen gleichzeitig damit ab, d.h. ohne irgendeine zeitliche Verzögerung.
Zwischen zwei identischen Vorgängen kann es logischerweise keine Zeitunterschiede geben.


Ein Prozess der Bewußtwerdung ist doch nicht identisch mit seinem Objekt! Bewußtsein ist immer das Bewußtsein von etwas, nämlich von bestimmten Gehirnprozessen. Nur ein verschwindend kleiner Teil aller Gehirnprozesse wird uns überhaupt bewußt und das auch "nur" in Form ihrer Äquivalenzklassen (Wahrnehmungen, Empfindungen, Gedanken). In jedem Fall müssen sie stattgefunden haben, bevor man sich ihrer bewußt werden kann.

#77:  Autor: ShadaikWohnort: MG BeitragVerfasst am: 23.03.2010, 16:27
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ein Bewusstsein wird dieser Roboter jedoch wohl kaum haben.
Warum nicht? Weil er ein Roboter ist?

#78:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 23.03.2010, 16:37
    —
Shadaik hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ein Bewusstsein wird dieser Roboter jedoch wohl kaum haben.
Warum nicht? Weil er ein Roboter ist?

Nein, weil er zu konkret programmiert ist (s.o.)

fwo

#79:  Autor: ShadaikWohnort: MG BeitragVerfasst am: 23.03.2010, 16:45
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Shadaik hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ein Bewusstsein wird dieser Roboter jedoch wohl kaum haben.
Warum nicht? Weil er ein Roboter ist?

Nein, weil er zu konkret programmiert ist (s.o.)

fwo
Das schließt mE ein Bewusstsein nicht aus, sondern nur eine gewisse (programmabhängige) Parameter überschreitende Lernfähigkeit. Ich sehe keinen Grund, beide Fähigkeiten als verbunden anzusehen, auch wenn das bei den uns bekannten organischen Lebensformen mangels Erblichkeit des Gedächtnisses wahrscheinlich so ist.

#80:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 23.03.2010, 16:53
    —
Shadaik hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Shadaik hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ein Bewusstsein wird dieser Roboter jedoch wohl kaum haben.
Warum nicht? Weil er ein Roboter ist?

Nein, weil er zu konkret programmiert ist (s.o.)

fwo
Das schließt mE ein Bewusstsein nicht aus, sondern nur eine gewisse (programmabhängige) Parameter überschreitende Lernfähigkeit. Ich sehe keinen Grund, beide Fähigkeiten als verbunden anzusehen, auch wenn das bei den uns bekannten organischen Lebensformen mangels Erblichkeit des Gedächtnisses wahrscheinlich so ist.

Da solltest Du wohl mal etwas genauer qualifizieren, was Bewusstsein für dich ist. Hat eine Spinne Bewusstsein? Ein Wurm? Woran machst Du es fest?

fwo

#81:  Autor: ShadaikWohnort: MG BeitragVerfasst am: 23.03.2010, 17:06
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Shadaik hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Shadaik hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ein Bewusstsein wird dieser Roboter jedoch wohl kaum haben.
Warum nicht? Weil er ein Roboter ist?

Nein, weil er zu konkret programmiert ist (s.o.)

fwo
Das schließt mE ein Bewusstsein nicht aus, sondern nur eine gewisse (programmabhängige) Parameter überschreitende Lernfähigkeit. Ich sehe keinen Grund, beide Fähigkeiten als verbunden anzusehen, auch wenn das bei den uns bekannten organischen Lebensformen mangels Erblichkeit des Gedächtnisses wahrscheinlich so ist.

Da solltest Du wohl mal etwas genauer qualifizieren, was Bewusstsein für dich ist. Hat eine Spinne Bewusstsein? Ein Wurm?

Keine Ahnung, vielleicht. Woher soll ich das wissen, ich habe ja keine Möglichkeit, mit nichtmenschlichen Lebensformen zu kommunizieren? Einige Spinnen zeigen beachtliche intelektuelle Fähigkeiten (individuelle Beutestrategien u.ä.).

Zitat:
Woran machst Du es fest?

Bewusstsein besteht mE aus den Fähigkeiten, Selbst und Umgebung zu unterscheiden, Schlüsse zu ziehen, Planungen anzulegen und Wahrnehmungen zu kategorisieren.

#82:  Autor: Tso Wang BeitragVerfasst am: 23.03.2010, 19:27
    —
Ascanius hat folgendes geschrieben:
Warum nur vergeuden sogar Neurobiologen ihre Zeit immer wieder mit denselben Banalitäten?



.

Bezieht sich Deine fragende Antwort auf die von mir verlinkte Dokumentation auf 3sat:

"Dem Bewußtsein auf der Spur" , weil Du ja direkt darauf gepostet hast ?

Denn banal wäre das nicht. Die Konsequenzen aus diesen "Vergeudungen" können sowohl zu sinnvollen (Medizin) als auch fragwürdigen (Militär) Anwendungen führen (siehe Doku). Vielleicht bezog sich Dein Posting ja auch auf etwas anders....?

()

#83:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 23.03.2010, 21:09
    —
Ascanius hat folgendes geschrieben:

Ein Prozess der Bewußtwerdung ist doch nicht identisch mit seinem Objekt! Bewußtsein ist immer das Bewußtsein von etwas, nämlich von bestimmten Gehirnprozessen.


Das innere Gewahren von Erlebnissen wie Empfindungen ist nicht analog zur Wahrnehmung äußerer Gegenstände mit einer Subjekt-Objekt-Struktur. Denn für alle Erlebnisse gilt: Sein heißt Erlebtwerden!
Wenn ich zum Beispiel einen Schmerz in meiner linken Wade spüre, dann existierte dieser nicht, bevor ich mir seiner bewusst wurde.
Es gibt hier keine Zeitverzögerung wie beim Sehen eines Baumes, wo es einen Moment dauert, bis das vom Baumstamm reflektierte Licht meine Augen erreicht.

Ascanius hat folgendes geschrieben:

Nur ein verschwindend kleiner Teil aller Gehirnprozesse wird uns überhaupt bewußt und das auch "nur" in Form ihrer Äquivalenzklassen (Wahrnehmungen, Empfindungen, Gedanken). In jedem Fall müssen sie stattgefunden haben, bevor man sich ihrer bewußt werden kann.


Natürlich sind die Bewusstseinsvorgänge, d.i. die bewussten, unmittelbar erlebten Nervenvorgänge Teil eines Netzwerkes, woran auch etliche unbewusste, unerlebte Nervenvorgänge mitwirken. Ich sage ja nur, dass ein psychophysischer Vorgang erlebt wird, sobald er einsetzt. Denn zwischen den betreffenden Nervenvorgängen und den entsprechenden Bewusstseinsvorgängen besteht aufgrund ihrer Identität kein Ursache-Wirkungs-Verhältnis.
Dass vor, während und nach den psychophysischen Vorgängen immer auch rein physische ablaufen, steht außer Frage.

#84:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 24.03.2010, 00:58
    —
Shadaik hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
.....
Da solltest Du wohl mal etwas genauer qualifizieren, was Bewusstsein für dich ist. Hat eine Spinne Bewusstsein? Ein Wurm?

Keine Ahnung, vielleicht. Woher soll ich das wissen, ich habe ja keine Möglichkeit, mit nichtmenschlichen Lebensformen zu kommunizieren? Einige Spinnen zeigen beachtliche intelektuelle Fähigkeiten (individuelle Beutestrategien u.ä.).

Zitat:
Woran machst Du es fest?

Bewusstsein besteht mE aus den Fähigkeiten, Selbst und Umgebung zu unterscheiden, Schlüsse zu ziehen, Planungen anzulegen und Wahrnehmungen zu kategorisieren.

Man kann mit Spinnen reden, genauso wie ich mich mit dem Hind unterhalten habe - im Experiment.

Wenn Du sie nur beobachtest, kommst Du in die Versuchung falsch zu beschreiben: So zeigen frei jagende Spinnen wie Wolfsspinnen oder - noch stärker - Springspinnen in neuem Gebiet ein Verhalten, das man versucht ist, als Erkundung zu beschreiben. Wenn Du ihnen jedoch ein Hindernis in den Weg legst, hängt es von den Hindernisqualitäten ab, ob sie fliehen (z.B. bei einer lebenden Hand als Hindernis) oder das Hindernis "erkunden". Die ursprüngliche "Erkundung" ist jedenfalls abgebrochen und wird nicht wieder aufgenommen. Das spricht gegen einen Plan, das spricht für das Verhalten als von Umgebung und inneren Sollwerten streng gesteuert, wir haben hier also eine relativ starre Programmierung über bestimmte bestimmende Signale.

Auch eine echte Orientierung im Raum für sehr kurze Distanzen ist für die Spinne nicht wirklich nötig, auch für den Beutesprung der Springspinne, genauso wie für die Erledigung einer Beute im Netz lässt sich eine sehr schlichte Steuerung über Schlüsselreize vorstellen.

Wir haben in der Natur Organismen vor uns, die erfolgreich bis heute überlebtr haben - ihr Verhalten ist deshalb zwangsläufig von einer Zweckmäßigkeit, die eigentlich immer beabsichtigt und zielorientiert wirkt - auch wenn der Organismus so starr "programmiert" ist, dass von Absicht keine Rede sein kann. Erkennbar wird ein Plan an der Modifikation bei Störungen.

fwo

#85:  Autor: ShadaikWohnort: MG BeitragVerfasst am: 24.03.2010, 12:02
    —
Dass Spinnen kein Bewusstsein haben schließt diese Möglichkeit nicht prinzipiell aus. Und ich glaube, wenn Menschen spinnengroß wären, würden sie sich auch nicht anders verhalten ("Ich war da schonmal, da hat's gigantische Hände, lasst uns da lieber nicht nochmal hingehen" oder auch "Oh, schau mal da, das ist viel interessanter - äh, was wollte ich hier nochmal?").

Ich dachte an diese Spinnen: http://en.wikipedia.org/wiki/Portia_%28genus%29 , vor allem Portia fimbriata

Und nein, ich glaube auch nicht, dass man herausfinden kann, ob ein Hund ein Bewusstsein hat. Und mit dem können wir immerhin zumindest rudimentär kommunizieren. Ich glaube noch nicht einmal, dass das beim Menschen möglich ist.

#86:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 24.03.2010, 12:21
    —
Shadaik hat folgendes geschrieben:
.....
Und nein, ich glaube auch nicht, dass man herausfinden kann, ob ein Hund ein Bewusstsein hat. Und mit dem können wir immerhin zumindest rudimentär kommunizieren. Ich glaube noch nicht einmal, dass das beim Menschen möglich ist.

Mir scheint, Du hängst das Bewusstsein etwas zu hoch. Natürlich ist das Bewusstsein eines Hundes nicht gleich dem Bewusstsein eines Hominiden, geschweige denn, dem eines Menschen. Ich wüsste allerdings nicht, wie ich die oben beschriebene Szene mit dem Hund ohne soetwas wie Bewusstsein erklären sollte.

Die Faszination für Salticiden teilen wir wohl (ich hatte nicht umsonst mal eine Marpissa als Ava, bis mich ateyim bat, das Teil zu entfernen, wei er eine Spinnenphobie habe.) Ich habe allerdings schon wegen der Größe ihrer Gehirne Schwierigkeiten mir so einen Luxus wie Bewusstsein bei ihnen vorzustellen. Die kleinsten Spinnenarten sind meines Wissens schon im Bereich der Zellkonstanz.

fwo

#87:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 24.03.2010, 22:08
    —
Mal noch ein paar Gedanken dazu.

Das Problem des Bewusstseins ist, zu verstehen, wie es entsteht und wie es mit physikalischen Prozessen zusammenhängt.

Bewusstsein beinhaltet mE "bewusstes Erleben", auch Qualia genannt. Hier ein ganz guter Überblick über die Problematik.

Man kann, um dieses Problem der momentanen Nicht-Erklärbarkeit von Qualia anzugehen, folgende Strategien anwenden:

Wikipedia - Bewusstsein hat folgendes geschrieben:
1. Man kann sich auf einen Dualismus zurückziehen und behaupten: Die Naturwissenschaften können das Bewusstsein nicht erklären, weil das Bewusstsein nicht materiell ist.
2. Man kann behaupten, dass mit den neuro- und kognitionswissenschaftlichen Beschreibungen schon alle Fragen geklärt seien.
3. Man kann behaupten, dass das Problem für Menschen nicht lösbar ist, da es ihre kognitiven Fähigkeiten übersteigt.
4. Man kann zugeben, dass das Qualiaproblem nicht gelöst ist, aber auf den wissenschaftlichen Fortschritt hoffen. Vielleicht bedarf es einer neuen wissenschaftlichen Revolution.
5. Man kann einen radikalen Schritt versuchen und behaupten: In Wirklichkeit gibt es gar keine Qualia.
6. Man kann umgekehrt die Gegenposition einnehmen und behaupten: Jedem Zustand eines physischen Systems entspricht ein Quale oder ein Satz von Qualia. (Panpsychismus)

Wobei jede dieser Positionen mE noch gewisse ungelöste Probleme in sich birgt. (Ich neige übrigens zur Nr. 4.)

Und dann nochmal zum Epiphänomenalismus. Dieser basiert auf drei Annahmen (siehe dort):

1. Kein mentales Ereignis ist identisch mit oder reduzierbar auf ein physikalisches Ereignis. [Irreduzibilität]
2. Jedes mentale Ereignis hat als Ursache eine Menge von physikalischen Ereignissen. [Abhängigkeit]
3. Kein mentales Ereignis ist Ursache oder Teilursache eines anderen Ereignisses. [kausale Impotenz]

Ich halte den Epiphänomenalismus für mit zu großen Problemen / Widersprüchen konfrontiert, um ihn akzeptieren zu können. Siehe auch in dem obigen Link (obgleich der Autor versucht, den E. zu verteidigen, mE aber letztlich nicht sehr überzeugend). Ein E. ergibt nur dann Sinn, wenn man die Annahme 1 voraussetzt. Aber das muss ein Monist eigentlich nicht, meine ich zumindest, und wenn nicht, dann ist E. verzichtbar, bringt nichts.

Die Frage wäre dann, ob Bewusstsein mit bestimmten physischen Vorgängen einhergehen muss, sich also dann unweigerlich ergibt. Wäre dem so, dann wären (bestimmte) physische und mentale Zustände identisch, bzw. die mentalen Zustände supervenierten über gewissen physischen Zuständen, (und dann, aber nur dann und wenn man das hinreichend begründet hat, kann man das P-Zombie-Argument begründet ablehnen. Wenn man jedoch E. vertritt, sind Zombie-Welten problemlos logisch möglich - was mE in Verbindung mit dem Evolutions-Argument ziemlich gegen den E. spricht, bzw. eines plausiblen Gegenargumentes bedarf). Die Frage, ob Bewusstsein ein Epiphänomen sei, wäre dann per se sinnlos, denn der physische Zustand P wäre dann ja der mentale Zustand M. Es wäre dann falsch, zu sagen, M würde durch P verursacht. Oder, anders ausgedrückt: wenn gilt (Physikalischer Zustand P1 = mentaler Zustand M1) -> P2 -> (P3 = M2), dann kann man bedenkenlos und richtigerweise sagen, dass M2 durch M1 verursacht wurde (wie man auch richtigerweise sagen kann, dass P3 durch P2 und P2 durch P1 verursacht wurde).

Ich glaube zwar, dass dem so ist, aber das ist letztlich nur eine Behauptung, die ich nicht begründen kann. Was natürlich unbefriedigend ist.

Und was genau notwendig ist, um Bewustssein zu erzeugen, weiß ich (man) nicht. Es wäre ja durchaus denkbar, dass Bewusstsein von der materiellen Basis abhängt und nicht lediglich von der Funktion, bzw. dem äußerlich wahrnehmbaren Verhaltens eines Systemes. Was bedeutete, wenn dem so wäre, dass man zwar mit Computern Gefühle und Bewusstsein simulieren, aber nicht erzeugen könnte, (solange die auf einer anderen / unzureichenden materiellen Basis beruhen). Und was eigentlich auch bedeutete, dass Funktionalismus falsch wäre. Oder zumindest, dass gewisse notwendige Funktionalität noch nicht durchschaut wird. Bzw. dass gewisse Reduzierung / Vereinfachung von Funktionalität unzureichend ist und ziemlich in die Irre führt.

#88:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 24.03.2010, 22:30
    —
Könnte es sein, daß das ein Scheinproblem ist? Könnte es sein, daß es sich einfach nur um zwei unterschiedliche Perspektiven ein und der selben Sache handelt? Man schaut von außen auf einen Menschen, ich nenne das einmal Er-Perspektive und sehe zB im Computertomografen einen bestimmten Zustand seines Gehirns. Im gleichen Augenblick sieht dieser Mensch sich selbst aus der Ich-Perspektive, nimmt sich selbst wahr und weiß, daß er selbst das ist. Das ist sein Bewußtsein. Aus der Er-Perspektive sehen wir einen Menschen, der sich seiner selbst bewußt ist, was nichts anderes als eine für ein intelligentes Wesen notwendige Eigenschaft ist, und aus der Ich-Perspektive weiß dieser Mensch, wie sich das für ihn selbst anfühlt. Und da wir alle ähnlich konstruiert sind, wissen wir alle so ungefähr, wie sich das für andere anfühlen wird. "It Don't Mean A Thing, If It Ain't Got That Swing" Lachen

#89:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 24.03.2010, 22:44
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Könnte es sein, daß das ein Scheinproblem ist?

Nein, das wäre in diesem Falle mE die unbefriedigenste Antwort überhaupt. Wer offene Fragen einfach dadurch beseitigen will, dass er argumentfrei ihre Relevanz leugnet, ist mE intellektuell herausgefordert. Oder so.

Wie entsteht aus physischen Vorgängen Bewusstsein? Welche (notwendigen und hinreichenden) Voraussetzungen gibt es dafür? Wie funktioniert das, wie kann man den Zusammenhang herstellen? Oder entsteht es gar nicht aus physikalischen Vorgängen? Ist der Substanzdualismus wahr?

Das sind mE sinnvolle Fragen, die einer Antwort bedürfen. Mag ja nun sein, dass das jemanden nicht interessiert. Aber deswegen ist es noch lange kein Scheinproblem. Und "isso" ist auch keine befriedigende Antwort. Fragt sich dann halt, wie es ist und wieso.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Könnte es sein, daß es sich einfach nur um zwei unterschiedliche Perspektiven ein und der selben Sache handelt? Man schaut von außen auf einen Menschen, ich nenne das einmal Er-Perspektive und sehe zB im Computertomografen einen bestimmten Zustand seines Gehirns. Im gleichen Augenblick sieht dieser Mensch sich selbst aus der Ich-Perspektive, nimmt sich selbst wahr und weiß, daß er selbst das ist. Das ist sein Bewußtsein.

Ja, das ist ja alles schön und gut. Aber das erklärt doch nichts. Das ist nur eine Beschreibung.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Aus der Er-Perspektive sehen wir einen Menschen, der sich seiner selbst bewußt ist, was nichts anderes als eine für ein intelligentes Wesen notwendige Eigenschaft ist, und aus der Ich-Perspektive weiß dieser Mensch, wie sich das für ihn selbst anfühlt.

Aber das ist doch genau die Frage: ist es wirklich so, dass Bewusstsein für ein intelligentes Wesen eine notwendige Eigenschaft ist? Wenn ja: wieso? Und wie ergibt sich sich Bewusstsein, wie entsteht das? Und hätte ein intelligenter Computer Bewusstsein?

Es nutzt ja nichts, einfach eine Notwendigkeit zu proklamieren.

#90:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 24.03.2010, 23:11
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Aber das ist doch genau die Frage: ist es wirklich so, dass Bewusstsein für ein intelligentes Wesen eine notwendige Eigenschaft ist?

Hältst du das wirklich für eine Frage? Jedes Lebewesen macht sich ein Bild von dieser Welt. Je intelligenter das Lebewesen, umso komplexer das Bild. Dieses Bild wäre unvollständig ohne ein Bild zu haben von sich selbst. Erst wenn Menschen sich selbst bewußt werden als Menschen unter anderen, können sie ihr Verhalten in der Geselschaft der anderen steuern. Und dazu braucht man Bewußtsein.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Wenn ja: wieso? Und wie ergibt sich sich Bewusstsein, wie entsteht das?

Ich kann nicht erklären, wie Bewußtsein entsteht. Das versuchen Wissenschaftler herauszufinden, und ich bin keiner davon. Wissen wird man es erst, wenn man es nachbauen kann. Wann das sein wird, weiß keiner, aber durch reines Nachdenken löst du das Problem nicht. Meine Fähigkeiten übersteigt das bei weitem. Wie ist es mit deinen? Mit mangelndem Interesse hat das nichts zu tun. Daher genügt mir eine Beschreibung, die mir zeigt, wo wir stehen. (Gestern gab es übrigens auf 3sat eine hitec-Sendung dazu)
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Und hätte ein intelligenter Computer Bewusstsein?

Und ja, warum sollte es nicht einen Computer mit Bewußtsein geben. Aber dazu brauchst du nur Asimow zu lesen.

#91:  Autor: Alphatierchen BeitragVerfasst am: 24.03.2010, 23:18
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Hat jemand von euch schonmal von der Theorie von Roger Penrose gehört, dass Bewusstsein auf der Quantenkohärenz von Mikrotubuli beruhen?
Mein Wissen in Sachen Quantenphysik geht leider nicht über Fernsehdokus hinaus und daher kann ich mich da so gar nicht reindenken.

Zitat:
6. Penrose stellt für das bewußte Denken folgende Hypothese auf:

Bewußte Denkprozesse bestehen in der Superposition paralleler Rechenprozesse der Neuronen, die nach der Erreichung des Niveaus eines "Gravitons" aus den bis dahin erzielten Parallelresultaten das Ergebnis durch einen quantenmechanischen Reduktionsprozeß R fixieren. Durch diese Fixierung entsteht die neue Verknüpfungsstruktur der Neuronen.

http://www.bertramkoehler.de/Bew5.htm

Falls hier jemand ist, der ein wenig Ahnung von der Materie und Penrose´s Theorie hat, würde es mich mal interessieren was ihr davon haltet.

#92:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 24.03.2010, 23:41
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Mal noch ein paar Gedanken dazu.

Das Problem des Bewusstseins ist, zu verstehen, wie es entsteht und wie es mit physikalischen Prozessen zusammenhängt.

Bewusstsein beinhaltet mE "bewusstes Erleben", auch Qualia genannt. Hier ein ganz guter Überblick über die Problematik......

Wenn man nichts rauskriegen will, kann man es so machen wie Du - dazu neige ich aber nicht.

Lebewesen sind mehr oder weniger komplexe Automaten, die mit entsprechenden Sensoren ausgestattet sind, um die für sie wichtigen Reize ihrer Umgebung wahrzunehmen.

Ich kann testen, was sie wahrnehmen, wie stark sie filtern, wie fein sie trennen. Und ich kann testen, ob ein Reiz für sie angenehm ist, oder unangenehm, ob dieser Reiz also Flucht auslöst oder eine Hinwendung zur Quelle. Alle anderen Eigenschaften dieser Empfindung mögen subjektiv da sein, sie müssen sogar da sein und prinzipiell so ähnlich wie sie gerade sind, weil das ein offenbar funktionierendes Muster ist, die verschiedenen Reize zu unterscheiden. Und das ist alles: Die Evolution transportiert die Funktion. Wenn die Funktion über das geht, was wir Gefühl nennen, ist dann so, und dass die Gefühle so sind wie sie sind, muss für ihre Funktion nicht erkärt werden. Was Du wirklich fühlst, wenn Du grün siehst ist mir völlig wurscht, solange ich mich mit dir einigen kann, was wir beide grün nennen und diese Einigung einen Bestand hat, also alltagstauglich ist. Und es reicht, bei der Hardware festzustellen, wo die Sensoren dafür sind, und das Wissen, dass und in welchen Grenzen dieser Reiz erkannt und erinnert wird.

Dies Funktionen sind ein z.T uraltes Erbe von anderen Tieren völlig ohne Bewusstsein übr weitere mit ein bisschen Bewusstsein - auf jeden Fall viel zu wenig, um sich über Qualia Gedanken zu machen und funktionieren tut es bei beiden.

Die Schnecke und die Gallwespe erkennen beide die Blätter die sie brauchen, genau wie der Orang, mit dem Unterschied, dass der Orang das lernen muss, was er aber so gründlich tut, dass er anschließend nicht nur weiß, was geografisch wo steht, sondern außerdem zu welchen Jahreszeiten es fruchtet. Das sind die Funktionen, um die wir uns kümmern müssen - um nichts mehr. Und nicht nur deshalb, weil der Orang nicht wirklich mit uns reden kann.

Ich habe schon x-mal gehört, dass diese Qualia total wichtig sind, aber noch nicht ein einziges Mal, wozu.

fwo

#93:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 24.03.2010, 23:47
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Aber das ist doch genau die Frage: ist es wirklich so, dass Bewusstsein für ein intelligentes Wesen eine notwendige Eigenschaft ist?

Hältst du das wirklich für eine Frage? Jedes Lebewesen macht sich ein Bild von dieser Welt. Je intelligenter das Lebewesen, umso komplexer das Bild. Dieses Bild wäre unvollständig ohne ein Bild zu haben von sich selbst. Erst wenn Menschen sich selbst bewußt werden als Menschen unter anderen, können sie ihr Verhalten in der Geselschaft der anderen steuern. Und dazu braucht man Bewußtsein.

Ja, na klar ist das für mich eine Frage. Will heißen: die Antwort ist mE nicht so selbstverständlich, wie Du zu meinen scheinst. Jedenfalls sehe ich nicht, wieso sie es sein sollte. Jedes intelligente Wesen muss sich ein 'Bild' machen, unbestritten. Im dem Sinne, dass dieses Wesen eine Filterung der einkommenden Daten vornehmen muss (in relevante und irrelevante Daten) und aus diesen Daten eine Repräsentation der Umwelt erstellt. Und zusätzlich muss es eine Repräsentation von sich selber im Verhältnis zur Umwelt erstellen, es muss also eine interne Funktion geben, die die Unterscheidung Wesen vs. Umwelt trifft. Unbestritten.

Aber wieso muss diese Unterscheidung mit Erleben verknüpft sein, wieso läuft das nicht einfach funktionell ab, Kausalkette auf Kausalkette, ohne zusätzliches Erleben? Was hat Erleben für eine Funktion, oder hat es keine Funktion und ist rein epiphänomenal, also für die Funktion des Wesens (-> von außen beobachtbares Verhalten) völlig verzichtbar? Das ist doch die Frage, da kannst Du doch nicht einfach so behaupten, für diese Funktion wäre ein Bewusstsein unverzichtbar. Das ist doch so erst mal nur ein Postulat, eine reine unbegründete Behauptung, mehr nicht.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und hätte ein intelligenter Computer Bewusstsein?
Und ja, warum sollte es nicht einen Computer mit Bewußtsein geben. Aber dazu brauchst du nur Asimow zu lesen.

Naja, mit Verlaub, aber auf die Frage: warum sollte es nicht einen Computer mit Bewusstsein geben? könnte ich nun fragen: warum sollte es nicht einen Stein mit Bewusstsein geben? Warum sollte es einen geben können und was sind die Voraussetzungen dafür? Das sind doch die Fragen. Das kannst Du doch nicht einfach beantworten mit: warum nicht? Es gibt ja Leute, die meinen, dass alle Materie beseelt ist (-> Panpsychismus). Aber ich meine, dass diese Leute in der Begründungspflicht sind, nicht ich, der das bezweifelt.

Oder, mal anders gesagt: Du scheinst zu behaupten, dass intelligentes Verhalten eines Systemes notwendigerweise ein Bewusstsein voraussetzt. D.h. ohne Bewusstsein kein intelligentes Verhalten einer bestimmten Stufe. Aber wie kommst Du zu dieser Behauptung, wie ist die begründet?

#94:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 24.03.2010, 23:48
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fwo hat folgendes geschrieben:

Ich habe schon x-mal gehört, dass diese Qualia total wichtig sind, aber noch nicht ein einziges Mal, wozu.

Es ist ein philosophisches Problem. Das dürfte doch Bedeutung genug sein. zwinkern

#95:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 25.03.2010, 00:00
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fwo hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Mal noch ein paar Gedanken dazu.

Das Problem des Bewusstseins ist, zu verstehen, wie es entsteht und wie es mit physikalischen Prozessen zusammenhängt.

Bewusstsein beinhaltet mE "bewusstes Erleben", auch Qualia genannt. Hier ein ganz guter Überblick über die Problematik......

Wenn man nichts rauskriegen will, kann man es so machen wie Du - dazu neige ich aber nicht.

Wie bitte? Verstehe ich nicht, was Du damit sagen willst.

fwo hat folgendes geschrieben:
Ich habe schon x-mal gehört, dass diese Qualia total wichtig sind, aber noch nicht ein einziges Mal, wozu.

Entschuldige mal bitte, aber ich habe nicht den Hauch einer Ahnung, worauf Du eigentlich hinauswillst. Niemand hier hat behauptet, dass Qualia total wichtig sind, oder habe ich was übersehen?

Der Punkt ist lediglich der, dass Qualia existieren (behaupten viele Leute und ich meine das auch - wiewohl andere Leute das wiederum bestreiten). Mir persönlich kommt die Behauptung, Qualia würden nicht existieren, seien Einbildung, eine Illusion, ziemlich merkwürdig und unplausibel vor.

Wenn es Qualia gibt, man die Existenz anerkennt, dann bleibt eben die Frage, wie diese aus physikalischen Vorgängen entstehen, wie die damit zusammenhängen, welches z.B. die notwendigen und hinreichenden Bedingungen wären, um Qualia künstlich zu erzeugen.

Wenn man die Existenz leugnet, dann muss man das begründen.

Oder man interessiert sich nicht für Philosophie, bzw. für diese spezielle philosophische Frage. Muss man ja nicht, dann kann man sich einfach eines Kommentares enthalten, aber daraus folgt noch lange nicht, dass diese Frage irrelevant wäre. Ist dann nur für Dich irrelevant.

Oder mal mit anderen Worten: es geht dabei nicht darum, ob und wie man Qualia bei anderen Wesen feststellen kann, es geht lediglich um die Behauptung, dass es Qualia gibt, (weil man die wahrnimmt), und dies auch von anderen bestätigt wird. Und davon ausgehend stellt sich eben die Frage, ob das stimmt und wenn ja, wieso das so ist.


Zuletzt bearbeitet von AgentProvocateur am 25.03.2010, 00:06, insgesamt einmal bearbeitet

#96:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 25.03.2010, 00:05
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....
Aber wieso muss diese Unterscheidung mit Erleben verknüpft sein, wieso läuft das nicht einfach funktionell ab, Kausalkette auf Kausalkette, ohne zusätzliches Erleben? Was hat Erleben für eine Funktion, oder hat es keine Funktion und ist rein epiphänomenal, also für die Funktion des Wesens (-> von außen beobachtbares Verhalten) völlig verzichtbar? Das ist doch die Frage, da kannst Du doch nicht einfach so behaupten, für diese Funktion wäre ein Bewusstsein unverzichtbar. Das ist doch so erst mal nur ein Postulat, eine reine unbegründete Behauptung, mehr nicht.....

Aber so gestellt ist die Frage ganz leicht beantwortbar: Wie willst Du eine Maschine lernen lassen, ohne Speichern und wiedererkennen vorgefundener Reizmuster. Um ein Muster zu erkennen und wiederzuerkennen, brauchst Du eine Verarbeitung, die genau das tut und diese Verarbeitung nennen wir Gefühl. Ergo: Ohne Gefühl kein Lernen.

fwo

#97:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 25.03.2010, 00:08
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Ja, na klar ist das für mich eine Frage. Will heißen: die Antwort ist mE nicht so selbstverständlich, wie Du zu meinen scheinst. Jedenfalls sehe ich nicht, wieso sie es sein sollte. Jedes intelligente Wesen muss sich ein 'Bild' machen, unbestritten. Im dem Sinne, dass dieses Wesen eine Filterung der einkommenden Daten vornehmen muss (in relevante und irrelevante Daten) und aus diesen Daten eine Repräsentation der Umwelt erstellt. Und zusätzlich muss es eine Repräsentation von sich selber im Verhältnis zur Umwelt erstellen, es muss also eine interne Funktion geben, die die Unterscheidung Wesen vs. Umwelt trifft. Unbestritten.

Aber wieso muss diese Unterscheidung mit Erleben verknüpft sein, wieso läuft das nicht einfach funktionell ab, Kausalkette auf Kausalkette, ohne zusätzliches Erleben? Was hat Erleben für eine Funktion, oder hat es keine Funktion und ist rein epiphänomenal, also für die Funktion des Wesens (-> von außen beobachtbares Verhalten) völlig verzichtbar? Das ist doch die Frage, da kannst Du doch nicht einfach so behaupten, für diese Funktion wäre ein Bewusstsein unverzichtbar. Das ist doch so erst mal nur ein Postulat, eine reine unbegründete Behauptung, mehr nicht.

Das sich ein Bild machen ist das Bewußtsein. Das Erleben ist einfach nur die Ich-Perspektive dessen, was du Funktion nennst. Und nein, es ist nicht nur eine Kausalkette, sonst brauchten wir hier nicht zu diskutieren. Aber das ist eine andere Pseudo-Baustelle.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und hätte ein intelligenter Computer Bewusstsein?
Und ja, warum sollte es nicht einen Computer mit Bewußtsein geben. Aber dazu brauchst du nur Asimow zu lesen.

Naja, mit Verlaub, aber auf die Frage: warum sollte es nicht einen Computer mit Bewusstsein geben? könnte ich nun fragen: warum sollte es nicht einen Stein mit Bewusstsein geben? Warum sollte es einen geben können und was sind die Voraussetzungen dafür? Das sind doch die Fragen. Das kannst Du doch nicht einfach beantworten mit: warum nicht? Es gibt ja Leute, die meinen, dass alle Materie beseelt ist (-> Panpsychismus). Aber ich meine, dass diese Leute in der Begründungspflicht sind, nicht ich, der das bezweifelt.

Oder, mal anders gesagt: Du scheinst zu behaupten, dass intelligentes Verhalten eines Systemes notwendigerweise ein Bewusstsein voraussetzt. D.h. ohne Bewusstsein kein intelligentes Verhalten einer bestimmten Stufe. Aber wie kommst Du zu dieser Behauptung, wie ist die begründet?

Über Animismus brauchen wir uns hier wohl nicht zu unterhalten. Damit ist der beseelte Stein aus dem Weg.

Lebewesen orientieren sich durch Bilder (optisch, akustisch oder wie auch immer), die sie sich von dieser Welt machen, wenn du so willst, eine innere, konstruierte Repräsentation ihrer Umwelt. Lebewesen reagieren ja nicht direkt auf ihre Umwelt, sondern auf die Reize, die ihnen ihre Sinnesorgane und ihr Nervensystem vermitteln. Und die Ich-Perspektive dieser Reize ist das Erleben, das dir so viel Probleme macht, aber viel älter ist als das Bewußtsein. Je autonomer ein Lebewesen auf seine Umwelt reagiert, also nicht nur instinktiv, sondern auf Grund von Erfahrungen, um so mehr ist es darauf angewiesen, sich selbst in dieser Welt zu erleben, unterschieden von anderen. Das ist Bewußtsein. Auf der inneren Bühne, dem Bild, das das Gehirn produziert, taucht auf einmal ein neuer Darsteller auf. Das Lebewesen kann sich auf einmal gewissermaßen von außen betrachten, nimmt sich selbst wahr als einen Darsteller unter vielen. Erst damit kann man Handlungsstrategien entwickeln, die die Reaktionen der anderen auf das eigene Verhalten mit einkalkulieren. Dabei dürfte es egal sein, ob das Gehirn biologisch entstanden ist, oder von uns konstruiert.

#98:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 25.03.2010, 00:18
    —
Alphatierchen hat folgendes geschrieben:
Hat jemand von euch schonmal von der Theorie von Roger Penrose gehört, dass Bewusstsein auf der Quantenkohärenz von Mikrotubuli beruhen?
Mein Wissen in Sachen Quantenphysik geht leider nicht über Fernsehdokus hinaus und daher kann ich mich da so gar nicht reindenken.

Zitat:
6. Penrose stellt für das bewußte Denken folgende Hypothese auf:

Bewußte Denkprozesse bestehen in der Superposition paralleler Rechenprozesse der Neuronen, die nach der Erreichung des Niveaus eines "Gravitons" aus den bis dahin erzielten Parallelresultaten das Ergebnis durch einen quantenmechanischen Reduktionsprozeß R fixieren. Durch diese Fixierung entsteht die neue Verknüpfungsstruktur der Neuronen.

http://www.bertramkoehler.de/Bew5.htm

Falls hier jemand ist, der ein wenig Ahnung von der Materie und Penrose´s Theorie hat, würde es mich mal interessieren was ihr davon haltet.

Das haben wir hier jedes Jahr mindestens einmal, seit 2003. Penrose's Theorie kann als widerlegt gelten, s. z.B. hier die Diskussion mit Agnostiker und sogar einem emaliwechsel mit P. selbst.

http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?t=23266
Eins von vielen Beispielen

#99:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 25.03.2010, 00:27
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....
Aber wieso muss diese Unterscheidung mit Erleben verknüpft sein, wieso läuft das nicht einfach funktionell ab, Kausalkette auf Kausalkette, ohne zusätzliches Erleben? Was hat Erleben für eine Funktion, oder hat es keine Funktion und ist rein epiphänomenal, also für die Funktion des Wesens (-> von außen beobachtbares Verhalten) völlig verzichtbar? Das ist doch die Frage, da kannst Du doch nicht einfach so behaupten, für diese Funktion wäre ein Bewusstsein unverzichtbar. Das ist doch so erst mal nur ein Postulat, eine reine unbegründete Behauptung, mehr nicht.....

Aber so gestellt ist die Frage ganz leicht beantwortbar: Wie willst Du eine Maschine lernen lassen, ohne Speichern und wiedererkennen vorgefundener Reizmuster. Um ein Muster zu erkennen und wiederzuerkennen, brauchst Du eine Verarbeitung, die genau das tut und diese Verarbeitung nennen wir Gefühl. Ergo: Ohne Gefühl kein Lernen.

Hm, aber 'Gefühl' bedeutet erlebtes Bewusstsein. Es gibt mE kein nicht-bewusstes Gefühl. Jedes System, das Gefühle empfindet, hat mE per Definition ein Bewusstsein.

Aber ist das so, dass Systeme, die Neues lernen können, über äußere Reize, Gefühle entwickeln? Dieser Zusammenhang erscheint mir nicht evident, denn ein Sensor der Batterie, der einen geringen Ladestand meldet, erzeugt ja noch kein Gefühl.

Man kann künstliche neuronale Netze trainieren und man kann sie, nachdem man eine gewisse Grundlage geschaffen hat, auf die Umwelt loslassen (als Teil eines Roboters), so dass sie 'Erfahrungen' machen, die nicht mehr im Vorneherein programmiert sind. D.h., in Bezug auf ein vorgegebenes Ziel, (z.B. 'Überleben', d.h. für den Roboter: möglichst wenig Beschädigungen, regelmäßige Energieaufnahme, evtl. Selbstreparatur bei Ausfall eines Subsystemes), könnte der Roboter neue Fähigkeiten sich selber im Umgang mit der Umwelt beibringen; er könnte lernen, (in dem Sinne, dass er daraufhin neue Verhaltensweisen ausbildet), welche Input-Muster der Umwelt ihm schaden und welche Input-Daten auf eine eventuelle Schädigung hinweisen könnten und lernen, dem aus dem Weg zu gehen (durch Flucht z.B.).

Aber: würden diese Roboter Gefühle entwickeln? Und ein Bewusstsein? Ein Erleben? Ich weiß nicht, das erscheint mir nicht notwendig zum Funktionieren des Roboters im obigen Sinne (-> 'Überleben').

#100:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 25.03.2010, 00:28
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
....
Oder mal mit anderen Worten: es geht dabei nicht darum, ob und wie man Qualia bei anderen Wesen feststellen kann, es geht lediglich um die Behauptung, dass es Qualia gibt, (weil man die wahrnimmt), und dies auch von anderen bestätigt wird. Und davon ausgehend stellt sich eben die Frage, ob das stimmt und wenn ja, wieso das so ist.

Komisch. Ich habe nur Empfindungen. Ich weiß wirklich nicht, wovon Du redest. Und wahrnehmen tu ich Farben, Töne Geräusche, Gerüche, Temperaturen, Oberflächenbeschaffenheiten usw. aber keine Qualia. Dass natürlich diese physikalischen oder chemischen Gegebenheiten, die unsere Sensorik erfassen nicht als solche in unsere Datenverarbeitung transportiert werden, sondern in irgendeiner informatischen Representation, ist doch trivial, solange diese Verarbeitung in der Lage ist, diese Signale "richtig" zu verarbeiten, nämlich als Repräsentation der Eigenschaften, über dich ich Information brauche.

Irgendwie scheinen diese Qualia eine strukturelle Göttähnlichkeit zu haben, bis dahin, dass die Gläubigen von den Ungläubigen eine Nichtexistenzbegründung verlangen.

fwo

#101:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 25.03.2010, 00:32
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Das sich ein Bild machen ist das Bewußtsein. Das Erleben ist einfach nur die Ich-Perspektive dessen, was du Funktion nennst.

Das bestreite ich. Hast Du diesen Beitrag von mir gesehen? Dieser von mir skizzierte Primitiv-Roboter hat kein Bewusstsein, behaupte ich, obgleich er sich ein Bild von seiner Umgebung und siner Position in dieser Umgebung machen kann.

Du brauchst also für Bewusstsein andere Kriterien als 'sich ein Bild' machen, meine ich. Oder Du verstehst darunter etwas anderes als ich. Aber wenn ja: was genau?

#102:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 25.03.2010, 00:39
    —
@AP:
Nochmal von vorne: Du empfindest Qualia. Dann must Du doch sagen könne was das ist und dann müssten wir auch zusammen rausbekommen, wofür die da sind.

fwo

#103:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 25.03.2010, 00:43
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Komisch. Ich habe nur Empfindungen. Ich weiß wirklich nicht, wovon Du redest. Und wahrnehmen tu ich Farben, Töne Geräusche, Gerüche, Temperaturen, Oberflächenbeschaffenheiten usw. aber keine Qualia.

Bewusste Empfindungen, also z.B. (gefühlte) Wahrnehmungen von Farben, Tönen, Geräuschen, Gerüchen, Temperaturen, Oberflächenbeschaffenheiten sind Qualia.

Warum nimmst Du die bewusst wahr, warum hast Du ein phänomenales Bewusstsein? Das ist die Frage und das ist das ungelöste Rätsel: wie hängt das mit den neuronalen Vorgängen in Deinem Gehirn zusammen? Was ist der Zusammenhang, wie ergeben die sich, was sind die zugehörigen Naturgesetze?

fwo hat folgendes geschrieben:
Irgendwie scheinen diese Qualia eine strukturelle Göttähnlichkeit zu haben, bis dahin, dass die Gläubigen von den Ungläubigen eine Nichtexistenzbegründung verlangen.

Hum?

Weißt Du, Du könntest Dich irgendwo bei diesen Strategien über den Umgang mit Qualia einordnen. Oder Du könntest explizit eine neue, dort nicht benannte Strategie angeben. Ansonsten ist mir nicht klar, auf was Du hinauswillst. Du bist ja kein Leugner von bewussten Wahrnehmungen, also fällt 5 für Dich weg. Was präferierst Du also?

#104:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 25.03.2010, 00:56
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
....
Weißt Du, Du könntest Dich irgendwo bei diesen Strategien über den Umgang mit Qualia einordnen. Oder Du könntest explizit eine neue, dort nicht benannte Strategie angeben. Ansonsten ist mir nicht klar, auf was Du hinauswillst. Du bist ja kein Leugner von bewussten Wahrnehmungen, also fällt 5 für Dich weg. Was präferierst Du also?

Da fehlt eine Position:
7: Qualia sind eine Umschreibung der Tatsache, dass sensorische Zustände irgendwie verarbeitet werden müssen. Das informatische Äquivalent eine Quales ist ein Diskriptor, der sagt als was ein Wert zu interpretieren ist plus die Ausprägung des Wertes in einem passenden Format.

fwo

#105:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 25.03.2010, 01:09
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
....
Weißt Du, Du könntest Dich irgendwo bei diesen Strategien über den Umgang mit Qualia einordnen. Oder Du könntest explizit eine neue, dort nicht benannte Strategie angeben. Ansonsten ist mir nicht klar, auf was Du hinauswillst. Du bist ja kein Leugner von bewussten Wahrnehmungen, also fällt 5 für Dich weg. Was präferierst Du also?

Da fehlt eine Position:
7: Qualia sind eine Umschreibung der Tatsache, dass sensorische Zustände irgendwie verarbeitet werden müssen. Das informatische Äquivalent eine Quales ist ein Diskriptor, der sagt als was ein Wert zu interpretieren ist plus die Ausprägung des Wertes in einem passenden Format.

Nö.

Es gibt Regelsysteme in einem biologischen Organismus, die komplett nicht-bewusst ablaufen. Zum Beispiel Verdauung, Schweißabsonderung oder Abwehr von Krankheitserregern. Da gibt es Sensoren, die Werte messen und aufgrund dieser Werte eine bestimmte Regelung vornehmen.

Daraus alleine ergibt sich also noch keine Notwendigkeit für Qualia. Da muss noch etwas hinzukommen.

#106:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 25.03.2010, 01:18
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....
Es gibt Regelsysteme in einem biologischen Organismus, die komplett nicht-bewusst ablaufen. Zum Beispiel Verdauung, Schweißabsonderung oder Abwehr von Krankheitserregern. Da gibt es Sensoren, die Werte messen und aufgrund dieser Werte eine bestimmte Regelung vornehmen.

Daraus alleine ergibt sich also noch keine Notwendigkeit für Qualia. Da muss noch etwas hinzukommen.

Ok. Erweitern wir:
7: Qualia sind eine Umschreibung der Tatsache, dass sensorische Zustände auch im durch Lernen modifizierbaren Bereich unserer Datenverarbeitung irgendwie verarbeitet werden müssen. Das informatische Äquivalent eine Quales ist ein Diskriptor, der sagt als was ein Wert zu interpretieren ist plus die Ausprägung des Wertes in einem passenden Format. Qalia werden im Gegensatz zu sensorischen Daten, die direkt in Regelkreise einfließen für spätere Vergleiche gespeichert.

fwo

#107:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 25.03.2010, 01:32
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....
Es gibt Regelsysteme in einem biologischen Organismus, die komplett nicht-bewusst ablaufen. Zum Beispiel Verdauung, Schweißabsonderung oder Abwehr von Krankheitserregern. Da gibt es Sensoren, die Werte messen und aufgrund dieser Werte eine bestimmte Regelung vornehmen.

Daraus alleine ergibt sich also noch keine Notwendigkeit für Qualia. Da muss noch etwas hinzukommen.

Ok. Erweitern wir:
7: Qualia sind eine Umschreibung der Tatsache, dass sensorische Zustände auch im durch Lernen modifizierbaren Bereich unserer Datenverarbeitung irgendwie verarbeitet werden müssen. Das informatische Äquivalent eine Quales ist ein Diskriptor, der sagt als was ein Wert zu interpretieren ist plus die Ausprägung des Wertes in einem passenden Format. Qalia werden im Gegensatz zu sensorischen Daten, die direkt in Regelkreise einfließen für spätere Vergleiche gespeichert.

Hm, aber auch das reicht mir leider nicht. Eine Speicherung muss ja nicht bewusst vor sich gehen. Die kann völlig nicht-bewusst ablaufen. Das wird einfach gespeichert und das war's dann. Es gibt keinen (mir irgendwie evident erscheinenden Grund) der festlegt, dass Speicherung eine bewusste Aktion sein muss. Auch das Format spielt hierbei keine Rolle, jedenfalls wüsste ich nicht, inwiefern.

Nehmen wir mal die nicht-bewusste Regelung der internen Krankheitserreger-Abwehr. Auch da gibt es doch in einem Organismus eine Speicherung der bisher erfolgten Attacken (-> Immunisierung). Das erfolgt nicht-bewusst und ist gleichzeitig eine Speicherung für spätere Vergleiche.

#108:  Autor: Alphatierchen BeitragVerfasst am: 25.03.2010, 01:34
    —
step hat folgendes geschrieben:
Alphatierchen hat folgendes geschrieben:
Hat jemand von euch schonmal von der Theorie von Roger Penrose gehört, dass Bewusstsein auf der Quantenkohärenz von Mikrotubuli beruhen?
Mein Wissen in Sachen Quantenphysik geht leider nicht über Fernsehdokus hinaus und daher kann ich mich da so gar nicht reindenken.

Zitat:
6. Penrose stellt für das bewußte Denken folgende Hypothese auf:

Bewußte Denkprozesse bestehen in der Superposition paralleler Rechenprozesse der Neuronen, die nach der Erreichung des Niveaus eines "Gravitons" aus den bis dahin erzielten Parallelresultaten das Ergebnis durch einen quantenmechanischen Reduktionsprozeß R fixieren. Durch diese Fixierung entsteht die neue Verknüpfungsstruktur der Neuronen.

http://www.bertramkoehler.de/Bew5.htm

Falls hier jemand ist, der ein wenig Ahnung von der Materie und Penrose´s Theorie hat, würde es mich mal interessieren was ihr davon haltet.

Das haben wir hier jedes Jahr mindestens einmal, seit 2003. Penrose's Theorie kann als widerlegt gelten, s. z.B. hier die Diskussion mit Agnostiker und sogar einem emaliwechsel mit P. selbst.

http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?t=23266
Eins von vielen Beispielen


Klasse und danke.
Werd es mir mal zu Gemüte führen.

#109:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 25.03.2010, 11:12
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Hm, aber auch das reicht mir leider nicht.

Ich denke, das ist das Problem. Du willst über das menschliche Bewußtsein diskutieren. Menschen haben ein Bewußtsein, aber dir ist nicht einsichtig, wozu es dient. Intelligentes Verhalten sei deiner Ansicht nach auch ohne Bewußtsein möglich. Als Beispiel führst du allerlei unterbewußte Regelvorgänge an wie "Verdauung, Schweißabsonderung oder Abwehr von Krankheitserregern". Alle diese Systeme sind unwillkürliche Systeme, offenbar mit einem automatisierten Ablauf, der keine Entscheidungen erfordert. Die sogenannten Qualia, die es ja auch schon bei Tieren gibt, sind Erlebnisse, Empfindungen und Wahrnehmungen, die dann Teil eines Entscheidungsprozesses werden. Bei der Verdauung hat der Organismus keine Wahl, bei der Krankheitsabwehr auch nicht, Schmerz hingegen kann man ignorieren, wenn es erforderlich ist. Bewußtsein ist der Ort, in dem diese Entscheidungen 'diskutiert' werden.[1] Hier spielt das Thema rüber in den Bereich Willens- und Handlungsfreiheit. Im Laufe der Evolution sind Lebewesen entstanden, die über immer mehr Verhaltensautonomie gegenüber ihrer Umgebung verfügen, als Preis dafür aber auch immer lernen müssen, um in dieser Welt zurechtzukommen. Das Bewußtsein ist, so denke ich, der Ort, an dem das Entwickeln dieser Handlungsstrategien stattfindet. Dazu gehört aber noch mehr, die Verarbeitung dieser Strategien in Träumen gehört dazu, die Ablage in der Erinnerung, die Korrektur durch Erfahrung. Das alles ist ein weites Feld, aber das ist bei diesem Thema ja auch kein Wunder. zwinkern

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[1]Daß manchmal das Gehirn Entscheidungen trifft, die dem Bewußtsein erst nachträglich bewußt werden, ist kein Widerspruch, denn zum einen sind das Entscheidungen, die unter Zeitdruck fallen oder sich auf immer wiederkehrende Situationen beziehen, und zum anderen stellt das Unterbewußtsein diese Entscheidungen nur bereit aus dem Fundus, den das Bewußtsein vorher erarbeitet hat. Kann man sehr schön an sich selbst beobachten, wenn man in einer RL-Diskussion spontan auf bestimmte Argumente antworten soll, dann antwortest Es mit unseren Standardfloskeln. Dabei versteht Es sie nicht einmal, sondern weiß nur: wenn Argument A kommt, setze Erwiderung B dagegen. Funktioniert (fast) immer. zwinkern

#110:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 25.03.2010, 11:30
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....
Hm, aber auch das reicht mir leider nicht. Eine Speicherung muss ja nicht bewusst vor sich gehen. Die kann völlig nicht-bewusst ablaufen. Das wird einfach gespeichert und das war's dann. Es gibt keinen (mir irgendwie evident erscheinenden Grund) der festlegt, dass Speicherung eine bewusste Aktion sein muss. Auch das Format spielt hierbei keine Rolle, jedenfalls wüsste ich nicht, inwiefern.

Nehmen wir mal die nicht-bewusste Regelung der internen Krankheitserreger-Abwehr. Auch da gibt es doch in einem Organismus eine Speicherung der bisher erfolgten Attacken (-> Immunisierung). Das erfolgt nicht-bewusst und ist gleichzeitig eine Speicherung für spätere Vergleiche.

Die Antwort von Marcellinus passt. Dazu kommt, dass der Abklatsch einer Antigenoberfläche nicht das ist, was wir normalerweise unter einem sensorischen Datum verstehen - im Immunsystem hast Du allerdings tatsächlich ein lernendes Subsystem ohne Gefühle. Aber es ist ein Subsystem, das +- analog arbeitet und nur für einen ganz eng definierten Reaktionsbereich zuständig ist, es ist nicht die zentrale Datenverarbeitung, die für die Steuerung des Organismus als Ganzen zuständig ist - womit ich wieder bei Marcellinus' Antwort bin.

Außerdem ist die Speicherung eines sensorischen Datums selbst kein bewusster Akt, das geschieht automatisch und im Hintergrund. Du kannst diese Speicherung höchstens zugriffsicherer machen, in dem Du die Empfindung oder die kurzfristige Erinnerung an sie noch einmal in den Fokus deiner Aufmerksamkeit rückst. Aber ganz viel von dem, was Du wahrnimmst, wird im Hintergrund gespeichert und verarbeitet, was sich dann nachher in "Gefühlen" oder "Vorurteilen" äußert, die du zu einem bestimmten Thema hast. Aber es ist wahrscheinlich ein Alleinstellungsmerkmal des Menschen, das auf der Möglichkeit und dem Verhalten, alle für ihn wesentlichen Teilaspekte der Welt zu benamsen und dann im Rückgriff abstrakt zu analysieren, was seine Handlungsoptimierung neue Möglichkeiten gibt. Da sind wir jetzt allerdings bereits beim Intellekt und nicht mehr beim Bewusstsein.

fwo

#111:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 25.03.2010, 18:06
    —
fwo hat folgendes geschrieben:

Komisch. Ich habe nur Empfindungen. Ich weiß wirklich nicht, wovon Du redest. Und wahrnehmen tu ich Farben, Töne Geräusche, Gerüche, Temperaturen, Oberflächenbeschaffenheiten usw. aber keine Qualia.


Die Qualia sind nichts weiter als die unterschiedlichen Arten und Weisen, wie dir deine Empfindungen erscheinen, wie sie sich für dich anfühlen.

#112:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 25.03.2010, 19:26
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Die Qualia sind nichts weiter als die unterschiedlichen Arten und Weisen, wie dir deine Empfindungen erscheinen, wie sie sich für dich anfühlen.

Man könnte auch einfach sagen: die unterschiedlichen Empfindungen.

#113: Re: Bewusstsein und Evolution Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 25.03.2010, 21:27
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Wenn man von der "kontrafaktualistischen" Kausalitätstheorie ausgeht, dann kann man Qualia sogar als "kausal relevant" bezeichnen:

http://plato.stanford.edu/entries/causation-counterfactual

"The basic idea of counterfactual theories of causation is that the meaning of causal claims can be explained in terms of counterfactual conditionals of the form 'If A had not occurred, C would not have occurred'."

Man kann also z.B. sagen: "Wenn ich keine Zahnschmerzen gehabt hätte, dann wäre ich nicht zum Zahnarzt gegangen."
Denn wenn ich keine Zahnschmerzen gehabt hätte, dann hätte es das entsprechende psychophysische Ereignis nicht gegeben; und wenn es das entsprechende psychophysische Ereignis nicht gegeben hätte, dann hätte es nicht kraft seiner physischen Qualitäten das entsprechende Verhalten, d.h. mein Gehen zum Zahnarzt, auslösen können.

Ich bestreite jedoch, dass eine wahre kontrafaktische Aussage wie die obige bereits eine hinreichende Bedingung für das Vorliegen echter effizienter Kausalität ist. Denn in meinen Augen folgt aus der Tatsache, dass ich nicht zum Zahnarzt gegangen wäre, wenn ich keine Zahnschmerzen gespürt hätte, noch nicht, dass es per se die gefühlten Qualia meines Schmerzerlebnisses waren, die mich dazu bewegt haben, zum Zahnarzt zu gehen.
Die phänomenale Intensität eines Schmerzerlebnisses spiegelt zwar dessen neurophysiologische Intensität wider, aber sie ist nicht per se ein Wirkfaktor—weder ein nichtphysischer noch ein zusätzlicher physischer.

DREI ARTEN VON EPIPHÄNOMENALISMUS UND DIE KENNTNIS EIGENER BEWUSSTSEINSZUSTÄNDE hat folgendes geschrieben:
Wer es ablehnt, mentalen Zuständen den Status von Ursachen zuzugestehen, sollte konsequenterweise mit anderen Phänomenen ebenso verfahren, was dazu führt, dass sich Epiphänomenalismus nicht mehr als ein Sonderproblem der Körper-Geist-Beziehung darstellt, sondern als ein Problem, das die gesamte Struktur der Realität betrifft. Und wer Kausalität nur auf der Mikroebene (welcher übrigens?) ansiedeln möchte, muss dazu imstande sein, einen starken Begriff der Kausalität einzuführen, der es rechtfertigt, beim bloßen Vorliegen von abgeleiteten Sukzessionsgesetzen nicht von echter Kausalität zu sprechen. Dass Letzteres bisher gelungen sei, erscheint mir eher zweifelhaft. So lange dies der Stand der Diskussion ist, gibt es genau genommen keinen Grund, einen Eigenschaftspluralismus mit Supervenienzannahme überhaupt als 'Epiphänomenalismus' einzustufen.

Mit anderen Worten: dieses Dein "per se" und "echt effizient kausal" bedarf der Definition (welche Ebene genau ist alleine zuständig für eine per se-Wirkung?) und einer Begründung. Das widerspricht, wie im verlinkten Text dargelegt, der allgemeinen Auffassung darüber, was unter 'Verursachung' verstanden wird, m.a.W.: es ist absolut gebräuchlich, 'Verursachung' so aufzufassen, dass ein bestimmter Makrozustand einen anderen Makrozustand verursacht. Zum Beispiel ein Blitzeinschlag einen Brand. Oder eine Pumpe eine Bewegung von Flüssigkeit. Man sagt nicht, dass Blitz und Pumpe lediglich wirkungslose Epiphänomene von darunterliegenden Ebenen seien und daher nicht "echt effizient kausal".

#114:  Autor: ShadaikWohnort: MG BeitragVerfasst am: 29.03.2010, 11:16
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:

Komisch. Ich habe nur Empfindungen. Ich weiß wirklich nicht, wovon Du redest. Und wahrnehmen tu ich Farben, Töne Geräusche, Gerüche, Temperaturen, Oberflächenbeschaffenheiten usw. aber keine Qualia.


Die Qualia sind nichts weiter als die unterschiedlichen Arten und Weisen, wie dir deine Empfindungen erscheinen, wie sie sich für dich anfühlen.
@fwo: ich übersteze mal: Geschwurbel.

Nunja, nicht ganz, die Qualia erklärt unterschiedliche Reaktionen verschiedener Personen auf identische Erlebnisse (und damit auch Erkrankungen wie Schizophrenie). Im Grunde ist es also eine einfache Reiz-Reaktion-Verknüpfung, nur halt hirn-intern.
Wenn man das ganze "Qualia" nennt klingt es natürlich viel beeindruckender.

#115:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 29.03.2010, 15:07
    —
Shadaik hat folgendes geschrieben:
Nunja, nicht ganz, die Qualia erklärt unterschiedliche Reaktionen verschiedener Personen auf identische Erlebnisse (und damit auch Erkrankungen wie Schizophrenie). Im Grunde ist es also eine einfache Reiz-Reaktion-Verknüpfung, nur halt hirn-intern.

Stimmt ja nicht. Wenn Du eine Person als Reiz-(interne) Verarbeitung-Reaktions-System siehst, dann erklärt unterschiedliche Verarbeitung unterschiedliche Reaktion. Bei einer solchen Betrachtung kommt gar keine Qualia vor, also kann sie darin auch nichts erklären. Und das Rätsel ist dann immer noch die Verbindung / der Zusammenhang von interner Verarbeitung zu Qualia.

#116:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 29.03.2010, 15:47
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Shadaik hat folgendes geschrieben:
Nunja, nicht ganz, die Qualia erklärt unterschiedliche Reaktionen verschiedener Personen auf identische Erlebnisse (und damit auch Erkrankungen wie Schizophrenie). Im Grunde ist es also eine einfache Reiz-Reaktion-Verknüpfung, nur halt hirn-intern.

Stimmt ja nicht. Wenn Du eine Person als Reiz-(interne) Verarbeitung-Reaktions-System siehst, dann erklärt unterschiedliche Verarbeitung unterschiedliche Reaktion. Bei einer solchen Betrachtung kommt gar keine Qualia vor, also kann sie darin auch nichts erklären. Und das Rätsel ist dann immer noch die Verbindung / der Zusammenhang von interner Verarbeitung zu Qualia.

Menschen sind aber eben nicht (nur) Reiz-Reaktions-Systeme (Verarbeung hin oder her). Was ist so schwer daran zu verstehen, daß das, was du Qualia nennst, nichts anderes ist als die Ich-Persektive davon, wie sich das Nervensystem eines Lebewesens dem Zentralnervensystem mitteilt. Das Ganze ist nur erheblich komplizierter als unsere Fähigkeit, es in Worte zu fassen.

Nimm nur einen Schmerzreiz aufgrund einer Verletzung. Wir haben dafür ein Wort, und dieses Wort läßt uns irrtümlich vermuten, es wäre auch nur ein Reiz. In Wirklichkeit ist es eine Abfolge von chemischen und elektrischen Informationen, die von der Stelle der Verletzung durch den Körper laufen. Auf ihrem Weg lösen sie die unterschiedlichsten Reaktionen aus, bis sie am Ende (vielleicht) in unserem Bewußtsein ankommen.

Dort lösen sie dann bestimmte Verhaltensweisen aus, aber eben nur dann, wenn wir die Verletzung bemerken. Manchmal entscheidet unser Körper nämlich, daß Schmerzempfinden im Augenblick echt blöd wäre, uns zB an der Flucht hindern würde, und wir empfinden erst einmal nichts. Oft setzt das Schmerzempfinden erst ein, wenn wir die Verletzung sehen.

Ich habe das einmal ausprobiert, als ich einen Trümmerbruch im Ellenbogengelenk erst bemerkte, als ich den Arm heben wollte, um zu sehen, was da für ein merkwürdiger Riss in meiner Jacke war und mir der Arm unkontrolliert entgegen kam.

Wir können also davon ausgehen, daß Empfindungen, die uns zu Bewußtsein kommen, etwas sind, was unser Nervensystem erzeugt, um uns zusätzliche Informationen zu geben, aufgrund derer wir uns in einer gegebenen Situation entscheiden.

#117:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 29.03.2010, 16:40
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Was ist so schwer daran zu verstehen, daß das, was du Qualia nennst, nichts anderes ist als die Ich-Persektive davon, wie sich das Nervensystem eines Lebewesens dem Zentralnervensystem mitteilt. [...] Wir können also davon ausgehen, daß Empfindungen, die uns zu Bewußtsein kommen, etwas sind, was unser Nervensystem erzeugt, um uns zusätzliche Informationen zu geben, aufgrund derer wir uns in einer gegebenen Situation entscheiden.

Erst mal: es wird eine Erklärung dafür geben, dass in bestimmten Situationen Schmerzreize nicht übertragen / unterdrückt / überlagert (wie auch immer) werden. Endorphine oder was weiß ich.

Aber wie erzeugt unser Nervensystem Empfindungen, was ist der Zusammenhang zwischen Nervenreizen, bzw. physiologischen Abläufen im Körper (egal, wie kompliziert die auch immer sein mögen) und einem phänomenalen Erleben? Wie entsteht Letzteres durch Ersteres? Wenn man es rein von der Funktion her erklären will, dann kann man sich auch vorstellen, dass es einfach so bewusst wird, dass z.B. der Arm verletzt ist. So wie eine Erinnerung, ein Einfall, eine Idee, eine Meinung, eine Überzeugung. Ohne Schmerzerlebnis.

Was unklar ist, und das Qualia-Problem ausmacht, ist das phänomenale Erleben; wie das aus physiologischen Abläufen entsteht. Dieses Entstehen einfach als factum brutum abzutun, erscheint mir wenig befriedigend. Das ruft mE ebenso nach einer Erklärung, wie die Unterdrückung des Schmerzempfindens in bestimmten Situation (die eben erklärt werden kann).


Zuletzt bearbeitet von AgentProvocateur am 29.03.2010, 16:44, insgesamt einmal bearbeitet

#118:  Autor: ShadaikWohnort: MG BeitragVerfasst am: 29.03.2010, 16:41
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Shadaik hat folgendes geschrieben:
Nunja, nicht ganz, die Qualia erklärt unterschiedliche Reaktionen verschiedener Personen auf identische Erlebnisse (und damit auch Erkrankungen wie Schizophrenie). Im Grunde ist es also eine einfache Reiz-Reaktion-Verknüpfung, nur halt hirn-intern.

Stimmt ja nicht. Wenn Du eine Person als Reiz-(interne) Verarbeitung-Reaktions-System siehst, dann erklärt unterschiedliche Verarbeitung unterschiedliche Reaktion. Bei einer solchen Betrachtung kommt gar keine Qualia vor, also kann sie darin auch nichts erklären. Und das Rätsel ist dann immer noch die Verbindung / der Zusammenhang von interner Verarbeitung zu Qualia.

Menschen sind aber eben nicht (nur) Reiz-Reaktions-Systeme (Verarbeung hin oder her). Was ist so schwer daran zu verstehen, daß das, was du Qualia nennst, nichts anderes ist als die Ich-Persektive davon, wie sich das Nervensystem eines Lebewesens dem Zentralnervensystem mitteilt. Das Ganze ist nur erheblich komplizierter als unsere Fähigkeit, es in Worte zu fassen.

Nimm nur einen Schmerzreiz aufgrund einer Verletzung. Wir haben dafür ein Wort, und dieses Wort läßt uns irrtümlich vermuten, es wäre auch nur ein Reiz. In Wirklichkeit ist es eine Abfolge von chemischen und elektrischen Informationen, die von der Stelle der Verletzung durch den Körper laufen. Auf ihrem Weg lösen sie die unterschiedlichsten Reaktionen aus, bis sie am Ende (vielleicht) in unserem Bewußtsein ankommen.

Dort lösen sie dann bestimmte Verhaltensweisen aus, aber eben nur dann, wenn wir die Verletzung bemerken. Manchmal entscheidet unser Körper nämlich, daß Schmerzempfinden im Augenblick echt blöd wäre, uns zB an der Flucht hindern würde, und wir empfinden erst einmal nichts. Oft setzt das Schmerzempfinden erst ein, wenn wir die Verletzung sehen.

Ich habe das einmal ausprobiert, als ich einen Trümmerbruch im Ellenbogengelenk erst bemerkte, als ich den Arm heben wollte, um zu sehen, was da für ein merkwürdiger Riss in meiner Jacke war und mir der Arm unkontrolliert entgegen kam.

Wir können also davon ausgehen, daß Empfindungen, die uns zu Bewußtsein kommen, etwas sind, was unser Nervensystem erzeugt, um uns zusätzliche Informationen zu geben, aufgrund derer wir uns in einer gegebenen Situation entscheiden.
Und inwiefern widerspricht das jetzt der Reiz-Reaktion-Annahme?

@Agent Provocateur: Ich meinte, die Qualia ist eine Bezeichnung für diese Verbindung, nichts zusätzliches.
Reiz: Schmerz
(Modifikation durch zusätzliche Faktoren)
Reaktion: Empfindung von Schmerz (oder eben keine Empfindung von Schmerz, abhängig von reizstärke und Einfluss der weiteren Faktoren)

#119:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 29.03.2010, 17:08
    —
Shadaik hat folgendes geschrieben:
@Agent Provocateur: Ich meinte, die Qualia ist eine Bezeichnung für diese Verbindung, nichts zusätzliches.
Reiz: Schmerz
(Modifikation durch zusätzliche Faktoren)
Reaktion: Empfindung von Schmerz (oder eben keine Empfindung von Schmerz, abhängig von reizstärke und Einfluss der weiteren Faktoren)

'Qualia' ist aber keine Bezeichnung für eine solche Verbindung, sondern es ist eine Bezeichnung für das phänomenale Erleben als solches. In diesem Falle das Empfinden von Schmerz.

#120:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 29.03.2010, 17:12
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Aber wie erzeugt unser Nervensystem Empfindungen, was ist der Zusammenhang zwischen Nervenreizen, bzw. physiologischen Abläufen im Körper (egal, wie kompliziert die auch immer sein mögen) und einem phänomenalen Erleben? Wie entsteht Letzteres durch Ersteres? Wenn man es rein von der Funktion her erklären will, dann kann man sich auch vorstellen, dass es einfach so bewusst wird, dass z.B. der Arm verletzt ist. So wie eine Erinnerung, ein Einfall, eine Idee, eine Meinung, eine Überzeugung. Ohne Schmerzerlebnis.

Wie das Nervensystem das macht, kann ich dir nicht sagen, aber ich denke, eine Schmerzempfinden zu erzeugen ist einfacher als eine Vorstellung von einer Verletzuung, denn das wäre ein relativ komplexes Bild, daß im Unterschied zu einer Erinnerung ja nicht nur aufgerufen, sondern gewissermaßen synthetisch erzeugt werden muß. Da diese Schmerzempfindungen stammesgeschichtlich schon sehr alt sind, müssen sie außerdem ohne ein Bewußtsein auch funktionieren.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Was unklar ist, und das Qualia-Problem ausmacht, ist das phänomenale Erleben; wie das aus physiologischen Abläufen entsteht. Dieses Entstehen einfach als factum brutum abzutun, erscheint mir wenig befriedigend. Das ruft mE ebenso nach einer Erklärung, wie die Unterdrückung des Schmerzempfindens in bestimmten Situation (die eben erklärt werden kann).

Das halte ich nun gar nicht für ein Problem. Alles, was wir erleben, ist von unserem Gehirn erzeugt. Nicht erleben wir 'direkt'. Ohne unsere Sinnesorgane und die Aufbereitung ihrer Informationen im Nervensystem wäre überhaupt kein Erleben möglich. Ich sehe gerade ein Auto vor meinem Fenster vorbeifahren, aber sich sehe doch nicht das Auto direkt, sondern das Bild, daß mein Gehirn aus den Impulsen macht, die die Augen liefern.

#121:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 29.03.2010, 17:28
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Was unklar ist, und das Qualia-Problem ausmacht, ist das phänomenale Erleben; wie das aus physiologischen Abläufen entsteht. Dieses Entstehen einfach als factum brutum abzutun, erscheint mir wenig befriedigend. Das ruft mE ebenso nach einer Erklärung, wie die Unterdrückung des Schmerzempfindens in bestimmten Situation (die eben erklärt werden kann).

Das halte ich nun gar nicht für ein Problem. Alles, was wir erleben, ist von unserem Gehirn erzeugt. Nicht erleben wir 'direkt'.

Komisch, ich würde genau das Gegenteil sagen: alles, was wir erleben, erleben wir direkt, unmittelbar. Aber wahrscheinlich meinen wir dann etwas Unterschiedliches damit.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Ohne unsere Sinnesorgane und die Aufbereitung ihrer Informationen im Nervensystem wäre überhaupt kein Erleben möglich. Ich sehe gerade ein Auto vor meinem Fenster vorbeifahren, aber sich sehe doch nicht das Auto direkt, sondern das Bild, daß mein Gehirn aus den Impulsen macht, die die Augen liefern.

Hum? Das ist doch überhaupt gar nicht der Punkt hier.

Die Frage ist: wie entsteht aus 'Impulsen', allgemeiner gesagt: physiologischen Abläufen im Körper ein phänomenales Empfinden. Dass dieses aber notwendigerweise mit den physiologischen Abläufen zusammenhängt, im Sinne einer Supervenienz, ist doch überhaupt nicht strittig.

Deine Antwort darauf ist: ist nun mal so. Also factum brutum. Richtig?

Ich halte übrigens, mal vom Algorithmus-Standpunkt her gesehen, ein Modell einer Verletzung zu erstellen für wesentlich einfacher, als eine Empfindung hervorzurufen. Ersteres könnte man leicht auf einem Computer implementieren, bei Zweiterem habe ich nicht einmal den Hauch einer Ahnung, wie das gehen könnte.

Und, naja, 'stammesgeschichtlich sehr alt' hin oder her: jede Empfindung setzt mE ein Bewusstsein voraus. Wenn auch kein Selbst-Bewusstsein.

#122:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 29.03.2010, 20:14
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Nichts erleben wir 'direkt'. Ohne unsere Sinnesorgane und die Aufbereitung ihrer Informationen im Nervensystem wäre überhaupt kein Erleben möglich. Ich sehe gerade ein Auto vor meinem Fenster vorbeifahren, aber sich sehe doch nicht das Auto direkt, sondern das Bild, daß mein Gehirn aus den Impulsen macht, die die Augen liefern.


Wahrnehmungen sind zwar freilich insofern indirekt, als zwischen dem Gegenstand der Außenwelt und meinem Gehirn ein physischer und neurophysiologischer Vorgang abläuft; aber daraus folgt nicht, dass mein direkter Wahrnehmungsgegenstand nicht das Auto, sondern ein Bild desselben ist.

#123:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 29.03.2010, 20:17
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Und, naja, 'stammesgeschichtlich sehr alt' hin oder her: jede Empfindung setzt mE ein Bewusstsein voraus. Wenn auch kein Selbst-Bewusstsein.


Das ist falsch ausgedrückt, denn ein Tier hat Bewusstsein, weil es Empfindungen hat, und nicht umgekehrt. Das Bewusstsein ist kein zunächst leeres Gefäß, das erst später mit einem Inhalt, sprich mit Empfindungen, Gefühlen usw. gefüllt wird.

#124:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 29.03.2010, 20:33
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Nichts erleben wir 'direkt'. Ohne unsere Sinnesorgane und die Aufbereitung ihrer Informationen im Nervensystem wäre überhaupt kein Erleben möglich. Ich sehe gerade ein Auto vor meinem Fenster vorbeifahren, aber sich sehe doch nicht das Auto direkt, sondern das Bild, daß mein Gehirn aus den Impulsen macht, die die Augen liefern.

Wahrnehmungen sind zwar freilich insofern indirekt, als zwischen dem Gegenstand der Außenwelt und meinem Gehirn ein physischer und neurophysiologischer Vorgang abläuft; aber daraus folgt nicht, dass mein direkter Wahrnehmungsgegenstand nicht das Auto, sondern ein Bild desselben ist.

Der Gegenstand deiner Wahrnehmung ist das Auto, aber du siehst das Bild, das dein Gehirn erzeugt. Aber damit hat nicht alles, was du siehst, auch einen Gegenstand. Die sprichwörtlichen Gesichter im dunklen Wald sind nur ein krasses Beispiel. Und jedes Buch über optische Täuschungen zeigen uns, daß unser Gesichtssinn nicht dazu konstruiert ist, die Welt um uns herum exakt abzubilden, sondern uns das Überleben zu erleichtern.

#125:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 29.03.2010, 20:51
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Was unklar ist, und das Qualia-Problem ausmacht, ist das phänomenale Erleben; wie das aus physiologischen Abläufen entsteht. Dieses Entstehen einfach als factum brutum abzutun, erscheint mir wenig befriedigend. Das ruft mE ebenso nach einer Erklärung, wie die Unterdrückung des Schmerzempfindens in bestimmten Situation (die eben erklärt werden kann).

Das halte ich nun gar nicht für ein Problem. Alles, was wir erleben, ist von unserem Gehirn erzeugt. Nicht erleben wir 'direkt'.

Komisch, ich würde genau das Gegenteil sagen: alles, was wir erleben, erleben wir direkt, unmittelbar. Aber wahrscheinlich meinen wir dann etwas Unterschiedliches damit.

Ja, das ist wohl so. Wenn du ein Auto siehst, baut dein Gehirn aus den optischen Informationen ein Bild zusammen. Dieses Bild ist kein exaktes Abbild der Außenwelt, sondern optimiert für unsere Vorstellung von dieser Welt. Das fängt schon mit der Farbe an. Natürlich hat das Licht, daß dieses Auto reflektiert, bestimmte Eigenschaften, aber Opa-Metallic wird daraus erst in deinem Kopf. Und so gibt es mehrere kleinere oder größere Korrekturen, die dein Gehirn in dem Bild verarbeitet, das es dir am Ende präsentiert. Jedes Buch über optische Täuschungen ist voll von solchen 'Korrekturen'. Ich würde also sagen, du siehst nicht direkt. Und für alle anderen Sinnesorgane gilt prinzipiell das Gleiche.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Ich halte übrigens, mal vom Algorithmus-Standpunkt her gesehen, ein Modell einer Verletzung zu erstellen für wesentlich einfacher, als eine Empfindung hervorzurufen. Ersteres könnte man leicht auf einem Computer implementieren, bei Zweiterem habe ich nicht einmal den Hauch einer Ahnung, wie das gehen könnte.

Daß du nicht weißt, wie man das implementieren könnte, ist aber nicht wirklich ein Argument, oder? Lachen

#126:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 29.03.2010, 20:53
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Der Gegenstand deiner Wahrnehmung ist das Auto, aber du siehst das Bild, das dein Gehirn erzeugt.


Das bestreite ich. Die Außenweltwahrnehmung besteht nicht im Betrachten innerer Bilder.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Aber damit hat nicht alles, was du siehst, auch einen Gegenstand.


Auch wenn sie subjektiv gleich scheinen, so unterscheiden sich halluzinatorische Scheinwahrnehmungen doch objektiv von normalen Wahrnehmungen realer Gegenstände. Daraus, dass mir mein Gehirn unter bestimmten Umständen Trugbilder vorgaukeln kann, folgt nicht, dass meine Wahrnehmung allgemein im Sehen von Bildern besteht.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Die sprichwörtlichen Gesichter im dunklen Wald sind nur ein krasses Beispiel. Und jedes Buch über optische Täuschungen zeigen uns, daß unser Gesichtssinn nicht dazu konstruiert ist, die Welt um uns herum exakt abzubilden, sondern uns das Überleben zu erleichtern.


Im Falle einer Illusion sieht ein realer Gegenstand anders aus, als er ist. Das bedeutet aber nicht, dass ich nicht den Gegenstand selbst direkt wahrnehme.
Ich sehe in Wirklichkeit nicht das Bild eines geknickten Bleistifts, sondern den scheinbar geknickten Bleistift selbst.


#127:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 29.03.2010, 21:08
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Der Gegenstand deiner Wahrnehmung ist das Auto, aber du siehst das Bild, das dein Gehirn erzeugt.

Das bestreite ich. Die Außenweltwahrnehmung besteht nicht im Betrachten innerer Bilder.

Du siehst nicht das Auto, sondern das Bild, daß sich dein Gehirn vom Auto macht.
Myron hat folgendes geschrieben:

Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Aber damit hat nicht alles, was du siehst, auch einen Gegenstand.

Auch wenn sie subjektiv gleich scheinen, so unterscheiden sich halluzinatorische Scheinwahrnehmungen doch objektiv von normalen Wahrnehmungen realer Gegenstände. Daraus, dass mir mein Gehirn unter bestimmten Umständen Trugbilder vorgaukeln kann, folgt nicht, dass meine Wahrnehmung allgemein im Sehen von Bildern besteht.

Diese Formulierung ist der verzweifelte aber nutzlose Versuch, zwischen objektiven und subjektiven Wahrnehmungen zu unterscheiden. Unser Bild von dieser Welt ist ein von unserem Gehirn vermitteltes Bild. Damit ist es nicht beliebig, sondern evolutionär entstanden, optimiert aber nicht für exakte Abbildung der Umgebung, sondern für das Überleben. Das beginnt schon damit, daß nur ein Bruchteil dessen, was deine Augen optisch aufnehmen, auch bis in den Bewußtsein durchgereicht wird. Dein Gehirn trifft eine Auswahl nach vermuteter Wichtigkeit. Laborexperimente gibt es dazu reichlich. War gestern noch eine Wiederholung eines Berichts über das Bewußtsein auf 3sat.
Myron hat folgendes geschrieben:

Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Die sprichwörtlichen Gesichter im dunklen Wald sind nur ein krasses Beispiel. Und jedes Buch über optische Täuschungen zeigen uns, daß unser Gesichtssinn nicht dazu konstruiert ist, die Welt um uns herum exakt abzubilden, sondern uns das Überleben zu erleichtern.

Im Falle einer Illusion sieht ein realer Gegenstand anders aus, als er ist. Das bedeutet aber nicht, dass ich nicht den Gegenstand selbst direkt wahrnehme.
Ich sehe in Wirklichkeit nicht das Bild eines geknickten Bleistifts, sondern den scheinbar geknickten Bleistift selbst.

Das ist Semantik. Der Bleistift erscheint dir geknickt aufgrund des unterschiedlichen Brechungsverhaltens von Luft und Wasser. Das hat mit optischen Täuschungen nichts zu tun. Daran ist dein Gehirn nun unschuldig. Daß es diesen Mangel nicht ausgleicht, verweist aber darauf, daß es für unser Überleben nicht wirklich wichtig ist, oder zu schwer zu berechnen. Lachen

#128:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 29.03.2010, 21:14
    —
P.S.: Noch ein kleiner Nachtrag. Daß unser Gehirn uns das Bild von dieser Welt aufbereitet, heißt nun nicht, daß es über weite Strecken Fantasie wäre. Das würde auch nicht funktionieren. Das Bild vom Auto, daß auf uns zurast, ist schon sehr realistisch. Wenn es das nicht wäre, wären wir tot. Aber auf dem Bild, das unsere Augen liefern, ist eben auch noch etwas anderes als nur das Auto und das blendet unser Gehirn im Gefahrenfalle komplett aus. Der Minirock an der Kreuzung, den wir sonst sicher nicht übersehen hätten, ist für uns in diesem Augenblick einfach nicht da.

#129:  Autor: Der_GuidoWohnort: Östlich von Holland BeitragVerfasst am: 29.03.2010, 21:16
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Und, naja, 'stammesgeschichtlich sehr alt' hin oder her: jede Empfindung setzt mE ein Bewusstsein voraus. Wenn auch kein Selbst-Bewusstsein.


Das ist falsch ausgedrückt, denn ein Tier hat Bewusstsein, weil es Empfindungen hat, und nicht umgekehrt. Das Bewusstsein ist kein zunächst leeres Gefäß, das erst später mit einem Inhalt, sprich mit Empfindungen, Gefühlen usw. gefüllt wird.

Meines Wissens werden die allermeisten (> 80%) Empfindungen unbewußt ver- oder bearbeitet, man bedenke die traumlose Schlafphase oder die langsame Verarbeitungsgeschwindigkeit des Gehirns bei bewußter Empfindung.

Insofern ist Bewußtsein auch nach meinem Verständnis keine Voraussetzung für Empfindungen, sondern eher umgekehrt.

#130:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 29.03.2010, 21:21
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
....
Ich sehe in Wirklichkeit nicht das Bild eines geknickten Bleistifts, sondern den scheinbar geknickten Bleistift selbst.....

Das würde ich auch so formulieren. Da ist keine weitere Person, die sich Reizmuster ansieht, sondern die Reizmuster wie ihre Interpretation sind Teil meiner Person bzw. ihres Tuns.

Der Trennung zwischen bilderstellendem Apparat und dem beobachtenden Menschen stimme ich beim wissenschaftlichen Experiment zu. Aber der beobachtende Mensch ist der beobachtende Mensch und eine Einheit.

Auch evolutionär ist das nur als Einheit zu verstehen, weil eine Wahrnehmung, die keine Kunde von ihrem Objekt erhält, keine Wahrnehmung ist. Eine Wahrnehmung, die nicht mit der Außenwelt korrespondiert, wäre sinnlos. Und für das normle Lebewesen wäre es sinnlos, das Reizmuster nicht direkt in den Eigenschaften des Objektes zu interpretieren. Wie direkt auch das Intellektwesen Mensch das tut, ist daran zu sehen, dass wir z.B schon des Trickes der optischen Täuschung bedürfen, um uns der intern wirksamen Interpretationsmuster gegenwärtig zu werden.

EDIT P.S. falsch eingesetzt und wieder entfernt
fwo


Zuletzt bearbeitet von fwo am 29.03.2010, 21:45, insgesamt 2-mal bearbeitet

#131:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 29.03.2010, 21:40
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....Ich halte übrigens, mal vom Algorithmus-Standpunkt her gesehen, ein Modell einer Verletzung zu erstellen für wesentlich einfacher, als eine Empfindung hervorzurufen. Ersteres könnte man leicht auf einem Computer implementieren, bei Zweiterem habe ich nicht einmal den Hauch einer Ahnung, wie das gehen könnte.

Und, naja, 'stammesgeschichtlich sehr alt' hin oder her: jede Empfindung setzt mE ein Bewusstsein voraus. Wenn auch kein Selbst-Bewusstsein.

Von welchen Empfindunge redest Du? warm, kalt, rot, laut, Schmerz, Liebe, Dankbarkeit?

Mal ohne auf diese fast vernachligbaren Unterschiede einzugehen: Ich fühle, was in mir vorgeht, ich ahne, was in dir vorgeht, ich habe keine Ahnung, wie es sich anfühlt ein Hund zu sein, egal welche empathischen Übungen ich anstelle.

ABER - die subjektiven Qualitäten irgendwelcher Gefühle sind für eine Nachbildung wurscht. Was nachgebildet werden kann, ist nicht die subjektive Qualität unserer Empfindungen, sondern ihre Funktion. Die ist beschreibbar und deshalb auch programmierbar. Und sobald die Funktion vorhanden ist, ist es meiner Ansicht nach Kokolores, der Maschine das Gefühl abzustreiten, auch wenn wir von einer der unseren vergleichbaren Subjektivität nichts wissen.

P.S.Aber wir hatten dieses Thema schon mal:
fwo hat folgendes geschrieben:
....Wenn die Funktion über das geht, was wir Gefühl nennen, ist dann so, und dass die Gefühle so sind wie sie sind, muss für ihre Funktion nicht erkärt werden. Was Du wirklich fühlst, wenn Du grün siehst ist mir völlig wurscht, solange ich mich mit dir einigen kann, was wir beide grün nennen und diese Einigung einen Bestand hat, also alltagstauglich ist. Und es reicht, bei der Hardware festzustellen, wo die Sensoren dafür sind, und das Wissen, dass und in welchen Grenzen dieser Reiz erkannt und erinnert wird. .....


fwo

#132:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 29.03.2010, 22:48
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Diese Formulierung ist der verzweifelte aber nutzlose Versuch, zwischen objektiven und subjektiven Wahrnehmungen zu unterscheiden.


Es geht mir darum, dass sich der direkte Realismus nicht unter Berufung auf Illusionen und Halluzinationen widerlegen lässt, weil diese und normale Wahrnehmungen nicht psychophysisch gleichartig sind, sodass die Schlussfolgerung, dass jede Art von Wahrnehmung innere Bildwahrnehmung sei, ungültig ist.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Myron hat folgendes geschrieben:

Ich sehe in Wirklichkeit nicht das Bild eines geknickten Bleistifts, sondern den scheinbar geknickten Bleistift selbst.

Das ist Semantik.


Nein, es geht um die Frage, ob bei meiner Wahrnehmung äußerer Gegenstände stets innere Abbilder derselben als meine unmittelbaren Wahrnehmungsgegenstände dazwischengeschaltet sind oder nicht. Ich glaube nicht, dass dies der Fall ist.

#133:  Autor: Der_GuidoWohnort: Östlich von Holland BeitragVerfasst am: 29.03.2010, 22:59
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Diese Formulierung ist der verzweifelte aber nutzlose Versuch, zwischen objektiven und subjektiven Wahrnehmungen zu unterscheiden.


Es geht mir darum, dass sich der direkte Realismus nicht unter Berufung auf Illusionen und Halluzinationen widerlegen lässt, weil diese und normale Wahrnehmungen nicht psychophysisch gleichartig sind, sodass die Schlussfolgerung, dass jede Art von Wahrnehmung innere Bildwahrnehmung sei, ungültig ist.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Myron hat folgendes geschrieben:

Ich sehe in Wirklichkeit nicht das Bild eines geknickten Bleistifts, sondern den scheinbar geknickten Bleistift selbst.

Das ist Semantik.


Nein, es geht um die Frage, ob bei meiner Wahrnehmung äußerer Gegenstände stets innere Abbilder derselben als meine unmittelbaren Wahrnehmungsgegenstände dazwischengeschaltet sind oder nicht. Ich glaube nicht, dass dies der Fall ist.

Wenn keine Abbildungsmuster zwischengeschaltet wären, dann würde man m.E. z.B. einen Tiger nicht als Gefahr erkennen können. Was spricht dagegen, dass diese Abgleiche stets passieren ?

#134:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 29.03.2010, 23:03
    —
Der_Guido hat folgendes geschrieben:

Meines Wissens werden die allermeisten (> 80%) Empfindungen unbewußt ver- oder bearbeitet, man bedenke die traumlose Schlafphase oder die langsame Verarbeitungsgeschwindigkeit des Gehirns bei bewußter Empfindung.
Insofern ist Bewußtsein auch nach meinem Verständnis keine Voraussetzung für Empfindungen, sondern eher umgekehrt.


Es gibt keine ungespürten Empfindungen und deshalb auch keine unbewussten Empfindungen, denn für diese wie für alle anderen geistig-seelischen Erlebnisse gilt, dass sie nur dann da sind, wenn derjenige, der sie hat, auch merkt, dass sie da sind.
Bei geistig-seelischen Erscheinungen ist eine Trennung von Sein und Bewusstsein unmöglich. Während einer traumlosen Schlafphase ist man völlig empfindungs- und gefühllos, und deshalb völlig bewusstlos.
Währenddessen laufen zwar unbemerkt allerlei Körper- und Nervenvorgänge ab, doch keine davon sind Bewusstseinsvorgänge.

#135:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 29.03.2010, 23:13
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Nein, es geht um die Frage, ob bei meiner Wahrnehmung äußerer Gegenstände stets innere Abbilder derselben als meine unmittelbaren Wahrnehmungsgegenstände dazwischengeschaltet sind oder nicht. Ich glaube nicht, dass dies der Fall ist.

Ist das aber nicht offensichlich der Fall? Allein schon aufgrund der Reizleitung, die ja eine Art neuronale Modulation der primären Reize darstellt.

Ich meine, daß selbst im Regenwurm aus den primären Reizen ein inneres Modell der Welt entsteht, dessen einziger Bezug zu dieser darin besteht, daß es (durch Übung, Evolution usw.) funktioniert.

#136:  Autor: Der_GuidoWohnort: Östlich von Holland BeitragVerfasst am: 29.03.2010, 23:37
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Der_Guido hat folgendes geschrieben:

Meines Wissens werden die allermeisten (> 80%) Empfindungen unbewußt ver- oder bearbeitet, man bedenke die traumlose Schlafphase oder die langsame Verarbeitungsgeschwindigkeit des Gehirns bei bewußter Empfindung.
Insofern ist Bewußtsein auch nach meinem Verständnis keine Voraussetzung für Empfindungen, sondern eher umgekehrt.


Es gibt keine ungespürten Empfindungen und deshalb auch keine unbewussten Empfindungen, denn für diese wie für alle anderen geistig-seelischen Erlebnisse gilt, dass sie nur dann da sind, wenn derjenige, der sie hat, auch merkt, dass sie da sind.
Bei geistig-seelischen Erscheinungen ist eine Trennung von Sein und Bewusstsein unmöglich. Während einer traumlosen Schlafphase ist man völlig empfindungs- und gefühllos, und deshalb völlig bewusstlos.
Währenddessen laufen zwar unbemerkt allerlei Körper- und Nervenvorgänge ab, doch keine davon sind Bewusstseinsvorgänge.

Intuitiv würde ich dir fast zustimmen, aber so ganz klar ist mir das Konzept nicht.

Was passiert denn, wenn der Wecker mich aus dem Tiefschlaf bimmelt ?
Das Bewußtsein wird eingeschaltet, und die Empfindung eines "Bimmelns" aus irgendeiner neuronalen Vorverarbeitung an das Bewußtsein geleitet. Ergo erfolgt doch eine Empfindung im unbewußten Zustand ...

#137:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 29.03.2010, 23:58
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich halte übrigens, mal vom Algorithmus-Standpunkt her gesehen, ein Modell einer Verletzung zu erstellen für wesentlich einfacher, als eine Empfindung hervorzurufen. Ersteres könnte man leicht auf einem Computer implementieren, bei Zweiterem habe ich nicht einmal den Hauch einer Ahnung, wie das gehen könnte.

Daß du nicht weißt, wie man das implementieren könnte, ist aber nicht wirklich ein Argument, oder? Lachen

Doch, genau das halte ich für ein Argument. Dieser Zusammenhang eben ist es, der mir so unklar erscheint, der ein Rätsel darstellt. Ein Modell der Umwelt zu erstellen und auch ein Modell des Systemes in dieser Umwelt bzw. ein Körper-Modell des Systemes: das ist ein Problem, das nicht rätselhaft ist. Kann man relativ leicht auf einem Computer implementieren, wenn man die passenden Sensoren hat, diese ausliest und auswertet und entsprechend ein Verhalten des Systemes vorgibt oder auch das System lernen lässt, mit bisher unbekannten Umständen umzugehen.

Aber phänomenale Erlebnisse implementieren: wie könnte das gehen? Wo ist der Zusammenhang zu dem / den Modellen und dem algorithmischen Verhalten des Systemes? Wie ergeben sich die Erlebnisse genau, was sind die notwendigen und hinreichenden Bedingungen hierfür? Das ist die Frage. Und darauf habe ich keine Antwort, das ist immer noch ein Rätsel.

#138:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 30.03.2010, 00:02
    —
step hat folgendes geschrieben:

Ist das aber nicht offensichlich der Fall? Allein schon aufgrund der Reizleitung, die ja eine Art neuronale Modulation der primären Reize darstellt.


Die Art und Weise, wie wir die Dinge der Außenwelt wahrnehmen, hängt natürlich auch von der Reizverarbeitung ab. Doch die Frage war ja, ob wir überhaupt jemals direkt, d.h. ohne dazwischengeschaltete Bilder, die Außenwelt wahrnehmen.

step hat folgendes geschrieben:

Ich meine, daß selbst im Regenwurm aus den primären Reizen ein inneres Modell der Welt entsteht, dessen einziger Bezug zu dieser darin besteht, daß es (durch Übung, Evolution usw.) funktioniert.


Wenn ich meine Augen schließe, dann habe ich eine geographische Repräsentation meiner Umgebung vor meinem geistigen Auge. Doch wenn ich sie wieder öffne und mich umschaue, dann nehme ich die Umgebung selbst wahr und nicht eine Repräsentation derselben.

#139:  Autor: Die FiktionWohnort: Düsseldorf BeitragVerfasst am: 30.03.2010, 00:16
    —
Erstaunlich, das sich Dir diese Frage stellt.
Als Ansatz für eine wirkliche Antwort kann ich Dir nur empfehlen, mal tief in Dich hinein zu horchen,

......alles Andere wird dich nur vom Thema ablenken.

#140:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 30.03.2010, 00:23
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
ABER - die subjektiven Qualitäten irgendwelcher Gefühle sind für eine Nachbildung wurscht. Was nachgebildet werden kann, ist nicht die subjektive Qualität unserer Empfindungen, sondern ihre Funktion. Die ist beschreibbar und deshalb auch programmierbar. Und sobald die Funktion vorhanden ist, ist es meiner Ansicht nach Kokolores, der Maschine das Gefühl abzustreiten, auch wenn wir von einer der unseren vergleichbaren Subjektivität nichts wissen.

P.S.Aber wir hatten dieses Thema schon mal:
fwo hat folgendes geschrieben:
....Wenn die Funktion über das geht, was wir Gefühl nennen, ist dann so, und dass die Gefühle so sind wie sie sind, muss für ihre Funktion nicht erkärt werden. Was Du wirklich fühlst, wenn Du grün siehst ist mir völlig wurscht, solange ich mich mit dir einigen kann, was wir beide grün nennen und diese Einigung einen Bestand hat, also alltagstauglich ist. Und es reicht, bei der Hardware festzustellen, wo die Sensoren dafür sind, und das Wissen, dass und in welchen Grenzen dieser Reiz erkannt und erinnert wird. .....

Hm, dabei haben wir dann halt schlicht einen Dissens.

Man kann mE z.B. Intelligenz nicht simulieren. Wenn ein System über einen längeren Zeitraum intelligentes Verhalten zeigt, dann kann man ohne Probleme sagen, es sei intelligent (-> Turing-Test).

Aber bei Gefühlen / Empfindungen sieht das mE anders aus. Diese kann man sehr wohl simulieren, ohne sie zu haben. Da hilft eine rein behavioristische Betrachtung nicht, so, wie Du die hier anscheinend postulierst. Wenn jemand sagt, er habe Schmerzen und auch alle Anzeichen nach außen dafür zeigt, (krümmt sich, ruft "aua", jammert und dergleichen), muss er dennoch keine Schmerzen haben. Und wenn jemand keine Anzeichen für Schmerzempfindung zeigt, bedeutet das nicht, dass er keine Schmerzen hat (-> der Superspartaner).

Gleiches gilt für eine Maschine. Wenn eine Maschine einen Batterie-Sensor hat, der einen sehr geringen Ladezustand meldet, dann hat sie deswegen noch lange kein Gefühl. Auch wenn ich dann eine Audio-Datei abspielen lasse, mit dem Inhalt: "Aua, keine Energe mehr, das tut so weh", würde das nichts daran ändern. Wäre nur eine Simulation. Und selbst wenn ich das beliebig kompliziert mache, noch eine Krümmungsfunktion einbaue, noch mehr Jammern, die Außenhülle so konstruiere, dass Du sie nicht von einem echten Menschen unterscheiden könntest, dem System insofern intelligentes Verhalten implementieren könnte, dass Du das gesamte Verhalten nicht mehr von einem normalen Menschen unterscheiden könntest: das erzeugt kein Gefühl. Wäre immer nur lediglich die Simulation von Gefühlen.

#141:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 30.03.2010, 00:32
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....
Aber bei Gefühlen / Empfindungen sieht das mE anders aus. Diese kann man sehr wohl simulieren, ohne sie zu haben. Da hilft eine rein behavioristische Betrachtung nicht, so, wie Du die hier anscheinend postulierst. Wenn jemand sagt, er habe Schmerzen und auch alle Anzeichen nach außen dafür zeigt, (krümmt sich, ruft "aua", jammert und dergleichen), muss er dennoch keine Schmerzen haben. Und wenn jemand keine Anzeichen für Schmerzempfindung zeigt, bedeutet das nicht, dass er keine Schmerzen hat (-> der Superspartaner).

Gleiches gilt für eine Maschine. Wenn eine Maschine einen Batterie-Sensor hat, der einen sehr geringen Ladezustand meldet, dann hat sie deswegen noch lange kein Gefühl. Auch wenn ich dann eine Audio-Datei abspielen lasse, mit dem Inhalt: "Aua, keine Energe mehr, das tut so weh", würde das nichts daran ändern. Wäre nur eine Simulation. Und selbst wenn ich das beliebig kompliziert mache, noch eine Krümmungsfunktion einbaue, noch mehr Jammern, die Außenhülle so konstruiere, dass Du sie nicht von einem echten Menschen unterscheiden könntest, dem System insofern intelligentes Verhalten implementieren könnte, dass Du das gesamte Verhalten nicht mehr von einem normalen Menschen unterscheiden könntest: das erzeugt kein Gefühl. Wäre immer nur lediglich die Simulation von Gefühlen.

Dir ist aber klar, dass ich von der Funktion des Gefühls geschrieben habe, während Du dich hier nur auf Gefühlsäußerungen beziehst?

fwo

#142:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 30.03.2010, 00:59
    —
Der_Guido hat folgendes geschrieben:

Was passiert denn, wenn der Wecker mich aus dem Tiefschlaf bimmelt ?
Das Bewußtsein wird eingeschaltet, und die Empfindung eines "Bimmelns" aus irgendeiner neuronalen Vorverarbeitung an das Bewußtsein geleitet. Ergo erfolgt doch eine Empfindung im unbewußten Zustand ...


Während du schläfst, empfängt und verarbeitet dein Gehirn weiterhin akustische Reize. Bestimmte Reize führen dazu, dass dich dein Gehirn in den Wachzustand versetzt und dir jene Reize als Hörempfindung präsentiert. Vor dem Hören des Geräuschs gibt es aber nur Nervenreize und die entsprechenden rein körperlichen Vorgänge, die nichts Geistig-Seelisches an sich haben.
Eine Empfindung hat per definitionem auch eine subjektive, psychische Seite. Sie ist ein psychoneuronales Ereignis und nicht nur ein rein neuronales, das du nicht subjektiv bemerkst. Eine Empfindung besteht erst dann, wenn du sie spürst. Vor dem Spüren gibt es nur reine Nervenvorgänge, die keine Empfindungen darstellen.

#143:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 30.03.2010, 01:06
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Dir ist aber klar, dass ich von der Funktion des Gefühls geschrieben habe, während Du dich hier nur auf Gefühlsäußerungen beziehst?

Ähm, nein.

Die Funktion eines Gefühles zu beschreiben, (d.h. es ist irgendwie nützlich), erklärt ja noch nicht, wie ein Gefühl aus physiologischen Abläufen im Körper entsteht. Und eben das wäre ja die grundsätzliche Frage hier, mE. Fragt sich dann halt, warum ich rot als rot sehe und nicht als grün, wie das kommt, wie das entsteht, wie der kausale Zusammenhang ist. Ob das irgendwie ein Naturgesetz ist, (und wenn ja welches?), oder zufällig, d.h. könnte so oder so sein, da gibt es keinen Zusammenhang. Alleine von der Funktion her gesehen, ist das natürlich irrelevant. Wobei das jedoch, falls dem so wäre, mit einem Physikalismus mE wenig vereinbar erscheint.

Die andere Frage ist jedoch auch ebenfalls interessant. Wenn man alle Abläufe im Körper physiologisch hinreichend erklären kann, als kausale Abläufe, dann erscheint ein phänomenales Erleben als nebensächlich, irrelevant, unnötig. Also keineswegs als nützlich. Ohne Zusatznutzen. Kann man auch (in einer logisch möglichen Welt) weglassen, mit demselben Ergebnis.

Mit anderen Worten: man kann Gefühle (zurzeit) nicht physikalisch reduzieren auf die physiologischen Vorgänge im Körper. Es gibt keinen Zusammenhang dazu, der bestimmte Gefühle erklären könnte.

Und einfach ein factum brutum in Abhängigkeit der Komplexität der physiologischen Abläufe zu postulieren ist mehr als unbefriedigend. Das könnte man dann beliebig ausweiten.

Wenn jemand, (ein Gedankenexperiment), nachgewiesenermaßen telepathische Fähigkeiten hätte und man dann sein Gehirn untersucht und das irgendwie ein bisschen anders aufgebaut wäre als ein normales Gehirn, dann würde es sicher auch niemand als befriedigende Erklärung ansehen, wenn man einfach behauptete, diese Fähigkeit ergäbe sich halt aus der Komplexität des speziellen Gehirnes, da käme eine emergente Eigenschaft hinzu, das sei halt so, ein factum brutum. Eine Erklärung wäre das sicher nicht.


Zuletzt bearbeitet von AgentProvocateur am 30.03.2010, 01:09, insgesamt einmal bearbeitet

#144:  Autor: Dissonanz BeitragVerfasst am: 30.03.2010, 01:08
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Dir ist aber klar, dass ich von der Funktion des Gefühls geschrieben habe, während Du dich hier nur auf Gefühlsäußerungen beziehst?

Ähm, nein.

Die Funktion eines Gefühles zu beschreiben, (d.h. es ist irgendwie nützlich), erklärt ja noch nicht, wie ein Gefühl aus physiologischen Abläufen im Körper entsteht. Und eben das wäre ja die grundsätzliche Frage hier, mE. Fragt sich dann halt, warum ich rot als rot sehe und nicht als grün, wie das kommt, wie das entsteht, wie der kausale Zusammenhang ist. Ob das irgendwie ein Naturgesetz ist, (und wenn ja welches?), oder zufällig, d.h. könnte so oder so sein, da gibt es keinen Zusammenhang. Alleine von der Funktion her gesehen, wäre das wohl irrelevant. Wobei das jedoch mit Physikalismus mE wenig vereinbar erscheint.


Ich beschreibe dir hiermit die Funktion einer Kurve:

f(x)=x^2+2

#145:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 30.03.2010, 01:11
    —
Dissonanz hat folgendes geschrieben:
Ich beschreibe dir hiermit die Funktion einer Kurve:

f(x)=x^2+2

Hat diese Kurve ein Gefühl / eine Empfindung? Wenn ja: welche und wieso? Wie entsteht die?

#146:  Autor: Dissonanz BeitragVerfasst am: 30.03.2010, 01:37
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Dissonanz hat folgendes geschrieben:
Ich beschreibe dir hiermit die Funktion einer Kurve:

f(x)=x^2+2

Hat diese Kurve ein Gefühl / eine Empfindung? Wenn ja: welche und wieso? Wie entsteht die?


Ich wollte dich nur darauf hinweisen, dass es auch andere Bedeutungen für "Funktion" gibt.

Eine Freundin von mir, die sich wesentlich besser als ich mit der Thematik hat es mal so beschrieben(beziehungsweise sie hat es beschrieben und so kam es bei mir an):

Was dem einen sein Modus Ponens ist ist des anderen sein Modus Tollens und danach haut man sich diese einfach nur noch gegenseitig um die Ohren.

#147:  Autor: Der_GuidoWohnort: Östlich von Holland BeitragVerfasst am: 30.03.2010, 01:37
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Der_Guido hat folgendes geschrieben:

Was passiert denn, wenn der Wecker mich aus dem Tiefschlaf bimmelt ?
Das Bewußtsein wird eingeschaltet, und die Empfindung eines "Bimmelns" aus irgendeiner neuronalen Vorverarbeitung an das Bewußtsein geleitet. Ergo erfolgt doch eine Empfindung im unbewußten Zustand ...


Während du schläfst, empfängt und verarbeitet dein Gehirn weiterhin akustische Reize. Bestimmte Reize führen dazu, dass dich dein Gehirn in den Wachzustand versetzt und dir jene Reize als Hörempfindung präsentiert. Vor dem Hören des Geräuschs gibt es aber nur Nervenreize und die entsprechenden rein körperlichen Vorgänge, die nichts Geistig-Seelisches an sich haben.
Eine Empfindung hat per definitionem auch eine subjektive, psychische Seite. Sie ist ein psychoneuronales Ereignis und nicht nur ein rein neuronales, das du nicht subjektiv bemerkst. Eine Empfindung besteht erst dann, wenn du sie spürst. Vor dem Spüren gibt es nur reine Nervenvorgänge, die keine Empfindungen darstellen.

Hmm, und was ist dann Wahrnehmung ? Die Definitionen, die mir dort geläufig sind, trennen nach bewußt und unbewußt, und entsprechen etwa deiner Beschreibung. Wiki beschreibt Empfinden als Vorstufe von Wahrnehmung.

#148:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 30.03.2010, 03:45
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Dir ist aber klar, dass ich von der Funktion des Gefühls geschrieben habe, während Du dich hier nur auf Gefühlsäußerungen beziehst?

Ähm, nein.

Die Funktion eines Gefühles zu beschreiben, (d.h. es ist irgendwie nützlich), erklärt ja noch nicht, wie ein Gefühl aus physiologischen Abläufen im Körper entsteht. Und eben das wäre ja die grundsätzliche Frage hier, mE. Fragt sich dann halt, warum ich rot als rot sehe und nicht als grün, wie das kommt, wie das entsteht, wie der kausale Zusammenhang ist. Ob das irgendwie ein Naturgesetz ist, (und wenn ja welches?), oder zufällig, d.h. könnte so oder so sein, da gibt es keinen Zusammenhang. Alleine von der Funktion her gesehen, ist das natürlich irrelevant. Wobei das jedoch, falls dem so wäre, mit einem Physikalismus mE wenig vereinbar erscheint. .....

Diese Gedanken sind doch für die Funktion völlig schnuppe. Ich weiß auch nicht, ob rot für dich so ist, wie rot für mich ist. Wichtig ist doch nur, dass der Zusammenhang zu einer bestimmten Reflektionseigenschaft von Oberflächen und meinem Gefühl konstant ist. So konstant, dass man das wiedererkennt, dass man sich, wo wir gerade unter Menschen sind, darüber unterhalten kann.

Die Funktion der Empfindungen rot oder grün ist innerhalb der Auswertung optischer Reize, d.h. wir haben einen im Wortsinn bildwerfenden Apparat und eine Möglichkeit Bilder zu speichern, auszuwerten und zu vergleichen. Die Frage, warum ich rot als rot sehe und grün als grün, ist für die Funktion uninteressant - wichtig innerhalb der Funktion ist nur die zuverlässige Unterscheidung zwischen rot und grün. Wichtig sind nicht die Empfindungen rot oder grün, sondern dass ich damit einen reifen Apfel von einem unreifen unterscheiden kann, und da wir aus einer Evolution stammen, ist es nur vernünftig, anzunehmen, dass die Empfindunge rot und grün nicht vorhanden wären, wenn wir nicht diesen Nutzen davon hätten.

Das ist es, wovon ich spreche, wenn ich von der Funktion eines Gefühles spreche: Welche Nachricht wird damit transportiert. Unsere Gefühle sind Teile unserer Nachrichtenverarbeitung. Einige entsprechen direkten Informationen aus der Außenwelt, andere (z.B. Hunger) sind bereits Auswertungen meiner Innenwelt, die nicht nur einen Zustand abbilden, sondern auch noch eine Handlungsaufforderung enthalten.

Aber wenn Du da nicht zustimmen magst, bitte ich dich hier nachzusehen, ob Du deine fällige Antwort vielleicht schon gegen hast - dann befinden wir uns bereits in einer Schleife und brauchen nicht weiter zu machen.

fwo

#149:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 30.03.2010, 09:50
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Diese Formulierung ist der verzweifelte aber nutzlose Versuch, zwischen objektiven und subjektiven Wahrnehmungen zu unterscheiden.

Es geht mir darum, dass sich der direkte Realismus nicht unter Berufung auf Illusionen und Halluzinationen widerlegen lässt, weil diese und normale Wahrnehmungen nicht psychophysisch gleichartig sind, sodass die Schlussfolgerung, dass jede Art von Wahrnehmung innere Bildwahrnehmung sei, ungültig ist.

Du versuchst einen Unterschied in der Wahrnehmiung selbst zu konstruieren zwischen einer 'objektiven' Wahrnehmung und einer Illusion. Das ist emotional verständlich, denn wir alle würden zu gern wissen, wann wir uns auf unsere Wahrnehmung verlassen können und wann nicht. Ich denke, daß das trotzdem nicht funktioniert. Die einzige Möglichkeit zur Validierung unserer Wahrnehmung ist die uns umgebende Wirklichkeit. Du hast sicher auch schon mal einen Traum erlebt, der dir völlig real vorkam bis zu einem Augenblick, in dem dir die Irrealität bewußt wurde. Ob unsere Wahrnehmung uns täuscht, können wir nur anhand der uns umgebenden Realität prüfen.

Myron hat folgendes geschrieben:

Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Myron hat folgendes geschrieben:

Ich sehe in Wirklichkeit nicht das Bild eines geknickten Bleistifts, sondern den scheinbar geknickten Bleistift selbst.

Das ist Semantik.

Nein, es geht um die Frage, ob bei meiner Wahrnehmung äußerer Gegenstände stets innere Abbilder derselben als meine unmittelbaren Wahrnehmungsgegenstände dazwischengeschaltet sind oder nicht. Ich glaube nicht, dass dies der Fall ist.

Deine Wahrnehmung ist nicht das 'Sehen' innerer Bilder, deine Wahrnehmung sind diese Bilder selbst. Da ist nicht noch einmal ein 'Sehen' dazwischengeschaltet. Aber diese Bilder sind nicht das direkte Abbild der objektiven Realität, sondern sie sind vom Gehirn erzeugt.

#150:  Autor: ShadaikWohnort: MG BeitragVerfasst am: 30.03.2010, 10:02
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Shadaik hat folgendes geschrieben:
@Agent Provocateur: Ich meinte, die Qualia ist eine Bezeichnung für diese Verbindung, nichts zusätzliches.
Reiz: Schmerz
(Modifikation durch zusätzliche Faktoren)
Reaktion: Empfindung von Schmerz (oder eben keine Empfindung von Schmerz, abhängig von reizstärke und Einfluss der weiteren Faktoren)

'Qualia' ist aber keine Bezeichnung für eine solche Verbindung, sondern es ist eine Bezeichnung für das phänomenale Erleben als solches. In diesem Falle das Empfinden von Schmerz.
Und das unterscheidet sich von dem, was ich beschrieben habe, inwiefern?

#151:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 30.03.2010, 13:52
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Das ist es, wovon ich spreche, wenn ich von der Funktion eines Gefühles spreche: Welche Nachricht wird damit transportiert. Unsere Gefühle sind Teile unserer Nachrichtenverarbeitung. Einige entsprechen direkten Informationen aus der Außenwelt, andere (z.B. Hunger) sind bereits Auswertungen meiner Innenwelt, die nicht nur einen Zustand abbilden, sondern auch noch eine Handlungsaufforderung enthalten.

Aber wenn Du da nicht zustimmen magst, bitte ich dich hier nachzusehen, ob Du deine fällige Antwort vielleicht schon gegen hast - dann befinden wir uns bereits in einer Schleife und brauchen nicht weiter zu machen.

Deine Vorgehensweise, nur die Funktion zu betrachten und beim Vorhandensein einer solchen Funktion (z.B. der Maschine fehlt Energie, das wird durch einen Sensor ermittelt, das löst ein bestimmtes Verhalten aus) zu schließen, es sei ein Gefühl vorhanden: "Und sobald die Funktion vorhanden ist, ist es meiner Ansicht nach Kokolores, der Maschine das Gefühl abzustreiten, auch wenn wir von einer der unseren vergleichbaren Subjektivität nichts wissen." halte ich für falsch. Diese Maschine hat schlicht nicht das, was wir mit 'Gefühl' meinen.

fwo hat folgendes geschrieben:
Wenn die Funktion über das geht, was wir Gefühl nennen, ist dann so, und dass die Gefühle so sind wie sie sind, muss für ihre Funktion nicht erkärt werden.

Für ihre Funktion nicht.

Ebensowenig muss ich, wenn ich eine Tabellenkalkulation anwende, den konkreten Aufbau eines Computers erklären. Das interessiert den Anwender nicht, Hauptsache sie funktioniert so, dass er seine Berechnungen durchführen kann. Was aber nun mal nicht bedeutet, dass der Aufbau des Computers uninteressant sei und keiner Erklärung bedarf. Und, um in diesem Bilde zu bleiben: mir kommt es so vor, als ob Du mir die Legitimation absprichst, nach dem Funktionieren des Computers zu fragen. Deine Antwort ist immer nur: 'wieso, der funktioniert doch, sieht man doch und wie er genau funktioniert, ist unwichtig. Die Tabellenkalkulation könnte auch auf einem anderen Betriebssystem ablaufen, dann würde die TK ebenso funktionieren.' Und ich sage: 'ja, ich weiß, ich möchte aber wissen, wie genau dieser Computer funktioniert, wie das alles zusammenhängt, wie sich z.B. aus den elektronischen Vorgängen im Computer die Bildschirmanzeige ergibt.' Und ich halte das für eine berechtigte Frage, ich verstehe wirklich nicht, wieso ich das nicht fragen darf.

Siehe auch mein Beispiel von oben: angenommen, jemand hätte telepathische Fähigkeiten. Dann würde ich auch fragen: "wie kommt das, wie kann das sein, wie entsteht das, wie ist das realisiert?" Und Du würdest sagen: "wieso, das ist nun mal so, das hat sich aus der Evolution ergeben, das hat eine Funktion im Sinne eines Nutzens. Alle weiteren Fragen danach sind sinnlos und interessieren nicht." Und dann wäre ich ebenso ratlos ob dieser Aussage wie ich es jetzt auch bin.

#152:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 30.03.2010, 14:40
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
......
Siehe auch mein Beispiel von oben: angenommen, jemand hätte telepathische Fähigkeiten. Dann würde ich auch fragen: "wie kommt das, wie kann das sein, wie entsteht das, wie ist das realisiert?" Und Du würdest sagen: "wieso, das ist nun mal so, das hat sich aus der Evolution ergeben, das hat eine Funktion im Sinne eines Nutzens. Alle weiteren Fragen danach sind sinnlos und interessieren nicht." Und dann wäre ich ebenso ratlos ob dieser Aussage wie ich es jetzt auch bin.

Dann hättest Du telepatische Fähigkeiten, das wäre eine messbare Funktion. Und Du hättest damit einen im Rahmen der Messung beschreibbaren Informationfluss und man könnte sich ohne Schwierigkeiten mit dem Kanal beschäftigen, auf dem das passiert. Da sehe ich überhaupt kein Problem.

Wir haben hier jedoch einen etwas anderen Fall - Du möchtest wissen, warum dir die Farbe rot so erscheint, wie sie dir erscheint. Oder warum sich deine Trauer so anfühlt, wie sie sich anfühlt. Natürlich kannst Du diese Fragen stellen, musst dann aber die Gegenfrage beantworten, inwieweit diese Fragen überhaupt zielführend sein können. Von dem ganz kleinen Problem, dass Du niemandem, nicht einmal dir selbst, überhaupt verwertbar beschreiben kannst, wie sich deine Trauer oder die Farbe rot für dich anfühlt, will ich dabei einmal absehen.

Was meinst Du, warum selbst die Philosophie, wenn sie sich überhaupt mit diesem Problem beschäftigt, da einfach einen Zettel "Qualia" dranheftet und gut ist. Und wenn Dennet sagt, dass auch er die Qualia für ein Scheinproblem hält, immerhin ein Philosoph, der sich sehr lange mit diesen Themen beschäftigt und sich hier auch seinen besonderen Ruf erworben hat, dann heißt das für mich zumindestens, dass auch ein Philosoph das so sehen kann wie ich, dass ich also nicht ein grundsätzliches Problem "der Philosophie" einfach unter den Tisch kehre, wie Du mir einzureden versuchst.

Damit bleibt der schwarze Peter bei dir: Zeige, inwiefern deine Fragestellung zielführend ist. Beginne damit, zu zeigen, dass es einen Unterschied für ein Tier oder dich machen würde, wenn sich alles ganz anders anfühlen würde, aber Du genauso mit diesem Anderen groß worden wärest, wie Du jetzt mit deinen Gefühlen groß geworden bist.

fwo

#153:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 30.03.2010, 15:27
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
......
Siehe auch mein Beispiel von oben: angenommen, jemand hätte telepathische Fähigkeiten. Dann würde ich auch fragen: "wie kommt das, wie kann das sein, wie entsteht das, wie ist das realisiert?" Und Du würdest sagen: "wieso, das ist nun mal so, das hat sich aus der Evolution ergeben, das hat eine Funktion im Sinne eines Nutzens. Alle weiteren Fragen danach sind sinnlos und interessieren nicht." Und dann wäre ich ebenso ratlos ob dieser Aussage wie ich es jetzt auch bin.

Dann hättest Du telepatische Fähigkeiten, das wäre eine messbare Funktion. Und Du hättest damit einen im Rahmen der Messung beschreibbaren Informationfluss und man könnte sich ohne Schwierigkeiten mit dem Kanal beschäftigen, auf dem das passiert. Da sehe ich überhaupt kein Problem.

Wenn man aber den Kanal nicht findet? Würdest Du Dich dann mit der Feststellung "naja, es hat eine Funktion (Nutzen), ist evolutionär entstanden und ergibt sich irgendwie aus der Komplexität des Gehirnes" zufriedengeben? Oder würdest Du weiter nach dem Kanal suchen?

Übertragen auf Qualia: es gibt subjektives Erleben. Auch wenn das nicht messbar ist. Oder?

fwo hat folgendes geschrieben:
Wir haben hier jedoch einen etwas anderen Fall - Du möchtest wissen, warum dir die Farbe rot so erscheint, wie sie dir erscheint. Oder warum sich deine Trauer so anfühlt, wie sie sich anfühlt.

Nein, das möchte ich nicht wissen. Habe ich doch gesagt: ich möchte wissen, wie sich aus physiologischen Vorgängen überhaupt ein "anfühlen" ergibt. Was die notwendigen und hinreichenden Bedingungen dafür sind, wie dieser Übergang von "ablaufen" zu "anfühlen" zu erklären ist.

fwo hat folgendes geschrieben:
Was meinst Du, warum selbst die Philosophie, wenn sie sich überhaupt mit diesem Problem beschäftigt, da einfach einen Zettel "Qualia" dranheftet und gut ist.

Was meinst Du mit "gut ist"? Dass es keine offene Frage dabei gibt? Weil es reicht, ein Label dran zu kleben?

fwo hat folgendes geschrieben:
Und wenn Dennet sagt, dass auch er die Qualia für ein Scheinproblem hält, immerhin ein Philosoph, der sich sehr lange mit diesen Themen beschäftigt und sich hier auch seinen besonderen Ruf erworben hat, dann heißt das für mich zumindestens, dass auch ein Philosoph das so sehen kann wie ich, dass ich also nicht ein grundsätzliches Problem "der Philosophie" einfach unter den Tisch kehre, wie Du mir einzureden versuchst.

Was Dennet meint, ist mir erst mal wurscht. Nur Argumente interessieren. Will sagen: Du darfst gerne die Argumente von Dennet verwenden. Aber einfach nur zu erwähnen, wie Dennet das sieht, ist wenig hilfreich, ist so nur eine Berufung auf Autoritäten.

fwo hat folgendes geschrieben:
Damit bleibt der schwarze Peter bei dir: Zeige, inwiefern deine Fragestellung zielführend ist. Beginne damit, zu zeigen, dass es einen Unterschied für ein Tier oder dich machen würde, wenn sich alles ganz anders anfühlen würde, aber Du genauso mit diesem Anderen groß worden wärest, wie Du jetzt mit deinen Gefühlen groß geworden bist.

Nö, das brauche ich nicht zu zeigen, denn so etwas behaupte ich ja gar nicht. Ich behaupte aber, dass sich kein logischer und / oder (mir bekannter) naturwissenschaftlicher / naturgesetzlicher Widerspruch bei dem Gedankenexperiment ergibt, es könne alles in unserer Welt ebenso ablaufen würde wie jetzt auch, es gäbe aber dabei kein subjektives Erleben.

#154:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 30.03.2010, 15:48
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....
Übertragen auf Qualia: es gibt subjektives Erleben. Auch wenn das nicht messbar ist. Oder?

fwo hat folgendes geschrieben:
Wir haben hier jedoch einen etwas anderen Fall - Du möchtest wissen, warum dir die Farbe rot so erscheint, wie sie dir erscheint. Oder warum sich deine Trauer so anfühlt, wie sie sich anfühlt.

Nein, das möchte ich nicht wissen. Habe ich doch gesagt: ich möchte wissen, wie sich aus physiologischen Vorgängen überhaupt ein "anfühlen" ergibt. Was die notwendigen und hinreichenden Bedingungen dafür sind, wie dieser Übergang von "ablaufen" zu "anfühlen" zu erklären ist.....

Dann habe ich dich da falsch verstanden. Das Problem sehe ich trotzdem nicht. Was wir fühlen nennen, ist das Ankommen von Information in der bearbeitenden Instanz Bewusstsein. Es ist analoge Information, wenn es sich um Information aus den sensorischen Kanälen handelt, es ist abstrakte Information, wenn es sich um Hintergrundsaldi handelt, die unbewusst gefüllt werden ("Bauchgefühl" alsl Entscheidungsinstanz).

Was am Zustandekommen des Gefühls (außer den wiederum messbaren Filtereigenschaften der Reizleitung) ist denn nun so interessant für die Simulation, dass Du meinst es sei mehr als das Ankommen von Information? Wie anders als das was wir Gefühl nennen ist das Ankommen analoger Daten in einer Instanz wie dem Bewusstsein überhaupt vorstellbar und welchen Einfluss hätte das auf die Verarbeitung bzw. ihre Simulation?

fwo

#155:  Autor: Dissonanz BeitragVerfasst am: 30.03.2010, 23:51
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....
Übertragen auf Qualia: es gibt subjektives Erleben. Auch wenn das nicht messbar ist. Oder?

fwo hat folgendes geschrieben:
Wir haben hier jedoch einen etwas anderen Fall - Du möchtest wissen, warum dir die Farbe rot so erscheint, wie sie dir erscheint. Oder warum sich deine Trauer so anfühlt, wie sie sich anfühlt.

Nein, das möchte ich nicht wissen. Habe ich doch gesagt: ich möchte wissen, wie sich aus physiologischen Vorgängen überhaupt ein "anfühlen" ergibt. Was die notwendigen und hinreichenden Bedingungen dafür sind, wie dieser Übergang von "ablaufen" zu "anfühlen" zu erklären ist.....

Dann habe ich dich da falsch verstanden. Das Problem sehe ich trotzdem nicht. Was wir fühlen nennen, ist das Ankommen von Information in der bearbeitenden Instanz Bewusstsein. Es ist analoge Information, wenn es sich um Information aus den sensorischen Kanälen handelt, es ist abstrakte Information, wenn es sich um Hintergrundsaldi handelt, die unbewusst gefüllt werden ("Bauchgefühl" alsl Entscheidungsinstanz).

Was am Zustandekommen des Gefühls (außer den wiederum messbaren Filtereigenschaften der Reizleitung) ist denn nun so interessant für die Simulation, dass Du meinst es sei mehr als das Ankommen von Information? Wie anders als das was wir Gefühl nennen ist das Ankommen analoger Daten in einer Instanz wie dem Bewusstsein überhaupt vorstellbar und welchen Einfluss hätte das auf die Verarbeitung bzw. ihre Simulation?

fwo


Meine Vermutung wäre, dass es unterschiedliche Simulationsbegriffe wären. Während du unter einer Simulation verstehst, dass der 'Roboter' die Strukturen der Informationsverarbeitung, die bei uns vorliegen hinreichend genau nachbildet versteht der Agent, glaube ich, eher eine Art Nachmodellieren des Verhaltens ohne zugrundeliegende Informationsverarbeitung darunter. Quasi eine Simulation dessen, was nach außen geschieht, eine rein optische Annäherung.(Bitte nicht haun, wenn das total daneben ist. zwinkern)

#156:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 31.03.2010, 13:03
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
[..] ich möchte wissen, wie sich aus physiologischen Vorgängen überhaupt ein "anfühlen" ergibt. Was die notwendigen und hinreichenden Bedingungen dafür sind, wie dieser Übergang von "ablaufen" zu "anfühlen" zu erklären ist.....

Dann habe ich dich da falsch verstanden. Das Problem sehe ich trotzdem nicht. Was wir fühlen nennen, ist das Ankommen von Information in der bearbeitenden Instanz Bewusstsein.

Das Problem ist, dass "das Ankommen von Information in der bearbeitenden Instanz Bewusstsein" nicht "anfühlen" erklärt. Mal beiseite gelassen, dass "die Instanz Bewusstsein" hier näherer Erklärung bedürfte, ist es so nur die Beschreibung einer Beobachtung: "wenn bestimmte Information irgendwo ankommt und dort verarbeitet wird, geht das mit fühlen einher".

fwo hat folgendes geschrieben:
Was am Zustandekommen des Gefühls (außer den wiederum messbaren Filtereigenschaften der Reizleitung) ist denn nun so interessant für die Simulation, dass Du meinst es sei mehr als das Ankommen von Information? Wie anders als das was wir Gefühl nennen ist das Ankommen analoger Daten in einer Instanz wie dem Bewusstsein überhaupt vorstellbar und welchen Einfluss hätte das auf die Verarbeitung bzw. ihre Simulation?

Es ist doch leicht vorstellbar, dass beliebig komplexe Verarbeitung von Information (inkl. der Erstellung von Umwelt- und Selbstmodellen) komplett ohne Bewusstsein und somit auch ohne fühlen abläuft, es also lediglich eine Berechnung ohne ein Erleben gibt. Aus einem 'Ankommen von Information' in Kombination mit 'Berechnen' folgt doch kein Erleben, da gibt es doch keinen plausiblen Zusammenhang. Und eben das ist doch das Problem.

#157:  Autor: KomodoWohnort: 2Fort BeitragVerfasst am: 31.03.2010, 13:46
    —
Menschen fühlen garnicht. Problem gelöst. zwinkern

#158:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 31.03.2010, 13:53
    —
Komodo hat folgendes geschrieben:
Menschen fühlen garnicht. Problem gelöst. zwinkern

Ja, das wäre dann die Nummer 5:

Wikipedia - Bewusstsein hat folgendes geschrieben:
Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, mit dem Qualiaproblem umzugehen:

1. Man kann sich auf einen Dualismus zurückziehen und behaupten: Die Naturwissenschaften können das Bewusstsein nicht erklären, weil das Bewusstsein nicht materiell ist.
2. Man kann behaupten, dass mit den neuro- und kognitionswissenschaftlichen Beschreibungen schon alle Fragen geklärt seien.
3. Man kann behaupten, dass das Problem für Menschen nicht lösbar ist, da es ihre kognitiven Fähigkeiten übersteigt.
4. Man kann zugeben, dass das Qualiaproblem nicht gelöst ist, aber auf den wissenschaftlichen Fortschritt hoffen. Vielleicht bedarf es einer neuen wissenschaftlichen Revolution.
5. Man kann einen radikalen Schritt versuchen und behaupten: In Wirklichkeit gibt es gar keine Qualia.
6. Man kann umgekehrt die Gegenposition einnehmen und behaupten: Jedem Zustand eines physischen Systems entspricht ein Quale oder ein Satz von Qualia. (Panpsychismus)

#159:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 31.03.2010, 14:13
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....
Es ist doch leicht vorstellbar, dass beliebig komplexe Verarbeitung von Information (inkl. der Erstellung von Umwelt- und Selbstmodellen) komplett ohne Bewusstsein und somit auch ohne fühlen abläuft, es also lediglich eine Berechnung ohne ein Erleben gibt. Aus einem 'Ankommen von Information' in Kombination mit 'Berechnen' folgt doch kein Erleben, da gibt es doch keinen plausiblen Zusammenhang. Und eben das ist doch das Problem.

Es sind eben nicht beliebig komplexe Verarbeitungen mit einer starren Automatik möglich bzw. wenn die Evolution soetwas versuchte, täte sie das mit dem Risiko eines sehr spezialisierten Automaten, dessen Nische von heute auf morgen weg sein kann - das ist keine besonders gute Strategie bzw. nur tauglich für Organismen, die noch kelne genug sind, im Überfluss produziert zu werden wie etwa Gleiderfüßler.
Und sobald Du etwas auf die Beine stellst, das individuell lernt und damit im Abgleich der Gegenwart mit individuellen Erinnerungen individuelle Entscheidungen trifft, hast Du auch soetwas wie Bewusstsein. Du weißt zwar, wie Du dich anfühlst - aber wer sagt, dass Bewusstsein sich so anfühlen muss, wie Du es von dir kennst? ich sehe im Bewusstsein mehr eine Funktion als ein Gefühl.

fwo

#160:  Autor: KomodoWohnort: 2Fort BeitragVerfasst am: 31.03.2010, 14:20
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Komodo hat folgendes geschrieben:
Menschen fühlen garnicht. Problem gelöst. zwinkern

Ja, das wäre dann die Nummer 5:

Wikipedia - Bewusstsein hat folgendes geschrieben:
Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, mit dem Qualiaproblem umzugehen:

1. Man kann sich auf einen Dualismus zurückziehen und behaupten: Die Naturwissenschaften können das Bewusstsein nicht erklären, weil das Bewusstsein nicht materiell ist.
2. Man kann behaupten, dass mit den neuro- und kognitionswissenschaftlichen Beschreibungen schon alle Fragen geklärt seien.
3. Man kann behaupten, dass das Problem für Menschen nicht lösbar ist, da es ihre kognitiven Fähigkeiten übersteigt.
4. Man kann zugeben, dass das Qualiaproblem nicht gelöst ist, aber auf den wissenschaftlichen Fortschritt hoffen. Vielleicht bedarf es einer neuen wissenschaftlichen Revolution.
5. Man kann einen radikalen Schritt versuchen und behaupten: In Wirklichkeit gibt es gar keine Qualia.
6. Man kann umgekehrt die Gegenposition einnehmen und behaupten: Jedem Zustand eines physischen Systems entspricht ein Quale oder ein Satz von Qualia. (Panpsychismus)
Das ist eigentlich keineswegs so radikal. Niemand kann beweisen, dass es Qualia gibt, bzw. dass sie von bloßer Wahrnehmung tatsächlich zu unterscheiden sind. Wir wissen schließlich nicht, wie es ist, ein Automat zu sein. Allerdings denke ich, dass wir durchaus Qualia haben, auch, wenn wir es nicht beweisen können. Nur sehe ich nicht wirklich das Problem hier.

Ich denke, dass das Denken die Lösung dieses Problems sein kann. Wir können über Wahrnehmung nachdenken, Automaten nicht. Sie reagieren nur auf das, was sie sehe, und dieses Programm ist immer gleich. Wir jedoch sind in der Lage, auf basis unserer Wahrnehmung Modelle zu erzeugen und diese mit Emotionen und Begriffen zu verknüpfen. Dadurch können wir ein Modell der Realität erzeugen, dass es uns ermöglicht, Problemlösungen zu entwickeln.

Das ist Intelligenz, und ich denke, die Qualia sind als die Abstraktion der Realität auf Modelle, eine Notwendige Voraussetzung für diese Intelligenz.


Zuletzt bearbeitet von Komodo am 31.03.2010, 14:34, insgesamt einmal bearbeitet

#161:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 31.03.2010, 14:33
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Und sobald Du etwas auf die Beine stellst, das individuell lernt und damit im Abgleich der Gegenwart mit individuellen Erinnerungen individuelle Entscheidungen trifft, hast Du auch soetwas wie Bewusstsein.

Das ist eine reine Behauptung. Das Problem bei reinen Behauptungen ist: jeder kann genauso gut das Gegenteil behaupten.

fwo hat folgendes geschrieben:
Du weißt zwar, wie Du dich anfühlst - aber wer sagt, dass Bewusstsein sich so anfühlen muss, wie Du es von dir kennst?

Ich sage das zumindest nicht.

fwo hat folgendes geschrieben:
ich sehe im Bewusstsein mehr eine Funktion als ein Gefühl.

Ja, aber es geht nun mal um das Gefühl, nicht um die Funktion. Wenn Du behauptest, dass die (eine bestimmte) Funktion notwendigerweise ein Gefühl erzeugt, dann musst Du das belegen können. Und es wäre auch gut, wenn man erklären könnte, woran das liegt.

#162:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 31.03.2010, 14:55
    —
Komodo hat folgendes geschrieben:
Ich denke, dass das Denken die Lösung dieses Problems sein kann. Wir können über Wahrnehmung nachdenken, Automaten nicht. Sie reagieren nur auf das, was sie sehe, und dieses Programm ist immer gleich. Wir jedoch sind in der Lage, auf basis unserer Wahrnehmung Modelle zu erzeugen und diese mit Emotionen und Begriffen zu verknüpfen. Dadurch können wir ein Modell der Realität erzeugen, dass es uns ermöglicht, Problemlösungen zu entwickeln.

Hm, Du hast jetzt aber schon eine Voraussetzung hineingesteckt, die erst noch plausibel zu machen wäre: der Begriff "denken" ist bereits mit Bewusstsein verknüpft. Nimm doch lieber den neutraleren Begriff "berechnen". Es ist ja auch nicht zwingend, sich Automaten lediglich als linear ablaufende, starre Rechenautomaten mit festem, vorgegebenen Programm vorstellen zu müssen. Ein Automat kann durchaus flexibel sein, ein sich veränderndes Programm haben, das sich geänderten Umweltbedingungen anpasst, der also Erfahrungen macht, diese abspeichert, ein Modell der Realität erzeugt, etc.

Komodo hat folgendes geschrieben:
Das ist Intelligenz, und ich denke, die Qualia sind als die Abstraktion der Realität auf Modelle, eine Notwendige Voraussetzung für diese Intelligenz.

Warum?

Ich meine, wenn Du irgendwie zeigen kannst, dass eine bestimmte Komplexität im Verhalten und Reagieren von künstlichen Systemen (Automaten) nicht überschritten werden kann, ohne dass dabei Qualia bzw. ein phänomenales Bewusstsein entsteht, dann hast Du ein gutes Argument. Aber das sehe ich noch nicht. Bzw. ich sehe den Zusammenhang zwischen "Abstraktion der Realität auf Modelle" und "Qualia" nicht..

#163:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 31.03.2010, 15:25
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....
fwo hat folgendes geschrieben:
ich sehe im Bewusstsein mehr eine Funktion als ein Gefühl.

Ja, aber es geht nun mal um das Gefühl, nicht um die Funktion. Wenn Du behauptest, dass die (eine bestimmte) Funktion notwendigerweise ein Gefühl erzeugt, dann musst Du das belegen können. Und es wäre auch gut, wenn man erklären könnte, woran das liegt.

Ich halte das Gefühl für eine Vokabel, in die zuviel hineingeheimnisst wird.:

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
[..] ich möchte wissen, wie sich aus physiologischen Vorgängen überhaupt ein "anfühlen" ergibt. Was die notwendigen und hinreichenden Bedingungen dafür sind, wie dieser Übergang von "ablaufen" zu "anfühlen" zu erklären ist.....

Dann habe ich dich da falsch verstanden. Das Problem sehe ich trotzdem nicht. Was wir fühlen nennen, ist das Ankommen von Information in der bearbeitenden Instanz Bewusstsein.

Das Problem ist, dass "das Ankommen von Information in der bearbeitenden Instanz Bewusstsein" nicht "anfühlen" erklärt. Mal beiseite gelassen, dass "die Instanz Bewusstsein" hier näherer Erklärung bedürfte, ist es so nur die Beschreibung einer Beobachtung: "wenn bestimmte Information irgendwo ankommt und dort verarbeitet wird, geht das mit fühlen einher".....

Ich halte die beiden Formulierungen "Ankommen von Information im Bewusstsein" und "Fühlen" einfach für äquvalent und sehe mich gar nicht versucht, da noch etwas zu erklären. Genausowenig wie ich mich versucht sehe, zu erklären, dass ich grün sehe, wenn ich grün sehe.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Und sobald Du etwas auf die Beine stellst, das individuell lernt und damit im Abgleich der Gegenwart mit individuellen Erinnerungen individuelle Entscheidungen trifft, hast Du auch soetwas wie Bewusstsein.

Das ist eine reine Behauptung. Das Problem bei reinen Behauptungen ist: jeder kann genauso gut das Gegenteil behaupten. ....

Das mag vielleicht so sein - aber es müssen nicht alle Recht haben. Lass uns doch einfach noch ein paar Jahre abwarten. zwinkern

fwo

#164:  Autor: KomodoWohnort: 2Fort BeitragVerfasst am: 31.03.2010, 17:06
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Komodo hat folgendes geschrieben:
Ich denke, dass das Denken die Lösung dieses Problems sein kann. Wir können über Wahrnehmung nachdenken, Automaten nicht. Sie reagieren nur auf das, was sie sehe, und dieses Programm ist immer gleich. Wir jedoch sind in der Lage, auf basis unserer Wahrnehmung Modelle zu erzeugen und diese mit Emotionen und Begriffen zu verknüpfen. Dadurch können wir ein Modell der Realität erzeugen, dass es uns ermöglicht, Problemlösungen zu entwickeln.

Hm, Du hast jetzt aber schon eine Voraussetzung hineingesteckt, die erst noch plausibel zu machen wäre: der Begriff "denken" ist bereits mit Bewusstsein verknüpft. Nimm doch lieber den neutraleren Begriff "berechnen". Es ist ja auch nicht zwingend, sich Automaten lediglich als linear ablaufende, starre Rechenautomaten mit festem, vorgegebenen Programm vorstellen zu müssen. Ein Automat kann durchaus flexibel sein, ein sich veränderndes Programm haben, das sich geänderten Umweltbedingungen anpasst, der also Erfahrungen macht, diese abspeichert, ein Modell der Realität erzeugt, etc.
Wenn ein Automat Problemlösungen entwickelt, also die Umwelt simuliert, und danach entscheidet, was er tut, dann würde ich davon ausgehen, dass er seine Umwelt tatsächlich erlebt. Nur eben nicht so, wie Menschen und andere Lebewesen es tun.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Komodo hat folgendes geschrieben:
Das ist Intelligenz, und ich denke, die Qualia sind als die Abstraktion der Realität auf Modelle, eine Notwendige Voraussetzung für diese Intelligenz.

Warum?

Ich meine, wenn Du irgendwie zeigen kannst, dass eine bestimmte Komplexität im Verhalten und Reagieren von künstlichen Systemen (Automaten) nicht überschritten werden kann, ohne dass dabei Qualia bzw. ein phänomenales Bewusstsein entsteht, dann hast Du ein gutes Argument. Aber das sehe ich noch nicht. Bzw. ich sehe den Zusammenhang zwischen "Abstraktion der Realität auf Modelle" und "Qualia" nicht..
Abstraktion der Realität ist das, was Qualia bzw. Bewusstsein eigentlich ist, und welchen Zweck es erfüllt.

#165:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 31.03.2010, 17:25
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Ich halte die beiden Formulierungen "Ankommen von Information im Bewusstsein" und "Fühlen" einfach für äquvalent und sehe mich gar nicht versucht, da noch etwas zu erklären.

Darfst Du gerne machen, ist auch dann plausibel, wenn man für Bewusstsein schon subjektives Erleben implizit als notwendig voraussetzt. Aber das ist dann nun mal lediglich ein Zirkel und erklärt Fühlen nicht.

#166:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 31.03.2010, 17:36
    —
Komodo hat folgendes geschrieben:
Wenn ein Automat Problemlösungen entwickelt, also die Umwelt simuliert, und danach entscheidet, was er tut, dann würde ich davon ausgehen, dass er seine Umwelt tatsächlich erlebt. Nur eben nicht so, wie Menschen und andere Lebewesen es tun.

Also erlebt folgerichtig mein kleiner hypothetischer Roboter etwas bewusst? Ein ganz kleines bisschen?

Komodo hat folgendes geschrieben:
Abstraktion der Realität ist das, was Qualia bzw. Bewusstsein eigentlich ist, und welchen Zweck es erfüllt.

Ich frage danach, wie Bewusstsein und Qualia zustande kommt, wie man es aus physiologischen Vorgängen ableiten kann und Ihr (Du und fwo) redet dann vom Zweck. Aber das sind zwei unterschiedliche Dinge, das wäre so, wie wenn ich fragen würde: "wieso leuchtet die Glühbirne, wie funktioniert das?" und Ihr sagen würdet: "das hat den Zweck, den Raum zu erhellen."

Und 'Abstraktion der Realität' ist etwas, das mE ohne Qualia und Bewusstsein denkbar ist. Also kann es nicht dasselbe sein. Es sei denn, Du verstehst hier unter 'Abstraktion' eine bewusste Leistung. Aber das wäre dann ebenfalls zirkulär.

#167:  Autor: KomodoWohnort: 2Fort BeitragVerfasst am: 31.03.2010, 18:32
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Also erlebt folgerichtig mein kleiner hypothetischer Roboter etwas bewusst? Ein ganz kleines bisschen?
Nein, denn er löst keine Probleme. Wenn er alleine erkennen könnte, was ein Hindernis ist, und wie er es beseitigen kann, statt es nur zu Umfahren, dann besitzt er zuindest ein bischen Bewusstsein. Natürlich ist es Problem, dass die Begriffe Bewusstsein, Qualia und Denken hoffnungslos antropozentrisch sind. Aber das muss man ignorieren, wenn wir uns überlegen, WAS diese Begriffe eigentlich Bezeichnen.

Deshalb klingt der Gedanke auch für mich selber ein wenig komisch. Das klingt nicht nach ausreichend viel für Bewusstsein, aber bei Tieren messen wir auch diese Intelligenz und bestimmen dadurch, wie Bewusst sie wohl sein müssen. Welchen Sinn macht es, es bei Robotern nicht auch so zu tun, nur weil der Roboter nicht so Menschlich ist, wie ein Tier? Wenn es Sinn macht, dann muss Bewusstsein an den Dingen hängen, die dieser der Roboter nicht kann, Tiere jedoch schon - aber das Bewusstsein mit Emotionen zusammnenhängt, oder mit

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich frage danach, wie Bewusstsein und Qualia zustande kommt, wie man es aus physiologischen Vorgängen ableiten kann und Ihr (Du und fwo) redet dann vom Zweck. Aber das sind zwei unterschiedliche Dinge, das wäre so, wie wenn ich fragen würde: "wieso leuchtet die Glühbirne, wie funktioniert das?" und Ihr sagen würdet: "das hat den Zweck, den Raum zu erhellen."
Ich rede aber nicht nur vom Zweck, ich rede auch vom Wie. Wenn man Qualia und Bewusstsein von physiologische Vorgängen ableiten will, muss man erstmal wissen, welche systematischen Vorgänge das sein können.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und 'Abstraktion der Realität' ist etwas, das mE ohne Qualia und Bewusstsein denkbar ist. Also kann es nicht dasselbe sein. Es sei denn, Du verstehst hier unter 'Abstraktion' eine bewusste Leistung. Aber das wäre dann ebenfalls zirkulär.
Dass meine Vorstellung falsch sein kann, bedeutet nicht, dass sie nicht Richtig sein kann.

#168:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 31.03.2010, 19:12
    —
Komodo hat folgendes geschrieben:
Deshalb klingt der Gedanke auch für mich selber ein wenig komisch. Das klingt nicht nach ausreichend viel für Bewusstsein, aber bei Tieren messen wir auch diese Intelligenz und bestimmen dadurch, wie Bewusst sie wohl sein müssen. Welchen Sinn macht es, es bei Robotern nicht auch so zu tun, nur weil der Roboter nicht so Menschlich ist, wie ein Tier? Wenn es Sinn macht, dann muss Bewusstsein an den Dingen hängen, die dieser der Roboter nicht kann, Tiere jedoch schon - aber das Bewusstsein mit Emotionen zusammnenhängt, oder mit

Dieser Satz hört irgendwie einfach auf, also beschränke ich mich auf das, was Du gesagt hast: Menschen Bewusstsein zuzuordnen (so man es bei sich selber erlebt) ergibt (mE) deswegen Sinn, weil sie alle gleich funktionieren, gleich aufgebaut sind, gleiche Systeme sind. Und Menschen sind Tiere, es gab einen evolutionären Prozess, daher ist der Gedanke, dass sich Bewusstsein graduell entwickelt hat, nicht abwegig. Deswegen kann man darauf schließen, dass auch Tiere in einem gewissen Sinne Bewusstsein haben. Aber bei Automaten ist das anders. Nur weil ein Automat eine ähnliche Funktion erfüllen kann wie ein Tier, kann man nicht auf ein Bewusstsein schließen. Dazu bräuchte man irgend eine andere Begründung, mE.

Komodo hat folgendes geschrieben:
Ich rede aber nicht nur vom Zweck, ich rede auch vom Wie. Wenn man Qualia und Bewusstsein von physiologische Vorgängen ableiten will, muss man erstmal wissen, welche systematischen Vorgänge das sein können.

Ja.

Komodo hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und 'Abstraktion der Realität' ist etwas, das mE ohne Qualia und Bewusstsein denkbar ist. Also kann es nicht dasselbe sein. Es sei denn, Du verstehst hier unter 'Abstraktion' eine bewusste Leistung. Aber das wäre dann ebenfalls zirkulär.

Dass meine Vorstellung falsch sein kann, bedeutet nicht, dass sie nicht Richtig sein kann.

Ja, das ist zwar im Prinzip richtig, aber Du brauchst dennoch mehr an Evidenz. Alleine von der Funktion her kann man nicht auf das zugrunde liegende System schließen. Ansonsten, um mein Beispiel mit der Glühbirne nochmal aufzugreifen, könnte jemand nachts sagen: "Sieh mal, da ist ein Zimmer erleuchtet. Also gibt es dort eine eingeschaltete Glühbirne, denn die Funktion einer Glühbirne ist es, ein Zimmer zu erleuchten." Was aber als Schlussfolgerung wenig plausibel erscheint, denn um ein Zimmer zu erleuchten, gibt es nun mal andere Möglichkeiten als eine Glühbirne. Sei es ein Kaminfeuer, Neonröhren oder LEDs.

#169:  Autor: KomodoWohnort: 2Fort BeitragVerfasst am: 31.03.2010, 20:17
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Dieser Satz hört irgendwie einfach auf, also beschränke ich mich auf das, was Du gesagt hast:
Verlegen Was ich meinte war: wenn aber das Bewusstsein mit Emotionen oder etwas anderem zusammenhängt, ist es auch nicht gerade unproblematisch.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Menschen Bewusstsein zuzuordnen ergibt (mE) deswegen Sinn, weil sie alle gleich funktionieren, gleich aufgebaut sind, gleiche Systeme sind. Und Menschen sind Tiere, es gab einen evolutionären Prozess, daher ist der Gedanke, dass sich Bewusstsein graduell entwickelt hat, nicht abwegig. Deswegen kann man darauf schließen, dass auch Tiere in einem gewissen Sinne Bewusstsein haben. Aber bei Automaten ist das anders. Nur weil ein Automat eine ähnliche Funktion erfüllen kann wie ein Tier, kann man nicht auf ein Bewusstsein schließen. Dazu bräuchte man irgend eine andere Begründung, mE.
Welche Begründungen soll denn das sein? Emotionen? Individualität?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ja, das ist zwar im Prinzip richtig, aber Du brauchst dennoch mehr an Evidenz. Alleine von der Funktion her kann man nicht auf das zugrunde liegende System schließen. Ansonsten, um mein Beispiel mit der Glühbirne nochmal aufzugreifen, könnte jemand nachts sagen: "Sieh mal, da ist ein Zimmer erleuchtet. Also gibt es dort eine eingeschaltete Glühbirne, denn die Funktion einer Glühbirne ist es, ein Zimmer zu erleuchten." Was aber als Schlussfolgerung wenig plausibel erscheint, denn um ein Zimmer zu erleuchten, gibt es nun mal andere Möglichkeiten als eine Glühbirne. Sei es ein Kaminfeuer, Neonröhren oder LEDs.
Das hinkt. Ich sehe ein erleuchtetes Zimmer und überlege mir, was es erleuchten könnte. Ich gehe nicht davon aus, dass es eine Glühbirne ist, weil die Funktion von Glühbirnen sei, Zimmer zu erleuchten, sondern weil das Licht so aussieht, als könnte es vielleicht von einer Glühbirne stammen.

Anders gesagt, ich sehe, dass Menschen Bewusstsein haben und überlege mir, welche Funktion dahinter stecken kann, was für uns diesen Eindruck erzeugt, und welche anderen Funktionen nicht.

#170:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 31.03.2010, 23:34
    —
Komodo hat folgendes geschrieben:

Deshalb klingt der Gedanke auch für mich selber ein wenig komisch. Das klingt nicht nach ausreichend viel für Bewusstsein, aber bei Tieren messen wir auch diese Intelligenz und bestimmen dadurch, wie Bewusst sie wohl sein müssen. Welchen Sinn macht es, es bei Robotern nicht auch so zu tun, nur weil der Roboter nicht so Menschlich ist, wie ein Tier? Wenn es Sinn macht, dann muss Bewusstsein an den Dingen hängen, die dieser der Roboter nicht kann, Tiere jedoch schon - aber das Bewusstsein mit Emotionen zusammnenhängt, oder mit.


Apropos können und nicht können bzw. Roboter-/Machinenfähigkeiten vs. Menschenfähigkeiten:

"Ich werde diejenigen Eigenschaften, die wir und erlebnislose Maschinen zu teilen scheinen, die 'X-Eigenschaften' nennen.
Hier sind fünf mögliche Antworten auf das Problem, das die X-Eigenschaften aufzuwerfen scheinen.

Erste Antwort. [A] Wir sind geistige Wesen. [B] Wir und erlebnislose Wesen haben die X-Eigenschaften gemeinsam. [C] Wir zählen die X-Eigenschaften in unserem eigenen Fall zu den geistigen Eigenschaften. Deshalb [D] müssen wir die X-Eigenschaften im Fall der erlebnislosen Wesen zu den geistigen Eigenschaften zählen. Denn wenn [E] die X-Eigenschaften in einigen Fällen richtigerweise als geistige Eigenschaften erachtet werden, dann [F] werden die X-Eigenschaften in allen Fällen richtigerweise als geistige Eigenschaften erachtet. Deshalb [G] können erlebnislose Wesen geistige Eigenschaften haben.

Zweite Antwort (erweitert die erste). Ausgehend von (A) bis (F), ergibt sich [G], dass erlebnislose Wesen geistige Eigenschaften haben können. Deshalb [H] sollten wir erlebnislose Wesen zu den geistigen Wesen zählen. Denn [I] das Haben einer geistigen Eigenschaft ist hinreichend, um ein geistiges Wesen zu sein.

Dritte Antwort (die Kontraposition des Arguments in der zweiten Antwort). Da [nicht-H] erlebnislose Wesen offensichtlich keine geistigen Wesen sind, ergibt sich, dass [nicht-G] sie keine geistigen Eigenschaften haben können, denn [I] das Haben einer geistigen Eigenschaft ist hinreichend, um ein geistiges Wesen zu sein. Es ergibt sich also unter der Annahme, dass es in der Tat wahr ist, dass [B] wir und erlebnislose Wesen die X-Eigenschaften gemeinsam haben, dass [nicht-E] die X-Eigenschaften genau genommen überhaupt keine geistigen Eigenschaften sind.

Vierte Antwort (verwirft die von der zweiten und dritten Antwort geteilte Argumentation sowie teilweise diejenige in der ersten). [A] Wir sind geistige Wesen. [nicht-H] Erlebnislose Wesen sind keine geistigen Wesen. Es stimmt, dass [C] wir die X-Eigenschaften in unserem eigenen Fall zu den geistigen Eigenschaften zählen. Aber daraus folgt nicht, dass [D] wir die X-Eigenschaften im Fall der erlebnislosen Wesen zu den geistigen Eigenschaften zählen müssen. Denn (E) impliziert nicht (F). Aus der Tatsache, dass [E] die X-Eigenschaften in einigen Fällen richtigerweise als geistige Eigenschaften erachtet werden, folgt nicht, dass [F] die X-Eigenschaften in allen Fällen richtigerweise als geistige Eigenschaften erachtet werden.

Die Ablehnung des Schrittes von (C) zu (D) (und folglich des Schrittes von (E) zu (F)) klingt nicht unbedingt völlig kontraintuitiv, wenngleich dadurch Leibnizens Gesetz sorglos verletzt wird. Man kann natürlicherweise sagen, dass meine Fähigkeit, Schach zu spielen, (offensichtlich) eine geistige Eigenschaft ist, die ich besitze, wohingegen die Fähigkeit des Computers, Schach zu spielen, (offensichtlich) keine geistige Eigenschaft ist, die er besitzt. So gesehen, können sowohl die Maschine als auch ich Schach spielen, aber nur in meinem Fall gilt dies als eine geistige Fähigkeit.

Fünfte Antwort (wohl nur eine Abwandlung der vierten). Es ist wahr, dass [F] die X-Eigenschaften in jedem Fall geistige Eigenschaften sind. Aber es ist falsch, dass [B] wir und die erlebnislosen Wesen die X-Eigenschaften gemeinsam haben. Das heißt, es ist tatsächlich falsch anzunehmen, dass die X-Eigenschaften wirklich derartig sind, dass die erlebnislose Maschine und ich sie beide besitzen. Die Maschine kann gar nicht wirklich Schach spielen oder den Unterschied zwischen Kreisen und Quadraten erkennen—jedenfalls nicht in dem Sinn, wie ich das kann. Schach zu spielen heißt notwendigerweise, bestimmte Erlebnisse zu haben (oder haben zu können), zusätzlich zum Ausführen bestimmter Bewegungen, Befolgen bestimmter Regeln usw. Leibnizens Gesetz bleibt somit gewahrt."


[© meine Übers. aus d. Engl.]

(Strawson, Galen. Mental Reality. 2nd ed. Cambridge, MA: MIT Press, 2009. pp. 146-48 )

Knifflige Angelegenheit…

#171:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 01.04.2010, 00:18
    —
Wenn geistige (psychische) Fähigkeiten rein behavioristisch, d.h. nach dem Schema Input –> Black Box –> Output, aufgefasst werden, dann kann man sagen, dass die Fähigkeit von Computern, zu rechnen oder Schach zu spielen, eine geistige Fähigkeit ist und Computer somit geistige Wesen sind. Doch es stellt sich die Frage, inwieweit es überhaupt Sinn macht, wesensmäßig bewusstlose Dinge zu geistigen Wesen zu erklären. Ich behaupte, es macht keinen Sinn, zumal mir nicht einleuchtet, wieso man jene Fähigkeiten aus der behavioristischen Perspektive heraus nicht genauso gut als rein körperliche anstatt als besondere geistige Fähigkeiten betrachten kann, wenn bei dem Ausüben der Fähigkeiten Bewusstsein, d.i. subjektives Erleben, überhaupt keine Rolle spielt.
In meinen Augen ist der Begriff "unbewusste Geistigkeit" ein Unbegriff: Geist hat nur, was Bewusstsein hat. Einem bewusst-, erlebnislosen bzw. bewusstseins-, erlebnisunfähigen Ding echte geistige Eigenschaften zuzuschreiben, erscheint mir unsinnig. Die sogenannten geistigen Fähigkeiten im Sinne des Behaviorismus sind in Wahrheit nur pseudopsychische Fähigkeiten.

#172:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 01.04.2010, 02:15
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
......
In meinen Augen ist der Begriff "unbewusste Geistigkeit" ein Unbegriff: Geist hat nur, was Bewusstsein hat. Einem bewusst-, erlebnislosen bzw. bewusstseins-, erlebnisunfähigen Ding echte geistige Eigenschaften zuzuschreiben, erscheint mir unsinnig. Die sogenannten geistigen Fähigkeiten im Sinne des Behaviorismus sind in Wahrheit nur pseudopsychische Fähigkeiten.

Den Begriff "unbewusste Geistigkeit" zum Unbegriff zu erklären lohnt sich in dieser Diskussion nicht wirklich - er wird von Dir genau in dieser Erklärung das erste Mal benutzt. Aber, wenn wir uns einig sind, dass ein Hund Bewusstsein hat, woran erkennen wir, dass er sowohl Bewusstsein als auch Erlebnisfähigkeit besitzt? Oder wie müssen wir diese Begriffe definieren, damit sie auch auf den Hund passen?

fwo

#173:  Autor: Katatonia BeitragVerfasst am: 01.04.2010, 03:47
    —
@AP:

Ist für dich z.B. auch Feuer ohne Hitze denkbar bzw. logisch möglich? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, warum ist Feuer dann (in unserer Welt) heiß?

Mir ist noch nicht ganz klar, was für eine Art von Erklärung du für Bewusstsein im Sinn hast und auf welcher Ebene sie angesiedelt sein müsste. Welche Art von hypothetischer Erklärung würde dich beispielsweise zufriedenstellen? Wäre es eine annehmbare Erklärung, wenn man haargenau diejenigen neuronalen Prozesse identifizieren könnte, die das Phänomen Bewusstsein verursachen bzw. in denen das Phänomen Bewusstsein besteht? Ich habe den Eindruck, dass du auf etwas anderes abzielst. Ich empfinde die Frage, wie du sie stellst, ähnlich wie die mit dem Feuer und der Hitze. Oder manchmal auch wie z.B. diejenige, warum es denn überhaupt etwas gäbe und nicht nichts. Und ich bin mir unschlüssig darüber, ob das überhaupt eine sinnvolle Frage ist.

#174:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 01.04.2010, 04:16
    —
fwo hat folgendes geschrieben:

Den Begriff "unbewusste Geistigkeit" zum Unbegriff zu erklären lohnt sich in dieser Diskussion nicht wirklich - er wird von Dir genau in dieser Erklärung das erste Mal benutzt. Aber, wenn wir uns einig sind, dass ein Hund Bewusstsein hat, woran erkennen wir, dass er sowohl Bewusstsein als auch Erlebnisfähigkeit besitzt? Oder wie müssen wir diese Begriffe definieren, damit sie auch auf den Hund passen?


Die Begriffe "Bewusstseinsfähigkeit" und "Erlebnisfähigkeit" sind bedeutungsgleich.
Wer bei Bewusstsein ist, der erlebt etwas; und wer etwas erlebt, der ist bei Bewusstsein.

Die Gretchenfrage ist freilich, anhand welcher objektiven Kriterien wir entscheiden können, ob wir es mit einem bewussten Lebewesen zu tun haben oder nicht. In vielen Fällen werden wir es wohl gar nicht oder zumindest nicht mit Gewissheit entscheiden können, was aber keineswegs bedeutet, dass nicht in jedem Fall objektiv feststeht, ob ein gegebenes Tier ein Erleber, ein "Bewusstseinsträger" ist oder nicht.
(Das Feststehen einer solchen Tatsache ist unabhängig von ihrer Feststellbarkeit. Das heißt, die Unbestimmtheit betrifft hier allein unser Erkenntnisvermögen.)

#175:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 01.04.2010, 04:56
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
.....
Die Gretchenfrage ist freilich, anhand welcher objektiven Kriterien wir entscheiden können, ob wir es mit einem bewussten Lebewesen zu tun haben oder nicht. In vielen Fällen werden wir es wohl gar nicht oder zumindest nicht mit Gewissheit entscheiden können, was aber keineswegs bedeutet, dass nicht in jedem Fall objektiv feststeht, ob ein gegebenes Tier ein Erleber, ein "Bewusstseinsträger" ist oder nicht.
(Das Feststehen einer solchen Tatsache ist unabhängig von ihrer Feststellbarkeit. Das heißt, die Unbestimmtheit betrifft hier allein unser Erkenntnisvermögen.)

Oder die fehlende Zweckmäßigkeit der Begriffsbestimmung von Erlebnisfähigkeit.

Indem ich die Ausprägung einer subjektive Ebene wie der des Gefühls in den Vordergrund stelle, habe ich die Sicherheit, Erlebnisfähigkeit / Bewusstsein mit Sicherheit nur bei Subjekten feststellen zu können, die in der Lage sind, mit mir auf einer Ebene zu kommunizieren.

fwo

#176:  Autor: ShadaikWohnort: MG BeitragVerfasst am: 01.04.2010, 09:46
    —
@Myron Die Argumentation von Strawson hat mE einen dicken Denkfehler: Sie geht per se davon aus, dass Maschinen erlebnislos sind. Das aber können wir nicht wissen und begründet davon ausgehen (educated guess) können wir nur bei Maschinen bis zu einer gewissen Komplexität.

#177:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 01.04.2010, 12:09
    —
Katatonia hat folgendes geschrieben:
Ist für dich z.B. auch Feuer ohne Hitze denkbar bzw. logisch möglich? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, warum ist Feuer dann (in unserer Welt) heiß?

Nein: wenn wir eine Welt mit unseren Naturgesetzen zugrunde legen, dann ist das nicht denkbar, nicht logisch möglich. Dass Feuer heiß ist, ergibt sich aus den grundlegenden Eigenschaften unserer Welt. Lässt sich physikalisch mit rein physikalischen Begriffen erklären. Ist also reduzierbar.

Katatonia hat folgendes geschrieben:
Mir ist noch nicht ganz klar, was für eine Art von Erklärung du für Bewusstsein im Sinn hast und auf welcher Ebene sie angesiedelt sein müsste. Welche Art von hypothetischer Erklärung würde dich beispielsweise zufriedenstellen? Wäre es eine annehmbare Erklärung, wenn man haargenau diejenigen neuronalen Prozesse identifizieren könnte, die das Phänomen Bewusstsein verursachen bzw. in denen das Phänomen Bewusstsein besteht?

Nein, das wäre nur die Beschreibung einer Korrelation. Noch keine Erklärung. Eine materialistische Erklärung müsste mehr leisten, sie müsste phänomenales Bewusstsein auf physikalische Vorgänge zurückführen, also reduzieren können.

Katatonia hat folgendes geschrieben:
Ich habe den Eindruck, dass du auf etwas anderes abzielst. Ich empfinde die Frage, wie du sie stellst, ähnlich wie die mit dem Feuer und der Hitze. Oder manchmal auch wie z.B. diejenige, warum es denn überhaupt etwas gäbe und nicht nichts. Und ich bin mir unschlüssig darüber, ob das überhaupt eine sinnvolle Frage ist.

Weiß jetzt nicht, ob Letzteres eine sinnvolle Frage ist, aber mir geht es auf jeden Fall hier nicht darum. Es gibt bestimmte grundlegende Eigenschaften unserer Welt, die ich als gegeben akzeptiere. Aber wenn ein bestimmtes System eine Eigenschaft hat, das andere Systeme nicht haben, dann halte ich es für eine absolut berechtigte Frage, zu fragen, wie diese Eigenschaft entsteht, ob und wenn ja wie sie auf Grundlegendes zurückführbar ist. Ansonsten könnte ja jeder kommen und alles Mögliche als factum brutum proklamieren. "Dass das Feuer heiß ist, ist einfach so. Factum brutum, kann man nicht weiter erklären. Da darfst Du nicht fragen, wie das kommt, die Frage ist sinnlos. Hauptsache doch, dass es wärmt." Das ergäbe ein lupenreines Denkverbot und niemand mit einem wissenschaftlichen Anspruch würde das in dem Falle akzeptieren. Ist mir daher höchst unklar, wieso man das plötzlich im Zusammenhang mit phänomenalem Bewusstsein postuliert und keine offene Frage sehen will. Bzw., wenn man so argumentiert und kein Eliminativist ist, der einfach bestreitet, dass es phänomenales Bewusstsein gibt, dann müsste man phänomenales Bewusstsein eben explizit zu einem grundlegenden Phänomen unserer Welt erklären, das auf nichts Weiteres zurückführbar ist.

#178:  Autor: Deus ex Machina BeitragVerfasst am: 01.04.2010, 19:32
    —
@AP: Wenn ich es richtig verstehe gibt es deiner Ansicht nach keine empirische Methode um festzustellen, ob ein "Wesen" bewusst etwas erlebt. Du hast hast das ungefähr formuliert als "ein Mensch könnte ja auch einfach ohne bewusstes Erleben funktionieren". Mit anderen Worten, bewusstes Erleben ist mit keinen (mit heutigen Mitteln überprüfbaren) Fähigkeiten verbunden, es kann (nach heutigem Wissen) bei identischem Verhalten da sein oder auch nicht. Darf ich das soweit als Deine Ansicht festhalten?

Falls ja würde also ein Zombie-AP, der mit Dir identisch ist, bis auf den Punkt, dass er nichts bewusst erlebt, sich genau die gleichen Fragen stellen, die Du dir stellst, würde hier im Forum genau wie Du sinngemäss schreiben "Dass ich bewusst etwas erlebe ist unzweifelhaft.", hätte aber eben tatsächlich kein bewusstes Erleben.

Die Tatsache, dass ein Wesen sich Gedanken über das "Problem des Bewusstseins" macht und sich Fragen wie "Warum erlebe ich etwas, warum funktioniert mein Gehirn nicht einfach ohne dass dabei Bewusstsein entsteht?" stellt, wäre also völlig unabhängig davon, ob das Wesen tatsächlich bewusst etwas erlebt hat. Es wäre also gewissermassen Zufall, wenn diese Fragen, die das Wesen sich stellt, zu seinen tatsächlichen Eigenschaften passen.

Um es noch etwas auf die Spitze zu treiben: Gäbe es zwei AP's, die identisch wären bis auf die Tatsache, dass einer bewusst etwas erlebt und der andere nicht, würden beide von ihnen die Überzeugung vertreten, der bewusste zu sein (da die empirisch überprüfbare Eigenschaft, überzeugt zu sein, ein Bewusstsein zu haben, ja eben unabhängig von tatsächlichem bewussten Erleben ist).

Das alles ist zwar noch kein Argument für oder gegen irgend etwas, zeigt aber mE ziemlich deutlich, dass deine Konzeption von "bewusstem Erleben" (bzw. zumindest das, was ich als deine Konzeption bezeichnet habe) irgendwie inkonsistent ist.

#179:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 01.04.2010, 21:09
    —
Ja, das ist im Großen und Ganzen richtig dargestellt, (mit den beiden kleinen Einschränkungen, dass a) es nicht Zufall sein muss, dass der Zombie-AP gewisse Äußerungen macht, das kann ja auch schlicht kausale Notwendigkeit sein, einfach sich durch die vorhergehenden Abläufe notwendigerweise ergeben und b) dass ein P-Zombie genau genommen keine Überzeugung vertritt, der simuliert das nur - 'Überzeugung' ist ein mentaler Begriff und somit mit Bewusstsein verbunden).

Wenn Du jetzt zeigen kannst, wieso entweder Zombies nicht möglich sind oder wieso notwendigerweise alle Zombies sein müssen, dann hast Du den Schlüssel zur Lösung des Leib-Seele-Problemes gefunden.

#180:  Autor: Katatonia BeitragVerfasst am: 01.04.2010, 21:38
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Nein, das wäre nur die Beschreibung einer Korrelation. Noch keine Erklärung. Eine materialistische Erklärung müsste mehr leisten, sie müsste phänomenales Bewusstsein auf physikalische Vorgänge zurückführen, also reduzieren können.


Und wie könnte eine solche Reduktion konkret aussehen? Kannst du näher skizzieren, unter welchen hypothetischen Bedingungen Bewusstsein auf physikalische Vorgänge zurückgeführt wäre? Ich verstehe das noch nicht so ganz.
Neuronale Prozesse sind physiko-chemischer Natur und es spricht alles dafür, dass solche Prozesse notwendig für Bewusstsein sind: ohne neuronale Prozesse kein Bewusstsein. Umgekehrt gilt das offenbar nicht, und es wurde auch noch kein Bewusstsein ohne neuronale Prozesse nachgewiesen. Somit liegt nahe, dass neuronale Prozesse Bewusstsein verursachen oder zumindest logisch mentalen Zuständen vorgeordnet ist. Wäre damit Bewusstsein nicht auf physikalische Vorgänge reduziert?

#181:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 01.04.2010, 21:58
    —
Shadaik hat folgendes geschrieben:
@Myron Die Argumentation von Strawson hat mE einen dicken Denkfehler: Sie geht per se davon aus, dass Maschinen erlebnislos sind. Das aber können wir nicht wissen und begründet davon ausgehen (educated guess) können wir nur bei Maschinen bis zu einer gewissen Komplexität.


Strawson sagt nicht, dass künstliche Dinge mit Bewusstsein grundsätzlich unmöglich sind, sondern er bezieht sich auf die derzeit vorhandenen Maschinen und Roboter, die gewiss allesamt ohne Bewusstsein sind.

#182:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 01.04.2010, 22:02
    —
Katatonia hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Nein, das wäre nur die Beschreibung einer Korrelation. Noch keine Erklärung. Eine materialistische Erklärung müsste mehr leisten, sie müsste phänomenales Bewusstsein auf physikalische Vorgänge zurückführen, also reduzieren können.

Und wie könnte eine solche Reduktion konkret aussehen? Kannst du näher skizzieren, unter welchen hypothetischen Bedingungen Bewusstsein auf physikalische Vorgänge zurückgeführt wäre? Ich verstehe das noch nicht so ganz.
Neuronale Prozesse sind physiko-chemischer Natur und es spricht alles dafür, dass solche Prozesse notwendig für Bewusstsein sind: ohne neuronale Prozesse kein Bewusstsein. Umgekehrt gilt das offenbar nicht, und es wurde auch noch kein Bewusstsein ohne neuronale Prozesse nachgewiesen. Somit liegt nahe, dass neuronale Prozesse Bewusstsein verursachen oder zumindest logisch mentalen Zuständen vorgeordnet ist. Wäre damit Bewusstsein nicht auf physikalische Vorgänge reduziert?

Ich weiß nicht, wie eine solche Reduktion aussehen könnte. Niemand weiß das und das eben ist (wahrscheinlich größter) Teil des Problemes. Wüsste man das, dann wäre das Problem schon fast gelöst.

Eine Erklärung ist etwas anderes als die Feststellung von Korrelationen. Diese festzustellen ist zwar wichtig, um einer Erklärung näher zu kommen, aber die Auflistung selbst aller Korrelationen reicht nicht für eine Erklärung.

(Wahrscheinlich ziemlich blödes) Beispiel: aus meiner Box kommt Musik, ich höre eine Stimme, die aktuelle Nachrichten vorliest. Wenn ich das Kabel aus der Box ziehe, dann höre ich nichts mehr. Also gibt es da eine Korrelation. Wenn ich den Verstärker ausschalte, dann bleibt die Box ebenfalls stumm. Also noch eine Korrelation, d.h. eine notwendige Voraussetzung dafür, dass ich diese Stimme aus der Box höre. Aber das Wissen um diese Korrelationen nützt mir noch nicht so besonders viel, sie erklären nichts, sie beschreiben nur. Wenn ich nun weiß, dass es Radiowellen gibt, in einem Studio ein Sprecher sitzt, der die Nachrichten vorliest, diese in meinem Receiver dekodiert und in elektronische Impulse umgesetzt werden, die über das Kabel zu meiner Box geleitet werden, dann habe ich eine Erklärung.

Es gibt dabei sogenannte Brückenprinzipien (wie setzt das Mikrophon Sprache in Impulse um, wie werden diese Impulse über den Äther geleitet, wie dekodiert der Receiver die empfangenen Radiowellen, wie werden die elektronischen Impulse von der Box wieder in Schallwellen umgesetzt) die diese Erklärung beinhaltet.

Solche Brückenprinzipien müsste man nun irgendwie finden für die Umsetzung von physiologischen Vorgängen in phänomenales Erleben, um eine Erklärung zu erhalten. Aber wie das gehen könnte, weiß ich, wie gesagt, nicht. Fakt ist mE, dass es zurzeit keine zufriedenstellende Erklärung für den Übergang von Vorgängen zu Erlebnissen gibt.

Das Problem dabei ist mE ein grundsätzlicher kategorialer Unterschied zwischen physikalischen und (zumindest den phänomenalen) mentalen Zuständen / Prozessen (im Unterschied zu meinem Beispiel: das kann alles auf physikalische Begriffe zurückgeführt werden).

Nimmt man diesen Unterschied als gegeben an, versucht man erst gar keine Reduktion, dann gibt es vielleicht kein Problem mehr. Aber inwieweit das dann noch Physikalismus wäre: das ist dann die Frage.

#183:  Autor: KomodoWohnort: 2Fort BeitragVerfasst am: 01.04.2010, 22:50
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Shadaik hat folgendes geschrieben:
@Myron Die Argumentation von Strawson hat mE einen dicken Denkfehler: Sie geht per se davon aus, dass Maschinen erlebnislos sind. Das aber können wir nicht wissen und begründet davon ausgehen (educated guess) können wir nur bei Maschinen bis zu einer gewissen Komplexität.


Strawson sagt nicht, dass künstliche Dinge mit Bewusstsein grundsätzlich unmöglich sind, sondern er bezieht sich auf die derzeit vorhandenen Maschinen und Roboter, die gewiss allesamt ohne Bewusstsein sind.
Ohne zu wissen, wie Bewusstsein beim Menschen entsteht, können wir auch nicht mit Gewissheit sagen, dass unsere Maschinen kein Bewusstsein haben.

#184:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 02.04.2010, 01:20
    —
Komodo hat folgendes geschrieben:
wenn aber das Bewusstsein mit Emotionen oder etwas anderem zusammenhängt, ist es auch nicht gerade unproblematisch.

Inwiefern und wieso?

Der aktuelle Stand der Forschung geht anscheinend von einem notwendigen Zusammenhang von Emotionen und Bewusstsein aus: Ich fühle, also bin ich

(siehe auch: António Damásio)

#185:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 02.04.2010, 02:31
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....
Der aktuelle Stand der Forschung geht anscheinend von einem notwendigen Zusammenhang von Emotionen und Bewusstsein aus: Ich fühle, also bin ich

(siehe auch: António Damásio)

Eigentlich weniger, Damasio spricht von dem Zusammenhang von Gefühl und Bewusstsein:
Zitat:
Damásio trennt zwischen Emotionen ("emotions"), die er als die durch somatische Marker verursachten Körperzustände beschreibt, und Gefühlen ("feelings"), die das bewusste Wahrnehmen der emotionalen Körperzustände darstellen. So lernt der Mensch im Laufe seiner Entwicklung beispielsweise, den Körperzustand, der mit der reflexartigen Flucht vor einer Gefahr verbunden ist, als Angst, also ein bewusstes Gefühl, wahrzunehmen. Während die Emotionen angeboren sind und ein von außen beobachtbares körperliches Verhalten produzieren, beruhen die Gefühle auf Erfahrungen und ermöglichen somit weitere Schutzstrategien gegen Gefahren von außen.


Auch Damasio kümmert sich übrigens wenig um Qualia, er untersucht die Funktion. Seine Aussagen sind ziemlich ähnlich dem, was ich ein paar Seiten vorher so beschrieben habe:
fwo hat folgendes geschrieben:
....Was wir fühlen nennen, ist das Ankommen von Information in der bearbeitenden Instanz Bewusstsein. Es ist analoge Information, wenn es sich um Information aus den sensorischen Kanälen handelt, es ist abstrakte Information, wenn es sich um Hintergrundsaldi handelt, die unbewusst gefüllt werden ("Bauchgefühl" als Entscheidungsinstanz).....


fwo

#186:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 02.04.2010, 10:23
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Das Problem dabei ist mE ein grundsätzlicher kategorialer Unterschied zwischen physikalischen und (zumindest den phänomenalen) mentalen Zuständen / Prozessen ...

Du kritisierst den Physikalismus mit dem Argument, daß man noch keine Reduktion gefunden habe, und behauptest gleichzeitig, mentale Prozesse gehörten einer fundamental anderen Kategorie an. Was spricht denn überhaupt für letzteres?

Zudem scheint mir, daß Dein Gebrauch des Ausdrucks "Erlebnis" etwas schillernd ist. Ist für Dich beispielsweise eine Schmerzwahrnehmung eines einfachen Tieres, das kein personales Bewußtsein hat, dennoch ein "Erlebnis"?

#187:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 02.04.2010, 23:24
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Auch Damasio kümmert sich übrigens wenig um Qualia, er untersucht die Funktion.

Ja, na und?

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Das Problem dabei ist mE ein grundsätzlicher kategorialer Unterschied zwischen physikalischen und (zumindest den phänomenalen) mentalen Zuständen / Prozessen ...

Du kritisierst den Physikalismus mit dem Argument, daß man noch keine Reduktion gefunden habe, und behauptest gleichzeitig, mentale Prozesse gehörten einer fundamental anderen Kategorie an. Was spricht denn überhaupt für letzteres?

Dafür spricht, dass es bisher keinen Hauch einer Ahnung gibt, wie das denn reduzierbar sein könnte, wie man die eine Kategorie auf die andere zurückführen könnte, ohne dass dabei etwas ganz Wesentliches verloren geht, ganz einfach. Halte zumindest ich für ein gutes Indiz.

Was spricht denn dagegen?

Was den Physikalismus angeht: mir scheint, es gibt davon eine Menge Definitionen / Vorstellungen, eine sehr große Bandbreite, die von einem (ich nenne es mal 'schwachen') Pol bis zu einer starken Auffassung geht. Der eine (der 'schwache') Pol wäre dabei die Annahme, es sei aus methodologischen Gründen sinnvoll, als Arbeitshypothese sozusagen, davon auszugehen, dass alle Geschehnisse in unserer Welt letztlich über physikalischen Vorgängen supervenieren, was bedeutet, erst mal davon auszugehen, dass es für alles eine Erklärung geben kann, alles hinterfragt werden kann, nichts als 'isso' akzeptiert werden muss.

Der starke Pol, das andere Ende der Skala, wäre die ontologische Auffassung, es sei Fakt, dass unsere Welt letztlich nur aus physikalischen Vorgängen besteht und eine Darstellung aller physikalischen Vorgänge eine hinreichende Darstellung unserer Welt wäre, die nichts offen lasse. Und dass es daher (hypothetisch) eine Einheitswissenschaft geben könnte (und auch sollte): die Physik, die alles erklären kann.

Im schwachen Sinne bin ich Physikalist, im starken Sinne aber nicht.

Und zwar bin ich das deswegen, weil die Annahme, es gäbe Vorgänge, die einfach so ohne Grund gegeben seien, notwendigerweise (ohne das begründen zu können) jedoch auch unverständlicherweise Teil unserer Welt seien, die man nicht weiter hinterfragen dürfe, das sei einfach so und fertig, das müsse man akzeptieren, eine 'Fragenbremse' (ein Denkverbot) darstellen. Und 'Fragenbremsen' sind mE unwissenschaftlich und unbefriedigend. Jede Wissenschaft fährt meiner Meinung nach damit besser, eine offene Frage als solche anzusehen und auch als solche zu kennzeichnen und nicht einfach unbegründet die Augen davor zu verschließen.

Ich bin kein starker Physikalist, weil ich nicht glaube, dass physikalische Erklärungen alles abdecken können, d.h. ich halte eine (hypothetische) Einheitswissenschaft für prinzipiell unmöglich. Auch deswegen, weil ich die dem anscheinend zugrundeliegende Prämisse, es gäbe eine einzige objektiv wahre und richtige Interpretation des Weltgeschehens für wenig plausibel halte. Dazu bräuchte man einen archimedischen Standpunkt und einen solchen gibt es mE nicht und mir ist noch nicht einmal im Ansatz klar, wie es diesen überhaupt geben könnte.

step hat folgendes geschrieben:
Zudem scheint mir, daß Dein Gebrauch des Ausdrucks "Erlebnis" etwas schillernd ist. Ist für Dich beispielsweise eine Schmerzwahrnehmung eines einfachen Tieres, das kein personales Bewußtsein hat, dennoch ein "Erlebnis"?

Keine Ahnung, ich bin ja kein einfaches Tier. Fakt ist jedoch, dass ich etwas erlebe und die Frage wäre halt, wie das kommt, wie das mit physiologischen Vorgängen zusammenhängt, wie sich das daraus ergibt, welches Naturgesetz dem zugrunde liegt, bzw. wieso sich das notwendigerweise aus den physiologischen Vorgängen ergibt. Und "issoundmussdeswegennotwendigerweiseauchsosein" halte ich für eine schlechte Erklärung. Für wenig überzeugend halte ich übrigens auch die Auffassung, ich hätte 'in Wirklichkeit' gar kein Erleben, das seien 'in Wirklichkeit' nur neurologische Abläufe, ich würde mir mein Erleben nur einbilden.

Es ist mE nicht schlimm, überhaupt kein Problem, zuzugeben, dass man etwas nicht weiß, etwas nicht erklären kann, im Gegenteil sogar: das ist erkenntnisfördernd, eine wichtige Voraussetzung für Wissenschaft. Schlimm ist es aber, Fragen zu verbieten oder (grundlos) zu sagen, die Frage sei dumm und nur ein Scheinproblem: das ist mE unwissenschaftlich und riecht nach Dogma.

#188:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 03.04.2010, 02:33
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Auch Damasio kümmert sich übrigens wenig um Qualia, er untersucht die Funktion.

Ja, na und?.......

Das war nur meine leise Freude darüber, dass Du es als Stand der Forschung bezeichnest, wenn jemand ausdrückt, dass er von dem "Qualiaproblem" nicht soviel hält und sich mehr um die Funktion von Gefühlen kümmert.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....
Übertragen auf Qualia: es gibt subjektives Erleben. Auch wenn das nicht messbar ist. Oder? .....

Was ich dabei immer noch nicht so ganz verstehe: Wenn wir Bewusstsein insgesamt als eine Funktionalität unserer Datenverarbeitung verstehen und wenn wir weiterhin - rein funktional - feststellen, dass die Gefühle, also subjektive Erlebnisse, ein Kanal sind, um Daten ins Bewusstsein zu transportieren, worin für die Verarbeitung dieser Daten die Besonderheit dieses Kanals liegt, dass es so wichtig ist, ihn in der Simulation exakt nachzubilden.

fwo

#189:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 03.04.2010, 02:46
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Das war nur meine leise Freude darüber, dass Du es als Stand der Forschung bezeichnest, wenn jemand ausdrückt, dass er von dem "Qualiaproblem" nicht soviel hält und sich mehr um die Funktion von Gefühlen kümmert.

Solange Du Deine Freude nicht fälschlicherweise mit einem Argument verwechselst, soll mir das recht sein.

fwo hat folgendes geschrieben:
Was ich dabei immer noch nicht so ganz verstehe: Wenn wir Bewusstsein insgesamt als eine Funktionalität unserer Datenverarbeitung verstehen und wenn wir weiterhin - rein funktional - feststellen, dass die Gefühle, also subjektive Erlebnisse, ein Kanal sind, um Daten ins Bewusstsein zu transportieren, worin für die Verarbeitung dieser Daten die Besonderheit dieses Kanals liegt, dass es so wichtig ist, ihn in der Simulation exakt nachzubilden.

Und was ich nicht verstehe: was das mit meiner Frage und mit dem, was ich gesagt habe, zu tun haben soll.

Mein Punkt hier ist: Du irrst schlicht, wenn Du meinst, dass die Darstellung der Funktionalität von etwas schon eine hinreichende Erklärung für das Funktionieren dieses Etwas sei und deswegen keine Frage mehr offen sein könne.

#190:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 03.04.2010, 03:50
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....
Mein Punkt hier ist: Du irrst schlicht, wenn Du meinst, dass die Darstellung der Funktionalität von etwas schon eine hinreichende Erklärung für das Funktionieren dieses Etwas sei und deswegen keine Frage mehr offen sein könne.

Wir hatte es schon mal etwas konkreter:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
..... ich möchte wissen, wie sich aus physiologischen Vorgängen überhaupt ein "anfühlen" ergibt. Was die notwendigen und hinreichenden Bedingungen dafür sind, wie dieser Übergang von "ablaufen" zu "anfühlen" zu erklären ist.....

Ich hatte nicht gesagt, dass diese Frage nicht mehr offen sei, ich habe nur erklärt, dass ich sie für das Thread-Thema "Bewusstsein und Evolution" für belanglos halte und dich mehrmals auf unterschiedlichem Wege gebeten, mir zu erklären, welchen Belang sie für dieses Thema hat. Da ist bislang allerdings nur gekommen, dass du diese Bitte nicht für ein Argument hältst. Damit hast Du natürlich Recht.

fwo
EDIT Grammatik


Zuletzt bearbeitet von fwo am 03.04.2010, 09:55, insgesamt einmal bearbeitet

#191:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 03.04.2010, 09:31
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Du kritisierst den Physikalismus mit dem Argument, daß man noch keine Reduktion gefunden habe, und behauptest gleichzeitig, mentale Prozesse gehörten einer fundamental anderen Kategorie an. Was spricht denn überhaupt für letzteres?
Dafür spricht, dass es bisher keinen Hauch einer Ahnung gibt, wie das denn reduzierbar sein könnte, wie man die eine Kategorie auf die andere zurückführen könnte, ohne dass dabei etwas ganz Wesentliches verloren geht, ganz einfach. Halte zumindest ich für ein gutes Indiz.

Ich nicht. Aber wo wir schonmal dabei sind: Kannst Du andere, in der Vergangenheit erklärte Phänomene nennen, die sich als fundamental neue, unphysikalische Kategorien herusgestellt haben?

Oder meinst Du obiges in einem sehr schwachen Sinne, also etwa daß der Chemie etwas wesentliches verlorenginge, wenn man sie auf die Physik reduziert?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Zudem scheint mir, daß Dein Gebrauch des Ausdrucks "Erlebnis" etwas schillernd ist. Ist für Dich beispielsweise eine Schmerzwahrnehmung eines einfachen Tieres, das kein personales Bewußtsein hat, dennoch ein "Erlebnis"?
Keine Ahnung, ich bin ja kein einfaches Tier.

Du redest also über etwas, das Deines Erachtens nicht definierbar, sondern nur von Dir "erlebbar" ist, was immer das jedoch ist. Mit dieser Voraussetzung ergibt sich allerdings sofort, daß , was Du behauptest, unwiderlegbar und unwissenschaftlich ist.

#192:  Autor: Deus ex Machina BeitragVerfasst am: 03.04.2010, 14:53
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ja, das ist im Großen und Ganzen richtig dargestellt, (mit den beiden kleinen Einschränkungen, dass a) es nicht Zufall sein muss, dass der Zombie-AP gewisse Äußerungen macht, das kann ja auch schlicht kausale Notwendigkeit sein, einfach sich durch die vorhergehenden Abläufe notwendigerweise ergeben und b) dass ein P-Zombie genau genommen keine Überzeugung vertritt, der simuliert das nur - 'Überzeugung' ist ein mentaler Begriff und somit mit Bewusstsein verbunden).


(Verlinkung von mir.)

zu a): Ja, genauso wie beim realen AP läge die kausale Notwendigkeit aber nicht in der tatsächlichen Bewusstheit. Ich meinte die Zufälligkeit in dem Sinne, dass jede Beteuerung über oder jedes Argument für die eigene Bewusstheit nach deinem Verständniss unabhängig von tatsächlicher Bewusstheit ist.

zu b): Siehe dazu unten.


Zitat:
Wenn Du jetzt zeigen kannst, wieso entweder Zombies nicht möglich sind oder wieso notwendigerweise alle Zombies sein müssen, dann hast Du den Schlüssel zur Lösung des Leib-Seele-Problemes gefunden.


Ich denke vielmehr, dass die Unterscheidung zwischen Zombies und Nicht-Zombies in deinem und dem philosophischen Sinne hinfällig ist. Sie gehört in die gleiche Kategorie wie eine Unterscheidung zwischen Menschen, die von einem unsichtbaren/-hörbaren/usw. Zwilling überall hin begleitet werden und Menschen, die keinen solchen Zwilling haben; oder, etwas weniger konstruiert, zwischen Hexen und Nicht-Hexen. Die Unterscheidung ist Ausdruck einer starken Intuition darüber, was Bewusstheit ist (welcher ich mich auch nur schwer entziehen kann), drückt aber keinen realen Sachverhalt aus. Kurz gesagt, wenn sich zwei Dinge prinzipiell, in diesem Falle sogar per definitionem, nicht unterscheiden lassen, sind sie identisch.

Überall wo ich in diesem oder meinem vorherigen Posting tatsächlich schreibe, appelliere ich an diese Intuition, halte das mit tatsächlich bezeichnete aber eben für inhaltslos.

Jedes mögliche Argument dafür, dass so etwas wie Bewusstsein existiert, ist nach deinem Verständniss hinfällig, da es ja eben auch getätigt würde, wenn es tatsächlich kein bewusstes Erleben gäbe, richtig? Damit entziehst Du dem Bewusstseinsbegriff die Anwendbarkeit, den Bezug zur realen Welt, rückst ihn in einen luftleeren Raum. Meines Erachtens hat ein erwachsener Mensch Bewusstsein (von pathologischen Fällen mal abgesehen), der Begriff des Bewusstseins hat sich entwickelt, um gewisse Eigenschaften und Fähigkeiten von Menschen und gewissen Tieren zu beschreiben. Wenn man sagt "Ich weiss sicher, dass ich bewusst bin, von anderen Menschen kann ich das im Prinzip nicht sicher wissen" geht man zu einem Bewusstseinsbegriff über, der zu nichts mehr Nütze ist.

Wenn ein Arzt sagt "Der Patient erlangte heute Morgen das Bewusstsein wieder" und jemand antwortet "Streng genommen können wir nicht wissen, ob er tatsächlich bei Bewusstsein ist, vielleicht hat er tatsächlich kein Bewusstsein sondern funktioniert einfach gleich wie ein bewusster Mensch, wir können diese beiden Fälle nicht unterscheiden" wird der Arzt ihm sagen, dass er unter Bewusstsein offensichtlich etwas anderes versteht als er, da er damit meint, dass der Patient wieder ansprechbar ist usw.

#193:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.04.2010, 21:01
    —
step hat folgendes geschrieben:

Zudem scheint mir, daß Dein Gebrauch des Ausdrucks "Erlebnis" etwas schillernd ist. Ist für Dich beispielsweise eine Schmerzwahrnehmung eines einfachen Tieres, das kein personales Bewußtsein hat, dennoch ein "Erlebnis"?


Jede noch so schwache und flüchtige Empfindung oder Wahrnehmung ist ein Erlebnis.

#194:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.04.2010, 21:03
    —
step hat folgendes geschrieben:

Oder meinst Du obiges in einem sehr schwachen Sinne, also etwa daß der Chemie etwas wesentliches verlorenginge, wenn man sie auf die Physik reduziert?


Die Chemie zählt ja zu den physikalischen Wissenschaften.

#195:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.04.2010, 21:12
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Was den Physikalismus angeht: mir scheint, es gibt davon eine Menge Definitionen / Vorstellungen, eine sehr große Bandbreite, die von einem (ich nenne es mal 'schwachen') Pol bis zu einer starken Auffassung geht. Der eine (der 'schwache') Pol wäre dabei die Annahme, es sei aus methodologischen Gründen sinnvoll, als Arbeitshypothese sozusagen, davon auszugehen, dass alle Geschehnisse in unserer Welt letztlich über physikalischen Vorgängen supervenieren, was bedeutet, erst mal davon auszugehen, dass es für alles eine Erklärung geben kann, alles hinterfragt werden kann, nichts als 'isso' akzeptiert werden muss.


Die Physikalisten behaupten schon, dass es de facto so ist, dass alles physischer Natur ist oder auf dem Physischen superveniert, d.h. davon änderungsabhängig ist, beziehungsweise davon determiniert/nezessitiert wird. Was sie nicht behaupten, ist, dass es keine mögliche Welt gibt, worin der Physikalismus falsch ist.

#196:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 03.04.2010, 21:51
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Was den Physikalismus angeht: mir scheint, es gibt davon eine Menge Definitionen / Vorstellungen, eine sehr große Bandbreite, die von einem (ich nenne es mal 'schwachen') Pol bis zu einer starken Auffassung geht. Der eine (der 'schwache') Pol wäre dabei die Annahme, es sei aus methodologischen Gründen sinnvoll, als Arbeitshypothese sozusagen, davon auszugehen, dass alle Geschehnisse in unserer Welt letztlich über physikalischen Vorgängen supervenieren, was bedeutet, erst mal davon auszugehen, dass es für alles eine Erklärung geben kann, alles hinterfragt werden kann, nichts als 'isso' akzeptiert werden muss.

Die Physikalisten behaupten schon, dass es de facto so ist, dass alles physischer Natur ist oder auf dem Physischen superveniert, d.h. davon änderungsabhängig ist, beziehungsweise davon determiniert/nezessitiert wird. Was sie nicht behaupten, ist, dass es keine mögliche Welt gibt, worin der Physikalismus falsch ist.

Ich denke, alles in dieser Welt besteht aus physikalischen Objekten und der Art ihrer Anordnung. Aber denkst du, daß man deshalb zB die Evolutionstheorie oder den Ausbruch des WWII mit physikalischen Gesetzen erklären könnte oder sollte?

#197:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 03.04.2010, 22:02
    —
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Du kritisierst den Physikalismus mit dem Argument, daß man noch keine Reduktion gefunden habe, und behauptest gleichzeitig, mentale Prozesse gehörten einer fundamental anderen Kategorie an. Was spricht denn überhaupt für letzteres?
Dafür spricht, dass es bisher keinen Hauch einer Ahnung gibt, wie das denn reduzierbar sein könnte, wie man die eine Kategorie auf die andere zurückführen könnte, ohne dass dabei etwas ganz Wesentliches verloren geht, ganz einfach. Halte zumindest ich für ein gutes Indiz.

Ich nicht. Aber wo wir schonmal dabei sind: Kannst Du andere, in der Vergangenheit erklärte Phänomene nennen, die sich als fundamental neue, unphysikalische Kategorien herusgestellt haben?

Oder meinst Du obiges in einem sehr schwachen Sinne, also etwa daß der Chemie etwas wesentliches verlorenginge, wenn man sie auf die Physik reduziert?

Tja, das wird jetzt sehr grundsätzlich. Ich fürchte, da fehlen mir die Worte, um das verständlich darstellen zu können. Man müsste auch erst mal 'unphysikalisch' genau definieren, genau sagen, was das eigentlich bedeutet, was man damit genau meint.

Für mich sind 'physikalische Kategorien' eher eng gefasst. Das sind für mich 'physikalische Kategorien' (und alles, was darauf zurückführbar, d.h. reduzierbar, ist).

Daneben gibt es Begriffe, die erst mal keine physikalischen Größen sind, (d.h. zu keiner physikalischen Kategorie zuordbar sind), zum Beispiel 'kochen', 'spielen', 'Begriff', 'Physik', 'Sprache', 'Geschichte', 'Politik', 'Ethik', 'Bewusstsein', 'Wirtschaft', (ergo unphysikalisch sind -> zu einer anderen Kategorie als den physikalischen gehören).

Was nun nicht per se heißt, dass sie prinzipiell nicht auf physikalische Größen zurückführbar seien, 'kochen' zum Beispiel kann man sicher reduzieren. Aber dass das bei allen diesen Begriffen möglich ist, bezweifle ich stark.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Zudem scheint mir, daß Dein Gebrauch des Ausdrucks "Erlebnis" etwas schillernd ist. Ist für Dich beispielsweise eine Schmerzwahrnehmung eines einfachen Tieres, das kein personales Bewußtsein hat, dennoch ein "Erlebnis"?
Keine Ahnung, ich bin ja kein einfaches Tier.

Du redest also über etwas, das Deines Erachtens nicht definierbar, sondern nur von Dir "erlebbar" ist, was immer das jedoch ist. Mit dieser Voraussetzung ergibt sich allerdings sofort, daß , was Du behauptest, unwiderlegbar und unwissenschaftlich ist.

Weiß nicht, ob das folgt, (denke ich nicht), aber das ist hier eigentlich erst mal egal. Die Frage wäre nun, ob Du behauptest, dass alles, was nach Deiner Ansicht nach unwissenschaftlich ist, deswegen nicht existieren kann. Und falls ja, hätte ich gerne eine Begründung dafür, das erscheint mir nicht selbstevident, ganz im Gegenteil sogar, das schreit geradezu nach einer Begründung.


Zuletzt bearbeitet von AgentProvocateur am 03.04.2010, 22:04, insgesamt einmal bearbeitet

#198:  Autor: KomodoWohnort: 2Fort BeitragVerfasst am: 03.04.2010, 22:03
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Komodo hat folgendes geschrieben:
wenn aber das Bewusstsein mit Emotionen oder etwas anderem zusammenhängt, ist es auch nicht gerade unproblematisch.

Inwiefern und wieso?

Der aktuelle Stand der Forschung geht anscheinend von einem notwendigen Zusammenhang von Emotionen und Bewusstsein aus: Ich fühle, also bin ich

(siehe auch: António Damásio)
Ich kann mir ein Bewusstsein vorstellen, dass keine Emotionen wahrnimmt. Außerdem ließen sich Emotionen relativ leicht in einen Roboter implementieren. Ist ein Roboter bewusst, nur weil er den niedrigen Akkustand wahrnimmt und sein Verhalten entsprechend anpasst, also Satt ist oder Hunger hat? Ich denke eher nicht, dafür wirken Emotionen an sich zu Grundlegend.

#199:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.04.2010, 22:24
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Ich denke, alles in dieser Welt besteht aus physikalischen Objekten und der Art ihrer Anordnung. Aber denkst du, daß man deshalb zB die Evolutionstheorie oder den Ausbruch des WWII mit physikalischen Gesetzen erklären könnte oder sollte?


Obgleich dem Physikalismus zufolge alle nichtphysikalischen Tatsachen durch die physikalischen Tatsachen festgelegt sind, muss man als Physikalist nicht der Meinung sein, dass die Beschreibungs- und Erklärungsebene der Physik die einzig zulässige ist.

#200:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 03.04.2010, 22:36
    —
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ja, das ist im Großen und Ganzen richtig dargestellt, (mit den beiden kleinen Einschränkungen, dass a) es nicht Zufall sein muss, dass der Zombie-AP gewisse Äußerungen macht, das kann ja auch schlicht kausale Notwendigkeit sein, einfach sich durch die vorhergehenden Abläufe notwendigerweise ergeben und b) dass ein P-Zombie genau genommen keine Überzeugung vertritt, der simuliert das nur - 'Überzeugung' ist ein mentaler Begriff und somit mit Bewusstsein verbunden).


(Verlinkung von mir.)

zu a): Ja, genauso wie beim realen AP läge die kausale Notwendigkeit aber nicht in der tatsächlichen Bewusstheit. Ich meinte die Zufälligkeit in dem Sinne, dass jede Beteuerung über oder jedes Argument für die eigene Bewusstheit nach deinem Verständniss unabhängig von tatsächlicher Bewusstheit ist.

Der Punkt ist: wenn jemand behauptet, das einzig Grundlegende, das einzig Wichtige, das einzig real Existierende in unserer Welt seien die kausalen physikalischen Vorgänge, und eine Beschreibung aller kausalen Vorgänge seien eine hinreichende Erklärung aller Vorgänge in unserer Welt, der nichts hinzugefügt werden könnte, dann folgt daraus unweigerlich, dass Bewusstsein keine (in irgend einer Art wichtigen) Auswirkung haben kann, lediglich eine Art Trittbrettfahrer der physiologischen Vorgänge ist (die 'das Eigentliche', 'das Wesentliche', das, worauf es nur ankommt, seien). Man es also auch problemlos weglassen kann, um alles komplett zu erklären, denn dann spielt es ja in der Erklärung überhaupt keine Rolle, kommt ja in der Erklärung gar nicht vor. Bewusstsein wäre dann ein Epiphänomen, und zwar ein außergewöhnliches (d.h. ohne vergleichbares Beispiel) Epiphänomen, weil es nämlich überhaupt keine Auswirkung auf das gesamte Universum haben dürfte. Nicht so wie andere Epiphänomene, die lediglich keine Auswirkung auf das Funktionieren eines eingegrenzten Teilsystemes haben (der Rauch einer Dampflok, die Erwärmung eines Prozessors), sondern eben gesamt: keine Auswirkung auf das gesamte System (-> Universum). Ist da oder nicht -> spielt überhaupt keine Rolle.

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Wenn Du jetzt zeigen kannst, wieso entweder Zombies nicht möglich sind oder wieso notwendigerweise alle Zombies sein müssen, dann hast Du den Schlüssel zur Lösung des Leib-Seele-Problemes gefunden.

Ich denke vielmehr, dass die Unterscheidung zwischen Zombies und Nicht-Zombies in deinem und dem philosophischen Sinne hinfällig ist. Sie gehört in die gleiche Kategorie wie eine Unterscheidung zwischen Menschen, die von einem unsichtbaren/-hörbaren/usw. Zwilling überall hin begleitet werden und Menschen, die keinen solchen Zwilling haben; oder, etwas weniger konstruiert, zwischen Hexen und Nicht-Hexen. Die Unterscheidung ist Ausdruck einer starken Intuition darüber, was Bewusstheit ist (welcher ich mich auch nur schwer entziehen kann), drückt aber keinen realen Sachverhalt aus. Kurz gesagt, wenn sich zwei Dinge prinzipiell, in diesem Falle sogar per definitionem, nicht unterscheiden lassen, sind sie identisch.

Diese Definition ist aber mE in diesem speziellen Falle schlicht falsch, unzureichend, ungenügend. Ich habe phänomenales Erleben, was zwar niemand (für meinen Fall) bestätigen kann, aber dennoch habe ich es. Und es wäre etwas anderes, wenn ich es nicht hätte, wenn ich ein Zombie wäre, der nur sagen würde, er hätte es, das aber nicht wahr wäre, (was aber nicht bedeutet, dass er lügt, er sagt es halt lediglich deswegen, weil die vorherigen Vorgänge in der Welt das kausal bedingen). Ein Zombie-Ap wäre nicht identisch mit einem Nicht-Zombie-AP. Und dabei ist es egal, ob man (jemand anderes als ich) das feststellen kann oder nicht, der Unterschied bleibt bestehen. Für Dich als Außenstehenden mag das egal sein, aus pragmatischen Gründen machst Du da vielleicht keinen Unterschied. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass es auch keinen Unterschied gibt, denn den gibt es.

Oder mal anders gesagt: nehmen wir an, ein (zukünftiger genialer) Neurowissenschaftler würde mir das Angebot machen, meine Intelligenz um den Faktor 100 zu erhöhen. Ich würde die absurdesten Probleme in kürzester Zeit lösen können, sogar solche, die ich jetzt noch nicht einmal im Ansatz verstehen würde. Ich (bzw. genauer gesagt mein Körper) würde daneben auch weiter so agieren / funktionieren können, (von außen gesehen), wie jetzt auch, mit der einzigen kleinen Einschränkung, dass ich mein Bewusstsein aufgeben müsste. Er würde mir eine kleine Spritze geben, ich würde einschlafen, er würde mein Gehirn operieren und dann wäre ich unglaublich intelligent, lediglich nicht mehr bewusst, es gäbe keine inneres Erleben mehr, obgleich das von außen niemand feststellen könnte. Ich würde auch eine Menge Kohle bekommen.

Ich behaupte: so ein Angebot würde niemand annehmen, der nicht sowieso Suizid-Gedanken hat.

Und noch ein kleiner Link: Das Problem des Bewusstseins

#201:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 03.04.2010, 22:47
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich habe phänomenales Erleben, was zwar niemand (für meinen Fall) bestätigen kann, aber dennoch habe ich es.

Mit fMRT (Magnetresonanztomographie) kann man den Leuten inzwischen in den Kopf schauen und dann ganz grob sagen, was sie denken. Dabei steckt die Technik noch in den Kinderschuhen.

#202:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 03.04.2010, 22:52
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Was den Physikalismus angeht: mir scheint, es gibt davon eine Menge Definitionen / Vorstellungen, eine sehr große Bandbreite, die von einem (ich nenne es mal 'schwachen') Pol bis zu einer starken Auffassung geht. Der eine (der 'schwache') Pol wäre dabei die Annahme, es sei aus methodologischen Gründen sinnvoll, als Arbeitshypothese sozusagen, davon auszugehen, dass alle Geschehnisse in unserer Welt letztlich über physikalischen Vorgängen supervenieren, was bedeutet, erst mal davon auszugehen, dass es für alles eine Erklärung geben kann, alles hinterfragt werden kann, nichts als 'isso' akzeptiert werden muss.

Die Physikalisten behaupten schon, dass es de facto so ist, dass alles physischer Natur ist oder auf dem Physischen superveniert, d.h. davon änderungsabhängig ist, beziehungsweise davon determiniert/nezessitiert wird.

Okay, aber ich behaupte das nicht, ganz einfach aus dem Grunde, weil ich nicht so weiß, dass es so ist, ich also offen bin für eine Änderung meiner Auffassung. Mit anderen Worten: ich bin Agnostiker.

Vielleicht gibt es ja mal zukünftig ein gutes Argument gegen meine Arbeitshypothese, dass alle Geschehnisse in unserer Welt über physikalischen Vorgängen supervenieren.

Hm, ist das jetzt aber ein Unterschied ('de facto' glauben <-> als Arbeitshypothese annehmen, gegen die es bisher keine guten Gründe gibt) oder ist das letztlich dasselbe, nur Wortklauberei? Was meinst Du?

#203:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.04.2010, 22:57
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Daneben gibt es Begriffe, die erst mal keine physikalischen Größen sind, (d.h. zu keiner physikalischen Kategorie zuordbar sind), zum Beispiel 'kochen', 'spielen', 'Begriff', 'Physik', 'Sprache', 'Geschichte', 'Politik', 'Ethik', 'Bewusstsein', 'Wirtschaft', (ergo unphysikalisch sind -> zu einer anderen Kategorie als den physikalischen gehören).


Ontologischer Reduktionismus ist nicht gleich terminologischer Reduktionismus. Welcher zeitgenössische Physikalist vertritt denn noch die Auffassung, dass die Begriffe der Physik oder der physikalischen Wissenschaften die einzigen wissenschaftlich zulässigen Begriffe seien?

#204:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.04.2010, 23:04
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Mit anderen Worten: ich bin Agnostiker.


Ergo kein Physikalist.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Hm, ist das jetzt aber ein Unterschied ('de facto' glauben <-> als Arbeitshypothese annehmen, gegen die es bisher keine guten Gründe gibt) oder ist das letztlich dasselbe, nur Wortklauberei? Was meinst Du?


Entweder du glaubst an die tatsächliche (aber unnotwendige) Wahrheit des Physikalismus oder eben nicht.

#205:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.04.2010, 23:12
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Okay, aber ich behaupte das nicht, ganz einfach aus dem Grunde, weil ich nicht so weiß, dass es so ist, ich also offen bin für eine Änderung meiner Auffassung. Mit anderen Worten: ich bin Agnostiker.


P.S.: Bei philosophischen Ismen geht es in erster Linie um Glauben und nicht um Wissen. Jemand, der, wie ich, an die Wahrheit des Physikalismus glaubt, kann seine Meinung selbstverständlich jederzeit ändern, falls neue wissenschaftliche oder philosophische Gründe auftauchen, die gegen dessen Wahrheit sprechen. Der Grundsatz "Einmal Physikalist, immer Physikalist!" gilt nicht!

#206:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 03.04.2010, 23:16
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Ontologischer Reduktionismus ist nicht gleich terminologischer Reduktionismus. Welcher zeitgenössische Physikalist vertritt denn noch die Auffassung, dass die Begriffe der Physik oder der physikalischen Wissenschaften die einzigen wissenschaftlich zulässigen Begriffe seien?

Ich weiß nicht. Starke Reduktionisten, nehme ich an, wobei ich nicht weiß, wer explizit darunter fällt oder ob es die überhaupt noch gibt. Ein starker Reduktionist wäre mE jemand, der meint, dass die Physik alles Wesentliche in unser Welt erklären könnte. Was ich für extremst unplausibel halte und für wenig selbstevident, für eine gänzlich unplausible metaphysische Auffassung, die nach einer guten Begründung geradezu schreit.

#207:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 03.04.2010, 23:20
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Mit anderen Worten: ich bin Agnostiker.

Ergo kein Physikalist.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Hm, ist das jetzt aber ein Unterschied ('de facto' glauben <-> als Arbeitshypothese annehmen, gegen die es bisher keine guten Gründe gibt) oder ist das letztlich dasselbe, nur Wortklauberei? Was meinst Du?

Entweder du glaubst an die tatsächliche (aber unnotwendige) Wahrheit des Physikalismus oder eben nicht.

Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Okay, aber ich behaupte das nicht, ganz einfach aus dem Grunde, weil ich nicht so weiß, dass es so ist, ich also offen bin für eine Änderung meiner Auffassung. Mit anderen Worten: ich bin Agnostiker.

P.S.: Bei philosophischen Ismen geht es in erster Linie um Glauben und nicht um Wissen. Jemand, der, wie ich, an die Wahrheit des Physikalismus glaubt, kann seine Meinung selbstverständlich jederzeit ändern, falls neue wissenschaftliche oder philosophische Gründe auftauchen, die gegen dessen Wahrheit sprechen. Der Grundsatz "Einmal Physikalist, immer Physikalist!" gilt nicht!

Das finde ich nun widersprüchlich. Aber egal: was ich aus dem, was Du gesagt hast, schließe: das ist Wortklauberei. Mein Ansatz entscheidet sich mE nicht grundsätzlich von Deinem. Spielt keine Rolle, ob wir das 'jetzt glauben' oder 'Arbeitshypothese' nennen.

#208:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.04.2010, 23:22
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Starke Reduktionisten, nehme ich an, wobei ich nicht weiß, wer explizit darunter fällt oder ob es die überhaupt noch gibt. Ein starker Reduktionist wäre mE jemand, der meint, dass die Physik alles Wesentliche in unser Welt erklären könnte. Was ich für extremst unplausibel halte und für wenig selbstevident, für eine gänzlich unplausible metaphysische Auffassung, die nach einer guten Begründung geradezu schreit.


"[L]et me say what [Materialism] is not. (1) Materialism is not a thesis of finite translatability of all our language into the language of physics. …"
———
"Lassen sie mich sagen, was der Materialismus nicht ist. (1) Der Materialismus ist nicht die Behauptung der endlichen Übersetzbarkeit unserer gesamten Sprache in die Sprache der Physik. …"

[© meine Übers.]

(Lewis, David. "New Work for a Theory of Universals." In: David Lewis, Papers in Metaphysics and Epistemology, 8-55. Cambridge: Cambridge University Press, 1999. p. 34)

#209:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.04.2010, 23:29
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Das finde ich nun widersprüchlich.


Was soll daran widersprüchlich sein?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Aber egal: was ich aus dem, was Du gesagt hast, schließe: das ist Wortklauberei.


Na ja, wenn jemand schreibt, er sei Agnostiker (in Bezug auf den Physikalismus), dann schließe ich daraus, dass er kein Physikalist ist, da man als Physikalist ja einen konkreten Standpunkt bezieht.

#210:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 03.04.2010, 23:31
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Starke Reduktionisten, nehme ich an, wobei ich nicht weiß, wer explizit darunter fällt oder ob es die überhaupt noch gibt. Ein starker Reduktionist wäre mE jemand, der meint, dass die Physik alles Wesentliche in unser Welt erklären könnte. Was ich für extremst unplausibel halte und für wenig selbstevident, für eine gänzlich unplausible metaphysische Auffassung, die nach einer guten Begründung geradezu schreit.


"[L]et me say what [Materialism] is not. (1) Materialism is not a thesis of finite translatability of all our language into the language of physics. …"
———
"Lassen sie mich sagen, was der Materialismus nicht ist. (1) Der Materialismus ist nicht die Behauptung der endlichen Übersetzbarkeit unserer gesamten Sprache in die Sprache der Physik. …"

[© meine Übers.]

(Lewis, David. "New Work for a Theory of Universals." In: David Lewis, Papers in Metaphysics and Epistemology, 8-55. Cambridge: Cambridge University Press, 1999. p. 34)

Ja, ich kenne diese Behauptung (von dort, in etwas anderer Formulierung). Allerdings frage ich mich, woher die rührt, wie die begründet wird. David Lewis ist mE nicht derjenige, der die Kompetenz dazu hat, die Bedeutung des Wortes 'Physikalismus' festzulegen. Eine Bedeutung ergibt sich aus dem Gebrauch des Wortes und so, wie ich das sehe, ist dieser Gebrauch keineswegs so einheitlich oder gar selbstevident, wie Lewis das behauptet. Und überhaupt: es ergibt überhaupt keinen Sinn, den Gebrauch eines Wortes ein für alle mal festlegen zu wollen, man muss immer fragen, was derjenige, der ein Wort verwendet, darunter versteht. Und dann muss man sich irgendwie einigen, über was man redet.

#211:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 03.04.2010, 23:36
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Aber egal: was ich aus dem, was Du gesagt hast, schließe: das ist Wortklauberei.

Na ja, wenn jemand schreibt, er sei Agnostiker (in Bezug auf den Physikalismus), dann schließe ich daraus, dass er kein Physikalist ist, da man als Physikalist ja einen konkreten Standpunkt bezieht.

Herrje, wir haben offensichtlich eine ziemlich verschiedene Auffassung darüber, was 'Agnostizismus' bedeutet. Aber das ist hier absolut OT. Und welchen Standpunkt (und wieso) ich beziehe, habe ich oben mE ausdrücklich gesagt.

#212:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.04.2010, 23:42
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Herrje, wir haben offensichtlich eine ziemlich verschiedene Auffassung darüber, was 'Agnostizismus' bedeutet.


Nach meinem und dem allgemein vorherrschenden Verständnis ist ein Agnostiker in Bezug auf X jemand, der weder pro X noch kontra X eingestellt ist, d.h. der weder an die Wahrheit von X noch an dessen Falschheit glaubt.

#213:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 04.04.2010, 00:09
    —
Ja, das im Prinzip richtig. Nur ist, anscheinend im Gegensatz zu Deiner Auffassung, 'glauben' in meiner Ansicht keine binäre Kategorie, sondern eine graduelle. Wozu ich mehr neige und wieso, habe ich oben erläutert. Ansonsten habe ich keine Lust, hier in diesem Thread über 'Agnostizismus' zu diskutieren.

#214:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 04.04.2010, 00:21
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ja, das im Prinzip richtig. Nur ist, anscheinend im Gegensatz zu Deiner Auffassung, 'glauben' in meiner Ansicht keine binäre Kategorie, sondern eine graduelle.


Ich habe nicht gesagt, dass "Ich glaube, dass der Physikalismus wahr ist" grundsätzlich dasselbe bedeutet wie "Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass der Physikalismus wahr ist".

#215:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 04.04.2010, 01:11
    —
Wir sollten uns nicht über etwas streiten, bei dem wir gar keinen Dissens haben, was wir nur unterschiedlich benennen.

Aber mal was anderes: Deiner Signatur »Das kraftstoffliche Sein und Werden in Raum und Zeit bildet die gesamte Wirklichkeit.« kann ich nicht zustimmen. Es gibt mE keine 'gesamte Wirklichkeit'. Das hört sich an nach einer einzig wahren Wahrheit. Meiner Ansicht ergibt sich aber die Wirklichkeit aus Interpretionen dessen, was vorhanden / gegeben ist. Und Interpretationen sind mE notwendiger Bestandteil dessen, was ich 'Wirklichkeit' nennen würde, d.h. ohne Interpretation keine Wirklichkeit (da es mE keinen archimedischen Standpunkt gibt). Und weiterhin führen Interpretationen meiner Meinung nach nicht zu einer einzigen Wahrheit. Wiewohl es zwar Interpretationen geben kann, die unplausibel sind, kann es auch Interpretationen geben, die sich widersprechen, aber gleichermaßen plausibel sind. Und daher, (falls das stimmt, falls das nicht widerlegt werden kann, falls es kein gutes Argument gegen diese Auffassung gibt), ist die Idee einer einzigen letztlichen Wahrheit (und die der 'gesamten Wirklichkeit') mMn hinfällig.

#216:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 04.04.2010, 02:20
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Aber mal was anderes: Deiner Signatur »Das kraftstoffliche Sein und Werden in Raum und Zeit bildet die gesamte Wirklichkeit.« kann ich nicht zustimmen. Es gibt mE keine 'gesamte Wirklichkeit'. Das hört sich an nach einer einzig wahren Wahrheit.


Ich denke, dass es eine allumfassende Gesamtwirklichkeit gibt, die, wittgensteinesk ausgedrückt, aus vielen wirklichen Sachverhalten, d.i. Tatsachen, besteht. Eine Wahrheit ist eine wahre Aussage, und eine Aussage ist genau dann wahr, wenn sie eine Tatsache, also ein Stück Wirklichkeit wiedergibt.

#217:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 04.04.2010, 15:02
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Aber mal was anderes: Deiner Signatur »Das kraftstoffliche Sein und Werden in Raum und Zeit bildet die gesamte Wirklichkeit.« kann ich nicht zustimmen. Es gibt mE keine 'gesamte Wirklichkeit'. Das hört sich an nach einer einzig wahren Wahrheit.


Ich denke, dass es eine allumfassende Gesamtwirklichkeit gibt, die, wittgensteinesk ausgedrückt, aus vielen wirklichen Sachverhalten, d.i. Tatsachen, besteht. Eine Wahrheit ist eine wahre Aussage, und eine Aussage ist genau dann wahr, wenn sie eine Tatsache, also ein Stück Wirklichkeit wiedergibt.

Und dann sind wir bei der Frage, wann eines Aussage die Wirklichkeit wiedergibt. Meistens kommen dann Aussagenbeispiele, die hinreichend simpel sind und über die es keinen Dissens gibt. Aber versuche mal eine wissenschaftliche Studie im Bereich sagen wir der Neurowissenschaften in 'wahre' Aussagen zu zerlegen, oder noch extremer, insgesamt als Aussage zu betrachten und feststellen zu wollen, ob sie wahr ist oder falsch.

Was man statt dessen in der Praxis hat, sind belegbare Fakten, im Idealfall auch Messungen, die ein Modell von vermuteten Zusammenhängen stützen. Und nun geht es um die Frage, ob die Messungen korrekt, dh nachvollziehbar sind, ob die daraus gebildete Theorie plausibel ist, oder ob oder wieweit sie mit bisherigem Wissen in Konflikt gerät. Dabei mag sich herausstellen, daß eine Theorie, eine Aussage falsch ist, oder daß sie ein Fortschritt ist gegenüber dem, was man bisher wußte, aber 'Wahrheit', selbst die einzelner Aussagen, kommt so wohl nicht zustande.

#218:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 04.04.2010, 18:04
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Kannst Du andere, in der Vergangenheit erklärte Phänomene nennen, die sich als fundamental neue, unphysikalische Kategorien herusgestellt haben? Oder meinst Du obiges in einem sehr schwachen Sinne, also etwa daß der Chemie etwas wesentliches verlorenginge, wenn man sie auf die Physik reduziert?
Tja, das wird jetzt sehr grundsätzlich. Ich fürchte, da fehlen mir die Worte, um das verständlich darstellen zu können. Man müsste auch erst mal 'unphysikalisch' genau definieren, genau sagen, was das eigentlich bedeutet, was man damit genau meint. Für mich sind 'physikalische Kategorien' eher eng gefasst. Das sind für mich 'physikalische Kategorien' (und alles, was darauf zurückführbar, d.h. reduzierbar, ist).

Also diese Liste ist wohl eher was für den technischen Anwender, es fehlen z.B. die guten Theorien.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Daneben gibt es Begriffe, die erst mal keine physikalischen Größen sind, (d.h. zu keiner physikalischen Kategorie zuordbar sind), zum Beispiel 'kochen', 'spielen', 'Begriff', 'Physik', 'Sprache', 'Geschichte', 'Politik', 'Ethik', 'Bewusstsein', 'Wirtschaft', (ergo unphysikalisch sind -> zu einer anderen Kategorie als den physikalischen gehören). Was nun nicht per se heißt, dass sie prinzipiell nicht auf physikalische Größen zurückführbar seien, 'kochen' zum Beispiel kann man sicher reduzieren. Aber dass das bei allen diesen Begriffen möglich ist, bezweifle ich stark.

Wenn Du jetzt noch diejenigen wegnimmst, die mit "Bewußtsein" zu tun haben, dann bleibt kein einziges übrig. Ich hatte aber extra um ein anderes Beispiel gebeten, da "Bewußtsein" ja eben noch nicht erklärt ist und daher schlecht als Beispiel für Deine obige These taugt, Unwissen sei ein gutes Indiz für eine fundamental neue Kategorie. Daher hätte ich gern ein Beispiel, indem es später eine Erklärung gab und diese prinzipiell nicht auf Physik reduzierbar war.

Ein solches Beispiel wäre etwa, wenn man "Vererbung" erklären könnte und zeigen könnte, daß diese relevant noch von anderen als nur den physikalischen Gesetzen gelenkt wird.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... Die Frage wäre nun, ob Du behauptest, dass alles, was nach Deiner Ansicht nach unwissenschaftlich ist, deswegen nicht existieren kann. ...

Eine Behauptung über etwas, das Deines Erachtens nicht definierbar, sondern nur von Dir "erlebbar" ist, ist nicht sinnvoll diskutierbar. Insbesondere kannst Du eine von Dir angenommene Eigenschaft dieses Undefinierten nicht als Argument dafür verwenden, es sei etwas fundamental Anderes / Unphysikalisches.

#219:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 04.04.2010, 19:49
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step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... Die Frage wäre nun, ob Du behauptest, dass alles, was nach Deiner Ansicht nach unwissenschaftlich ist, deswegen nicht existieren kann. ...

Eine Behauptung über etwas, das Deines Erachtens nicht definierbar, sondern nur von Dir "erlebbar" ist, ist nicht sinnvoll diskutierbar. Insbesondere kannst Du eine von Dir angenommene Eigenschaft dieses Undefinierten nicht als Argument dafür verwenden, es sei etwas fundamental Anderes / Unphysikalisches.

Zum 'definierbar', bzw. zur Beschreibung dessen, was mit 'phänomenalem Bewusstsein' gemeint ist, nochmal der Link von oben: Thomas Metzinger - Das Problem des Bewusstseins

Ich meine schon, dass das sinnvoll diskutierbar ist, jedenfalls sehe ich keinen Grund, warum es das nicht sein sollte. Am Kopf kratzen

Was ich nun behaupte, ist Folgendes: a) phänomenales Bewusstsein existiert (das weiß ich aus eigener Anschauung) und b) es gibt heutzutage keine Erklärung dafür, wie man es auf physiologische Vorgänge zurückführen kann, und zwar in dem Sinne einer Erklärung, die eine notwendige Beziehung zwischen bestimmten physiologischen Vorgängen (oder beliebigen anderen physikalischen Vorgängen oder Vorgängen, die ihrerseits wieder physikalisch reduzierbar sind) plausibel erscheinen lässt, d.h. ableitbar / zurückführbar ist. Eine Erklärung, die zusätzlich zur lediglichen Darstellung von Korrelationen diesen Zusammenhang plausibel macht.

#220:  Autor: Deus ex Machina BeitragVerfasst am: 04.04.2010, 22:34
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Der Punkt ist: wenn jemand behauptet, das einzig Grundlegende, das einzig Wichtige, das einzig real Existierende in unserer Welt seien die kausalen physikalischen Vorgänge, und eine Beschreibung aller kausalen Vorgänge seien eine hinreichende Erklärung aller Vorgänge in unserer Welt, der nichts hinzugefügt werden könnte, dann folgt daraus unweigerlich, dass Bewusstsein keine (in irgend einer Art wichtigen) Auswirkung haben kann, lediglich eine Art Trittbrettfahrer der physiologischen Vorgänge ist (die 'das Eigentliche', 'das Wesentliche', das, worauf es nur ankommt, seien).


Ich halte "Bewusstsein" im genau gleichen Sinne wie "Leben" für physikalisch oder nicht physikalisch.


Zitat:
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Wenn Du jetzt zeigen kannst, wieso entweder Zombies nicht möglich sind oder wieso notwendigerweise alle Zombies sein müssen, dann hast Du den Schlüssel zur Lösung des Leib-Seele-Problemes gefunden.

Ich denke vielmehr, dass die Unterscheidung zwischen Zombies und Nicht-Zombies in deinem und dem philosophischen Sinne hinfällig ist. Sie gehört in die gleiche Kategorie wie eine Unterscheidung zwischen Menschen, die von einem unsichtbaren/-hörbaren/usw. Zwilling überall hin begleitet werden und Menschen, die keinen solchen Zwilling haben; oder, etwas weniger konstruiert, zwischen Hexen und Nicht-Hexen. Die Unterscheidung ist Ausdruck einer starken Intuition darüber, was Bewusstheit ist (welcher ich mich auch nur schwer entziehen kann), drückt aber keinen realen Sachverhalt aus. Kurz gesagt, wenn sich zwei Dinge prinzipiell, in diesem Falle sogar per definitionem, nicht unterscheiden lassen, sind sie identisch.

Diese Definition ist aber mE in diesem speziellen Falle schlicht falsch, unzureichend, ungenügend.


Du kannst feststellen, dass Du keine Beine hast, aber Du kannst nicht feststellen, dass Du kein Bewusstsein hast. * Du kannst also zwischen dir mit Beinen und dir ohne Beine unterscheiden, nicht aber zwischen dir mit Bew. und dir ohne Bew. (genau so wenig, wie Du feststellen kannst, dass Du tot bist und somit auch nicht zwischen dir in lebendigem und totem Zustand unterscheiden kannst).

Nach deiner Vorstellung kann es ja nicht einmal so etwas wie Hinweise für Bewusstheit geben. Wenn
jemand einen Geruch geniesst oder dir sagt "Ich kann mir nicht erklären, weshalb ich bewusst etwas erlebe, obwohl ich nur eine Menge von Atomen bin, die in bestimmter Art und Weise zusammengesetzt sind" kannst Du dies nicht als Hinweis darauf werten, dass diese Personen bewusst sind, da sie ja eben gleich handeln würden, wenn sie tatsächlich kein Bewusstsein hätten.

* Ich finde das einen interessanten Punkt. Aus deiner Sicht gibt es mindestens einen Menschen, der bewusst ist, nämlich dich. Es gibt viele Menschen, die die Überzeugung vertreten, bewusst zu sein, von denen Du aber nicht sicher wissen kannst, ob das tatsächlich stimmt, da bei gleichem Verhalten Bewusstsein vorhanden sein kann oder auch nicht. Es gibt hingegen niemanden, der oder die von sich sagt, nichts bewusst zu erleben. Auch wenn alle Menschen Bewusstsein haben leuchtet nicht ein, warum das so ist, da es ja es keinen notwendigen Zusammenhang zwischen tatsächlichem und berichtetem Bewusstsein einer Person gibt.


Zitat:
Ich habe phänomenales Erleben, was zwar niemand (für meinen Fall) bestätigen kann, aber dennoch habe ich es. Und es wäre etwas anderes, wenn ich es nicht hätte, wenn ich ein Zombie wäre, der nur sagen würde, er hätte es, das aber nicht wahr wäre, (was aber nicht bedeutet, dass er lügt, er sagt es halt lediglich deswegen, weil die vorherigen Vorgänge in der Welt das kausal bedingen).


(gefettet von mir)

Der Punkt ist: Nach deinem Verständnis sagst auch Du "lediglich deswegen, weil die vorherigen Vorgänge in der Welt das kausal bedingen" und nicht deswegen, weil Du tatsächlich bewusst etwas erlebst, dass Du phänomenales Erleben hast. Wäre das phänomenale Erleben die Ursache deiner Beteuerungen gäbe es einen für Dritte feststellbaren Unterschied zwischen dir und dem Zombie-AP, welchen es ja eben per definitionem nicht gibt.


Zitat:
Oder mal anders gesagt: nehmen wir an, ein (zukünftiger genialer) Neurowissenschaftler würde mir das Angebot machen, meine Intelligenz um den Faktor 100 zu erhöhen. Ich würde die absurdesten Probleme in kürzester Zeit lösen können, sogar solche, die ich jetzt noch nicht einmal im Ansatz verstehen würde. Ich (bzw. genauer gesagt mein Körper) würde daneben auch weiter so agieren / funktionieren können, (von außen gesehen), wie jetzt auch, mit der einzigen kleinen Einschränkung, dass ich mein Bewusstsein aufgeben müsste. Er würde mir eine kleine Spritze geben, ich würde einschlafen, er würde mein Gehirn operieren und dann wäre ich unglaublich intelligent, lediglich nicht mehr bewusst, es gäbe keine inneres Erleben mehr, obgleich das von außen niemand feststellen könnte. Ich würde auch eine Menge Kohle bekommen.

Ich behaupte: so ein Angebot würde niemand annehmen, der nicht sowieso Suizid-Gedanken hat.


Entweder lässt mich die Operation in irgendeiner Weise beeinträchtigt zurück oder es setzt schon deine Konzeption von Bewusstsein voraus, dass es nämlich ein Bewusstsein völlig losgelöst von allen Fähigkeiten, Kapazitäten, Vermögen zu entfernen gäbe.


Zitat:
Und noch ein kleiner Link: Das Problem des Bewusstseins


Ich kenne den Text. Gerade Metzinger spricht übrigens davon, dass wir von unseren Intuitionen darüber, was Bewusstsein ist, irregeleitet werden.

#221:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 04.04.2010, 23:24
    —
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Kurz gesagt, wenn sich zwei Dinge prinzipiell, in diesem Falle sogar per definitionem, nicht unterscheiden lassen, sind sie identisch.

Diese Definition ist aber mE in diesem speziellen Falle schlicht falsch, unzureichend, ungenügend.

Du kannst feststellen, dass Du keine Beine hast, aber Du kannst nicht feststellen, dass Du kein Bewusstsein hast. * Du kannst also zwischen dir mit Beinen und dir ohne Beine unterscheiden, nicht aber zwischen dir mit Bew. und dir ohne Bew. (genau so wenig, wie Du feststellen kannst, dass Du tot bist und somit auch nicht zwischen dir in lebendigem und totem Zustand unterscheiden kannst).

Genau, und Letzteres ist der Grund, warum ich Deine Identitäts-Behauptung (in diesem Falle) für falsch halte. Es ist ja offensichtlich ein Unterschied, ob ich lebe oder nicht, (und den gibt es auch dann, wenn niemand da ist, um das festzustellen). Wenn ich tot bin, dann bin ich schlicht nicht mehr. Und wenn ich nicht mehr existiere, kann ich logischerweise nichts mehr feststellen. Gleiches gilt dann, wenn ich kein Bewusstsein mehr habe. Aber der Schluss, es sei deswegen, (weil dann niemand da sei, der einen Unterschied feststellen könnte), dasselbe, ob ich lebe oder tot sei bzw. Bewusstsein hätte oder nicht, erscheint mir irgendwie merkwürdig.

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich habe phänomenales Erleben, was zwar niemand (für meinen Fall) bestätigen kann, aber dennoch habe ich es. Und es wäre etwas anderes, wenn ich es nicht hätte, wenn ich ein Zombie wäre, der nur sagen würde, er hätte es, das aber nicht wahr wäre, (was aber nicht bedeutet, dass er lügt, er sagt es halt lediglich deswegen, weil die vorherigen Vorgänge in der Welt das kausal bedingen).

(gefettet von mir)

Der Punkt ist: Nach deinem Verständnis sagst auch Du "lediglich deswegen, weil die vorherigen Vorgänge in der Welt das kausal bedingen" und nicht deswegen, weil Du tatsächlich bewusst etwas erlebst, dass Du phänomenales Erleben hast. Wäre das phänomenale Erleben die Ursache deiner Beteuerungen gäbe es einen für Dritte feststellbaren Unterschied zwischen dir und dem Zombie-AP, welchen es ja eben per definitionem nicht gibt.

Ob mein phänomenales Erleben die Ursache meiner Beteuerungen ist, (und was das genau bedeutet), ist erst mal gar nicht die Frage. Es geht darum, dass es einen Unterschied macht, ob jemand handelt oder ob er lediglich funktioniert. 'Handlung', 'Verstehen', 'Glauben' und 'Wissen' zum Beispiel beinhalten implizit die Zuschreibung eines Bewusstseins, diese Begriffe sind ohne dies sinnlos, (bzw. wären lediglich Analogien). Mein Taschenrechner z.B. glaubt nicht, dass 1+1=2 ist und er weiß das auch nicht. Er hat keine Überzeugungen. Er rechnet nur.

Für mich macht es einen Unterschied, ob ich bewusst erlebe oder nicht, selbst wenn niemand anderes das von außen bestätigen kann, will sagen: ich würde ungerne auf mein bewusstes Erleben verzichten, (und ich nehme an, dass diese Einstellung die meisten Leute teilen). Vergiß einfach mein Beispiel mit dem Neurochirurgen und frage einfach Dich, ob es für Dich bezüglich Deines Bewusstseins einen Unterschied macht, ob Du es hast, ob Du problemlos darauf verzichten würdest. Wenn nicht: dann ist da doch offensichtlich ein Unterschied. Auch wenn Du in einem wesentlichen Sinne nicht mehr existierst, nachdem Dein Bewusstsein weg ist.

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und noch ein kleiner Link: Das Problem des Bewusstseins

Ich kenne den Text. Gerade Metzinger spricht übrigens davon, dass wir von unseren Intuitionen darüber, was Bewusstsein ist, irregeleitet werden.

In dem Text nicht. Mir ist auch nicht klar, wie ich mich z.B. darüber täuschen kann, einen Schmerz zu empfinden, welchen Sinn diese Behauptung überhaupt ergeben könnte. Die Empfindung eines Schmerzes ist der Schmerz, daher ist es sinnlos, zu sagen: in Wirklichkeit ist da aber kein Schmerz, der Schmerz existiert nicht.

Mit anderen Worten: klar kann man sich täuschen, können Intuitionen und Wahrnehmungen falsch sein. Aber die Behauptung, man würde sich bei allen seinen phänomenalen Wahrnehmungen täuschen, ist einfach Unsinn. Mir scheint auch nicht, dass Metzinger so etwas Merkwürdiges vertritt.

#222:  Autor: Deus ex Machina BeitragVerfasst am: 05.04.2010, 00:58
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Kurz gesagt, wenn sich zwei Dinge prinzipiell, in diesem Falle sogar per definitionem, nicht unterscheiden lassen, sind sie identisch.

Diese Definition ist aber mE in diesem speziellen Falle schlicht falsch, unzureichend, ungenügend.

Du kannst feststellen, dass Du keine Beine hast, aber Du kannst nicht feststellen, dass Du kein Bewusstsein hast. * Du kannst also zwischen dir mit Beinen und dir ohne Beine unterscheiden, nicht aber zwischen dir mit Bew. und dir ohne Bew. (genau so wenig, wie Du feststellen kannst, dass Du tot bist und somit auch nicht zwischen dir in lebendigem und totem Zustand unterscheiden kannst).

Genau, und Letzteres ist der Grund, warum ich Deine Identitäts-Behauptung (in diesem Falle) für falsch halte. Es ist ja offensichtlich ein Unterschied, ob ich lebe oder nicht, (und den gibt es auch dann, wenn niemand da ist, um das festzustellen). Wenn ich tot bin, dann bin ich schlicht nicht mehr. Und wenn ich nicht mehr existiere, kann ich logischerweise nichts mehr feststellen. Gleiches gilt dann, wenn ich kein Bewusstsein mehr habe. Aber der Schluss, es sei deswegen, (weil dann niemand da sei, der einen Unterschied feststellen könnte), dasselbe, ob ich lebe oder tot sei bzw. Bewusstsein hätte oder nicht, erscheint mir irgendwie merkwürdig.


Du kannst zwar nicht feststellen, dass Du tot bist, andere hingegen schon. Bei deiner Vorstellung von Bewusstsein hingegen kannst weder Du noch jemand anders feststellen, dass Du kein Bewusstsein hast (solange Du dich so verhältst, "als ob Du Bew. hättest").


Zitat:
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich habe phänomenales Erleben, was zwar niemand (für meinen Fall) bestätigen kann, aber dennoch habe ich es. Und es wäre etwas anderes, wenn ich es nicht hätte, wenn ich ein Zombie wäre, der nur sagen würde, er hätte es, das aber nicht wahr wäre, (was aber nicht bedeutet, dass er lügt, er sagt es halt lediglich deswegen, weil die vorherigen Vorgänge in der Welt das kausal bedingen).

(gefettet von mir)

Der Punkt ist: Nach deinem Verständnis sagst auch Du "lediglich deswegen, weil die vorherigen Vorgänge in der Welt das kausal bedingen" und nicht deswegen, weil Du tatsächlich bewusst etwas erlebst, dass Du phänomenales Erleben hast. Wäre das phänomenale Erleben die Ursache deiner Beteuerungen gäbe es einen für Dritte feststellbaren Unterschied zwischen dir und dem Zombie-AP, welchen es ja eben per definitionem nicht gibt.

Ob mein phänomenales Erleben die Ursache meiner Beteuerungen ist, (und was das genau bedeutet), ist erst mal gar nicht die Frage.


Doch, ich denke genau hier sind wir am Kern unseres Dissens'. Kommt es dir nicht komisch vor, dass, wenn man deine Position konsequent zu Ende denkt, deine Behauptung, bewusst etwas zu erleben nicht davon abhängt, dass Du bewusst etwas erlebst? (Falls es davon abhinge gäbe es ja einen für Dritte feststellbaren Unterschied zwischen dir und deinem Zombie-Zwilling.)


Zitat:
Vergiß einfach mein Beispiel mit dem Neurochirurgen und frage einfach Dich, ob es für Dich bezüglich Deines Bewusstseins einen Unterschied macht, ob Du es hast, ob Du problemlos darauf verzichten würdest. Wenn nicht: dann ist da doch offensichtlich ein Unterschied.


"Kein Bewusstsein mehr haben" ist für mich äquivalent mit "tot sein", "anästhetisiert sein", "hirntot sein", "in traumlosem Schlaf sein" oder ähnliches und insofern möchte ich da natürlich nicht dauerhaft drauf verzichten. Der Unterschied zwischen uns ist, dass für dich die Frage "Bewusstsein ja oder nein" prinzipiell unabhängig von der Frage nach Fähigkeiten oder Verhalten ist, für mich nicht.


Zitat:
Mir ist auch nicht klar, wie ich mich z.B. darüber täuschen kann, einen Schmerz zu empfinden, welchen Sinn diese Behauptung überhaupt ergeben könnte. Die Empfindung eines Schmerzes ist der Schmerz, daher ist es sinnlos, zu sagen: in Wirklichkeit ist da aber kein Schmerz, der Schmerz existiert nicht.


Ja, genau.


Zitat:
Mit anderen Worten: klar kann man sich täuschen, können Intuitionen und Wahrnehmungen falsch sein. Aber die Behauptung, man würde sich bei allen seinen phänomenalen Wahrnehmungen täuschen, ist einfach Unsinn. Mir scheint auch nicht, dass Metzinger so etwas Merkwürdiges vertritt.


Das war ja auch nicht die Aussage. Es ging um Intuitionen im Sinne von Konzeptionen dessen, was Bewusstsein ist. Meine Quelle ist ein persönliches Gespräch, ich suche aber nach etwas schriftlichem.

#223:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 05.04.2010, 01:43
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....es gibt heutzutage keine Erklärung dafür, wie man es auf physiologische Vorgänge zurückführen kann, und zwar in dem Sinne einer Erklärung, die eine notwendige Beziehung zwischen bestimmten physiologischen Vorgängen (oder beliebigen anderen physikalischen Vorgängen oder Vorgängen, die ihrerseits wieder physikalisch reduzierbar sind) plausibel erscheinen lässt, d.h. ableitbar / zurückführbar ist. Eine Erklärung, die zusätzlich zur lediglichen Darstellung von Korrelationen diesen Zusammenhang plausibel macht.

Das wird es in dieser Form auch in absehbarer Zeit nicht geben. Wir können zwar heute bei einem Prozessor die Signale abtasten, die er empfängt oder sendet und mit Kenntnis der der benutzten Wortgröße und der Datenformate im Prinzip belauschen was er tut und hätten wahrscheinlich dabei relativ schnell seinen Befehlssatz geknackt. Außerdem können wir das Teil anschleifen und mikroskopieren usw.. Danach können wir rangehen und Daten begutachten, Systemsoftware, Anwendungen .....

Was ich sagen will, ist dass das, was Du verlangst, bereits beí einem industriell geklonten Produkt nicht ganz trivial ist. Und nun übertragen wir diese Aufgabe auf einen Multiprozessorrechner, bei dem weder Datenformate noch Wortgröße noch die Prozessorkommunikation wirklich verstanden ist. Außerdem wird er biologisch mit riesigen Qualitätsschwankungen in der Produktion hergestellt und Du möchtest ja nicht etwa nur etwas über die Prozesse erfahren, dei auf diesem Gerät laufen, Du möchtest wissen, wie sie zu Zuständen führen, die von außen nicht abgreifbar sind, deren Repräsentation also zwangsläufig unbekannt ist.

Dazu gab es bereits einen kurzen Dialog zwischen uns:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Mal noch ein paar Gedanken dazu.

Das Problem des Bewusstseins ist, zu verstehen, wie es entsteht und wie es mit physikalischen Prozessen zusammenhängt.

Bewusstsein beinhaltet mE "bewusstes Erleben", auch Qualia genannt. Hier ein ganz guter Überblick über die Problematik......

Wenn man nichts rauskriegen will, kann man es so machen wie Du - dazu neige ich aber nicht.

Wie bitte? Verstehe ich nicht, was Du damit sagen willst......


Was wir dagegen besser abgreifen können, sind höhere Ebenen dieser Datenverarbeitung und es ist möglich, auf Prozesse/Funktionen in diesen Ebenen zu schließen, genauso wie es möglich ist, die grundsätzlichen Möglichkeiten und Vor- bzw. Nachteile dieser Prozesse zu vergleichen. Das wäre schon etwas, was ziemlich dicht an die Fragestellung dieses Threads heranführte: Die Evolution des Bewusstseins. Ich wiederhole deshalb meine Frage:
fwo hat folgendes geschrieben:
....Was ich dabei immer noch nicht so ganz verstehe: Wenn wir Bewusstsein insgesamt als eine Funktionalität unserer Datenverarbeitung verstehen und wenn wir weiterhin - rein funktional - feststellen, dass die Gefühle, also subjektive Erlebnisse, ein Kanal sind, um Daten ins Bewusstsein zu transportieren, worin für die Verarbeitung dieser Daten die Besonderheit dieses Kanals liegt, dass es so wichtig ist, ihn in der Simulation exakt nachzubilden...


Da Du bis jetzt nicht geantwortet hast, noch einmal: Welchen Sinn macht es überhaupt für die Erforschung der Evolution des Bewusstseins, auf einem Verständnis des Zusammenhanges von der Maschinenebene zum Gesamtverhalten des Systems zu bestehen. Für die Analyse eines SAP-Systems mit der Mikroprogammierung der beteiligten Prozessoren zu beginnen, das wäre ein Ansatz, mit dem Du Informatiker über die ausgelösten Lachkrämpfe töten könntest, aber immer noch ein Klacks, gegen das was Du einforderst.

Deshalb: Einmal völlig abgesehen davon, dass sie nicht bearbeitbar ist: Worin liegt für die Untersuchung der Evolution des Bewusstseins der besondere Vorteil deiner Fragestellung?

fwo

#224:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 05.04.2010, 18:41
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Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Aber der Schluss, es sei deswegen, (weil dann niemand da sei, der einen Unterschied feststellen könnte), dasselbe, ob ich lebe oder tot sei bzw. Bewusstsein hätte oder nicht, erscheint mir irgendwie merkwürdig.

Du kannst zwar nicht feststellen, dass Du tot bist, andere hingegen schon. Bei deiner Vorstellung von Bewusstsein hingegen kannst weder Du noch jemand anders feststellen, dass Du kein Bewusstsein hast (solange Du dich so verhältst, "als ob Du Bew. hättest").

Das ist so irgendwie falsch ausgedrückt. Natürlich kann ich nicht feststellen, dass ich kein Bewusstsein habe, wenn ich keines hätte und zwar genau deswegen, weil ich dann nicht existieren würde. Was aber eben nicht bedeutet, dass es keinen Unterschied machen würde (was Du daran siehst, dass auch Du ungerne darauf verzichten würdest.)

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ob mein phänomenales Erleben die Ursache meiner Beteuerungen ist, (und was das genau bedeutet), ist erst mal gar nicht die Frage.

Doch, ich denke genau hier sind wir am Kern unseres Dissens'. Kommt es dir nicht komisch vor, dass, wenn man deine Position konsequent zu Ende denkt, deine Behauptung, bewusst etwas zu erleben nicht davon abhängt, dass Du bewusst etwas erlebst? (Falls es davon abhinge gäbe es ja einen für Dritte feststellbaren Unterschied zwischen dir und deinem Zombie-Zwilling.)

Klar kommt mir das komisch vor. Aber das ist ja der Kernpunkt des Bewusstsein-Rätsels: wenn man rein von der Funktion her ein System betrachtet, dann spielt das Bewusstsein dafür keine Rolle. Wenn man es rein materiell, z.B. funktionalistisch beschreibt, dann kommt ein Bewusstsein in dieser Beschreibung erst gar nicht vor und dann ist nicht ersichtlich, wo, wieso und wie der Übergang von Abläufen zu Bewusstsein geschieht.

Und so (aus dieser materialistischen / funktionalistischen Sichtweise) entsteht eben die Ansicht, Bewusstsein sei ein reines Epiphänomen, es trage nichts zum Funktionieren des Systemes bei, könne nicht kausal wirksam sein. Woraus dann aber mMn eben folgt, dass Zombies logisch möglich sind. (Es sei denn, man könnte irgendwie zeigen, dass Bewusstsein notwendigerweise in diesem System entsteht - so wie zum Beispiel das Gewicht des Felles eines Eisbären zwar irrelevant für die evolutionär erklärbare Funktion des Felles für eine effektive Wärmespeicherung ist, insofern also ein Epiphänomen ist, aber dennoch ein notwendiger, nicht wegdenkbarer Nebeneffekt: ein dichtes Fell hat nun mal ein gewisses Gewicht, das ergibt sich aus den grundlegenden Eigenschaften unserer Welt.)

Und wenn Bewusstsein ein auswirkungsloses Epiphänomen ist, dann kann logischerweise meine Behauptung, bewusst etwas zu erleben, nicht von meinem Bewusstsein abhängen, denn falls doch, hätte mein Bewusstsein ja eine Auswirkung.

Und daraus ergibt sich eben das (mE bisher ungeklärte) Rätsel: alle Erklärungsversuche bleiben letztlich unbefriedigend. Egal, ob man das Bewusstsein leugnet (eliminativer Materialismus), es als reines Epiphänomen ansieht, einen (starken) Emergentismus (d.h. Nicht-Reduzierbarkeit) vertritt oder einen Substanzdualismus. Alle diese Auffassungen sind mE mit gravierenden, ungelösten Problemen konfrontiert.

Ich habe auch keine Antwort darauf, jedoch das für mich Unbefriedigenste und noch nicht einmal im Grundsatz annehmbarste überhaupt ist der eliminative Materialismus (die Behauptung, es gäbe gar kein Problem; das Problem einfach wegzuerklären, zu behaupten, es sei alles gesagt, wenn man irgendwelche kausalen Prozesse aufzeigt und behauptet, in Wirklichkeit gäbe es gar kein phänomenales Erleben, nur diese Prozesse). Da kann ich ja auch gleich wieder gläubig werden und offene Fragen einfach dogmatisch wegdrücken, weil die meine Weltanschauung bedrohen, das ist keinen Deut besser als das.

#225:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 05.04.2010, 19:16
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
....Was ich dabei immer noch nicht so ganz verstehe: Wenn wir Bewusstsein insgesamt als eine Funktionalität unserer Datenverarbeitung verstehen und wenn wir weiterhin - rein funktional - feststellen, dass die Gefühle, also subjektive Erlebnisse, ein Kanal sind, um Daten ins Bewusstsein zu transportieren, worin für die Verarbeitung dieser Daten die Besonderheit dieses Kanals liegt, dass es so wichtig ist, ihn in der Simulation exakt nachzubilden...

Da Du bis jetzt nicht geantwortet hast, noch einmal: Welchen Sinn macht es überhaupt für die Erforschung der Evolution des Bewusstseins, auf einem Verständnis des Zusammenhanges von der Maschinenebene zum Gesamtverhalten des Systems zu bestehen. Für die Analyse eines SAP-Systems mit der Mikroprogammierung der beteiligten Prozessoren zu beginnen, das wäre ein Ansatz, mit dem Du Informatiker über die ausgelösten Lachkrämpfe töten könntest, aber immer noch ein Klacks, gegen das was Du einforderst.

Deshalb: Einmal völlig abgesehen davon, dass sie nicht bearbeitbar ist: Worin liegt für die Untersuchung der Evolution des Bewusstseins der besondere Vorteil deiner Fragestellung?

Um Bewusstsein zu verstehen benötigt man eine Erklärung, wie der Übergang von prozessualen / funktionalistischen Vorgängen zum bewussten / subjektiven Erleben auf diese Vorgänge herleitbar / zurückführbar ist.

Wenn ich nur die Außenwirkung eines System betrachte, dann kann ich, um die nachzubilden, das auf verschiedene (mit einer vielleicht unendlich großen Anzahl) Weise nachbilden.

Es geht ja übrigens nicht um einen Übergang von der 'Maschinenebene' zu 'Bewusstseinsebene', sondern eine von der 'Algorithmusebene' zur 'Bewusstseinsebene', (denn der Übergang von der 'Maschinenebene' zur 'Algorithmusebene' ist mE grundsätzlich erklärbar).

Wenn ich lediglich ein System erschaffen möchte, das eine gewisse Funktionalität hat (z.B. Beispiel einen Schachcomputer), dann muss ich mich um die Frage des Bewusstseins überhaupt nicht kümmern. Aber ich kann dann eben auch nicht (grundlos) behaupten, dass, wenn ich einen sehr guten Schachcomputer programmiert habe, der deswegen Bewusstsein hätte.

Um das Bewusstsein (und die evolutionäre Herleitung dessen) zu erforschen, muss ich z.B. überlegen, welche Funktion das Bewusstsein hat, wozu es notwendig ist, was ein System notwendigerweise nicht könnte, wenn es kein Bewusstsein hätte. Und diese Frage ist mE offen, kann nicht beantwortet werden, (ich zumindest habe keine Antwort) - von der rein materialistischen / funktionalen Betrachtungsebene her ist die Antwort: Bewusstsein hat keine Funktion. Wenn aber das Bewusstsein nur ein Epiphänomen ist, diese Frage also mit: 'Bewusstsein hat gar keine Funktion, ist nur ein (notwendig) enstandener Nebeneffekt' beantwortet wird, dann habe ich ein großes Problem bei der evolutionären Herleitung. Dann müsste zumindest die Notwendigkeit dieses funktionslosen / kausal unwirksamen Nebeneffektes hergeleitet werden können, (so wie eben das dichte Fell eines Eisbären notwendigerweise ein gewisses Gewicht hat - wobei dieses Beispiel insofern ein wenig hinkt, keine genaue Analogie sein kann, weil Gewicht natürlich eine kausale Auswirkung auf das Gesamtsystem hat und Bewusstsein diese laut Epiphänomenalismus nicht haben darf), um die Behauptung begründen zu können.


Zuletzt bearbeitet von AgentProvocateur am 05.04.2010, 19:18, insgesamt einmal bearbeitet

#226:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 05.04.2010, 19:16
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und so (aus dieser materialistischen / funktionalistischen Sichtweise) entsteht eben die Ansicht, Bewusstsein sei ein reines Epiphänomen, es trage nichts zum Funktionieren des Systemes bei, könne nicht kausal wirksam sein. Woraus dann aber mMn eben folgt, dass Zombies logisch möglich sind. (Es sei denn, man könnte irgendwie zeigen, dass Bewusstsein notwendigerweise in diesem System entsteht - so wie zum Beispiel das Gewicht des Felles eines Eisbären zwar irrelevant für die evolutionär erklärbare Funktion des Felles für eine effektive Wärmespeicherung ist, insofern also ein Epiphänomen ist, aber dennoch ein notwendiger, nicht wegdenkbarer Nebeneffekt: ein dichtes Fell hat nun mal ein gewisses Gewicht, das ergibt sich aus den grundlegenden Eigenschaften unserer Welt.).

Wobei das in Klammern eigentlich der Normalfall ist: Aufgrund der Naturgesetzlichkeit der Welt würde ich annehmen, daß alle Epiphänomene notwendig sind.

Interessanterweise wird übrigens immer, wenn es um die Nützlichkeit von Bewußtsein geht, funktionalistisch argumentiert: z.B. daß Meinigkeit, personales Bewußtsein und dgl. nützlich sind, weil sie ein Selbstmodell des Handelden realisieren usw. - wäre Bewußtsein etwas fundamental über dieses Selbstmodell hinausgehendes, müßte erklärt werden, wozu es das überhaupt gibt. Daher finde ich, daß gerade die epiphänomenalistische These ontologisch besondes schlank ist und daher weniger Probleme mit dem "wozu"-Argument hat als die Behauptung kategorischer Qualia und kausaler mentaler Zustände.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und wenn Bewusstsein ein auswirkungsloses Epiphänomen ist, dann kann logischerweise meine Behauptung, bewusst etwas zu erleben, nicht von meinem Bewusstsein abhängen, denn falls doch, hätte mein Bewusstsein ja eine Auswirkung.

Ja, im Epiphänomenalismus wäre Deine Überzeugung, bewußt etwas zu erleben, ein Epiphänomen eines physikalischen Zustands (z.B. Erinnerung oder Referenzierung), der kausal aus einem vorherigen Zustand folgt, der ein Erlebnisphänomen hervorbrachte.

ABER: Physikalische Zustände, die z.B. Erinnerung oder Referenzierung realisieren, können sehrwohl gerade dadurch spezielle Wirkungen auslösen. Es wäre sehr naheliegend, diese mit den Folgen von Erlebnissen zu verwechseln.


Zuletzt bearbeitet von step am 05.04.2010, 19:25, insgesamt einmal bearbeitet

#227:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 05.04.2010, 19:24
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wenn ich lediglich ein System erschaffen möchte, das eine gewisse Funktionalität hat (z.B. Beispiel einen Schachcomputer), dann muss ich mich um die Frage des Bewusstseins überhaupt nicht kümmern. Aber ich kann dann eben auch nicht (grundlos) behaupten, dass, wenn ich einen sehr guten Schachcomputer programmiert habe, der deswegen Bewusstsein hätte.

Nehmen wir mal an, es gelänge, eine einigermaßen getreue physikalische Kopie eines lebenden Menschen zu erzeugen, also inklusive seines neuronalen Zustands und seiner Körperfunktionen.

A. Dieser würde mE von sehr ähnlichen Erlebnissen berichten wie das Original.
B. Dieser wäre mE nicht mehr Zombie als das Original.

Wenn ich Deine Einwände gegen den Epiphänomenalismus richtig verstehe, siehst Du bereits A. anders, oder?

#228:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 05.04.2010, 20:51
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step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und so (aus dieser materialistischen / funktionalistischen Sichtweise) entsteht eben die Ansicht, Bewusstsein sei ein reines Epiphänomen, es trage nichts zum Funktionieren des Systemes bei, könne nicht kausal wirksam sein. Woraus dann aber mMn eben folgt, dass Zombies logisch möglich sind. (Es sei denn, man könnte irgendwie zeigen, dass Bewusstsein notwendigerweise in diesem System entsteht - so wie zum Beispiel das Gewicht des Felles eines Eisbären zwar irrelevant für die evolutionär erklärbare Funktion des Felles für eine effektive Wärmespeicherung ist, insofern also ein Epiphänomen ist, aber dennoch ein notwendiger, nicht wegdenkbarer Nebeneffekt: ein dichtes Fell hat nun mal ein gewisses Gewicht, das ergibt sich aus den grundlegenden Eigenschaften unserer Welt.).

Wobei das in Klammern eigentlich der Normalfall ist: Aufgrund der Naturgesetzlichkeit der Welt würde ich annehmen, daß alle Epiphänomene notwendig sind.

Man muss zeigen können, wieso sie notwendig sind. Kann man das nicht, behauptet man einfach, dass eben alle Phänomene (völlig egal, welche: einer steht von den Toten auf, jemand kann Wasser in Wein verwandeln, etc. pp.) per se notwendig seien, weil die Welt naturgesetzlich sei und alles folge halt einfach aus bisher unbekannten Naturgesetzen, weil das nun mal so sei, ist das (nach meinem Verständnis) kein Materialismus mehr. Eher so 'ne Art Religion.

step hat folgendes geschrieben:
Interessanterweise wird übrigens immer, wenn es um die Nützlichkeit von Bewußtsein geht, funktionalistisch argumentiert: z.B. daß Meinigkeit, personales Bewußtsein und dgl. nützlich sind, weil sie ein Selbstmodell des Handelden realisieren usw. - wäre Bewußtsein etwas fundamental über dieses Selbstmodell hinausgehendes, müßte erklärt werden, wozu es das überhaupt gibt. Daher finde ich, daß gerade die epiphänomenalistische These ontologisch besondes schlank ist und daher weniger Probleme mit dem "wozu"-Argument hat als die Behauptung kategorischer Qualia und kausaler mentaler Zustände.

Phänomenales Bewusstsein ist aber nun mal etwas anderes als ein Selbstmodell. Das erscheint mir evident, denn es ist ja ohne Probleme vorstellbar, einen Roboter zu konstruieren, der ein rudimentäres Selbstmodell hat, aber kein Bewusstsein. Es mag ja sein, dass ein gewisses Selbstmodell ein notwendiger Bestandteil für ein Bewusstsein ist, aber die Behauptung, das sei auch schon hinreichend, (und nur dann könnte man es [eventuell] gleichsetzen), ist mE unbegründet.

Wenn 'fundamental darüber hinausgehendes' bedeuten soll: 'Selbstmodell' != 'Bewusstsein': ja, dann ist das (mE offensichtlich) so (oder man vertritt eine Art Panpsychismus - auch das primitivste Selbstmodel würde dann schon ein primitives Bewusstsein erzeugen - aber Panpsychisimus erscheint mir leider auch wenig selbstverständlich, ist mit gewissen Problemen verhaftet, die einer Klärung bedürfen).

Meine Frage richtet sich übrigens nicht nach dem 'wozu', sondern erst mal nach dem 'wie (funktioniert das, wie ist das erklärbar)'.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und wenn Bewusstsein ein auswirkungsloses Epiphänomen ist, dann kann logischerweise meine Behauptung, bewusst etwas zu erleben, nicht von meinem Bewusstsein abhängen, denn falls doch, hätte mein Bewusstsein ja eine Auswirkung.

Ja, im Epiphänomenalismus wäre Deine Überzeugung, bewußt etwas zu erleben, ein Epiphänomen eines physikalischen Zustands (z.B. Erinnerung oder Referenzierung), der kausal aus einem vorherigen Zustand folgt, der ein Erlebnisphänomen hervorbrachte.

Ja, was dann zu meiner Frage zurückführt: wie kommt das? wo ist der Zusammenhang des Erlebens zum physikalischen Zustand? wie kann man den zeigen / auf etwas Grundsätzliches zurückführen? wieso ist dieser Zusammenhang ein (naturgesetzlich) notwendiger? Warum so und nicht anders?

step hat folgendes geschrieben:
ABER: Physikalische Zustände, die z.B. Erinnerung oder Referenzierung realisieren, können sehrwohl gerade dadurch spezielle Wirkungen auslösen. Es wäre sehr naheliegend, diese mit den Folgen von Erlebnissen zu verwechseln.

Was die implizite Prämisse beinhaltet: nur die physikalischen Zustände sind eigentlich wirklich. Alles andere ist nur Beiwerk, vielleicht notwendig, aber Letztlich unnütz (für das 'Wahre', das was 'wirklich dahinter steckt') und somit Illusion, Täuschung, weil sie und das 'Wahre' unterschiedlich sind.

Was mir auch so per se wenig plausibel erscheint, was also begründet werden müsste. Der Gedanke, der dahinter steckt, ist anscheinend der einer 'tieferen Wahrheit', einer 'richtigen Wirklichkeit'. Was jedoch leider ebenfalls nicht evident ist, mE.

#229:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 05.04.2010, 21:19
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
... Aufgrund der Naturgesetzlichkeit der Welt würde ich annehmen, daß alle Epiphänomene notwendig sind.
Man muss zeigen können, wieso sie notwendig sind. Kann man das nicht, behauptet man einfach, dass eben alle Phänomene (völlig egal, welche: einer steht von den Toten auf, jemand kann Wasser in Wein verwandeln, etc. pp.) per se notwendig seien, weil die Welt naturgesetzlich sei und alles folge halt einfach aus bisher unbekannten Naturgesetzen, weil das nun mal so sein, ist das (nach meinem Verständnis) kein Materialismus mehr. Eher so 'ne Art Religion.

Wir sind uns ja einig, daß noch wesentliche Erklärungen ausstehen. Es ist allerdings schon etwas merkwürdig, daß beim "Bewußtsein" auch Leute von "fundamental anderen, unphysikalischen Kategorien" und "Indizien dafür" reden, die das bei ähnlich unvollständiger Theorienlage auf anderen Feldern wohl nie tun würden.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Es mag ja sein, dass ein gewisses Selbstmodell ein notwendiger Bestandteil für ein Bewusstsein ist, aber die Behauptung, das sei auch schon hinreichend, (und nur dann könnte man es [eventuell] gleichsetzen), ist mE unbegründet.

Ich glaube immer noch, daß Du die Wahrnehmung intuitiv um eine Ego-Komponente erweiterst, und aus dieser Mischung entsteht überhaupt erst die (eigentlich abwegige, aber verbreitete) Vermutung, Qualia könnten mehr sein als ein neuronales Modell einer Wahrnehmung, eine Person sei mehr als ihr Körper und Gehirn, usw.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Meine Frage richtet sich übrigens nicht nach dem 'wozu', sondern erst mal nach dem 'wie (funktioniert das, wie ist das erklärbar)'.

Ich kam auf das "wozu", weil Du das Beispiel mit dem Bärefell aus dem evolutionistischen Anti-EP Argument brachtest.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
ABER: Physikalische Zustände, die z.B. Erinnerung oder Referenzierung realisieren, können sehrwohl gerade dadurch spezielle Wirkungen auslösen. Es wäre sehr naheliegend, diese mit den Folgen von Erlebnissen zu verwechseln.
Was die implizite Prämisse beinhaltet: nur die physikalischen Zustände sind eigentlich wirklich.

Nein, es ist erstmal nur ein Argument dafür, daß gerade der EP kein Problem mit der Tatsache hätte, daß es intuitiv eine Kausalität auf Epi-Ebene gibt.

#230:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 05.04.2010, 22:17
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step hat folgendes geschrieben:
Wir sind uns ja einig, daß noch wesentliche Erklärungen ausstehen. Es ist allerdings schon etwas merkwürdig, daß beim "Bewußtsein" auch Leute von "fundamental anderen, unphysikalischen Kategorien" und "Indizien dafür" reden, die das bei ähnlich unvollständiger Theorienlage auf anderen Feldern wohl nie tun würden.

Naja, ich meine eben, dass phänomenales Bewusstsein ein unvergleichbares Problem ist, es also keine (hinreichend vergleichbare) Analogie dazu gibt. Und was Du unter 'fundamental' anders und 'unphysikalisch' meinst, ist mir erst mal nicht klar. Mir erscheint es geradezu selbstverständlich, dass 'Erleben' keine physikalische Kategorie ist. Aber ich weiß nicht, was Du darunter verstehst. Wenn Du per se alle Kategorien als 'physikalisch' betrachtest, dann ist das mE völlig sinnlos, bzw. ich verstehe den Sinn dessen dann nicht.

Die Frage für mich, (in meinem Verständnis von 'Kategorie'), wäre also, ob und wenn ja wie man die unphysikalische Kategorie 'Erleben' auf physikalische Kategorien zurückführen kann.

Aber einfach alles per se als 'physikalische Kategorie' zu bezeichnen erscheint mir merkwürdig. Zum Beispiel ist 'Wasser kocht' keine physikalische Kategorie, ist aber ohne große Probleme auf physikalische Kategorien zurückführbar (so und solche Luftblasen entstehen oder so).

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Es mag ja sein, dass ein gewisses Selbstmodell ein notwendiger Bestandteil für ein Bewusstsein ist, aber die Behauptung, das sei auch schon hinreichend, (und nur dann könnte man es [eventuell] gleichsetzen), ist mE unbegründet.

Ich glaube immer noch, daß Du die Wahrnehmung intuitiv um eine Ego-Komponente erweiterst, und aus dieser Mischung entsteht überhaupt erst die (eigentlich abwegige, aber verbreitete) Vermutung, Qualia könnten mehr sein als ein neuronales Modell einer Wahrnehmung, eine Person sei mehr als ihr Körper und Gehirn, usw.

Was heißt 'mehr sein'? Es ist etwas anderes, ganz einfach. Etwas anderes als Körper, Gehirn, Selbstmodell, Weltmodell etc oder die Summe dessen. Da gibt es keine Ego-Komponente, ich verwahre mich lediglich gegen die Behauptung, phänomenales Bewusstsein sei schon damit erklärt, dass man Gleichungen folgender Art aufstellt: Bewusstsein == sensorischer Input + Verarbeitung dieses Inputs + Erstellung eines Weltmodells + Erstellung eines Selbstmodelles + bestimmte Reaktionen.

Ich meine, das erklärt die wesentliche Frage aber nicht, das berührt sie noch nicht einmal.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Meine Frage richtet sich übrigens nicht nach dem 'wozu', sondern erst mal nach dem 'wie (funktioniert das, wie ist das erklärbar)'.

Ich kam auf das "wozu", weil Du das Beispiel mit dem Bärefell aus dem evolutionistischen Anti-EP Argument brachtest.

Das Bärenfell ist aber, wie Du vielleicht weißt, eine unpassende Analogie, denn das Gewicht hat einen kausalen Einfluss auf die Welt (das Gesamtsystem). Das Problem beim Epiphänomenalismus ist, dass diese Analogie insofern nicht passt, als a) die Notwendigkeit des Gewichtes durch grundlegende Eigenschaften unserer Welt erklärbar ist und b) das Gewicht eben einen kausalen Einfluss auf die Welt hat (lediglich nicht innerhalb des willkürlich festgelegten Systemes / Nutzens -> Wärmespeicherung). Ein Epiphänomenalist bezüglich des Bewusstseins behauptet aber, dass Bewusstsein überhaupt keine Auswirkung auf das gesamte System (-> Universum) hat. Und das ist, hm, ungewöhnlich, mit nichts anderem vergleichbar, bedarf einer gesonderten Erklärung, die anders ist als die mit dem Fell, die diese Besonderheit erklären kann. Da ploppt also ein Bewusstsein auf, einfach so, ohne ersichtlichen Grund und sogar ohne Wirkung auf irgend etwas in der Welt, ein mit nichts vergleichbares 'Phänomen-für-sich'. Wenn das nicht einer Erklärung bedarf, dann weiß ich auch nicht.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
ABER: Physikalische Zustände, die z.B. Erinnerung oder Referenzierung realisieren, können sehrwohl gerade dadurch spezielle Wirkungen auslösen. Es wäre sehr naheliegend, diese mit den Folgen von Erlebnissen zu verwechseln.

Was die implizite Prämisse beinhaltet: nur die physikalischen Zustände sind eigentlich wirklich.

Nein, es ist erstmal nur ein Argument dafür, daß gerade der EP kein Problem mit der Tatsache hätte, daß es intuitiv eine Kausalität auf Epi-Ebene gibt.

Doch, das Problem hat er sehr wohl: wo ist dieser Zusammenhang zwischen einem physiologischen Vorgang und einem mentalen? Es ist ja überhaupt kein Problem, sich vorzustellen, dass entweder a) jemand deswegen zum Arzt geht, weil sein Zahn Nerven reizt, "er" das aber nicht weiß / mitbekommt, (weil er gar keine phänomenales Bewusstsein hat), falls die Erklärung, warum er zum Arzt geht, hinreichend beschrieben ist durch die kausale Nervenreizung des Zahnes, die einzig (ohne dass etwas hinzukommen muss) den Gang zum Arzt verursacht (falls nur kausale Vorgänge etwas verursachen können) und b) warum der Schmerz nicht als angenehm empfunden wird (denn das hat ja nichts mit dem Gang zum Arzt zu tun, falls dieser hinreichend durch die Nervenreizung erklärt werden kann).

Mir scheint, das ganze Problem entsteht überhaupt nur dann, wenn die Naturwissenschaften den Anspruch erheben, alles hinreichend erklären zu können, die Wirklichkeit komplett abbilden zu können. Nur dann stellen sich diese ganzen Fragen. Verzichtet die Naturwissenschaft auf diesen Anspruch, sieht sie sich lediglich als einen Teil eines größeren Ganzen, das die Wirklichkeit ausmacht, für einen Teil der Erklärung der Wirklichkeit (sehr) nützlich ist, dann braucht man im Rahmen der Naturwissenschaft keine Erklärung mehr für alles zu fordern. Dann kann man eben sagen: 'dieser Teil der Wirklichkeit ist zurzeit nicht Gegenstand der Naturwissenschaften', (was dann aber nicht mehr automatisch bedeutet: das ist deswegen auch nicht wirklich).

#231:  Autor: AscaniusWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 05.04.2010, 22:39
    —
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
Warum nur vergeuden sogar Neurobiologen ihre Zeit immer wieder mit denselben Banalitäten?


Bezieht sich Deine fragende Antwort auf die von mir verlinkte Dokumentation auf 3sat:

"Dem Bewußtsein auf der Spur" , weil Du ja direkt darauf gepostet hast ?


Unter Anderem. So interessant die Ergebnisse neurowissenschaftlicher Forschung auch sein mögen, so ganz und gar nicht revolutionär sind sie in philosophischer Hinsicht. Einen "freien Willen" kann es schon aus logischem Grunde nicht geben, und auch der Umstand, daß sich Gehirne in spezifischer Weise regen, bevor ihren Besitzern etwas Bestimmtes bewußt wird, liegt in der Natur von Bewußtwerdungsprozessen. Einige Neurowissenschaftler wären gut beraten, ihre Erkenntnisse etwas niedriger zu hängen oder wenigstens philosophisch verantwortungsvoller zu kommentieren.

#232:  Autor: AscaniusWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 05.04.2010, 22:40
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Das innere Gewahren von Erlebnissen wie Empfindungen ist nicht analog zur Wahrnehmung äußerer Gegenstände mit einer Subjekt-Objekt-Struktur. Denn für alle Erlebnisse gilt: Sein heißt Erlebtwerden!


Unklare Formulierung! Allerdings macht es kaum einen Unterschied, ob Du vom Sein der Erlebnisse sprichst oder vom Sein der Dinge/Prozesse, die erlebt werden, denn Ersteres ist banal und Letzteres falsch: während Dinge unabhängig davon existieren, ob sie wahrgenommen werden (können), besteht die Wahrnehmung außerkörperlicher Dinge und ihrer Veränderungen ebenso in Gehirnprozessen wie die Wahrnehmung innerkörperlicher Dinge und ihrer Veränderungen.

Myron hat folgendes geschrieben:
Wenn ich zum Beispiel einen Schmerz in meiner linken Wade spüre, dann existierte dieser nicht, bevor ich mir seiner bewusst wurde.
Es gibt hier keine Zeitverzögerung wie beim Sehen eines Baumes, wo es einen Moment dauert, bis das vom Baumstamm reflektierte Licht meine Augen erreicht.


Auch zwischen der Auslösung von bestimmten Gehirnprozessen, deren Äquivalenzklasse wir als Schmerz bezeichnen, und ihrer Bewußtwerdung vergeht etwas Zeit, denn: jede Bewußtwerdung ist eine Bewußtwerdung von etwas. Es liegt also in der Natur von Bewußtwerdungen, daß sie sich auf bereits Geschehenes beziehen. Außerdem sind die Reaktionszeiten neuronaler Systeme zu berücksichtigen, d.h. wir haben es mit gleich zwei Verzögerungen zu tun: Reiz -> Reaktion des Nervensystems -> Bewußtwerdung dieser Reaktion. Übrigens ging es mir in meinem ersten Posting nur um die Feststellung, daß die Kontroversen um einige neurowissenschaftliche Erkenntnisse, bzw. deren "Interpretationen" auf philosophischen Ungenauigkeiten beruhen und in der Sache überflüssig sind.

Myron hat folgendes geschrieben:
Ich sage ja nur, dass ein psychophysischer Vorgang erlebt wird, sobald er einsetzt.


Nicht alles, was wir "erleben", wird uns auch bewußt, aber was uns bewußt wird, muß bereits geschehen sein. Weil ich die Vorstellung von einem "gegenstandslosen" Bewußtsein für absurd halte, verwende ich den Bewußtseinsbegriff schon lange nicht mehr unabhängig vom jeweiligen konkreten Etwas, dessen sich ein Wesen bewußt wird (übrigens bisher ganz ohne Folgeprobleme). Bezeichnenderweise hat noch niemand in diesem Thread eine zirkelschlußfreie und anwendbare Definition des "isolierten" Begriffes "Bewußtsein" vorgelegt. Wie auch in Diskussionen über "Gott" wird hier also ein Begriff strapaziert, dessen Bezugsobjekt unbenannt ist. Solche Diskussionen führen offensichtlich geradewegs nirgendwohin.

#233:  Autor: Deus ex Machina BeitragVerfasst am: 05.04.2010, 23:42
    —
@AP: Damit sind wir wohl wieder da, wo die Diskussion begonnen hat. Ich habe alles gesagt, was ich zu sagen habe und denke nicht, dass jemand von uns kurzfristig noch seinen Standpunkt ändern wird. Das schöne an solchen Diskussionen ist, dass sie dennoch helfen, sich über die eigene Position klar zu werden und Struktur in die eigenen Gedanken zu bringen.

Noch dazu:

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Das war ja auch nicht die Aussage. Es ging um Intuitionen im Sinne von Konzeptionen dessen, was Bewusstsein ist. Meine Quelle ist ein persönliches Gespräch, ich suche aber nach etwas schriftlichem.


Blackmore S., Conversations on Consciousness, p.151

Zitat:
Thomas [Metzinger] It is certainly true that conscious experiences can take place in individual models of reality, in individual brains, and from an individual first person perspective. The question ist whether you can generate a real, deep mystery out of that fact. And the deeper question ist, what the hell is a self, an what actually is a first person perspective? I would argue it is a very, very specific kind of representational structure, a way in which brains depict a world as a centred world, as a world that's centred around a self, an which has proved to be adaptive, biologically successful. That's what generates the problem.

Related to that, I don't think there is a principled explanatory gap between the brain and conscious experience, but there may indeed be something like an intelligibility gap. It may be that even if we have a satisfactory theory of consciousness, this theory is not intuitively plausible to us, and we cannot consciously experience the truth of that theory.

[kurz: Gegenwärtige physikalische Theorien sind auch nicht intuitiv plausibel und werden dennoch akzeptiert.]

On the other hand, everybody thinks a theory of consciousness has to give you some intuitive insight into the phenomenon. But nobody ever said that a theory about a phenomenon should recreate the phenomenon - so for instance, a theory about bat consciousness an the sensory qualities of bats does not have to create that consciousness for people who read that theory in books later on. This is just a false criterion for what would be a good theory about consciousness.


Ich bin hier übrigens völlig mit Metzinger einig, insbesondere mit dem zweiten Abschnitt.

#234:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 06.04.2010, 00:30
    —
Ascanius hat folgendes geschrieben:

[W]ährend Dinge unabhängig davon existieren, ob sie wahrgenommen werden (können), besteht die Wahrnehmung außerkörperlicher Dinge und ihrer Veränderungen ebenso in Gehirnprozessen wie die Wahrnehmung innerkörperlicher Dinge und ihrer Veränderungen.


Natürlich liegen sowohl äußeren Wahrnehmungen wie dem Sehen eines Baumes als auch inneren Wahrnehmungen (Empfindungen) wie dem Spüren eines Schmerzes in der Wade Nervenvorgänge zugrunde; aber der Unterschied besteht darin, dass erstens das Sein des Schmerzes im Gegensatz zum Sein des Baumes in seinem Wahrgenommenwerden, Empfundenwerden besteht und zweitens Schmerzen im Gegensatz zu Bäumen keine Dinge sind. Die Wahrnehmung eines Schmerzes in der Wade besteht genau genommen in der Wahrnehmung des Schmerzens der Wade, wobei man bestenfalls die Wade als ein Ding bezeichnen kann, aber nicht das Schmerzen der Wade.

Ascanius hat folgendes geschrieben:

Es liegt also in der Natur von Bewußtwerdungen, daß sie sich auf bereits Geschehenes beziehen. Außerdem sind die Reaktionszeiten neuronaler Systeme zu berücksichtigen, d.h. wir haben es mit gleich zwei Verzögerungen zu tun: Reiz -> Reaktion des Nervensystems -> Bewußtwerdung dieser Reaktion.


Natürlich dauert es einen Moment, bis der von einem, sagen wir, Muskelfaserriss in der Wade ausgelöste Nervenreiz mein Gehirn erreicht hat. Doch solange dieser zunächst rein physische Vorgang nicht in einen psychophysischen Vorgang umgewandelt ist, sind keine Schmerzen vorhanden. Denn zu einem Schmerz gehört notwendigerweise das unmittelbare Gespürtwerden seiner Schmerzhaftigkeit.

Ascanius hat folgendes geschrieben:

Nicht alles, was wir "erleben", wird uns auch bewußt, aber was uns bewußt wird, muß bereits geschehen sein.


Ich halte die Phrase "bewusstes Erleben" für redundant, weil nach meinem Verständnis Erleben per se bewusstes Erleben ist. (Man kann allerdings zwischen Widerfahrnissen und Erlebnissen unterscheiden; das heißt, nicht alles, was mir körperlich widerfährt, muss von mir auch erlebt werden. Ein Beispiel: Elefanten kommunizieren u.a. im Infraschallbereich miteinander. Solche niederfrequenten Schallwellen werden von meinem Körper zwar empfangen, aber nicht in Hörerlebnisse umgewandelt.)

Und mein Punkt ist, dass wenn Bewusstseinsvorgänge Nervenvorgänge sind, sie logischerweise gleichzeitig mit diesen ablaufen. Das bedeutet freilich nicht, dass vor und während meiner Empfindungen keine unempfundenen Nervenvorgänge ablaufen, die somit keine Bewusstseinsvorgänge sind.

Was nun beispielsweise das Wahrnehmen eines innerkörperlichen Ereignisses wie dem Reißen einer Muskelfaser in der Wade anbelangt, so finden dieses physische Ereignis und das mit "Spüren eines Schmerzes in der Wade" beschriebene psychische (psychophysische) Ereignis in der Tat nicht völlig gleichzeitig statt, da ja die Reizweiterleitung zum Gehirn und die Verarbeitung des Reizes im Gehirn eine gewisse kurze Zeit in Anspruch nehmen, bevor das Schmerzerlebnis einsetzt.
Aber bei allen relevanten Körperereignissen und -vorgängen vor dem Spüren des Schmerzes handelt es sich eben nicht um geistig-seelische, sondern um rein körperliche Ereignisse und Vorgänge.

Ascanius hat folgendes geschrieben:

Bezeichnenderweise hat noch niemand in diesem Thread eine zirkelschlußfreie und anwendbare Definition des "isolierten" Begriffes "Bewußtsein" vorgelegt. Wie auch in Diskussionen über "Gott" wird hier also ein Begriff strapaziert, dessen Bezugsobjekt unbenannt ist. Solche Diskussionen führen offensichtlich geradewegs nirgendwohin.


In der Fachliteratur findet sich eine Unterscheidung zwischen transitivem und intransitivem Bewusstsein:

"Transitive Consciousness. In addition to describing creatures as conscious in these various senses, there are also related senses in which creatures are described as being conscious of various things. The distinction is sometimes marked as that between transitive and intransitive notions of consciousness, with the former involving some object at which consciousness is directed (Rosenthal 1986)."
(http://plato.stanford.edu/entries/consciousness/#2.1)

Bewusstseinszustände haben freilich immer einen subjektiven Inhalt und insofern ist Bewusstsein immer Bewusstsein-von-etwas. Subjektiv inhaltsloses Erleben ist Nichterleben.

Und was die Definition bzw. Definierbarkeit des Bewusstseinsbegriffs betrifft, so arbeite ich mit Folgendem:

Ein Lebewesen hat oder ist bei Bewusstsein genau dann, wenn es für es irgendwie ist zu sein, es irgendetwas erlebt, ihm die Welt, sein In-der-Welt-Sein irgendwie erscheint.

"Trying to define conscious experience in terms of more primitive notions is fruitless. One might as well try to define 'matter' or 'space' in terms of something more fundamental. The best we can do is to give illustrations and characterizations that lie at the same level. These characterizations cannot qualify as true definitions, due to their implicitly circular nature, but they can help to pin down what is being talked about. I presume that every reader has conscious experiences of his or her own. If all goes well, these characterizations will help establish that it is just those that we are talking about.
The subject matter is perhaps best characterized as 'the subjective quality of experience.' When we perceive, think, and act, there is a whir of causation and information processing, but this processing does not usually go on in the dark. There is also an internal aspect; there is something it feels like to be a cognitive agent. This internal aspect is conscious experience. Conscious experiences range from vivid color sensations to experiences of the faintest background aromas; from hard-edged pains to the elusive experience of thoughts on the tip of one's tongue; from mundane sounds and smells to the encompassing grandeur of musical experience; from the triviality of a nagging itch to the weight of a deep existential angst; from the specificity of the taste of peppermint to the generality of one's experience of selfhood. All these have a distinct experienced quality. All are prominent parts of the inner life of the mind.
We can say that a being is conscious if there is something it is like to be that being, to use a phrase made famous by Thomas Nagel. Similarly, a mental state is conscious if there is something it is like to be in that mental state. To put it another way, we can say that a mental state is conscious if it has a qualitative feel—an associated quality of experience. These qualitative feels are also known as phenomenal qualities, or qualia for short. The problem of explaining these phenomenal qualities is just the problem of explaining consciousness. This is the really hard part of the mind-body problem."


(Chalmers, David J. The Conscious Mind: In Search of a Fundamental Theory. New York: Oxford University Press, 1996. p. 4)


Zuletzt bearbeitet von Myron am 06.04.2010, 00:54, insgesamt einmal bearbeitet

#235:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 06.04.2010, 00:51
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....
Mir scheint, das ganze Problem entsteht überhaupt nur dann, wenn die Naturwissenschaften den Anspruch erheben, alles hinreichend erklären zu können, die Wirklichkeit komplett abbilden zu können. Nur dann stellen sich diese ganzen Fragen. Verzichtet die Naturwissenschaft auf diesen Anspruch, sieht sie sich lediglich als einen Teil eines größeren Ganzen, das die Wirklichkeit ausmacht, für einen Teil der Erklärung der Wirklichkeit (sehr) nützlich ist, dann braucht man im Rahmen der Naturwissenschaft keine Erklärung mehr für alles zu fordern. Dann kann man eben sagen: 'dieser Teil der Wirklichkeit ist zurzeit nicht Gegenstand der Naturwissenschaften', (was dann aber nicht mehr automatisch bedeutet: das ist deswegen auch nicht wirklich).

Mit dieser Aussage habe ich überhaupt keine Schwierigkeiten - ein großer Teil unseres Streites beruht wahrscheinlich auf einer berufsbedingt anderen Wertung, wobei ich allerdings auch unter dieser Sicht bei einigen Aussagen Schwierigkeiten habe:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
...
Es geht ja übrigens nicht um einen Übergang von der 'Maschinenebene' zu 'Bewusstseinsebene', sondern eine von der 'Algorithmusebene' zur 'Bewusstseinsebene', (denn der Übergang von der 'Maschinenebene' zur 'Algorithmusebene' ist mE grundsätzlich erklärbar). ....

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....
Ja, was dann zu meiner Frage zurückführt: wie kommt das? wo ist der Zusammenhang des Erlebens zum physikalischen Zustand? wie kann man den zeigen / auf etwas Grundsätzliches zurückführen? wieso ist dieser Zusammenhang ein (naturgesetzlich) notwendiger? Warum so und nicht anders?.....

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
....Mir erscheint es geradezu selbstverständlich, dass 'Erleben' keine physikalische Kategorie ist. ....

Hier beißt sich nach meinem Empfinden etwas.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
...
Meine Frage richtet sich übrigens nicht nach dem 'wozu', sondern erst mal nach dem 'wie (funktioniert das, wie ist das erklärbar)'. ...

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....ich verwahre mich lediglich gegen die Behauptung, phänomenales Bewusstsein sei schon damit erklärt, dass man Gleichungen folgender Art aufstellt: Bewusstsein == sensorischer Input + Verarbeitung dieses Inputs + Erstellung eines Weltmodells + Erstellung eines Selbstmodelles + bestimmte Reaktionen.

Ich meine, das erklärt die wesentliche Frage aber nicht, das berührt sie noch nicht einmal. .....

Hier ist jetzt kein interner Widerspruch bei dir, aber deutlicher zu mir, wahrscheinlich auch zu step. Für mich geht es hier immer noch um den evolutiven Vorteil dieser Veranstaltung, die wir Bewusstsein nennen und das ist zwangläufig zuerst die Frage wozu. Ein näheres Verständnis des Wie ist dazu zunächst nicht nötig, genauso wie es nicht notwendigerweise so ist, dass dieses Wie bei Vögeln und Säugern - bei beiden gibt es Formen, bei denen wir von Bewusstsein ausgehen - identisch ist. Die Evolution tranportiert die Funktion, den Nutzen, wenn er existiert; das Wie ist nicht unbedingt identisch, es gibt auch soetwas wie Konvergenz. Insekten, Spinnen, Vögel und Säuger habe alle das Fliegen gelernt, aber diese Entwicklungen erfolgten unabhängig voneinander und benutzten z.T. sehr unterschiedliche Techniken.

Was allerdings aus der Sicht eines Naturwissenschaftlers nötig ist, ist eine Definition oder zumindest Einengung dieses Begriffes, damit wir überhaupt wissen, worüber wir uns unterhalten - und aus dieser Sicht wäre es mir ziemlich egal, ob nun irgend ein Philosoph kommt und sich dagegen verwahrt. Aus dieser Zunft bin ich es im Zweifelsfall sogar gewöhnt, dass für einen Begriff, den alle benutzen x autorenspezifische Definitionen unterwegs sind, die sich in zentralen Punkten alle widersprechen. Die Existenzbegründung der Naturwissenschaft sieht anders aus. Außerdem solltzest Du eine Definition oder Einengung des Untersuchungsgegenstandes nicht mit einer Erklärung verwechseln. Und was das Wesentliche eines Gegenstandes ist, entscheiden weniger Personen als Blickrichtungen.

fwo

#236:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 06.04.2010, 08:22
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....ich verwahre mich lediglich gegen die Behauptung, phänomenales Bewusstsein sei schon damit erklärt, dass man Gleichungen folgender Art aufstellt: Bewusstsein == sensorischer Input + Verarbeitung dieses Inputs + Erstellung eines Weltmodells + Erstellung eines Selbstmodelles + bestimmte Reaktionen.

Ich meine, das erklärt die wesentliche Frage aber nicht, das berührt sie noch nicht einmal. .....


Hier ist jetzt kein interner Widerspruch bei dir, aber deutlicher zu mir, wahrscheinlich auch zu step. Für mich geht es hier immer noch um den evolutiven Vorteil dieser Veranstaltung, die wir Bewusstsein nennen und das ist zwangläufig zuerst die Frage wozu. Ein näheres Verständnis des Wie ist dazu zunächst nicht nötig, genauso wie es nicht notwendigerweise so ist, dass dieses Wie bei Vögeln und Säugern - bei beiden gibt es Formen, bei denen wir von Bewusstsein ausgehen - identisch ist. Die Evolution tranportiert die Funktion, den Nutzen, wenn er existiert; das Wie ist nicht unbedingt identisch, es gibt auch soetwas wie Konvergenz. Insekten, Spinnen, Vögel und Säuger habe alle das Fliegen gelernt, aber diese Entwicklungen erfolgten unabhängig voneinander und benutzten z.T. sehr unterschiedliche Techniken.


Ganz genau! Bewusstsein könnte theoretisch durch ganz unterschiedliche "Vorrichtungen" zustande kommen und es kann vielleicht auch verschiedene Arten von Bewusstsein geben, nicht bloß verschiedene Grade.

Die Frage des "Wie" erweitert sich also tatsächlich zu einer Frage des "Warum". Ein "Wozu" finde ich ebenfalls zu kurz gehupft, weil es in der Evolution letztlich keine Zwecke gibt, sondern tatsächlich bloß Entwicklungsformen, die durch ihre Entwicklung in Wechselwirkung mit der Umwelt in der Zeit erklärt werden können und auch müssen.

Denn selbst, wenn man einen Zweck setzt (- "wozu"? -), so kann ja derselbe Zweck eben auch durch ganz unterschiedliche Entwicklungen erreicht werden, also durch ein Bewusstsein ebenso wie auch durch ein Nicht-Bewusstsein.

Eine "Warum"-Frage stellt immer die Frage nach den Bedingungen, den notwendigen und den hinreichenden. Eine "Wie"-Frage dagegen guckt sozusagen ex post, so als wenn schon in den ursprünglichen Ausgangsbedingungen der aktuelle Punkt der Entwicklung angelegt war. War er aber ex ante nicht unbedingt.

fwo hat folgendes geschrieben:
Was allerdings aus der Sicht eines Naturwissenschaftlers nötig ist, ist eine Definition oder zumindest Einengung dieses Begriffes, damit wir überhaupt wissen, worüber wir uns unterhalten - und aus dieser Sicht wäre es mir ziemlich egal, ob nun irgend ein Philosoph kommt und sich dagegen verwahrt. Aus dieser Zunft bin ich es im Zweifelsfall sogar gewöhnt, dass für einen Begriff, den alle benutzen x autorenspezifische Definitionen unterwegs sind, die sich in zentralen Punkten alle widersprechen. Die Existenzbegründung der Naturwissenschaft sieht anders aus. Außerdem solltzest Du eine Definition oder Einengung des Untersuchungsgegenstandes nicht mit einer Erklärung verwechseln. Und was das Wesentliche eines Gegenstandes ist, entscheiden weniger Personen als Blickrichtungen.


Vielleicht sollte man auch mal gucken, was es bereits an wissenschaftlichen und philosophischen Ansätzen und Debatten gibt. Ohne richtige Interpretation der Fakten geht es nicht. Die Hirnforschung allerdings zeichnet sich meist durch eine schlechte Interpretation ihrer gewonnenen Fakten aus, das heisst also, durch eine schlechte Philosophie. Aber das soll nicht das Problem sein. Die Fakten können ja immer noch besser interpretiert werden als bisher. Und sicher brauchen wir auch noch mehr davon.

Aber schwierig ist es schon, das Subjektive objektiv zu bestimmen, weil es halt eine teilnehmende Beobachtung ist ...-

Skeptiker

#237:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 06.04.2010, 11:07
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Ich halte die Phrase "bewusstes Erleben" für redundant, weil nach meinem Verständnis Erleben per se bewusstes Erleben ist.

Es ist jedoch bekannt, daß auch komplexe Wahrnehmungen unbewußt verarbeitet werden und dennoch die "geistig-seelische" Verfassung beeinflussen.

Myron hat folgendes geschrieben:
Und was die Definition ... des Bewusstseinsbegriffs betrifft, so arbeite ich mit Folgendem:

Ein Lebewesen hat oder ist bei Bewusstsein genau dann, wenn es für es irgendwie ist zu sein, es irgendetwas erlebt, ihm die Welt, sein In-der-Welt-Sein irgendwie erscheint.

Damit implizierst Du ja ein rudimentäres Selbstmodell. Würdest Du daher auch sagen, daß jedes beliebige Etwas, das ein rudimentäres Selbstmodell ausbildet mit Wahrnehmungen assoziiert, Bewußtsein hat? Wenn nein, warum nicht?

#238:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 06.04.2010, 19:34
    —
step hat folgendes geschrieben:

Es ist jedoch bekannt, daß auch komplexe Wahrnehmungen unbewußt verarbeitet werden und dennoch die "geistig-seelische" Verfassung beeinflussen.


Ich bestreite nicht, dass auch unbewusste Wahrnehmungen vorkommen, d.i. Empfangungen und Verarbeitungen von Sinnesreizen, die nicht mit entsprechenden Empfindungen einhergehen. (Stichwort "Blindsicht")

step hat folgendes geschrieben:

Myron hat folgendes geschrieben:

Ein Lebewesen hat oder ist bei Bewusstsein genau dann, wenn es für es irgendwie ist zu sein, es irgendetwas erlebt, ihm die Welt, sein In-der-Welt-Sein irgendwie erscheint.

Damit implizierst Du ja ein rudimentäres Selbstmodell. Würdest Du daher auch sagen, daß jedes beliebige Etwas, das ein rudimentäres Selbstmodell ausbildet mit Wahrnehmungen assoziiert, Bewußtsein hat? Wenn nein, warum nicht?


Bewusstsein ist bekanntlich nicht gleich Selbstbewusstsein. Das heißt, ich setze nicht voraus, dass ein bewusstes Lebewesen fähig ist, sich in Abgrenzung von seiner Umwelt ein begriffliches oder sprachliches Bild von sich selbst zu machen. Allerdings scheint die Grundfähigkeit zur Selbst/Fremd-Unterscheidung in tierischen Organismen bereits auf der rein physiologischen Ebene vorhanden zu sein. (Stichwort "Immunsystem").
Ein bewusstes Lebewesen muss ein gewisses Selbstinteresse, d.h. ein Interesse am eigenen Fortbestand und Überleben haben, wobei dieses bei den einfachsten bewussten Tieren noch ein reiner Selbsterhaltungstrieb ist. Das heißt, es muss imstande sein, Sinnesreize positiv oder negativ zu bewerten und sein Verhalten entsprechend anzupassen. Eine in der Sonne liegende Eiskugel kann das nicht, sie schmilzt einfach langsam dahin. Dagegen kann ein Tier, das merkt, dass die Sonneneinstrahlung zu intensiv wird und sich somit negativ auf seinen Körper auszuwirken beginnt, sich einfach an einen kühleren Platz begeben und damit seiner Vernichtung entgehen.


Zuletzt bearbeitet von Myron am 06.04.2010, 20:08, insgesamt einmal bearbeitet

#239:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 06.04.2010, 19:48
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Es ist jedoch bekannt, daß auch komplexe Wahrnehmungen unbewußt verarbeitet werden und dennoch die "geistig-seelische" Verfassung beeinflussen.
Ich bestreite nicht, dass auch unbewusste Wahrnehmungen vorkommen, d.i. Empfangungen und Verarbeitungen von Sinnesreizen, die nicht mit entsprechenden Empfindungen einhergehen. (Stichwort "Blindsicht")

Dann sind diese nach Deiner Definition keine Erlebnisse? Hast Du dann nicht "Erlebnis" und "Bewußtsein" wechselseitig definiert?

Myron hat folgendes geschrieben:
Dagegen kann ein Tier, das merkt, dass die Sonneneinstrahlung zu intensiv wird und sich somit negativ auf seinen Körper auszuwirken beginnt, sich einfach an einem kühleren Platz begeben und damit seiner Vernichtung entgehen.

Sehe ich ebenso. Wobei das eben auch ein Regenwurm bereits kann. Und was ist mit einem Prozessor, der sich bei Überhitzung heruntertaktet?

#240:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 06.04.2010, 20:31
    —
step hat folgendes geschrieben:

Dann sind diese nach Deiner Definition keine Erlebnisse?


Fälle von Blindsicht stellen in der Tat keine Erlebnisse, keine Bewusstseinsereignisse dar.

step hat folgendes geschrieben:

Hast Du dann nicht "Erlebnis" und "Bewußtsein" wechselseitig definiert?


"Erlebnis" ist für mich der grundlegende Begriff: Man hat Bewusstsein, weil man Erlebnisse hat, d.i. Empfindungen, Gefühle, Stimmungen, Gedanken oder Vorstellungen.

step hat folgendes geschrieben:

Und was ist mit einem Prozessor, der sich bei Überhitzung heruntertaktet?


Wahrnehmungen (Reizempfangungen und -verarbeitungen) und Anpassungsverhalten finden sich tatsächlich auch bei bewusstseinslosen Maschinen. Das heißt, das behavioristische Schema Reiz –> Black Box –> Reaktion lässt sich verallgemeinert auch auf Prozessoren anwenden, was bedeutet, dass es zur Definition des Bewusstseinsbegriffs ungeeignet ist. Denn was einen Prozessor oder einen Thermostat von bewusstseinsbegabten Dingen unterscheidet, ist eben, dass die Welt zwar in ihnen wirkt, aber darin nicht für sie in Erscheinung tritt, zum Vorschein kommt. Sie sind da und nehmen aktiv an Geschehnissen teil, aber sie erleben dabei nichts und sind somit keine Subjekte. (Die Panpsychisten werden das natürlich bestreiten.)


Zuletzt bearbeitet von Myron am 06.04.2010, 20:47, insgesamt einmal bearbeitet

#241:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 06.04.2010, 20:46
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
... Denn was einen Prozessor oder einen Thermostat von bewusstseinsbegabten Dingen unterscheidet, ist eben, dass die Welt zwar in ihnen wirkt, aber darin nicht für sie in Erscheinung tritt, zum Vorschein kommt. Sie sind da und nehmen aktiv an Geschehnissen teil, aber sie erleben dabei nichts und sind somit keine Subjekte.

Das bedeutet aber, daß das zuvor von Dir genannte Kriterium, nämlich

Myron hat folgendes geschrieben:
... Sinnesreize positiv oder negativ zu bewerten und sein Verhalten entsprechend anzupassen ...

nicht wesentlich für Bewußtsein wäre, da ein Wesen dazu keine Erlebnisfähigkeit in Deinem Sinne benötigt.

Woher weißt Du übrigens, daß die Welt für ein komplexeres Reiz-Reaktions-Wesen, etwa einen Regenwurm oder einen lernfähigen Computer, nicht "in Erscheinung tritt"? Immerhin bilden beide ja ein rudimentäres Modell ihrer Umwelt und ihres eigenen Zustands aus. Schließt Du es aus der vollständigen Kenntnis seiner Funktionen? Oder daraus, daß er nicht über sich spricht? Oder ...?

#242:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 06.04.2010, 21:53
    —
step hat folgendes geschrieben:

Das bedeutet aber, daß das zuvor von Dir genannte Kriterium, nämlich
Myron hat folgendes geschrieben:
... Sinnesreize positiv oder negativ zu bewerten und sein Verhalten entsprechend anzupassen ...

nicht wesentlich für Bewußtsein wäre, da ein Wesen dazu keine Erlebnisfähigkeit in Deinem Sinne benötigt.


Die Frage ist, ob ein Prozessor oder ein Thermostat aus einem ihm innewohnenden Selbstinteresse heraus irgendetwas für sich positiv oder negativ bewertet, da sich solche Geräte ihres Daseins ja gar nicht bewusst sind. Die Antwort muss also nein lauten.
Die Moral von der Geschichte ist jedoch, dass Wahrnehmungs- und Verhaltenskontrollmechanismen auch ohne Bewusstsein, ohne Erleben funktionieren können.


step hat folgendes geschrieben:

Woher weißt Du übrigens, daß die Welt für ein komplexeres Reiz-Reaktions-Wesen, etwa einen Regenwurm oder einen lernfähigen Computer, nicht "in Erscheinung tritt"?


Wir haben es hier mit zwei unterschiedlichen Fragen zu tun:

1. Was bedeutet es zu sagen, dass ein Gegenstand bei Bewusstsein ist?

2. Woran kann man (als Außenstehender) erkennen, ob ein Gegenstand bei Bewusstsein ist?

Die zweite Frage wird sich wohl in vielen Fällen nicht oder nur unzureichend beantworten lassen.

#243:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 06.04.2010, 22:13
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Die Moral von der Geschichte ist jedoch, dass Wahrnehmungs- und Verhaltenskontrollmechanismen auch ohne Bewusstsein, ohne Erleben funktionieren können.

Dann aber auch "... Sinnesreize positiv oder negativ zu bewerten und sein Verhalten entsprechend anzupassen ...".

Myron hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Woher weißt Du übrigens, daß die Welt für ein komplexeres Reiz-Reaktions-Wesen, etwa einen Regenwurm oder einen lernfähigen Computer, nicht "in Erscheinung tritt"?
Wir haben es hier mit zwei unterschiedlichen Fragen zu tun:

1. Was bedeutet es zu sagen, dass ein Gegenstand bei Bewusstsein ist?

2. Woran kann man (als Außenstehender) erkennen, ob ein Gegenstand bei Bewusstsein ist?

Die zweite Frage wird sich wohl in vielen Fällen nicht oder nur unzureichend beantworten lassen.

Dann erscheint es aber umso fragwürdiger, für (1.) eine Definition anzugeben, die nicht operationalisierbar ist.

#244:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 06.04.2010, 22:40
    —
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Blackmore S., Conversations on Consciousness, p.151

Zitat:
Thomas [Metzinger] It is certainly true that conscious experiences can take place in individual models of reality, in individual brains, and from an individual first person perspective. The question ist whether you can generate a real, deep mystery out of that fact. And the deeper question ist, what the hell is a self, an what actually is a first person perspective? I would argue it is a very, very specific kind of representational structure, a way in which brains depict a world as a centred world, as a world that's centred around a self, an which has proved to be adaptive, biologically successful. That's what generates the problem.

Related to that, I don't think there is a principled explanatory gap between the brain and conscious experience, but there may indeed be something like an intelligibility gap. It may be that even if we have a satisfactory theory of consciousness, this theory is not intuitively plausible to us, and we cannot consciously experience the truth of that theory.

[kurz: Gegenwärtige physikalische Theorien sind auch nicht intuitiv plausibel und werden dennoch akzeptiert.]

On the other hand, everybody thinks a theory of consciousness has to give you some intuitive insight into the phenomenon. But nobody ever said that a theory about a phenomenon should recreate the phenomenon - so for instance, a theory about bat consciousness an the sensory qualities of bats does not have to create that consciousness for people who read that theory in books later on. This is just a false criterion for what would be a good theory about consciousness.

Ich bin hier übrigens völlig mit Metzinger einig, insbesondere mit dem zweiten Abschnitt.

Hm, naja, dann fragt sich halt, was man unter einer 'Erklärung' versteht, was die beinhalten muss und inwiefern sich das von einer 'Theorie' unterscheidet.

'A very, very specific kind of representational structure' ist jedenfalls noch keine Erklärung und ob das schon eine Theorie ist, bezweifle ich auch.

Ob es eine 'prinzipielle' Erklärungslücke ist, ist auch nicht die Frage, denn man kann ja schlicht die Ansicht vertreten, dass, nur weil heute etwas nicht erklärbar ist, das nicht bedeuten muss, dass es prinzipiell nicht (-> niemals) zu erklären ist.

Aber, nun gut, wie auch immer, es gibt diese Erklärungslücke. Mehr sage ich ja auch nicht. Und dass ich es merkwürdig finde, das zu leugnen oder einfach zu behaupten, man hätte bereits eine gute Theorie diesbezüglich. Denn die gibt es mW nicht.

Eine Erklärung muss ja auch nicht intuitiv direkt verständlich sein, die kann auch kompliziert mathematisch sein. Der Punkt ist lediglich, das diese Erklärung eine Zurückführung auf grundlegende Eigenschaften der Welt leisten muss, wie auch immer, falls man es für reduzierbar hält. Oder man erklärt das phänomenale Bewusstsein zu einer solchen grundlegenden Eigenschaft, die nicht weiter reduzierbar ist. Aber so oder so: das muss man begründen, man kann das nicht einfach mal schnell lediglich behaupten.

Fragt sich bei diesem Text auch, inwiefern er meint, dass Bewusstsein 'biologically successful' sei, was das genau bedeuten könnte, welche Auswirkungen also ein Bewusstsein hat und wie man die belegen könnte.

#245:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 06.04.2010, 22:49
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
...
Es geht ja übrigens nicht um einen Übergang von der 'Maschinenebene' zu 'Bewusstseinsebene', sondern eine von der 'Algorithmusebene' zur 'Bewusstseinsebene', (denn der Übergang von der 'Maschinenebene' zur 'Algorithmusebene' ist mE grundsätzlich erklärbar). ....

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....
Ja, was dann zu meiner Frage zurückführt: wie kommt das? wo ist der Zusammenhang des Erlebens zum physikalischen Zustand? wie kann man den zeigen / auf etwas Grundsätzliches zurückführen? wieso ist dieser Zusammenhang ein (naturgesetzlich) notwendiger? Warum so und nicht anders?.....

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
....Mir erscheint es geradezu selbstverständlich, dass 'Erleben' keine physikalische Kategorie ist. ....

Hier beißt sich nach meinem Empfinden etwas.

Inwiefern?

fwo hat folgendes geschrieben:
Für mich geht es hier immer noch um den evolutiven Vorteil dieser Veranstaltung, die wir Bewusstsein nennen und das ist zwangläufig zuerst die Frage wozu. Ein näheres Verständnis des Wie ist dazu zunächst nicht nötig, genauso wie es nicht notwendigerweise so ist, dass dieses Wie bei Vögeln und Säugern - bei beiden gibt es Formen, bei denen wir von Bewusstsein ausgehen - identisch ist. Die Evolution tranportiert die Funktion, den Nutzen, wenn er existiert; das Wie ist nicht unbedingt identisch, es gibt auch soetwas wie Konvergenz. Insekten, Spinnen, Vögel und Säuger habe alle das Fliegen gelernt, aber diese Entwicklungen erfolgten unabhängig voneinander und benutzten z.T. sehr unterschiedliche Techniken.

Wozu also ist Bewusstsein Deiner Ansicht nach gut / nützlich, was kann ein System mit Bewusstsein notwendigerweise mehr leisten als ein System ohne Bewusstsein? Und wieso, woran liegt das, wie kann diese Notwendigkeit begründet werden, woraus ergibt sich diese Mehrleistung eines bewussten Systemes gegenüber einem unbewussten System, welche Rolle genau spielt das Bewusstsein dabei, inwiefern garantiert sie die Überlegenheit des bewussten Systemes?

#246:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 07.04.2010, 03:51
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
...
Es geht ja übrigens nicht um einen Übergang von der 'Maschinenebene' zu 'Bewusstseinsebene', sondern eine von der 'Algorithmusebene' zur 'Bewusstseinsebene', (denn der Übergang von der 'Maschinenebene' zur 'Algorithmusebene' ist mE grundsätzlich erklärbar). ....

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....
Ja, was dann zu meiner Frage zurückführt: wie kommt das? wo ist der Zusammenhang des Erlebens zum physikalischen Zustand? wie kann man den zeigen / auf etwas Grundsätzliches zurückführen? wieso ist dieser Zusammenhang ein (naturgesetzlich) notwendiger? Warum so und nicht anders?.....

......
Hier beißt sich nach meinem Empfinden etwas.

Inwiefern?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
...
Es geht ja übrigens nicht um einen Übergang von der 'Maschinenebene' zu 'Bewusstseinsebene', .... ....

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....
....wo ist der Zusammenhang des Erlebens zum physikalischen Zustand? .....

Für mein Gefühl stellst Du im zweiten die Frage, die Du im ersten zu stellen verneinst

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

fwo hat folgendes geschrieben:
Für mich geht es hier immer noch um den evolutiven Vorteil dieser Veranstaltung, die wir Bewusstsein nennen und das ist zwangläufig zuerst die Frage wozu. Ein näheres Verständnis des Wie ist dazu zunächst nicht nötig, genauso wie es nicht notwendigerweise so ist, dass dieses Wie bei Vögeln und Säugern - bei beiden gibt es Formen, bei denen wir von Bewusstsein ausgehen - identisch ist. Die Evolution tranportiert die Funktion, den Nutzen, wenn er existiert; das Wie ist nicht unbedingt identisch, es gibt auch soetwas wie Konvergenz. Insekten, Spinnen, Vögel und Säuger habe alle das Fliegen gelernt, aber diese Entwicklungen erfolgten unabhängig voneinander und benutzten z.T. sehr unterschiedliche Techniken.

Wozu also ist Bewusstsein Deiner Ansicht nach gut / nützlich, was kann ein System mit Bewusstsein notwendigerweise mehr leisten als ein System ohne Bewusstsein? Und wieso, woran liegt das, wie kann diese Notwendigkeit begründet werden, woraus ergibt sich diese Mehrleistung eines bewussten Systemes gegenüber einem unbewussten System, welche Rolle genau spielt das Bewusstsein dabei, inwiefern garantiert sie die Überlegenheit des bewussten Systemes?

Ganz kurz: Bewusstsein verlagert das das für jeden Organismus nötige Wissen über die Welt aus der Genetik in den Bereich individuellen Lernens. Das macht die Reaktionen gegenüber stammesgeschichtlich "bekannten" Bedingungen nicht unbedingt besser, aber ermöglicht erheblich flexiblere Antworten auf sich ändernde Bedingungen - sowohl während eines Einzellebens als auch für die Art.

fwo

#247:  Autor: TestirossiWohnort: jwd BeitragVerfasst am: 07.04.2010, 13:06
    —
Das "Problem" des Bewusstseins würde sich wahrscheinlich ganz von selbst zu lösen, wenn man eine brauchbare Definition von Bewusstsein finden könnte.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Zum 'definierbar', bzw. zur Beschreibung dessen, was mit 'phänomenalem Bewusstsein' gemeint ist, nochmal der Link von oben: Thomas Metzinger - Das Problem des Bewusstseins

Auszug aus obigem Link hat folgendes geschrieben:
... Kann man sich überhaupt vorstellen, daß so etwas wie bewußtes Erleben auf der Grundlage physikalischer Vorgänge entstehen konnte? Sind subjektives Empfinden und das Entstehen einer Innenperspektive überhaupt als Bestandteil der natürlichen Ordnung der Dinge denkbar - oder werden wir an dieser Stelle mit einem endgültigen Mysterium konfrontiert, mit einem weißen Fleck auf der Landkarte des wissenschaftlichen Weltbildes, der vielleicht aus prinzipiellen Gründen immer ein weißer Fleck bleiben muß? ...
(Fett von mir)


Bewusstsein besteht vielleicht in dem Augenblick, in dem man sich des eigenen Seins geistig voll klar ist. Das geschieht bei mir im Schnitt wohl nicht öfter als 1x pro Woche. Cool
Östliche Religionen nennen diesen Zustand der völligen Bewusstheit auch Achtsamkeit.
Nicht zu verwechseln mit dem gefühlten Zentrum des eigenen Seins, das wir mit der Quelle unserer Sinnesempfindungen gleichsetzen.
Könnte man ein Gehirn aus dem Schädel nehmen und, ohne die Nervenbahnen und die Blutgefässe zu unterbrechen, in einen Nährtank verfrachten, dann würde unser Versuchskaninchen immer noch seinen alten Körper als Sitz seines "Bewusstseins" behaupten, obwohl es sich längst nicht mehr in jenem Körper befindet.

Der Begriff "Bewusstsein" scheint eine neuere Kreation zu sein, denn weder die alten Hebräer, noch die alten Griechen hatten dafür einen Begriff.
Im Hebräischen klingt eines der beiden Wörter für Bewusstsein nach Verstand "(Torah oder so ähnlich), das andere nach Absonderung und Vertragsbruch (Hafah oder so).
Letzteres spielt wohl auf den "Vertragsbruch" an, den der Mensch gegen seinen Schöpfer beging, als er von der Frucht des Baumes der Erkenntnis naschte und somit eine Art von Bewusstsein erhielt.

Die alten Griechen kannten dafür ebenfalls keinen eigenen Begriff. In heutigen Wörterbüchern ist es lediglich als Nebenbedeutung aufgeführt, bei 2 Wörtern mit Syn(zusammen)-irgendwas und dem Phren, der eigentlich Verstand bedeutet.

Lediglich die Lateiner haben wohl ein entsprechendes Wort "con-scientia" (Zusammenwissen) benutzt, das noch heute im Englischen für Bewusstsein gebraucht wird (anscheinend gab es dafür kein traditionelles Wort und man musste sich mit Latein behelfen).

In allen Fällen wird Bewusstsein jedoch als Verstandesleistung gesehen. Persönlich fasse ich den Begriff allerdings, wie oben erwähnt, etwas enger, nämlich mit einer in diesem Augenblick seiner Existenz (und seines Handelns) völlig bewussten Person.

Dieser Zustand tritt im Alltag m.E. sehr selten ein und er fehlt gewöhnlich beim Träumen (obwohl das "Ich-Gefühl" im Traum weiter besteht).

Von diesem Zustand völliger "Bewusstheit", d.h. der Reflexion des eigenen Seins und des eigenen momentanen (oder generellen) Systemzustandes ist das "Ich-Gefühl", das Gefühl, in seinem Körper zu wohnen, seine Wahrnehmungen wahrzunehmen und evtl. Schmerzen zu leiden ( = "Qualia"?), zu scheiden.
Denn wahrscheinlich identifiziert sich jeder Regenwurm mit seinen Wahrnehmungen und folgt dem inneren Drang und den äusseren Reizen. Ein Bewusstsein würde ich ihm jedoch (noch) nicht zugesehen, da es ihm dazu an Verstand fehlt.
Ob Affen oder Delfine ein Bewusstsein besitzen, d.h. ob sie ihre Existenz reflektieren, ist schwer zu überprüfen.

Mit seiner Definition lässt sich auch entscheiden, ob "Maschinen" ein Bewusstsein besitzen können.
Meiner Meinung nach können sie das, denn sie könnten im Prinzip - bei geeigneter Wahl der Soft- und Hardware - auch ihr eigenes Dasein erkennen und darüber Betrachtungen anstellen. Denn letztlich lässt sich auch der Mensch auf eine Art von "Biomaschine" reduzieren. Diese Biomaschine hat allerdings grösseren Einfluss auf ihre "Aussenwelt", als die Wissenschaft ihr heute zugesteht, sieht man einmal von dem Modell der "Reduzierung der Wahrscheinlichkeitswelle durch Beobachtung“ u.ä. ab.


o.t.:

Myron hat folgendes geschrieben:
Im Falle einer Illusion sieht ein realer Gegenstand anders aus, als er ist. Das bedeutet aber nicht, dass ich nicht den Gegenstand selbst direkt wahrnehme.
Ich sehe in Wirklichkeit nicht das Bild eines geknickten Bleistifts, sondern den scheinbar geknickten Bleistift selbst.


ein witziges Bild: man stellt einen Menschen einfach in einen durchsichtigen Wasserbehälter und an der Grenzlinie Wasser/Luft kann man dann dessen Inneres betrachten - völlig unblutig ganz ohne Röntgen und aufwendige Kernspintechnik - ist das Verfahren schon patentiert?

#248:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 07.04.2010, 15:49
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wozu also ist Bewusstsein Deiner Ansicht nach gut / nützlich, was kann ein System mit Bewusstsein notwendigerweise mehr leisten als ein System ohne Bewusstsein? Und wieso, woran liegt das, wie kann diese Notwendigkeit begründet werden, woraus ergibt sich diese Mehrleistung eines bewussten Systemes gegenüber einem unbewussten System, welche Rolle genau spielt das Bewusstsein dabei, inwiefern garantiert sie die Überlegenheit des bewussten Systemes?

Ganz kurz: Bewusstsein verlagert das das für jeden Organismus nötige Wissen über die Welt aus der Genetik in den Bereich individuellen Lernens. Das macht die Reaktionen gegenüber stammesgeschichtlich "bekannten" Bedingungen nicht unbedingt besser, aber ermöglicht erheblich flexiblere Antworten auf sich ändernde Bedingungen - sowohl während eines Einzellebens als auch für die Art.

Natürlich ist ein festverdrahtetes System weniger flexibel als eines, das auf geänderte Bedingungen reagieren kann, indem es seinen sensorischen Input filtert, verarbeitet, speichert und sich so neue Zusammenhänge und neue Verhaltensmuster daraus ergeben, die wiederum mit den späteren sensorischen Inputs abgeglichen, justiert und weiterentwickelt werden, usw. Ein dynamisches, selbstorganisierendes, selbstreferentielles System halt. (Wobei man übrigens in der Biologie auch eine ganze Art als System betrachten könnte, die dann auf gewisse Weise auch ein dynamisches System darstellt - z.B. Zugvögel, die sich als Art schnell an geänderte Klima-Verhältnisse anpassen können.)

So weit, so gut. Nur: an welcher Stelle kommt nun dabei Bewusstsein als notwendige Komponente ins Spiel?

#249:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 07.04.2010, 15:57
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
....
So weit, so gut. Nur: an welcher Stelle kommt nun dabei Bewusstsein als notwendige Komponente ins Spiel?

Sieh weiter vorne im Thread nach. Bewusstsein ist keine boolsche Variable - das kommt schleichend. Das ist nicht sofort die Luxusversion der Hominiden die über die Fähigkeit einer anstrakten Sprache verfügt, in der als Kultur auch wieder kollektives Wissen individuell verfügbar gemacht wird. Nimm dir das Beispiel Hund. Dann hast Du en Bewusstsein, das ansatzmäßig auch bereits im Programm simulierbar ist. Und wod Du das Problem nicht hast, dass Du weißt, wie es sich anfühlt.

fwo

#250:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 07.04.2010, 16:15
    —
Nochmal: ein dynamisches, selbstorganisierendes System mag evolutionäre Vorteile gegenüber einem starren (biologisch: ein durch die Gene gesteuertes) System haben und es kann somit auf evolutionäre Mechanismen zurückgeführt werden, wie dynamische Systeme entstanden sind.

Aber das ist ja keine Erklärung für Bewusstsein (bzw. für die Funktion von Bewusstsein), solange es keinen ersichtlichen Zusammenhang zwischen einem dynamischen System und Bewusstsein gibt, den Du hier anscheinend unhinterfragt einfach voraussetzt. Aber um diesen Zusammenhang geht es ja gerade.

#251:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 07.04.2010, 23:05
    —
step hat folgendes geschrieben:

Dann erscheint es aber umso fragwürdiger, für (1.) eine Definition anzugeben, die nicht operationalisierbar ist.


Tja, das Problem liegt hier in der Natur der Sache, d.h. in der irreduziblen Subjektivität der Bewusstseinsinhalte.

#252:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 07.04.2010, 23:31
    —
Testirossi hat folgendes geschrieben:
Das "Problem" des Bewusstseins würde sich wahrscheinlich ganz von selbst zu lösen, wenn man eine brauchbare Definition von Bewusstsein finden könnte.


"Trying to define conscious experience in terms of more primitive notions is fruitless. One might as well try to define 'matter' or 'space' in terms of something more fundamental. The best we can do is to give illustrations and characterizations that lie at the same level. These characterizations cannot qualify as true definitions, due to their implicitly circular nature, but they can help to pin down what is being talked about. I presume that every reader has conscious experiences of his or her own. If all goes well, these characterizations will help establish that it is just those that we are talking about.
The subject matter is perhaps best characterized as 'the subjective quality of experience.' When we perceive, think, and act, there is a whir of causation and information processing, but this processing does not usually go on in the dark. There is also an internal aspect; there is something it feels like to be a cognitive agent. This internal aspect is conscious experience. Conscious experiences range from vivid color sensations to experiences of the faintest background aromas; from hard-edged pains to the elusive experience of thoughts on the tip of one's tongue; from mundane sounds and smells to the encompassing grandeur of musical experience; from the triviality of a nagging itch to the weight of a deep existential angst; from the specificity of the taste of peppermint to the generality of one's experience of selfhood. All these have a distinct experienced quality. All are prominent parts of the inner life of the mind.
We can say that a being is conscious if there is something it is like to be that being, to use a phrase made famous by Thomas Nagel. Similarly, a mental state is conscious if there is something it is like to be in that mental state. To put it another way, we can say that a mental state is conscious if it has a qualitative feel—an associated quality of experience. These qualitative feels are also known as phenomenal qualities, or qualia for short. The problem of explaining these phenomenal qualities is just the problem of explaining consciousness. This is the really hard part of the mind-body problem."
———
"Der Versuch, bewusstes Erleben durch einfachere Begriffe zu definieren, ist fruchtlos. Man könnte genauso gut versuchen, 'Materie' oder 'Raum' durch etwas Grundlegenderes zu definieren. Wir können bestenfalls Veranschaulichungen und Beschreibungen bieten, die auf derselben Ebene liegen. Diese Beschreibungen können nicht als eigentliche Definitionen gelten, da sie implizit zirkulär sind, aber sie können dabei helfen, dasjenige einzukreisen, worüber gesprochen wird. Ich nehme an, dass jeder Leser seine eigenen bewussten Erlebnisse hat. Wenn alles gut geht, dann werden diese Beschreibungen dabei helfen klarzumachen, dass es ebenjene sind, worüber wir sprechen.
Die vielleicht beste Beschreibung des Themas ist 'die subjektive Qualität des Erlebens'. Wenn wir wahrnehmen, denken und handeln, gibt es ein Gewimmel von Verursachungen und Informationsverarbeitungen, aber diese Verarbeitungen laufen üblicherweise nicht im Dunklen ab. Es gibt auch einen inneren Aspekt; es fühlt sich irgendwie an, ein kognitiver Akteur zu sein. Dieser innere Aspekt ist das bewusste Erleben. Bewusste Erlebnisse reichen von starken Farbempfindungen bis hin zu den schwächsten Hintergrunddüften; von heftigen Schmerzen bis hin zum flüchtigen Erleben von Gedanken, die einem auf der Zunge liegen; von alltäglichen Geräuschen und Gerüchen bis hin zur einnehmenden Erhabenheit von Musikerlebnissen; von der Belanglosigkeit eines quälenden Juckens bis hin zur Bedeutsamkeit einer tief sitzenden Lebensangst; von der Besonderheit des Geschmacks von Pfefferminz bis hin zur Allgemeinheit des Erlebens seines Selbstes. All das besitzt eine eigentümliche Erlebnisqualität. All das ist bekanntermaßen Teil des inneren Geisteslebens.
Wir können sagen, dass ein Wesen Bewusstsein hat, wenn es für es irgendwie ist, ebendieses Wesen zu sein ('if there is something it is like to be that being'), um eine von Thomas Nagel berühmt gemachte Phrase zu verwenden. Gleichermaßen ist ein Geisteszustand ein Bewusstseinszustand, wenn es (für einen) irgendwie ist, in diesem Geisteszustand zu sein. Anders ausgedrückt, wir können sagen, dass ein Geisteszustand ein Bewusstseinszustand ist, wenn er mit einer qualitativen Anmutung, einer Erlebnisqualität einhergeht. Diese qualitativen Anmutungen werden auch als Erscheinungsqualitäten oder kurz Qualia bezeichnet. Das Problem der Erklärung dieser Erscheinungsqualitäten ist genau das Problem der Erklärung des Bewusstseins. Das ist der wirklich schwierige Teil des Geist-Körper-Problems."

[© meine Übers.]

(Chalmers, David J. The Conscious Mind: In Search of a Fundamental Theory. New York: Oxford University Press, 1996. p. 4)

Testirossi hat folgendes geschrieben:

Der Begriff "Bewusstsein" scheint eine neuere Kreation zu sein, denn weder die alten Hebräer, noch die alten Griechen hatten dafür einen Begriff.


Die Frage nach dem Bewusstsein ist ja im Grunde dieselbe wie die nach der Seele (Lat. anima, Gr. psyche).

Testirossi hat folgendes geschrieben:

Ob Affen oder Delfine ein Bewusstsein besitzen, d.h. ob sie ihre Existenz reflektieren, ist schwer zu überprüfen.


Selbstbewusstsein, Ichbewusstsein, höheres Bewusstsein setzt begriffliche oder sprachliche Fähigkeiten voraus.
Und mir ist schleierhaft, wie ein sprachloses Lebewesen in einem tieferen Sinn über sich und die Welt nachdenken könnte.

#253:  Autor: KomodoWohnort: 2Fort BeitragVerfasst am: 08.04.2010, 01:44
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Testirossi hat folgendes geschrieben:

Ob Affen oder Delfine ein Bewusstsein besitzen, d.h. ob sie ihre Existenz reflektieren, ist schwer zu überprüfen.


Selbstbewusstsein, Ichbewusstsein, höheres Bewusstsein setzt begriffliche oder sprachliche Fähigkeiten voraus.
Und mir ist schleierhaft, wie ein sprachloses Lebewesen in einem tieferen Sinn über sich und die Welt nachdenken könnte.
Seit wann sind Primaten und Delphine sprachlose Lebewesen?

#254:  Autor: CriticWohnort: Arena of Air BeitragVerfasst am: 08.04.2010, 01:47
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Selbstbewusstsein, Ichbewusstsein, höheres Bewusstsein setzt begriffliche oder sprachliche Fähigkeiten voraus.
Und mir ist schleierhaft, wie ein sprachloses Lebewesen in einem tieferen Sinn über sich und die Welt nachdenken könnte.


Diese Lebewesen sind nicht "sprachlos". Eine 1:1-Übersetzung wird nicht möglich sein, weil die Kommunikation eines Tieres aus seiner Denkwelt stammt, in erster Linie für seine Artgenossen Sinn machen soll. Allerdings scheint es so etwas wie eine Ansprache mit Namen etc. zu geben.

#255:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 08.04.2010, 02:28
    —
Komodo hat folgendes geschrieben:
Seit wann sind Primaten und Delphine sprachlose Lebewesen?


Mit "sprachlos" meine ich "ohne Wortsprache".

#256:  Autor: ShadaikWohnort: MG BeitragVerfasst am: 08.04.2010, 09:01
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Komodo hat folgendes geschrieben:
Seit wann sind Primaten und Delphine sprachlose Lebewesen?


Mit "sprachlos" meine ich "ohne Wortsprache".
Du meinst mit Wortsprache segementierbare Sprache?
Dann muss man einfach konstatieren: Wissen wir nicht - delfinsprache könnte durchaus segmentiert sein (wenn auch auf andere Weise als menschliche) - mit unserem derzeit fragmentarischen Wissen über Delfinkommunikation können wir das nicht analysieren.
Primaten sind fast durchgehen dzumindest zur Ausbildung eines mentalen Lexikons fähig, haben also Wörter. Nur meist recht wenige und (vermutlich) keine Grammatik.

Immer wieder erstaunlich jedoch, wie menschen über das geistige Leben anderer Wesen bescheid zu wissen meinen. Gute, alte, menschliche Arroganz...
Die Idee, man könne ohne Sprache nicht denken ist auch reichlich weit hergeholt.

#257:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 08.04.2010, 10:35
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Dann erscheint es aber umso fragwürdiger, für (1.) eine Definition anzugeben, die nicht operationalisierbar ist.
Tja, das Problem liegt hier in der Natur der Sache, d.h. in der irreduziblen Subjektivität der Bewusstseinsinhalte.

Tja, das sehe ich eben anders: Man wird mE das, was ich unter "Bewußtsein" vesrstehe, erklären und künstlich erzeugen können, und auch die Tatsache der Subjektivität wird reduzibel sein - ich gebe allerdings AP recht, daß dies noch nicht geschehen ist. Daß die Erklärung einer Erfahrung nicht die Erfahrung selbst ist, scheint mir eher trivial, auch wenn es immer wieder "hard problem" genannt wird.

Wer jedoch "Bewußtsein" nicht operationalisierbar definieren möchte, sondern ganz subjektivistisch bei einem "unfaßbaren Gefühl" bleibt, ähnlich wie bei "das Übernatürliche / Gott", dessen Aussagen in einer Diskussion sind irgendwie beliebig.

#258:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 08.04.2010, 11:13
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....ersichtlichen Zusammenhang zwischen einem dynamischen System und Bewusstsein gibt, den Du hier anscheinend unhinterfragt einfach voraussetzt. ....

Jo. Ich würde das allerdings nicht als Prämisse, sondern als Arbeitshypothese bezeichnen. Alle anderen wären momentan nicht bearbeitbar, und diese erscheint mir als vielversprechend. Naturwissenschaft stellt ihre Fragen praktisch und an das Objekt und führt keine Diskussionen im luftleeren Raum. Als genau das verstehe ich die Diskussionen um Qualia, weshalb sie für mich einfach uninteressant sind. Du kannst an ihre Wichtigkeit glauben oder nicht und damit hat es sich.

fwo

#259:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 08.04.2010, 18:09
    —
step hat folgendes geschrieben:
Daß die Erklärung einer Erfahrung nicht die Erfahrung selbst ist, scheint mir eher trivial, auch wenn es immer wieder "hard problem" genannt wird.

Das ist nicht korrekt dargestellt: das 'hard problem' besteht in der Erklärungslücke beim Übergang von materiellen Vorgängen zu subjektiver Erfahrung. Es besteht selbstverständlich nicht in der absurden Forderung, dass eine Erklärung selber der erklärte Sachverhalt sein soll; ebensowenig, wie wohl niemand auf die Idee käme, dass eine Erklärung, wieso das Fell eines Eisbären schwer ist, selber ein Gewicht sein müsste.

step hat folgendes geschrieben:
Wer jedoch "Bewußtsein" nicht operationalisierbar definieren möchte, sondern ganz subjektivistisch bei einem "unfaßbaren Gefühl" bleibt, ähnlich wie bei "das Übernatürliche / Gott", dessen Aussagen in einer Diskussion sind irgendwie beliebig.

Das Phänomen 'Bewusstsein' existiert. Das ist der Punkt. Ob man es operationalisieren / formalisieren kann, ist eine andere Frage. Man nun zwar sagen: solange es nicht hinreichend operationalisierbar ist, kann es kein Gegenstand der Naturwissenschaften sein. Aber man kann nicht sagen: weil es nicht hinreichend operationalisierbar ist, existiert es nicht.

#260:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 08.04.2010, 18:24
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....ersichtlichen Zusammenhang zwischen einem dynamischen System und Bewusstsein gibt, den Du hier anscheinend unhinterfragt einfach voraussetzt. ....

Jo. Ich würde das allerdings nicht als Prämisse, sondern als Arbeitshypothese bezeichnen. Alle anderen wären momentan nicht bearbeitbar, und diese erscheint mir als vielversprechend. Naturwissenschaft stellt ihre Fragen praktisch und an das Objekt und führt keine Diskussionen im luftleeren Raum. Als genau das verstehe ich die Diskussionen um Qualia, weshalb sie für mich einfach uninteressant sind. Du kannst an ihre Wichtigkeit glauben oder nicht und damit hat es sich.

Habe ich überhaupt kein Problem mit. Der eine findet das wichtig, der andere jenes. Und Du findest, dass phänomenales Bewusstsein kein Objekt der Naturwissenschaft sein kann und Dich interessiert nur Naturwissenschaft. So weit, so gut.

Nur verstehe ich nun noch nicht so ganz, wieso Du Dich überhaupt an dieser Diskussion beteiligst, wenn Du das Thema so uninteressant findest.

#261:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 08.04.2010, 18:25
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Daß die Erklärung einer Erfahrung nicht die Erfahrung selbst ist, scheint mir eher trivial, auch wenn es immer wieder "hard problem" genannt wird.

Das ist nicht korrekt dargestellt: das 'hard problem' besteht in der Erklärungslücke beim Übergang von materiellen Vorgängen zu subjektiver Erfahrung.

In der Diskussion zeigt sich dann aber oft, daß der Mechanismus des Zustandekommens einer "subjektiven Erfahrung" mit der subjektiven Erfahrung selbst verwechselt wird ("irreduzible Subjektivität" und dgl.).

Die von Dir genannte Erklärungslücke ist zwar ein wissenschaftliches Problem, jedoch nicht prinzipiell "harder" als andere Erklärungslücken. Insbesondere wird sie mE nicht dadurch zur Erklärungslücke, daß Erlebnisse subjektiv sind, sondern allein dadurch, daß wir noch nicht verstanden haben, wie ein Gehirn arbeitet, z.B. wie es Repräsentationen und Modelle erzeugt, wie es schließt, erinnert usw.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Das Phänomen 'Bewusstsein' existiert. Das ist der Punkt. Ob man es operationalisieren / formalisieren kann, ist eine andere Frage. Man nun zwar sagen: solange es nicht hinreichend operationalisierbar ist, kann es kein Gegenstand der Naturwissenschaften sein. Aber man kann nicht sagen: weil es nicht hinreichend operationalisierbar ist, existiert es nicht.

Das behaupte ich ja auch gar nicht. Wenn es nicht richtig definiert ist, kann ich genausowenig sagen, daß es existiere. Oder irgendwelche sinnvollen Thesen zu seiner Irreduzibilität aufstellen.

#262:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 08.04.2010, 19:01
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
....

Nur verstehe ich nun noch nicht so ganz, wieso Du Dich überhaupt an dieser Diskussion beteiligst, wenn Du das Thema so uninteressant findest.

Vielleicht, weil das Thema "Evolution des Bewusstseins" ein naturwissenschaftliches ist?
(Sieh doch mal ganz vorsichtig auf den Titel des Threads)

fwo

#263:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 08.04.2010, 19:05
    —
step hat folgendes geschrieben:
In der Diskussion zeigt sich dann aber oft, daß der Mechanismus des Zustandekommens einer "subjektiven Erfahrung" mit der subjektiven Erfahrung selbst verwechselt wird ("irreduzible Subjektivität" und dgl.).

Das verstehe ich jetzt nicht. Wieso verwechselt jemand, der eine "irreduzible Subjektivität" behauptet, deswegen den Mechanismus des Zustandekommens mit der subjektiven Erfahrung selbst?

step hat folgendes geschrieben:
Insbesondere wird sie mE nicht dadurch zur Erklärungslücke, daß Erlebnisse subjektiv sind, sondern allein dadurch, daß wir noch nicht verstanden haben, wie ein Gehirn arbeitet, z.B. wie es Repräsentationen und Modelle erzeugt, wie es schließt, erinnert usw.

Hm, das ist die Frage. Mir erscheint es erst mal wenig ersichtlich, wie sich, selbst wenn man alle Mechanismen im Gehirn kennen würde, daraus ein subjektiver Standpunkt, ein phänomenales Erleben ergeben könnte. (Aber vielleicht gibt es zukünftig einen Paradigmenwechsel in der Erkenntnis, das kann ich nicht natürlich ausschließen.)

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Das Phänomen 'Bewusstsein' existiert. Das ist der Punkt. Ob man es operationalisieren / formalisieren kann, ist eine andere Frage. Man nun zwar sagen: solange es nicht hinreichend operationalisierbar ist, kann es kein Gegenstand der Naturwissenschaften sein. Aber man kann nicht sagen: weil es nicht hinreichend operationalisierbar ist, existiert es nicht.

Das behaupte ich ja auch gar nicht. Wenn es nicht richtig definiert ist, kann ich genausowenig sagen, daß es existiere. Oder irgendwelche sinnvollen Thesen zu seiner Irreduzibilität aufstellen.

Wann ist etwas "richtig definiert" und was gibt es überhaupt, das in Deinem Sinne "richtig definiert" ist? Kann man insgesamt nur über das reden, was so definiert ist?

Mir kommt das wie übertriebener Skeptizismus / Definitionismus / wie auch immer man das nennen will, vor. Wenn man so strenge Maßstäbe an Kommunikation anlegt, dann ist Kommunikation unmöglich. Es ist einfach das Wesen jeder Kommunikation, dass jeder etwas (hoffentlich nicht wesentlich) Verschiedenes unter Begriffen versteht. Und dennoch kann man darüber reden, anders geht es nicht.

Außerdem habe ich doch oben den Link zu Metzingers Versuch, das Problem einzukreisen, gegeben. Was reicht Dir daran nicht, was verlangst Du mehr?

#264:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 08.04.2010, 19:12
    —
Shadaik hat folgendes geschrieben:

Die Idee, man könne ohne Sprache nicht denken ist auch reichlich weit hergeholt.


Man kann auch in Bildern denken; aber was sowohl wort- als auch bildloses Denken sein soll, ist mir schleierhaft. Und abstrakt-theoretisches Denken ist ohne wortsprachliche Fähigkeiten nicht möglich.

#265:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 08.04.2010, 19:58
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
....

Nur verstehe ich nun noch nicht so ganz, wieso Du Dich überhaupt an dieser Diskussion beteiligst, wenn Du das Thema so uninteressant findest.

Vielleicht, weil das Thema "Evolution des Bewusstseins" ein naturwissenschaftliches ist?
(Sieh doch mal ganz vorsichtig auf den Titel des Threads)

Wenn Du auf der einen Seite sagst, dass Dich Qualia, also ein Erleben, nicht interessiert, Du aber auf der anderen Seite über die 'Evolution des Bewusstseins' reden willst, dann folgt wohl daraus, dass Du 'Erleben' und 'Bewusstsein' unabhängig voneinander siehst.

Aber was ist dann für Dich 'Bewusstsein'? Einfach ein vorausgesetzter - als Arbeitshypothese - (aber letztlich irrelevanter) angenommener innerer - aber unbegründeterweise notwendig sich ergebender Zustand eines lebenden individuellen Organismus, falls der einen bestimmten Grad an selbstorganisierendem Verhalten zeigt, der zu einem bestimmten Grad auf geänderte / nicht gleich bleibende Umweltbedingungen reagieren kann / nicht genetisch erklärbare Anpassungsleistungen zeigt und man daraus schließen kann, dass er (in einem bestimmten Maße) nicht lediglich durch seine Gene vorprogrammiert ist, sondern eine gewisse Flexibilität hat?

Mit anderen Worten: 'Bewusstsein' wäre dann genau genommen gar nicht Dein Thema, sondern flexibles Verhalten eines Organismus einer bestimmten Stufe. Und wie das evolutionär entstanden ist. Richtig?


Zuletzt bearbeitet von AgentProvocateur am 08.04.2010, 20:04, insgesamt einmal bearbeitet

#266:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 08.04.2010, 20:03
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....
Mit anderen Worten: 'Bewusstsein' wäre dann genau genommen gar nicht Dein Thema, sondern flexibles Verhalten eines Organismus einer bestimmten Stufe. Und wie das evolutionär entstanden ist. Richtig?

Richtig. Aber wie Du vorher auch schon bemerkt hast, halte ich diese "beiden" Themen für identisch, weil ich einfach davon ausgehe, dass "Bewusstsein" mit einer Flexibilität, wie wir sie besitzen, automatisch einhergeht. Insofern ist Bewusstsein dann doch wieder mein Thema.

fwo

#267:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 08.04.2010, 20:15
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....
Mit anderen Worten: 'Bewusstsein' wäre dann genau genommen gar nicht Dein Thema, sondern flexibles Verhalten eines Organismus einer bestimmten Stufe. Und wie das evolutionär entstanden ist. Richtig?

Richtig. Aber wie Du vorher auch schon bemerkt hast, halte ich diese "beiden" Themen für identisch, weil ich einfach davon ausgehe, dass "Bewusstsein" mit einer Flexibilität, wie wir sie besitzen, automatisch einhergeht. Insofern ist Bewusstsein dann doch wieder mein Thema.

Naja, wenn das aber nur eine Arbeitshypothese ist, die Du nicht begründen kannst, dann erscheint es mir sehr viel hilfreicher und präziser, das sprachlich zu unterscheiden. Sonst kommst Du zu falschen Schlussfolgerungen und wirst auch falsch verstanden werden, denn für viele Leute ist nun mal Erleben eine notwendige Voraussetzung für Bewusstsein. Es geht dabei normalerweise um bestimmte innere (subjektive, erlebte) Zustände, nicht einfach um eine behavioristische Betrachtung eines Verhaltens. "Bestimmtes Verhalten" sollte man einfach "bestimmtes Verhalten" nennen, nicht "Bewusstsein".

#268:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 08.04.2010, 20:44
    —
step hat folgendes geschrieben:
Man wird mE das, was ich unter "Bewußtsein" vesrstehe, erklären und künstlich erzeugen können, und auch die Tatsache der Subjektivität wird reduzibel sein - ich gebe allerdings AP recht, daß dies noch nicht geschehen ist.


Genau genommen sind Bewusstseinsvorgänge (im ontologischen Sinn) sowohl subjektiv als auch objektiv. Ihr subjektiver Aspekt ist insofern irreduzibel bzw. uneliminierbar, als man es ansonsten nur mit rein physischen Nervenvorgängen zu tun hätte. Es besteht aber ein Unterschied zwischen solchen und psychophysischen Nervenvorgängen, die Erlebnisse mit einem subjektiven Inhalt darstellen. Das bedeutet, dass eine wissenschaftliche Erklärung des Bewusstseins den Einsatz sowohl der objektivistischen Neurophysiologie als auch der subjektivistischen Phänomenologie erfordert.

step hat folgendes geschrieben:

Wer jedoch "Bewußtsein" nicht operationalisierbar definieren möchte, sondern ganz subjektivistisch bei einem "unfaßbaren Gefühl" bleibt, ähnlich wie bei "das Übernatürliche / Gott", dessen Aussagen in einer Diskussion sind irgendwie beliebig.


Auch wenn sich psychische Zustände wie z.B. Stimmungen oft nur schwer in Worte fassen lassen, so sind sie doch nicht grundsätzlich unfassbar. Phänomenologische Beschreibungen des eigenen Erlebens sind intersubjektiv mitteilbar und vergleichbar. Bei Tieren, die zu solch sprachlichen Selbstbeschreibungen nicht fähig sind, sind wir natürlich auf äußere Verhaltens- und neurophysiologische Messkriterien angewiesen, anhand deren wir mit mehr oder weniger großer Unsicherheit darauf schließen müssen, ob wir es mit einem bewussten Tier zu tun haben oder nicht.

#269:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 08.04.2010, 20:52
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Mit anderen Worten: 'Bewusstsein' wäre dann genau genommen gar nicht Dein Thema, sondern flexibles Verhalten eines Organismus einer bestimmten Stufe. Und wie das evolutionär entstanden ist. Richtig?


Ein reiner Verhaltensforscher, der sich nicht mit der inneren Seite der "Black Box" befasst, sondern nur mit Input-Output-Funktionen, befasst sich eben nicht mit dem Bewusstsein an sich.

#270:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 08.04.2010, 22:22
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Mit anderen Worten: 'Bewusstsein' wäre dann genau genommen gar nicht Dein Thema, sondern flexibles Verhalten eines Organismus einer bestimmten Stufe. Und wie das evolutionär entstanden ist. Richtig?


Ein reiner Verhaltensforscher, der sich nicht mit der inneren Seite der "Black Box" befasst, sondern nur mit Input-Output-Funktionen, befasst sich eben nicht mit dem Bewusstsein an sich.

Das ist die Beobachterseite. Meine Position hier war allerdings eher die eines Informatikers, der versucht einen Entwurf für eine Maschine zu machen, die das zeigt, was wir als Vorteile des Bewusstseins ansehen. Der übernimmt natürlich die Leistungsbeschreibung dieser "Black Box", die jedoch zwangsläufig auch Anteile der Innenansicht von H. sapiens enthält. Allerdings muss ich hier jetzt werten, was ich für sinnvoll halte, nachzubilden und auf welcher Ebene.

fwo

#271:  Autor: ShadaikWohnort: MG BeitragVerfasst am: 09.04.2010, 08:12
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Shadaik hat folgendes geschrieben:

Die Idee, man könne ohne Sprache nicht denken ist auch reichlich weit hergeholt.


Man kann auch in Bildern denken; aber was sowohl wort- als auch bildloses Denken sein soll, ist mir schleierhaft. Und abstrakt-theoretisches Denken ist ohne wortsprachliche Fähigkeiten nicht möglich.
Das wir Menschen uns das nicht vorstellen können, sagt gar nichts aus.

#272: bewusste Materie Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 09.04.2010, 11:58
    —
step hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Dann erscheint es aber umso fragwürdiger, für (1.) eine Definition anzugeben, die nicht operationalisierbar ist.
Tja, das Problem liegt hier in der Natur der Sache, d.h. in der irreduziblen Subjektivität der Bewusstseinsinhalte.

Tja, das sehe ich eben anders: Man wird mE das, was ich unter "Bewußtsein" vesrstehe, erklären und künstlich erzeugen können ...


Man wird sicherlich irgendwann mal das nachbauen können, was Du unter Bewusstsein verstehst.

Aber ob man jemals das nachbauen kann, was Bewusstsein wirklich ist, das ist durchaus unklar, bei allem Technikoptimismus, den ich auch teile.

Auch ist unklar, ob wir Menschen jemals *dahinter* kommen und Bewusstsein verstehen können. ich weiß es nicht.

Was wir aber wissen ist, dass es in der Welt Möglichkeiten der Materieorganisation gibt, bei denen Bewusstsein entsteht, d.h. Materie kann sich ihrer selber bewusst werden. Das muss nicht an eine bestimmte Strukturklasse - wie etwa ein Gehirn - gebunden sein. Andere Strukturklassen können womöglich exakt das selbe Bewusstsein produzieren. Oder es kann auch unterschiedliche Bewusstseinsklassen, verschiedene Qualitäten und Arten von Bewusstsein geben, nicht bloß Bewusstseinsgrade.

Sicher ist aus meiner Sicht jedoch: Kein Computer kann je Bewusstsein haben. Aber für mich sind künstliche Wesen denkbar, die alles können, was ein Mensch kann, auch ohne Bewusstsein zu besitzen.

Und wenn diese künstlichen Wesen sich also auch wachsen und sich fortpflanzen könnten und ihren Körper in Generationen an veränderte Umweltbedingungen anpassen, dann würden sie ebenfalls einer Evolution unterliegen, aber ohne Bewusstsein.

Bewusstsein ist grundsätzlich nicht nötig. Bewusstsein ist aber nötig für die Art von Lebewesen, die wir sind. Wir können ohne Bewusstsein nicht überleben, etwa ohne bewusste Schmerz- oder Lustempfindung. Es sind aber andere Systeme denkbar, die das könnten.

Deshalb denke ich: Weil Bewusstsein für das höherstufige irdische Leben nützlich ist, haben sich zufällig entstandene Bewusstseinsvorstufen weiter ausgebildet. Bewusstsein ist unnötig für Pflanzen, unnötig für Bakterien. Aber höhere Wirbeltiere oder andere höhere bewusste Tiere leben im Durchschnitt effektiver, wenn sie die Fähigkeit der gefühlsmäßigen Konditionierung besitzen, was ohne bewusste Gefühle nicht geht bei unserer Art von Lebenssystem. Durch Konditionierung per Bewusstsein kommt es wiederum zu Verhaltensevolutionen, d.h. zur versuchsweisen Herausbildung ungeeigneter und geeigneter Verhaltensmuster, bis zu sehr hohen Komplexitätsgraden.

Eine andere Art von Lebewesen könnte die Konditionierung per Gefühls- und Erfahrungsgedächtnis wie gesagt durch andere, bewusstlose Mechanismen ersetzen. Wir Erdenwesen können es nicht, aufgrund unserer strukturellen Verfasstheit.

Unser Denken wiederum steht z.T. auch in Wechselbeziehung zum Gefühls- und Erfahrungsgedächtnis und wird so beeinflusst.

step hat folgendes geschrieben:
und auch die Tatsache der Subjektivität wird reduzibel sein - ich gebe allerdings AP recht, daß dies noch nicht geschehen ist. Daß die Erklärung einer Erfahrung nicht die Erfahrung selbst ist, scheint mir eher trivial, auch wenn es immer wieder "hard problem" genannt wird.

Wer jedoch "Bewußtsein" nicht operationalisierbar definieren möchte, sondern ganz subjektivistisch bei einem "unfaßbaren Gefühl" bleibt, ähnlich wie bei "das Übernatürliche / Gott", dessen Aussagen in einer Diskussion sind irgendwie beliebig.


Der Unterschied zwischen "Gott" und Bewusstsein ist, dass letzteres existiert. Zweitens ist letzteres trotz Existenz nicht "fassbar". Die Frage ist auch, was "fassbar" überhaupt bedeuten soll. Es kann durchaus sein, dass das Phänomen Bewusstsein nie begriffen wird. In diesem Falle muss sich die Menschheit eben damit abfinden.

Es wird ja auch nie ein Weltformel geben. zwinkern

Das heisst: Ganz wird der Mensch die Welt ohnehin nicht begreifen.

Das heisst aber nicht, dass er nicht mit dem, was er weiß, was er begreift, die Welt sehr vernünftig reorganisieren könnte. Das kann er sehr wohl. Wir müssen durchaus nicht erst die Weltformel entwickeln und das Bewusstsein verstehen, um vernünftige Lebensbedingungen für die höheren Wesen auf dieser Erde zu schaffen. Dafür wissen wir nämlich längst mehr als genug ...-!

(Was nicht heisst, dass dies "letzten Fragen" nicht interessant wären. Nur sehe ich das Ganze im Endeffekt als ziemlich unfruchtbar an.)

Skeptiker

#273:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 09.04.2010, 21:39
    —
Nochmal zum Epiphänomenalismus:

Epiphänomenalism hat folgendes geschrieben:
Epiphenomenalism is the view that mental events are caused by physical events in the brain, but have no effects upon any physical events.

Epihänomenalismus ist die Ansicht, dass mentale Ereignisse durch physikalische Ereignisse im Gehirn verursacht werden, jedoch keinen Effekt auf irgendein physikalisches Ereignis haben.

Das erscheint mir zwar auf gewisse Weise richtig, (rein auf die physikalische Ebene / Betrachtungsweise bezogen), man muss nun aber mE folgende Schlussfolgerungen daraus ziehen / folgende Fragen stellen:

- entweder ist Bewusstsein dann a) in jeglichem Sinne irrelevant oder b) eine (hypothetisch komplette) kausale Beschreibung der Welt ist unvollständig
- falls a): dann ist zu berücksichtigen, dass alles, was unsere Wirklichkeit ausmacht, jegliche Erkenntnis, über unser Bewusstsein läuft, im Bewusstsein erst zu einer solchen gemacht wird; wäre also unser Bewusstsein irrelevant, dann gäbe es auch keine Wirklichkeit (bzw. diese Behauptung - so wie alle Erkenntnis und somit auch Naturwissenschaft - wäre ebenfalls irrelevant - der Begriff 'unbewusste Wissenschaft' ergibt einfach keinen Sinn)
- falls b): die Naturwissenschaft wäre dann ein ungeeignetes Instrument zur kompletten Darstellung der Wirklichkeit, es gäbe einen Bereich der Wirklichkeit, der sich der Naturwissenschaft grundsätzlich entzieht (falls diese sich nur auf kausale Ursache-Wirkungs-Ketten bezieht)
- wie verträgt sich das mit dem Energieerhaltungssatz, wenn mentale Ereignisse kausal (im Sinne von Energieübertragung) verursacht werden, diese aber selber keine kausale Wirkung haben können? Wo bleibt diese Energie?
- und wenn mentale Ereignisse nicht kausal verursacht werden: liefe das nicht automatisch auf einen psychophysischen Parallelismus hinaus?
- das Bewusstsein wäre das einzige bekannte Phänomen überhaupt, das existierte und keine kausale Wirkung hat. Wie ist das zu erklären - denn normalerweise wird ja wohl nur das als wirklich, als existierend, angesehen, was eine Wirkung hat?

Und überhaupt: welche/s Problem/e löst der Epiphänomenalismus eigentlich? Wirft er nicht noch mehr ungelöste Fragen auf, als er erklären kann? Und wenn ja: wäre es dann letztlich nicht viel besser, zu sagen: 'das Leib/Seele-Problem ist ungelöst / ungewiss / eine offene Frage', als einen Epiphänomenalismus zu vertreten?

#274:  Autor: Er_Win BeitragVerfasst am: 10.04.2010, 00:49
    —
nur so zur Auflockerung: ARTE-Doku Bewußtsein & Gedächtnis, wenn etwas "schief geht":

http://www.youtube.com/watch?v=Vhl6oskxrs0 Sendung 1 (Teil 1 v 5. - Rest siehe related list)

http://www.youtube.com/watch?v=VozrPzgsNHw Sendung 2 (Teil 1 v 5. - Rest siehe related list)

#275:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 10.04.2010, 10:42
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Nochmal zum Epiphänomenalismus:

Epiphänomenalism hat folgendes geschrieben:
Epiphenomenalism is the view that mental events are caused by physical events in the brain, but have no effects upon any physical events.

Epihänomenalismus ist die Ansicht, dass mentale Ereignisse durch physikalische Ereignisse im Gehirn verursacht werden, jedoch keinen Effekt auf irgendein physikalisches Ereignis haben.

Das erscheint mir zwar auf gewisse Weise richtig, (rein auf die physikalische Ebene / Betrachtungsweise bezogen), man muss nun aber mE folgende Schlussfolgerungen daraus ziehen / folgende Fragen stellen:

- entweder ist Bewusstsein dann a) in jeglichem Sinne irrelevant oder b) eine (hypothetisch komplette) kausale Beschreibung der Welt ist unvollständig ...

b) kommt für micht nicht infrage. Was mich an a) und generell am Epiphänomenalismus stört (siehe auch Dein letzter Abschnitt unten), ist die implizite Annahme, die mentalen Zustände ergäben sich aus den neuronalen, seien also doch irgendwie getrennt. Siehe auch das Bildchen in wikipedia.

Ich finde diese Interpretation falsch, und sie führt auch zu dem von Dir hier zurecht formulierten Widerspruch: Etwas entstehe und sei doch irrelevant.

Daher vertrete ich eher die Variante, daß das Epiphänomen identisch mit dem Phänomen ist. Es ist vielleicht auf den ersten Blick stark unintuitiv, aber ich meine, Bewußtsein ist tatsächlich Teil von / identisch mit den neurologischen Vorgängen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... Und überhaupt: welche/s Problem/e löst der Epiphänomenalismus eigentlich? Wirft er nicht noch mehr ungelöste Fragen auf, als er erklären kann?

Die Frage finde ich berechtigt in bezug auf die oben genannte, aus meiner Sicht problematische, EP-Interpretation.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und wenn ja: wäre es dann letztlich nicht viel besser, zu sagen: 'das Leib/Seele-Problem ist ungelöst / ungewiss / eine offene Frage', als einen Epiphänomenalismus zu vertreten?

Nein, das finde ich nicht. Offen ist nicht das Leib/Seele-Problem, sondern die Erklärung neronaler Zustände, die wir als "bewußt" empfinden.

#276:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 10.04.2010, 20:39
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Nochmal zum Epiphänomenalismus:
Epiphänomenalism hat folgendes geschrieben:
Epiphenomenalism is the view that mental events are caused by physical events in the brain, but have no effects upon any physical events.

Epihänomenalismus ist die Ansicht, dass mentale Ereignisse durch physikalische Ereignisse im Gehirn verursacht werden, jedoch keinen Effekt auf irgendein physikalisches Ereignis haben.


Es gibt zwei Varianten des Epiphänomenalismus, die man als Ereignis-Epiphänomenalismus (event epiphenomenalism/token epiphenomenalism) und als Eigenschafts-Epiphänomenalismus (type epiphenomenalism/property epiphenomenalism) bezeichnen kann:

1. Ereignis-Epiphänomenalismus:

Psychische Ereignisse können nichts bewirken, verursachen.

2. Eigenschafts-Epiphänomenalismus:

Kein Ereignis kann vermöge psychischer Eigenschaften etwas bewirken, verursachen.


1 impliziert 2, aber 2 impliziert nicht 1. Das heißt, wenn man psychische Ereignisse mit physischen Ereignissen gleichsetzt, d.h. zu psychophysischen Ereignissen erklärt, dann kann man als Eigenschafts-Epiphänomenalist sagen, dass psychische Ereignisse durchaus Verursacher anderer (psychischer oder physischer) Ereignisse sind—aber nicht vermöge ihrer psychischen, sondern ihrer physischen Eigenschaften.

#277:  Autor: ShadaikWohnort: MG BeitragVerfasst am: 11.04.2010, 08:29
    —
1. ist durch jede bewusste Entscheidung ad absurdum geführt (dafür ist noch nicht einmal freier Wille nötig), 2. ist Metaphysik, da kannst du sonstwas glauben und/oder behaupten, wenn's dir Spass macht

#278:  Autor: Er_Win BeitragVerfasst am: 11.04.2010, 08:45
    —
Bewußtsein als (wie auch immer detailliert spezifiziertes) Epiphänomen erscheint mir höchst unwahrscheinlich und "unelegant". Das würde bedeuten, dass evolutionär die komplexeste bekannte Struktur "nutzlos" entstanden wäre, da alles auch ohne selbige genauso gut "funktionieren" würde.

Ebenso bin ich (bekanntermaßen ?) kein Anhänger eines physikalistischen Reduktionismus, der Kausalität (bzw. eine gerichtete Kausalkette) nur in down->top Richtung annimmt.

Aus meiner (monistischen) Sicht ist Bewußtsein ein (notwendiges ?) Ergebnis einer hinreichend komplexen, n-schichtigen, selbstorganisationsfähigen, stark-musterbildenden, emergenzfähigen Struktur, welche vermutlich nicht zwingend an ein biologisches Hirn gebunden sein muss.

Entsprechende (konstruktivistisch motivierte) Forschungen gehen auch in diese Richtung. Siehe zB. das hier im Forum bereits erwähnte: http://bluebrain.epfl.ch/

#279:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 11.04.2010, 08:53
    —
Shadaik hat folgendes geschrieben:
1. ist durch jede bewusste Entscheidung ad absurdum geführt (dafür ist noch nicht einmal freier Wille nötig)


Wenn ein physisches Ereignis PHY1 regelmäßig sowohl ein epiphänomenales psychisches Ereignis PSY als auch ein anderes physisches Ereignis PHY2 verursacht, dann tritt PHY2 immer nach PSY ein, sodass es subjektiv den Anschein hat, als wäre PSY die wirkliche Ursache von PHY2. Doch das ist nicht der Fall, denn die wirkliche Ursache von PHY2 ist allein PHY1.
Die Moral von der Geschichte ist, dass es keineswegs offensichtlich und selbstverständlich ist, dass psychische Ereignisse Verursacher anderer Ereignisse sind.
Der Vorwurf, der Ereignis-Epiphänomenalismus wäre in sich absurd, kann also leicht entkräftet werden.

(Siehe: http://plato.stanford.edu/entries/epiphenomenalism/#Absurd)

#280:  Autor: ShadaikWohnort: MG BeitragVerfasst am: 11.04.2010, 09:14
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Shadaik hat folgendes geschrieben:
1. ist durch jede bewusste Entscheidung ad absurdum geführt (dafür ist noch nicht einmal freier Wille nötig)


Wenn ein physisches Ereignis PHY1 regelmäßig sowohl ein epiphänomenales psychisches Ereignis PSY als auch ein anderes physisches Ereignis PHY2 verursacht, dann tritt PHY2 immer nach PSY ein, sodass es subjektiv den Anschein hat, als wäre PSY die wirkliche Ursache von PHY2. Doch das ist nicht der Fall, denn die wirkliche Ursache von PHY2 ist allein PHY1.
Die Moral von der Geschichte ist, dass es keineswegs offensichtlich und selbstverständlich ist, dass psychische Ereignisse Verursacher anderer Ereignisse sind.
Der Vorwurf, der Ereignis-Epiphänomenalismus wäre in sich absurd, kann also leicht entkräftet werden.

(Siehe: http://plato.stanford.edu/entries/epiphenomenalism/#Absurd)
Zu der Annahme, dass ich ein Bewusstsein habe, gehört auch die Annahme, dass ich bewusste Entscheidungen treffe. Setze ich diese Entscheidungen um, ist dies eine physische Auswirkung meiner Entscheidung.

Nehmen wir an, dass diese Entscheidung (sei sie nun kausal bedingt oder wirklich frei) keine physische Auswirkung hat, so existiert sie letztendlich nicht, denn eine Entscheidung macht nur Sinn (im wahrsten Sinn von machen), wenn sie auch in der realen Welt zu einer Auswirkung (der umgesetzten Entscheidung) führt (führen kann).
Wäre dem nicht so, wäre Bewusstsein lediglich eine besonders komplexe Sinnestäuschung.

Das lässt sich durch 2. umgehen, Annahme 1. aber funktioniert einfach nicht. Oder wir nehmen an, dass Bewusstsein tatsächlich nicht existiert (mangels brauchbarer Definition von Bewusstsein durchaus möglich).

#281:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 11.04.2010, 09:20
    —
Er_Win hat folgendes geschrieben:
Aus meiner (monistischen) Sicht ist Bewußtsein ein (notwendiges ?) Ergebnis einer hinreichend komplexen, n-schichtigen, selbstorganisationsfähigen, stark-musterbildenden, emergenzfähigen Struktur, welche vermutlich nicht zwingend an ein biologisches Hirn gebunden sein muss.

Wo bringst Du da denn die Schicht unter, die auf neurologischer Ebene komplexe Berchnungen / Modellierungen durchführt? Wenn man die als identisch mit dem ominösen "Bewußtsein" ansehen würde, wäre Deine Ansicht sogar mit bestimmten epiphänomenalistischen und reduktionistischen Interpretationen (z.B. meiner) vereinbar. Wenn nicht, bleibt auch in Deinem Ansatz das Problem erhalten, wie zusätzlich das "Bewußtsein" zustandekommt.

#282:  Autor: Er_Win BeitragVerfasst am: 11.04.2010, 10:06
    —
step hat folgendes geschrieben:
Wo bringst Du da denn die Schicht unter, die auf neurologischer Ebene komplexe Berchnungen / Modellierungen durchführt? Wenn man die als identisch mit dem ominösen "Bewußtsein" ansehen würde...


Diese Frage stellt sich mir SO nicht, da ich (vermutlich) eine etwas andere Modellvorstellung von Bewußtsein habe - insbesondere hat die keinerlei Analogie zu elektrischne/elektronischen Schichten/Regelkreis-Modellen, sodass es nicht eine bestimmte Schicht gibt, die für irgendetwas genau "zuständig" ist. Die (selbst-bewußte) Bedeutung entsteht als raum-zeitliches, funktionales, schichtübergreifendes strukturelles "Muster" des Systems, welches in vielfacher Weise rückgekoppelt mit anderen "Mustern" "tieferer" Ebenen interagiert.

Wenn man zB. die Ergebnisse i.d. verlinkten ARTE-Dokus betrachtet, wird klar, dass zB. jene "Schicht(en)", die für detailgetreue Erinnerungen und/oder komplexe algorithmische "Berechnungen" hervorragend geeignet sind, gerade nicht ident sind mit solchen, die direkt dem (Selbst-)Bewußtsein entsprechen. Im Gegenteil, beim "normalen" Hirn hat das bewußte Denken nur sehr mittelbaren Konnex und "Zugriff" auf diese "Systemebene(n)".

#283:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 11.04.2010, 11:03
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Er_Win hat folgendes geschrieben:
Bewußtsein als (wie auch immer detailliert spezifiziertes) Epiphänomen erscheint mir höchst unwahrscheinlich und "unelegant". Das würde bedeuten, dass evolutionär die komplexeste bekannte Struktur "nutzlos" entstanden wäre, da alles auch ohne selbige genauso gut "funktionieren" würde.....

Nur so zur Begriffsklärung: Wenn wir von in "der Evolution" geschaffenen Strukturen reden, meinen wir normalerweise etwas Körperliches - davon gehe ich bei Bewusstsein nicht aus, ich halte Bewusstsein für eine Funktion der Software, wie Du vermutlich auch, wennn Du sagst, dass es nach deiner Meinung nicht an ein biologisches Hirn gebunden ist.

Was ich mit Epiphänomen meine, ist nicht das Bewusstsein als Funktion - wenn ich mich entscheide, die Motorsäge anzuwerfen, um Bäume umzulegen, sind die physikalischen Folgen weithin sichtbar, das kann es also nicht sein. Das Epiphänomen des Bewusstseins ist das Gefühl davon, nicht das Bewusstsein selbst. Das was hier mit der netten Vokabel Quale bzw Qualia schon reichlich diskutiert wurde.

fwo

#284:  Autor: Er_Win BeitragVerfasst am: 11.04.2010, 11:38
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Das Epiphänomen des Bewusstseins ist das Gefühl davon, nicht das Bewusstsein selbst. Das was hier mit der netten Vokabel Quale bzw Qualia schon reichlich diskutiert wurde.


Und genau diese Qualia Frage erscheint mir (in dualistischem Sinne) konstruiert - was bitte ist ein Bewußtsein, ohne das Gefühl der Bewußtheit bzw. der "Ich-Heit" ?

#285:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 11.04.2010, 11:54
    —
Er_Win hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Das Epiphänomen des Bewusstseins ist das Gefühl davon, nicht das Bewusstsein selbst. Das was hier mit der netten Vokabel Quale bzw Qualia schon reichlich diskutiert wurde.


Und genau diese Qualia Frage erscheint mir (in dualistischem Sinne) konstruiert - was bitte ist ein Bewußtsein, ohne das Gefühl der Bewußtheit bzw. der "Ich-Heit" ?

Das ich Gefühle habe, ist ohne Zweifel. Meine Frage besteht nur darin, ob es funktional wichtig ist, wie die wirklich sind. Die einzige Anforderung von Seiten der Funktion ist die Zuordenbarkeit und damit die Wiederderkennung. Insofern können die Gefühle bei jedem Individuum anders aussehen, wenn sie nur eine hinreichend Eindeutigkeit für dieses Individuum besitzen. Wichtig ist, dass ich wiedererkenne, also die ankommende Information zuordne.

fwo

#286:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 11.04.2010, 12:02
    —
Er_Win hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wo bringst Du da denn die Schicht unter, die auf neurologischer Ebene komplexe Berchnungen / Modellierungen durchführt? Wenn man die als identisch mit dem ominösen "Bewußtsein" ansehen würde...
Diese Frage stellt sich mir SO nicht, da ich (vermutlich) eine etwas andere Modellvorstellung von Bewußtsein habe - insbesondere hat die keinerlei Analogie zu elektrischne/elektronischen Schichten/Regelkreis-Modellen, sodass es nicht eine bestimmte Schicht gibt, die für irgendetwas genau "zuständig" ist. Die (selbst-bewußte) Bedeutung entsteht als raum-zeitliches, funktionales, schichtübergreifendes strukturelles "Muster" des Systems, welches in vielfacher Weise rückgekoppelt mit anderen "Mustern" "tieferer" Ebenen interagiert.

Wenn man zB. die Ergebnisse i.d. verlinkten ARTE-Dokus betrachtet, wird klar, dass zB. jene "Schicht(en)", die für detailgetreue Erinnerungen und/oder komplexe algorithmische "Berechnungen" hervorragend geeignet sind, gerade nicht ident sind mit solchen, die direkt dem (Selbst-)Bewußtsein entsprechen. Im Gegenteil, beim "normalen" Hirn hat das bewußte Denken nur sehr mittelbaren Konnex und "Zugriff" auf diese "Systemebene(n)".

Naja, soo unterchiedlich sind unsere Vorstellungen da nicht, denn zumindest sehe ich folgende Gemeinsamkeiten:

- Ich-heit / Meinigkeit liegt ein zusammenfassender Mechanismus zugrunde, der über die Reaktion auf einzelne Wahrnehmungen hinausgeht (Metzingers Ego-Tunnel geht in diese Richtung)

- Die QUalia-Frage (subjektive Erlebnisse vs. Bewußtheit) scheint konstruiert

Daß die von Dir so genannten "Muster" komplex emergieren, schadet aus meiner Sicht nicht der Reduzierbarkeit, während Du eher die fundamentale Neuartigkeit" dieser Ebene betonst. Das ist aber mE nur eine Interpretationssache.

#287:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 11.04.2010, 13:35
    —
Gefühl und Bewusstsein sind wahrscheinlich nicht nur abhängig von verschiedenen Gehirnstrukturen und deren Art von Vernetzung, Kooperation und/oder strikten Trennungen sondern auch abhängig vom "Rest des Körpers", also allem, was Nicht-Fühl- und Bewusstseinsorgane sind.

Hätte z.B. ein Bewusstseins- und Gefühlswesen einen Körper aus Granit und würde sich vom Fang frei umher laufender Silizium-Schaltkreise ernähren, so wäre eine andere Art von Körper-Bewusstsein, aber auch ein ganz anderes Spektrum von Emotionen hinreichend oder zweckmäßig.

Dies nur mal als Einwurf gegen den gängigen Hirn-Positivismus.

Skeptiker

#288:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 11.04.2010, 13:51
    —
step hat folgendes geschrieben:
Daher vertrete ich eher die Variante, daß das Epiphänomen identisch mit dem Phänomen ist. Es ist vielleicht auf den ersten Blick stark unintuitiv, aber ich meine, Bewußtsein ist tatsächlich Teil von / identisch mit den neurologischen Vorgängen.


Na ja, die Farbe Rot oder Eigenschaft "rauh" einer Schuppenhaut sind sozusagen auch Epiphänomene der Struktur oder meinetwegen auch die Struktur selbst.

Das ist aber - glaube ich - an der wichtigen Frage vorbei, warum sich denn nicht eine andere Struktur samt anderem (Epi-)Phänomen als automatischem Begleiter herausgebildet hat in einem Evolutionsprozess?

Diese Frage bezüglich von Bewusstsein und Gefühl ist nicht gelöst, indem man darauf hinweist, dass die Struktur eben dieses Phänomen bedinge.

Sondern auch hier: Warum bildetet sich denn eine Struktur, die so ein Phänomen als automatischen Begleiter mit sich führt (- und nicht z.B. eine andere, aber genau so effiziente oder gar noch effizientere Informationsverarbeitungsstruktur ohne Bewusstsein und Gefühl) ...-?

Skeptiker

#289:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 11.04.2010, 14:21
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Diese Frage bezüglich [der Evolution von] von Bewusstsein und Gefühl ist nicht gelöst, indem man darauf hinweist, dass die Struktur eben dieses Phänomen bedinge.

Das war auch nicht meine Absicht. Und ich stimme Dir zu, daß diese Frage noch offen ist.

Die Frage ist allerdings evtl. unvoreingenommener lösbar, wenn man sich nicht so in die Qualiasphäre verbeißt, sondern einfach fragt, wieso z.B. die Herausbildung eines Ego-Tunnels, also eines Gesamtmodells, einer Ich-heit, evolutionär stabil ist.

#290:  Autor: KomodoWohnort: 2Fort BeitragVerfasst am: 11.04.2010, 14:22
    —
Shadaik hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Shadaik hat folgendes geschrieben:

Die Idee, man könne ohne Sprache nicht denken ist auch reichlich weit hergeholt.


Man kann auch in Bildern denken; aber was sowohl wort- als auch bildloses Denken sein soll, ist mir schleierhaft. Und abstrakt-theoretisches Denken ist ohne wortsprachliche Fähigkeiten nicht möglich.
Das wir Menschen uns das nicht vorstellen können, sagt gar nichts aus.
Wir können in Bildern, Tönen, Gerüche/Geschmack und Gefühl (Tastsinn) denken. Wörter sind nicht auf Abfolgen von Tönen beschränkt, ein Bild kann ein Wort sein, wie in den Schriftsprachen und Gesten, Oberflächenstrukturen können Wörter sein, wie Braille-Schrift, und Moleküle, beim Geschmack und Geruch, könnten auch als Wörter fungieren.

Man kann anhand der komplexität einer Sprache vermuten, wie komplex das Denken mindestens sein muss, man kann aber man keine Obergrenze dafür festlegen. Man kann auch ohne akustische Worte Denken, oder ist die Vorstellung eines Bildes kein Gedanke?


Zuletzt bearbeitet von Komodo am 11.04.2010, 14:24, insgesamt einmal bearbeitet

#291:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 11.04.2010, 14:23
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Hätte z.B. ein Bewusstseins- und Gefühlswesen einen Körper aus Granit und würde sich vom Fang frei umher laufender Silizium-Schaltkreise ernähren, so wäre eine andere Art von Körper-Bewusstsein, aber auch ein ganz anderes Spektrum von Emotionen hinreichend oder zweckmäßig.

Dies nur mal als Einwurf gegen den gängigen Hirn-Positivismus.

Das ist zwar aus meiner Sicht richtig, allerdings in keinsetr Weise ein Argument gegen den "Hirnpositivismus", wie Du das nennst. Es sagt nur aus, daß die Substratkopplung sehr stark ist (z.B. Organe, limbisches System, Sinne, Umwelt ...)

#292:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 11.04.2010, 16:37
    —
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
- entweder ist Bewusstsein dann a) in jeglichem Sinne irrelevant oder b) eine (hypothetisch komplette) kausale Beschreibung der Welt ist unvollständig ...

b) kommt für micht nicht infrage. Was mich an a) und generell am Epiphänomenalismus stört (siehe auch Dein letzter Abschnitt unten), ist die implizite Annahme, die mentalen Zustände ergäben sich aus den neuronalen, seien also doch irgendwie getrennt. Siehe auch das Bildchen in wikipedia.

Ja, genau, das ist die Grundannahme jedes Epiphänomenalismus:

Bieri-Trilemma hat folgendes geschrieben:
1. Mentale Phänomene sind nichtphysikalische Phänomene.
2. Mentale Phänomene sind im Bereich physikalischer Phänomene kausal wirksam.
3. Der Bereich physikalischer Phänomene ist kausal geschlossen.

Jede der drei Annahmen wirkt auf den ersten Blick plausibel: [...]
Das Trilemma besteht darin, dass immer nur zwei der drei Sätze wahr sein können: [...]

Eine Leugnung der ersten Prämisse führt zum Physikalismus, das Bestreiten der zweiten Prämisse zum Epiphänomenalismus. Wer die dritte Prämisse aufgibt, ist oft ein klassischer Dualist.


step hat folgendes geschrieben:
Ich finde diese Interpretation falsch, und sie führt auch zu dem von Dir hier zurecht formulierten Widerspruch: Etwas entstehe und sei doch irrelevant.

Daher vertrete ich eher die Variante, daß das Epiphänomen identisch mit dem Phänomen ist. Es ist vielleicht auf den ersten Blick stark unintuitiv, aber ich meine, Bewußtsein ist tatsächlich Teil von / identisch mit den neurologischen Vorgängen.

Ja, das sehe ich auch so. Damit ist Epiphänomenalismus und dessen Probleme verschwunden: wenn P und M identisch sind, dann gibt es keine Probleme mehr mit kausaler Verursachung, kausalen Sackgassen, wirkungsloser Wirklichkeit und dergleichen.

Daher erscheint es mir ebenfalls einzig vernünftig, im Bieri-Dilemma den Punkt 1. zu leugnen. Alles andere führt mE zu größeren zusätzlichen Problemen.

Damit ist natürlich noch lange nicht die Erklärungslücke gelöst, es bleiben eine Menge offener Fragen, jedoch kann man erst mal die grundsätzlichen Probleme der drei Lösungsansätze (Identität, Epiphänomen, Substanzdualismus) betrachten, von denen ja keiner eine zufriedenstellende Erklärung anbieten kann, die jedoch unabhängig davon eben noch mehr oder weniger Zusatzprobleme aufwerfen und von daher in eine Plausibilitätsreihenfolge gebracht werden können.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und wenn ja: wäre es dann letztlich nicht viel besser, zu sagen: 'das Leib/Seele-Problem ist ungelöst / ungewiss / eine offene Frage', als einen Epiphänomenalismus zu vertreten?

Nein, das finde ich nicht. Offen ist nicht das Leib/Seele-Problem, sondern die Erklärung neronaler Zustände, die wir als "bewußt" empfinden.

Naja, aber das ist Teil des Leib-Seele-Problemes.

#293:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 11.04.2010, 16:41
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
2. Eigenschafts-Epiphänomenalismus:

Kein Ereignis kann vermöge psychischer Eigenschaften etwas bewirken, verursachen.[/b]

1 impliziert 2, aber 2 impliziert nicht 1. Das heißt, wenn man psychische Ereignisse mit physischen Ereignissen gleichsetzt, d.h. zu psychophysischen Ereignissen erklärt, dann kann man als Eigenschafts-Epiphänomenalist sagen, dass psychische Ereignisse durchaus Verursacher anderer (psychischer oder physischer) Ereignisse sind—aber nicht vermöge ihrer psychischen, sondern ihrer physischen Eigenschaften.

Kennst Du das vielleicht: Searle, John (1983) "Why I Am Not a Property Dualist"?

#294:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 11.04.2010, 16:48
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Daher erscheint es mir ebenfalls einzig vernünftig, im Bieri-Dilemma den Punkt 1. zu leugnen.

Ja, sehe ich ebenso.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Offen ist nicht das Leib/Seele-Problem, sondern die Erklärung neronaler Zustände, die wir als "bewußt" empfinden.
Naja, aber das ist Teil des Leib-Seele-Problemes.

Ja, historisch gesehen schon. Aber wegen der Leugnung von (1.) oben ist der ursprünglich wesentliche Teil des Problems verschwunden (wie hängen Geist und Materie zusammen), der sich nämlich aus implizit oder explizit dualistischen Annahmen ergab. Was bleibt ist sozusagen der im weitesten Sinne "physikalische" Teil des Problems.

#295:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 13.04.2010, 17:50
    —
Irgendwie kommt ihr hier nicht vorwärts, nicht wahr? Ihr plagt euch immer noch mit dem Verhältnis von psychischen und physischen Ereignissen? Psychische Ereignisse seien dann solche, die nichts bewirken könnten, oder wenn doch, dann nur, wenn man sie mit physischen Ereignissen gleichsetzt.

Warum sagt ihr dann nicht ganz ehrlich, daß es in euer Weltbild am besten passen würde, wenn es psychische Ereignisse gar nicht gäbe oder wenn man sie per Supervenienz epiphänomenologisch weginterpretiert.

Das Dumme ist nur, daß es so etwas wie Bewußtsein offenbar gibt, auch wenn ihr nicht wißt, wie ihr es in einem physikalistischen Weltbild unterbringen sollt. Insofern wäre dieser Thread im Bereich Weltanschauung und Religion bestens aufgehoben.

Letztlich reduziert sich doch das Ganze auf die Frage, wie aus Abläufen im Gehirn, die man ja messen und beobachten kann, die also ohne Zweifel physikalische Abläufe sind, soetwas wie Bewußtsein entsteht, obwohl man es weder messen noch beobachten kann.

Habt ihr schon einmal daran gedacht, daß das einfach eine Frage der Perspektive ist? Die neuronalen Abläufe im Gehirn erzeugen nicht das Bewußtsein, sie sind es, aus der Perspektive des Eigentümers dieses Gehirns, also aus der Ich-Perspektive. Aus der Er-Perspektive, wenn wir also den Probanden von außen betrachten, sehen wir nur die Abläufe in seinem Gehirn, wie sich diese Abläufe anfühlen, sehen wir nicht, aber das sollte doch auch nicht wundern.

Entschuldigt, wenn ich das so sage, es sind Fragen, die sich Kinder stellen, wenn sie zum ersten Mal unterscheiden zwischen sich und anderen. Daß man selbst existiert, sich seiner selbst bewußt ist, erfährt man zuerst. Man sieht die anderen Kinder und begreift erst langsam, daß die nicht nur in der Sie-Perspektive existieren, sondern von sich selbst auch in der Ich-Perspektive denken wie man selbst. Am Anfang hat das Kind das Gefühl, die Gefühlswelt der anderen, deren Ich-Perspektive, bliebe ihm ewig verschlossen. Spiegelneuronen erlauben uns dann allerdings, diese Grenze zu überspringen.

Wenn ich einem anderen in den Finger steche, löse ich Nervenreaktionen aus sowie Reaktionen im Gehirn des anderen. Wie sich das aus dessen Ich-Perspektive anfühlt, sehe ich nicht, obwohl das nichts zusätzliches ist, sondern die gleiche Reaktion, nur aus einer anderen Perspektive. Psychische und physische Ereignisse sind also nichts unterschiedliches, sondern nur unterschiedlichen Sichten auf ein und die selbe Sache.

#296:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 13.04.2010, 19:22
    —
Ja, das ist ja alles richtig.

Die Frage wäre also: wie kommen Perspektiven, wie kommt Subjektivität in die Welt? Wie ist das naturwissenschaftlich erklärbar? Oder ist es grundsätzlich nicht erklärbar, ist das schlicht ein factum brutum, das nicht näher beleuchtet werden kann, das man als gegeben akzeptieren muss, als prinzipiell nicht naturwissenschaftlich erklärbar, auf nichts zurückführbar, als grundsätzliche Eigenschaft der Welt? Was dann aber, falls dem so sein sollte, irgendwie unbefriedigend bleiben muss, wenn man davon ausgeht, dass a) es überhaupt eine Welt außerhalb der subjektiven Wahrnehmung gibt und b) Subjektivität nicht von Anfang an da war, sondern sich entwickelt hat (sie also eben nicht ein Grundbestandteil der Welt ist).

#297:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 13.04.2010, 20:46
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ja, das ist ja alles richtig.

Die Frage wäre also: wie kommen Perspektiven, wie kommt Subjektivität in die Welt? Wie ist das naturwissenschaftlich erklärbar? Oder ist es grundsätzlich nicht erklärbar, ist das schlicht ein factum brutum, das nicht näher beleuchtet werden kann, das man als gegeben akzeptieren muss, als prinzipiell nicht naturwissenschaftlich erklärbar, auf nichts zurückführbar, als grundsätzliche Eigenschaft der Welt? Was dann aber, falls dem so sein sollte, irgendwie unbefriedigend bleiben muss, wenn man davon ausgeht, dass a) es überhaupt eine Welt außerhalb der subjektiven Wahrnehmung gibt und b) Subjektivität nicht von Anfang an da war, sondern sich entwickelt hat (sie also eben nicht ein Grundbestandteil der Welt ist).

Uuuu! Das ist knifflig. Man könnte jetzt einfach sagen, daß Subjektivität durch Subjekte in die Welt kommt, aber das würde dich vermutlich nicht zufrieden stellen (und mich auch nicht).

Bewußtsein an sich ist natürlich untersuchbar, nicht nur bei Menschen, sondern in Ansätzen auch bei Tieren, aber eben nur in dem Sinne, daß man seine objektiven Eigenschaften bestimmt, während die Ich-Perspektive eines anderen Menschen erst einmal prinzipiell nicht zugänglich ist.

Versuchen wir es mal mit einem Teilproblem, der Wahrnehmung von Farbe. Die meisten von uns können Farben wahrnehmen, aber natürlich weiß ich nicht wirklich, wie du eine bestimmte Farbe wahrnimmst. Auch die Untersuchung eines Gehirns mit einem Computertomografen, während es Farben sieht, zeigt uns nur den Vorgang, nicht aber wie er sich subjektiv anfühlt.

Aber vielleicht haben wir einen Ausweg, zumindest in diesem Fall. Es gibt in jedem Markt für Grafikbedarf Farbfächer, in denen die Farben fein abgestuft nach Helligkeit und Farbe angeordnet sind. Wenn wir jetzt eine beliebige Farbe nehmen und uns selbst und einem anderen die Aufgabe stellen, diese Farbe in diesen Farbraum einzuordnen, und wir beide lösen diese Aufgabe in der gleichen Weise, könnten wir dann nicht annehmen, daß seine subjektive Wahrnehmung dieser Farbe meiner sehr ähnlich wäre? Damit wüßten wir zumindest, die Ich-Perspektive der Menschen so subjektiv gar nicht ist.

Warum gibt es nun diese Ich-Perspektive überhaupt? Ich denke, daß unser Bewußtsein aus der Selbstwahrnehmung der Tiere entstanden ist. Solange ein Lebewesen auf Außenreize direkt reagiert, auf Verletzung mit ausweichen, auf Nahrung mit auffressen, also ein direktes Reiz-Reaktions-Schema, braucht es kein Selbstbild. Je komplexer aber die Verhaltensweisen werden, zB mehrere Reize gleichzeitig verarbeitet werden können, und das Lebewesen entscheiden muß, was zu tun ist, muß ein Bild von der Umgebung existieren, das mit Bedeutungen versehen wird. Und wenn das mit den Entscheidungen nicht funktioniert, kommt es bei Hühnern zB zu den berühmten Übersprungshandlungen, bei denen sie auf einmal unmotiviert mit den Füßen scharren.

Das Lebewesen lebt in einem Bild von dieser Welt, das ihm sein Gehirn erzeugt. Hier gibt es schon all die Wahrnehmungen, die wir auch kennen, Bilder, farbig oder nicht, Geräusche, Gerüche, Temperaturen, Schmerzen. Und alle diese Empfindungen sind mit negativen oder positiven Gefühlen verbunden, die diesen Wahrnehmungen Bedeutung geben und die sein Verhalten bestimmen, Angriff oder Flucht, Interesse oder Ablehnung usw. Es ist gewissermaßen eine erweiterte Realität, die das Gehirn aus den Umgebungsdaten erzeugt, die der Augmented Reality, die im Moment in Spielumgebungen entsteht, nicht unähnlich ist. Das Haushuhn sieht ein Bild von einem Tier und sein Gedächtnis blendet ein: Vorsicht, Fuchs! Das Gefühl der Angst, das das Huhn empfindet, löst einerseits eine Verstärkung dieser Erinnerung aus und erzeugt andererseits einen Alarmzustand, der beim Huhn nur in Flucht enden kann.

Wenn jetzt Tiere anfangen in sozialen Gruppen zu leben, wird das Einschätzen des Gegenüber immer wichtiger. Neben das Bild von der Welt, das ein Individuum hat, tritt nun die Fähigkeit, auch andere Individuen als solche wahrzunehmen. In dem ich mir selbst als jemand bewußt werde, der sich von anderen unterscheidet, entsteht ein Ich-Bewußtsein. Dieses Ich-Bewußtsein ist also etwas, was evolutionär entstanden ist, das auch nachweisbar ist, nur mit dem Nachempfinden ist es beim gegenwärtigen Stand der Neurowissenschaften noch so eine Sache.

#298:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 13.04.2010, 22:03
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Das Dumme ist nur, daß es so etwas wie Bewußtsein offenbar gibt, auch wenn ihr nicht wißt, wie ihr es in einem physikalistischen Weltbild unterbringen sollt.


"Whatever it precisely may be, consciousness is a state of the body, a state of nerves."
———
"Was immer es genau sein mag, Bewusstsein ist ein Zustand des Körpers, ein Zustand von Nerven."
[© meine Übers.]

(Quine, W. V. Quiddities: An Intermittently Philosophical Dictionary. Cambridge, MA: Harvard University Press, 1987. p. 133)

Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Habt ihr schon einmal daran gedacht, daß das einfach eine Frage der Perspektive ist? Die neuronalen Abläufe im Gehirn erzeugen nicht das Bewußtsein, sie sind es, aus der Perspektive des Eigentümers dieses Gehirns, also aus der Ich-Perspektive. Aus der Er-Perspektive, wenn wir also den Probanden von außen betrachten, sehen wir nur die Abläufe in seinem Gehirn, wie sich diese Abläufe anfühlen, sehen wir nicht, aber das sollte doch auch nicht wundern.


"Was dir auf innerem Standpunkte als dein Geist erscheint, der du selbst dieser Geist bist, erscheint auf äußerem Standpunkte dagegen als dieses Geistes körperliche Unterlage. Es ist ein Unterschied, ob man mit dem Gehirne denkt, oder in das Gehirn des Denkenden hineinsieht. Da erscheint ganz Verschiedenes; aber der Standpunkt ist auch ganz verschieden, dort ein innerer, hier ein äußerer. (...)
Die Naturwissenschaft stellt sich konsequent auf den äußeren Standpunkt der Betrachtung der Dinge, die Wissenschaft vom Geiste auf den inneren; die Ansichten des Lebens fußen auf dem Wechsel der Standpunkte, die Naturphilosophie auf der Identität dessen, was doppelt auf doppeltem Standpunkte erscheint; eine Lehre von den Beziehungen zwischen Geist und Körper wird die Beziehungen beider Erscheinungsweisen des Einen zu verfolgen haben."


(Gustav Th. Fechner: Elemente der Psychophysik, 1889, Erster Teil, Einleitendes, I. Allgemeinere Betrachtung über die Beziehung von Leib und Seele.)

Siehe dazu: http://www.textlog.de/7579.html

#299:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 14.04.2010, 00:03
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

"Was dir auf innerem Standpunkte als dein Geist erscheint, der du selbst dieser Geist bist, erscheint auf äußerem Standpunkte dagegen als dieses Geistes körperliche Unterlage. Es ist ein Unterschied, ob man mit dem Gehirne denkt, oder in das Gehirn des Denkenden hineinsieht. Da erscheint ganz Verschiedenes; aber der Standpunkt ist auch ganz verschieden, dort ein innerer, hier ein äußerer. (...)
Die Naturwissenschaft stellt sich konsequent auf den äußeren Standpunkt der Betrachtung der Dinge, die Wissenschaft vom Geiste auf den inneren; die Ansichten des Lebens fußen auf dem Wechsel der Standpunkte, die Naturphilosophie auf der Identität dessen, was doppelt auf doppeltem Standpunkte erscheint; eine Lehre von den Beziehungen zwischen Geist und Körper wird die Beziehungen beider Erscheinungsweisen des Einen zu verfolgen haben."


(Gustav Th. Fechner: Elemente der Psychophysik, 1889, Erster Teil, Einleitendes, I. Allgemeinere Betrachtung über die Beziehung von Leib und Seele.)

Viel schöner, als ich das könnte. Lachen

Wobei ich eine Anmerkung hätte zum konsequent äußeren Standpunkt der Wissenschaften. Für die Physik (das meinte der Autor wohl mit Naturwissenschaft) gilt das sicherlich, denn es ist unerheblich, wie es ist, sich wie ein Elementarteilchen zu fühlen. Da gibt es keine sinnvolle Ich-Perspektive.

In den biologischen Wissenschaften ist das schon anders. Für die Erforschung des Verhaltens von Tieren kann es durchaus von Bedeutung sein, zu berücksichtigen, wie Tiere in einer bestimmten Situation empfinden, wie und inwieweit sie sich selbst wahrnehmen.

Die Menschenwissenschaften schließlich, Psychologie wie Soziologie, kommen ohne die verschiedenen Perspektiven überhaupt nicht weiter. Und hier geht es nicht nur um die äußere und innere, als die Er- und Ich-Perspektive, sondern, da Menschen nur im Plural, also in Gesellschaften vorkommen, braucht man die gesamte Pronomen-Serie: Menschen nehmen sich nicht nur wahr als Ich oder Er, sondern auch als Wir oder Sie. Aber damit entfernt man sich ein wenig von dem Thema Körper-Bewußtsein.

#300:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 14.04.2010, 00:50
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
.....
Versuchen wir es mal mit einem Teilproblem, der Wahrnehmung von Farbe. Die meisten von uns können Farben wahrnehmen, aber natürlich weiß ich nicht wirklich, wie du eine bestimmte Farbe wahrnimmst. Auch die Untersuchung eines Gehirns mit einem Computertomografen, während es Farben sieht, zeigt uns nur den Vorgang, nicht aber wie er sich subjektiv anfühlt.

Aber vielleicht haben wir einen Ausweg, zumindest in diesem Fall. Es gibt in jedem Markt für Grafikbedarf Farbfächer, in denen die Farben fein abgestuft nach Helligkeit und Farbe angeordnet sind. Wenn wir jetzt eine beliebige Farbe nehmen und uns selbst und einem anderen die Aufgabe stellen, diese Farbe in diesen Farbraum einzuordnen, und wir beide lösen diese Aufgabe in der gleichen Weise, könnten wir dann nicht annehmen, daß seine subjektive Wahrnehmung dieser Farbe meiner sehr ähnlich wäre? ....

Nein. Das zuverlässige Zuordnen eines Gegenstandes zu einer Position in einer Liste mit Gegenständen definierter Reflektion / Absorption zeigt, dass wir in der Lage sind, einen derartigen Wellensalat aufzulösen und wiederzuerkennen. Und das mit einer Konstanz, dass wir uns darüber unterhalten können. Das zeigt aber nur, dass das jeder für sich kann, aber nicht, dass dabei auch alle das gleiche oder auch nur etwas ähnliches fühlen.

fwo

#301:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 14.04.2010, 09:46
    —
fwo hat folgendes geschrieben:

Nein. Das zuverlässige Zuordnen eines Gegenstandes zu einer Position in einer Liste mit Gegenständen definierter Reflektion / Absorption zeigt, dass wir in der Lage sind, einen derartigen Wellensalat aufzulösen und wiederzuerkennen. Und das mit einer Konstanz, dass wir uns darüber unterhalten können. Das zeigt aber nur, dass das jeder für sich kann, aber nicht, dass dabei auch alle das gleiche oder auch nur etwas ähnliches fühlen.

Ja, der Einwand hat etwas. Aber so ganz würde ich das nicht beiseite schieben. Ich habe eine Zeit lang mit einem Kollegen gearbeitet, der eine Rotgrünblindheit hatte. Er konnte nicht nur bestimmte Farben nicht unterscheiden, auch die anderen sahen für ihn anders aus, wobei man das nicht wirklich nachvollziehen kann. Das ist ein individuelles Farbempfinden. Aber wenn ich mich mit Leuten unterhalte, die diese Schwäche nicht haben, würde ich dann nicht sehr schnell merken, wenn die Wahrnehmung zB verschiedener Grüntöne von meiner abweichen würde?

Farben existieren ja nicht von sich aus, auch wenn physikalische Eigenschaften dafür verantwortlich sind, ob uns etwas grün oder rot erscheint. Eine grünen Farbeindruck kann ich ja unterschiedlich erzeugen, sagen wir mit Wasser- oder Metallfarben und doch erkennen es unterschiedliche Menschen als grün. Wie wahrscheinlich ist es, daß zwei Menschen grün in gleicher Weise beschreiben, selbst feinste Grünabstufungen in gleicher Weise benennen und einordnen können, die gleichen (Frühlings-)Gefühle damit verbinden (soweit man die äußern kann) und doch (ich formulier mal etwas flapsig) intern der eine blau sieht und der andere rot?

Jeder kennt ja Debatten im Bekleidungsgeschäft um die Frage, ob ein Schwarz eher Schwarz oder Blau sei. Diese Debatten fallen uns auf, weil wir solche Zweifelsfälle nicht so häufig haben.

#302:  Autor: Tso Wang BeitragVerfasst am: 14.04.2010, 10:27
    —
Ascanius hat folgendes geschrieben:
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
Warum nur vergeuden sogar Neurobiologen ihre Zeit immer wieder mit denselben Banalitäten?


Bezieht sich Deine fragende Antwort auf die von mir verlinkte Dokumentation auf 3sat:

"Dem Bewußtsein auf der Spur" , weil Du ja direkt darauf gepostet hast ?


Unter Anderem. So interessant die Ergebnisse neurowissenschaftlicher Forschung auch sein mögen, so ganz und gar nicht revolutionär sind sie in philosophischer Hinsicht. Einen "freien Willen" kann es schon aus logischem Grunde nicht geben, und auch der Umstand, daß sich Gehirne in spezifischer Weise regen, bevor ihren Besitzern etwas Bestimmtes bewußt wird, liegt in der Natur von Bewußtwerdungsprozessen. Einige Neurowissenschaftler wären gut beraten, ihre Erkenntnisse etwas niedriger zu hängen oder wenigstens philosophisch verantwortungsvoller zu kommentieren.



.

Es kommt auf die Betrachungsweise an - wie ich schon mal im "Freier-Wille-Thread" schrieb.

"Ich habe einen Freien Willen. Aber nicht mein Ich hat ihn, sondern mein Selbst."

()

#303:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 14.04.2010, 22:19
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
.......
Farben existieren ja nicht von sich aus, auch wenn physikalische Eigenschaften dafür verantwortlich sind, ob uns etwas grün oder rot erscheint. Eine grünen Farbeindruck kann ich ja unterschiedlich erzeugen, sagen wir mit Wasser- oder Metallfarben und doch erkennen es unterschiedliche Menschen als grün. Wie wahrscheinlich ist es, daß zwei Menschen grün in gleicher Weise beschreiben, selbst feinste Grünabstufungen in gleicher Weise benennen und einordnen können, die gleichen (Frühlings-)Gefühle damit verbinden (soweit man die äußern kann) und doch (ich formulier mal etwas flapsig) intern der eine blau sieht und der andere rot?

Jeder kennt ja Debatten im Bekleidungsgeschäft um die Frage, ob ein Schwarz eher Schwarz oder Blau sei. Diese Debatten fallen uns auf, weil wir solche Zweifelsfälle nicht so häufig haben.

Es existieren zwar strenggenommen keine Farben, aber es existiert innerhalb des von einem Objekt reflektierten Lichtsalats ein Frequenzgemisch, für das die unter uns, die in der Lage sind, es eindeutig anzusprechen, sich auf einen Namen geeinigt haben. Was Du hier beschreibst, ist der Sonderfall, dass zwei keine vergleichbare Auflösung erziehlen - dadurch ist die Anzahl der Eigenschaften, in denen sie Licht wahrnehmen unterschiedlich und ihre Verständigung wird schwer. Es lässt sich allerdings daraus nicht herleiten, dass sie die Farben wirklich unterschiedlich fühlen, das einzige, was sich sagen lässt, ist dass die Zuordnung zwisch Gefühl und Lichteigenschaften bei dem einen reproduzierbar und in der Kommunikation mit anderen erfolgreich ist, bei dem anderen nicht, bzw. in geringerem Maß.

****
Anekdote dazu: Ich hatte mal einen Job als Orni, bei dem ich einen Mitarbeiter für die Feldarbeit hatte, der rot-grün-blind war. Das wusste ich allerdings nicht vorher, hatte mich nur einige Male über seine Schwierigkeiten gewundert, einen sitzenden Vogel sauber zu identifizieren, bis das Problem unübersehbar wurde, als ich einen Grünfink in der Hand hatte, bei dem er meiner Bestimmung nicht zustimmen wollte, weil das Tier nach seiner Meinung ganz deutlich rot war. Auf meine direkte Frage "sag mal, kann es sein, dass Du rot-grün-blind bist?" gab er die Antwort: "Das behaupten die Leute schon, seit ich ein Kind bin, aber das ist völliger Blödsinn."

fwo

#304: Kognitives und phänomenales Bewußtsein Autor: Tso Wang BeitragVerfasst am: 15.04.2010, 08:58
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
.....
Versuchen wir es mal mit einem Teilproblem, der Wahrnehmung von Farbe. Die meisten von uns können Farben wahrnehmen, aber natürlich weiß ich nicht wirklich, wie du eine bestimmte Farbe wahrnimmst. Auch die Untersuchung eines Gehirns mit einem Computertomografen, während es Farben sieht, zeigt uns nur den Vorgang, nicht aber wie er sich subjektiv anfühlt.

Aber vielleicht haben wir einen Ausweg, zumindest in diesem Fall. Es gibt in jedem Markt für Grafikbedarf Farbfächer, in denen die Farben fein abgestuft nach Helligkeit und Farbe angeordnet sind. Wenn wir jetzt eine beliebige Farbe nehmen und uns selbst und einem anderen die Aufgabe stellen, diese Farbe in diesen Farbraum einzuordnen, und wir beide lösen diese Aufgabe in der gleichen Weise, könnten wir dann nicht annehmen, daß seine subjektive Wahrnehmung dieser Farbe meiner sehr ähnlich wäre? ....

Nein. Das zuverlässige Zuordnen eines Gegenstandes zu einer Position in einer Liste mit Gegenständen definierter Reflektion / Absorption zeigt, dass wir in der Lage sind, einen derartigen Wellensalat aufzulösen und wiederzuerkennen. Und das mit einer Konstanz, dass wir uns darüber unterhalten können. Das zeigt aber nur, dass das jeder für sich kann, aber nicht, dass dabei auch alle das gleiche oder auch nur etwas ähnliches fühlen.

fwo



.

Ja, das ist der Unterschied zwischen "kognitivem" und "phänomenalem" Bewußtsein. Die Übereinstimmung in der Farbbezeichnung zweier Menschen bezüglich eines Objekts muß nicht einhergehen mit einer Übereinstimmung des "Farbgefühls" .

Es ist vermutlich nicht so, aber es ist theoretisch nicht unmöglich, daß jemand grün als rot (und umgekehrt) wahrnehmen könnte. Und obwohl er ein anderes Empfinden hat als sein Gegenüber, wird das niemand merken und er selbst auch nicht, weil er gewohnt ist, daß das, was er als rot empfindet, nunmal mit grün bezeichnet wird und deshalb sagt er auch über ein Objekt, es sei grün, weil er so gelernt hat. Da gibt's jede Menge paradoxer Spielereien.

()

#305: Re: Kognitives und phänomenales Bewußtsein Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 15.04.2010, 10:57
    —
Tso Wang hat folgendes geschrieben:

Ja, das ist der Unterschied zwischen "kognitivem" und "phänomenalem" Bewußtsein. Die Übereinstimmung in der Farbbezeichnung zweier Menschen bezüglich eines Objekts muß nicht einhergehen mit einer Übereinstimmung des "Farbgefühls" .

Es ist vermutlich nicht so, aber es ist theoretisch nicht unmöglich, daß jemand grün als rot (und umgekehrt) wahrnehmen könnte. Und obwohl er ein anderes Empfinden hat als sein Gegenüber, wird das niemand merken und er selbst auch nicht, weil er gewohnt ist, daß das, was er als rot empfindet, nunmal mit grün bezeichnet wird und deshalb sagt er auch über ein Objekt, es sei grün, weil er so gelernt hat. Da gibt's jede Menge paradoxer Spielereien.

Richtig, und um das Paradoxon noch weiter zu treiben, da Rot für ihn alle Eigenschaften hat, wie für den anderen Grün, Frische, Verbindung mit Frühling usw., macht es dann überhaupt noch Sinn, zu sagen, sein Rot sei etwas anderes als das Grün des anderen?

#306:  Autor: AscaniusWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 15.04.2010, 18:44
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Natürlich liegen sowohl äußeren Wahrnehmungen wie dem Sehen eines Baumes als auch inneren Wahrnehmungen (Empfindungen) wie dem Spüren eines Schmerzes in der Wade Nervenvorgänge zugrunde; aber der Unterschied besteht darin, dass erstens das Sein des Schmerzes im Gegensatz zum Sein des Baumes in seinem Wahrgenommenwerden, Empfundenwerden besteht und zweitens Schmerzen im Gegensatz zu Bäumen keine Dinge sind. Die Wahrnehmung eines Schmerzes in der Wade besteht genau genommen in der Wahrnehmung des Schmerzens der Wade, wobei man bestenfalls die Wade als ein Ding bezeichnen kann, aber nicht das Schmerzen der Wade.


Das brauchst Du einem Emergentistischen Materialisten durchaus nicht zu erklären. Auf die begriffliche Unterscheidung von neuronalen Prozessen und ihren Äquivalenzklassen muß ich jedoch bestehen. Sie ist notwendig, um den Innenaspekt unseres Körpers nicht mit jenen Prozessen zu verwechseln, die ihm zugrundeliegen.

Myron hat folgendes geschrieben:
Natürlich dauert es einen Moment, bis der von einem, sagen wir, Muskelfaserriss in der Wade ausgelöste Nervenreiz mein Gehirn erreicht hat. Doch solange dieser zunächst rein physische Vorgang nicht in einen psychophysischen Vorgang umgewandelt ist, sind keine Schmerzen vorhanden.


Ein Vorgang findet einfach statt. Er kann nicht in einen anderen "umgewandelt" werden. Also wird ein bestimmter neuronaler Vorgang als Schmerz wahrgenommen ... oder eben nicht.

Myron hat folgendes geschrieben:
Denn zu einem Schmerz gehört notwendigerweise das unmittelbare Gespürtwerden seiner Schmerzhaftigkeit.


Ich hingegen müßte formulieren: Um einen bestimmten neuronalen Vorgang als Schmerz wahrzunehmen, muß er bewußt werden (denn: Schmerz ist kein neuronaler Vorgang, sondern "nur" die Äquivalenzklasse neuronaler Vorgänge einer bestimmten Art).

Myron hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
Nicht alles, was wir "erleben", wird uns auch bewußt, aber was uns bewußt wird, muß bereits geschehen sein.


Ich halte die Phrase "bewusstes Erleben" für redundant, weil nach meinem Verständnis Erleben per se bewusstes Erleben ist.


Danke für die Klärung! Nun weiß ich, was Du meinst.

Myron hat folgendes geschrieben:
(Man kann allerdings zwischen Widerfahrnissen und Erlebnissen unterscheiden;


Dasselbe tue ich, indem ich zwischen "Erleben" und "bewußtem Erleben/wahrnehmen" unterscheide. Es ist immer sehr nützlich, Begriffe zu klären - auch, wenn man ihren Gebrauch nicht synchronisiert.

Myron hat folgendes geschrieben:
Und mein Punkt ist, dass wenn Bewusstseinsvorgänge Nervenvorgänge sind, sie logischerweise gleichzeitig mit diesen ablaufen.


Wie kann denn ein Vorgang "gleichzeitig" mit sich selbst ablaufen ("Bewußtseinsvorgänge sind Nervenvorgänge")? Zu solchen Verwirrungen kommt es, wenn nicht mit messerscharfer Präzision zwischen Dingen und Konstrukten sowie zwischen Gehirnprozessen und ihren Äquivalenzklassen unterschieden wird.

Myron hat folgendes geschrieben:
bei allen relevanten Körperereignissen und -vorgängen vor dem Spüren des Schmerzes handelt es sich eben nicht um geistig-seelische, sondern um rein körperliche Ereignisse und Vorgänge.


"Geistig(-seelisch)e" Ereignisse und Vorgänge sind körperliche Ereignisse und Vorgänge, denn der Geist ist die Funktion/höchstemergente Eigenschaft eines bestimmten Dinges und kann als solche ihrerseits natürlich kein Ding sein (den Seelenbegriff verwende ich nicht).

Myron hat folgendes geschrieben:
In der Fachliteratur findet sich eine Unterscheidung zwischen transitivem und intransitivem Bewusstsein:

"Transitive Consciousness. In addition to describing creatures as conscious in these various senses, there are also related senses in which creatures are described as being conscious of various things. The distinction is sometimes marked as that between transitive and intransitive notions of consciousness, with the former involving some object at which consciousness is directed (Rosenthal 1986)."
(http://plato.stanford.edu/entries/consciousness/#2.1)


Diese Art von "Fachliteratur" löst in mir regelmäßig Krampfzustände aus, denn ich kann begriffliches Chaos und die mit ihm verbundene Denkverwirrung nur sehr schwer bis gar nicht ertragen. Deshalb möchte ich mich zum verlinkten Text nicht weiter äußern.

Myron hat folgendes geschrieben:
Und was die Definition bzw. Definierbarkeit des Bewusstseinsbegriffs betrifft, so arbeite ich mit Folgendem:

Ein Lebewesen ist bei oder hat Bewusstsein genau dann, wenn es für es irgendwie ist zu sein, es irgendetwas erlebt, ihm die Welt irgendwie erscheint.


Dem könnte ich mich mit einer gewissen Zurückhaltung anschließen. Vor Allem ist mir wichtig, daß "Bewußtsein" nicht verdinglicht wird - eine Gefahr, die achtloser Umgang mit Substantiven vielfach mit sich bringt.

Myron hat folgendes geschrieben:
"Trying to define conscious experience in terms of more primitive notions is fruitless. One might as well try to define 'matter' or 'space' in terms of something more fundamental. The best we can do is to give illustrations and characterizations that lie at the same level. These characterizations cannot qualify as true definitions, due to their implicitly circular nature, but they can help to pin down what is being talked about. I presume that every reader has conscious experiences of his or her own. If all goes well, these characterizations will help establish that it is just those that we are talking about.
The subject matter is perhaps best characterized as 'the subjective quality of experience.' When we perceive, think, and act, there is a whir of causation and information processing, but this processing does not usually go on in the dark. There is also an internal aspect; there is something it feels like to be a cognitive agent. This internal aspect is conscious experience. Conscious experiences range from vivid color sensations to experiences of the faintest background aromas; from hard-edged pains to the elusive experience of thoughts on the tip of one's tongue; from mundane sounds and smells to the encompassing grandeur of musical experience; from the triviality of a nagging itch to the weight of a deep existential angst; from the specificity of the taste of peppermint to the generality of one's experience of selfhood. All these have a distinct experienced quality. All are prominent parts of the inner life of the mind.
We can say that a being is conscious if there is something it is like to be that being, to use a phrase made famous by Thomas Nagel. Similarly, a mental state is conscious if there is something it is like to be in that mental state. To put it another way, we can say that a mental state is conscious if it has a qualitative feel—an associated quality of experience. These qualitative feels are also known as phenomenal qualities, or qualia for short. The problem of explaining these phenomenal qualities is just the problem of explaining consciousness. This is the really hard part of the mind-body problem."


(Chalmers, David J. The Conscious Mind: In Search of a Fundamental Theory. New York: Oxford University Press, 1996. p. 4)


Herr Chalmers geht offenbar von keiner begrifflich genau explizierten und konsistenten Metaphysik aus, denn sein Text ist voller klärungsbedürftiger Begriffe und unkommentierter Verdinglichungen von Konstrukten. Nur so viel: An "phenomenal qualities" (of experience) gibt es nichts zu "erklären". Sie sind schlicht der Innenaspekt von Organismen bestimmter Beschaffenheit. Es gibt auch kein "mind-body problem", und zwar ebensowenig, wie es ein "digestion-body-" oder "respiration-body problem" gibt.

#307:  Autor: AscaniusWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 15.04.2010, 18:45
    —
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
"Ich habe einen Freien Willen. Aber nicht mein Ich hat ihn, sondern mein Selbst."


Diese Aussage ist leider vollkommen unverständlich. Also:

1. Bitte definiere den Begriff "Ich" und triff eine ontologische Klassifikation seines Bezugsobjektes.

2. Bitte definiere den Begriff "Selbst" und triff eine ontologische Klassifikation seines Bezugsobjektes.

Weitere Fragen können sich erst ergeben, wenn Du die nötige sprachliche Klarheit geschaffen hast.

Und übrigens: Farben sind schlicht wahrgenommene Lichtwellenlängen - fwo hat das schon angedeutet. Insoweit, als Augen von gleicher Beschaffenheit sind, nehmen sie Lichtwellen auch in gleicher Weise wahr. Dementsprechend führen Abweichungen oder Ungleichheiten in ihrer Beschaffenheit zu anderen Wahrnehmungen von Lichtwellen.

#308:  Autor: tridi BeitragVerfasst am: 15.04.2010, 21:11
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Jeder kennt ja Debatten im Bekleidungsgeschäft um die Frage, ob ein Schwarz eher Schwarz oder Blau sei.

ich dachte, das problem haette nur ich mit meiner partnerin Smilie

"... deine blaue jacke..."
"was fuer ne blaue jacke?"
"deine blaue halt!"
"ich hab keine blaue jacke!"
"??? die hast du doch taeglich an!"
"haeh?!? die is doch schwarz!"
"schwarz? quatsch... die is doch total blau!"
"blau? kein stueck!"
...

#309:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 15.04.2010, 21:39
    —
tridi hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Jeder kennt ja Debatten im Bekleidungsgeschäft um die Frage, ob ein Schwarz eher Schwarz oder Blau sei.

ich dachte, das problem haette nur ich mit meiner partnerin Smilie

"... deine blaue jacke..."
"was fuer ne blaue jacke?"
"deine blaue halt!"
"ich hab keine blaue jacke!"
"??? die hast du doch taeglich an!"
"haeh?!? die is doch schwarz!"
"schwarz? quatsch... die is doch total blau!"
"blau? kein stueck!"
...

Die Frage ist doch objektiv beantwortbar, Qualia hin oder her.

#310: Das Ich/Bewußtes und das Selbst/Unbewußtes Autor: Tso Wang BeitragVerfasst am: 15.04.2010, 23:40
    —
Ascanius hat folgendes geschrieben:
Tso Wang hat folgendes geschrieben:

Es kommt auf die Betrachtungsweise an - wie ich schon mal im "Freier-Wille-Thread" schrieb
"Ich habe einen Freien Willen. Aber nicht mein Ich hat ihn, sondern mein Selbst."


Diese Aussage ist leider vollkommen unverständlich. Also:

1. Bitte definiere den Begriff "Ich" und triff eine ontologische Klassifikation seines Bezugsobjektes.

2. Bitte definiere den Begriff "Selbst" und triff eine ontologische Klassifikation seines Bezugsobjektes.

Weitere Fragen können sich erst ergeben, wenn Du die nötige sprachliche Klarheit geschaffen hast.

Und übrigens: Farben sind schlicht wahrgenommene Lichtwellenlängen - fwo hat das schon angedeutet. Insoweit, als Augen von gleicher Beschaffenheit sind, nehmen sie Lichtwellen auch in gleicher Weise wahr. Dementsprechend führen Abweichungen oder Ungleichheiten in ihrer Beschaffenheit zu anderen Wahrnehmungen von Lichtwellen.



.

http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?t=22717&postdays=0&postorder=asc&&start=1380#1327570

http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?t=22717&postdays=0&postorder=asc&&start=2100#1425739

ff.

()

#311:  Autor: ShadaikWohnort: MG BeitragVerfasst am: 16.04.2010, 08:43
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Natürlich liegen sowohl äußeren Wahrnehmungen wie dem Sehen eines Baumes als auch inneren Wahrnehmungen (Empfindungen) wie dem Spüren eines Schmerzes in der Wade Nervenvorgänge zugrunde; aber der Unterschied besteht darin, dass erstens das Sein des Schmerzes im Gegensatz zum Sein des Baumes in seinem Wahrgenommenwerden, Empfundenwerden besteht und zweitens Schmerzen im Gegensatz zu Bäumen keine Dinge sind. Die Wahrnehmung eines Schmerzes in der Wade besteht genau genommen in der Wahrnehmung des Schmerzens der Wade, wobei man bestenfalls die Wade als ein Ding bezeichnen kann, aber nicht das Schmerzen der Wade.
Beides sind erstmal Nervensignale, egal, was sie auslöst.

Wieso sollte ein Schmerz kein Ding sein, nur weil wir nicht drauf zeigen können? Natürlich kann Schmerz auch existieren, ohne dass wir ihn wahrnehmen, zumindest der Schmerzimpuls aus der Wade - wir bemerken ihn nur nicht unbedingt. So wie wir einen Baum auch nicht sehen, wenn wir mit dem Rücken zu ihm stehen.

#312: Re: Das Ich/Bewußtes und das Selbst/Unbewußtes Autor: AscaniusWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 17.04.2010, 03:25
    —
Tso Wang hat folgendes geschrieben:

http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?t=22717&postdays=0&postorder=asc&&start=1380#1327570

http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?t=22717&postdays=0&postorder=asc&&start=2100#1425739


Offenbar hast Du nicht das geringste Interesse an philosophischer Klarheit und wissenschaftlicher Präzision. Ich hingegen stehe als Schwurbelkamerad nicht zur Verfügung.

#313: Re: Das Ich/Bewußtes und das Selbst/Unbewußtes Autor: Er_Win BeitragVerfasst am: 17.04.2010, 10:06
    —
Ascanius hat folgendes geschrieben:
Offenbar hast Du nicht das geringste Interesse an philosophischer Klarheit und wissenschaftlicher Präzision. Ich hingegen stehe als Schwurbelkamerad nicht zur Verfügung.


Was an den Ausführungen von "Tso Wang" ist bitte unverständlich und schwurbelig ? Auch wenn ich weder seinen Ich/Selbst-Dualismus noch seine Def. von "freier Wille" teile, finde ich sehr verständlich und klar, wie er seine Auffassung beschreibt.

Erwin

#314:  Autor: ParadoxWohnort: Köln BeitragVerfasst am: 17.04.2010, 10:33
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Irgendwie kommt ihr hier nicht vorwärts, nicht wahr?

Hallo zusammen,
den Eindruck hatte ich auch Smilie
Da ich das Thema spannend finde, hab ich mir einiges dieses langen Threads mal durchgelesen und hatte den zugegeben laienhaften Eindruck, dass man sich in komplizierten aber unwichtigen Kleinigkeiten verliert. Kann aber sein, dass ich einfach zu dumm bin, die Relevanz zu erkennen.
Die Ausgangsfrage war ja, warum und wie sich Bewusstsein entwickeln konnte, wenn man evolutionäre Prozesse zu dessen Bildung voraussetzt.
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Warum gibt es nun diese Ich-Perspektive überhaupt?

Das ist die entscheidende Frage.
Wo ist der evolutionäre Druck? Wieso hat ein Individuum mit Selbstbild einen Vorteil?
In der Diskussion ging es immer wieder um das Ausweichen vor Schmerzen. Dafür ist aber ein Selbstbild nicht nötig. Auch Integration in ein komplexes soziales System erfordern kein Ich- Bewusstsein, wie man an Bienen sehen kann.
Seit kurzem weiss man, dass auch diese scheinbar banalen Krähen sich ihrer selbst bewusst sind, sie haben den Spiegeltest bestanden, den sonst nur einige Primaten schaffen.
Was bringt den Krähen das?
Meine Theorie: Kampf um Nahrung und Bewusstsein von Eigentum sind die Ursache.
Wenn ich Nahrung gefunden habe, die ich nicht direkt fressen kann, habe ich einen Vorteil davon, wenn ich es verstecke. Ich habe aber auch einen Vorteil, wenn mir klar ist, dass auch andere so handeln und ich sie beim Verstecken von Nahrung beobachten kann, wenn ich anderen etwas wegnehmen kann und andere daran hindern kann, mir etwas wegzunehmen, weil mir bewusst ist, dass auch die anderen Krähen mich beobachten und ich deshalb beim Verstecken der Nahrung aufpassen muss.
Das funktioniert aber nur mit Ich- Bewusstsein. Ich kann nur denken: "Das gehört mir", wenn ich mich selbst als Individuum wahrnehme.
Und dann sind da noch die Wölfe. Heute sind Krähen Kulturfolger, aber das war nicht immer so.
Früher sind die Krähen den Wolfsrudeln gefolgt, haben sich über die Reste der Jagdbeute hergemacht, sich mit den Wölfen um das Aas gezankt, und sogar einen einzelnen Wolf so sehr genervt, dass er dem Krähenschwarm das Aas überlassen hat. Dafür muss man als relativ schwacher Gegner schon ziemlich tough und schlau sein. Man muss lernen können, wie sich Wölfe verhalten und wie man sie austricksen kann. Dafür ist es von Vorteil, wenn ich auch die Wölfe als Individuen sehe und mir ein Bild ihrer Motive machen kann.
Ich kann aber nur den anderen als Individuum mit spezifischen Motivationen wahrnehmen, wenn ich mir meiner selbst bewusst bin.
Natürlich ist das nur eine Hypothese...

PS:
Ascanius, wieso hält dein Avatar das Kreuz falsch herum?
Marcellinus, ich mag Dein Avatar Smilie

#315:  Autor: tridi BeitragVerfasst am: 17.04.2010, 14:05
    —
step hat folgendes geschrieben:
tridi hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Jeder kennt ja Debatten im Bekleidungsgeschäft um die Frage, ob ein Schwarz eher Schwarz oder Blau sei.

ich dachte, das problem haette nur ich mit meiner partnerin Smilie

"... deine blaue jacke..."
"was fuer ne blaue jacke?"
"deine blaue halt!"
"ich hab keine blaue jacke!"
"??? die hast du doch taeglich an!"
"haeh?!? die is doch schwarz!"
"schwarz? quatsch... die is doch total blau!"
"blau? kein stueck!"
...

Die Frage ist doch objektiv beantwortbar, Qualia hin oder her.

wie soll das objektiv beantwortbar sein?

#316: Re: Das Ich/Bewußtes und das Selbst/Unbewußtes Autor: Tso Wang BeitragVerfasst am: 17.04.2010, 15:58
    —
Ascanius hat folgendes geschrieben:
Tso Wang hat folgendes geschrieben:

http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?t=22717&postdays=0&postorder=asc&&start=1380#1327570

http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?t=22717&postdays=0&postorder=asc&&start=2100#1425739


Offenbar hast Du nicht das geringste Interesse an philosophischer Klarheit und wissenschaftlicher Präzision. Ich hingegen stehe als Schwurbelkamerad nicht zur Verfügung.



.

Du hast darum gebeten, ich habe nur geantwortet. Ich gebe zu, wenn man Dinge über viele Jahre immer wieder geschrieben hat, wird man ein wenig schreibfaul, hihihi. Deshalb nur die "Links". Werde mir mehr Mühe geben.

Vielleicht führst Du mich (einen offenbar "Interesselosen") ja auch freundlicherweise in die Welt der Wissenschaft und Philosophie ein. Beschreibe doch einfach Deine wissenschaftlichen und philosophischen "Standards", damit ich verstehe, worauf Du in dieser Diskussion hinaus willst, und dann können wir loslegen.

Was ist an meinen Aussagen auszusetzen und wie kommst Du zu Deiner Schlußfolgerung ?

()

#317:  Autor: Tso Wang BeitragVerfasst am: 17.04.2010, 16:29
    —
Paradox hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Irgendwie kommt ihr hier nicht vorwärts, nicht wahr?

Hallo zusammen,
den Eindruck hatte ich auch Smilie
Da ich das Thema spannend finde, hab ich mir einiges dieses langen Threads mal durchgelesen und hatte den zugegeben laienhaften Eindruck, dass man sich in komplizierten aber unwichtigen Kleinigkeiten verliert. Kann aber sein, dass ich einfach zu dumm bin, die Relevanz zu erkennen.
Die Ausgangsfrage war ja, warum und wie sich Bewusstsein entwickeln konnte, wenn man evolutionäre Prozesse zu dessen Bildung voraussetzt.
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Warum gibt es nun diese Ich-Perspektive überhaupt?

Das ist die entscheidende Frage.
Wo ist der evolutionäre Druck? Wieso hat ein Individuum mit Selbstbild einen Vorteil?
.....



.

Das Bewußtsein ermöglicht uns, zu reflektieren (deshalb wird es in Religionen und Philosophien oft mit "Spiegeln" in Zusammenhang gebracht) und zu planen. Und dieses Reflektieren verschafft uns einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen (hab ich u.a. hier schon mal formuliert #1428381), allerdings nur, wenn wir Zeit haben. Bei schnellen Prozessen wird unser Bewußtsein kurzzeitig über Bord geworfen und wir handeln aus dem Unbewußten heraus.

()

#318:  Autor: Roter BallonWohnort: München BeitragVerfasst am: 17.04.2010, 16:58
    —
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
(...)
.

Das Bewußtsein ermöglicht uns, zu reflektieren (...)

()

Das ist übrigens "legendär" falsch.
wir haben die Fähigkeit über unser Handeln nachzudenken - gemeint: nach_her, später, zurückschauend.

Wir werden uns eigentlich nur darüber "bewußt" wie wir in dem eben vergangenem Moment gewesen waren.
Jetzt, aber auch schon wieder vorbei ist - erinnern wir uns dem davor, daß sich dann doch nicht so sehr von dem vorher_davor unterscheidet - das was dabei übrig bleibt nennen wir schlicht Bewußtsein.

Das Bewußtsein ermöglicht gar nichts, es ist die Erinnerung daran, wie wir in vergangenen Momenten der Selbe geblieben sind.

#319:  Autor: Tso Wang BeitragVerfasst am: 17.04.2010, 20:36
    —
Roter Ballon hat folgendes geschrieben:
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
(...)
.

Das Bewußtsein ermöglicht uns, zu reflektieren (...)

()

Das ist übrigens "legendär" falsch.
wir haben die Fähigkeit über unser Handeln nachzudenken - gemeint: nach_her, später, zurückschauend.


.

Du beschreibst das Gleiche nur mit anderen Worten. "Re - Flektion" setzt immer hinterher ein. Wo siehst du den Unterschied ?
Wir können aber nicht nur Reflektieren, sondern auch mit den vergangenen Erfahrungen für die Zukunft planen (Ereignisse simulieren, wie Sportler das z.B vorm Turmspringen auch machen)

Zitat:
Wir werden uns eigentlich nur darüber "bewußt" wie wir in dem eben vergangenem Moment gewesen waren.
Jetzt, aber auch schon wieder vorbei ist - erinnern wir uns dem davor, daß sich dann doch nicht so sehr von dem vorher_davor unterscheidet - das was dabei übrig bleibt nennen wir schlicht Bewußtsein.

Das Bewußtsein ermöglicht gar nichts, es ist die Erinnerung daran, wie wir in vergangenen Momenten der Selbe geblieben sind.


Da bin ich anderer Meinung.

()

#320:  Autor: Roter BallonWohnort: München BeitragVerfasst am: 17.04.2010, 23:54
    —
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Roter Ballon hat folgendes geschrieben:
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
(...)
.

Das Bewußtsein ermöglicht uns, zu reflektieren (...)

()

Das ist übrigens "legendär" falsch.
wir haben die Fähigkeit über unser Handeln nachzudenken - gemeint: nach_her, später, zurückschauend.


.

Du beschreibst das Gleiche nur mit anderen Worten. "Re - Flektion" setzt immer hinterher ein. Wo siehst du den Unterschied ?
Wir können aber nicht nur Reflektieren, sondern auch mit den vergangenen Erfahrungen für die Zukunft planen (Ereignisse simulieren, wie Sportler das z.B vorm Turmspringen auch machen)

Zitat:
Wir werden uns eigentlich nur darüber "bewußt" wie wir in dem eben vergangenem Moment gewesen waren.
Jetzt, aber auch schon wieder vorbei ist - erinnern wir uns dem davor, daß sich dann doch nicht so sehr von dem vorher_davor unterscheidet - das was dabei übrig bleibt nennen wir schlicht Bewußtsein.

Das Bewußtsein ermöglicht gar nichts, es ist die Erinnerung daran, wie wir in vergangenen Momenten der Selbe geblieben sind.


Da bin ich anderer Meinung.

()

Das Gleiche ist nicht dasselbe *möp*

mal konkret:
du nennst eine Fähigkeit, die wir alle ohnehin haben, als exclusiv" ermöglicht von "Bewußtsein" -
obwohl niemand hier ein Vorschlag machen konnte, was es denn sei, dieses was wir Bewußtsein nennen.
* Einer Unbekannten werden diverse Fähigkeiten zu eigen gemacht.
* Fähigkeiten, die aber auch ohne Unbekannte sehr leicht zu beschreiben sind.
Ergo ... wozu die Unbekannte einführen?

laß mal deine Meinung zurück, und erklär mir mal das wozu?

Oder laß dich mal auf den Gedanken ein,
Das Bewußtsein nicht mehr ist, als das Fragment des eben gewesenen.
Unsere Fähigkeit uns zu erinnern, spielt uns den Streich uns ein lebendiges Abbild eines früheren ich vorzuhalten = wir reflektieren.
Und da wir unser Selbstbild ausnahmslos für so einzigartig und toll halten ...
naja narziZschtisch ist jeder irgendwie.
Bewußtsein ist eine sich selbst überschätzende Wahrnehmungsverzerrung - mehr nicht mMn.

#321:  Autor: Tso Wang BeitragVerfasst am: 18.04.2010, 16:54
    —
Roter Ballon hat folgendes geschrieben:
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Roter Ballon hat folgendes geschrieben:
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
(...)
.

Das Bewußtsein ermöglicht uns, zu reflektieren (...)

()

Das ist übrigens "legendär" falsch.
wir haben die Fähigkeit über unser Handeln nachzudenken - gemeint: nach_her, später, zurückschauend.


.

Du beschreibst das Gleiche nur mit anderen Worten. "Re - Flektion" setzt immer hinterher ein. Wo siehst du den Unterschied ?
Wir können aber nicht nur Reflektieren, sondern auch mit den vergangenen Erfahrungen für die Zukunft planen (Ereignisse simulieren, wie Sportler das z.B vorm Turmspringen auch machen)

Zitat:
Wir werden uns eigentlich nur darüber "bewußt" wie wir in dem eben vergangenem Moment gewesen waren.
Jetzt, aber auch schon wieder vorbei ist - erinnern wir uns dem davor, daß sich dann doch nicht so sehr von dem vorher_davor unterscheidet - das was dabei übrig bleibt nennen wir schlicht Bewußtsein.

Das Bewußtsein ermöglicht gar nichts, es ist die Erinnerung daran, wie wir in vergangenen Momenten der Selbe geblieben sind.


Da bin ich anderer Meinung.

()

Das Gleiche ist nicht dasselbe *möp*



.

Aber auch nicht sein Gegenteil.

Zitat:
mal konkret:
du nennst die Fähigkeit, die wir alle ohnehin haben


...sofern wir vom Gewohnten ausgehen...

Zitat:
.., als exclusiv" ermöglicht von "Bewußtsein" -


..habe ich zwar nicht ("exclusiv"), aber ich lass mich mal darauf ein.

Zitat:
obwohl niemand hier ein Vorschlag machen konnte, was es denn sei, dieses was wir Bewußtsein nennen.


Da gibt es diverse Theorien. Möglicherweise wird uns nur das bewußt, was auf neuronaler Ebene im Gleichtakt mit 40-Hertz feuert. Diejenigen Nervenzellensembles (neurologische Korrelate, Engrammierungen...), die sich auf ein gemeinsames Objekt bzw. auf eine gemeinsame "Situation" geeinigt haben und mit gemeinsamer "Frequenz" feuern, bilden "das Bewußte" ("das bewußte Ich" oder auch "Selbst 1"); alle anderen Zellensemble, die sich zwar auch auf gemeinsame Objekte bzw. Situationen einigen und sie "intern" simulieren, aber eben nicht in dieser Qualität - wie oben beschrieben - feuern, "fristen" ihr Dasein im "Unbewußten ("das unbewußte Selbst" oder auch "Selbst 2"). Das Unbewußte macht übrigens einen erheblich größeren Anteil an unserer Persönlichkeit aus. Darüber hinaus braucht der Bewußtseinsprozess Zeit, er hinkt also der "äußeren Wirklichkeit" immer ein wenig hinterher.

Näheres dazu und zu "Ich habe einen Freien Willen. Aber nicht mein Ich hat ihn, sondern mein Selbst" findet man in Tor Nörretranders "Spüre die Welt - Die Wissenschaft des Bewußtseins, m.E. eines der besten Bücher über dieses Thema: Ein Querschnitt aus Informationstheorie, Psychologie, Neurobiologie, Philosophie, Religion und Mythologie. Lesenswert.

Thomas Metzinger macht diese Unterscheidung zwischen Ich und Selbst nicht. Im Gegenteil: Er setzt sie gleich. In seinem Buch "Der Ego-Tunnel - Eine Neue Philosophie des Selbst...." schreibt er im Kapitel 8 auf S. 291: "Wir sind selbstlose Ego-Maschinen". Diese Definition könnte dazu führen, daß wir uns lediglich mit unseren bewußten Prozessen identifizieren. Dann wären wir allerdings nur soetwas wie hilflose "Entitäten", die dem Schicksal rückkopplungslos ausgeliefert sind. Vielleicht handelt es sich hier aber auch nur um einen Definitionsstreit (wie ich es schon mal angedeutet habe, siehe die Links weiter oben)..

Zitat:
#Einer Unbekannten werden diverse Fähigkeiten zu eigen gemacht.
#Fähigkeiten, die aber auch ohne Unbekannte sehr leicht zu beschreiben sind.


Die Tricks der "milliardenschweren" Werbeindustrie und der Militärpsychologie sind gerade deswegen erfolgreich, weil es diese "schöne" Unbekannte gibt und es sie zu umgehen gilt. Es wäre schwierig, diese - ohne die Existenz des "bewußten Ichs" - zu beschreiben. Aber bitte, leg los...

Zitat:
laß mal deine Meinung zurück, und erklär mir das wozu?


Wie soll ich das tun, ohne meine Meinung zu äußern ?

So:

# mmmpfff, grrrmmpff! # ?

Oder so:

Wie ich bereits erwähnt habe, bin ich der Meinung, daß das "bewußte Ich" zur Reflektion ( = Nachdenken, Überlegung, Betrachtung, vergleichendes und prüfendes Denken, Vertiefung eines Gedankengangs) fähig ist und damit durch "Planung" (interne Simulation von äußeren Ereignissen), Einfluss auf seine Umgebung ausüben kann. Es kann beipielsweise untersuchen, wie bewußte und unbewußte Prozesse zusammenhängen, wie man sich gegen physisch stärkere Raubtiere wehren kann oder auch dafür sorgen, daß die Zuschauer in einem Stadion vor einem Hagelsturm oder Piloten vor einer Aschewolke gewarnt werden...etc.

(Es ist aber auch zur Täuschung (zur "Lüge") fähig. Da gibt's interessante Ideen zum Ursprung des Bewußtseins im Zusammenhang mit der griechischen Mythologie.)

Zitat:
Oder laß dich mal auf den Gedanken ein,
Das Bewußtsein nicht mehr ist, als das Fragment des eben gewesenen.


Darauf muss ich mich nicht einlassen. Denn es stimmt. Das Bewußtsein ist ein Rechenprozess, der Zeit braucht. Aus einer riesigen Anzahl von Datenmengen, die von Außen in unser Gehirn gelangt (mehrere Millionen Bits/s) wird (durch unbewußte Prozesses) eine Simulation von etwa 1-16 (manche sagen bis max. 40 ) Bits/s komprimiert.

Die Intelligenz dieses Rechenprozesses besteht darin, nicht eine riesige Menge von Information, sondern eine Menge von Exformation zu verwalten (ähnliche Techniken werden mittlerweile auch in den Programmen digitaler Gesichtererkennung angewandt; früher ist man dshalb gescheitert, weil man es anders herum versuchte).

Zitat:
Unsere Fähigkeit uns zu erinnern, spielt uns den Streich uns ein lebendiges Abbild eines früheren ich vorzuhalten = wir reflektieren


Das nennt man "Benutzerillusion". Im Daoismus und im Buddhismus gibt es dazu interessante Gedankengänge.

Zitat:
Und da wir unser Selbstbild ausnahmslos für so einzigartig und toll halten...
naja narziZschtisch ist jeder irgendwie.
Bewußtsein ist eine sich selbst überschätzende Wahrnehmungsverzerrung - mehr nicht mMn.


Das Ich-Bewußtsein ist wie sein Organismus in einem dauernden Wandlungsprozess.
Vielleicht muss das Ich-Bewußtsein seinen Platz noch finden....es ist doch noch so jung, hihihi.
So, mein Selbst geht jetzt mit meinem Ich wieder in die Sonne. Super Wetter heute !

()

#322:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 18.04.2010, 20:17
    —
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
[quote="Marcellinus"
Das Bewußtsein ermöglicht uns, zu reflektieren (deshalb wird es in Religionen und Philosophien oft mit "Spiegeln" in Zusammenhang gebracht) und zu planen. Und dieses Reflektieren verschafft uns einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen (hab ich u.a. hier schon mal formuliert #1428381), allerdings nur, wenn wir Zeit haben. Bei schnellen Prozessen wird unser Bewußtsein kurzzeitig über Bord geworfen und wir handeln aus dem Unbewußten heraus.

Wissen wir eigentlich auch alle. Deshalb ist ja unser Leben eine ständige Abfolge von Lernen und Überlegen. Wenn Fahranfänger zum ersten Mal im Auto sitzen, müssen sie ständig überlegen, wie sie dieses und jenes tun. Erst wenn es ihnen, wie sagen wir so schön, 'in Fleisch und Blut übergegangen ist', können sie wirklich fahren.

#323:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 18.04.2010, 20:18
    —
Paradox hat folgendes geschrieben:

Marcellinus, ich mag Dein Avatar Smilie

Danke! Und du magst intelligente Vögel? Smilie

#324:  Autor: ParadoxWohnort: Köln BeitragVerfasst am: 18.04.2010, 23:46
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Danke! Und du magst intelligente Vögel? Smilie


Touché. Smilie
Ich liebe die Viecher.

#325:  Autor: Roter BallonWohnort: München BeitragVerfasst am: 19.04.2010, 15:48
    —
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Roter Ballon hat folgendes geschrieben:
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Roter Ballon hat folgendes geschrieben:
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
(...)
.

Das Bewußtsein ermöglicht uns, zu reflektieren (...)

()

Das ist übrigens "legendär" falsch.
wir haben die Fähigkeit über unser Handeln nachzudenken - gemeint: nach_her, später, zurückschauend.


.

Du beschreibst das Gleiche nur mit anderen Worten. "Re - Flektion" setzt immer hinterher ein. Wo siehst du den Unterschied ?
Wir können aber nicht nur Reflektieren, sondern auch mit den vergangenen Erfahrungen für die Zukunft planen (Ereignisse simulieren, wie Sportler das z.B vorm Turmspringen auch machen)

Zitat:
Wir werden uns eigentlich nur darüber "bewußt" wie wir in dem eben vergangenem Moment gewesen waren.
Jetzt, aber auch schon wieder vorbei ist - erinnern wir uns dem davor, daß sich dann doch nicht so sehr von dem vorher_davor unterscheidet - das was dabei übrig bleibt nennen wir schlicht Bewußtsein.

Das Bewußtsein ermöglicht gar nichts, es ist die Erinnerung daran, wie wir in vergangenen Momenten der Selbe geblieben sind.


Da bin ich anderer Meinung.

()

Das Gleiche ist nicht dasselbe *möp*



.

Aber auch nicht sein Gegenteil.

Zitat:
mal konkret:
du nennst die Fähigkeit, die wir alle ohnehin haben


...sofern wir vom Gewohnten ausgehen...

Zitat:
.., als exclusiv" ermöglicht von "Bewußtsein" -


..habe ich zwar nicht ("exclusiv"), aber ich lass mich mal darauf ein.

Zitat:
obwohl niemand hier ein Vorschlag machen konnte, was es denn sei, dieses was wir Bewußtsein nennen.


Da gibt es diverse Theorien. Möglicherweise wird uns nur das bewußt, was auf neuronaler Ebene im Gleichtakt mit 40-Hertz feuert. Diejenigen Nervenzellensembles (neurologische Korrelate, Engrammierungen...), die sich auf ein gemeinsames Objekt bzw. auf eine gemeinsame "Situation" geeinigt haben und mit gemeinsamer "Frequenz" feuern, bilden "das Bewußte" ("das bewußte Ich" oder auch "Selbst 1"); alle anderen Zellensemble, die sich zwar auch auf gemeinsame Objekte bzw. Situationen einigen und sie "intern" simulieren, aber eben nicht in dieser Qualität - wie oben beschrieben - feuern, "fristen" ihr Dasein im "Unbewußten ("das unbewußte Selbst" oder auch "Selbst 2"). Das Unbewußte macht übrigens einen erheblich größeren Anteil an unserer Persönlichkeit aus. Darüber hinaus braucht der Bewußtseinsprozess Zeit, er hinkt also der "äußeren Wirklichkeit" immer ein wenig hinterher.

Näheres dazu und zu "Ich habe einen Freien Willen. Aber nicht mein Ich hat ihn, sondern mein Selbst" findet man in Tor Nörretranders "Spüre die Welt - Die Wissenschaft des Bewußtseins, m.E. eines der besten Bücher über dieses Thema: Ein Querschnitt aus Informationstheorie, Psychologie, Neurobiologie, Philosophie, Religion und Mythologie. Lesenswert.

Thomas Metzinger macht diese Unterscheidung zwischen Ich und Selbst nicht. Im Gegenteil: Er setzt sie gleich. In seinem Buch "Der Ego-Tunnel - Eine Neue Philosophie des Selbst...." schreibt er im Kapitel 8 auf S. 291: "Wir sind selbstlose Ego-Maschinen". Diese Definition könnte dazu führen, daß wir uns lediglich mit unseren bewußten Prozessen identifizieren. Dann wären wir allerdings nur soetwas wie hilflose "Entitäten", die dem Schicksal rückkopplungslos ausgeliefert sind. Vielleicht handelt es sich hier aber auch nur um einen Definitionsstreit (wie ich es schon mal angedeutet habe, siehe die Links weiter oben)..

Zitat:
#Einer Unbekannten werden diverse Fähigkeiten zu eigen gemacht.
#Fähigkeiten, die aber auch ohne Unbekannte sehr leicht zu beschreiben sind.


Die Tricks der "milliardenschweren" Werbeindustrie und der Militärpsychologie sind gerade deswegen erfolgreich, weil es diese "schöne" Unbekannte gibt und es sie zu umgehen gilt. Es wäre schwierig, diese - ohne die Existenz des "bewußten Ichs" - zu beschreiben. Aber bitte, leg los...

Zitat:
laß mal deine Meinung zurück, und erklär mir das wozu?


Wie soll ich das tun, ohne meine Meinung zu äußern ?

So:

# mmmpfff, grrrmmpff! # ?

Oder so:

Wie ich bereits erwähnt habe, bin ich der Meinung, daß das "bewußte Ich" zur Reflektion ( = Nachdenken, Überlegung, Betrachtung, vergleichendes und prüfendes Denken, Vertiefung eines Gedankengangs) fähig ist und damit durch "Planung" (interne Simulation von äußeren Ereignissen), Einfluss auf seine Umgebung ausüben kann. Es kann beipielsweise untersuchen, wie bewußte und unbewußte Prozesse zusammenhängen, wie man sich gegen physisch stärkere Raubtiere wehren kann oder auch dafür sorgen, daß die Zuschauer in einem Stadion vor einem Hagelsturm oder Piloten vor einer Aschewolke gewarnt werden...etc.

(Es ist aber auch zur Täuschung (zur "Lüge") fähig. Da gibt's interessante Ideen zum Ursprung des Bewußtseins im Zusammenhang mit der griechischen Mythologie.)

Zitat:
Oder laß dich mal auf den Gedanken ein,
Das Bewußtsein nicht mehr ist, als das Fragment des eben gewesenen.


Darauf muss ich mich nicht einlassen. Denn es stimmt. Das Bewußtsein ist ein Rechenprozess, der Zeit braucht. Aus einer riesigen Anzahl von Datenmengen, die von Außen in unser Gehirn gelangt (mehrere Millionen Bits/s) wird (durch unbewußte Prozesses) eine Simulation von etwa 1-16 (manche sagen bis max. 40 ) Bits/s komprimiert.

Die Intelligenz dieses Rechenprozesses besteht darin, nicht eine riesige Menge von Information, sondern eine Menge von Exformation zu verwalten (ähnliche Techniken werden mittlerweile auch in den Programmen digitaler Gesichtererkennung angewandt; früher ist man dshalb gescheitert, weil man es anders herum versuchte).

Zitat:
Unsere Fähigkeit uns zu erinnern, spielt uns den Streich uns ein lebendiges Abbild eines früheren ich vorzuhalten = wir reflektieren


Das nennt man "Benutzerillusion". Im Daoismus und im Buddhismus gibt es dazu interessante Gedankengänge.

Zitat:
Und da wir unser Selbstbild ausnahmslos für so einzigartig und toll halten...
naja narziZschtisch ist jeder irgendwie.
Bewußtsein ist eine sich selbst überschätzende Wahrnehmungsverzerrung - mehr nicht mMn.


Das Ich-Bewußtsein ist wie sein Organismus in einem dauernden Wandlungsprozess.
Vielleicht muss das Ich-Bewußtsein seinen Platz noch finden....es ist doch noch so jung, hihihi.
So, mein Selbst geht jetzt mit meinem Ich wieder in die Sonne. Super Wetter heute !

()


hey, eigentlich liebe ich es ja wie und was du schreibst -

leider verfehlst du aber etwas auf den (.) zu bringen.
auch ist es ein wenig mau, bspw. zu sagen:
Zitat:
Im Daoismus und im Buddhismus gibt es dazu interessante Gedankengänge.

unbefriedigend!

Ich übertreibs jetzt bissi mit polarisieren ... zwinkern
Bewußtsein ist paramystisches Geschwurbel.

Objektivierend läßt sich nur mit "Identität" und/oder "Content" Gemeinsames und/oder Unterschiedliches herausfinden,
weil mEn ein Jederer der übers Bewußtsein schwadroniert immer nur "SEIN" Bewußtsein meint -
so können wir uns aber auch über die Vorzüge und Nachteile bei Boxershorts unterhalten.
Werft doch den überfrachteten Begriff über Bord - "tinneff" und "kitsch" hau wech das Zeug.
Das Beliebige!

#326:  Autor: VanHanegem BeitragVerfasst am: 25.04.2010, 15:21
    —
Roter Ballon hat folgendes geschrieben:
Ich übertreibs jetzt bissi mit polarisieren ... zwinkern
Bewußtsein ist paramystisches Geschwurbel.

was soll daran übertrieben sein?

#327:  Autor: Roter BallonWohnort: München BeitragVerfasst am: 25.04.2010, 16:57
    —
VanHanegem hat folgendes geschrieben:
Roter Ballon hat folgendes geschrieben:
Ich übertreibs jetzt bissi mit polarisieren ... zwinkern
Bewußtsein ist paramystisches Geschwurbel.

was soll daran übertrieben sein?


weil das nur hingerotzt ist, ohne das der These eine Erläuterung folgt, aber das "nachdenken" überlaß ich denen die sich auf das "Brett" trauen.

also, wenn ich fragen darf, welche Kapriole schlägt dieser Gedanke bei dir?

#328:  Autor: VanHanegem BeitragVerfasst am: 25.04.2010, 20:14
    —
abgesehen von den Regeln zu stabiler Seitenlage und Freihalten der Atemwege in erste Hilfe Kursen habe ich bisher wenig brauchbares zum Thema "Bewußtsein" gelesen.

Auch ich warte immer noch auf etwas zu diesem Thema das mehr ist als paramystisches Geschwurbel.

#329:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 25.04.2010, 20:18
    —
VanHanegem hat folgendes geschrieben:
abgesehen von den Regeln zu stabiler Seitenlage und Freihalten der Atemwege in erste Hilfe Kursen habe ich bisher wenig brauchbares zum Thema "Bewußtsein" gelesen....

Lachen Die Zahl der Weltmeister ist halt zwangsläufig sehr klein.

fwo

#330:  Autor: Tso Wang BeitragVerfasst am: 27.04.2010, 08:51
    —
Roter Ballon hat folgendes geschrieben:
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Roter Ballon hat folgendes geschrieben:
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Roter Ballon hat folgendes geschrieben:
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
(...)
.

Das Bewußtsein ermöglicht uns, zu reflektieren (...)

()

Das ist übrigens "legendär" falsch.
wir haben die Fähigkeit über unser Handeln nachzudenken - gemeint: nach_her, später, zurückschauend.


.

Du beschreibst das Gleiche nur mit anderen Worten. "Re - Flektion" setzt immer hinterher ein. Wo siehst du den Unterschied ?
Wir können aber nicht nur Reflektieren, sondern auch mit den vergangenen Erfahrungen für die Zukunft planen (Ereignisse simulieren, wie Sportler das z.B vorm Turmspringen auch machen)

Zitat:
Wir werden uns eigentlich nur darüber "bewußt" wie wir in dem eben vergangenem Moment gewesen waren.
Jetzt, aber auch schon wieder vorbei ist - erinnern wir uns dem davor, daß sich dann doch nicht so sehr von dem vorher_davor unterscheidet - das was dabei übrig bleibt nennen wir schlicht Bewußtsein.

Das Bewußtsein ermöglicht gar nichts, es ist die Erinnerung daran, wie wir in vergangenen Momenten der Selbe geblieben sind.


Da bin ich anderer Meinung.

()

Das Gleiche ist nicht dasselbe *möp*



.

Aber auch nicht sein Gegenteil.

Zitat:
mal konkret:
du nennst die Fähigkeit, die wir alle ohnehin haben


...sofern wir vom Gewohnten ausgehen...

Zitat:
.., als exclusiv" ermöglicht von "Bewußtsein" -


..habe ich zwar nicht ("exclusiv"), aber ich lass mich mal darauf ein.

Zitat:
obwohl niemand hier ein Vorschlag machen konnte, was es denn sei, dieses was wir Bewußtsein nennen.


Da gibt es diverse Theorien. Möglicherweise wird uns nur das bewußt, was auf neuronaler Ebene im Gleichtakt mit 40-Hertz feuert. Diejenigen Nervenzellensembles (neurologische Korrelate, Engrammierungen...), die sich auf ein gemeinsames Objekt bzw. auf eine gemeinsame "Situation" geeinigt haben und mit gemeinsamer "Frequenz" feuern, bilden "das Bewußte" ("das bewußte Ich" oder auch "Selbst 1"); alle anderen Zellensemble, die sich zwar auch auf gemeinsame Objekte bzw. Situationen einigen und sie "intern" simulieren, aber eben nicht in dieser Qualität - wie oben beschrieben - feuern, "fristen" ihr Dasein im "Unbewußten ("das unbewußte Selbst" oder auch "Selbst 2"). Das Unbewußte macht übrigens einen erheblich größeren Anteil an unserer Persönlichkeit aus. Darüber hinaus braucht der Bewußtseinsprozess Zeit, er hinkt also der "äußeren Wirklichkeit" immer ein wenig hinterher.

Näheres dazu und zu "Ich habe einen Freien Willen. Aber nicht mein Ich hat ihn, sondern mein Selbst" findet man in Tor Nörretranders "Spüre die Welt - Die Wissenschaft des Bewußtseins, m.E. eines der besten Bücher über dieses Thema: Ein Querschnitt aus Informationstheorie, Psychologie, Neurobiologie, Philosophie, Religion und Mythologie. Lesenswert.

Thomas Metzinger macht diese Unterscheidung zwischen Ich und Selbst nicht. Im Gegenteil: Er setzt sie gleich. In seinem Buch "Der Ego-Tunnel - Eine Neue Philosophie des Selbst...." schreibt er im Kapitel 8 auf S. 291: "Wir sind selbstlose Ego-Maschinen". Diese Definition könnte dazu führen, daß wir uns lediglich mit unseren bewußten Prozessen identifizieren. Dann wären wir allerdings nur soetwas wie hilflose "Entitäten", die dem Schicksal rückkopplungslos ausgeliefert sind. Vielleicht handelt es sich hier aber auch nur um einen Definitionsstreit (wie ich es schon mal angedeutet habe, siehe die Links weiter oben)..

Zitat:
#Einer Unbekannten werden diverse Fähigkeiten zu eigen gemacht.
#Fähigkeiten, die aber auch ohne Unbekannte sehr leicht zu beschreiben sind.


Die Tricks der "milliardenschweren" Werbeindustrie und der Militärpsychologie sind gerade deswegen erfolgreich, weil es diese "schöne" Unbekannte gibt und es sie zu umgehen gilt. Es wäre schwierig, diese - ohne die Existenz des "bewußten Ichs" - zu beschreiben. Aber bitte, leg los...

Zitat:
laß mal deine Meinung zurück, und erklär mir das wozu?


Wie soll ich das tun, ohne meine Meinung zu äußern ?

So:

# mmmpfff, grrrmmpff! # ?

Oder so:

Wie ich bereits erwähnt habe, bin ich der Meinung, daß das "bewußte Ich" zur Reflektion ( = Nachdenken, Überlegung, Betrachtung, vergleichendes und prüfendes Denken, Vertiefung eines Gedankengangs) fähig ist und damit durch "Planung" (interne Simulation von äußeren Ereignissen), Einfluss auf seine Umgebung ausüben kann. Es kann beipielsweise untersuchen, wie bewußte und unbewußte Prozesse zusammenhängen, wie man sich gegen physisch stärkere Raubtiere wehren kann oder auch dafür sorgen, daß die Zuschauer in einem Stadion vor einem Hagelsturm oder Piloten vor einer Aschewolke gewarnt werden...etc.

(Es ist aber auch zur Täuschung (zur "Lüge") fähig. Da gibt's interessante Ideen zum Ursprung des Bewußtseins im Zusammenhang mit der griechischen Mythologie.)

Zitat:
Oder laß dich mal auf den Gedanken ein,
Das Bewußtsein nicht mehr ist, als das Fragment des eben gewesenen.


Darauf muss ich mich nicht einlassen. Denn es stimmt. Das Bewußtsein ist ein Rechenprozess, der Zeit braucht. Aus einer riesigen Anzahl von Datenmengen, die von Außen in unser Gehirn gelangt (mehrere Millionen Bits/s) wird (durch unbewußte Prozesses) eine Simulation von etwa 1-16 (manche sagen bis max. 40 ) Bits/s komprimiert.

Die Intelligenz dieses Rechenprozesses besteht darin, nicht eine riesige Menge von Information, sondern eine Menge von Exformation zu verwalten (ähnliche Techniken werden mittlerweile auch in den Programmen digitaler Gesichtererkennung angewandt; früher ist man dshalb gescheitert, weil man es anders herum versuchte).

Zitat:
Unsere Fähigkeit uns zu erinnern, spielt uns den Streich uns ein lebendiges Abbild eines früheren ich vorzuhalten = wir reflektieren


Das nennt man "Benutzerillusion". Im Daoismus und im Buddhismus gibt es dazu interessante Gedankengänge.

Zitat:
Und da wir unser Selbstbild ausnahmslos für so einzigartig und toll halten...
naja narziZschtisch ist jeder irgendwie.
Bewußtsein ist eine sich selbst überschätzende Wahrnehmungsverzerrung - mehr nicht mMn.


Das Ich-Bewußtsein ist wie sein Organismus in einem dauernden Wandlungsprozess.
Vielleicht muss das Ich-Bewußtsein seinen Platz noch finden....es ist doch noch so jung, hihihi.
So, mein Selbst geht jetzt mit meinem Ich wieder in die Sonne. Super Wetter heute !

()


hey, eigentlich liebe ich es ja wie und was du schreibst -

leider verfehlst du aber etwas auf den (.) zu bringen.
auch ist es ein wenig mau, bspw. zu sagen:
Zitat:
Im Daoismus und im Buddhismus gibt es dazu interessante Gedankengänge.

unbefriedigend!

.....



.

Das liegt in der Natur der Sache.
Ich verfehle das Wesen.
Du verfehlst die Funktion.

()

#331:  Autor: Roter BallonWohnort: München BeitragVerfasst am: 28.04.2010, 20:22
    —
@ . Tso
@() Wang

nach einer leicht bekömmlichen Tasse grünem Tee, hier mal was von nem Boldhead Calvinisten.

Dilthey hat folgendes geschrieben:
„Mein Bewußtsein ist der Ort, welcher diese ganze, scheinbar so unermeßliche Außenwelt einschließt, der Stoff, aus welchem alle Objekte, die sich in ihr stoßen, gewoben sind. So weit sich diese mir erscheinenden Objekte erstrecken, so weit erstreckt sich der Zusammenhang meiner Vorstellungen. Was in ihnen angetroffen wird, die Härte welche zertrümmert, die glühende Hitze, welche schmilzt, alles bis ins Innerste der Objekte ist Tatsache meines Bewußtseins, und das Ding ist sozusagen eine Zusammensetzung von solchen geistigen Tatsachen.“
Wilhelm Dilthey: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Breslauer Ausarbeitung. Gesammelte Schriften Band 19, S. 1f.

(...)

„Die Menschheit wäre, aufgefaßt in Wahrnehmung und Erkennen, für uns eine physische Tatsache, und sie wäre als solche nur dem naturwissenschaftlichen Erkennen zugänglich. Als Gegenstand der Geisteswissenschaften entsteht sie aber nur, sofern menschliche Zustände erlebt werden, sofern sie in Lebensäußerungen zum Ausdruck gelangen und sofern diese Ausdrücke verstanden werden.“
Wilhelm Dilthey: Gesammelte Schriften. Band 7, S. 87.

#332:  Autor: Tso Wang BeitragVerfasst am: 29.04.2010, 14:12
    —
.

Zwei Zen-Meister sitzen zusammen und trinken Tee. Unvermittelt sagt einer der beiden: "Das All ist in einer Tasse Tee restlos gegenwärtig." Da stößt der andere die Tasse seines Gegenübers um, verschüttet somit den Tee, und fragt: "Wo ist jetzt das All?" Worauf der andere sagt: "Schade um den guten Tee." Beide lachen.

()

#333:  Autor: TestirossiWohnort: jwd BeitragVerfasst am: 29.04.2010, 14:54
    —
step hat folgendes geschrieben:
tridi hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Jeder kennt ja Debatten im Bekleidungsgeschäft um die Frage, ob ein Schwarz eher Schwarz oder Blau sei.

ich dachte, das problem haette nur ich mit meiner partnerin Smilie

"... deine blaue jacke..."
"was fuer ne blaue jacke?"
"deine blaue halt!"
"ich hab keine blaue jacke!"
"??? die hast du doch taeglich an!"
"haeh?!? die is doch schwarz!"
"schwarz? quatsch... die is doch total blau!"
"blau? kein stueck!"
...

Die Frage ist doch objektiv beantwortbar, Qualia hin oder her.

ot

Man kann höchstens willkürliche Grenzwerte der Wellenlängen festsetzen, die sich jedoch nicht mit dem subjektiven Farbempfinden decken müssen.
Zum Beisiel, wenn manche Menschen höhere Lichtfrequenzen noch wahrnehmen können, kann ihnen eine Oberfläche (noch) blau erscheinen, die anderen bereits schwarz vorkommt usw.

#334:  Autor: TestirossiWohnort: jwd BeitragVerfasst am: 29.04.2010, 14:59
    —
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
...

Es kommt auf die Betrachungsweise an - wie ich schon mal im "Freier-Wille-Thread" schrieb.

"Ich habe einen Freien Willen. Aber nicht mein Ich hat ihn, sondern mein Selbst."

()

ot

mich würde dieser "Unterschied" interessieren, zwischen "Ich" und "Selbst".

#335:  Autor: TestirossiWohnort: jwd BeitragVerfasst am: 29.04.2010, 15:13
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
...

Testirossi hat folgendes geschrieben:

Der Begriff "Bewusstsein" scheint eine neuere Kreation zu sein, denn weder die alten Hebräer, noch die alten Griechen hatten dafür einen Begriff.


Die Frage nach dem Bewusstsein ist ja im Grunde dieselbe wie die nach der Seele (Lat. anima, Gr. psyche).


Gewagte Behauptung ...
bei einem Bewusstlosen ist da dann auch die "Seele" verschwunden?
Bei Seilen bezeichnet "Seele" den innersten Kern. Das "Bewusstsein" beim Menschen dagegen ist wohl eher ein extrem labiles Randphänomen, das bei Schlaf, starker Besoffenheit oder in Narkose erlöscht.


Myron hat folgendes geschrieben:
Testirossi hat folgendes geschrieben:

Ob Affen oder Delfine ein Bewusstsein besitzen, d.h. ob sie ihre Existenz reflektieren, ist schwer zu überprüfen.


Selbstbewusstsein, Ichbewusstsein, höheres Bewusstsein setzt begriffliche oder sprachliche Fähigkeiten voraus.
Und mir ist schleierhaft, wie ein sprachloses Lebewesen in einem tieferen Sinn über sich und die Welt nachdenken könnte.


Diese Position befindet sich wohl im Einklang mit der traditionellen Ansicht, dass "gehörlosen" Menschen das Bewusstsein fehlt (viele Sprachen haben für "stumm" und "dumm" das selbe Wort) ...
Es wundert mich nicht, solche Positionen implizit noch heute ernsthaft vertreten zu finden, und ich kann gehörlose Menschen (ohne Sprache) gut verstehen, wenn sie gegenüber hörenden Menschen starke Vorbehalte haben.

#336:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 29.04.2010, 16:28
    —
Testirossi hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
.......

Selbstbewusstsein, Ichbewusstsein, höheres Bewusstsein setzt begriffliche oder sprachliche Fähigkeiten voraus.
Und mir ist schleierhaft, wie ein sprachloses Lebewesen in einem tieferen Sinn über sich und die Welt nachdenken könnte.


Diese Position befindet sich wohl im Einklang mit der traditionellen Ansicht, dass "gehörlosen" Menschen das Bewusstsein fehlt (viele Sprachen haben für "stumm" und "dumm" das selbe Wort) ...
Es wundert mich nicht, solche Positionen implizit noch heute ernsthaft vertreten zu finden, und ich kann gehörlose Menschen (ohne Sprache) gut verstehen, wenn sie gegenüber hörenden Menschen starke Vorbehalte haben.

Unsere Sprachfähigkeit nur auf das Gehör und die Stimmbänder reduzieren zu wollen, wäre auch etwas schlicht. Wie äußern deine tauben Menschen denn ihre Vorbehalte, wenn sie kein Sprache haben? Die haben also eine, sie habe auch unseren breitesten Inputkanal, das Licht, noch offen.

Schwieriger dürfte das allerdings für Taubblinde werden. Ich gehe davon aus, dass Du von denen auch keine Vorbehalte hörst.

fwo

#337:  Autor: Roter BallonWohnort: München BeitragVerfasst am: 30.04.2010, 10:56
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
(...)
Wir können sagen, dass ein Wesen Bewusstsein hat, wenn es für es irgendwie ist, ebendieses Wesen zu sein ('if there is something it is like to be that being'), um eine von Thomas Nagel berühmt gemachte Phrase zu verwenden. Gleichermaßen ist ein Geisteszustand ein Bewusstseinszustand, wenn es (für einen) irgendwie ist, in diesem Geisteszustand zu sein. Anders ausgedrückt, wir können sagen, dass ein Geisteszustand ein Bewusstseinszustand ist, wenn er mit einer qualitativen Anmutung, einer Erlebnisqualität einhergeht. Diese qualitativen Anmutungen werden auch als Erscheinungsqualitäten oder kurz Qualia bezeichnet. Das Problem der Erklärung dieser Erscheinungsqualitäten ist genau das Problem der Erklärung des Bewusstseins. Das ist der wirklich schwierige Teil des Geist-Körper-Problems."[/i]
[© meine Übers.]

(Chalmers, David J. The Conscious Mind: In Search of a Fundamental Theory. New York: Oxford University Press, 1996. p. 4)

Testirossi hat folgendes geschrieben:

Der Begriff "Bewusstsein" scheint eine neuere Kreation zu sein, denn weder die alten Hebräer, noch die alten Griechen hatten dafür einen Begriff.


Die Frage nach dem Bewusstsein ist ja im Grunde dieselbe wie die nach der Seele (Lat. anima, Gr. psyche).

Testirossi hat folgendes geschrieben:

Ob Affen oder Delfine ein Bewusstsein besitzen, d.h. ob sie ihre Existenz reflektieren, ist schwer zu überprüfen.


Selbstbewusstsein, Ichbewusstsein, höheres Bewusstsein setzt begriffliche oder sprachliche Fähigkeiten voraus.
Und mir ist schleierhaft, wie ein sprachloses Lebewesen in einem tieferen Sinn über sich und die Welt nachdenken könnte.

und @Zen
"Wenn ich träume, dann bin ich nicht...", Leolo


@Sprache und tieferer Sinn
Da jede in Form gebrachte Beschreibung eine Bewertung des Gegenstandes beinhaltet ist das dann nicht im eigentlichen Sinn eine Verzerrung? ein Bias?

Kognitive Verzerrung hat folgendes geschrieben:
Beispiele:
# Attributionsfehler, auch correspondence bias: Der Fehler, die Ursache für ein beobachtetes Verhalten zu oft in der handelnden Person und zu selten in den äußeren Bedingungen zu suchen.
# Bestätigungsfehler, auch confirmation bias: Der Fehler, Information so auszuwählen und zu interpretieren, dass sie die eigenen Erwartungen erfüllen.
# Kontrollillusion, auch illusion of control: Die falsche Annahme, zufällige Ereignisse durch eigenes Verhalten kontrollieren zu können.
# Rückschaufehler, auch hindsight bias: Die Verfälschung von Erinnerungen nach einem Ereignis.


Bias hat folgendes geschrieben:
is a term used to describe a tendency or preference towards a particular perspective, ideology, or result, when the tendency interferes with the ability to be impartial, unprejudiced, or objective.[1]. In other words, bias is generally seen as a 'one-sided' perspective. The term biased refers to a person or group who is judged to exhibit bias. It is used to describe an attitude, judgment, or behavior that is influenced by a prejudice. Bias can be unconscious or conscious in awareness. Labeling someone as biased in some regard implies that they need a greater or more flexible perspective in that area, or that they need to consider the context more deeply.

freakteach Babelfisch-Übersetzung:
Zitat:
Vorspannung ist ein Ausdruck, der verwendet wird, um eine Tendenz oder eine Präferenz in Richtung zu einer bestimmten Perspektive, eine Ideologie oder ein Resultat, wenn die Tendenz die Fähigkeit, unparteiisch zu sein behindert, unprejudiced, oder eine Zielsetzung zu beschreiben. [1]. Das heißt, schräg wird im Allgemeinen als ' gesehen; one-sided' Perspektive. Der beeinflußte Ausdruck bezieht sich eine Person oder eine auf Gruppe, die beurteilt wird, schräg auszustellen. Er wird verwendet, um eine Haltung, ein Urteil oder ein Verhalten zu beschreiben, das durch ein Vorurteil beeinflußt wird. Vorspannung kann im Bewusstsein unbewusst oder bewusst sein. Die Kennzeichnung jemand, da beeinflußt in etwas Respekt, deutet an, dass sie eine größere oder flexiblere Perspektive in diesem Bereich benötigen oder dass sie den Zusammenhang tiefer betrachten müssen.


@"höheres Bewußtsein"
konterkariert soetwas wie "Körperbewußtsein" nicht die ganze Position?
Weil es am End dann doch auf eine bloße evolutionäre Anlage einer "Sensorik" ankommt?
Also ein "sechster" Sinn, der nur immanent vorhanden ist, wenn Neuronenbündel feuern.

#338:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 30.04.2010, 11:37
    —
Roter Ballon hat folgendes geschrieben:
.....
@Sprache und tieferer Sinn
Da jede in Form gebrachte Beschreibung eine Bewertung des Gegenstandes beinhaltet ist das dann nicht im eigentlichen Sinn eine Verzerrung? ein Bias?.....

Ja und nein. Sprache liefert zwar das Raster, in dem das Traditionstier Mensch seine Eindrücke weitergehend verarbeitet, und insofern passen wir unsere Eindrücke natürlich unwillkürlich diesem Raster an. Allerdings ist Sprache auch nichts Fertiges und wird erweitert oder verändert, wenn die Ergenisse dieser Verarbeitung nicht mehr zur Realität (=folgende Eindrücke) passen bzw. sich als zu ungenau herausstellen. Sprache ändert sich also durch die Anforderungen. Das klassische Beispiel sind Fachsprachen.

zu Babelfish: Derartige Übersetzungsprogramme sind gut für technische Übersetzungen, aber nicht unbedingt für allgemeine Texte. Deshalb folgende Bitte: Entweder deine Vorstellung von "Bias" ist klar genug, dass das für dich in einer Diskussion verwendbar ist, dann kannst Du auch selbst eine Übersetzung liefern (wie es z.B. Myron dankenswerterweise auch bei Zitaten immer tut - Hut ab), oder Du solltest diese Vokabeln oder Zitate außen vor lassen, bzw. vielleicht als Frage formulieren.

Für die, die mit dem Babelfish nichts anfangen konnten, aber einen solchen gebraucht hätten: Bias bedeutet im normalsprachlichen Umfeld Voreingenommenheit, im wissenschaftlich-technischen systematischer (Mess-)Fehler. Bias bezeichnet also die Summe der systembedingten Wahrnehmungsfehler, deren Abschätzung normalerweise einen Ebenenwechsel voraussetzt.

fwo

#339:  Autor: Roter BallonWohnort: München BeitragVerfasst am: 30.04.2010, 14:51
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Roter Ballon hat folgendes geschrieben:
.....
@Sprache und tieferer Sinn
Da jede in Form gebrachte Beschreibung eine Bewertung des Gegenstandes beinhaltet ist das dann nicht im eigentlichen Sinn eine Verzerrung? ein Bias?.....

Ja und nein. Sprache liefert zwar das Raster, in dem das Traditionstier Mensch seine Eindrücke weitergehend verarbeitet, und insofern passen wir unsere Eindrücke natürlich unwillkürlich diesem Raster an. Allerdings ist Sprache auch nichts Fertiges und wird erweitert oder verändert, wenn die Ergenisse dieser Verarbeitung nicht mehr zur Realität (=folgende Eindrücke) passen bzw. sich als zu ungenau herausstellen. Sprache ändert sich also durch die Anforderungen. Das klassische Beispiel sind Fachsprachen.

zu Babelfish: Derartige Übersetzungsprogramme sind gut für technische Übersetzungen, aber nicht unbedingt für allgemeine Texte. Deshalb folgende Bitte: Entweder deine Vorstellung von "Bias" ist klar genug, dass das für dich in einer Diskussion verwendbar ist, dann kannst Du auch selbst eine Übersetzung liefern (wie es z.B. Myron dankenswerterweise auch bei Zitaten immer tut - Hut ab), oder Du solltest diese Vokabeln oder Zitate außen vor lassen, bzw. vielleicht als Frage formulieren.

Für die, die mit dem Babelfish nichts anfangen konnten, aber einen solchen gebraucht hätten: Bias bedeutet im normalsprachlichen Umfeld Voreingenommenheit, im wissenschaftlich-technischen systematischer (Mess-)Fehler. Bias bezeichnet also die Summe der systembedingten Wahrnehmungsfehler, deren Abschätzung normalerweise einen Ebenenwechsel voraussetzt.

fwo
qed oder gotcha !!!
eben darum weil sprache und sinn kaum trennbar verknüpft sind, wenn es von einer sich seiner selbst bewußten entität geBRAUCHT wird, habe ich "bewußt" auf ein form zurückgegriffen, wo nur symbole miteinander verknüpft werden,

sozusagen DEMONSTRATIV

möge man mir diese hinterfotzigkeit verzeihen.
aber dieser unterschied ist augenscheinlich, dennoch schwer zu beschreiben, eben weil sprache von einem bewußten benutzer sogleich und zeitgleich mit oder zu sinn transformiert wird.

#340:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 30.04.2010, 15:19
    —
Roter Ballon hat folgendes geschrieben:
....qed oder gotcha !!!
eben darum weil sprache und sinn kaum trennbar verknüpft sind, wenn es von einer sich seiner selbst bewußten entität geBRAUCHT wird, habe ich "bewußt" auf ein form zurückgegriffen, wo nur symbole miteinander verknüpft werden,

sozusagen DEMONSTRATIV

möge man mir diese hinterfotzigkeit verzeihen.
aber dieser unterschied ist augenscheinlich, dennoch schwer zu beschreiben, eben weil sprache von einem bewußten benutzer sogleich und zeitgleich mit oder zu sinn transformiert wird.

Schulterzucken Jetzt musst Du mich aber noch über den Witz aufklären.

Sprache ist überhaupt nur das Mittel zum Transport von "Sinn" - normalerweise nennen wir das Information. Hat das irgendwer bestritten? Die Frage war doch eher, ob das zu einer grundsätzlichen Deformation der Information (hier kam dein Bias ins Speil) führt. Wir diskutieren doch gerade nicht um eines Spaßes am Einhalten der Regeln eines vom Sinn abgetrennten Sprachspiels, sondern in unserer Bemühung um diesen Sinn. Und auch das kann wieder nur bedeuten, dass der Sinn der von uns geäußerten Sprache weder für den Sender noch für den Empfänger umkehrbar eindeutig ist - sonst hätten wir dieses rekursive Verfahren nicht nötig.

Auf der anderen Seite wird Sprache überhaupt erst durch Mehrdeutigkeit handhabbar.

fwo

#341:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 30.04.2010, 18:12
    —
Testirossi hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
tridi hat folgendes geschrieben:
"schwarz? quatsch... die is doch total blau!"...
Die Frage ist doch objektiv beantwortbar, Qualia hin oder her.
Man kann höchstens willkürliche Grenzwerte der Wellenlängen festsetzen, die sich jedoch nicht mit dem subjektiven Farbempfinden decken müssen.
Zum Beisiel, wenn manche Menschen höhere Lichtfrequenzen noch wahrnehmen können, kann ihnen eine Oberfläche (noch) blau erscheinen, die anderen bereits schwarz vorkommt usw.

Das mag ja sein. Aber das zur Begründung des sog. Qualiaproblems früher häufig angeführte Argument ist ja, daß man "von außen" überhaupt nicht sagen könne, was jemand unter "blau" verstehe.

Wenn es jetzt nur noch darum geht,
- daß der Begriff "blau" nicht ganz scharf definiert ist
- daß die Wahrnehmung von Wellenlängen individuell leicht unterschiedlich ist

... dann sagt das vielleicht etwas über die Sprache und über unser Wahrnehmungssystem aus, eber mehr nicht.

#342:  Autor: Tso Wang BeitragVerfasst am: 02.05.2010, 10:27
    —
Testirossi hat folgendes geschrieben:
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
...

Es kommt auf die Betrachungsweise an - wie ich schon mal im "Freier-Wille-Thread" schrieb.

"Ich habe einen Freien Willen. Aber nicht mein Ich hat ihn, sondern mein Selbst."

()

ot

mich würde dieser "Unterschied" interessieren, zwischen "Ich" und "Selbst".



.

Ich hat folgendes geschrieben:
Michael Laudrup hatte die Hälfte des riesigen Rasens im Londoner Wembley-Stadion für sich allein. Allan Simonsen hatte einen genialen Paß geschlagen und die englische Abwehr überlistet, und Laudrup stand frei mitten auf dem Platz. Außer Torhüter Peter Shilton befanden sich alle englischen Spieler in der dänischen Hälfte, und der neunzehnjährige Laudrup hatte freie Bahn.....
Nach nur fünfzig Sekunden hatten die Dänen sich eine Chance erkämpft, wie sie in einem Auswärts-Länderspiel selten vorkommt.
Peter Shilton lief auf Laudrup zu, ließ sich aber von dem wendigen Dänen täuschen, und der zog an dem englischen Keeper vorbei. Und dann gab es nur noch Laudrup, einen Ball, ein paar Meter Rasen und ein leeres Tor.
In dieser Situation ging es um den Durchbruch Dänemarks als Fußballnation und den eines neunzehnjährigen großen Talents.
Laudrup war, als er Shilton umspielte, ziemlich weit nach außen und nahe die Torlinie geraten, aber dafür stand das Tor leer. Er brauchte dem Ball nur noch einen letzten Kick geben.
"Ich hatte zu viel Zeit - und dachte nach, was ich tun sollte, ich traf nicht richtig.", berichtete Laudrup, als ich ihn fragte, ob ein Fußballspieler Zeit habe, sich bewußt zuwerden, was er tut.....


Selbst hat folgendes geschrieben:
Er war wie üblich spät dran. als er aufs Fahrrad stieg, wußte er schon, daß er nicht rechtzeitig zur Redaktionssitzung kommen würde, und es ging nur noch darum, den Weg, für den er gewöhnlich nicht mehr als eine halbe Stunde brauchte, so schnell wie möglich hinter sich zu bringen.
Als er den Strandboulevard in Richtung Oesterbrogade überquerte, sah er hinter sich den Linienbus, doch er war noch so weit entfernt, daß er glaubte, er käme bequem an der Haltestelle vorbei, bevor die wartenden Fahrgäste über den Radweg gingen, um in den Bus einzusteigen.
Plötzlich lief, wenige Meter vor ihm, ein Junge auf den Weg. Er fuhr mit hoher Geschwindigkeit und konnte nicht mehr bremsen. Wie im Traum oder Rausch sah er die Zeit im Schneckentempo weiterschreiten, während sein Ich auf die Rolle des Beobachters seines eigenen Handelns reduziert war. Eine klare Entscheidung mußte gefällt werden. Entweder überfuhr er den Jungen, oder er warf sich absichtlich mit dem Rad zur Seite und verletzte sich selbst. Eine andere Möglichkeit gab es nicht, denn links von ihm fuhren Autos und rechts standen die wartenden Busfahrgäste. Wie der Zuschauer im Kino stellte er dann fest, daß die Entscheidung zugunsten des Jungen gefallen war. Das Fahrrad wurde zur Seite geworfen, und er rutschte die letzten Meter über den Asphalt. Es tat weh, war aber zu verschmerzen. Er trug ein paar Hautabschürfungen davon, hatte eine gute Entschuldigung, warum er zu spät zur Sitzung kam - und eine Geschichte zu erzählen (wäre die Entscheidung anders ausgefallen, hätte er sie wahrscheinlich nicht erzählt).
Wer hatte die Entscheidung getroffen ? Nicht sein Ich. Das Ich war Zuschauer. Aber auch nicht der Junge oder das Fahrrad oder Michael Laudrup.
Irgendetwas in ihm traf die Entscheidung, doch das Erlebnis war ganz eindeutig und klar: Es war nicht sein Ich, denn das Ich war Beobachter, es stand außerhalb, war suspendiert. Es war von vornherein unzuständig, denn es blieb keine Zeit zum Überlegen.
Sein Ich hatte bei dieser Entscheidung keinen freien Willen, aber die Entscheidung wurde von ihm getroffen.

Die Situation entspricht ganz denjenigen, die Benjamin Libet untersucht hat. Die Handlung wird nicht vom bewußten Ich der Person, dennoch aber zweifellos von der Person selbst initiiert.
Es gibt also einen Unterschied zwischen dem Ich und der ganzen Person: "Ich erkenne, daß ich mehr bin als mein Ich.".....


Den Unterschied zwischen Ich und Selbst beschreibt Nörretranders ausführlich im Kapitel "Maxwells Selbst". Hier nur ein grob beschreibender Link: "Spüre die Welt":

Oder auch hier

()

-----
"Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust." (Goethe, "Faust")

#343:  Autor: tridi BeitragVerfasst am: 02.05.2010, 19:53
    —
step hat folgendes geschrieben:
Testirossi hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
tridi hat folgendes geschrieben:
"schwarz? quatsch... die is doch total blau!"...
Die Frage ist doch objektiv beantwortbar, Qualia hin oder her.
Man kann höchstens willkürliche Grenzwerte der Wellenlängen festsetzen, die sich jedoch nicht mit dem subjektiven Farbempfinden decken müssen.
Zum Beisiel, wenn manche Menschen höhere Lichtfrequenzen noch wahrnehmen können, kann ihnen eine Oberfläche (noch) blau erscheinen, die anderen bereits schwarz vorkommt usw.

Das mag ja sein. Aber das zur Begründung des sog. Qualiaproblems früher häufig angeführte Argument ist ja, daß man "von außen" überhaupt nicht sagen könne, was jemand unter "blau" verstehe.

Wenn es jetzt nur noch darum geht,
- daß der Begriff "blau" nicht ganz scharf definiert ist
- daß die Wahrnehmung von Wellenlängen individuell leicht unterschiedlich ist

... dann sagt das vielleicht etwas über die Sprache und über unser Wahrnehmungssystem aus, eber mehr nicht.


ach so, du wolltest nur aussagen, dass man kann objektiv beantworten kann, wieviel licht welcher wellenlaenge von der jacke zurueckgeworfen wird, aber du wolltest nicht aussagen, dass man zwischen "blau" und "schwarz" objektiv unterscheiden koenne?

#344:  Autor: tridi BeitragVerfasst am: 02.05.2010, 20:07
    —
Testirossi hat folgendes geschrieben:

Man kann höchstens willkürliche Grenzwerte der Wellenlängen festsetzen, die sich jedoch nicht mit dem subjektiven Farbempfinden decken müssen.
Zum Beisiel, wenn manche Menschen höhere Lichtfrequenzen noch wahrnehmen können, kann ihnen eine Oberfläche (noch) blau erscheinen, die anderen bereits schwarz vorkommt usw.

hmmm... interessant... meinst du, meine partnerin kann eventuell noch licht sehen, was fuer mich schon ultraviolett (also unsichtbar) waere?

ich nahm eher an, dass es eher eine frage der intensitaet ist als eine der wellenlaenge, also, dass sie bei einem geringen reflexionsgrad blauen lichts (waehrend anderes nicht reflektiert wird) dieses licht noch deutlich wahrnimmt und als deutlich von schwarz verschieden als dunkelblau einstuft, waehrend ich das als vernachlaessigbaren blaustich der schwarzen farbe empfinde und von schwarz rede (evtl "antrazith")

#345:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 02.05.2010, 20:30
    —
tridi hat folgendes geschrieben:
ach so, du wolltest nur aussagen, dass man kann objektiv beantworten kann, wieviel licht welcher wellenlaenge von der jacke zurueckgeworfen wird, aber du wolltest nicht aussagen, dass man zwischen "blau" und "schwarz" objektiv unterscheiden koenne?

Nein, ich wollte aussagen, daß, wenn man "schwarz" und "blau" mit der Genauigkeit g definiert, man objektiv mit ebendieser Genauigkeit g zwischen schwarz und blau unterscheiden kann. Und daß es kein großes Wunder ist und schon gar kein philosophisches Problem, daß sprachliche Begriffe meist a) ungenauer und b) individueller gedeutet sind als Wellenlängen mit 2 Nachkommastellen.

#346:  Autor: Roter BallonWohnort: München BeitragVerfasst am: 04.05.2010, 13:32
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Roter Ballon hat folgendes geschrieben:
....qed oder gotcha !!!
eben darum weil sprache und sinn kaum trennbar verknüpft sind, wenn es von einer sich seiner selbst bewußten entität geBRAUCHT wird, habe ich "bewußt" auf ein form zurückgegriffen, wo nur symbole miteinander verknüpft werden,

sozusagen DEMONSTRATIV

möge man mir diese hinterfotzigkeit verzeihen.
aber dieser unterschied ist augenscheinlich, dennoch schwer zu beschreiben, eben weil sprache von einem bewußten benutzer sogleich und zeitgleich mit oder zu sinn transformiert wird.

Schulterzucken Jetzt musst Du mich aber noch über den Witz aufklären.

Sprache ist überhaupt nur das Mittel zum Transport von "Sinn" - normalerweise nennen wir das Information. Hat das irgendwer bestritten? Die Frage war doch eher, ob das zu einer grundsätzlichen Deformation der Information (hier kam dein Bias ins Speil) führt. Wir diskutieren doch gerade nicht um eines Spaßes am Einhalten der Regeln eines vom Sinn abgetrennten Sprachspiels, sondern in unserer Bemühung um diesen Sinn. Und auch das kann wieder nur bedeuten, dass der Sinn der von uns geäußerten Sprache weder für den Sender noch für den Empfänger umkehrbar eindeutig ist - sonst hätten wir dieses rekursive Verfahren nicht nötig.

Auf der anderen Seite wird Sprache überhaupt erst durch Mehrdeutigkeit handhabbar.

fwo


Ich glaube es sind die Semiotiker die die These vertreten ohne Sprache kein Bewußtsein.
- Myron erwähnte ähnliches gegenüber Testirossi
Myron hat folgendes geschrieben:
(...)
Selbstbewusstsein, Ichbewusstsein, höheres Bewusstsein setzt begriffliche oder sprachliche Fähigkeiten voraus.
Und mir ist schleierhaft, wie ein sprachloses Lebewesen in einem tieferen Sinn über sich und die Welt nachdenken könnte.

Keyword: Lebewesen -> @Threadtitel Evolution.
hier fehlt dann mMn noch ein Aspekt, die durch den Menschen vorangetriebene technische Revolution (im Sinne von "Umwälzung des Wirklichen")
Babelfisch ist ein "bewußt-LOSES" Sprach-Instrument
Du ge-BRAUCHST Sprache bewußt.
antwortest mit "Ja und Nein" - auf mein "Bias" Einwurf, um gleich eine "deinem Sinn" entsprechende Deutung zu einer allzu offensichtlichen Verzerrung ANZUBIETEN.

oder um nochmal Dilthey zu zitieren:
„Die Menschheit wäre, aufgefaßt in Wahrnehmung und Erkennen, für uns eine physische Tatsache, und sie wäre als solche nur dem naturwissenschaftlichen Erkennen zugänglich. Als Gegenstand der Geisteswissenschaften entsteht sie aber nur, sofern menschliche Zustände erlebt werden, sofern sie in Lebensäußerungen zum Ausdruck gelangen und sofern diese Ausdrücke verstanden werden."

womit mMn bewiesen ist, das Sprache und Sinn eine untrennbare Einheit bilden -
können wir diese nicht voneinander klar trennen, nenne ich dies "BIAS"

Wir haben hier ein strukturelles Problem,
um ein, respektive SEIN Bewußtsein auszudrücken benötigt man schon ein extrem hochausgebildetes Instrument.
Da wir sprechen und dies eine Gabe der Natir ist, was macht unseren Lautgebungsapparat dem von Tieren so "überlegen" um selbstsicher wie Myron, von einem "höheren Bewußtsein" zu sprechen.
Wo es biologisch schlicht eine "Stimmfähigkeit" ist.
Woher nehmen wir denn die Begriffe, Interpretationen, Übersetzungen der Wirklichkeit in Vorstellungskraft?

Zitat:
„Die gesprochenen Worte sind die Zeichen von Vorstellungen in der Seele und die geschriebenen Worte sind die Zeichen von gesprochenen Worten. So wie nun die Schriftzeichen nicht bei allen Menschen dieselben sind, so sind auch die Worte nicht bei allen Menschen dieselben; aber die Vorstellungen in der Rede, deren unmittelbare Zeichen die Worte sind, sind bei allen Menschen dieselben und eben so sind die Gegenstände überall dieselben, von welchen diese Vorstellungen die Abbilder sind.“

– Aristoteles, Peri hermeneias, Erstes Kapitel


Semiotik hat folgendes geschrieben:
Eine Grundlage für diese Einteilung ist die ontologische These dreier nicht aufeinander reduzierbarer Grundformen jeden Seins, die aus den grundlegenden philosophischen Kategorien abgeleitet sind und als Möglichkeit, Wirklichkeit und Vernunft identifiziert werden können. Die Bedeutung eines Zeichens oder Zeichenkomplexes lässt sich nur unter Berücksichtigung aller drei Bezüge erfassen.


Ich vermute, in einer Welt nach Step, wäre das Mögliche lediglich das Wirkliche, dabei ist Sprache der unwirklichste Gegenstand, und obwohl man viel ÜBER Sprache aussagen kann, ist die Menge der möglichen Aussagesätze größer als alles was wirklich ist, im Sinne von bis zu unserem Jetzt vorhandenes.

#347:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 04.05.2010, 15:15
    —
Roter Ballon hat folgendes geschrieben:
.....
oder um nochmal Dilthey zu zitieren:
„Die Menschheit wäre, aufgefaßt in Wahrnehmung und Erkennen, für uns eine physische Tatsache, und sie wäre als solche nur dem naturwissenschaftlichen Erkennen zugänglich. Als Gegenstand der Geisteswissenschaften entsteht sie aber nur, sofern menschliche Zustände erlebt werden, sofern sie in Lebensäußerungen zum Ausdruck gelangen und sofern diese Ausdrücke verstanden werden."

womit mMn bewiesen ist, das Sprache und Sinn eine untrennbare Einheit bilden -
können wir diese nicht voneinander klar trennen, nenne ich dies "BIAS"

Wir haben hier ein strukturelles Problem,
um ein, respektive SEIN Bewußtsein auszudrücken benötigt man schon ein extrem hochausgebildetes Instrument.
Da wir sprechen und dies eine Gabe der Natir ist, was macht unseren Lautgebungsapparat dem von Tieren so "überlegen" um selbstsicher wie Myron, von einem "höheren Bewußtsein" zu sprechen.
Wo es biologisch schlicht eine "Stimmfähigkeit" ist.....

Ich melde allerdings leisen Zweifel an, dass Zitate in der Lage sind, etwas zu beweisen. Und wie die Geisteswissenschaften sich selbst und ihre Objekte definieren, lasse ich wegen des Threadthemas auch mal außer Acht.

Inhaltlich: Bewusstsein ist kein Pickel, Bewusstsein beschreibt ein subjektives Erleben, das unabhängig davon ist, ob es "ausgedrückt wird". Die Frage, ob es sinnvoll ist, das Bewusstsein erst ab der Fähigkeit zum reflektierenden Selbstbewusstsein so zu nennen, tauchte hier schon auf, allerdings gab es keinen Konsens; ich tendiere dahin, auch dem Hund schon eine Art bBewusstsein zuzugestehen (s.o.).

Worauf Myron sich bezog - er sie es mag mich korrigieren - das war das reflektierende Selbstbewusstsein, und das dürfte ohne komplexe Sprache schwierig werden. Wobei Sprache mehr ist als der Besitz eines besonders gestalteten Kehlkopfes, also der Stimmfähigkeit - wir haben hier das Ergebnis einer Koevolution vor uns: Um individuell Sprache (und damit abstraktes Denken - siehe bei Bedarf Wittgenstein) zu lernen, bedarf es eines fortgesetzten jahrelangen Trainings in der Zuordung von Erlebtem zu gehörtem wie auch zu gesprochenem Laut, unsere Gedanken formen wir aus den Erinnerungen, d.h. geistigen Wiederholung dieser Erlebnisse. Der Spracherwerb des Individuums setzt also den Spracherwerb der Art voraus, Schätzungen zu dessen Zeitbedarf liegen bei minimal 50000 Jahren, wobei mir das zu kurz vorkommt. Wenn wir also davon ausgehen, dass zum "höheren" Bewusstsein das Denken gehört, und Wittgenstein darin zustimmen, dass es der Sprache als Denkvehikel bedarf, dann ist dieses höhere (= reflektierende Selbst-)Bewusstsein eine Kulturleistung der Art Mensch.

Zu sagen, Sprache sei bloß Stimmfähigkeit, ist so wie die Behauptung, ein Buch sei bloß Papier. Ich sehe da auch einen leisen Widerspruch zu deiner Behauptung, dass Sprache und Inhalt untrennbar verbunden seien und weiß ehrlich nicht genau, worauf Du da hinauswillst (womit wir ganz praktisch mal eben Aristoteles widerlegt hätten, dass die Vorstellungen bei allen Menschen die selben seien zwinkern )

fwo

#348:  Autor: Roter BallonWohnort: München BeitragVerfasst am: 04.05.2010, 19:23
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Roter Ballon hat folgendes geschrieben:
.....
oder um nochmal Dilthey zu zitieren:
„Die Menschheit wäre, aufgefaßt in Wahrnehmung und Erkennen, für uns eine physische Tatsache, und sie wäre als solche nur dem naturwissenschaftlichen Erkennen zugänglich. Als Gegenstand der Geisteswissenschaften entsteht sie aber nur, sofern menschliche Zustände erlebt werden, sofern sie in Lebensäußerungen zum Ausdruck gelangen und sofern diese Ausdrücke verstanden werden."

womit mMn bewiesen ist, das Sprache und Sinn eine untrennbare Einheit bilden -
können wir diese nicht voneinander klar trennen, nenne ich dies "BIAS"

Wir haben hier ein strukturelles Problem,
um ein, respektive SEIN Bewußtsein auszudrücken benötigt man schon ein extrem hochausgebildetes Instrument.
Da wir sprechen und dies eine Gabe der Natir ist, was macht unseren Lautgebungsapparat dem von Tieren so "überlegen" um selbstsicher wie Myron, von einem "höheren Bewußtsein" zu sprechen.
Wo es biologisch schlicht eine "Stimmfähigkeit" ist.....

Ich melde allerdings leisen Zweifel an, dass Zitate in der Lage sind, etwas zu beweisen. Und wie die Geisteswissenschaften sich selbst und ihre Objekte definieren, lasse ich wegen des Threadthemas auch mal außer Acht.

Inhaltlich: Bewusstsein ist kein Pickel, Bewusstsein beschreibt ein subjektives Erleben, das unabhängig davon ist, ob es "ausgedrückt wird". Die Frage, ob es sinnvoll ist, das Bewusstsein erst ab der Fähigkeit zum reflektierenden Selbstbewusstsein so zu nennen, tauchte hier schon auf, allerdings gab es keinen Konsens; ich tendiere dahin, auch dem Hund schon eine Art bBewusstsein zuzugestehen (s.o.).

Worauf Myron sich bezog - er sie es mag mich korrigieren - das war das reflektierende Selbstbewusstsein, und das dürfte ohne komplexe Sprache schwierig werden. Wobei Sprache mehr ist als der Besitz eines besonders gestalteten Kehlkopfes, also der Stimmfähigkeit - wir haben hier das Ergebnis einer Koevolution vor uns: Um individuell Sprache (und damit abstraktes Denken - siehe bei Bedarf Wittgenstein) zu lernen, bedarf es eines fortgesetzten jahrelangen Trainings in der Zuordung von Erlebtem zu gehörtem wie auch zu gesprochenem Laut, unsere Gedanken formen wir aus den Erinnerungen, d.h. geistigen Wiederholung dieser Erlebnisse. Der Spracherwerb des Individuums setzt also den Spracherwerb der Art voraus, Schätzungen zu dessen Zeitbedarf liegen bei minimal 50000 Jahren, wobei mir das zu kurz vorkommt. Wenn wir also davon ausgehen, dass zum "höheren" Bewusstsein das Denken gehört, und Wittgenstein darin zustimmen, dass es der Sprache als Denkvehikel bedarf, dann ist dieses höhere (= reflektierende Selbst-)Bewusstsein eine Kulturleistung der Art Mensch.

Zu sagen, Sprache sei bloß Stimmfähigkeit, ist so wie die Behauptung, ein Buch sei bloß Papier. Ich sehe da auch einen leisen Widerspruch zu deiner Behauptung, dass Sprache und Inhalt untrennbar verbunden seien und weiß ehrlich nicht genau, worauf Du da hinauswillst (womit wir ganz praktisch mal eben Aristoteles widerlegt hätten, dass die Vorstellungen bei allen Menschen die selben seien zwinkern )

fwo


skippy error
ich argumentiere doch mindestens seid babelfisch nicht mehr mit INHALT der Aussage, sondern mit der Form von Sprache.
Nicht das Zitat ist ein Beleg, sondern die hineingelegte Bedeutung
die immerwiederkehrende Zuweisung von Sinn in die Aussage.

bubblefich brabbel ergibt keinen Sinn, weil ... ja warum denn nun?
es fehlt der Aussageform der bewußte Benutzer, ...
oder bissi ästhetisierend der Moderne entlehnt "form follows function"

Worin soll den der Unterschied liegen zwischen Bewußtsein und reflektierendes Selbstbewußtsein?
eigentlich nur weil niemand widerspricht,

okay ich verneine jetzt mal,
Ich habe gar kein Bewußtsein!
überzeug, beweis mir das Gegenteil

Es ist einfach nur eine Übereinkunft, ebenso wie wenn wir beide von Seele oder Geister, Götter oder Äther schon überzeugt wären.
Wie kommt denn nun die Vorstellung von etwas nicht greifbarem in unsere Köpfe?
...laß uns darüber reden...

#349:  Autor: tridi BeitragVerfasst am: 04.05.2010, 19:46
    —
step hat folgendes geschrieben:
tridi hat folgendes geschrieben:
ach so, du wolltest nur aussagen, dass man kann objektiv beantworten kann, wieviel licht welcher wellenlaenge von der jacke zurueckgeworfen wird, aber du wolltest nicht aussagen, dass man zwischen "blau" und "schwarz" objektiv unterscheiden koenne?

Nein, ich wollte aussagen, daß, wenn man "schwarz" und "blau" mit der Genauigkeit g definiert, man objektiv mit ebendieser Genauigkeit g zwischen schwarz und blau unterscheiden kann. Und daß es kein großes Wunder ist und schon gar kein philosophisches Problem, daß sprachliche Begriffe meist a) ungenauer und b) individueller gedeutet sind als Wellenlängen mit 2 Nachkommastellen.


ach so... wenn man zwei begriffe objektiv definiert, dann kann man auch objektiv zwischen ihnen entscheiden. ok. stimmt.

mich wuerde allerdings interessieren, wie du beides definieren wuerdest.

wobei ich mich grad frage, ob es solche definitionen vielleicht sogar schon gibt.

#350:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 04.05.2010, 20:12
    —
tridi hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
... daß, wenn man "schwarz" und "blau" mit der Genauigkeit g definiert, man objektiv mit ebendieser Genauigkeit g zwischen schwarz und blau unterscheiden kann. Und daß es kein großes Wunder ist und schon gar kein philosophisches Problem, daß sprachliche Begriffe meist a) ungenauer und b) individueller gedeutet sind als Wellenlängen mit 2 Nachkommastellen.
ach so... wenn man zwei begriffe objektiv definiert, dann kann man auch objektiv zwischen ihnen entscheiden. ok. stimmt. mich wuerde allerdings interessieren, wie du beides definieren wuerdest. wobei ich mich grad frage, ob es solche definitionen vielleicht sogar schon gibt.

Wie ich "blau" und "schwarz" definiere, oder was? - Naja, für den normalen Sprachgebrauch reicht eben eine ungenaue Definition. Und genau so eine entstand eben nicht durch "reflektiertes Definieren", sondern empirisch und durch kulturelle Tradition. Will man was genaueres, muß man wohl zu den Wellenlängen oder anderen normierten/reproduzierbaren Standards greifen.

#351:  Autor: tridi BeitragVerfasst am: 04.05.2010, 23:13
    —
step hat folgendes geschrieben:

Wie ich "blau" und "schwarz" definiere, oder was?

ja.
Zitat:

Naja, für den normalen Sprachgebrauch reicht eben eine ungenaue Definition.

mit der wirst du aber nicht entscheiden koennen, ob ich recht habe (jacke ist schwarz) oder meine liebste (jacke ist blau).

Zitat:
Will man was genaueres, muß man wohl zu den Wellenlängen oder anderen normierten/reproduzierbaren Standards greifen.

greif mal! Smilie

#352:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 05.05.2010, 01:48
    —
Roter Ballon hat folgendes geschrieben:
....

Worin soll den der Unterschied liegen zwischen Bewußtsein und reflektierendes Selbstbewußtsein?
eigentlich nur weil niemand widerspricht,

Das ist der Unterschied zwischen einem einfachen Bewusstsein etwa eines Hundes, der bereits begrenzt plant und dem komplexen Bewusstsein eines Wesens mit dem Denkvehikel einer abstrakten Sprache. Nun kannst Du zwar hingehen und dem Hund das Bewusstsein absprechen, so nach dem Motto, "Bewusstsein ist nur drin, wenn Mensch draufsteht", aber die Diskussion fände ich zu langweilig. Ansonsten kannst Du meine Meinung zu diesem Theam ab ca Seite 2 dieses Threads nachlesen - da bitte ich schlicht um etwas präzisere Fragen zu dem, was ich bereits gesagt habe, weil ich keine Lust habe, das nochmal von vorne zu machen.
Roter Ballon hat folgendes geschrieben:

okay ich verneine jetzt mal,
Ich habe gar kein Bewußtsein!
überzeug, beweis mir das Gegenteil

Warum sollte ich? Bewusstsein ist eine subjektive Veranstaltung. Ich kann sie bei einem Wesen, bei dem ich davon ausgehe, dass es ähnlich tickt wie ich, zwar postulieren, aber nur mit Versuchen bedingt beweisen. Da wäre vorher dann auch zu klären, was jeder von uns unter Bewusstsein versteht und ich verweise wieder auf den Anfang des Threads.
Roter Ballon hat folgendes geschrieben:

Es ist einfach nur eine Übereinkunft, ebenso wie wenn wir beide von Seele oder Geister, Götter oder Äther schon überzeugt wären.
Wie kommt denn nun die Vorstellung von etwas nicht greifbarem in unsere Köpfe?
...laß uns darüber reden...

Aus meiner Sicht ganz einfach - auch wenn keiner sagen kann, wieviel zigtausend Jahre die Art dazu gebraucht hat: Sprache beginnt sicher ganz früh nicht nur mit der Benennung von Gegenständen, sondern auch mit der von Tätigkeiten, ein anzunehmender Bereich dafür ist die Koordination bei der Jagd. Gehen, Laufen, der Ablauf dieer Tätigkeiten (Zeit): das alles ist bereits nicht mehr wirklich greifbar, und um diese Koordination auf die Agenda zu setzen, benennen wir das Gespräch und sind bereits in der Metabene, in der wir über das Sprechen reden. Noch weniger anfassbar als das Laufen. Dann gibt es da dieses stumme Sprechen, das wir dann Denken nennen usw.

Die Antwort auf deine Frage, wie denn das nicht greifbare in unsere Köpfe kommt, ist also einfach: Für die Art: Schleichend. Mit der Entwicklung der Sprache bei einem anfangs zweckgebundenen Erklimmen von Metaebenen.

Für das Individuum: Ebenfalls schleichend mit dem Erlernen der Kulturleistung Sprache, die diese Objekte bereits kennt.

Wo ist das Problem?

fwo

#353:  Autor: Roter BallonWohnort: München BeitragVerfasst am: 05.05.2010, 14:26
    —
Um ein Brett zu durchschlagen, wird im Kung Fu gelehrt, einen Punkt hinter dem Brett anzuvisieren.

Bei Bewußtsein und Sprache rennen wir gegen eine Wand.
Liegt etwas dahinter?
Gibt es eine nicht beschreibbare Wirklichkeit?

Ehrlich gesagt bin ich momentan der Meining, daß >Bewußtsein> selbst schon ein Begriff ist der hinter der Wand liegt, ebenso wie >Seele<, >Götter< oder andere Metadinge.

Es gibt nur Sprache ... ende
nix Meta, bzw hinter der wand ist wirklich nichts.

"Ich denke, also bin ich" ist gar keine existenzielle Frage sondern die der Identität.
"So ich denke, so bin ich"

***
@Evolution (von Sprache, bzw. Begriffen)

als Abkömlinge von Primaten zeichnet uns alle der drang aus "einzusammeln", etwas "zu haben" ist besser als etwas nicht zu haben,
gleiches gilt für "possesive" Begriffe.
F:Hast du ne Seele?
A: Klar, du nicht?
F: Hast du Bewußtsein?
A: Klar, du nicht?
F: Hast du Glauben?
A: äh jein

etwas nicht zu haben, nicht zu tun scheint irgendwie eine recht menschlich-machender Ausdruck.
sozusagen, Entsagung - Askese als Form sich von dem Natürlichen abzugrenzen.
nur ist das dann doch irgendwie ein evolutionärer Irrtum.
die Pointe, die solches tun, wollen was erreichen?
eine höhere Bewußtseinsebene.

no problem - farce funny

#354:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 05.05.2010, 15:33
    —
sorry - ich hab grad nix getrunken.

fwo

#355:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 05.05.2010, 16:48
    —
tridi hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Naja, für den normalen Sprachgebrauch reicht eben eine ungenaue Definition.
mit der wirst du aber nicht entscheiden koennen, ob ich recht habe (jacke ist schwarz) oder meine liebste (jacke ist blau).

Das ist zwar korrekt, aber kein philosophisches Problem, schon gar kein fundamentales.

tridi hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Will man was genaueres, muß man wohl zu den Wellenlängen oder anderen normierten/reproduzierbaren Standards greifen.
greif mal! Smilie

OK, hier ein Beispiel, ohne Anspruch auf völlige Korrektheit, es geht um den Ansatz. Und selbstverständlich, wie bei jeder Definition, spielt letztlich eine gewisse Willkür mit, die selbst wiederum pragmatisch begründet wird, etwa mit dem typischen sichtbaren Spektrum des Menschen.

- schwarz ist, wenn pro Zeit und Fläche weniger als x% der Photonen reflektiert werden.

- blau ist, wenn pro Zeit und Fläche mehr als x% der Photonen reflektiert werden und y% der reflektierten Photonen zwischen den Wellenlängen 420 und 530 nm liegt.

#356:  Autor: tridi BeitragVerfasst am: 05.05.2010, 22:45
    —
step hat folgendes geschrieben:
tridi hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Naja, für den normalen Sprachgebrauch reicht eben eine ungenaue Definition.
mit der wirst du aber nicht entscheiden koennen, ob ich recht habe (jacke ist schwarz) oder meine liebste (jacke ist blau).

Das ist zwar korrekt, aber kein philosophisches Problem, schon gar kein fundamentales.

ey! das is n fundamentales philosophisches problem zwischen mir und meiner liebsten! zwinkern

Zitat:

- schwarz ist, wenn pro Zeit und Fläche weniger als x% der Photonen reflektiert werden.

- blau ist, wenn pro Zeit und Fläche mehr als x% der Photonen reflektiert werden und y% der reflektierten Photonen zwischen den Wellenlängen 420 und 530 nm liegt.

ein sehr veruenftiger ansatz, zu dem ich (so aehnlich) auch schon gekommen bin.

aber wie hoch koennte man x und y waehlen?

ok, y ist geschenkt, denn es gab keinen streit darum, ob die jacke blau oder braun sei. aber wie hoch zum teufel ist x? ist ein gegenstand, der 1% des blauen lichtes reflektiert und 0% des roten und gruenen lichtes reflektiert, nun blau oder schwarz?

#357:  Autor: Deus ex Machina BeitragVerfasst am: 05.05.2010, 22:58
    —
Hat hier jemand Philosophical Foundations of Neuroscience von Bennett und Hacker gelesen und kann kurz seinen oder ihren Eindruck schildern?

#358:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 06.05.2010, 09:42
    —
tridi hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
- schwarz ist, wenn pro Zeit und Fläche weniger als x% der Photonen reflektiert werden.

- blau ist, wenn pro Zeit und Fläche mehr als x% der Photonen reflektiert werden und y% der reflektierten Photonen zwischen den Wellenlängen 420 und 530 nm liegt.
... aber wie hoch zum teufel ist x?

Der Witz ist: Das ist wurscht, da es eine Definition ist! Nehmen wir einfach mal 1%.

Vorteil: Du hast eine exakte Definition.
Nachteil: Egal welchen Wert du nimmst, es stimmt nie mit jedermanns Intuition überein.

Man sieht das auch bei "relativen" Ausdrücken wie etwa "schnell" oder "reich".

tridi hat folgendes geschrieben:
ist ein gegenstand, der 1% des blauen lichtes reflektiert und 0% des roten und gruenen lichtes reflektiert, nun blau oder schwarz?

Nach meiner Definition oben wäre er eindeutig schwarz.

#359:  Autor: Roter BallonWohnort: München BeitragVerfasst am: 07.05.2010, 11:17
    —
step hat folgendes geschrieben:
tridi hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
- schwarz ist, wenn pro Zeit und Fläche weniger als x% der Photonen reflektiert werden.

- blau ist, wenn pro Zeit und Fläche mehr als x% der Photonen reflektiert werden und y% der reflektierten Photonen zwischen den Wellenlängen 420 und 530 nm liegt.
... aber wie hoch zum teufel ist x?

Der Witz ist: Das ist wurscht, da es eine Definition ist! Nehmen wir einfach mal 1%.

Vorteil: Du hast eine exakte Definition.
Nachteil: Egal welchen Wert du nimmst, es stimmt nie mit jedermanns Intuition überein.

Man sieht das auch bei "relativen" Ausdrücken wie etwa "schnell" oder "reich".

tridi hat folgendes geschrieben:
ist ein gegenstand, der 1% des blauen lichtes reflektiert und 0% des roten und gruenen lichtes reflektiert, nun blau oder schwarz?

Nach meiner Definition oben wäre er eindeutig schwarz.


relativ: <<--- klick to know
***
Physikalische Größen werden in Maßeinheiten (...) angegeben, (...) und beim Messen als Vergleichsgröße zur quantitativen Bestimmung des Wertes anderer Größen der gleichen Art verwendet werden.

***
Durch das SI werden physikalische Einheiten zu ausgewählten Größen festgelegt. (...). Das SI beruht auf sieben, per Konvention festgelegten, Basiseinheiten zu entsprechenden Basisgrößen

***
Eine Konvention (lat. conventio „Übereinkunft, Zusammenkunft“) ist eine nicht formal festgeschriebene Regel, die von einer Gruppe von Menschen aufgrund eines Konsens eingehalten wird.

***
Der Konsens (...) bedeutet die Übereinstimmung von Menschen − meist innerhalb einer Gruppe − hinsichtlich einer gewissen Thematik ohne verdeckten oder offenen Widerspruch.

***
... aber isch ´abe keine bewußtsein ...

#360:  Autor: tridi BeitragVerfasst am: 08.05.2010, 22:15
    —
Roter Ballon hat folgendes geschrieben:

relativ: <<--- klick to know
***
Physikalische Größen werden in Maßeinheiten (...) angegeben, (...) und beim Messen als Vergleichsgröße zur quantitativen Bestimmung des Wertes anderer Größen der gleichen Art verwendet werden.

***
Durch das SI werden physikalische Einheiten zu ausgewählten Größen festgelegt. (...). Das SI beruht auf sieben, per Konvention festgelegten, Basiseinheiten zu entsprechenden Basisgrößen

***
Eine Konvention (lat. conventio „Übereinkunft, Zusammenkunft“) ist eine nicht formal festgeschriebene Regel, die von einer Gruppe von Menschen aufgrund eines Konsens eingehalten wird.

***
Der Konsens (...) bedeutet die Übereinstimmung von Menschen − meist innerhalb einer Gruppe − hinsichtlich einer gewissen Thematik ohne verdeckten oder offenen Widerspruch.

***

was willst du uns mit diesem seltsamen posting sagen?

etwa nur...
Zitat:

... aber isch ´abe keine bewußtsein ...

... dass du grade blau bist?

#361:  Autor: Enrico BeitragVerfasst am: 09.05.2010, 07:37
    —
Sachgerechte Entscheidung eines Gerichts.

GERICHT IN FLORIDA ENTSCHEIDET ZUGUNSTEN EINES FEIERTAGES FÜR GOTTLOSE
In Florida ließ ein Atheist ein Verfahren gegen das bevorstehende Ostern und das Passah eröffnen. Er engagierte einen Anwalt, um einen Fall der Diskriminierung durch Christen und Juden mit deren heiligen Gedenktagen vor Gericht zu bringen ... Das Argument war, dass es unfair sei, dass Atheisten keine solchen Tage hätten.

Der Fall wurde einem Richter vorgelegt. Nach der Anhörung der leidenschaftlichen Darstellung des Anwalts, schlug der Richter mit seinem Hammer auf den Tisch und erklärte: „Fall abgewiesen!“

Der Anwalt erhob sofort Einspruch gegen das Urteil und sagte: „Euer Ehren, wie können Sie diesem Fall abweisen? Die Christen haben Weihnachten, Ostern und andere Feiertage. Die Juden haben Passah, Jom Kippur und Chanukka, doch mein Mandant und alle anderen Atheisten haben keine solchen Feiertage ...“

Der Richter lehnte sich in seinem Stuhl und sagte:

Aber sie haben doch! Ihr Mandant, Herr Anwalt, ist erschreckend ignorant.“
Der Anwalt sagte: „Euer Ehren, wir haben keine Kenntnis von ei-nem speziellen Feiertag für Atheisten.“

Der Richter sagte: „Der Kalender zeigt an, dass der 1. April der 'Tag der Narren' ist. In Psalm 14:1 heißt es: „Der Narr sagt, es gibt keinen Gott.“ So ist es die Meinung dieses Gerichtes, dass, wenn Ihr Mandant behauptet, dass es keinen Gott gibt, dann ist er ein Narr.

Daher ist 1. April sein Tag. Das Gericht vertagt sich
.“

Man muss diesen Richter lieben — der seine Schriften so gut kennt! Sehr glücklich

#362:  Autor: ShadaikWohnort: MG BeitragVerfasst am: 09.05.2010, 08:48
    —
Das ist nicht der Witze-Thread.

#363:  Autor: Tso Wang BeitragVerfasst am: 09.05.2010, 15:16
    —
Enrico hat folgendes geschrieben:
Sachgerechte Entscheidung eines Gerichts.

GERICHT IN FLORIDA ENTSCHEIDET ZUGUNSTEN EINES FEIERTAGES FÜR GOTTLOSE
In Florida ließ ein Atheist ein Verfahren gegen das bevorstehende Ostern und das Passah eröffnen. Er engagierte einen Anwalt, um einen Fall der Diskriminierung durch Christen und Juden mit deren heiligen Gedenktagen vor Gericht zu bringen ... Das Argument war, dass es unfair sei, dass Atheisten keine solchen Tage hätten.

Der Fall wurde einem Richter vorgelegt. Nach der Anhörung der leidenschaftlichen Darstellung des Anwalts, schlug der Richter mit seinem Hammer auf den Tisch und erklärte: „Fall abgewiesen!“

Der Anwalt erhob sofort Einspruch gegen das Urteil und sagte: „Euer Ehren, wie können Sie diesem Fall abweisen? Die Christen haben Weihnachten, Ostern und andere Feiertage. Die Juden haben Passah, Jom Kippur und Chanukka, doch mein Mandant und alle anderen Atheisten haben keine solchen Feiertage ...“

Der Richter lehnte sich in seinem Stuhl und sagte:

Aber sie haben doch! Ihr Mandant, Herr Anwalt, ist erschreckend ignorant.“
Der Anwalt sagte: „Euer Ehren, wir haben keine Kenntnis von ei-nem speziellen Feiertag für Atheisten.“

Der Richter sagte: „Der Kalender zeigt an, dass der 1. April der 'Tag der Narren' ist. In Psalm 14:1 heißt es: „Der Narr sagt, es gibt keinen Gott.“ So ist es die Meinung dieses Gerichtes, dass, wenn Ihr Mandant behauptet, dass es keinen Gott gibt, dann ist er ein Narr.


.

Daß das Bewußte mit dem Unbewußten Probleme hat, ist nichts Neues.


Zitat:
Daher ist 1. April sein Tag. Das Gericht vertagt sich.“

Man muss diesen Richter lieben — der seine Schriften so gut kennt! Sehr glücklich


Daß ein Richter mit beiden Probleme hat, allerdings schon.

()

#364:  Autor: ParadoxWohnort: Köln BeitragVerfasst am: 10.05.2010, 09:58
    —
Shadaik hat folgendes geschrieben:
Das ist nicht der Witze-Thread.


In diesem Thread geht es schon ne Weile nicht mehr um die eigentliche Ausgangsfrage und der Bereich "Wissenschaft und Technik"wurde schon länger verlassen.

#365:  Autor: RohrspatzWohnort: NRW BeitragVerfasst am: 10.05.2010, 13:28
    —
Ich habe gerade versucht mir einen Überblick über den Thread zu verschaffen und hoffe, ich kann zumindest einige wenige Aspekte einbringen, die noch nicht vollkommen durchgekaut wurden. (Der Ansatz ist jedenfalls nicht neu, aber vielleicht kann ich ja dennoch etwas hinzu fügen)

Fahrt mir einfach über den Mund, wenn ich den Thread dadurch inhaltlich zurück werfen sollte zwinkern
(Oh je, es tut mir jetzt schon Leid, dass mir kurze eindeutige Aussagen nicht liegen.... Aber das Thema ist ja auch voller Stolperfallen)

Meine Grundannahmen hierzu sind: Bewusstsein muss kausal aus der neuronalen Aktivität bestimmter Hirnareale des Menschen hervor gehen. Zombies sind denkbar, weil wir die Erklärungslücke zwischen Neuronen-Feuer und Qualia nicht herstellen können, wenn Zombies aber existieren würden, gäbe es keine zwingende Kausalität, die Bewusstsein hervor bringt und das würde Bewusstsein tatsächlich zu einem dualistischen Wunder machen.
Ich bin Monistin, also gehe ich entsprechend davon aus, dass es keine Zombies gibt und sie für uns nur deswegen denkbar sind, weil wir die zwingende Ursächlichkeit von Bewusstsein nur (noch?) nicht verstanden haben.
Qualia existiert. Ich bin bewusst. Ich denke, Qualia muss im Sinne meiner monistischen Einstellung ebenfalls kausal begründbar sein. Ich kann nicht beweisen, dass mein blau die selbe subjektive Epfindung darstellt wie die von jemand anderem, aber ich neige dazu anzunehmen, dass sich Qualia-Phänomene so anfühlen, wie sie sich anfühlen müssen, um ihrer Bedeutung für das Individuum gerecht zu werden (z.B. blau: Häufig vorkommende Farbe, keine Gefahr, kann "hintergründig" und somit "kühl" wiedergegeben werden. Rot: Seltene Farbe, reife Früchte, Blut, sollte vordergründig wiedergegeben werden). Ich kann das nicht beweisen, nehme aber an, dass auch Qualia irgendwie zwangsläufig sein muss. Vielleicht sind Qualia-Phänomene nicht identisch mit den neuronalen Korrelaten, aber womöglich sind die identisch mit der Simulation, die ja bereits eine andere Ebene als die neuronale darstellt.
Bewusstsein ist die Ausprägung einer Funktion. Die Funktion selbst könnte anders ausgeführt werden, die in uns realisierte "Lösung" muss jedoch zwangsläufig zu Bewusstsein führen. Gegenstand der natürlichen Selektion war daher die Funktion, die Bewusstsein erfüllt, nicht die realisierte Ausführung inklusive bewusstem Erleben.

Meine Überlegungen gehen daher in die selbe Richtung wie die von fwo:
fwo hat folgendes geschrieben:
Um es aus der Deisignersicht zu betrachten, weil die einfacher fällt: Wenn ich eine Maschine baue, die mit wechselnden Bedingungen zurechtkommen soll, hann ich mir den Bedingungsvorrat ansehen, für jede mögliche Bedingung das bestimmende Signal definieren und die Reaktion auf dieses Signal programmieren. Diese Maschine ist rein reaktiv und wird von Bedingungen außerhalb des geplanten Bedingungsvorrates plattgemacht wie ein Igel von einem Auto.

Um hier flexibler zu werden, muss ich weitergehen von der programmatisch fertig vorweggenommenen Situation / Bedingung, die ich an einem bestimmten Signal erkenne zu einer Analyse der Umgebung, die diese nicht als statisch annimmt, sondern ihre Dynamik und damit ihren Trend erfasst und in einer Trendverlängerung sogar in die Zukunft geht. Das macht wiederum nur Sinn, wenn diese Maschine sich selbst als den Teil der Situation definiert, den sie beeinflussen kann, dessen Trend sie also verändern kann. Was wir Bewusstsein nennen, ist die Möglichkeit der simulierten Trendverlängerung der eigenen Situation einschließlich einer Einbeziehungen möglicher Trendveränderungen.


Ich habe auch einige weiter führende Einwände gelesen, also will ich es mit einem komplexeren Vergleich probieren:

Nehmen wir mal an, ein unbewusst arbeitendes Nervensystem wäre vergleichbar mit einer Firma, die vollkommen in Dunkelheit gehüllt ist und in der blinde, hoch spezialisierte, aber fachidiotische Arbeiter ihrer Arbeit nachgehen. Da diese Firma irgendwie aus einer Evolution der Marktwirtschaft heraus entstanden ist, funktioniert sie blendend - sofern keine unvorhersehbaren Ereignisse geschehen und die Firma sich strikt an die Produktionen hält, auf die sie haargenau geeicht ist.
Nun bildet es aber einen markt-selektiven Vorteil, wenn die Firma flexibler arbeiten könnte. Die bisher evolvierte Arbeitsteilung ist jedoch ungemein gut eingespielt, also will man nicht gleich ein völlig neues Konzept vorlegen, sondern die Firma nur um eine Instanz erweitern:

Es wird eine KI-gekoppelte Kamera installiert, die einen Scheinwerfer lenkt. Die Kamera nimmt keine Filme auf, sondern sendet Informationen an die KI, welche lernt, aus diesen einen Sinn heraus zu lesen. Dieser Sinn gipfelt in einer Simulation der Firma und der Außenwelt (Rohmaterial, Rechnungen, Aufträge....), wobei die Firma als Konstante im Vergleich zur wandelbaren Umwelt unterschieden werden kann.
Diese KI verfügt jedoch nicht über Selbstreflexion, in dem Sinne, als dass sie keinerlei Feedback und Sinnesinformationen von sich selbst erhält.

Ihr Output an die Firma soll auf Lernvorgängen und Simulationen basierende Vorrausplanungen sein (evtl. auch Einschreitungen in laufende Vorgänge, wenn etwas falsch läuft, aber da bin ich mir nicht ganz sicher).
Das ist ihre Funktion und das bietet den Selektionsvorteil.

Frage: Wenn diese Kamera nichts weiter erkennen kann, als die Teile der Firma, in die der Lichtsrahl hinein reicht (alles andere stellt das "Unbewusste" dar), sie sich jedoch selbst nicht von der Firma unterscheiden kann - als was wird sie sich, also den Beobachter, identifizieren?

...

Vielleicht als den Lichkegel und das, was in diesem erscheint?
Und zwar weil sie ihre eigene Funktionsweise nicht versteht, sondern nur das, was sie macht (beobachten, bewerten, lernen, planen).
Weil sie den Beobachter, den sie darstellt, mangels Informationen über sich selbst mit den sichtbaren Teilen der Firma selbst gleichsetzen wird?
Und würde daraus nicht resultieren, dass sich die Kamera als oberste Befehlsinstanz interpretieren würde, weil sie fremde Befehle, über die sie lediglich informiert wird, nicht von ihren Optimierungsvorschlägen (ihr tatsächlicher Zweck) unterscheiden kann? (Ihr liegen keine Informationen über den Ursprung von Befehlen vor, schlichtweg, weil es nicht nötig für ihre Funktionsweise ist).

Um ganz kurz wieder auf die eigentliche Diskussionseben zurück zu kommen: Vielleicht ist das Qualia-Phänomen (auch wenn wir nicht wissen, warum) die einzige Möglichkeit, wie eine solche Simulation hervor gebracht werden kann?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Aber ist das so, dass Systeme, die Neues lernen können, über äußere Reize, Gefühle entwickeln? Dieser Zusammenhang erscheint mir nicht evident, denn ein Sensor der Batterie, der einen geringen Ladestand meldet, erzeugt ja noch kein Gefühl.

Man kann künstliche neuronale Netze trainieren und man kann sie, nachdem man eine gewisse Grundlage geschaffen hat, auf die Umwelt loslassen (als Teil eines Roboters), so dass sie 'Erfahrungen' machen, die nicht mehr im Vorneherein programmiert sind. D.h., in Bezug auf ein vorgegebenes Ziel, (z.B. 'Überleben', d.h. für den Roboter: möglichst wenig Beschädigungen, regelmäßige Energieaufnahme, evtl. Selbstreparatur bei Ausfall eines Subsystemes), könnte der Roboter neue Fähigkeiten sich selber im Umgang mit der Umwelt beibringen; er könnte lernen, (in dem Sinne, dass er daraufhin neue Verhaltensweisen ausbildet), welche Input-Muster der Umwelt ihm schaden und welche Input-Daten auf eine eventuelle Schädigung hinweisen könnten und lernen, dem aus dem Weg zu gehen (durch Flucht z.B.).

Aber: würden diese Roboter Gefühle entwickeln? Und ein Bewusstsein? Ein Erleben? Ich weiß nicht, das erscheint mir nicht notwendig zum Funktionieren des Roboters im obigen Sinne (-> 'Überleben').

Das mit der Evidenz diesbezüglich ist ein Problem und klassischerweise ein unlösbares, da es ja in direktem Zusammenhang zur "Erklärungslücke" steht. Wir können neuronale Aktivität nicht absolut mit bewusstem Erleben zur Deckung bringen!
Aber dass wir das nicht können, erscheint mir ein so elementarer Bestandteil des Phänomens "Bewusstsein" zu sein, dass ich es genau dort auch am Schopf gepackt habe: Warum ist diese Erklärungslücke so zwangsläufig?
Dann aber kann man meinem Gedankengang zumindest folgendes abgewinnen: Die Lücke ist dann zwangsläufig, wenn Bewusstsein die Ebene der Simulation ist, die über sehr viele Informationen verfügt, aber nicht über Informationen über die Quelle der Simulation selbst (sich selbst).

Hätte dein hypothetischer Roboter Bewusstsein?
Ich finde das schwer zu beurteilen. Wie viele Informationen müssen vorliegen, damit eine wirkliche Simulation entsteht? Vielleicht, sobald sich eben ein zentraler Beobachter heraus kristallisieren muss um die Menge an Informationen zusammen führen zu können.
Beispiel: Ein Roboter könnte lernen, seine visuellen Sensoren einer Geräuschquelle zuzuwenden, um die dortigen visuellen Reize zu analysieren und das könnte ich mir durchaus ohne Bewusstsein vorstellen. Tatsächlich geschieht Vergleichbares auch bei uns in subcortikalen, "alten" Arealen.
Wenn der Roboter aber "verstehen" können soll, was dieses Geräusch bzw. die Geräuschquelle im Kontext seiner Umwelt und Überlebensinteressen "bedeutet", muss er genügend Informationen integrieren, die am besten an einer "Stelle" (in einer Instanz der KI) stets zugänglich sein müssen. Die am leichtesten verwertbare, da bereits in den Kontext eingebundene, Informationsquelle ist - so erscheint es mir - eine parallel zu niederen Prozessen ablaufende Simulation.
Ich würde also sagen: Ja, ab einer gewissen Stufe der selbst organisierten Intelligenz, ist ein Roboter bewusst.

Man kann ihn sich zwar auch unbewusst vorstellen, aber das gilt auch für Menschen. Kein Bewusstsein ist für mich beweisbar, außer das eigene. Ich denke, es muss irgendwo einen zwingenden Grund für Qualia geben und ich würde den halt dort ansetzen, dass eine Simulation der Außen- und Innenwelt bereits eine von der Neuronenaktivität unterscheidbare Ebene ist. Und diese Unterschiedlichkeit stellt sich faktisch als Qualia-Phänomen heraus. Nur können wir dieses eben nicht zur Deckung bringen, da zwar "die Firma" selbstbewusst ist, aber nicht "der Beobachter", der die Firma selbstbewusst macht.


Ich spekuliere wie jeder bei dem Thema nur herum und werfe einfach mal meine Gedanken ein, um mal etwas Feedback dazu zu bekommen.
Ich favorisiere diesen Gedankenansatz, weil er zumindest recht viel erklärt:
*Warum es die Erklärungslücke gibt (aber nicht, wie man sie schließen kann)
*Warum sich das Bewusstsein als höchste Instanz versteht und es kluge Denker wie Freud brauchte, die uns endlich mal gesagt haben, dass sich das Bewusstsein viel zu wichtig nimmt
*Dass es überhaupt irgend eine Simulations-Ebene geben muss, die nicht mit der Hardware identisch ist, obwohl sie aus dieser direkt hervor geht
*Warum sich eine einheitliche bewusste Wahrnehmung bildet und warum daraus ein "Ich"-Gefühl entsteht
*Warum Bewusstsein eine elegante "evolutive Lösung" ist

Beweisbar ist auch diese Idee nicht, aber dieser Thread erscheint mir ohnehin ein wenig wie ein Brainstorming.


OT:
Paradox hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Danke! Und du magst intelligente Vögel? Smilie


Touché. Smilie
Ich liebe die Viecher.

Ich auch! Ich liebe es...

#366:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 10.05.2010, 18:27
    —
@Eleonor: Metzinger gelesen?

#367:  Autor: RohrspatzWohnort: NRW BeitragVerfasst am: 10.05.2010, 18:31
    —
step hat folgendes geschrieben:
@Eleonor: Metzinger gelesen?

Leider nein, auch wenn das bereits auf meiner Lese-Liste steht...

#368:  Autor: Roter BallonWohnort: München BeitragVerfasst am: 10.05.2010, 20:45
    —
tridi hat folgendes geschrieben:
Roter Ballon hat folgendes geschrieben:

relativ: <<--- klick to know
***
Physikalische Größen werden in Maßeinheiten (...) angegeben, (...) und beim Messen als Vergleichsgröße zur quantitativen Bestimmung des Wertes anderer Größen der gleichen Art verwendet werden.

***
Durch das SI werden physikalische Einheiten zu ausgewählten Größen festgelegt. (...). Das SI beruht auf sieben, per Konvention festgelegten, Basiseinheiten zu entsprechenden Basisgrößen

***
Eine Konvention (lat. conventio „Übereinkunft, Zusammenkunft“) ist eine nicht formal festgeschriebene Regel, die von einer Gruppe von Menschen aufgrund eines Konsens eingehalten wird.

***
Der Konsens (...) bedeutet die Übereinstimmung von Menschen − meist innerhalb einer Gruppe − hinsichtlich einer gewissen Thematik ohne verdeckten oder offenen Widerspruch.

***

was willst du uns mit diesem seltsamen posting sagen?

etwa nur...
Zitat:

... aber isch ´abe keine bewußtsein ...

... dass du grade blau bist?


ein wenig abgedreht, aber paßt schon,
ich nenn das "free flow of information"

Du kannst so deine eigenen Gedanken fassen ohne mit den meinen interagieren zu müssen.
aber okay vielleicht tut ein kleiner stubs not...

Bleiben wir mal bei dem Blau-Schwarz Beispiel ...
und ich mach mal einen Gedankenschwenker zu Goethes Farblehre
Vielleicht fällt auf, das hier darum geht wie Farbe "WIRKT"
Im Gegensatz zu dem modernen naturwissenschaftlichen Paradigma, die nur eine quantitative Relation aufstelllt, mit "was/wie Farbe IST"

Begriffe sind Vereinbarungen, von denen ausgegangen wird, das der andere schon wisse was gemeint ist ... tjo da spiel ich mit noc

Gerade und besonders dann, wenn immer wieder die Betrachtungsebenen durchmischt werden.
und speziell bei dem Thema hier,

Nach welchem Paradigma folgt eine hinreichende Beschreibung von "Bewußtsein"?
wiki hat folgendes geschrieben:
Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen definiert er ein wissenschaftliches Paradigma als:

das, was beobachtet und überprüft wird
die Art der Fragen, welche in Bezug auf ein Thema gestellt werden und die geprüft werden sollen,
wie diese Fragen gestellt werden sollen
wie die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchung interpretiert werden sollen
Kuhn meint mit Paradigma also ein vorherrschendes Denkmuster in einer bestimmten Zeit. Paradigmen spiegeln einen gewissen allgemein anerkannten Konsens über Annahmen und Vorstellungen wider, die es ermöglichen, für eine Vielzahl von Fragestellungen Lösungen zu bieten. In der Wissenschaft bedient man sich in diesem Zusammenhang auch oft Modellvorstellungen, anhand derer man Phänomene zu erklären versucht. (Leitbild)


Wie wärs bspw. mit:
Neuronales Korrelat des Bewusstseins
(durchaus gelungene Zusammenfassung dieses Threads)

oder vielleicht "spezieller":
„The Emergent Cyclical Levels of Existence Theory“ (Die zyklisch auftauchenden Ebenen der Existenztheorie) (ECLET)

#369:  Autor: tridi BeitragVerfasst am: 10.05.2010, 22:08
    —
Roter Ballon hat folgendes geschrieben:

ich nenn das "free flow of information"

ich nenn das unzusammenhaengende und insbesondere mit dem thema nicht zusammenhaengende linksammlung. einheiten ok, aber was speziell SI-einheiten zum thema beizutragen haetten, bleibt mir verschlossen. schriebest du etwas dazu, dann koennte man sich damit auseinandersetzen, aber so fand ich dein posting bzw. deine linksammlung einfach nur panne.

Zitat:

Du kannst so deine eigenen Gedanken fassen ohne mit den meinen interagieren zu müssen.

nun, wenn ich mit deinen gedanken nicht intgeragieren soll, dann kann ich deine postings ja am besten ignorieren, oder?

Zitat:

aber okay vielleicht tut ein kleiner stubs not...

wenn du etwas sagen willst, dann "stubse" nicht, vor allem nicht mit noch mehr links, sondern sage, was du zu sagen hast. ich les doch nicht zig seiten, nur weil dir grade einfaellt, links dazu zu posten.

#370:  Autor: Roter BallonWohnort: München BeitragVerfasst am: 10.05.2010, 23:52
    —
tridi hat folgendes geschrieben:
Roter Ballon hat folgendes geschrieben:

ich nenn das "free flow of information"

ich nenn das unzusammenhaengende und insbesondere mit dem thema nicht zusammenhaengende linksammlung. einheiten ok, aber was speziell SI-einheiten zum thema beizutragen haetten, bleibt mir verschlossen. schriebest du etwas dazu, dann koennte man sich damit auseinandersetzen, aber so fand ich dein posting bzw. deine linksammlung einfach nur panne.

es ging ja auch nicht um die si-einheiten, sondern darum daß definitionen konventionen folgen.
sprachliche übereinkünfte, die ...
folgst du den keywörtern meiner linkliste eben doch genauso rekursiv sind wie schwammigeren begriffe: schnell oder reich.

tridi hat folgendes geschrieben:
Zitat:

Du kannst so deine eigenen Gedanken fassen ohne mit den meinen interagieren zu müssen.

nun, wenn ich mit deinen gedanken nicht intgeragieren soll, dann kann ich deine postings ja am besten ignorieren, oder?
ich zwing mich niemanden auf, hab ja nur einige gedanken eingestreuselt, laß sie dir schmecken.


tridi hat folgendes geschrieben:
Zitat:

aber okay vielleicht tut ein kleiner stubs not...

wenn du etwas sagen willst, dann "stubse" nicht, vor allem nicht mit noch mehr links, sondern sage, was du zu sagen hast. ich les doch nicht zig seiten, nur weil dir grade einfaellt, links dazu zu posten.
ich versuch seit einiger zeit auf etwas hunzuweisen, was schwer zu sagen, aber leicht zu zeigen ist.
ohne sprache - kein bewußtsein
keine sprache ohne sinn
selbst wenn ich bemüht bin zusammenhangsfrei zu beschreiben, wird versucht sinn in das beschriebene zu legen - was natürlich panne wirkt.
aber es wirkt
bei fachsprachen ist es noch übler, weil je enger definitionen ausgelegt sind, desto geringer die informationsdichte der aussage.
wunderts mich, daß bei so einem "universal"-begriff wie bewußtsein kein fortkommen ist, je tiefer ins detail gegangen wird?

#371:  Autor: Tso Wang BeitragVerfasst am: 12.05.2010, 07:39
    —
Eleonor hat folgendes geschrieben:
Ich habe gerade versucht mir einen Überblick über den Thread zu verschaffen und hoffe, ich kann zumindest einige wenige Aspekte einbringen, die noch nicht vollkommen durchgekaut wurden. (Der Ansatz ist jedenfalls nicht neu, aber vielleicht kann ich ja dennoch etwas hinzu fügen)

Fahrt mir einfach über den Mund, wenn ich den Thread dadurch inhaltlich zurück werfen sollte zwinkern
(Oh je, es tut mir jetzt schon Leid, dass mir kurze eindeutige Aussagen nicht liegen.... Aber das Thema ist ja auch voller Stolperfallen)

Meine Grundannahmen hierzu sind: Bewusstsein muss kausal aus der neuronalen Aktivität bestimmter Hirnareale des Menschen hervor gehen. Zombies sind denkbar, weil wir die Erklärungslücke zwischen Neuronen-Feuer und Qualia nicht herstellen können, wenn Zombies aber existieren würden, gäbe es keine zwingende Kausalität, die Bewusstsein hervor bringt und das würde Bewusstsein tatsächlich zu einem dualistischen Wunder machen.
Ich bin Monistin, also gehe ich entsprechend davon aus, dass es keine Zombies gibt und sie für uns nur deswegen denkbar sind, weil wir die zwingende Ursächlichkeit von Bewusstsein nur (noch?) nicht verstanden haben.
Qualia existiert. Ich bin bewusst. Ich denke, Qualia muss im Sinne meiner monistischen Einstellung ebenfalls kausal begründbar sein. Ich kann nicht beweisen, dass mein blau die selbe subjektive Epfindung darstellt wie die von jemand anderem, aber ich neige dazu anzunehmen, dass sich Qualia-Phänomene so anfühlen, wie sie sich anfühlen müssen, um ihrer Bedeutung für das Individuum gerecht zu werden (z.B. blau: Häufig vorkommende Farbe, keine Gefahr, kann "hintergründig" und somit "kühl" wiedergegeben werden. Rot: Seltene Farbe, reife Früchte, Blut, sollte vordergründig wiedergegeben werden). Ich kann das nicht beweisen, nehme aber an, dass auch Qualia irgendwie zwangsläufig sein muss. Vielleicht sind Qualia-Phänomene nicht identisch mit den neuronalen Korrelaten, aber womöglich sind die identisch mit der Simulation, die ja bereits eine andere Ebene als die neuronale darstellt.
Bewusstsein ist die Ausprägung einer Funktion. Die Funktion selbst könnte anders ausgeführt werden, die in uns realisierte "Lösung" muss jedoch zwangsläufig zu Bewusstsein führen. Gegenstand der natürlichen Selektion war daher die Funktion, die Bewusstsein erfüllt, nicht die realisierte Ausführung inklusive bewusstem Erleben.

Meine Überlegungen gehen daher in die selbe Richtung wie die von fwo:
fwo hat folgendes geschrieben:
Um es aus der Deisignersicht zu betrachten, weil die einfacher fällt: Wenn ich eine Maschine baue, die mit wechselnden Bedingungen zurechtkommen soll, hann ich mir den Bedingungsvorrat ansehen, für jede mögliche Bedingung das bestimmende Signal definieren und die Reaktion auf dieses Signal programmieren. Diese Maschine ist rein reaktiv und wird von Bedingungen außerhalb des geplanten Bedingungsvorrates plattgemacht wie ein Igel von einem Auto.

Um hier flexibler zu werden, muss ich weitergehen von der programmatisch fertig vorweggenommenen Situation / Bedingung, die ich an einem bestimmten Signal erkenne zu einer Analyse der Umgebung, die diese nicht als statisch annimmt, sondern ihre Dynamik und damit ihren Trend erfasst und in einer Trendverlängerung sogar in die Zukunft geht. Das macht wiederum nur Sinn, wenn diese Maschine sich selbst als den Teil der Situation definiert, den sie beeinflussen kann, dessen Trend sie also verändern kann. Was wir Bewusstsein nennen, ist die Möglichkeit der simulierten Trendverlängerung der eigenen Situation einschließlich einer Einbeziehungen möglicher Trendveränderungen.


Ich habe auch einige weiter führende Einwände gelesen, also will ich es mit einem komplexeren Vergleich probieren:

Nehmen wir mal an, ein unbewusst arbeitendes Nervensystem wäre vergleichbar mit einer Firma, die vollkommen in Dunkelheit gehüllt ist und in der blinde, hoch spezialisierte, aber fachidiotische Arbeiter ihrer Arbeit nachgehen. Da diese Firma irgendwie aus einer Evolution der Marktwirtschaft heraus entstanden ist, funktioniert sie blendend - sofern keine unvorhersehbaren Ereignisse geschehen und die Firma sich strikt an die Produktionen hält, auf die sie haargenau geeicht ist.
Nun bildet es aber einen markt-selektiven Vorteil, wenn die Firma flexibler arbeiten könnte. Die bisher evolvierte Arbeitsteilung ist jedoch ungemein gut eingespielt, also will man nicht gleich ein völlig neues Konzept vorlegen, sondern die Firma nur um eine Instanz erweitern:

Es wird eine KI-gekoppelte Kamera installiert, die einen Scheinwerfer lenkt. Die Kamera nimmt keine Filme auf, sondern sendet Informationen an die KI, welche lernt, aus diesen einen Sinn heraus zu lesen. Dieser Sinn gipfelt in einer Simulation der Firma und der Außenwelt (Rohmaterial, Rechnungen, Aufträge....), wobei die Firma als Konstante im Vergleich zur wandelbaren Umwelt unterschieden werden kann.
Diese KI verfügt jedoch nicht über Selbstreflexion, in dem Sinne, als dass sie keinerlei Feedback und Sinnesinformationen von sich selbst erhält.

Ihr Output an die Firma soll auf Lernvorgängen und Simulationen basierende Vorrausplanungen sein (evtl. auch Einschreitungen in laufende Vorgänge, wenn etwas falsch läuft, aber da bin ich mir nicht ganz sicher).
Das ist ihre Funktion und das bietet den Selektionsvorteil.

Frage: Wenn diese Kamera nichts weiter erkennen kann, als die Teile der Firma, in die der Lichtsrahl hinein reicht (alles andere stellt das "Unbewusste" dar), sie sich jedoch selbst nicht von der Firma unterscheiden kann - als was wird sie sich, also den Beobachter, identifizieren?

...

Vielleicht als den Lichkegel und das, was in diesem erscheint?
Und zwar weil sie ihre eigene Funktionsweise nicht versteht, sondern nur das, was sie macht (beobachten, bewerten, lernen, planen).
Weil sie den Beobachter, den sie darstellt, mangels Informationen über sich selbst mit den sichtbaren Teilen der Firma selbst gleichsetzen wird?
Und würde daraus nicht resultieren, dass sich die Kamera als oberste Befehlsinstanz interpretieren würde, weil sie fremde Befehle, über die sie lediglich informiert wird, nicht von ihren Optimierungsvorschlägen (ihr tatsächlicher Zweck) unterscheiden kann? (Ihr liegen keine Informationen über den Ursprung von Befehlen vor, schlichtweg, weil es nicht nötig für ihre Funktionsweise ist).




.

Apropos Scheinwerfer bzw.Taschenlampe: Tor Nörretranders hat sich auch dieses Bildes bedient, siehe u.a. auch
hier

()

#372:  Autor: RohrspatzWohnort: NRW BeitragVerfasst am: 12.05.2010, 10:34
    —
Tso Wang hat folgendes geschrieben:

Apropos Scheinwerfer bzw.Taschenlampe: Tor Nörretranders hat sich auch dieses Bildes bedient, siehe u.a. auch
hier

()


Danke, dass du mich darauf aufmerksam machst! Ich finde, ein solcher Vergleich drängt sich bei der Frage, was Bewusstsein in Abgrenzung zum Unbewussten ist und was das wiederum mit Aufmerksamkeit zu tun hat, ein wenig auf. Es hätte mich gewundert, wenn ich da nicht Gedanken formuliert hätte, die bereits jemand anders hatte.

Aber es zeigt mir auch, dass ich den Thread zu lange unbeobachtet gelassen habe *seufz*
(Ich habe diese Stelle beim Überfliegen schlicht übersehen)

#373: Fortsetzung der Diskussion? Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 18.07.2010, 11:56
    —
Eleonor hat folgendes geschrieben:

...würde daraus nicht resultieren, dass sich die Kamera als oberste Befehlsinstanz interpretieren würde, weil sie fremde Befehle, über die sie lediglich informiert wird, nicht von ihren Optimierungsvorschlägen (ihr tatsächlicher Zweck) unterscheiden kann? (Ihr liegen keine Informationen über den Ursprung von Befehlen vor, schlichtweg, weil es nicht nötig für ihre Funktionsweise ist)

Zwar glaube ich nicht, an einen Beobachter im Gehirn - aber gut und richtig finde ich den Gedanken, dass das Bewusstsein dadurch erzeugt wird, dass mehrere Instanzen im Gehirn miteinander in Wechselwirkung stehen, diese Wechslwirkung selbst aber nicht bewusst wird und dadurch auch nicht der Umstand, dass es sich um mehrere Instanzen handelt. Wir wundern uns nur zuweilen über die "zwei Seelen, ach!" in unsrer Brust.

Hallo erstmal – war jahrelang nicht mehr in diesem Forum und hab nun diese, bis auf die letzten drei Seiten sehr nineauvolle Diskussion gelesen. Seit einiger Zeit ist hier nichts mehr geschrieben worden – vielleicht gelingt es mir, die Debatte wieder in Gang zu bringen? Ich kommentiere mal einige Aussagen des bisherigen Threads. Dabei lasse ich das Leib-Seele-Problem zunächst beiseite und beschränke mich auf das eigentliche Thema „Bewusstsein und Evolution“:

AgentProvocateur schreibt:
Zitat:
Willst Du letztlich darauf hinaus, dass es irgendwie wesentlich sei, dass das eine System (Roboter) von einem Programmierer (abstrakter gesagt: Designer) entworfen wurde und das andere (Hund) nicht? Aber das ist kein wesentlicher Unterschied für einen Vergleich der Fähigkeiten der beiden Systeme, bzw. wüsste ich nicht, inwiefern er wesentlich sein könnte. Ist doch für die aktuellen (und zukünftigen) Fähigkeiten egal, ob die evolutionär entstanden sind oder programmiert wurden.

Der Roboter wird vom Konstrukteur progrmmiert. Die Fähigkeiten (Verhaltensmuster), die der Hund ererbt hat, sind durch die Evolution programmiert worden. Aber darüber hinaus hat der Hund die Fähigkeit, zu lernen. Dazu schreibt fwo:

Zitat:
Ohne Gefühl kein Lernen

...sobald Du etwas auf die Beine stellst, das individuell lernt und damit im Abgleich der Gegenwart mit individuellen Erinnerungen individuelle Entscheidungen trifft, hast Du auch so etwas wie Bewusstsein.

Bewusstsein verlagert das das für jeden Organismus nötige Wissen über die Welt aus der Genetik in den Bereich individuellen Lernens.

Genau – das ist die Antwort auf die Frage nach der Funktion des Bewusstseins. fwo hat vollkommen recht – warum glaubt AP ihm nicht? Weil fwo dann folgendes schreibt:

Zitat:
Was wir Fühlen nennen, ist das Ankommen von Information in der bearbeitenden Instanz Bewusstsein.

Ich halte die beiden Formulierungen "Ankommen von Information im Bewusstsein" und "Fühlen" einfach für äquvalent und sehe mich gar nicht versucht, da noch etwas zu erklären.

Darauf antwortet AP:

Zitat:
Das Problem ist, dass "das Ankommen von Information in der bearbeitenden Instanz Bewusstsein" nicht "anfühlen" erklärt.

Hier hat offenbar AP recht. Denn wenn Fühlen und Erleben nichts weiter als Information wäre, dann wären auch hinreichend komplexe Roboter in der Lage, zu lernen. Die Frage ist also: Was ist Besonderes an denjenigen Informationen, die wir Gefühle, innere Erlebnisse, Qualia nennen? Das Besondere kann nicht darin bestehen, dass die Informationen im Bewusstsein ankommen, denn Bewusstsein ist ja gerade dieses innere Erleben, das erklärt werden soll – wir können es also nicht schon in der Erklärung voraussetzen. Myron schrebt:

Zitat:
Ein Bewusstsein haben, bei Bewusstsein sein heißt Erlebnisse haben, d.h. Empfindungen, Gefühle, Stimmungen, Gedanken oder Vorstellungen haben.


Genau. Also nochmal die Frage: Was ist das Besondere an denjenigen Informationen, die wir Gefühle, innere Erlebnisse, Qualia nennen, und die zusammen das Bewusstsein ausmachen?

Untersuchen wir als Beispiel das Farbensehen: Auf die Netzhaut des Auges treffen elektro-magnetische Wellen verschiedener Wellenlängen. Diese Unterschiede sind rein quantitativ, sie lassen sich in Zahlen ausdrücken. Aber was sehen wir, wenn wir Farben sehen? Wir nehmen verschiedene Qualitäten wahr, die wir Rot, Grün, Blau, Gelb... nennen! Und die Qualitäten sind nicht nur verschieden – sie sind gegensätzlich: Rot und Grün, Blau und Orange, Gelb und Violett bilden Kontrastpaare! Das ist aus den Wellenlängen nicht erklärbar, denn der größte Wellenlängen-unterschied besteht zwischen Rot und Violett – diese beiden Farben empfinden wir jedoch als verwandt, sodass wir das Farbspektrum zum Farbkreis schließen können.

Betrachten wir ein weiteres Beispiel, die Temperaturwahrnehmung: Bekanntlich gibt es, physikalisch gesehen, keine Kälte, und Wärme ist einfach ein Betrag über Null Kelvin – also wiederum etwas rein Quantitatives, das sich in einer Zahl angeben lässt. Und wieder erzeugt das Gehirn daraus einen Gegensatz von Qualitäten: Heiß – Warm – Kalt. Hier wird deutlicher, worin die Qualitäten ihren Ursprung haben: Leben ist ein Gleichgewichtszustand, der beibehalten werden will. Für ein Lebewesen ist nicht die Temperatur der Außenwelt als solche bedeutsam, sondern die Differenz dieser Temperatur zu derjenigen, die für die Aufrechterhaltung seines Gleichgewichts, für den Ablauf der Stoffwechselprozesse optimal ist. Marcellinus meint dasselbe:

Zitat:
Und alle diese Empfindungen sind mit negativen oder positiven Gefühlen verbunden, die diesen Wahrnehmungen Bedeutung geben und die sein Verhalten bestimmen, Angriff oder Flucht, Interesse oder Ablehnung usw. Es ist gewissermaßen eine erweiterte Realität, die das Gehirn aus den Umgebungsdaten erzeugt.

Man kann ganz allgemein sagen: Lebewesen haben die Fähigkeit, quantitative Unterschiede von Zustandsdaten aus ihrer Umwelt in qualitative Gegensätze umzuwandeln. Diese Umwandlung stellt zugleich eine Bewertung dieser Daten dar: Was bedeuten sie für mich, für mein Leben? Hieraus erwächst alles Verstehen, Denken und Entscheiden. Roboter können nichts verstehen und nichts selbständig entscheiden, weil (oder solange) sie keine Lebewesen sind. Lebewesen sind, nach Maturana / Varela, autopoietische Systeme: „Es gibt keine Trennung von Erzeugnis und Erzeuger. Das Sein und das Tun einer autopoietischen Einheit sind untrennbar.“ (M. / V.: Der Baum der Erkenntnis, München 1987, S. 56)

Und was hat das mit Lernen zu tun? Angenommen, wir hätten einen Roboter in Menschenform konstruiert. In seinen Fingern sind Temperatur-Messfühler, und er ist so programmiert, dass er seine Hand schnell wegzieht, wenn die gemessene Temperatur einen Maximalwert übersteigt. Wenn der Roboter eine heiße Herdplatte berührt, verhält er sich also wie ein Mensch, der eine heiße Herdplatte berührt. Nun statten wir den Roboter noch mit einem Programm aus, das es ihm ermöglicht, Objekte, deren Berührung mit einer Überschreitung der Maximaltemperatur verbunden ist, wiederzuerkennen und den Abstand seiner Hände zu ihnen zu bestimmen. Jetzt ist es kein Problem mehr, den Roboter so einzustellen, dass er nach einmaliger Berührung eines solchen Objekts zu ihm Abstand hält.

Solche Programme lassen sich noch wesentlich verfeinern, sodass unser Roboter sein Verhalten heißen Objekten gegenüber in vielfacher Hinsicht selbst optimieren kann. Damit das alles funktioniert, ist aber eines notwendig: Der Programmierer muss eine bestimmte Temperatur als Maximalwert eingeben, d. h., er muss einer Messgröße, einer Quantität, eine Qualität – „Maximum“, „heiß“ – zuordnen. Ein Kind dagegen lernt dadurch, dass es sich die Finger verbrennt, was „heiß“ ist – es erlebt die Hitze und den damit verbundenen Schmerz. Es nimmt die Eigenschaften der Umwelt nicht als Messgrößen, sondern als Qualitäten wahr, die ihm Lust oder Schmerz bereiten. Dadurch versteht es, was die Dinge der Umgebung für sein Leben bedeuten, und so lernt es.

AgentProvocateur schreibt:
Zitat:
Ich behaupte aber, dass sich kein logischer und / oder (mir bekannter) naturwissenschaftlicher / naturgesetzlicher Widerspruch bei dem Gedankenexperiment ergibt, es könne alles in unserer Welt ebenso ablaufen wie jetzt auch, es gäbe aber dabei kein subjektives Erleben.

Es müsste nun eigentlich klar sein: Alles würde ganz anders ablaufen, denn ohne subjektives Erleben könnten wir nichts verstehen und keine Entscheidungen treffen. Wir könnten auch nicht denken, denn Denken ist nicht nur Datenverabeitung, sondern Verstehen und Entscheiden (ob etwas richtig oder falsch ist). Marcellinus schreibt :

Zitat:
Die sogenannten Qualia, die es ja auch schon bei Tieren gibt, sind Erlebnisse, Empfindungen und Wahrnehmungen, die dann Teil eines Entscheidungsprozesses werden. […] Bewußtsein ist der Ort, in dem diese Entscheidungen 'diskutiert' werden.

Je komplexer die Verhaltensweisen werden, zB. mehrere Reize gleichzeitig verarbeitet werden können, und das Lebewesen entscheiden muß, was zu tun ist, muß ein Bild von der Umgebung existieren, das mit Bedeutungen versehen wird.

kalmar

#374:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 18.07.2010, 13:32
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
Denn wenn Fühlen und Erleben nichts weiter als Information wäre, dann wären auch hinreichend komplexe Roboter in der Lage, zu lernen.

Warum sollten sie es nicht sein?

kalmar hat folgendes geschrieben:
Und die Qualitäten sind nicht nur verschieden – sie sind gegensätzlich: Rot und Grün, Blau und Orange, Gelb und Violett bilden Kontrastpaare! Das ist aus den Wellenlängen nicht erklärbar, denn der größte Wellenlängen-unterschied besteht zwischen Rot und Violett – diese beiden Farben empfinden wir jedoch als verwandt, sodass wir das Farbspektrum zum Farbkreis schließen können.

Es ist aber nicht weiter verwunderlich, daß die subjektive Farbwahrnehmung nicht linear auf die Mischung von Wellenlängen abgebildet werden kann. Offensichtlich gibt es jedoch einen für unsere Art relativ konstanten Mechanismus dieser Abbildung, denn sonst könnten wir nicht über Farben reden.

kalmar hat folgendes geschrieben:
Man kann ganz allgemein sagen: Lebewesen haben die Fähigkeit, quantitative Unterschiede von Zustandsdaten aus ihrer Umwelt in qualitative Gegensätze umzuwandeln. Diese Umwandlung stellt zugleich eine Bewertung dieser Daten dar ...

Sicher, wobei ich auch das allein nicht so hoch hängen würde, denn eine "qualitative" Bewertung ist alles, wo abhängig von einem ursprünglichen (mglw. quantitativen) Input ein bestimmter Verhaltenszweig, auch etwa in einem Roboter, eingeschlagen wird.

kalmar hat folgendes geschrieben:
Damit das alles funktioniert, ist aber eines notwendig: Der Programmierer muss eine bestimmte Temperatur als Maximalwert eingeben, d. h., er muss einer Messgröße, einer Quantität, eine Qualität – „Maximum“, „heiß“ – zuordnen. Ein Kind dagegen lernt dadurch, dass es sich die Finger verbrennt, was „heiß“ ist – es erlebt die Hitze und den damit verbundenen Schmerz. Es nimmt die Eigenschaften der Umwelt nicht als Messgrößen, sondern als Qualitäten wahr, die ihm Lust oder Schmerz bereiten. Dadurch versteht es, was die Dinge der Umgebung für sein Leben bedeuten, und so lernt es.

Mir scheint der Unterschied konstruiert. In beiden Fällen wird eine Qualität zugeordnet. Wenn man nun den Roboter so programmiert, daß er selbst lernt, also Kapazität und neoronale Plastizität für die Neuanlage qualitativer Kategorien (und damit Proto-Bedeutungen) hat, dann sehe ich nur noch einen möglichen Unterschied, nämlich wie bewußt das Ganze abläuft.

#375: Re: Fortsetzung der Diskussion? Autor: RohrspatzWohnort: NRW BeitragVerfasst am: 18.07.2010, 14:08
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
Eleonor hat folgendes geschrieben:

...würde daraus nicht resultieren, dass sich die Kamera als oberste Befehlsinstanz interpretieren würde, weil sie fremde Befehle, über die sie lediglich informiert wird, nicht von ihren Optimierungsvorschlägen (ihr tatsächlicher Zweck) unterscheiden kann? (Ihr liegen keine Informationen über den Ursprung von Befehlen vor, schlichtweg, weil es nicht nötig für ihre Funktionsweise ist)

Zwar glaube ich nicht, an einen Beobachter im Gehirn[...]


Hm, an der Stelle würde ich gerne nochmal nachhaken, was du dir unter einem Beobachter vorstellst. Ich weiß, dass es eine Vorstellung von einem "Beobachter" im Gehirn gibt, ähnlich eines Zuschauers im Kino - nur ist es das nicht, was ich meinte.
Was ich mit "Beobachter" meinte, ist eine Instanz, die eine Vielzahl von Informationen im Gehirn (sowohl über den Input als auch über den Output) erhält und zu einer Simulation integriert, die sich besser "überwachen" lässt als der Dschungel an Einzelinformationen. Im Grunde ist dieses "Beobachten" eine reflektierende und durchaus produktive (da Simulation erschaffende) Komponente und kein passives Zuschauen.
Vielleicht liegt das Problem mit dem Wort darin begründet, dass ein Beobachter eigentlich bereits ein bewusstes Etwas ist. Ich meinte jedoch eine viel neutralere Bedeutung: Eine wahrnehmende, wertende, überwachende Instanz, die eben nicht selbst bewusst ist.

Wenn du auch an diesen "Beobachter" nicht glaubst, wüsste ich gerne, wie du dir dann überhaupt die reflektierende Komponente des Bewusstseins erklärst, bzw., wie du eine derartige Selbstwahrnehmung des Gehirns sonst beschreiben würdest.

Zitat:
Was ist Besonderes an denjenigen Informationen, die wir Gefühle, innere Erlebnisse, Qualia nennen? Das Besondere kann nicht darin bestehen, dass die Informationen im Bewusstsein ankommen, denn Bewusstsein ist ja gerade dieses innere Erleben, das erklärt werden soll – wir können es also nicht schon in der Erklärung voraussetzen.


Du setzt bewusste Zustände und Bewusstsein gleich, weswegen du zu dem Schluss kommst, fwo würde das vorraus setzen, was erklärt werden soll. Wenn man jedoch das Bewusstsein als eine bestimmte Funktion des Gehirns versteht und bewusste Zustände als Ausprägung dessen, entsteht eine solche Zirkularität nicht. Natürlich kann man diskutieren, ob diese Unterscheidung sinnvoll ist. In meinen Augen ist sie sogar ein Schlüssel zum Verständnis von Bewusstsein, aber das liegt an meiner Interpretation dessen, was Bewusstsein überhaupt ist.

Zitat:
Was ist das Besondere an denjenigen Informationen, die wir Gefühle, innere Erlebnisse, Qualia nennen, und die zusammen das Bewusstsein ausmachen?


Ich würde sagen, dass die Gleichsetzung von Qualia mit einer bestimmten Information nicht so recht passt. Die Information "Rezeptoren für rot feuern" mag in der Auswertung durch die Instanzen des Bewusstseins noch immer die selbe sein, es ist aber der Kontext des Bewussten selbst, der dem eine neue Qualität hinzufügt: Das bewusst Erlebbare und somit das Erlebnis "rot".

Zitat:
Hier wird deutlicher, worin die Qualitäten ihren Ursprung haben: Leben ist ein Gleichgewichtszustand, der beibehalten werden will. Für ein Lebewesen ist nicht die Temperatur der Außenwelt als solche bedeutsam, sondern die Differenz dieser Temperatur zu derjenigen, die für die Aufrechterhaltung seines Gleichgewichts, für den Ablauf der Stoffwechselprozesse optimal ist.


Nun gilt jedoch, dass die Umweltreize eine Bedeutung im Kontext der Aufrechterhaltung diverser Gleichgewichte haben, für alle Lebewesen.
Relationen und Schwellenwerte können jedenfalls auch Einzeller wahrnehmen und darauf reagieren.

Zitat:

Solche Programme lassen sich noch wesentlich verfeinern, sodass unser Roboter sein Verhalten heißen Objekten gegenüber in vielfacher Hinsicht selbst optimieren kann. Damit das alles funktioniert, ist aber eines notwendig: Der Programmierer muss eine bestimmte Temperatur als Maximalwert eingeben, d. h., er muss einer Messgröße, einer Quantität, eine Qualität – „Maximum“, „heiß“ – zuordnen. Ein Kind dagegen lernt dadurch, dass es sich die Finger verbrennt, was „heiß“ ist – es erlebt die Hitze und den damit verbundenen Schmerz.


Auch ein Kind hat einen genetisch einprogrammierten Schwellenwert, der etwas Heißes schmerzhaft werden lässt. Es ist die Schwelle, ab der nicht mehr nur die Thermo-Rezeptoren reagieren, sondern auch die Schmerzrezeptoren. Es besteht auch keine zwingende Notwendigkeit, warum das Kind den Schmerz erleben muss, um die Hand wegzuziehen. Also bleibt die Frage bestehen, wann genau das Bewusstsein ins Spiel kommt.

#376:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 18.07.2010, 14:36
    —
Es wäre meines Erachten ein Fehler, die Existenz unterschiedlicher bewußter und/oder nichtbewußter Instanzen alleine für hinreichend zu erachten, um die Existenz von Bewußtseins selber zu erklären. Oder sie gar mit ihm gleichzusetzen.

#377:  Autor: RohrspatzWohnort: NRW BeitragVerfasst am: 18.07.2010, 15:08
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Es wäre meines Erachten ein Fehler, die Existenz unterschiedlicher bewußter und/oder nichtbewußter Instanzen alleine für hinreichend zu erachten, um die Existenz von Bewußtseins selber zu erklären. Oder sie gar mit ihm gleichzusetzen.


Stimmt. Aufgrund der Erklärungslücke zwischen Bewusstsein und neurologischen Strukturen wird es womöglich immer ein Rätsel bleiben, warum Bewusstsein überhaupt unter bestimmten Bedingungen entsteht (und man sich nicht einfach die selbe Funktion ohne bewusste Erlebnisse denken können sollte).
Und gleichsetzen sollte man das Bewusstsein ohnehin nicht mit seinen Einzelaspekten: Es ist mindestens emergent. Zudem ist es vielleicht auch etwas, das auf völlig verschiedene Arten entstehen kann, wodurch die bewussten und unbewussten Instanzen womöglich austauschbar sind.

#378:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 18.07.2010, 15:22
    —
Eleonor hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Es wäre meines Erachten ein Fehler, die Existenz unterschiedlicher bewußter und/oder nichtbewußter Instanzen alleine für hinreichend zu erachten, um die Existenz von Bewußtseins selber zu erklären. Oder sie gar mit ihm gleichzusetzen.


Stimmt. Aufgrund der Erklärungslücke zwischen Bewusstsein und neurologischen Strukturen wird es womöglich immer ein Rätsel bleiben, warum Bewusstsein überhaupt unter bestimmten Bedingungen entsteht (und man sich nicht einfach die selbe Funktion ohne bewusste Erlebnisse denken können sollte).
Und gleichsetzen sollte man das Bewusstsein ohnehin nicht mit seinen Einzelaspekten: Es ist mindestens emergent. Zudem ist es vielleicht auch etwas, das auf völlig verschiedene Arten entstehen kann, wodurch die bewussten und unbewussten Instanzen womöglich austauschbar sind.


Volle Zustimmung.

#379:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 18.07.2010, 17:08
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Es wäre meines Erachten ein Fehler, die Existenz unterschiedlicher bewußter und/oder nichtbewußter Instanzen alleine für hinreichend zu erachten, um die Existenz von Bewußtseins selber zu erklären.

Das ist trivial, oder? Das Wissen um die Existenz ist selbstverständlich noch lange keine Erklärung.

zelig hat folgendes geschrieben:
Oder sie gar mit ihm gleichzusetzen.

Es wäre ein Fehler, die Existenz unterschiedlicher bewußter ... Instanzen ... mit ihm gleichzusetzen?

Eleonor hat folgendes geschrieben:
Aufgrund der Erklärungslücke zwischen Bewusstsein und neurologischen Strukturen wird es womöglich immer ein Rätsel bleiben, ...

Aufgrund der Erklärungslücke wird es womöglich eine Erklärungslücke bleiben?

Eleonor hat folgendes geschrieben:
Zudem ist [Bewußtsein] vielleicht auch etwas, das auf völlig verschiedene Arten entstehen kann, wodurch die bewussten und unbewussten Instanzen womöglich austauschbar sind.

Spricht etwas dagegen, daß diese verschiedenen Arten von Bewußt-Sein wesentliche Aspekte gemeinsam haben?

#380:  Autor: RohrspatzWohnort: NRW BeitragVerfasst am: 18.07.2010, 17:34
    —
step hat folgendes geschrieben:
Eleonor hat folgendes geschrieben:
Aufgrund der Erklärungslücke zwischen Bewusstsein und neurologischen Strukturen wird es womöglich immer ein Rätsel bleiben, ...

Aufgrund der Erklärungslücke wird es womöglich eine Erklärungslücke bleiben?


Oh, da war ich ungenau. Wegen der Art des Zustandekommens der Erklärungslücke. Wie etwa, dass das Bewusstsein sich selbst gegenüber nicht oder nur wenig reflektierend eingestellt ist oder auch schlicht wegen der Subjektivität, die sich auch nicht mit zunehmender Technik objektivieren lässt. So können wir zwar die dazu gehörige Neuronenaktivität von "rot" messen, nicht aber wie das "rot" durch das Subjekt wahrgenommen wird.

Zitat:

Eleonor hat folgendes geschrieben:
Zudem ist [Bewußtsein] vielleicht auch etwas, das auf völlig verschiedene Arten entstehen kann, wodurch die bewussten und unbewussten Instanzen womöglich austauschbar sind.

Spricht etwas dagegen, daß diese verschiedenen Arten von Bewußt-Sein wesentliche Aspekte gemeinsam haben?
[/quote]

Nichts. Ich würde das sogar erwarten. Aber wie soll man heraus finden, welche Aspekte Bewusstsein immer gemeinsam hat? Natürlich kann man plausiblere und unplausiblere Gedanken dazu anstellen, aber es lässt sich empirisch nicht überprüfen, es sei denn, wir könnten das Vorhandensein von Bewusstsein überprüfen.

#381:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 18.07.2010, 18:18
    —
Eleonor hat folgendes geschrieben:
So können wir zwar die dazu gehörige Neuronenaktivität von "rot" messen, nicht aber wie das "rot" durch das Subjekt wahrgenommen wird.

Rein methodisch betrachtet ist das aber kein Argument dafür, daß Bewußtsein ein Rätsel bleiben wird, vor allem da die subjektive Wahrnemung von "rot" gar nicht so subjektiv ist, sondern vielmehr intersubjektiv einigermaßen konstant.

Eleonor hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Spricht etwas dagegen, daß diese verschiedenen Arten von Bewußt-Sein wesentliche Aspekte gemeinsam haben?
Nichts. Ich würde das sogar erwarten. Aber wie soll man heraus finden, welche Aspekte Bewusstsein immer gemeinsam hat? Natürlich kann man plausiblere und unplausiblere Gedanken dazu anstellen, aber es lässt sich empirisch nicht überprüfen, es sei denn, wir könnten das Vorhandensein von Bewusstsein überprüfen.

Das wird genauso empirisch gemacht werden wie bei anderen Phänomenen auch - nur erregt es beim Bewußtsein mehr Aufsehen in der philosophischen Zunft. Nehmen wir die Gravitationskraft. Wir haben eine schöne Theorie dazu, aber woher wissen wir, daß jedesmal, wenn etwas herunterfällt, es das aufgrund dieser Theorie tut? Es läuft darauf hinaus, daß wir irgendwann, nämlich wenn wir eine hinreichend gute Theorie für Bewußtsein haben, dieses entsprechend operationalisieren bzw. definieren werden. Derzeit ist es gar nicht bzw. nur sehr schwach definiert. Ob wir dann eine ander Art von Bewußtsein "Bewußtsein 2" nennen oder ob wir die gemeinsamen Aspekte höher bewerten, wird sich zeigen.

#382:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 18.07.2010, 18:40
    —
step hat folgendes geschrieben:
Eleonor hat folgendes geschrieben:
So können wir zwar die dazu gehörige Neuronenaktivität von "rot" messen, nicht aber wie das "rot" durch das Subjekt wahrgenommen wird.

Rein methodisch betrachtet ist das aber kein Argument dafür, daß Bewußtsein ein Rätsel bleiben wird, vor allem da die subjektive Wahrnemung von "rot" gar nicht so subjektiv ist, sondern vielmehr intersubjektiv einigermaßen konstant. ....

Ich setze etwas früher, im Individuum an: Wie sich rot anfühlt, ist völlig egal, solange Reiz und Gefühl in ihrer Folge hinreichend konstant sind, dass die verschiedenen Individuen sich darüber soweit einigen können, dass über das Gefühl der Reiz benambar wird. Dabei ist es egal, wie sich rot für Willi oder Gesine anfühlt. Wichtig ist nur, dass es sich für beide je immer gleich anfühlt. Ein weiterer Teil des Gefühles entsteht durch die Vergesellschaftung dieses Reizes mit anderen - das kommt allerdings auch von außen. Deshalb halte ich ja die Qualia für Funktion wie auch für Modellierung vollkommen verzichtbar und für reine Nebelbomben.

fwo

#383:  Autor: RohrspatzWohnort: NRW BeitragVerfasst am: 18.07.2010, 18:43
    —
step hat folgendes geschrieben:
Eleonor hat folgendes geschrieben:
So können wir zwar die dazu gehörige Neuronenaktivität von "rot" messen, nicht aber wie das "rot" durch das Subjekt wahrgenommen wird.

Rein methodisch betrachtet ist das aber kein Argument dafür, daß Bewußtsein ein Rätsel bleiben wird, vor allem da die subjektive Wahrnemung von "rot" gar nicht so subjektiv ist, sondern vielmehr intersubjektiv einigermaßen konstant.


"Intersubjektivität" bezogen auf bewusste Zustände finde ich seltsam. Natürlich können wir uns z.B. darauf einigen, was wir als "rot" bezeichnen, aber die konkrete Farbempfindung bleibt subjektiv. Vielleicht sieht "mein" Rot aus wie "dein" Grün? Wie soll man so etwas prüfen?

Und natürlich ist die Subjektivität ein großes Manko: Wie soll man trotz der Subjektivität des Bewusstseins dieses untersuchen? Man hat nunmalhalt immer nur das eigene vorliegen und alles andere basiert auf Analogie-Schlüssen.
Die neurologischen Äquivalente hingegen sind objektiv zugänglich, aber egal wie genau man diese messen mag: Dadurch kann man das subjektive Erleben von Qualia nicht erschließen.

Zitat:

Eleonor hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Spricht etwas dagegen, daß diese verschiedenen Arten von Bewußt-Sein wesentliche Aspekte gemeinsam haben?
Nichts. Ich würde das sogar erwarten. Aber wie soll man heraus finden, welche Aspekte Bewusstsein immer gemeinsam hat? Natürlich kann man plausiblere und unplausiblere Gedanken dazu anstellen, aber es lässt sich empirisch nicht überprüfen, es sei denn, wir könnten das Vorhandensein von Bewusstsein überprüfen.

Das wird genauso empirisch gemacht werden wie bei anderen Phänomenen auch - nur erregt es beim Bewußtsein mehr Aufsehen in der philosophischen Zunft.


Was an der Bewusstseinsfrage wird empirisch untersucht? Was das Bewusstsein tatsächlich ist? Wie soll das funktionieren? Wir können höchstens Gehirn-Anomalien von Menschen mit deren Schilderungen bewusster Erlebnisse vergleichen. Natürlich können wir dadurch mehr über das Bewusstsein erfahren, aber nicht, was es prinzipiell ist.
Unser wissen darüber, was Bewusstsein auf objektiver Ebene ausmacht ist doch derart gering, dass wir noch nicht einmal mit Sicherheit sagen können, welche Tiere eines haben könnten.

Zitat:

Es läuft darauf hinaus, daß wir irgendwann, nämlich wenn wir eine hinreichend gute Theorie für Bewußtsein haben, dieses entsprechend operationalisieren bzw. definieren werden. Derzeit ist es gar nicht bzw. nur sehr schwach definiert.


Eine Theorie muss irgendwie überprüfbar sein. Wir haben aber immernoch das Problem, dass wir nicht begründen können, warum Bewusstsein überhaupt unter bestimmten Bedingungen zwingend angenommen werden sollte (Wir tun es, weil wir selbst eins haben und menschliche Gehirne prinzipiell gleich funktionieren, dabei extrapolieren wir aber von einem einzigen uns bekannten Bewusstsein auf die ganze Menschheit). Wir können also nicht ausschließen, dass wir lediglich Zombies untersuchen, sprich: Wir können das Bewusstsein selbst nicht direkt untersuchen, da es nicht mit der objektiven, neurologischen Ebene gleichzusetzen ist, sich aber das Subjektive (wie dein Rot für dich aussieht) den Methoden entzieht.

Beispiel für eine Frage, die sich uns empirisch entzieht: Haben Split-Brain-Patienten ein oder zwei Bewusstseine? (Antworten wird jedenfalls die linke Hirnhälfte zwinkern )

#384:  Autor: RohrspatzWohnort: NRW BeitragVerfasst am: 18.07.2010, 18:51
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Eleonor hat folgendes geschrieben:
So können wir zwar die dazu gehörige Neuronenaktivität von "rot" messen, nicht aber wie das "rot" durch das Subjekt wahrgenommen wird.

Rein methodisch betrachtet ist das aber kein Argument dafür, daß Bewußtsein ein Rätsel bleiben wird, vor allem da die subjektive Wahrnemung von "rot" gar nicht so subjektiv ist, sondern vielmehr intersubjektiv einigermaßen konstant. ....

Ich setze etwas früher, im Individuum an: Wie sich rot anfühlt, ist völlig egal, solange Reiz und Gefühl in ihrer Folge hinreichend konstant sind, dass die verschiedenen Individuen sich darüber soweit einigen können, dass über das Gefühl der Reiz benambar wird. Dabei ist es egal, wie sich rot für Willi oder Gesine anfühlt. Wichtig ist nur, dass es sich für beide je immer gleich anfühlt. Ein weiterer Teil des Gefühles entsteht durch die Vergesellschaftung dieses Reizes mit anderen - das kommt allerdings auch von außen. Deshalb halte ich ja die Qualia für Funktion wie auch für Modellierung vollkommen verzichtbar und für reine Nebelbomben.

fwo


Wenn man erst eine ordentliche Definition von Bewusstsein hat, wird Qualia verzichtbar. Die Sache ist nur, dass man nur ein Bewusstsein wirklich beweisen kann: Das eigene. Und das auch nur sich selbst.
Qualia habe ich ins Feld geführt, um die Unterscheidung klar zu machen: Bewusste Zustände sind Qualia-Erlebnisse, aber genau die sind nicht objektiv messbar. Was weiß ich darüber, was genau vom Verhalten von Individuum X bewusst ist und was nicht? Insbesondere, wenn X eine Hirnanomalie oder gar ein anderes Hirn hat (zu einer anderen Spezies gehört)? Individuum X wird es seinerseits erleben, was für ihn bewusst ist, kann aber nicht mit Sicherheit sagen, ob ich bewusst bin. Es kann es nur annehmen, weil ich mich ähnlich verhalte (und sich unsere Gehirne mehr oder weniger ähnlich verhalten).

Und wie soll man Bewusstsein unter diesen Bedinungen stark genug abstrahieren, um zu einer Qualia- (das heißt Erlebnis-) unabhängigen Definition zu gelangen?

Vielleicht bin ich ja wirklich zu fantasielos, dann würde ich aber gerne den Ansatzpunkt hierfür genannt bekommen.

#385:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 18.07.2010, 19:21
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Ein weiterer Teil des Gefühles entsteht durch die Vergesellschaftung dieses Reizes mit anderen - das kommt allerdings auch von außen.

Die Benamungen kommen natürlich von außen. Aber etwa die häufig als Beleg erwähnte Tatsache, daß der subjektive Farbkreis (anders als die Frequenzfolge) zwischen Violett und Rot schließt, ist keine soziale, sondern eine angeborene Eigenschaft.

fwo hat folgendes geschrieben:
Deshalb halte ich ja die Qualia für Funktion wie auch für Modellierung vollkommen verzichtbar und für reine Nebelbomben.

Same here.

#386:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 18.07.2010, 19:38
    —
Eleonor hat folgendes geschrieben:
Vielleicht sieht "mein" Rot aus wie "dein" Grün? Wie soll man so etwas prüfen?

Man läßt verschiedene Menschen mit intakter Sehrinde Gegenstände nach Farbe gruppieren und vergleicht das Ergebnis.

Eleonor hat folgendes geschrieben:
... dabei extrapolieren wir aber von einem einzigen uns bekannten Bewusstsein auf die ganze Menschheit.

Gerade das einzige uns bekannte Bewußtsein sollten wir dabei unbedingt ignorieren! Durch Reflektion oder Extrapolation wird an das Rätsel niemals lösen.

Eleonor hat folgendes geschrieben:
Wir können also nicht ausschließen, dass wir lediglich Zombies untersuchen.

Wir können das nicht prinzipiell schlechter ausschließen als, daß manche Steine nur so tun, als ob sie herunterfallen, wenn man sie losläßt.

Eleonor hat folgendes geschrieben:
Beispiel für eine Frage, die sich uns empirisch entzieht: Haben Split-Brain-Patienten ein oder zwei Bewusstseine? (Antworten wird jedenfalls die linke Hirnhälfte zwinkern )

Die Antwort ist davon abhängig, wie Du Bewußtsein definierst. Dann kann man sie auch empirisch beantworten.

#387:  Autor: RohrspatzWohnort: NRW BeitragVerfasst am: 18.07.2010, 20:06
    —
step hat folgendes geschrieben:
Eleonor hat folgendes geschrieben:
Vielleicht sieht "mein" Rot aus wie "dein" Grün? Wie soll man so etwas prüfen?

Man läßt verschiedene Menschen mit intakter Sehrinde Gegenstände nach Farbe gruppieren und vergleicht das Ergebnis.


Nein, so wird nur die Farbdiskriminationsfähigkeit überprüft. Nicht, ob die Qualia-Erlebnisse Verschiebungen zwischeneinander aufweisen können.

Zitat:

Gerade das einzige uns bekannte Bewußtsein sollten wir dabei unbedingt ignorieren! Durch Reflektion oder Extrapolation wird an das Rätsel niemals lösen.


Welche Merkmale hat Bewusstsein denn, welche wir nicht aus Analogieschlüssen ableiten?


Zitat:

Eleonor hat folgendes geschrieben:
Wir können also nicht ausschließen, dass wir lediglich Zombies untersuchen.

Wir können das nicht prinzipiell schlechter ausschließen als, daß manche Steine nur so tun, als ob sie herunterfallen, wenn man sie losläßt.


Der Vergleich passt nicht: "Fallen" ist einwandfrei definiert und lässt sich auch problemlos definieren, weil der Vorgang von anderen Menschen genau so beobachtbar ist wie von mir. Vom Bewusstsein haben wir nur Definitionen, die durch verbalen Austausch von sich selbst bewusst wahrnehmenden Individuen stammen und interpretiert werden diese ebenfalls wieder nach den eigenen bewussten Erfahrungen. Wir können das Subjektive nicht hinter uns lassen und das ist der grundlegende Unterschied zu anderen physikalischen Phänomenen.

Zitat:

Eleonor hat folgendes geschrieben:
Beispiel für eine Frage, die sich uns empirisch entzieht: Haben Split-Brain-Patienten ein oder zwei Bewusstseine? (Antworten wird jedenfalls die linke Hirnhälfte zwinkern )

Die Antwort ist davon abhängig, wie Du Bewußtsein definierst. Dann kann man sie auch empirisch beantworten.


Ich fände Definitionen, die bewusste Wesen als unbewusst einordnen könnten, aber sinnlos. Also müsste meine Definition eben doch ausgereift genug sein, um alle bewusste Zustände einschließen zu können. Wie aber soll ich eben dies anstellen, ohne Vergleiche zwischen den Bewusstseinen ziehen zu können?
Nehmen wir an, die rechte Hemisphäre des Split-Brain-Patienten empfindet genau so Schmerz, wie ich, hat also bewusste Zustände, aber meine Definition war nicht hinreichend genug, um diese einzuschließen. Was für einen Wert hätte diese Definition dann?

#388:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 18.07.2010, 20:25
    —
step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Es wäre meines Erachten ein Fehler, die Existenz unterschiedlicher bewußter und/oder nichtbewußter Instanzen alleine für hinreichend zu erachten, um die Existenz von Bewußtseins selber zu erklären.

Das ist trivial, oder? Das Wissen um die Existenz ist selbstverständlich noch lange keine Erklärung.

zelig hat folgendes geschrieben:
Oder sie gar mit ihm gleichzusetzen.

Es wäre ein Fehler, die Existenz unterschiedlicher bewußter [und/oder nichtbewußter] ... Instanzen ... mit ihm gleichzusetzen?



Halte ich nicht für trivial. Die Existenz mehrerer Instanzen ist nicht zwingend konstitutiv für das Bewußtsein und erklärt zudem nicht, wie es in die Ursachen/Wirkungswirklichkeit eingehängt ist. In Metzingers Buch beispielsweise kann man phasenweise den Eindruck bekommen, das Modell des Egos im Tunnel würde alleine schon eine befriedigende Erklärung dafür liefern, was Bewußtsein überhaupt sei.

#389:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 18.07.2010, 20:40
    —
Eleonor hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Eleonor hat folgendes geschrieben:
Vielleicht sieht "mein" Rot aus wie "dein" Grün? Wie soll man so etwas prüfen?
Man läßt verschiedene Menschen mit intakter Sehrinde Gegenstände nach Farbe gruppieren und vergleicht das Ergebnis.
Nein, so wird nur die Farbdiskriminationsfähigkeit überprüft. Nicht, ob die Qualia-Erlebnisse Verschiebungen zwischeneinander aufweisen können.

Das mußt Du mir genauer erklären.

Eleonor hat folgendes geschrieben:
... Definition des Bewußtseins usw. ...

Wenn jemand mit einer Arbeitsdefinition des Phänomens "Bewußtsein" kommt, dieses an Dritten beobachtete Phänomen also operationalisiert, und dann eine überprüfbare Theorie dazu aufstellt, wie es in der Wissenschaft üblich ist, so ist das ganz normal. Es kann jedoch immer ein Qualia-Philosoph kommen und sagen: "Das erklärt aber nicht meine ganz individuellen subjektiven Empfindungen." Dann muß man sich entscheiden, welches Phänomen genau man erklären will. Etwa könnte man zu erklären versuchen, wie es kommt, daß manche Vorgänge im Gehirn "auf eine Bühne gehoben" bzw. von einem Gefühl der Meinigkeit begleitet werden.

#390:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 18.07.2010, 20:45
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Es wäre ein Fehler, die Existenz unterschiedlicher ... nichtbewußter ... Instanzen ... mit [dem Bewußtsein] gleichzusetzen?

Ja, den Fall hatte ich unterschlagen, weil er wieder trivial ist, oder?

zelig hat folgendes geschrieben:
In Metzingers Buch beispielsweise kann man phasenweise den Eindruck bekommen, das Modell des Egos im Tunnel würde alleine schon eine befriedigende Erklärung dafür liefern, was Bewußtsein überhaupt sei.

Das ist richtig. Er liefert nur ein Modell (und auch das ist teilweise schwammig), keine wirkliche Erklärung.

#391: Re: Fortsetzung der Diskussion? Autor: Tso Wang BeitragVerfasst am: 18.07.2010, 20:51
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
Eleonor hat folgendes geschrieben:

...würde daraus nicht resultieren, dass sich die Kamera als oberste Befehlsinstanz interpretieren würde, weil sie fremde Befehle, über die sie lediglich informiert wird, nicht von ihren Optimierungsvorschlägen (ihr tatsächlicher Zweck) unterscheiden kann? (Ihr liegen keine Informationen über den Ursprung von Befehlen vor, schlichtweg, weil es nicht nötig für ihre Funktionsweise ist)

Zwar glaube ich nicht, an einen Beobachter im Gehirn - aber gut und richtig finde ich den Gedanken, dass das Bewusstsein dadurch erzeugt wird, dass mehrere Instanzen im Gehirn miteinander in Wechselwirkung stehen, diese Wechslwirkung selbst aber nicht bewusst wird und dadurch auch nicht der Umstand, dass es sich um mehrere Instanzen handelt. Wir wundern uns nur zuweilen über die "zwei Seelen, ach!" in unsrer Brust.

Hallo erstmal – war jahrelang nicht mehr in diesem Forum und hab nun diese, bis auf die letzten drei Seiten sehr nineauvolle Diskussion gelesen. Seit einiger Zeit ist hier nichts mehr geschrieben worden – vielleicht gelingt es mir, die Debatte wieder in Gang zu bringen? Ich kommentiere mal einige Aussagen des bisherigen Threads. Dabei lasse ich das Leib-Seele-Problem zunächst beiseite und beschränke mich auf das eigentliche Thema „Bewusstsein und Evolution“:

AgentProvocateur schreibt:
Zitat:
Willst Du letztlich darauf hinaus, dass es irgendwie wesentlich sei, dass das eine System (Roboter) von einem Programmierer (abstrakter gesagt: Designer) entworfen wurde und das andere (Hund) nicht? Aber das ist kein wesentlicher Unterschied für einen Vergleich der Fähigkeiten der beiden Systeme, bzw. wüsste ich nicht, inwiefern er wesentlich sein könnte. Ist doch für die aktuellen (und zukünftigen) Fähigkeiten egal, ob die evolutionär entstanden sind oder programmiert wurden.

Der Roboter wird vom Konstrukteur progrmmiert. Die Fähigkeiten (Verhaltensmuster), die der Hund ererbt hat, sind durch die Evolution programmiert worden. Aber darüber hinaus hat der Hund die Fähigkeit, zu lernen. Dazu schreibt fwo:

Zitat:
Ohne Gefühl kein Lernen

...sobald Du etwas auf die Beine stellst, das individuell lernt und damit im Abgleich der Gegenwart mit individuellen Erinnerungen individuelle Entscheidungen trifft, hast Du auch so etwas wie Bewusstsein.

Bewusstsein verlagert das das für jeden Organismus nötige Wissen über die Welt aus der Genetik in den Bereich individuellen Lernens.

Genau – das ist die Antwort auf die Frage nach der Funktion des Bewusstseins. fwo hat vollkommen recht – warum glaubt AP ihm nicht? Weil fwo dann folgendes schreibt:

Zitat:
Was wir Fühlen nennen, ist das Ankommen von Information in der bearbeitenden Instanz Bewusstsein.

Ich halte die beiden Formulierungen "Ankommen von Information im Bewusstsein" und "Fühlen" einfach für äquvalent und sehe mich gar nicht versucht, da noch etwas zu erklären.

Darauf antwortet AP:

Zitat:
Das Problem ist, dass "das Ankommen von Information in der bearbeitenden Instanz Bewusstsein" nicht "anfühlen" erklärt.

Hier hat offenbar AP recht. Denn wenn Fühlen und Erleben nichts weiter als Information wäre, dann wären auch hinreichend komplexe Roboter in der Lage, zu lernen. Die Frage ist also: Was ist Besonderes an denjenigen Informationen, die wir Gefühle, innere Erlebnisse, Qualia nennen? Das Besondere kann nicht darin bestehen, dass die Informationen im Bewusstsein ankommen, denn Bewusstsein ist ja gerade dieses innere Erleben, das erklärt werden soll – wir können es also nicht schon in der Erklärung voraussetzen. Myron schrebt:

Zitat:
Ein Bewusstsein haben, bei Bewusstsein sein heißt Erlebnisse haben, d.h. Empfindungen, Gefühle, Stimmungen, Gedanken oder Vorstellungen haben.


Genau. Also nochmal die Frage: Was ist das Besondere an denjenigen Informationen, die wir Gefühle, innere Erlebnisse, Qualia nennen, und die zusammen das Bewusstsein ausmachen?


.

Das Besondere ist, daß sie nicht direkt als "Simulationen" erkannt werden dürfen. Sie müssen - wie Metzinger im Kapitel "Wie man ein künstliches Erlebnisobjekt baut und warum wir es nicht tun sollten" schreibt - transparent sein. Der "Ego-Tunnel" darf auf den ersten Blick nicht als solcher erkannt werden.


Zitat:
Untersuchen wir als Beispiel das Farbensehen: Auf die Netzhaut des Auges treffen elektro-magnetische Wellen verschiedener Wellenlängen. Diese Unterschiede sind rein quantitativ, sie lassen sich in Zahlen ausdrücken. Aber was sehen wir, wenn wir Farben sehen? Wir nehmen verschiedene Qualitäten wahr, die wir Rot, Grün, Blau, Gelb... nennen! Und die Qualitäten sind nicht nur verschieden – sie sind gegensätzlich: Rot und Grün, Blau und Orange, Gelb und Violett bilden Kontrastpaare! Das ist aus den Wellenlängen nicht erklärbar, denn der größte Wellenlängen-unterschied besteht zwischen Rot und Violett – diese beiden Farben empfinden wir jedoch als verwandt, sodass wir das Farbspektrum zum Farbkreis schließen können.

.....


Das mag daran liegen, daß wir - wie ich schon mal erwähnt habe - die Natur nicht so wahrnehmen, wie sie ist, sondern eine Art Landkarte (Simulation) von ihr erstellen. Die Sinnesorgane selbst nehmen bereits Interpretationen von Informationen vor, bevor sie ins Gehirn gelangen. Elektromagnetische Signale beispielsweise werden in Ionen- und Transmitterströme "übersetzt". Wir erleben lediglich (nicht im despektierlichen Sinne) eine Simulation der "Wirklichkeit". Aber deshalb ist sie (die Simulation) noch lange nicht "falsch" oder "unwirklich".

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"Nicht wirklich und nicht unwirklich. Das ist mit dem Dao vereinbar."


Zuletzt bearbeitet von Tso Wang am 18.07.2010, 21:12, insgesamt einmal bearbeitet

#392: Re: Fortsetzung der Diskussion? Autor: Tso Wang BeitragVerfasst am: 18.07.2010, 20:55
    —
Eleonor hat folgendes geschrieben:
kalmar hat folgendes geschrieben:
Eleonor hat folgendes geschrieben:

...würde daraus nicht resultieren, dass sich die Kamera als oberste Befehlsinstanz interpretieren würde, weil sie fremde Befehle, über die sie lediglich informiert wird, nicht von ihren Optimierungsvorschlägen (ihr tatsächlicher Zweck) unterscheiden kann? (Ihr liegen keine Informationen über den Ursprung von Befehlen vor, schlichtweg, weil es nicht nötig für ihre Funktionsweise ist)

Zwar glaube ich nicht, an einen Beobachter im Gehirn[...]


Hm, an der Stelle würde ich gerne nochmal nachhaken, was du dir unter einem Beobachter vorstellst. Ich weiß, dass es eine Vorstellung von einem "Beobachter" im Gehirn gibt, ähnlich eines Zuschauers im Kino - nur ist es das nicht, was ich meinte.
Was ich mit "Beobachter" meinte, ist eine Instanz, die eine Vielzahl von Informationen im Gehirn (sowohl über den Input als auch über den Output) erhält und zu einer Simulation integriert, die sich besser "überwachen" lässt als der Dschungel an Einzelinformationen. Im Grunde ist dieses "Beobachten" eine reflektierende und durchaus produktive (da Simulation erschaffende) Komponente und kein passives Zuschauen.
Vielleicht liegt das Problem mit dem Wort darin begründet, dass ein Beobachter eigentlich bereits ein bewusstes Etwas ist. Ich meinte jedoch eine viel neutralere Bedeutung: Eine wahrnehmende, wertende, überwachende Instanz, die eben nicht selbst bewusst ist.




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Ich vermute mal, Du willst nicht auf den sog. "Humunkulus" hinaus. Falls Du auf einen "verborgenen Beobachter" hinaus willst: Darüber hat Tor Nörretranders in "Spüre die Welt - Eine Wissenschaft des Bewußtseins" mal in einem Kapitel ("Die Benutzerillusion - Der verborgene Beobachter") berichtet. Ernest Hilgard hat darüber im Rahmen seiner Arbeiten über Hypnose im Jahr 1973 berichtet und der Psychologe John Kihlstrom das Ganze entsprechend kommentiert...

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"Selbst Buddha Shakyamuni und Buddha Maitreya sind seine Diener !
Wer ist er ?"


Zuletzt bearbeitet von Tso Wang am 18.07.2010, 21:15, insgesamt einmal bearbeitet

#393: Re: Fortsetzung der Diskussion? Autor: Tso Wang BeitragVerfasst am: 18.07.2010, 20:59
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Eleonor hat folgendes geschrieben:
kalmar hat folgendes geschrieben:
Solche Programme lassen sich noch wesentlich verfeinern, sodass unser Roboter sein Verhalten heißen Objekten gegenüber in vielfacher Hinsicht selbst optimieren kann. Damit das alles funktioniert, ist aber eines notwendig: Der Programmierer muss eine bestimmte Temperatur als Maximalwert eingeben, d. h., er muss einer Messgröße, einer Quantität, eine Qualität – „Maximum“, „heiß“ – zuordnen. Ein Kind dagegen lernt dadurch, dass es sich die Finger verbrennt, was „heiß“ ist – es erlebt die Hitze und den damit verbundenen Schmerz.


Auch ein Kind hat einen genetisch einprogrammierten Schwellenwert, der etwas Heißes schmerzhaft werden lässt. Es ist die Schwelle, ab der nicht mehr nur die Thermo-Rezeptoren reagieren, sondern auch die Schmerzrezeptoren. Es besteht auch keine zwingende Notwendigkeit, warum das Kind den Schmerz erleben muss, um die Hand wegzuziehen. Also bleibt die Frage bestehen, wann genau das Bewusstsein ins Spiel kommt.



.

Das bewußte Ich kommt genau dann ins Spiel, wenn der Schmerz einsetzt. Schmerz und Ego werden oft in der Literatur bzw. in manchen Philosophien gleichgesetzt. In diesem Forum gab's doch mal einen "Schmerz", der sich später "Schmerzlos" nannte......Ist der noch hier?

Allerdings gibt es auch Menschen, die unter Schmerzunempfindlichkeit (CIPA, Defekt am SCN9A-Gen und änliches) leiden. Dort würde diese Annahme selbstverständlich nicht zutreffen, oder ?

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#394:  Autor: göttertodWohnort: Freiburg BeitragVerfasst am: 18.07.2010, 21:06
    —
Eleonor hat folgendes geschrieben:

Und wie soll man Bewusstsein unter diesen Bedinungen stark genug abstrahieren, um zu einer Qualia- (das heißt Erlebnis-) unabhängigen Definition zu gelangen?

Vielleicht bin ich ja wirklich zu fantasielos, dann würde ich aber gerne den Ansatzpunkt hierfür genannt bekommen.


Es hat ein bischen gebraucht bis ich erstens verstanden habe was Qualia bedeuten soll, und zweitens, dass ich Qualia für mich anerkenne. Trotzallem ist Qualia für mich eine solche Banalität, dass ich meine man muss gar nicht darüber diskutieren.
Das jeweilige individuelle, subjektive Erleben ist immer einzigartig, schließlich befindest du dich gerade an diesem Ort im Universum und ich mich an jenem. Du bist 210cm und ich 186cm groß. Du schielst und ich nicht. Du bist Farbenblind und ich nicht.
Selbst wenn alle Subjekte im Universum exakt gleich aufgebaut wären, würde dass Fettgedruckte genügen, um verschiedene Wahrnehmungsinterpretationen zu erzwingen.

Aber diese jeweils spezielle und subjektive Interpretation und Wahrnehmung des Universums ist nicht nötig, um die nötige Grundstruktur, von dem was wir gemeinhin Bewusstsein nennen, zu theoretisieren und zu konzipieren.
Wenn wir Bewusstsein durch das Zusammenfügen der Einzelkomponenten nachbilden, dann genügt dass, um ein ganz eigenes, auch zur sofortigen Qualiabildung fähiges, Subjekt zu erschaffen.

Bei Thomas Metzinger "Der Ego-Tunnel" liest man im Interview mit Wolf Singer (S.102-109):

ich wollte eigentlich die wichtigen Punkte rausschreiben, aber besser ist es - geh in die Bibliothek und lese es selbst...doch grob

-Gehirn ist hochverteiltes System, welches sehr große Zahl von Operatinen parallel ausführt
-die Verarbeitungsmodule sind miteinander Verschaltet
-Repräsentationen komplexer kognitiver Inhalte besitzen eine verteilte Struktur
-viele Neuronen arbeiten an der Bildung von distribuierenden Repräsentationen zusammen
-> Hypothese: das Funktioniert über die präzise Synchronisierung der Entladungen der beteiligten (auch über die beteiligten Module verteilten) Neuronen, durch rhythmische, oszillatorische Entladungsmuster (ich denke hier auch an Memplexe von Blackmoore/Dawkins)
-dafür gibt es zahlreiche empirische Befunde (genannter Bereich: Beta- und Gamma-Oszillationen von 20 bis 80 Hertz)
-diese Oszillationen ereignen sich wärend der Codierung von Wahrnehmungsobjekten (ich setzte das dann auch gleich mit Verarbeitung und Wiederaufrufung)
- die Oszillationen (verteilte Muster) sind ein typisches Korrelat bewusster Wahrnehmung, oder auch von Bewusstsein
- Singer stellt die Frage: "Was gewinnen wir, wenn wir sagen, dass das neuronale Korrelat von Bewusstsein ein besonderer, metastabiler Zustand eines sehr komplexen, hochdynamischen, nichtstationären, verteilten Systems ist - ein Zustand, der sich durch Sequenzen sich ständig wandelnder Muster exakt synchronisierter Oszillationen auszeichnet?"
-wir werden (höchst-)wahrscheinlich empirische, objektive Näherungen der semantischen Inhalte der Einzelmuster erwerben
-"Die große Herausforderung für zukünftige Arbeiten besteht darin, die in diesen hochdimensionalen Zeitreihen codierten Informationen zu extrahieren. Dies erfordert geleichzeitige Ableitungen von einer großen Anzahl von Neuronen und die Identifikation der relevanten räumlichen und zeitlich Muster."
(-"Je mehr wir über die Emergenz mentaler Leistungen aus komplexen neuronalen Wechselwirkungen erfachren, desto deutlicher werden sich ..." ich lese hier Emergenz als: Das Ganze ist die Summe seiner Einzelteile, und nicht Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Einzelteile; wobei dieser Punkt jetzt weniger Relevanz für das Thema besitzt)
-Singer schließt ab mit den Worten: "Geisteswissenschaften [werden] die Taxonomie und Beschreibung von Phänomenen bereitstellen, die ihrer Untersuchung auf neuronaler Ebene harren. Die Hirnforshung beginnt mit der Analyse solcher Phänomene wie Empathie, Eifersucht, Altruismus, geteilte Aufmerksamkeit und soziale Prägung - Phänomene, die Traditionell von Psychologen, Soziologen, Ökonomen und Philosophen beschrieben und analysiert wurden. Die Klassifikation und exakte Beschreibung dieser Phänomene sind Voraussetzungen für die neurowissenschaftlichen Versuche, die zugrunde liegenden neuronalen Prozesse zu identifizieren. Zweifellos wird es in naher Zukunft zu einer engen Zusammenarbeit zwischen den Neuro- und den Geisteswissenschaften kommen - eine erfreuliche Entwicklung, da sie einige der Gräben, die die Naturwissenschaften in den letzten Jahrhunderten von den Geisteswissenschaften getrennt haben, zu überbrücken verspricht."

also für mich ist so was wie Qualia EIN systemimmanenter Bestandteil von dem was Bewusstsein ist...in unserer Zukunft wird man auch die Qualia von anderen Individuen erleben (Mensch-Maschine-Schnittstellen oder Mensch-Mensch-Schnittstellen) und nachbilden können

Das ist fast einen eigenen Thread wert, damit es nicht untergeht. Wobei vieles davon sicher schon in den hunderten und tausenden von Seiten (in diesem und anderen Threads) zu diesem Thema gesagt wurde. Leider kann man dieses Wissen kam ohne viel Anstrengung extrahieren.

#395:  Autor: Tso Wang BeitragVerfasst am: 18.07.2010, 21:20
    —
göttertod hat folgendes geschrieben:

..... Leider kann man dieses Wissen kaum ohne viel Anstrengung extrahieren.


.

Es m.E. ist nur ein Spiel von Spiegeln, hihihi.

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#396:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 18.07.2010, 21:29
    —
step hat folgendes geschrieben:
kalmar hat folgendes geschrieben:
Denn wenn Fühlen und Erleben nichts weiter als Information wäre, dann wären auch hinreichend komplexe Roboter in der Lage, zu lernen.

Warum sollten sie es nicht sein?

Hast recht - ich meinte: selbständig lernen.

step hat folgendes geschrieben:
kalmar hat folgendes geschrieben:
Man kann ganz allgemein sagen: Lebewesen haben die Fähigkeit, quantitative Unterschiede von Zustandsdaten aus ihrer Umwelt in qualitative Gegensätze umzuwandeln. Diese Umwandlung stellt zugleich eine Bewertung dieser Daten dar ...

Sicher, wobei ich auch das allein nicht so hoch hängen würde, denn eine "qualitative" Bewertung ist alles, wo abhängig von einem ursprünglichen (mglw. quantitativen) Input ein bestimmter Verhaltenszweig, auch etwa in einem Roboter, eingeschlagen wird.

Sicher. Aber der Programmierer muss festlegen, bei welchem Input welcher Verhaltenszweig eingeschlagen wird. Oder er muss ein Schema festlegen, nach dem der Roboter selbst berechnen kann, bei welchen Inputs welche Verhaltenszweige einzuschlagen sind, usw.. Ein Mensch dagegen entscheidet selbst, wie er sich verhält: Wenn ich etwas Heißes berühre, ziehe ich normalerweise die Hand zurück - trage ich aber einen Topf Suppe und merke, dass er verdammt heiß ist, lasse ich ihn nicht einfach fallen.

step hat folgendes geschrieben:
Wenn man nun den Roboter so programmiert, daß er selbst lernt, also Kapazität und neoronale Plastizität für die Neuanlage qualitativer Kategorien (und damit Proto-Bedeutungen) hat, dann sehe ich nur noch einen möglichen Unterschied, nämlich wie bewußt das Ganze abläuft.

Die Frage war: Welche Bedeutung hatte das Bewusstsein für die Evolution, warum ist es entstanden? Wenn wir heute wissen, wie Lebewesen funktionieren - dass sie u. a. die Fähigkeit haben müssen, den Messdaten aus ihrer Umwelt Bedeutungen (Verhaltenszweige) zuzuordnen, in dem sie feststellen, welchen positiven oder negativen Einfluss die sich in den Messdaten widerspiegelnden Umgebungszustände auf das Funktionieren ihrer inneren Funktionsabläufe haben -- uff! -- wenn wir heute also dieses und noch viel mehr wissen, dann können wir vielleicht ein lernfähiges künstliches Lebewesen konstruieren - ein autopoietisches System - das ohne Bewusstsein auskommt. Aber die Natur wusste das alles nicht. Deshalb war das Bewusstsein, das innere Erleben der Weg, auf dem in der Evolution lernfähige Systeme entstanden sind.

#397:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 18.07.2010, 21:59
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
Deshalb war das Bewusstsein, das innere Erleben der Weg, auf dem in der Evolution lernfähige Systeme entstanden sind.

Aber sind nicht lernfähige Systeme in der Evolution lange vor Bewußtsein entsanden?

#398: Re: Fortsetzung der Diskussion? Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 18.07.2010, 23:08
    —
Eleonor hat folgendes geschrieben:

Hm, an der Stelle würde ich gerne nochmal nachhaken, was du dir unter einem Beobachter vorstellst.

Ich stelle mir keinen vor - habe Deine Beschreibung aber so verstanden, dass die Kamera mit dem Scheinwerfer die unbewussten Gehirnvorgänge beobachtet und sie dadurch bewusst macht.

Eleonor hat folgendes geschrieben:
Ich meinte jedoch eine viel neutralere Bedeutung: Eine wahrnehmende, wertende, überwachende Instanz, die eben nicht selbst bewusst ist.

Wenn du auch an diesen "Beobachter" nicht glaubst, wüsste ich gerne, wie du dir dann überhaupt die reflektierende Komponente des Bewusstseins erklärst, bzw., wie du eine derartige Selbstwahrnehmung des Gehirns sonst beschreiben würdest.

Ich habe HIER ein Modell beschrieben. Allerdings geht es da nicht um das eigentliche Bewusstsein, sondern um Denken und Entscheiden - aber auch um die Rolle der Gefühle dabei und insofern zumindest um die Funktion von Bewusstsein. Wie Bewusstsein "funktioniert", ist auch mir unklar, und ich weiß nicht, ob wir jemals über das Verstehen der Ursachen und Funktionen hinauskommen werden. Ich glaube aber nicht, dass das Gehirn sich selbst beobachtet - auch wenn wir von "reflexivem Bewusstsein" sprechen.

Eleonor hat folgendes geschrieben:
Wenn man jedoch das Bewusstsein als eine bestimmte Funktion des Gehirns versteht und bewusste Zustände als Ausprägung dessen...

"Bewusstsein als Funktion des Gehirns" ist ein leerer Begriff.

Eleonor hat folgendes geschrieben:
Nun gilt jedoch, dass die Umweltreize eine Bedeutung im Kontext der Aufrechterhaltung diverser Gleichgewichte haben, für alle Lebewesen.
Relationen und Schwellenwerte können jedenfalls auch Einzeller wahrnehmen und darauf reagieren.

Richtig, dieses reflexhafte Reagieren auf Schwellenwerte ist die ursprüngliche Art und Weise, wie in der Natur quantitative Umweltdaten in qualitative Wahrnehmungen umgewandelt werden. Wahrnehmen der Umgebung ist ursprünglich Reagieren. Bei komplexeren Lebewesen wird die starre Verbindung bestimmter Schwellenwerte mit bestimmten Reaktionen entkoppelt - so kann das Lebewesen flexibler auf Umgebungssituationen reagieren, z. B. auch seine inneren Zustände (Hunger, Durst, Müdigkeit) mit der äußeren Situation in Beziehung setzen und sich optimal verhalten.

Wenn die starre Kopplung zwischen Schwellenwert und Reaktion wegfällt, muss aber etwas anderes, weniger Starres zwischen die je aktuelle Kombination von Umwelt- und Innendaten einerseits und die Menge der möglichen Reaktionen andererseits treten. Etwas, das dem Lebewesen zwar "sagt", was zu tun ist - aber es nicht zwingt, dieses zu tun. Wenn ich etwas Heißes anfasse, sagt mir der Schmerz: Lass es sofsrt los! - aber der Schmerz zwingt mich nicht, das zu tun - ich muss den heißen Suppentopf nicht fallen lassen.

Eleonor hat folgendes geschrieben:
Auch ein Kind hat einen genetisch einprogrammierten Schwellenwert, der etwas Heißes schmerzhaft werden lässt. Es ist die Schwelle, ab der nicht mehr nur die Thermo-Rezeptoren reagieren, sondern auch die Schmerzrezeptoren. Es besteht auch keine zwingende Notwendigkeit, warum das Kind den Schmerz erleben muss, um die Hand wegzuziehen.

Nein, nur um die Hand wegzuziehen, muss das Kind den Schmerz nicht spüren - das wäre auch mit einer starren Reiz-Reaktion-Kopplung machbar. Aber das Kind lernt durch das bewusste Erleben des Schmerzes, was "heiß" bedeutet und kann nun verschiedene Handlungsstrategien erlernen oder selbst erfinden, mit heißen Dingen umzugehen: nicht anfassen, Topflappen benutzen, einen Schutzhandschuh überziehen, den heißen Gegenstand mit einer Zange greifen, ihn mit kaltem Wasser abkühlen...

#399:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 19.07.2010, 07:32
    —
step hat folgendes geschrieben:
Aber sind nicht lernfähige Systeme in der Evolution lange vor Bewußtsein entstanden?

Glaube ich nicht - jedenfalls nicht Einzellebewesen, die individuell lernfähig sind. Eine (Tier- oder Pflanzen-) Art ist natürlich auch ein lernfähiges System, aber in diesem Fall bewirkt die Evolution das Lernen (im Sinn von Selbstoptimierung) - dafür ist kein Bewusstsein nötig.

Im Übrigen wissen wir nicht, auf welcher Stufe der Evolution genau Bewusstsein entstanden ist, denn wir können nur Vermutungen darüber anstellen, ob andere Lebewesen Bewusstsein haben.

#400:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 19.07.2010, 08:02
    —
Eleonor hat folgendes geschrieben:

Und gleichsetzen sollte man das Bewusstsein ohnehin nicht mit seinen Einzelaspekten: Es ist mindestens emergent.

Nein, Bewusstsein ist nicht emergent, jedenfalls nicht in dem hier gemeinten Sinn. "Emergent sein" heißt, Systemeigenschaft zu sein, und insofern ist alles, was wir beobachten können, emergent. Natürlich ist das Bewusstsein eine Eigenschaft des Systems Gehirn. Aber das Bewusstsein ist nicht emergent über demjenigen, was uns konkret bewusst wird - Wahrnehmungen, Gefühle, Gedanken, Erinnerungen - es schwebt nicht als "Geist" irgendwie darüber, es ist auch kein leeres Behältnis, das mit Erlebnissen, Gedanken usw. gefüllt wird, und es ist kein Apparat, der bewirkt, dass Gehirnvorgänge bewusst werden. Bewusstsein ist einfach nur die Tatsache, dass uns etwas bewusst wird - so wie Bewegung die Tatsache ist, dass sich etwas bewegt.

#401:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 19.07.2010, 08:31
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Wie sich rot anfühlt, ist völlig egal, solange Reiz und Gefühl in ihrer Folge hinreichend konstant sind, dass die verschiedenen Individuen sich darüber soweit einigen können, dass über das Gefühl der Reiz benambar wird. Dabei ist es egal, wie sich rot für Willi oder Gesine anfühlt. Wichtig ist nur, dass es sich für beide je immer gleich anfühlt.

Im Prinzip könnte es sogar sein, dass Gesine das, was Willi sieht, wenn er es "rot" nennt, "grün" nennen würde - wenn Gesine das sehen könnte, was Willi sieht, wenn er es "rot" nennt.

Vielleicht hängt es mit solchen Wahrnehmungsunterschieden zusammen, dass manche Leute mit abstrakter Kunst viel anfangen können und andere gar nichts.

#402:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 19.07.2010, 09:14
    —
Eleonor hat folgendes geschrieben:
Wir haben aber immer noch das Problem, dass wir nicht begründen können, warum Bewusstsein überhaupt unter bestimmten Bedingungen zwingend angenommen werden sollte (Wir tun es, weil wir selbst eins haben und menschliche Gehirne prinzipiell gleich funktionieren, dabei extrapolieren wir aber von einem einzigen uns bekannten Bewusstsein auf die ganze Menschheit). Wir können also nicht ausschließen, dass wir lediglich Zombies untersuchen...

Die "Erklärungslücke" besteht immer, denn auch die "objektive" Welt nimmt jeder nur subjektiv wahr. Genau genommen kann ich nicht wissen, ob um mich herum eine Welt existiert und ob ich selbst körperlich exstiere - oder ob "ich" nur ein Computerprogramm bin, das von einem bösen Dämon mit Daten gefüttert wird. Genau so wenig, wie ich in das Bewusstsein eines anderen hineinschauen kann, kann ich aus meinem eigenen Bewusstsein "herausschauen".

Unsere Überzeugungen über die Existenz und die Beschaffenheit der äußeren Welt beruhen ebenso auf Glauben und Kommunikation wie unsere Überzeugungen über die Existenz und die Eigenschaften des Bewusstseins anderer Leute. Die Erklärungslücke hat nur zur Folge, dass wir den Zusammenhang zwischen Bewusstsein und Gehirn nicht beweisen können - und dass wir den Zusammenhang unserer Theorien über die äußere Welt mit der äußeren Welt nicht beweisen können.

Es könnte alo sein, dass wir Zombies untersuchen, und es könnte sein, dass ich hier gerade über eine Welt nachdenke, die gar nicht existiert.

#403:  Autor: Tso Wang BeitragVerfasst am: 19.07.2010, 14:43
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
Eleonor hat folgendes geschrieben:
Wir haben aber immer noch das Problem, dass wir nicht begründen können, warum Bewusstsein überhaupt unter bestimmten Bedingungen zwingend angenommen werden sollte (Wir tun es, weil wir selbst eins haben und menschliche Gehirne prinzipiell gleich funktionieren, dabei extrapolieren wir aber von einem einzigen uns bekannten Bewusstsein auf die ganze Menschheit). Wir können also nicht ausschließen, dass wir lediglich Zombies untersuchen...

Die "Erklärungslücke" besteht immer, denn auch die "objektive" Welt nimmt jeder nur subjektiv wahr. Genau genommen kann ich nicht wissen, ob um mich herum eine Welt existiert und ob ich selbst körperlich exstiere - oder ob "ich" nur ein Computerprogramm bin, das von einem bösen Dämon mit Daten gefüttert wird. Genau so wenig, wie ich in das Bewusstsein eines anderen hineinschauen kann, kann ich aus meinem eigenen Bewusstsein "herausschauen".

Unsere Überzeugungen über die Existenz und die Beschaffenheit der äußeren Welt beruhen ebenso auf Glauben und Kommunikation wie unsere Überzeugungen über die Existenz und die Eigenschaften des Bewusstseins anderer Leute. Die Erklärungslücke hat nur zur Folge, dass wir den Zusammenhang zwischen Bewusstsein und Gehirn nicht beweisen können - und dass wir den Zusammenhang unserer Theorien über die äußere Welt mit der äußeren Welt nicht beweisen können.

Es könnte alo sein, dass wir Zombies untersuchen, und es könnte sein, dass ich hier gerade über eine Welt nachdenke, die gar nicht existiert.



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[Scherz] Dann probier's mal mit "Telekinese". Wenn Dein Bewußtsein die Welt erschafft, dürfte das Bewegen von Brücken oder Galaxien doch wohl ein Kinderspiel sein. In meiner Phantasie klappt das prima, aber sobald ich die Rezeptoren "Sehen, Tasten, Hören etc. " freischalte, senden sie mir andere Signale. Wer sagt hier die Unwahrheit ? Hihihi. [/Scherz]

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#404:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 21.07.2010, 07:46
    —
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
...Wenn Dein Bewußtsein die Welt erschafft...

Mein Bewusstsein ershafft die Welt nicht. Ich bin weder subjektiver Idealist und noch Konstruktivist. Es gibt lediglich kein logisches Verfahren, die Existenz der "Welt da draußen", außerhalb des Bewusstseins, zu beweisen. Das hindert uns aber nicht daran, die Welt zu erforschen. Ebensowenig hindert uns die Unmögkichkeit, den Zusammenhang von Gehirnvorgängen und Bewusstsein zu beweisen, daran, diesen Zusammenhang zu erforschen. Man sollte die "Erklärungslücke" also nicht wichtiger nehmen, als sie ist, und sie vor allem nicht mystifizieren.

#405:  Autor: Tso Wang BeitragVerfasst am: 21.07.2010, 20:47
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
...die Unmögkichkeit, den Zusammenhang von Gehirnvorgängen und Bewusstsein zu beweisen,



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Es ist nicht beweisbar, daß es einen Zusammenhang zwischen Gehirnvorgängen und Bewußtsein gibt ? Hmmm. Kannst Du das näher erläutern ? Und wo genau nimmst Du die Trennung zwischen "Gehirnvorgängen" und "Bewußtsein" vor ?

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#406:  Autor: River QueenWohnort: Ochrasy BeitragVerfasst am: 21.07.2010, 21:16
    —
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
kalmar hat folgendes geschrieben:
...die Unmögkichkeit, den Zusammenhang von Gehirnvorgängen und Bewusstsein zu beweisen,



.

Es ist nicht beweisbar, daß es einen Zusammenhang zwischen Gehirnvorgängen und Bewußtsein gibt ? Hmmm. Kannst Du das näher erläutern ? Und wo genau nimmst Du die Trennung zwischen "Gehirnvorgängen" und "Bewußtsein" vor ?

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Bei der Frage würde ich mich gern anschließen. Gibt es für das "wo" der qualitativen Eindrücke nicht schon Ansätze, wenn auch das "wie" noch sehr rätselhaft ist?

Ich denke dabei an die Vierzig-Hertz-Oszillation als Korrelat des Bewusstseins, auch wenn dies keine hinreichende These ist. An Ansatz ist es doch.

#407:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 21.07.2010, 22:49
    —
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Es ist nicht beweisbar, daß es einen Zusammenhang zwischen Gehirnvorgängen und Bewußtsein gibt ? Hmmm. Kannst Du das näher erläutern ? Und wo genau nimmst Du die Trennung zwischen "Gehirnvorgängen" und "Bewußtsein" vor ?

Gehirnvorgänge sind das, was ein Neurologe mit seinen Aparraten messen, mit bildgebenden Verfahren sichtbar machen, am offenen Gehirn beobachten kann - also von außen. Dein Bewusstsein sind deine Wahrnehmungen, Gefühle, Gedanken usw., die Du nur selbst in deinem Inneren beobachten kannst. Den Zusammenhang zwischen beidem kann aber niemand beobachten. Selbst wenn Du Hirnforscher und Versuchsperson in einem bist, dir mit einer Nadel in den Finger stichst, den Schmerz spürst und zugleich auf dem Monitor auffällige Aktivitäten deines Gehirns beobachtest, ist das kein Beweis für einen kausalen Zusammenhang - das Einzige, was sich wirklich feststellen lässt, ist, dass beides ungefähr zeitgleich geschieht.

Korrelate wird man noch viele finden, aber es sind eben keine Beweise, nur Hinweise auf Zusammenhänge. Ich weis freilich nicht, wie es ist, wenn die Hirnforscher irgendwann Gedanken lesen können... Smilie

Und ein logischer Beweis ist nicht möglich, weil Materie (Gehirn) und Geist (Bewusstsein) ontologisch verschieden sind.

#408:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 21.07.2010, 23:41
    —
[quote="kalmar" postid=1504002]
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
....Ebensowenig hindert uns die Unmögkichkeit, den Zusammenhang von Gehirnvorgängen und Bewusstsein zu beweisen, daran, diesen Zusammenhang zu erforschen. .....

kalmar hat folgendes geschrieben:
.....
Gehirnvorgänge sind das, was ein Neurologe mit seinen Aparraten messen, mit bildgebenden Verfahren sichtbar machen, am offenen Gehirn beobachten kann - also von außen. Dein Bewusstsein sind deine Wahrnehmungen, Gefühle, Gedanken usw., die Du nur selbst in deinem Inneren beobachten kannst. Den Zusammenhang zwischen beidem kann aber niemand beobachten. Selbst wenn Du Hirnforscher und Versuchsperson in einem bist, dir mit einer Nadel in den Finger stichst, den Schmerz spürst und zugleich auf dem Monitor auffällige Aktivitäten deines Gehirns beobachtest, ist das kein Beweis für einen kausalen Zusammenhang - das Einzige, was sich wirklich feststellen lässt, ist, dass beides ungefähr zeitgleich geschieht.....

Na ja, es gibt noch mehr, als nur Beobachtung, es gibt auch Versuche von deinem Beispiel eines gesetzten Reizes bis hin zum Einsatz von Psychotropika.
Wer einen Zusammenhang zwischen Bewusstsein und Gehirn bestreitet, müsste schon ein Modell eines vom Gehirn gelösten Bewusstsein präsentieren können, in dem zum Einen wenigstens ansatzweise das Problem des Datentransports zu diesem Bewusstsein und zum Anderen das der Datenverarbeitung in diesem freischwebenden substanzfreien? Bewusstsein gelöst ist.

Bis mir jemand eine derartige Theorie / ein derartiges Modell liefert, betrachte ich den Zusammenhang Gehirn und Bewusstsein als ebenso sicher, wie es sicher ist, dass wir noch nicht wissen, wie genau dieser Zusammenhang aussieht. Der auch nur formal geäußerte Zweifel an diesem Zusammenhang hat einen ähnlichen Informationswert wie die Feststellung, dass wir nicht beweisen können, dass es keinen Gott gibt.

fwo

#409:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 22.07.2010, 09:23
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Wer einen Zusammenhang zwischen Bewusstsein und Gehirn bestreitet, müsste schon ein Modell eines vom Gehirn gelösten Bewusstsein präsentieren können... [...] Der auch nur formal geäußerte Zweifel an diesem Zusammenhang hat einen ähnlichen Informationswert wie die Feststellung, dass wir nicht beweisen können, dass es keinen Gott gibt.

Volle Zustimmung. Ich finde ja auch, dass man in diese "Erklärungslücke" nichts hineingeheimnissen soll, sie ist ein formales Problem: Ein empirischer Beweis im strengen Sinn ist nicht möglich, noch nicht einmal dann, wenn die Hirnforscher Gedanken lesen könnten. Denn, angenommen, es gäbe einen Apparat, der aus den Gehirnvorgängen die Gedanken einer Versuchsperson liest und sie, etwas zeitverzögert, auf einem Bildschirm anzeigt: Die Versuchsperson selbst würde dann feststellen, dass der Apparat genau das anzeigt, was sie gedacht hat - aber niemand anderes könnte das feststellen. Alle anderen müssten der Versuchsperson glauben, dass sie wirklich das gedacht hat, was der Apparat anzeigt.
Nun könnte natürlich jeder, der daran zweifelt, selber den Versuch durchführen und seine Gedanken vom Apparat lesen lassen. Danach gäbe es viele Leute, die übereinstimmend bestätigen würden, dass der Apparat die Gedanken korrekt liest. Aber selbst dadurch wären nicht alle Zweifel ausgeräumt: Es könnte nämlich sein, dass der Apparat in Wahrheit gar nicht Gedanken liest, sondern die Versuchsperson dazu bringt, ihre eigenen Gedanken zu vergessen und zu glauben, sie hätte genau das gedacht, was der Apparat auf dem Bildschirm anzeigt.

Nun nochmal zum logischen Beweis, hier muss ich mich korrigieren: Es geht nicht um ontologische Verschiedenheit, sondern darum, dass das Erkenntnissubjekt nicht zugleich das Erkenntnisobjekt sein kann: Damit Behauptungen wie "Bewusstseinsvorgänge sind Gehirnvorgänge", "Bewusstseinsvorgänge werden von Gehirnvorgängen verursacht" oder "Bewusstseinsvorgänge sind Eigenschaften von Gehirnvorgängen" wahr sein können, muss die Voraussetzung erfüllt sein, dass diese Behauptungen, da sie als Gedanken selbst Bewusstseinsvorgänge sind, auch selbst "Gehirnvorgang", "von Gehirnvorgängen verursacht" bzw, "Eigenschaft von Gehirnvorgängen" sind. Die Behauptung ist also immer schon in der Voraussetzung enthalten, damit ist der Beweis ungültig.

#410:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 03.08.2010, 21:51
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Der auch nur formal geäußerte Zweifel an diesem Zusammenhang [zwischen Bewusstsein und Gehirn] hat einen ähnlichen Informationswert wie die Feststellung, dass wir nicht beweisen können, dass es keinen Gott gibt.

Die "Erklärungslücke" zwischen Gehirn und Bewusstsein und die Unmöglichkeit, die Nichtexistenz Gottes zu beweisen, sind sogar einunddasselbe Problem:

Die Erklärungslücke ist nur ein Spezialfall der Tatsache, dass wir die Existenz einer objektiven Welt außerhalb unseres (je individuellen) Bewusstseins nicht beweisen können. Denn das Gehirn einer Versuchsperson, dass ein Neurologe erforscht, gehört für ihn zur Außenwelt. Und wäre ich selbst Neurologe und würde mein eigenes Gehirn und die darin stattfindenden Vorgänge auf einem Computerbildschirm beobachten, dann wäre diese Beobachtung, so seltsam es klingt, eine Beobachtung der Außenwelt - genau so, wie andere Teile meines Körpers, die ich beobachten kann (meine Hände, meine Füße, mein Gesicht im Spiegel...), zur objektiven Welt außerhalb meines Bewusstseins gehören.

Wir können also nicht beweisen, dass ein Zusammenhang besteht zwischen unserem Bewusstsein und einer objektiv existierenden Welt im allgemeinen sowie einem objektiv existierenden Gehirn im besonderen. Deshalb wäre es rein hypothetisch möglich, dass mein Bewusstsein nur ein Computerprogramm wäre, das ein Programmierer ständig mit neuen Daten über "Körper"-zustände, Wahrnehmungen einer "Außenwelt" usw. versorgt und ihm so eine nichtvirtuelle Existenz vorgaukelt. Es jst nicht möglich, diese Hypothese zu widerlegen. Was aber wäre der Programmierer für mich, wenn ich ein virtuelles Bewusstsein wäre? Er wäre mein Schöpfer und der Schöpfer meiner Welt. Er wäre der Herr über mein Schicksal und wüsste alle meine Gedanken und Gefühle. Er könnte mich sterben und wieder auferstehen lassen - er wäre für mich der allmächtige Gott.

Und wie wir nicht beweisen können, dass der Programmierer nicht existiert, so können wir nicht beweisen, dass Gott nicht existiert.

#411:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 03.08.2010, 23:12
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
.....
Und wie wir nicht beweisen können, dass der Programmierer nicht existiert, so können wir nicht beweisen, dass Gott nicht existiert.

Ich fühle mich überhaupt nicht gefordert, zu beweisen, dass dieser Programmierer nicht existiert. Ich habe durch mein Bild der Evolution ein für mich hinreichendes Bild der Entstehung meines Geistes/Bewusstseins und empfinde jeden Gedanken an einen Programmierer ähnlich unnötig wie einen Gedanken an einen Gott. Und ich kann auch nicht beweisen, dass es kein rosa Einhorn gibt ......

Gott ist nur langweilig.

fwo

#412:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 03.08.2010, 23:41
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
kalmar hat folgendes geschrieben:
.....
Und wie wir nicht beweisen können, dass der Programmierer nicht existiert, so können wir nicht beweisen, dass Gott nicht existiert.

Ich fühle mich überhaupt nicht gefordert, zu beweisen, dass dieser Programmierer nicht existiert. Ich habe durch mein Bild der Evolution ein für mich hinreichendes Bild der Entstehung meines Geistes/Bewusstseins und empfinde jeden Gedanken an einen Programmierer ähnlich unnötig wie einen Gedanken an einen Gott. Und ich kann auch nicht beweisen, dass es kein rosa Einhorn gibt ......

Gott ist nur langweilig.

fwo

Dafür hält er den Laden hier aber ganz schön auf Trab.

Teufel

#413:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 03.08.2010, 23:43
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:

Gott ist nur langweilig.

Dafür hält er den Laden hier aber ganz schön auf Trab.

Nein, nur seine Apologeten.

#414:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 03.08.2010, 23:57
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Wer einen Zusammenhang zwischen Bewusstsein und Gehirn bestreitet, müsste schon ein Modell eines vom Gehirn gelösten Bewusstsein präsentieren können,[...]

Bis mir jemand eine derartige Theorie / ein derartiges Modell liefert, betrachte ich den Zusammenhang Gehirn und Bewusstsein als ebenso sicher, wie es sicher ist, dass wir noch nicht wissen, wie genau dieser Zusammenhang aussieht.

Sehe ich auch so.

Da fallen mir die Flußkrebse von Yeh und seinen Kollegen ein.

Flußkrebse sind in ihrem Sozialverhalten recht einfach gestrickt. Treffen zwei dominante männliche Exemplare aufeinander, kämpfen sie miteinander. Der Ausgang des Kampfes entscheidet über das zukünftige Sozialverhalten.

Beim Gewinner des Kampfes kommt es zu einer Verstärkung des neuronalen Schaltkreises, der für Dominanzverhalten zuständig ist, beim Verlierer kommt es zu einer Schwächung.

Yeh et. al. konnten beide Tendenzen durch Gabe von Serotonin verstärken. Außerdem hat man Paare von Verlierer-Flußkrebsen und Paare von Gewinnern gegeneinander antreten lassen. Der Gewinner unter den beiden Verlierern hat die neuronalen Eigenschaften von Gewinnern erworben, das heißt dominantes Verhalten. Entsprechendes galt für das Paar von Gewinner-Flußkrebsen: der Verlierer hat submissives Verhalten gezeigt.

Die psychischen Auswirkungen eines gewonnen oder verlorenen Kampfes entsprachen der künstlichen Veränderung des Serotonin-Spiegels in den Flußkrebsen.

Das heißt für mich: Psyche und Hirnchemie bedingen einander - und zwar gegenseitig. Es ist nicht so, daß Verhalten ausschließlich von der Hirnchemie gesteuert wird. Was wir erleben, kann auch unsere Hirnchemie ändern.


Finde den Artikel nicht, der hier tut's auch: Modulation of the Crayfish Escape Reflex—Physiology and Neuroethology

#415:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 04.08.2010, 13:45
    —
fwo hat folgendes geschrieben:

Ich fühle mich überhaupt nicht gefordert, zu beweisen, dass dieser Programmierer nicht existiert.

Ich auch nicht, weil's eh nicht geht. Es ging mir auch nicht um Gott, sondern um den Status der "Erklärungslücke".

kalmar

#416:  Autor: Tso Wang BeitragVerfasst am: 04.08.2010, 18:48
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
...Wenn Dein Bewußtsein die Welt erschafft...

Mein Bewusstsein ershafft die Welt nicht. Ich bin weder subjektiver Idealist und noch Konstruktivist. Es gibt lediglich kein logisches Verfahren, die Existenz der "Welt da draußen", außerhalb des Bewusstseins, zu beweisen. Das hindert uns aber nicht daran, die Welt zu erforschen. Ebensowenig hindert uns die Unmögkichkeit, den Zusammenhang von Gehirnvorgängen und Bewusstsein zu beweisen, daran, diesen Zusammenhang zu erforschen. Man sollte die "Erklärungslücke" also nicht wichtiger nehmen, als sie ist, und sie vor allem nicht mystifizieren.



.

Ja. das hatten wir schon mal : Link (Stichworte: Gödel, Turing, Popper)

Unser Universum beispielsweise läßt sich von Innen nicht vollständig erklären (Gödel, Turing, Popper etc.). Beim Gehirn ist es aber etwas anderes, da wir sozusagen "mehrere Universen (Gehirne)" zur Verfügung haben und somit eine Erklärung "aus sich selbst heraus" gar nicht notwendig ist.

()

#417:  Autor: Tso Wang BeitragVerfasst am: 04.08.2010, 18:56
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Es ist nicht beweisbar, daß es einen Zusammenhang zwischen Gehirnvorgängen und Bewußtsein gibt ? Hmmm. Kannst Du das näher erläutern ? Und wo genau nimmst Du die Trennung zwischen "Gehirnvorgängen" und "Bewußtsein" vor ?

Gehirnvorgänge sind das, was ein Neurologe mit seinen Aparraten messen, mit bildgebenden Verfahren sichtbar machen, am offenen Gehirn beobachten kann - also von außen. Dein Bewusstsein sind deine Wahrnehmungen, Gefühle, Gedanken usw., die Du nur selbst in deinem Inneren beobachten kannst. Den Zusammenhang zwischen beidem kann aber niemand beobachten.


.


.

Im Inneren von was? Im Inneren vom Gehirn ! Es müsste schon mit "teuflischen" Dingen zugehen, wenn sich das Bewußtsein immer nur "zufällig" mit materiellen Komponenten verbindet. TMS u.ä. ist ein schönes Beispiel für den "Beweis", daß Gehirnvorgänge und Bewußtseinszustände zusammenhängen (ich lasse mal Poppers "Falsifikationsforderung" in der Wissenschaftstheorie der objektiven Erkenntnis beiseite) . Je nach stimulierten Bereich können das "Hirnausfälle" Link sein, "mystische Zustände", "verbesserte Lernfähigkeit bzw. Aufmerksamkeit", selbst ein Wille kann als "eigen empfunden" ("halluzinierte Agentivität, siehe Metzinger) implantiert werden etc. Darüber hinaus kennen wir so etwas "Körpersprache", die uns viel über das Innere eines Menschen verrät oder auch die sog. "Empathie". Die sog. Spiegelneuronen spielen dabei in der interdependenten Wechselwirkung "äußere Welt - innere Welt" eine wichtige Rolle. Ich denke nicht, daß die Dinge bzw. Prozesse der "natürlich-realen" und der "virtuellen" Welt unabhängig voneinander sind.

Zen-Meister Gettan: "Keichu hat hundert Karren gebaut. Wenn wir die Räder herunternähmen und die Achse entfernten, was bliebe dann übrig?" (Mumonkan 8 )

Zitat:
Selbst wenn du Hirnforscher und Versuchsperson in einem bist, die die Nadel in den finger stichst, den Schmerz spürst und zugleich auf dem Monitor auffällige Aktivitäten deines Gehirns beobachtest, ist das kein Beweis für einen kausalen Zusammenhang - das Einzige, was sich wirklich feststellen lässt, ist, dass beides ungefähr zeitgleich geschieht.


Und das Ganze nennt man "Zusammenhang". Ich bin schon der Auffassung, daß die Dinge in gegenseitiger Abhängigkeit ("dependent origination") entstehen. Ist wohl "Geschmackssache".

Mücken, aber auch andere "Raubtiere" freuen sich vermutlich über ein solches Opferverhalten, daß "Stiche" nicht im kausalen Zusammmenhang mit Schmerz stehen, hihihi. Kennst Du die Geschichte vom "verdorbenen Giftpfeil" oder den "den Naturphilosophen, die einer Horde Löwen zum Fraß vor fallen" ?

Zitat:
Korrelate wird man noch viele finden, aber es sind eben keine Beweise, nur Hinweise auf Zusammenhänge


Streng betrachtet, läßt sich nichts beweisen, nur falsifizieren (s.o.). Im Alltag ist das allerdings eher philosophisch und kann bei Übertreibungen zu psychologischen Problemen führen. Gene hat man auch schon viele gefunden. Wissenschaftsphilosophisch betrachtet, also "streng genommen", sind sie auch nur Hinweise auf Proteine, für die sie codieren. Beweisen läßt sich das nicht. Falsifikation braucht halt seine Zeit, hihihi.

Zitat:
Ich weis freilich nicht, wie es ist, wenn Hirnforscher irgendwann Gedanken lesen können...


Da gibt es interessante Forschungen drüber. Schau Dir einfach die von mir auf S.3 verlinkte Doku "Dem Bewußtsein auf der Spur" an.

Zitat:
Und ein logischer Beweis ist nicht möglich, weil Materie (Gehirn) und Geist (Bewusstsein) ontologisch verschieden sind.


Nein. Sie sind kategorisch verschieden, aber keinesfalls ontologisch. Es hängt von Deiner Betrachtungsweise ab, wie Du die Welt einteilst. Du kannst beispielsweise elektromagnetische Wellen auch als Teilchen und Teilchen auch als Wellen betrachten. Dadurch verändert sich keinesfalls die Natur der Dinge, lediglich ihre Einordnung. Ich würde Geist und Materie nicht so strikt trennen wollen. Bewegte Materie erzeugt "Felder". Felder können auch "spontan" Materie erzeugen; das kennen wir alle aus der Physik. Im Gleichtakt feuernde Neuronen erzeugen ein elektromagnetische Feld, dessen Muster es zu entschlüsseln gilt. Welche neuronalen Korrelate bzw. welche neokortikalen Säulen für welche in der Außenwelt simulierten Muster codieren, ist allerdings noch eine Mammutaufgabe. Bewußtsein als eine Art elektromagnetisches Feld (bitte nicht wörtlich nehmen) mit diversen Mustern zu betrachten, zeigt m.E. recht schön, wie abstrus die Vorstellung ist, auf der einen Seite gäbe es so etwas wie korpuskulare, "harte" Materie und auf der anderen Seite "unsichtbare, geistige, immaterielle" Zustände, die beide völlig gegensätzlich, unabhängig und unüberbrückbar seien. Wir verfangen uns oft in unseren alten Kategorisierungen, die uns bei neuen Weltbildern oft die Sicht versperren.

()

---
Mumonkan (Koan 29: Hui-nengs Fahne):

>Eine Tempelfahne flatterte im Wind, und zwei Mönche diskutierten darüber. Einer sagte, die Fahne bewege sich, der andere sagte, der Wind bewege sich; sie debattierten hin und her, konnten aber zu keinem Schluß kommen. Der sechste Patriarch sagte: "Es ist nicht der Wind, der sich bewegt, es ist nicht die Fahne, die sich bewegt, es ist euer ehrenwerter Geist, der sich bewegt." Die Mönche waren von Ehrfurcht ergriffen.<Mumons>Wind, Fahne, Geist bewegen sich;
Alle verfehlen das Eigentliche.
Er weiß nur, wie man den Mund aufmacht,
und merkt nicht, daß er irrt, wenn er redet.<


Zuletzt bearbeitet von Tso Wang am 04.08.2010, 19:01, insgesamt einmal bearbeitet

#418:  Autor: Tso Wang BeitragVerfasst am: 04.08.2010, 18:59
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:

Ich fühle mich überhaupt nicht gefordert, zu beweisen, dass dieser Programmierer nicht existiert.

Ich auch nicht, weil's eh nicht geht. Es ging mir auch nicht um Gott, sondern um den Status der "Erklärungslücke".

kalmar


.

Ich verstehe das mit der "Erklärungslücke" noch nicht so genau. Worauf willst Du da konkret hinaus ? Vielleicht kannst Du das anhand eines Beispiels anschaulich darstellen ..... ?

()

#419:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 04.08.2010, 22:11
    —
völlig OT:

Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Mumonkan (Koan 29: Hui-nengs Fahne):

>Eine Tempelfahne flatterte im Wind, und zwei Mönche diskutierten darüber. Einer sagte, die Fahne bewege sich, der andere sagte, der Wind bewege sich; sie debattierten hin und her, konnten aber zu keinem Schluß kommen. Der sechste Patriarch sagte: "Es ist nicht der Wind, der sich bewegt, es ist nicht die Fahne, die sich bewegt, es ist euer ehrenwerter Geist, der sich bewegt." Die Mönche waren von Ehrfurcht ergriffen.<Mumons>Wind, Fahne, Geist bewegen sich;
Alle verfehlen das Eigentliche.
Er weiß nur, wie man den Mund aufmacht,
und merkt nicht, daß er irrt, wenn er redet.<

Soso, Koans posten.

Zitat:
The Most Important Teaching

A renowned Zen master said that his greatest teaching was this: Buddha is your own mind. So impressed by how profound this idea was, one monk decided to leave the monastery and retreat to the wilderness to meditate on this insight. There he spent 20 years as a hermit probing the great teaching.

One day he met another monk who was traveling through the forest. Quickly the hermit monk learned that the traveler also had studied under the same Zen master. "Please, tell me what you know of the master's greatest teaching." The traveler's eyes lit up, "Ah, the master has been very clear about this. He says that his greatest teaching is this: Buddha is NOT your own mind."

Wenn ich demnächst mal Laune habe, mache ich einen Koan-Thread. Die Suche sagt, so einen gibt's hier noch nicht.

#420:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 04.08.2010, 23:32
    —
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Ich bin schon der Auffassung, daß die Dinge in gegenseitiger Abhängigkeit ("dependent origination") entstehen.
Ich bin auch dieser Auffassung. Nur lässt sich der Zusammenhang, wie gesagt, weder empirisch beobachten noch logisch beweisen. Das ist alles. Das nennt man die "Erklärungslücke" (explanation gap).

Das mit der "ontologischen Verschiedenheit" war falsch - ich hatte mich aber schon in meinem darauffolgenden Beitrag korrigiert.

#421:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 05.08.2010, 00:46
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:

Ich fühle mich überhaupt nicht gefordert, zu beweisen, dass dieser Programmierer nicht existiert.

Ich auch nicht, weil's eh nicht geht. Es ging mir auch nicht um Gott, sondern um den Status der "Erklärungslücke".

kalmar

Die Frage ist ja, was Du mit dieser Lücke willst. Ich kann mit der leben, ohne sie füllen zu müssen, es stört mich auch nicht, dass sie in meinem Leben nicht geschlossen wird. Allerdings kann ich beobachten, dass sie kleiner wird.

Und als etwas anderes als als Ausgangspunkt naturwissenschaftlicher Fragestellungen halte ich sie für witzlos.

Ich schließe mich da Tso Wangs Fragestellung an. Was genau willst Du mit dieser Lücke, worauf willst Du hinaus? Denn dass wir noch nicht alles wissen und einiges nie im strengen Sinne beweisen können werden, ist hinlänglich bekannt.

fwo

#422:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 05.08.2010, 09:37
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Die Frage ist ja, was Du mit dieser Lücke willst. Ich kann mit der leben, ohne sie füllen zu müssen, es stört mich auch nicht, dass sie in meinem Leben nicht geschlossen wird.
Geht mir genauso.

fwo hat folgendes geschrieben:
Allerdings kann ich beobachten, dass sie kleiner wird.
Na, kleiner wird sie eigentlich nicht, denn sie ist nichts Quantitatives. Sie besteht nicht dadurch, dass es uns an Wissen mangelt, sondern dadurch, dass wir etwas prinzipiell nicht wissen, sondern nur glauben können. Natürlich haben wir hinreichend gute Gründe, zu glauben, dass Gedanken und Gefühle auf Gehirnvorgängen beruhen.

fwo hat folgendes geschrieben:
Und als etwas anderes als als Ausgangspunkt naturwissenschaftlicher Fragestellungen halte ich sie für witzlos.
Ich halte sie als Ausgangspunkt naturwissenschaftlicher Fragestellungen für witzlos. Die Erforschung des Gehirns wird durch die Erklärungslücke nicht beeinträchtigt. Sie ist ein philosophisches, metaphysisches Problem - genau wie die Frage nach der Existenz der Welt und die Frage nach der Existenz Gottes.

fwo hat folgendes geschrieben:
Ich schließe mich da Tso Wangs Fragestellung an. Was genau willst Du mit dieser Lücke, worauf willst Du hinaus? Denn dass wir noch nicht alles wissen und einiges nie im strengen Sinne beweisen können werden, ist hinlänglich bekannt.
Den Eindruck, dass das ganz klar ist, hatte ich gerade nicht. Ich hatte eher den Eindruck, dass der Glaube besteht, man könnte durch weiteres Forschen eines Tages die Erklärungslücke schließen - und ich bin entschieden der Ansicht, dass das unmöglich ist.

kalmar

#423:  Autor: NaastikaWohnort: an der Fütterungsstelle der Eichhörnchen BeitragVerfasst am: 05.08.2010, 10:55
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
völlig OT:
...............
Wenn ich demnächst mal Laune habe, mache ich einen Koan-Thread. Die Suche sagt, so einen gibt's hier noch nicht.


Das wird zur Spiritualisierung und Transzendentierung des FGH einen entscheidenden Beitrag leisten... noc


A.

#424:  Autor: Eklatant BeitragVerfasst am: 05.08.2010, 13:56
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:

fwo hat folgendes geschrieben:
Und als etwas anderes als als Ausgangspunkt naturwissenschaftlicher Fragestellungen halte ich sie für witzlos.
Ich halte sie als Ausgangspunkt naturwissenschaftlicher Fragestellungen für witzlos. Die Erforschung des Gehirns wird durch die Erklärungslücke nicht beeinträchtigt. Sie ist ein philosophisches, metaphysisches Problem - genau wie die Frage nach der Existenz der Welt und die Frage nach der Existenz Gottes.


Gibt es eigentlich philosophische bzw. metaphysische Probleme?
Sind diese "Fragestellungen" nicht viel eher emotional überladene Gedankengänge?

#425:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 05.08.2010, 20:26
    —
Eklatant hat folgendes geschrieben:
Gibt es eigentlich philosophische bzw. metaphysische Probleme?
Sind diese "Fragestellungen" nicht viel eher emotional überladene Gedankengänge?

Bevor man daran geht, die Welt physikalisch zu beschreiben, kann man sich Fragen stellen wie: Woher weiß ich, dass diese Welt überhaupt existiert? Woher weiß ich, dass ich existiere? Woher weiß ich , dass die Instrumente meiner physikalischen Beschreibung - Logik und Mathematik - zu wahren Aussagen führen? Das sind letztlich metaphysische, also über die Physik hinausgehende Fragen.

Ich behaupte nicht, dass man diese Fragen stellen muss - man kann es auch lassen. Aber emotional überladene Gedankengänge sind es nicht.

#426:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 05.08.2010, 20:42
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
Woher weiß ich, dass ich existiere?

Hau dir mit dem Hammer auf einen deiner Finger. Dann weißt du.

#427:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 05.08.2010, 21:35
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
kalmar hat folgendes geschrieben:
Woher weiß ich, dass ich existiere?

Hau dir mit dem Hammer auf einen deiner Finger. Dann weißt du.

Es schmerzt, also bin ich! Lachen

#428:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 05.08.2010, 21:44
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
Eklatant hat folgendes geschrieben:
Gibt es eigentlich philosophische bzw. metaphysische Probleme?
Sind diese "Fragestellungen" nicht viel eher emotional überladene Gedankengänge?

Bevor man daran geht, die Welt physikalisch zu beschreiben, kann man sich Fragen stellen wie: Woher weiß ich, dass diese Welt überhaupt existiert? Woher weiß ich, dass ich existiere? Woher weiß ich , dass die Instrumente meiner physikalischen Beschreibung - Logik und Mathematik - zu wahren Aussagen führen? Das sind letztlich metaphysische, also über die Physik hinausgehende Fragen.

Ich behaupte nicht, dass man diese Fragen stellen muss - man kann es auch lassen. Aber emotional überladene Gedankengänge sind es nicht.

Nein, es ist einfach nur Blödsinn (entschuldige das Wort, aber es gibt kein anderes dafür, das netter wäre). Zur Metaphysik kommt man, sagt Rolf Helmut Foerster, wenn man beim Nachdenken über eine Sache dem Denken selbst den Vorrang vor der Sache gibt.

Wenn die Welt nicht existiert, wenn du nicht existierst, wenn diese Welt nicht berechenbar funktioniert, dann kannst du dir das Nachdenken über dich und die Welt sparen. Da du das nicht tust, gehst du stillschweigend davon aus, daß du und diese Welt existieren und es in ihr natürlich zugeht. Wenn du das aber weißt, oder doch mit guten Gründen annimmst, dann sind diese Fragen beantwortet, und anderenfalls sind sie sinnlos. Im einen wie im anderen Fall sind sie also ohne Bedeutung.

#429:  Autor: Tso Wang BeitragVerfasst am: 06.08.2010, 21:59
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Die Frage ist ja, was Du mit dieser Lücke willst. Ich kann mit der leben, ohne sie füllen zu müssen, es stört mich auch nicht, dass sie in meinem Leben nicht geschlossen wird.
Geht mir genauso.

fwo hat folgendes geschrieben:
Allerdings kann ich beobachten, dass sie kleiner wird.
Na, kleiner wird sie eigentlich nicht, denn sie ist nichts Quantitatives. Sie besteht nicht dadurch, dass es uns an Wissen mangelt, sondern dadurch, dass wir etwas prinzipiell nicht wissen, sondern nur glauben können. Natürlich haben wir hinreichend gute Gründe, zu glauben, dass Gedanken und Gefühle auf Gehirnvorgängen beruhen.

fwo hat folgendes geschrieben:
Und als etwas anderes als als Ausgangspunkt naturwissenschaftlicher Fragestellungen halte ich sie für witzlos.
Ich halte sie als Ausgangspunkt naturwissenschaftlicher Fragestellungen für witzlos. Die Erforschung des Gehirns wird durch die Erklärungslücke nicht beeinträchtigt. Sie ist ein philosophisches, metaphysisches Problem - genau wie die Frage nach der Existenz der Welt und die Frage nach der Existenz Gottes.

fwo hat folgendes geschrieben:
Ich schließe mich da Tso Wangs Fragestellung an. Was genau willst Du mit dieser Lücke, worauf willst Du hinaus? Denn dass wir noch nicht alles wissen und einiges nie im strengen Sinne beweisen können werden, ist hinlänglich bekannt.
Den Eindruck, dass das ganz klar ist, hatte ich gerade nicht. Ich hatte eher den Eindruck, dass der Glaube besteht, man könnte durch weiteres Forschen eines Tages die Erklärungslücke schließen - und ich bin entschieden der Ansicht, dass das unmöglich ist.

kalmar



.

Nochmal zum Nachhaken: Willst Du also auf Popper hinaus, in dem Sinne, daß wir uns der "Wahrheit" nur durch Falsifikation nähern können, daß sich also prinzipiell nichts "beweisen" läßt, sondern sich die Sachverhalte lediglich "widerlegen" lassen ? Und, daß wir zwar die "Wahrheit" erlangen können, sich das aber nie "verifizieren" läßt ?

Popper sprach im Zusammenhang mit wissenschaftlicher Erkenntnis, aber auch im Zusammenhang mit dem sog. "Alltagsverstand", u.a. von einer Theorie des "objektiven Vermutungswissens". Ist es das, worum es Dir geht ?

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Zuletzt bearbeitet von Tso Wang am 07.08.2010, 00:20, insgesamt einmal bearbeitet

#430:  Autor: Tso Wang BeitragVerfasst am: 06.08.2010, 22:13
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Ich bin schon der Auffassung, daß die Dinge in gegenseitiger Abhängigkeit ("dependent origination") entstehen.
Ich bin auch dieser Auffassung. Nur lässt sich der Zusammenhang, wie gesagt, weder empirisch beobachten noch logisch beweisen. Das ist alles. Das nennt man die "Erklärungslücke" (explanation gap).



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Empirisch beobachten läßt er sich schon. Sonst könnten wir uns das Forschen sparen und immer wieder aufs Neue "tastend" durch die Welt schreiten. Nur läßt sich eine Theorie "wissenschaftstheoretisch" nunmal nicht verifizieren (sofern Du auf "objektive Erkenntnis" hinauswillst). Wichtig ist, daß eine Theorie - wie eine Landkarte - ihre Funktion erfüllt, damit sich nicht jeder Einzelne immer wieder aufs Neue den Weg Bahnen muss. Wenn sie vielleicht irgendwann einmal tatsächlich die Welt im Maßstab 1:1 darstellt, können wir das allerdings nicht "wissen". Dann wäre die Theorie bzw. die Karte die Welt selbst.

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#431:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 06.08.2010, 23:23
    —
Peter Bieri - Was macht Bewusstsein zu einem Rätsel?

#432:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 07.08.2010, 23:28
    —
@AgentProvocateur: Danke für den Link, den Text von Bieri kannte ich noch nicht. Er ist gut und verständlich geschrieben, und es steht alles Wesentliche drin.
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Nochmal zum Nachhaken: Willst Du also auf Popper hinaus, in dem Sinne, daß wir uns der "Wahrheit" nur durch Falsifikation nähern können, daß sich also prinzipiell nichts "beweisen" läßt, sondern sich die Sachverhalte lediglich "widerlegen" lassen ? Und, daß wir zwar die "Wahrheit" erlangen können, sich das aber nie "verifizieren" läßt ?

Nein, denn Poppers These besagt, dass selbst dann, wenn wir eine Theorie logisch / mathematisch beweisen können und die Prämissen wahr sind, das immer noch nicht heißt, dass die Theorie auch im Hinblick auf die Wirklichkeit wahr sein muss. Theorien über den menschlichen Geist oder das Bewusstsein lassen sich aber erst gar nicht logisch beweisen (Zirkularität).

Tso Wang hat folgendes geschrieben:
kalmar hat folgendes geschrieben:
Nur lässt sich der Zusammenhang, wie gesagt, weder empirisch beobachten noch logisch beweisen. Das ist alles. Das nennt man die "Erklärungslücke" (explanation gap)
Empirisch beobachten läßt er sich schon....

Aber nicht lückenlos: Du kannst die Gehirnvorgänge beobachten - aber von da dringst Du nicht zum Bewusstsein, nicht zum inneren Erleben deiner Versuchsperson vor. Es ist nicht möglich, eine ununterbrochene Kausalkette (oder überhaupt einen ununterbrochenen Zusammenhang) zwischen Gehirnvorgängen und Bewusstseinsvrgängen zu beobachten - aber nur das wäre ein empirischer Nachweis des Zusammenhangs.

Ansonsten steht alles in dem Text von Peter Bieri - er ist absulut lesenswert.

Oben habe ich geschrieben, dass es sich bei der 'Erklärungslücke' um dieselbe 'Lücke' handelt, die es uns unmöglich macht, die Existenz der Welt oder die Nichtexistenz Gottes zu beweisen. Das heißt aber auch, dass der Status des Bewusstseins dem der Welt und dem Gottes gleichzusetzen ist. Mit 'Gott' muss hier kein religiöser Begriff gemeint sein, sondern einfach eine Instanz, die uns als Menschen (als bewusste, geistege Wesen) erschafft, die unsere (subjektive) Welt erschafft und unser Schicksal maßgeblich bestimmt. All das tut das Bewusstsein - nicht physisch, versteht sich, aber geistig. Ludwig Feuerbach hat sinngemäß gesagt, dass der christliche Gott nichts weiter ist als das in den Himmel projizierte Wesen des Menschen. Und wenn das Bewusstsein den gleichen Rang hätte wie 'Gott' und die Welt, dann müssten wir uns nicht darüber wundern, dass wir das Bewusstsein nie ganz begreifen werden.

kalmar

#433:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 08.08.2010, 11:00
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Peter Bieri - Was macht Bewusstsein zu einem Rätsel?

In einem wichtigen Punkt hat Bieri allerdings unrecht: Wir können uns durchaus denken, dass inneres Erleben für das Funktionieren der 'Gehirn-Fabrik' notwendig ist - wenn wir uns klar machen, dass die Fabrik Entscheidungen treffen muss. Es ist eben nicht so, dass alle Inputs aus dem Körper und der Umwelt mit allen Outputs (Handlungen) durch Reiz-Reaktion-Leitungen fest verknüpft sind. Ich habe das weiter oben im Thread schon mal beschrieben:

Zitat:
Bei komplexeren Lebewesen wird die starre Verbindung bestimmter Schwellenwerte mit bestimmten Reaktionen entkoppelt - so kann das Lebewesen flexibler auf Umgebungssituationen reagieren, z. B. auch seine inneren Zustände (Hunger, Durst, Müdigkeit) mit der äußeren Situation in Beziehung setzen und sich optimal verhalten.
Wenn die starre Kopplung zwischen Schwellenwert und Reaktion wegfällt, muss aber etwas anderes, weniger Starres zwischen die je aktuelle Kombination von Umwelt- und Innendaten einerseits und die Menge der möglichen Reaktionen andererseits treten. Etwas, das dem Lebewesen zwar "sagt", was zu tun ist - aber es nicht zwingt, dieses zu tun. Wenn ich etwas Heißes anfasse, sagt mir der Schmerz: Lass es sofsrt los! - aber der Schmerz zwingt mich nicht, das zu tun - ich muss den heißen Suppentopf nicht fallen lassen.


Es ist auch nicht so, wie manche Vertreter der KI anscheinend glauben, dass ein Lebewesen rechnet, wenn es eine Entscheidung trifft. Rechnen ist etwas, das der Mensch bewusst tun kann, weil er über Sprache verfügt (auch die Mathematik ist eine Sprache). Die unbewussten Vorgänge im Gehirn dürfen wir uns nicht als Rechenoperationen vorstellen.

Der Hirnforscher Antonio Damasio hat dargestellt, wie Gefühle als 'somatische Marker' mit praktisch allen inneren Repräsentationen verknüpft sind und durch diese emotionalen Bewertungen erst Entscheidungen möglich werden (A. Damasio: Descartes' Irrtum, München1997). Joseph LeDoux hat im Experiment herausgefunden, dass das Erkennen eines Objektes (sodass wir es mit seinem Nanen benennen können) und das emotionale Bewerten des Objekts (ob es 'gut' oder 'böse/schlecht' ist) an verschiedenen Orten im Gehirn offenbar unabhänglg voneinander stattfindet, und dass das Bewerten der ältere Vorgang ist (J. LeDoux: Das Netz der Gefühle, München 1998).

Auch bei der Steuerung des Denkens spielen Gefühle eine entscheidende Rolle: Es ist zunächst immer ein Gefühl, das uns sagt: Hier gibt es ein Problem, hier ist ein offene Frage, hier stimmt irgend etwas nicht. Wir empfinden dieses Gefühl als innere Spannung. die je nach Situation angenehm oder unangenehm sein kann. Und es ist auch ein Gefühl, dass uns sagt: Das Problem ist gelöst, oder: Jetzt hab ich es verstanden. Manchmal trügt dieses Gefühl - daran merkt man, dass es eben 'nur' ein Gefühl ist. Wie Gefühle den Prozess des Denkens und Entscheidens steuern, habe ich versucht, in einem Modell zu beschreiben - HIER.

Ich bin also der Ansicht, dass wir die Funktion und die Notwendigkeit des inneren Erlebens durchaus verstehen - dass wir also verstehen, warum Zombies nicht möglich sind. Aber dadurch verstehen wir immer noch nicht, warum Rot nicht auch Grün sein könnte oder warum sich Schmerzen gerade so und nicht anders anfühlen.

#434:  Autor: Tso Wang BeitragVerfasst am: 11.08.2010, 16:40
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
@AgentProvocateur: Danke für den Link, den Text von Bieri kannte ich noch nicht. Er ist gut und verständlich geschrieben, und es steht alles Wesentliche drin.
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Nochmal zum Nachhaken: Willst Du also auf Popper hinaus, in dem Sinne, daß wir uns der "Wahrheit" nur durch Falsifikation nähern können, daß sich also prinzipiell nichts "beweisen" läßt, sondern sich die Sachverhalte lediglich "widerlegen" lassen ? Und, daß wir zwar die "Wahrheit" erlangen können, sich das aber nie "verifizieren" läßt ?

Nein, denn Poppers These besagt, dass selbst dann, wenn wir eine Theorie logisch / mathematisch beweisen können und die Prämissen wahr sind, das immer noch nicht heißt, dass die Theorie auch im Hinblick auf die Wirklichkeit wahr sein muss.


.

Gut, Du willst also nicht auf Popper hinaus (wir könnten zwar die "Wahrheit" irgendwann erlangen, wissen könnten wir allerdings nicht, ob wir sie besitzen). Deshalb reicht für Poppper ja auch das sog. "objektive Vermutungswissen" (s.o.) für den forschenden Geist völlig aus.

Du meinst wohl eher mit "Erklärungslücke" das, was Bieri das "Rätsel des Subjektseins" nennt, daß also "geistige Vorgänge nicht aus den materiellen Bedingungen erklärbar" seien

Wir sprachen ja schon mal von Kategorisierungsfehlern, als Du Dein diesbezügliches Posting (#1513431) korrigiert hast: Der Fehler liegt darin, daß der Bewußtseiende, das, was er als "geistig" empfindet, als eine Art "Meinigkeit" empfindet und alles andere als "materiell" einstuft. Diese biologisch sinnvolle Trennung von Geist und Materie ist allerdings nur eine künstliche, denn Du kannst "Meinigkeit" auch erweitern und schon wird ein zunächst fremdes materielles Objekt (eine Gummihand, ein Tisch etc.) zu einem Gegenstand Deines Selbstgefühls (Subjekt), siehe z.B. die sog. "Gummihandillusion". Metzinger beispielsweise nennt dieses Selbstgefühl das PSM ("Phänomenales Selbstmodell")

Das von Bieri eingeworfene Zitat des Emil Du Bois Reymond zeigt sehr schön das alte mechanistische Bild der Naturwissenschaften, das Bieri offenbar selbst noch hat und das schon längst überholt ist :

Reymond hat folgendes geschrieben:
Welche denkbare Verbindung besteht zwischen bestimmten Bewegungen bestimmter Atome in meinem Gehirn einerseits, andererseits den für mich ursprünglichen, nicht weiter definierbaren, nicht wegzuleugnenden Tatsachen: "Ich fühle Schmerz, fühle Lust: ich schmecke Süßes, rieche Rosenduft, höre Orgelton, sehe Roth"...Es ist eben durchaus und für immer unbegreiflich, daß es einer Anzahl von Kohlenstoff-, Wasserstoff-, Stickstoff-, Sauerstoff- usw. Atomen nicht sollte gleichgültig sein, wie sie liegen und sich bewegen, wie sie lagen und sich bewegten, wie sie liegen und sich bewegen werden. Es ist in keiner Weise einzusehen, wie aus ihrem Zusammenhang Bewußtsein entstehen könne.


Auch Atome und Moleküle sind "Zwängen" unterworfen, hihihi. Das hätte selbst Du Bois Reymond wissen müssen, sofern er auch mal über seinen Horizont geguckt und sich mit Le Chatelier beschäftigt hätte. Vielleicht liegt das auch daran, daß Le Chatelier zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Textes erst 22 Jahre alt war. Hat sich Du Bois Reymond später noch korrigiert ?

Aber abgesehen davon geht es m.E. beim "Gleichtakt der Neuronen" eher um die "elektromagnetischen Felder", die sie erzeugen und nicht um das Bewundern von atomaren Formationen. Ist es denn offenbar ebenfalls nicht einzusehen, wie aus der Lage von Atomen "urplötzlich" ein Magnetfeld erzeugt wird ? Müsste es denn den Atomen nicht egal sein, wie sie liegen ? Hihihi.

Das o.g. "Rätsel des Subjektseins" könnte Bieri schon allein dadurch besser hinterfragen, daß er erkennt, daß "Subjekt" zwar immateriell gefühlt, aber dennoch prinzipiell als etwas "Substanzontologisches" betrachtet wird. Diese "Ich-Substanz" gibt es aber nicht. Das liegt m.E. an der Geschichte der westlichen Philosophie. Und eine solche "Subjektsubstanz" oder "Ich-Substanz" gibt es - wie gesagt - nunmal nicht, lediglich deren "Hülle". Die östliche Philosophie hat eher den einen Charakter von "Prozessontologie". Dadurch ergeben sich gewisse Probleme erst gar nicht. Aber das ist ein anderes Thema.


Zitat:
Theorien über den menschlichen Geist oder das Bewusstsein lassen sich aber erst gar nicht logisch beweisen (Zirkularität).


Nein. Theorien über den menschlichen Geist sind nicht per se zirkulär. Da wird oft mißverstandene Literatur von Popper, Turin, Gödel etc. durcheinandergewürfelt. Ein System kann sich nicht von Innen heraus vollständig erklären (Münchausen läßt grüssen). Das ist richtig. Und selbst wenn es die Wahrheit darüber besäße, könnte es das nicht "wissen". Das ist auch richtig. Das Gehirn ist nun jedoch - nicht wie das Universum, das nur von Innen untersucht werden kann - sowohl von Innen als auch von Außen untersuchbar. Diesen kleinen, aber feinen Unterschied unterschlägt so mancher. Man könnte dieses Problem dadurch zu umgehen versuchen, daß man allen "Berichten von Innen" über das Bewußtsein Lügen unterstellt (manche versuchen das auch mit den "Berichten von Außen").....naja, wem's hilft..


Zitat:
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
kalmar hat folgendes geschrieben:
Nur lässt sich der Zusammenhang, wie gesagt, weder empirisch beobachten noch logisch beweisen. Das ist alles. Das nennt man die "Erklärungslücke" (explanation gap)
Empirisch beobachten läßt er sich schon....

Aber nicht lückenlos: Du kannst die Gehirnvorgänge beobachten - aber von da dringst Du nicht zum Bewusstsein, nicht zum inneren Erleben deiner Versuchsperson vor. Es ist nicht möglich, eine ununterbrochene Kausalkette (oder überhaupt einen ununterbrochenen Zusammenhang) zwischen Gehirnvorgängen und Bewusstseinsvrgängen zu beobachten - aber nur das wäre ein empirischer Nachweis des Zusammenhangs.

Ansonsten steht alles in dem Text von Peter Bieri - er ist absulut lesenswert.

..

kalmar


An dieser romanartigen mechanistischen Darstellung des Bewußstseins ist neben grammatikalischen und Rechtschreibfehlern, die das Lesen erschweren, auch jede Menge inhaltlicher Unfug und Wirrwarr dran, tut mit leid (siehe z.B. das Zitat von Du Bois Reymond oben)

Die Tatsache, daß physikalische Feldzustände nicht aus ihren materiellen Bedingungen vorhersagbar sind, heißt doch nicht, daß diese Feldzustände physikalisch nicht erklärbar sind und im Nachhinein erklärt werden können. Wissenschaft ist kein "Kartenlegen". Man muss schon Daten aus der Vergangenheit haben, um Prognosen (keine determinierten Sicherheiten) geben zu können. Das "Emergenzproblem" (oder sprachlogisch besser: "Fulgurationsproblem") ist m.E. ein rein empirisches. Es wird geklagt, daß man noch nicht die Erfahrung gemacht hat, die man gerne machen möchte; nämlich etwas Neues schon entdeckt zu haben, bevor man es entdeckt hat: "Ich möchte jetzt schon eine Erklärung für das, was ich vielleicht irgendwann mal entdecke". Dieses "Ich weiß erst dann etwas, wenn ich es weiß" ist aber keine wirkliche "Erklärungslücke". Die Zukunft nicht detailiert vorhersagen zu können (also auch Aussagen darüber zu machen, was ich noch entdecken werde), ist wohl doch eher ein psychologisches Problem als ein forschungswissenschaftlich interessantes. Denn es würde das Forschen überflüssig machen und das Leben überschaubar langweilig.

Bewußtsein ist so etwas wie ein Spiel von Spiegeln, wie bereits erwähnt (ein Spiegelbild eines Spiegelbildes). Lebewesen, die es verstanden haben, ihre Umwelt intern virtuell zu simulieren, haben halt bessere Überlebens-Chancen. Und je besser die Simulation, desto bessere Überlebenschancen haben sie (wie bei einer Landkarte, die ihrem Anwender umso "erfolgreicher" dient, je genauer sie die Landschaft simuliert - mit dem nicht zu verachtenden Unterschied, daß der "User" der virtuellen Welt Teil der zu simulierenden Landschaft ist und somit rückkoppelnd auch Einfluß auf sie hat.).

Ich weiß nicht, warum einige Religiöse und einige Philosophen soviel Angst vor den Naturwissenschaften haben. Ist es die Angst, die Deutungshoheit über die Geschehnisse der Welt nicht mehr allein vertreten zu dürfen ? Es sind glücklicherweise nur einige, die so sehr krampfhaft an ihrem Bild festhalten.

()

---
"Müsset im Naturbetrachten
Immer eins wie alles achten;
Nichts ist drinnen, nichts ist draussen;
Denn was innen, das ist aussen.
So ergreifet ohne Säumnis
Heilig öffentlich Geheimnis."

(Goethe: Epirrhema)

#435:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 11.08.2010, 20:34
    —
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Wir sprachen ja schon mal von Kategorisierungsfehlern, als Du Dein diesbezügliches Posting (#1513431) korrigiert hast: Der Fehler liegt darin, daß der Bewußtseiende, das, was er als "geistig" empfindet, als eine Art "Meinigkeit" empfindet und alles andere als "materiell" einstuft. Diese biologisch sinnvolle Trennung von Geist und Materie ist allerdings nur eine künstliche, denn Du kannst "Meinigkeit" auch erweitern und schon wird ein zunächst fremdes materielles Objekt (eine Gummihand, ein Tisch etc.) zu einem Gegenstand Deines Selbstgefühls (Subjekt), siehe z.B. die sog. "Gummihandillusion". Metzinger beispielsweise nennt dieses Selbstgefühl das PSM ("Phänomenales Selbstmodell")

Ist ja alles schön und gut und die 'Meinigkeit' ist ein Modell, klar. Aber die Frage ist jetzt: was, bitteschön, ist kein Modell? Was sollte das sein, auf das Du Dich anscheinend beziehst, das das 'Wahre', 'das Eigentliche', wie auch immer, sein soll? Welche Kategorie ist Deiner Ansicht nach keine 'künstliche' sondern eine 'wahre', (oder wie auch immer Du hier den Gegensatz zu 'künstlich' bezeichnen willst)?

Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Das o.g. "Rätsel des Subjektseins" könnte Bieri schon allein dadurch besser hinterfragen, daß er erkennt, daß "Subjekt" zwar immateriell gefühlt, aber dennoch prinzipiell als etwas "Substanzontologisches" betrachtet wird. Diese "Ich-Substanz" gibt es aber nicht. Das liegt m.E. an der Geschichte der westlichen Philosophie. Und eine solche "Subjektsubstanz" oder "Ich-Substanz" gibt es - wie gesagt - nunmal nicht, lediglich deren "Hülle". Die östliche Philosophie hat eher den einen Charakter von "Prozessontologie". Dadurch ergeben sich gewisse Probleme erst gar nicht. Aber das ist ein anderes Thema.

Nun, das Problem scheint mir hier eher Deines zu sein, nämlich dass Du überhaupt etwas 'Substanzontologisches' annimmst, was wohl eine hinter unserer Realität liegende Realität bezeichnen soll. Bieri sagt mW nichts dergleichen.

Und überhaupt: 'gibt' es (nicht), was soll das eigentlich in Deiner Nomenklatur genau bedeuten? Natürlich 'gibt' es Subjekte, warum sollte es die nicht geben? 'Subjekt' ist eine bewährte, daher sinnvolle Kategorie und daher 'gibt' es Subjekte. Worauf sonst sollte sich denn auch 'gibt' (aka 'Existenz') beziehen als auf Kategorien, die modellbasiert sind?

Wenn es Subjekte nicht 'gibt', was 'gibt' es denn dann eigentlich, 'in Wahrheit', 'in Wirklichkeit'? Ich schätze mal: gar nichts.

Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Das Gehirn ist nun jedoch - nicht wie das Universum, das nur von Innen untersucht werden kann - sowohl von Innen als auch von Außen untersuchbar. Diesen kleinen, aber feinen Unterschied unterschlägt so mancher.

Ja, na gut, 'so mancher', da kann man wohl nichts gegen sagen. Aber tut Bieri das?

Und das Problem ist nach wie vor, das eine auf das andere abzubilden -> 'Erklärungslücke'.

Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Die Tatsache, daß physikalische Feldzustände nicht aus ihren materiellen Bedingungen vorhersagbar sind, heißt doch nicht, daß diese Feldzustände physikalisch nicht erklärbar sind und im Nachhinein erklärt werden können.

Das 'im Nachhinein' ist ein Strohmann.

Eine reduktionistische Erklärung muss die Eigenschaften eines Systemes auf seine Bestandteile zurückführen können, d.h. muss die Eigenschaften des Systemes aus den Eigenschaften der Bestandteile herleiten können. Das hat mit 'Vorhersagen' erst mal nichts zu tun, das kann auch gerne nachträglich geschehen. Obwohl, naja, Vorhersagen sind auch immer was Schönes. Erklärungen, die nur nachträglich abgegeben werden können und nichts vorhersagen, sind vielleicht hübsch, aber wenig nützlich.

Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Ich weiß nicht, warum einige Religiöse und einige Philosophen soviel Angst vor den Naturwissenschaften haben. Ist es die Angst, die Deutungshoheit über die Geschehnisse der Welt nicht mehr allein vertreten zu dürfen ? Es sind glücklicherweise nur einige, die so sehr krampfhaft an ihrem Bild festhalten.

Nö, es ist die Angst davor, dass einige! Naturwissenschaftler (speziell gewisse Neurowissenschaftler) die alleinige Deutungshoheit für sich beanspruchen, auf der Basis eines längst in der Versenkung der Geschichte verschwunden gehofften primitiven szientistischen Weltbildes.

Es ist einfach ein Irrtum, wenn man meint, sich aus reiner Empirie eine Welterklärung basteln zu können. Jede Welterklärung basiert auf Modellen, nicht auf reiner Empirie. Es gibt keine Empirie ohne Modell, bzw. eine solche wäre sinnlos.

#436:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 11.08.2010, 21:06
    —
Ich sehe immer noch nicht ein, welchen Nähwert jene "Erklärungslücke" hat.

Mir ist erstens unklar, warum Philosophen immer so darauf herumhacken und darunter leiden, daß das Subjekt sich nicht besonders gut objektivieren kann. Für einen Bewußtseinsforscher ist das irrelevant, solange man genügend Belege für die Klasseneigenschaften von "Bewußtsein" hat, so daß man Subjekt und Objekt zu Untersuhungszwecken entkoppeln kann. Daher lautet meine Antwort auf folgende Feststellung:

kalmar hat folgendes geschrieben:
Die Erklärungslücke ist nur ein Spezialfall der Tatsache, dass wir die Existenz einer objektiven Welt außerhalb unseres (je individuellen) Bewusstseins nicht beweisen können. Denn das Gehirn einer Versuchsperson, dass ein Neurologe erforscht, gehört für ihn zur Außenwelt.

Das ist ebenso irrelevant wie die Schwierigkeit, Russel's Teekanne zu widerlegen, solange ich von guten Theorien über die Welt (und über Bewußtsein) nur gute Voraussagefähigkeit erwarte, aber keine ontologische Absolutheit.

Zweitens sehe ich die Relevanz der Qualia immer noch nicht bzw. halte das QUaliaproblem für eine Art Kategorienfehler:

kalmar hat folgendes geschrieben:
Im Prinzip könnte es sogar sein, dass Gesine das, was Willi sieht, wenn er es "rot" nennt, "grün" nennen würde - wenn Gesine das sehen könnte, was Willi sieht, wenn er es "rot" nennt.

Meines Erachtens kann man zeigen, ob "rot" (Willi) und "rot" (Gesine) verhältnismäßig gleich sind. Es steht natürlich außer Frage, daß die durch die Wahrnehmung ausgelösten Gefühle dennoch unterschiedlich sein können, sofern sie nicht kulturell oder biologisch gleichgeschaltet sind. Daran scheint mir aber nichts besonders Erwähnenswertes.

Und drittens habe ich aus demselben Grunde Probleme mit der Behauptung, man könne sich prinzipiell nicht als Programm erkennen:

kalmar hat folgendes geschrieben:
... wäre es rein hypothetisch möglich, dass mein Bewusstsein nur ein Computerprogramm wäre, das ein Programmierer ständig mit neuen Daten über "Körper"-zustände, Wahrnehmungen einer "Außenwelt" usw. versorgt und ihm so eine nichtvirtuelle Existenz vorgaukelt. Es jst nicht möglich, diese Hypothese zu widerlegen.

Hmm ... um aber die Physik der Außenwelt zu simulieren, bräuchte ich etwas unendlich viel Komplexeres als die Physik selbst, sonst würde ich relativ schnell Simulationsfehler entdecken. Mit zunehmender Simulationsfähigkeit / Intelligenz des Programms/Bewußtseins würde es immer schwieriger.

Ich würde mich testweise trauen, folgende Behauptung aufzustellen: Ein hinreichend intelligentes / lernfähiges Computerprogramm würde irgendwann den Schluß ziehen, daß es ein Programm ist, oder anders ausgedrückt, es würde ein Modell von sich ausbilden, das Eigenschaften eines Programms zeigt.

#437:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 11.08.2010, 21:52
    —
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Das Gehirn ist nun jedoch - nicht wie das Universum, das nur von Innen untersucht werden kann - sowohl von Innen als auch von Außen untersuchbar.

Dein Gehirn kannst Du nicht von innen beobachten - allenfalls deine Bewusstseinszustände. Und das ist eben nicht dasselbe.

..

#438:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 11.08.2010, 22:52
    —
step hat folgendes geschrieben:
Ich sehe immer noch nicht ein, welchen Nährwert jene "Erklärungslücke" hat.

Keinen. Sie ist einfach nur da.

step hat folgendes geschrieben:
Mir ist erstens unklar, warum Philosophen immer so darauf herumhacken und darunter leiden, daß das Subjekt sich nicht besonders gut objektivieren kann. Für einen Bewußtseinsforscher ist das irrelevant, solange man genügend Belege für die Klasseneigenschaften von "Bewußtsein" hat, so daß man Subjekt und Objekt zu Untersuhungszwecken entkoppeln kann.

Es ist überhaupt kein Problem, das Gehirn zu einem Objekt zu machen. Mit dem Bewusstsein ist es schwieriger. Die Psychologen bekommen ihr Forschungsobjekt nie zu Gesicht. Deshalb hat es den Behaviorismus gegeben. Die Behavioristen haben gesagt: Das Bewusstsein ist nicht objektiv beobachtbar, also kann es auch kein Gegenstand wissenschaftlicher Forschung sein. Das war in gewisser Hinsicht konsequent.

step hat folgendes geschrieben:
...solange ich von guten Theorien über die Welt (und über Bewußtsein) nur gute Voraussagefähigkeit erwarte...

Das Bewusstsein von Versuchspersonen kannst Du nicht voraussagen - höchstens ihr Verhalten.

step hat folgendes geschrieben:
Meines Erachtens kann man zeigen, ob "rot" (Willi) und "rot" (Gesine) verhältnismäßig gleich sind.

Wie?

step hat folgendes geschrieben:
Ich würde mich testweise trauen, folgende Behauptung aufzustellen: Ein hinreichend intelligentes / lernfähiges Computerprogramm würde irgendwann den Schluß ziehen, daß es ein Programm ist, oder anders ausgedrückt, es würde ein Modell von sich ausbilden, das Eigenschaften eines Programms zeigt.

Es geht bei diesem Gedankenexperiment nicht eigentlich um Computerprogramme, sondern um das sogenannte 'Gehirn im Tank'. Man muss sich einen hinreichend fähigen Programmierer oder hinreichend mächtigen Dämon vorstellen - also im Prinzip einen allmächtigen. Der Beweis, dass der nicht existiert, käme dem Beweis der Nichtexistenz Gottes gleich.

Warum reiten die Philosophen auf all dem so herum? Weil es ihnen wichtig ist, zu betonen, dass ein Mensch eine Person mit einem Bewusstsein ist und nicht nur ein Körper mit einem Gehirn.

#439:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 11.08.2010, 23:04
    —
step hat folgendes geschrieben:
kalmar hat folgendes geschrieben:
Die Erklärungslücke ist nur ein Spezialfall der Tatsache, dass wir die Existenz einer objektiven Welt außerhalb unseres (je individuellen) Bewusstseins nicht beweisen können. Denn das Gehirn einer Versuchsperson, dass ein Neurologe erforscht, gehört für ihn zur Außenwelt.

Das ist ebenso irrelevant wie die Schwierigkeit, Russel's Teekanne zu widerlegen, solange ich von guten Theorien über die Welt (und über Bewußtsein) nur gute Voraussagefähigkeit erwarte, aber keine ontologische Absolutheit.

Der Begriff 'objektive Welt außerhalb unseres Bewusstseins' ergibt mE keinen Sinn. Solange alle zwischen 'Realität' und 'Fiktion' unterscheidet, reden alle über dasselbe. Egal, ob die sich 'Solipsisten' oder 'Realisten' nennen wollen. Die Frage nach dem, was 'wirklich, tatsächlich' dahinter liegt, ist sinnlos.

So wie alle Fragen nach grundsätzlich Unerkennbarem sinnlos sind. Nur das existiert, was erkennbar ist. Ein Existenzbegriff jenseits dessen ist sinnlos, (es sei denn, man postulierte einen Beobachter mit höherer Erkenntnisfähigkeit - aber wieso sollte man eigentlich?).

Aber die Erklärungslücke hat damit nichts zu tun, das halte ich für eine falsche Analogie.

step hat folgendes geschrieben:
kalmar hat folgendes geschrieben:
... wäre es rein hypothetisch möglich, dass mein Bewusstsein nur ein Computerprogramm wäre, das ein Programmierer ständig mit neuen Daten über "Körper"-zustände, Wahrnehmungen einer "Außenwelt" usw. versorgt und ihm so eine nichtvirtuelle Existenz vorgaukelt. Es jst nicht möglich, diese Hypothese zu widerlegen.

Hmm ... um aber die Physik der Außenwelt zu simulieren, bräuchte ich etwas unendlich viel Komplexeres als die Physik selbst, sonst würde ich relativ schnell Simulationsfehler entdecken. Mit zunehmender Simulationsfähigkeit / Intelligenz des Programms/Bewußtseins würde es immer schwieriger.

Deine Prämissen sind hier anscheinend:

1. Es gibt eine Innen- und eine Außenwelt
2. Die 'Physiken' (weiß jetzt nicht, ob das der korrekte Plural von 'Physik' ist) der Innen- und der Außenwelt sind gleich

Prämisse 1 ist ist nun einfach vorausgesetzt im Gedankenexperiment. Aber Prämisse 2 hast Du jetzt einfach so hineingeschmuggelt, die ist gar nicht Bestandteil dieses Gedankenexperimentes.

Klar kann es sein, (von einem hypothetischen Beobachterstandpunkt aus gesehen), dass ich Teil einer Matrix bin, ein Subjekt in Platons Höhlengleichnis, das nie nach 'außen' kommt, ein 'Gehirn im Tank'. Vielleicht ist unser Universum auch von diesem Standpunkt aus gesehen ein Pickel am Arsch eines Riesen. Könnte ja auch sein.

Aber ganz egal wie: was machte das für einen Unterschied für das, was wir 'Realität' nennen? Es spielt doch auch gar keine Rolle, ob unsere Realität 'virtuell' oder 'real' ist, solange dieser Unterschied nicht klar gemacht werden kann.

Und das kann mE er nicht, solange man nicht einen übergeordneten Beobachter annimmt.

#440:  Autor: Deus ex Machina BeitragVerfasst am: 11.08.2010, 23:56
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
So wie alle Fragen nach grundsätzlich Unerkennbarem sinnlos sind. Nur das existiert, was erkennbar ist. Ein Existenzbegriff jenseits dessen ist sinnlos, (es sei denn, man postulierte einen Beobachter mit höherer Erkenntnisfähigkeit - aber wieso sollte man eigentlich?).


Ist denn das, was Bieri "Bewusstsein im Sinne von Erleben" ("Alle solchen Zustände sind in uns nicht nur vorhanden, sondern wir erleben sie auch: Es fühlt sich auf bestimmte Weise an, in ihnen zu sein. Sie bestimmen, wie es für uns ist, ein Mensch zu sein.") nennt, nicht ein Musterbeispiel für etwas grundsätzlich Unerkennbares?

Falls Du antwortest: "Es mag für mich zwar unerkennbar sein, ob jemand anders wirklich bewusst (im obigen Sinne) ist, ich weiss aber mit absoluter Sicherheit, dass ich bewusst bin (ich weiss das gewissermassen so sicher, wie man etwas nur wissen kann)." Ich denke nicht, dass der Satz "Ich weiss, dass ich Bewusstsein (i.S.v. Erleben) habe" wirklich eine Bedeutung hat. Wäre es auch denkbar, dass Du weisst, dass Du kein Bewusstsein hast? Falls nicht: Was bedeutet "Ich weiss X", wenn es nicht denbkar ist, Nicht-X zu wissen?

#441:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 12.08.2010, 00:28
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... Deine Prämissen sind hier anscheinend: ... 2. Die 'Physiken' (weiß jetzt nicht, ob das der korrekte Plural von 'Physik' ist) der Innen- und der Außenwelt sind gleich ... Prämisse 2 hast Du jetzt einfach so hineingeschmuggelt, die ist gar nicht Bestandteil dieses Gedankenexperimentes.

Ja, die Physik des Programmiereruniversums muß auch für das Programm (zur Laufzeit) gelten, sonst wäre es keine Implementation. Das Gehirn im Tank etwa unterliegt auch der Schwerkraft.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... Aber ganz egal wie: was machte das für einen Unterschied für das, was wir 'Realität' nennen? Es spielt doch auch gar keine Rolle, ob unsere Realität 'virtuell' oder 'real' ist, solange dieser Unterschied nicht klar gemacht werden kann.

Ja, und vor allem solange die erkannte Gesetzlichkeit zum Voraussagen ausreicht.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und das kann mE er nicht, solange man nicht einen übergeordneten Beobachter annimmt.

Kann das wirklich als bewiesen gelten? Ich habe da meine Zweifel.

#442:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 12.08.2010, 00:38
    —
Hallo Deus. Sehr glücklich

Ich habe Bewusstsein, ich fühle etwas, ich habe phänomenales Empfinden, ich nehme etwas wahr. Da ist nichts grundsätzlich Unerkennbares dabei, im Gegenteil ist das das unmittelbar Erkennbare.

Das ist alles, mehr gibt es eigentlich dazu nicht zu sagen.

Welchen zusätzlichen Sinn könnte es ergeben, da noch ein 'wissen' hinzuzufügen? Ich 'weiß' das nicht zusätzlich zu meinem Empfinden, mein Empfinden ist unmittelbar, ohne den Umweg über ein Wissen. Die Sätze: 'ich empfinde etwas' und 'ich weiß, dass ich etwas empfinde' sind absolut bedeutungsgleich, (wenn ich sie in meinem Kontext äußere). Der zweite Satz enthielte dann lediglich einen (bedeutungsirrelevanten) Pleonasmus.

Nehmen wir nun mal an, jemand würde folgenden Satz äußern: 'in Wirklichkeit erkennst Du nicht / nimmst Du nichts wahr'. Dieser Satz wäre in meinem Kontext meiner Weltsicht automatisch falsch. Und in seinem Kontext könnte er dennoch wahr sein. Es muss dann also unterschiedliche Bedeutungen geben, solche, die nicht übereinstimmen. Ich schätze, das wird dann das Wort 'Wirklichkeit' sein.

#443:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 12.08.2010, 01:03
    —
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... Deine Prämissen sind hier anscheinend: ... 2. Die 'Physiken' (weiß jetzt nicht, ob das der korrekte Plural von 'Physik' ist) der Innen- und der Außenwelt sind gleich ... Prämisse 2 hast Du jetzt einfach so hineingeschmuggelt, die ist gar nicht Bestandteil dieses Gedankenexperimentes.

Ja, die Physik des Programmiereruniversums muß auch für das Programm (zur Laufzeit) gelten, sonst wäre es keine Implementation. Das Gehirn im Tank etwa unterliegt auch der Schwerkraft.

Ja, na klar, das Gehirn selber unterliegt der Schwerkraft, bzw. für das Gehirn selber gelten natürlich alle Naturgesetze unserer Welt. Und für das Programm gilt das ebenso.

Nur ist es jedoch voraussetzungsgemäß so, dass alles in das Gehirn eingespeist wird, es hat keinerlei Sensoren, die sich auf unsere Welt beziehen.

Alles, was 'Gehirn', 'Tank', 'Einspeisung' etc. betrifft, ist also für das Gehirn unerkennbar. Weder direkt noch indirekt erkennbar. Das Gehirn kann keine Messinstrumente in unserer Welt bauen, es ist ja nur ein Gehirn. Jedoch kann es in seiner Welt, (die wäre für uns dann 'virtuell'), beliebige Messinstrumente bauen.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und das kann mE er nicht, solange man nicht einen übergeordneten Beobachter annimmt.

Kann das wirklich als bewiesen gelten? Ich habe da meine Zweifel.

Ist letztlich nur meine Auffassung. Werde mich hüten, die als 'bewiesen' zu bezeichnen.

#444:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 12.08.2010, 09:48
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... Deine Prämissen sind hier anscheinend: ... 2. Die 'Physiken' (weiß jetzt nicht, ob das der korrekte Plural von 'Physik' ist) der Innen- und der Außenwelt sind gleich ... Prämisse 2 hast Du jetzt einfach so hineingeschmuggelt, die ist gar nicht Bestandteil dieses Gedankenexperimentes.
Ja, die Physik des Programmiereruniversums muß auch für das Programm (zur Laufzeit) gelten, sonst wäre es keine Implementation. Das Gehirn im Tank etwa unterliegt auch der Schwerkraft.
Ja, na klar, das Gehirn selber unterliegt der Schwerkraft, bzw. für das Gehirn selber gelten natürlich alle Naturgesetze unserer Welt. Und für das Programm gilt das ebenso.

Gut, damit ist es schonmal dieselbe Physik.

Dein wirklicher Einwand ist nämlich ein ganz anderer:

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Nur ist es jedoch voraussetzungsgemäß so, dass alles in das Gehirn eingespeist wird, es hat keinerlei Sensoren, die sich auf unsere Welt beziehen. Alles, was 'Gehirn', 'Tank', 'Einspeisung' etc. betrifft, ist also für das Gehirn unerkennbar. ...

Wenn man natürlich voraussetzt, daß das Gehirn keinen relevanten Kontakt zur Außenwelt hat, wir die Behauptung, es könne über die Außenwelt nur spekulieren, eher trivial. Ich gehe allerdings davon aus, daß die Voraussetzung schwierig zu erfüllen ist, weil die Inputs ja immer physikalisch (oder was wir so nennen) realisiert sein müssen und daher per se eine Art Sensorik darstellen.

#445:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 12.08.2010, 11:44
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Der Begriff 'objektive Welt außerhalb unseres Bewusstseins' ergibt mE keinen Sinn. Solange alle zwischen 'Realität' und 'Fiktion' unterscheidet, reden alle über dasselbe. [...] Nur das existiert, was erkennbar ist.

Die Frage ist dann aber: Was ist erkennbar? Was erkenne ich, wenn ich etwas erkenne? Erkenne ich die Wahrnehmungen, die mein Gehirn erzeugt, oder die Welt um mich herum? Und wenn meine Wahrnehmungen nur Konstrukte meines Gehirns wären und mir keine Informationen über eine 'Welt da draußen' liefern würden, eine Welt, die für meine Existenz (= meine künftigen Wahrnehmungen) bedeutsam ist - warum sollte ich dann diese Wahrnehmungen wichtig nehmen? Wäre die Welt eine Fiktion, dann wären auch alle Kausalzusammenhänge Fiktion: Es würde nicht ein physikalisches Ereignis ein anderes bewirken, sondern es gäbe lediglich einen Zusammenhang zwischen zwei Wahrnehmungen, den wir nicht erklären könnten und als zufällig ansehen müssten.

In der östlichen Philosophie und Religion wird die Welt als Fiktion angesehen, und ich denke, dass das der Grund dafür ist, dass Naturwissenschaft mit dem Ziel, Gesetzmäßigkeiten in der Natur zu entdecken, sich dort kaum entwickelt hat. Ich glaube deshalb nicht, dass 'von Realität reden' und 'von Fiktion reden' dasselbe ist. Es hat unterschiedliche Konsequenzen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Aber die Erklärungslücke hat damit nichts zu tun, das halte ich für eine falsche Analogie.

Wäre die 'Welt da draußen' eine Fiktion, dann wäre auch das Gehirn eine Fiktion - auch das Gehirn einer fiktiven Versuchsperson (falls ich ein fiktiver Hirnforscher wäre). Warum sollte ich nach einem Kausalzusammenhang fragen zwischen den fiktiven Vorgängen in diesem Gehirn und den Auskünften, die die fiktive Versuchsperson über ihre inneren Erlebnisse macht, wenn das Ganze nicht mehr als eine Erfindung meines Gehirns ist? Eine Welt, die nicht existiert, muss man auch nicht erklären. Und wo es nichts zu erklären gibt, gibt es auch keine Erklärungslücken.

Ich kann (1) die Welt und mich selbst als real existent betrachten oder (2) die Welt und mich selbst für ein Konstrukt meines Gehirns halten. Wäre nur (2) wahr, dann wäre mein Gehirn mein Schöpfer und der Schöpfer meiner Welt, also Gott, und es hätte dann nichts zu bedeuten, wenn mein Gehirn ein 'Gehirn im Tank' wäre - denn ich wäre ohnehin nur ein 'Ich im Gehirn'. Da ich keinen Standpunkt außerhalb meiner selbst einnehmen kann, der mir ermöglichen würde, zu erkennen, ob (1) wahr ist, entscheide ich mich aus o. g. Gründen, im Normalfall (1) zu glauben und in besonderen Fällen zu berücksichtigen, dass (2) ebenfalls zutrifft, da (1) und (2) einander nicht ausschließen.


Zuletzt bearbeitet von kalmar am 14.08.2010, 20:41, insgesamt einmal bearbeitet

#446:  Autor: Eklatant BeitragVerfasst am: 12.08.2010, 14:03
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:

Und wenn meine Wahrnehmungen nur Konstrukte meines Gehirns wären und mir keine Informationen über eine 'Welt da draußen' liefern würden, eine Welt, die für meine Existenz (= meine künftigen Wahrnehmungen) bedeutsam ist - warum sollte ich dann diese Wahrnehmungen wichtig nehmen?


Woher kommen denn diese künftigen Wahrnehmungen?
Warum dringt denn etwas in das Bewusstsein ein? Ist das sonst unbewusst? Wieso eigentlich? Und wieso "denkt" man nicht alles geleichzeitig?
Die Frage sollte zum Beispiel erlaubt sein, weshalb man gerade noch diesen Text liest und über Wahrnehmung rätselt, im nächsten Moment aber dann an New Yorker Käsekuchen denkt.
Weshalb aber sollte man an New Yorker Käsekuchen und nicht an die Moai Statuen der Osterinseln denken? Woher kommen diese Gedanken? Selbst ausgedacht? zwinkern

#447:  Autor: Eklatant BeitragVerfasst am: 12.08.2010, 14:07
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
Eklatant hat folgendes geschrieben:
Gibt es eigentlich philosophische bzw. metaphysische Probleme?
Sind diese "Fragestellungen" nicht viel eher emotional überladene Gedankengänge?

Bevor man daran geht, die Welt physikalisch zu beschreiben, kann man sich Fragen stellen wie: Woher weiß ich, dass diese Welt überhaupt existiert? Woher weiß ich, dass ich existiere? Woher weiß ich , dass die Instrumente meiner physikalischen Beschreibung - Logik und Mathematik - zu wahren Aussagen führen? Das sind letztlich metaphysische, also über die Physik hinausgehende Fragen.

Ich behaupte nicht, dass man diese Fragen stellen muss - man kann es auch lassen. Aber emotional überladene Gedankengänge sind es nicht.


Es gibt auch Sätze die wie Fragen aussehen und sich sogar so anfühlen wie Fragen, aber Fragen sind es nicht.

#448:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 12.08.2010, 14:38
    —
Eklatant hat folgendes geschrieben:
kalmar hat folgendes geschrieben:
...metaphysische, also über die Physik hinausgehende Fragen. Ich behaupte nicht, dass man diese Fragen stellen muss - man kann es auch lassen....

Es gibt auch Sätze die wie Fragen aussehen und sich sogar so anfühlen wie Fragen, aber Fragen sind es nicht.

Für den Pragmatiker sind es keine Fragen, da hast Du recht, und der Pragmatismus ist ein akzeptabler Standpunkt. Aber es ist nicht mein Standpunkt.

#449:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 12.08.2010, 15:13
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Der Begriff 'objektive Welt außerhalb unseres Bewusstseins' ergibt mE keinen Sinn. Solange alle zwischen 'Realität' und 'Fiktion' unterscheidet, reden alle über dasselbe. [...] Nur das existiert, was erkennbar ist.

Die Frage ist dann aber: Was ist erkennbar? Was erkenne ich, wenn ich etwas erkenne? Erkenne ich die Wahrnehmungen, die mein Gehirn erzeugt, oder die Welt um mich herum? [...] Ich glaube deshalb nicht, dass 'von Realität reden' und 'von Fiktion reden' dasselbe ist. Es hat unterschiedliche Konsequenzen.

Du hast mich irgendwie falsch verstanden, ich habe mich wohl auch missverständlich ausgedrückt.

Ich sehe doch ebenfalls den Unterschied zwischen 'Realität' und 'Fiktion' als wichtig an.

Bei der Realismus-Frage würde ich mich mal wieder Putnam anschließen mit seinem Direkten Realismus.

#450:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 12.08.2010, 15:51
    —
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Nur ist es jedoch voraussetzungsgemäß so, dass alles in das Gehirn eingespeist wird, es hat keinerlei Sensoren, die sich auf unsere Welt beziehen. Alles, was 'Gehirn', 'Tank', 'Einspeisung' etc. betrifft, ist also für das Gehirn unerkennbar. ...

Wenn man natürlich voraussetzt, daß das Gehirn keinen relevanten Kontakt zur Außenwelt hat, wir die Behauptung, es könne über die Außenwelt nur spekulieren, eher trivial. Ich gehe allerdings davon aus, daß die Voraussetzung schwierig zu erfüllen ist, weil die Inputs ja immer physikalisch (oder was wir so nennen) realisiert sein müssen und daher per se eine Art Sensorik darstellen.

Dann verstehe ich wohl einfach nicht, was Du mit 'eine Art Sensorik' meinst und worauf Du hinauswillst. Was in unserem Gehirn physikalisch abläuft, ist für uns nun mal nicht direkt erkennbar, es gibt mW keine Sensoren im Gehirn selber.

#451:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 12.08.2010, 15:58
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Aber die Erklärungslücke hat damit [mit der Frage nach der 'objektiven Welt' - kalmar] nichts zu tun, das halte ich für eine falsche Analogie.

Für Dich hat die 'Erklärungslücke' mehr mit dem 'Qualiaproblem' zu tun, stimmt's? Man muss aber beides voneinander trennen, denke ich. Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen:

Wenn elektromagnetische Wellen bestimmter Wellenlänge auf die Netzhäute der Augen von Versuchspersonen treffen, ist das regelmäßig damit verbunden, dass diese Versuchspersonen auf die Frage, was sie sehen, antworten: "Rot". Angenommen, wir wüssten, wie der Gehirnzustand, bei dem die Versuchspersonen 'Rot' sehen, genau beschaffen ist, und angenommen, wir könnten lückenlos beschreiben, wie das Gehirn diesen Zustand erzeugt - beides halte ich für möglich - dann wäre das als Erklärung, wie 'Rot-Erlebnisse' entstehen, hinreichend.

Es entsteht keine Erklärungslücke dadurch, dass die Versuchspersonen möglicherweise etwas Unterschiedliches innerlich erleben, während sie sagen, dass sie 'Rot' sehen. Wenn das, was sie innerlich erleben, dasselbe ist wie das, was sie sonst immer erleben, wenn sie sagen, dass sie etwas Rotes sehen - wenn die Versuchspersonen also nicht lügen - ist die Sache in Ordnung. Die Erklärungslücke entsteht vielmehr dadurch, dass wir im Prinzip nicht wissen können, ob die Versuchspersonen lügen - wir müssen ihen glauben, dass sie ein Rot-Erlebnis haben, wenn sie sagen, sie haben eins.

Das Qualia-Argument wurde, soweit ich weiß, vor allem vorgebracht, um die Identitätstheorie zu widerlegen. Um mit Hilfe der Identitätstheorie die Erklärungslücke zu schließen in der Form:

(1) Wir wissen alles über den Gehirnvorgang, der Rot-Erlebnisse erzeut.
(2) Ein Gehirnvorgang, der ein Rot-Erlebnis erzeugt, ist mit einem Rot-Erlebnis identisch.

müsste man die Identitätstheorie aber nicht nur nicht widerlegen können - man müsste sie beweisen können. Und dass man das nicht kann, liegt an ihrer Zirkularität und nicht am Qualia-Argument.

#452:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 12.08.2010, 21:30
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Bei der Realismus-Frage würde ich mich mal wieder Putnam anschließen mit seinem Direkten Realismus.

Wenn ich es richtig verstanden habe, ist Putnams direkter Realismus = Naiver Realismus + Modelltheorie, also:

Ich sehe den Baum auf der Wiese.
Ich sehe nicht das Bild eines Baumes in meinem Gehirn,
denn ich sitze nicht in meinem Gehirn und betrachte Bilder.
Ich sitze auf der Wiese und sehe den Baum.
Jedenfalls glaube ich das.
Ich glaube, dass der Baum, den ich sehe, dort tatsächlich vorhanden ist,
und dass ich ihn deshalb dort sehe.
Vielleicht irre ich mich.
Vielleicht ist mein Modell falsch.
Aber ich glaube, dass das Modell nicht falsch ist.

(Seltsam, dass wir hier und im Thread 'Transzendenz / Immanenz' ungefähr dieselben Probleme diskutieren...)


Zuletzt bearbeitet von kalmar am 12.08.2010, 21:38, insgesamt 2-mal bearbeitet

#453:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 12.08.2010, 21:32
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Nur ist es jedoch voraussetzungsgemäß so, dass alles in das Gehirn eingespeist wird, es hat keinerlei Sensoren, die sich auf unsere Welt beziehen. Alles, was 'Gehirn', 'Tank', 'Einspeisung' etc. betrifft, ist also für das Gehirn unerkennbar. ...

Wenn man natürlich voraussetzt, daß das Gehirn keinen relevanten Kontakt zur Außenwelt hat, wir die Behauptung, es könne über die Außenwelt nur spekulieren, eher trivial. Ich gehe allerdings davon aus, daß die Voraussetzung schwierig zu erfüllen ist, weil die Inputs ja immer physikalisch (oder was wir so nennen) realisiert sein müssen und daher per se eine Art Sensorik darstellen.

Dann verstehe ich wohl einfach nicht, was Du mit 'eine Art Sensorik' meinst und worauf Du hinauswillst. Was in unserem Gehirn physikalisch abläuft, ist für uns nun mal nicht direkt erkennbar, es gibt mW keine Sensoren im Gehirn selber.

Wohinein willst Du denn dem Gehirn dann etwas einspeisen?

Wie schon angedeutet: Ich vermute, ein Gehirn im Tank (oder ein entsprechendes Softwareprogramm) würde ein Selbstmodell ausbilden, das auch seine Hardware/Schwabbelware und seine Umwelt irgendwie mitmodelliert. Wobei das Modell natürlich schlechter ist, umso besser man das Gehirn von seiner Umwelt isoliert.

#454:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 12.08.2010, 22:53
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
Wenn ich es richtig verstanden habe, ist Putnams direkter Realismus = Naiver Realismus + Modelltheorie, also:

Ich sehe den Baum auf der Wiese.
Ich sehe nicht das Bild eines Baumes in meinem Gehirn,
denn ich sitze nicht in meinem Gehirn und betrachte Bilder.
Ich sitze auf der Wiese und sehe den Baum.
Jedenfalls glaube ich das.
Ich glaube, dass der Baum, den ich sehe, dort tatsächlich vorhanden ist,
und dass ich ihn deshalb dort sehe.
Vielleicht irre ich mich.
Vielleicht ist mein Modell falsch.
Aber ich glaube, dass das Modell nicht falsch ist.

Ich sehe etwas, was meinem Konzept 'Baum' entspricht sitzend auf etwas, was meinem Konzept 'Wiese' entspricht.
Ich sehe nicht das Bild eines Baumes in meinem Gehirn,
denn ich sitze nicht in meinem Gehirn und betrachte Bilder.
Ich sehe den Baum.
Das glaube ich nicht, das ist einfach so.
Nun könnte es sein, dass das, was ich sehe, nicht das ist, was mein Konzept 'Baum' notwendigerweise beinhaltet, es könnte z.B. auch eine Spiegelung sein.
Wenn ich aufstehe und den Baum und seine Blätter anfasse, an ihm rieche etc. dann gehe ich davon aus, dass das, was ich sehe, tatsächlich ein Baum ist und ich mich nicht täusche.
"If it looks like a duck, swims like a duck, and quacks like a duck, then it probably is a duck."
Die Frage, ob Modelle falsch sind, ist solange sinnlos, solange es keine Möglichkeit gibt, die Falschheit festzustellen.
Die Frage kann daher dann nur sein: a) sind die Modelle nützlich und b) gibt es bessere Modelle, die die alten ersetzen können.

#455:  Autor: Uriziel BeitragVerfasst am: 12.08.2010, 23:07
    —
Das der Mensch ein Bewusstsein hat, glaube ich gerne...


Nur frage ich mich oft bei den Kommentaren verschiedenster Leute auf verschiedensten Internet-Seiten, ob sich das menschliche Bewusstsein seit den letzten +2000 Jahren in irgendeiner Form weiterentwickelt hat...

Also schlauer (sensibler/entwickelter) als damals kommen mir viele heutzutage nicht vor...

#456:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 12.08.2010, 23:22
    —
step hat folgendes geschrieben:
Wie schon angedeutet: Ich vermute, ein Gehirn im Tank (oder ein entsprechendes Softwareprogramm) würde ein Selbstmodell ausbilden, das auch seine Hardware/Schwabbelware und seine Umwelt irgendwie mitmodelliert.

Ja.

step hat folgendes geschrieben:
Wobei das Modell natürlich schlechter ist, umso besser man das Gehirn von seiner Umwelt isoliert.

Wieso? Und inwiefern 'schlechter'? Gemeint als 'inkonsistent', 'unlogisch'? Wenn ja: wieso sollte dann der hier angenommen Super-Hyper-Duper-Computer keine konsistente Umwelt simulieren können?

#457:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 13.08.2010, 09:09
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wobei das Modell natürlich schlechter ist, umso besser man das Gehirn von seiner Umwelt isoliert.
Wieso? Und inwiefern 'schlechter'? Gemeint als 'inkonsistent', 'unlogisch'? Wenn ja: wieso sollte dann der hier angenommen Super-Hyper-Duper-Computer keine konsistente Umwelt simulieren können?

Konsistent ja, aber "schlechter" im Sinne von: es fehlen Teile des Modells, die sich auf Details der Umwelt beziehen, über die keine Information vorliegt. Ähnlich wie wir z.B. sehr wenig wissen über Teile des Universums, aus denen kein Licht zu uns kommt.

#458:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 13.08.2010, 09:13
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Die Frage, ob Modelle falsch sind, ist solange sinnlos, solange es keine Möglichkeit gibt, die Falschheit festzustellen.
Die Frage kann daher dann nur sein: a) sind die Modelle nützlich und b) gibt es bessere Modelle, die die alten ersetzen können.

Das scheint mir unumstritten.

#459:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 13.08.2010, 10:35
    —
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Die Frage, ob Modelle falsch sind, ist solange sinnlos, solange es keine Möglichkeit gibt, die Falschheit festzustellen.
Die Frage kann daher dann nur sein: a) sind die Modelle nützlich und b) gibt es bessere Modelle, die die alten ersetzen können.

Das scheint mir unumstritten.

Ich habe Schwierigkeiten mit der Nützlichkeit. Man kann auch auf dem Standpunkt stehen, daß das Kriterium Nützlichkeit zwar erst den Raum der Theorien konstituiert, die als objektiv gelten können. Aber das scheint mir eigentlich eher sowas wie eine notwendige Einschränkung zu sein, aus der sich nicht folgern lässt, daß der Mensch als Erkenntnis suchendes Wesen sein Mühen um Wahrheit vollständig aufgeben muss. Soweit ich das zum Beispiel sehe, können wir nicht sicher sein, daß die Wirklichkeit prinzipiell so geartet ist, daß sie sich modellieren lässt. Ich gehe eher davon aus, daß wir einige Voraussetzungen unseres Denkens erst noch zu entdecken haben. Auf dem Feld der Logik beispielsweise. Ist die Wirklichkeit diskret? Oder ist sie ein Kontinuum? Was bedeutet das für die Qualität von Aussagen? Und etliches mehr. Ich weiß nicht, ob ich mich verständlich ausdrücken kann.

#460:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 13.08.2010, 10:46
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
.... Soweit ich das zum Beispiel sehe, können wir nicht sicher sein, daß die Wirklichkeit prinzipiell so geartet ist, daß sie sich modellieren lässt. ....

Gegenfrage:
Könnten wir uns überhaupt als evoluierte Wesen miteinander über dieses Thema unterhalten, wenn das nicht so wäre?

fwo

#461:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 13.08.2010, 13:54
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
.... Soweit ich das zum Beispiel sehe, können wir nicht sicher sein, daß die Wirklichkeit prinzipiell so geartet ist, daß sie sich modellieren lässt. ....

Gegenfrage:
Könnten wir uns überhaupt als evoluierte Wesen miteinander über dieses Thema unterhalten, wenn das nicht so wäre?

fwo


Ja. Über den Mesokosmos.

#462:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 13.08.2010, 14:07
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
.... Soweit ich das zum Beispiel sehe, können wir nicht sicher sein, daß die Wirklichkeit prinzipiell so geartet ist, daß sie sich modellieren lässt. ....

Gegenfrage:
Könnten wir uns überhaupt als evoluierte Wesen miteinander über dieses Thema unterhalten, wenn das nicht so wäre?

fwo


Ja. Über den Mesokosmos.

Wenn man sich über die Regelhaftigkeit (Modellierbarkeit) des Mesokosmos einig ist: Welchen Sinn macht es dann, von einer Regellosigkeit des Mikrokosmos auszugehen, die gleichzeitig so geartet sein müsste, dass sie zu einer makroskopischen Regelhaftigkeit führen müsste?

Ich mag intellektuelle Spielereien, aber diese hier halte ich für sinnlos.

fwo

#463:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 13.08.2010, 19:09
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
... können wir nicht sicher sein, daß die Wirklichkeit prinzipiell so geartet ist, daß sie sich modellieren lässt. Ich gehe eher davon aus, daß wir einige Voraussetzungen unseres Denkens erst noch zu entdecken haben.

Wenn die Wirklichkeit nur scheinbar modelliebar wäre, "in Wirklichkeit" jedoch unmodellierbar, dann wäre dies keinerlei Erkenntnisquelle über sie. Zwei Dinge müssen sowieso soclhen Fragen bereits vorgeschaltet sein:

- eine hinreichende Modellierbarkeit, ohne die wir gar nicht fragen könnten
- ein (wiederum modellartiges) Kriterium, was wir als "wirklich" bezeichnen

Die detaillierten Voraussetzungen unseres Denkens sind natürlich noch zu entdecken. Entdecken heißt jedoch modellieren.

#464:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 13.08.2010, 21:52
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Ich sehe etwas, was meinem Konzept 'Baum' entspricht sitzend auf etwas, was meinem Konzept 'Wiese' entspricht.

Aber diese Konzepte sind mir nicht angeboren. Ich muss einmal auf einer Wiese gesessen und einen Baum gesehen haben, oder es wenigstens aus einem Bilderbuch gelernt haben, um die Konzepte 'Baum' und 'Wiese' zu besitzen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
"If it looks like a duck, swims like a duck, and quacks like a duck, then it probably is a duck."

Schön.

#465:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 13.08.2010, 22:49
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich sehe etwas, was meinem Konzept 'Baum' entspricht sitzend auf etwas, was meinem Konzept 'Wiese' entspricht.

Aber diese Konzepte sind mir nicht angeboren. Ich muss einmal auf einer Wiese gesessen und einen Baum gesehen haben, oder es wenigstens aus einem Bilderbuch gelernt haben, um die Konzepte 'Baum' und 'Wiese' zu besitzen.

Nein, diese Konzepte sind mir mAn nicht angeboren, sie entwickeln sich innerhalb einer (Sprach-)Gemeinschaft in den ersten Lebensjahren. (Angeboren ist jedoch die grundlegende Fähigkeit, überhaupt Teil dieser Sprachgemeinschaft werden zu können.)

Meiner Auffassung nach ist ein Mensch Teil eines sozialen Systemes, (bestehend aus anderen Menschen), einer Sprachgemeinschaft, und nur als solcher Teil kann sich die angelegte Fähigkeit überhaupt entwickeln.

Siehe dazu auch hier, (eine Seite über 'Wolfskinder').

Letztlich ist das, was einen Menschen ausmacht, wohl gar nicht im Individuum zu finden, sondern in der Kultur, der Gemeinschaft. Und somit wohl auch das, was das (normale) menschliche Bewusstein ausmacht.

#466:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 14.08.2010, 10:58
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Letztlich ist das, was einen Menschen ausmacht, wohl gar nicht im Individuum zu finden, sondern in der Kultur, der Gemeinschaft. Und somit wohl auch das, was das (normale) menschliche Bewusstein ausmacht.

Sehe ich genauso.

#467:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 14.08.2010, 14:22
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
[...]
"If it looks like a duck, swims like a duck, and quacks like a duck, then it probably is a duck."
Die Frage, ob Modelle falsch sind, ist solange sinnlos, solange es keine Möglichkeit gibt, die Falschheit festzustellen.
Die Frage kann daher dann nur sein: a) sind die Modelle nützlich und b) gibt es bessere Modelle, die die alten ersetzen können.

b) ist wann der Fall?

#468:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 14.08.2010, 16:21
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Die Frage, ob Modelle falsch sind, ist solange sinnlos, solange es keine Möglichkeit gibt, die Falschheit festzustellen.
Die Frage kann daher dann nur sein: a) sind die Modelle nützlich und b) gibt es bessere Modelle, die die alten ersetzen können.

b) ist wann der Fall?

Wenn das neue Modell etwas besser erklären kann als das alte oder bessere Vorhersagen erlaubt oder wenn es umfassender als das alte Modell ist, d.h. vorher unabhängige Modelle in einen Zusammenhang bringen kann oder wenn es sparsamer bezüglich der Annahme von Entitäten ist oder wenn es plausibler ist.

(Ohne Anspruch auf Vollständigkeit.)

#469:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 14.08.2010, 17:00
    —
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wobei das Modell natürlich schlechter ist, umso besser man das Gehirn von seiner Umwelt isoliert.
Wieso? Und inwiefern 'schlechter'? Gemeint als 'inkonsistent', 'unlogisch'? Wenn ja: wieso sollte dann der hier angenommen Super-Hyper-Duper-Computer keine konsistente Umwelt simulieren können?

Konsistent ja, aber "schlechter" im Sinne von: es fehlen Teile des Modells, die sich auf Details der Umwelt beziehen, über die keine Information vorliegt. Ähnlich wie wir z.B. sehr wenig wissen über Teile des Universums, aus denen kein Licht zu uns kommt.

Ich verstehe immer noch nicht. Weil Du nicht explizit unterscheidest zwischen 'äußerer Umwelt' und 'innerer Umwelt'. Im Gedankenexperiment ist die 'äußere Umwelt' diejenige (dasjenige 'Universum'), in der sich das Gehirn samt Leitungen und Computer befindet, die 'innere Umwelt' (das innere 'Universum') diejenige, die vom Computer simuliert wird.

Welche Teile wessen Modelles fehlen also wieso wo?

Alle Modelle aus der 1.-Person-Perspektive des Gehirnes beziehen sich auf strukturelle Zustände des Computers.

#470:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 14.08.2010, 18:52
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Im Gedankenexperiment ist die 'äußere Umwelt' diejenige (dasjenige 'Universum'), in der sich das Gehirn samt Leitungen und Computer befindet, die 'innere Umwelt' (das innere 'Universum') diejenige, die vom Computer simuliert wird.

Welche Teile wessen Modelles fehlen also wieso wo?

Dem Modell, dad das Gehirn im Tank sich von der (gesamten) Welt macht, fehlen Teile der von Dir "äußere" genannten Umwelt, das es über sie zu spärliche Informationen bezieht.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Alle Modelle aus der 1.-Person-Perspektive des Gehirnes beziehen sich auf strukturelle Zustände des Computers.

Strukturelle Zustände des Computers sind aber Teil der von Dir "äußere" genannten Umwelt.

#471:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 14.08.2010, 19:20
    —
step hat folgendes geschrieben:
Dem Modell, dad das Gehirn im Tank sich von der (gesamten) Welt macht, fehlen Teile der von Dir "äußere" genannten Umwelt, das es über sie zu spärliche Informationen bezieht.

Das Gehirn bezieht aber doch, das ergibt sich aus dem Gedankenexperiment-Versuchsaufbau, überhaupt keine Informationen über die äußere Umwelt (mangels Sensoren) und deren Aufbau, deren Komplexität, deren physikalischen Gesetze etc.

step hat folgendes geschrieben:
Strukturelle Zustände des Computers sind aber Teil der von Dir "äußere" genannten Umwelt.

Aber das Gehirn kann doch diese strukturellen Zustände nicht erkennen. Ebensowenig, wie ich strukturelle Zustände in meinem Gehirn direkt erkennen kann. Indirekt kann ich sie zwar erkennen, durch Messungen an meinem Gehirn, aber diese Möglichkeit hat das BIV (brain in an vat) nun mal nicht.

Mir ist nicht klar wo hier unser Verständnisproblem liegt.

#472:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 14.08.2010, 19:34
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Das Gehirn bezieht aber doch, das ergibt sich aus dem Gedankenexperiment-Versuchsaufbau, überhaupt keine Informationen über die äußere Umwelt (mangels Sensoren) und deren Aufbau, deren Komplexität, deren physikalischen Gesetze etc. ... Mir ist nicht klar wo hier unser Verständnisproblem liegt.

Ich denke es liegt letztlich darin, daß ich die o.g. Voraussetzung nicht für realistisch halte. Die innere Welt überschneidet nach meiner Auffassung sozusagen immer mit der äußeren Welt.

#473:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 14.08.2010, 21:27
    —
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Das Gehirn bezieht aber doch, das ergibt sich aus dem Gedankenexperiment-Versuchsaufbau, überhaupt keine Informationen über die äußere Umwelt (mangels Sensoren) und deren Aufbau, deren Komplexität, deren physikalischen Gesetze etc. ... Mir ist nicht klar wo hier unser Verständnisproblem liegt.

Ich denke es liegt letztlich darin, daß ich die o.g. Voraussetzung nicht für realistisch halte. Die innere Welt überschneidet nach meiner Auffassung sozusagen immer mit der äußeren Welt.

Ich verstehe immer noch nicht. (Sorry, manchmal stehe ich wohl einfach auf dem Schlauch.)

Stelle Dir jetzt einfach mal vor, Du bist ein Gehirn im Tank. Alle Erlebnisse werden Dir durch eine Art Computer eingespeist, der in einer anderen 'Welt' existiert als in der, die Deine 'Welt' ist, (die von ihm simulierte).

Was doch bedeutet: Du kannst gar nichts wissen über die 'Welt', in der der Computer existiert. Denn Du hast gar keine Sensoren, die mit der Welt des Computers verbunden sind, die Dir Informationen über diese Welt geben könnten.

Wenn Du nun nichts wissen kannst über die Welt des Computers, dann weißt Du auch nicht, wie komplex diese Welt ist, was es dort für Entitäten, physikalische Gesetze etc. gibt.

Du kannst nun wohl Folgendes schließen: wenn dem so ist und dieser Computer mein ganzes Universum simuliert, dann muss dieser Computer komplexer als mein 'Universum' (das simulierte Universum) sein.

Aber mehr kannst Du nicht schließen. Du kannst z.B. keineswegs aus den simulierten Naturgesetzen Deiner Welt auf die Naturgesetze der Welt des Computers schließen.

Der Computer simuliert Deine gesamte Welt, Deinen Körper, die anderen Leute, Deinen Urlaub, einfach alles. Dass er komplexer als das Simulierte sein muss, spielt keine Rolle, weil Du ja keine Informationen über die Komplexität seiner 'Welt' erlangen kannst. Also kann man eine beliebige Komplexität annehmen.

Was Du für realistisch hältst, hängt logischerweise von Deinem Universum ab, das ja aber hier im Gedankenexperiment komplett simuliert wird.

Und ein Schluss von einem simulierten Universum auf Eigenschaften des simulierenden Universums scheint mir ein Fehlschluss zu sein.

#474:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 15.08.2010, 12:09
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... ein Schluss von einem simulierten Universum auf Eigenschaften des simulierenden Universums scheint mir ein Fehlschluss zu sein.

Hmm ... also wie gesagt, mein Einwand bezieht sich auf die evtl. unausweichlichen Folgen der Annahme, ein Gehirn im Tank werde mit Input von außen versorgt oder sei auch nur auf ein Substrat der äußeren Welt angewiesen.

Daher möchte ich nochmals darauf hinweisen, daß es hier nicht um ein simuliertes Bewußtsein geht, sondern um eine simulierte Welt, die einem realen Gehirn im Tank vorzugaukeln versucht wird.

Das bedeutet (ist vielleicht vielen hier klar, ich weiß aber aus anderen Diskussionen, daß das gern verwechselt wird): Als Gehirn im Tank wäre ich nicht Teil einer Simulation, außer insofern daß das Selbstmodell in gewisser Weise als Simulation angesehen werden kann, die das Gehirn ausbildet, ebenso wie Gehirne außerhalb des Tanks. Und dem Gehirn im Tank werden keine "falschen Naturgesetze" einprogrammiert, sondern es werden ihm nur "merkwürdige inputs" eingespeist, und zwar über eine physikalische, nichtsimulierte, sensorische Schnittstelle, im Extremfall (keine Sinnesorgane) eine low-level-neuronale Schnittstelle (elektrische Impulse). (**)

Das Gehirn-im-Tank Problem hat daher nicht viel mit dem Zombie-Problem zu tun, also mit der Frage, ob ein simuliertes Bewußtsein bewußt wäre (oder so ähnlich). Sondern es hat eher Ähnlichkeit mit beispielsweise der Situation, daß wir mit unseren Teleskopen die Sterne beobachten, aber ein mächtiges Wesen all diese Lichtblitze künstlich generiert und uns damit zu einer "physikalisch falschen" Kosmologie verleitet.

Das - hinreichend intelligente - Gehirn im Tank wird also versuchen, aus den Inputs ein Modell der Welt zu bilden und seine Theorien zu falsifizieren. Dieses Modell ist daher p.d. ein Modell derselben äußeren Welt (inklusive dem Gehirnsubstrat selbst), allerdings natürlich ein umso abweichenderes und ärmeres, je ärmer bzw. irreführender die Inputs auf der Schnittstelle sind.

Erklärt das meinen Einwand besser? Kannst Du bis dahin zustimmen?

Ich finde insgesamt das Gehirn-im-Tank GE nicht so gut geeignet, da zuviele andere Fragen mit hereingemischt werden, z.B. ob man einem nativen Gehirn eines sozialen Wesens überhaupt sinnvollen neuronalen Input eingeben kann, wie es überhaupt intelligent werden kann, usw.

(**) Ob, um diese Impulse zu generieren, wiederum eine Simulation des Gehirns notwendig wäre, soll hier mal außen vor bleiben.

#475:  Autor: Deus ex Machina BeitragVerfasst am: 16.08.2010, 01:10
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich habe Bewusstsein, ich fühle etwas, ich habe phänomenales Empfinden, ich nehme etwas wahr. Da ist nichts grundsätzlich Unerkennbares dabei, im Gegenteil ist das das unmittelbar Erkennbare.

Das ist alles, mehr gibt es eigentlich dazu nicht zu sagen.


Dafür dauert die Diskussion aber schon recht lange. Sehr glücklich

Die ursprüngliche Frage war ja, ob das Bewusstsein uns ein tiefes Rätsel aufgibt welches mit unseren momentanen Methoden nicht lösbar ist. Ich finde da die Unterscheidung, die Bieri zwischen "kognitivem Bewusstsein" und "Bewusstsein im Sinne von Erleben" trifft, sehr hilfreich. Ersteres gibt uns - wie er schreibt - kein grundsätzliches Rätsel auf, zweiteres gemäss ihm und anscheinend auch dir schon, gemäss mir aber nicht. "Warum könnte die Fabrik mit dem übrigen Körper und seiner Umgebung nicht genau so verbunden sein wie jetzt, so daß der kognitive Gehalt der Vorgänge. ihre Bedeutung, genau dieselbe wäre, aber ohne daß ein Erleben stattfände?" Meines Erachtens kommt ein Grossteil der Verwirrung daher, dass wir Vokabeln unserer Beschreibung der Welt aus der 3.-Person-Perspektive für das Erleben verwenden, "das Erleben findet statt". Ich erlebe etwas, in meiner 1.-Person-Perspektive, aber da gibt es nichts zu erklären. Es gibt in unserem Erlebnisstrom ja gerade dann erst etwas zu erklären, wenn wir aus den Erlebnissen beginnen, ein Modell der Welt zu erstellen (was wir im Alltag ständig und unbewusst tun) und somit eine 3.-Person-Perspektive einnehmen. Zu Erklärendes gibt es nur in diesem Weltmodell, nicht in dem unmittelbaren Erleben. In der 1.-Person-Perspektive gibt es nichts zu erklären und in der 3.-Person-Perspektive lässt sich kein "Rätsel des Bewusstseins" formulieren, da dort das „Erleben“ eben nur als Phänomen wie jedes andere auch auftritt (nur im kognitiven Sinne nach Bieri).

Meines Erachtens kann man sagen: Sobald man alle Überzeugungen über Bewussteinsinhalte erklärt hat, hat man alles erklärt, was es zu erklären gibt (den Gedanken habe ich von Dennett). Bewusstseinsinhalte, von denen die Person, welche sie hat, nicht glaubt, sie zu haben, sind ein sinnloses Konstrukt da grundsätzlich unerkennbar. Dass Du diesen letzten Teilsatz geschrieben hast, war ja der Grund, warum ich mich in die Diskussion eingeklinkt habe. Überzeugungen über Bewusstseinsinhalte lassen sich grundsätzlich mit den bekannten wissenschaftlichen Methoden erklären, da es eben Phänomene der Welt aus der 3.-Person-Perspektive sind.

#476:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 16.08.2010, 12:13
    —
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:

Sobald man alle Überzeugungen über Bewussteinsinhalte erklärt hat, hat man alles erklärt, was es zu erklären gibt [...] Überzeugungen über Bewusstseinsinhalte lassen sich grundsätzlich mit den bekannten wissenschaftlichen Methoden erklären, da es eben Phänomene der Welt aus der 3.-Person-Perspektive sind.

Genau, das denke ich auch: Wenn man erklären kann, wie es dazu kommt, dass eine Versuchsperson - nach eigener Angabe - ein 'Rot'-Erlebnis hat, dann ist alles erklärt, was es zu erklären gibt, wenn man erkären wil, wie Rot-Erlebnisse zustande kommen. Man muss dazu nicht wissen oder nachvollziehen können, was die Person genau innerlich erlebt - man muss nicht wissen, wie es für diese Person ist, etwas 'Rotes' zu sehen.

Die 'Erklärungslücke' besteht lediglich darin, dass wir der Versuchsperson glauben müssen, dass sie nicht lügt. Die 'Erklärungslücke' ist also eigentlich keine Erklärungslücke, sondern nur eine Beweislücke.

Das 'Rätsel' des Bewusstseins liegt meiner Ansicht nach woanders: Nicht in der Frage 'Wie kommt ein Rot-Erlebnis zustande?', sondern in der Frage: Wie kommt es, dass das subjektive Erleben objektive Folgen hat? Wir können zwar m. E. recht gut erklären, welche Funktion das Bewusstsein hat und weshalb es im Verlauf der Evolution entstanden ist (es ermöglicht die Wahl zwischen verschiedenen Verhaltensalternativen, indem es uns sagt, was zu tun ist, uns aber nicht zwingt, dies zu tun. Und es ermöglicht einem Lebewesen, von der Reaktion zur Aktion überzugehen und ein Ziel zu verfolgen). Aber diese Erklärungen setzen voraus, dass das bewusste Erleben überhaupt eine physische Wirkung hat und nicht nur ein Epiphänomen ist. Die physische Wirkung des Geistigen - sowohl des bewussten Erlebens als auch des Denkens - ist mit den gegenwärtig diskutierten Theorien aber nicht zu erklären. Das 'Rätsel' ist nach wie vor das 'Leib-Seele-Problem'.

#477:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 16.08.2010, 14:21
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
Die physische Wirkung des Geistigen - sowohl des bewussten Erlebens als auch des Denkens - ist mit den gegenwärtig diskutierten Theorien aber nicht zu erklären. Das 'Rätsel' ist nach wie vor das 'Leib-Seele-Problem'.

Nur wenn man von einem Dualismus ausgeht, der aber in sich nicht konstistent ist. Wenn du davon ausgehst, daß es einen Unterschied zwischen Körper und Geist gibt, dann mußt du eine Mechanismus annehmen, der die Wechselwirkung zwischen beiden realisiert.

Wenn du dagegen davon ausgehst, daß Körper und Geist ein und dasselbe sind, daß unsere Persönlichkeit nichts anderes ist als die Gesamtheit unserer nervlichen und neuronalen Vorgänge, und unserer Bewußtsein nichts anderes als die Ich-Perspektive dieser Vorgänge, die Art und Weise, wie uns selbst die Vorgänge unseres Körpers und unseres Gehirns bewußt werden, dann gibt es zumindest kein prinzipielles Erklärungsproblem.

Und es ist ja auch nicht wahr, daß wir nicht wenigstens annähernd wüßten, wie sich das Bewußtsein der anderen aus deren Ich-Perspektive anfühlt. Es gibt längst Versuche von Neurowissenschaftlern, mit denen man herausgefunden hat, daß die Gehirne von Menschen sogar in der Lage sind, sich zu synchronisieren, zB bei gemeinsamen Erzählen von Geschichten. Besonders wenn sie beiden bekannt sind, werden exakt die gleichen Gehirnregionen aktiv.

#478:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 16.08.2010, 17:06
    —
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
"Warum könnte die Fabrik mit dem übrigen Körper und seiner Umgebung nicht genau so verbunden sein wie jetzt, so daß der kognitive Gehalt der Vorgänge. ihre Bedeutung, genau dieselbe wäre, aber ohne daß ein Erleben stattfände?" Meines Erachtens kommt ein Grossteil der Verwirrung daher, dass wir Vokabeln unserer Beschreibung der Welt aus der 3.-Person-Perspektive für das Erleben verwenden, "das Erleben findet statt". Ich erlebe etwas, in meiner 1.-Person-Perspektive, aber da gibt es nichts zu erklären. Es gibt in unserem Erlebnisstrom ja gerade dann erst etwas zu erklären, wenn wir aus den Erlebnissen beginnen, ein Modell der Welt zu erstellen (was wir im Alltag ständig und unbewusst tun) und somit eine 3.-Person-Perspektive einnehmen. Zu Erklärendes gibt es nur in diesem Weltmodell, nicht in dem unmittelbaren Erleben. In der 1.-Person-Perspektive gibt es nichts zu erklären und in der 3.-Person-Perspektive lässt sich kein "Rätsel des Bewusstseins" formulieren, da dort das „Erleben“ eben nur als Phänomen wie jedes andere auch auftritt (nur im kognitiven Sinne nach Bieri).

Hm, verstehe ich das richtig: Du sagst, es gibt verschiedene 'Betriebsmodi', in denen sich ein Mensch befinden kann. Da ist der 'reine Erlebens-Modus' und dann gibt es noch den 'Erklären-Modus'.

So weit, so gut, das kann ich ja noch nachvollziehen. Aber wie kommst Du nun darauf, dass sich beide ausschließen, man entweder nur in einen Modus oder im anderen sein, (das scheinst Du implizit annzunehmen)? Und wieso ergibt sich nun, dass der 'Erleben-Modus' keiner weiteren Erklärung bedürfte? Es ist jedenfalls nicht richtig, dass der 'Erleben-Modus' vom 'Erklären-Modus' völlig unabhängig / getrennt sein kann, denn wäre er das, dann wüsste ich gar nicht, dass ich etwas erlebe und könnte das folglich auch nicht kommunizieren, ('dieser Wein schmeckte mir ausgezeichnet'). Und dann kann ich doch problemlos davon ausgehen, dass das phänomenale Erleben 'stattgefunden' hat, ich sehe nicht, was daran nun falsch ausgedrückt sein könnte.

Na gut, vielleicht habe ich da auch nur was falsch verstanden.

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Meines Erachtens kann man sagen: Sobald man alle Überzeugungen über Bewussteinsinhalte erklärt hat, hat man alles erklärt, was es zu erklären gibt (den Gedanken habe ich von Dennett). Bewusstseinsinhalte, von denen die Person, welche sie hat, nicht glaubt, sie zu haben, sind ein sinnloses Konstrukt da grundsätzlich unerkennbar. Dass Du diesen letzten Teilsatz geschrieben hast, war ja der Grund, warum ich mich in die Diskussion eingeklinkt habe. Überzeugungen über Bewusstseinsinhalte lassen sich grundsätzlich mit den bekannten wissenschaftlichen Methoden erklären, da es eben Phänomene der Welt aus der 3.-Person-Perspektive sind.

Was meinst Du mit 'Bewusstseinsinhalten, von denen die Person, welche sie hat, nicht glaubt, sie zu haben' zum Beispiel konkret? Meinst Du damit Qualia?

Ich bin überzeugt, phänomenale Erlebnisse zu haben. Wie erklärst Du das nun mit den bekannten wissenschaftlichen Methoden? Oder sind das keine 'Bewusstseinsinhalte'?

#479:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 16.08.2010, 21:07
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Nur wenn man von einem Dualismus ausgeht, der aber in sich nicht konstistent ist. Wenn du davon ausgehst, daß es einen Unterschied zwischen Körper und Geist gibt, dann mußt du eine Mechanismus annehmen, der die Wechselwirkung zwischen beiden realisiert.

Die dualistischen Positionen sind in sich nicht widersprüchlich. Aber sowohl der Substanz-Dualismus (= das Geistige ist nichts Physisches) als auch der Eigenschafts-Dualismus (= Gehirnvorgänge haben die Eigenschaft, physisch wirksam zu sein, und manche Gehirnvorgänge haben zusätzlich die Eigenschaft, bewusst zu sein) erklären nicht, wie das Geistige physisch wirken kann. Deshalb können diese dualistischen Positionen nur falsch sein.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Wenn du dagegen davon ausgehst, daß Körper und Geist ein und dasselbe sind, daß unsere Persönlichkeit nichts anderes ist als die Gesamtheit unserer nervlichen und neuronalen Vorgänge, und unserer Bewußtsein nichts anderes als die Ich-Perspektive dieser Vorgänge, die Art und Weise, wie uns selbst die Vorgänge unseres Körpers und unseres Gehirns bewußt werden, dann gibt es zumindest kein prinzipielles Erklärungsproblem.

Das klingt gut - nur ist eben gerade diese Position - die Identitätstheorie - inkonsistent. Die Argumente dagegen hab ich schon im "Transzendenz"-Thread aufgelistet. Hier sind sie nochmal:

Gedanken und Gefühle wären mit Gehirnvorgängen identisch, wenn alle Eigenschaften von Gedanken und Gefühlen auch Eigenschaften der ihnen entsprechenden Gehirnvorgänge wären. Das ist aber nicht so:

Erstens haben Gedanken und Gefühle die Eigenschaft, nur von innen, aus der Erste-Person-Perspektive, erlebbar zu sein. Gehirnvorgänge dagegen haben die Eigenschaft, nur von außen, aus der Dritte-Person-Perspektive, beobachtbar zu sein.

Zweitens haben Gefühle die Eigenschaft, sich irgendwie anzufühlen: Wenn ich Schmerzen im Fuß habe, dann tut mir der Fuß weh. Einem Hirnforscher, der die meinem Schmerz zugehörigen Gehirnvorgänge (das "Feuern" von C-Fasern) auf dem Computertomografen beobachtet, tut hoffentlich nichts weh.

Drittens haben Gedanken die Eigenschaft, etwas zu bedeuten, in der Regel handelt es sich um Aussagen. Aussagen können wahr oder falsch sein. Ein Gehirnvorgang dagegen kann nicht wahr oder falsch sein - er ist, wie jeder Naturvorgang, einfach die Folge seiner Ursachen.

Viertens: Die Aussage "Der Hund bellt." sei ein Gedanke. Wenn dieser Gedanke in einem Gehirnvorgang codiert wäre, der damit der Träger dieser Aussage wäre, dann wäre der Gedanke nicht mit dem Gehirnvorgang identisch, denn der Träger ist nicht identisch mit dem, was er trägt.

#480:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 16.08.2010, 21:28
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:

Gedanken und Gefühle wären mit Gehirnvorgängen identisch, wenn alle Eigenschaften von Gedanken und Gefühlen auch Eigenschaften der ihnen entsprechenden Gehirnvorgänge wären. Das ist aber nicht so:

Erstens haben Gedanken und Gefühle die Eigenschaft, nur von innen, aus der Erste-Person-Perspektive, erlebbar zu sein. Gehirnvorgänge dagegen haben die Eigenschaft, nur von außen, aus der Dritte-Person-Perspektive, beobachtbar zu sein.

Das liegt aber nur daran, daß du die Begriffe so verwendest, wie du es tust. Wenn du dir statt dessen klarmachst, daß ein Teil unserer Gehirnvorgänge die Eigenschaft haben, eine Ich-Perspektive zu besitzen, nämlich genau die, die wir aus der Ich-Perspektive Gedanken und Gefühle nennen, löst sich dein Dilemma in Wohlgefallen auf.


Zuletzt bearbeitet von Marcellinus am 16.08.2010, 21:29, insgesamt einmal bearbeitet

#481:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 16.08.2010, 21:29
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
Gedanken und Gefühle wären mit Gehirnvorgängen identisch, wenn alle Eigenschaften von Gedanken und Gefühlen auch Eigenschaften der ihnen entsprechenden Gehirnvorgänge wären. Das ist aber nicht so: ...

Eine Variante wäre, daß ein bewußter Gedanke oder ein bewußtes Gefühl entsteht, wenn unser Gehirn (Funktionsgruppe A) unser Gehirn (Funktionsgruppe B) beim B-Funktionieren modelliert. Das wäre dann aus subjektiver Sicht ein Gefühl, aus objektiver Sicht ein Gehirnvorgang A(B).

#482:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 18.08.2010, 12:49
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Wenn du dir statt dessen klarmachst, daß ein Teil unserer Gehirnvorgänge die Eigenschaft haben, eine Ich-Perspektive zu besitzen, nämlich genau die, die wir aus der Ich-Perspektive Gedanken und Gefühle nennen, löst sich dein Dilemma in Wohlgefallen auf.

step hat folgendes geschrieben:

Eine Variante wäre, daß ein bewußter Gedanke oder ein bewußtes Gefühl entsteht, wenn unser Gehirn (Funktionsgruppe A) unser Gehirn (Funktionsgruppe B) beim B-Funktionieren modelliert. Das wäre dann aus subjektiver Sicht ein Gefühl, aus objektiver Sicht ein Gehirnvorgang A(B).

Ich will an einem Beispiel erklären, dass das Problem, um das es hier geht, mit 1.-Person- und 3.-Person-Perspektive allein nicht zu erklären ist:

Das, was auf dem Bildschirm eines Computers zu sehen ist (Schrift, Bilder) ist unmittelbar verständlich. Ebenso sind uns unsere eigenen Gedanken und Gefühle unmittelbar verständlich. Was im Inneren des Computers und des Bildschirms vorgeht, verstehen dagegen nur Experten. Das, was im Inneren des Gehirns vorgeht, verstehen auch nur Experten. Die Informationen, die auf dem Computerbildschirm erscheinen, sind auch im Inneren des Computers vorhanden (auf der Festplatte oder im Arbeitsspeicher), aber sie sind dort in codierter, nicht unmittelbar verständlicher Form vorhanden. Die Informationen, die uns als Gefühle und Gedanken bewusst werden, sind auch in den Gehirnstrukturen (Neuronenverschaltungen) und Gehirnprozessen (elektrische und chemische Vorgänge) in codierter, nicht unmittelbar verständlicher Form enthalten.

Man kann also das Verhältnis Bildschirm - Computerprozesse recht gut mit dem Verhältnis Bewusstsein - Gehirnprozesse vergleichen. Nun gibt es aber im Fall des Computers keine 1.-Person-Perspektive, denn wir nehmen sowohl den Bildschirm als auch den Rechner und die Vorgänge darin aus der 3.-Person-Perspektive wahr. Es gibt auch keine 'Erklärungslücke', denn ein Fachmann kann lückenlos erklären, wie die Prozesse in Rechner und Bildschirm das sichtbare Bild erzeugen, und, was noch wichtiger ist, alle Zusammenhänge lassen sich lückenlos empirisch nachweisen. Trotzdem werden wir nicht sagen: Das, was auf dem Bildschirm erscheint, ist mit den Vorgängen im Rechner+Bildschirm identisch - denn das ist es ja offensichtlich nicht. Allein durch den Unterschied zwischen !.- und 3.-Person-Perspektive entsteht das Problem also nicht.

Was auf dem Bildschirm erscheint, ist die 'Benutzeroberfläche' des Computers. Analog kann man, denke ich, sagen: Das Bewusstsein ist die 'Benutzeroberfläche des Gehirns'. Und die Benutzeroberfläche ist nicht identisch mit den Prozessen, durch die sie entsteht - sie ist ihr Produkt. Aber während das Bildschirmbild das Endprodukt der Vorgänge im Computer ist, ist das Bewusstsein sowohl Produkt als auch Ausgangspunkt von Gehirnvorgängen: Gedanken erzeugen neue Gedanken oder bewirken Handlungen, Gefühle erzeugen Gedanken... Dazwischen liegen das Verstehen und das selbständige Entscheiden, und dazu sind Computer nicht fähig - dazu sind nur Lebewesen fähig, denn nur sie können verstehen, was Informationen bedeuten.

Das 'Leib-Seele-Problem' besteht also nicht nur darin, zu erklären, wie die 'Benutzeroberfläche Bewusstsein' im Gehirn entsteht, sondern auch darin, zu erkären, wie sie wirkt: wie das Verstehen von Informationen (Gedanken und Gefühlen) neue Gehirnprozesse oder physische Handlungen auslöst - wie also etwas Geistiges, das Verstehen von Bedeutungen, physikalisch wirksam sein kann.

#483:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 18.08.2010, 13:25
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
....

Gute Beschreibung bis auf die Tatsache, dass Benutzer und Benutzeroberfläche hier identisch sind: Das Bewusstssein betrachtet gewissermaßen sich selbst.
Aber bevor wir festhalten, dass das grundsätzlich unlösbar ist - da sehe ich noch keinen Grund für - sollten wir uns einfach mal mit den basalen Problemen beschäftigen, die uns das System im Moment aufgibt:

Wir kennen die Datenrepresentation nicht.
Wir kennen die Wortgröße und damit den Prozessor nicht.

Wir können nur aus dem Verhalten des Systems schließen, dass derartiges vorhanden sein muss. Dabei können wir uns zwar grundsätzliche Gedanken zur Architektur des Systems mit Top-Down oder Bottom-up Prozess-Ketten machen, aber wir bewegen uns dabei mehr oder weniger noch im luftleeren Raum.

Falls wir die Beantwortung dieser Fragen noch erleben, würde es mich übrigens gar nicht wundern, wenn die Lösung wesentlich von dem Fakt geprägt ist, den Du bewusst? unterschlagen hast und der so schwierig zu modellieren ist: Der Identität von Oberfläche und Nutzer.

fwo

#484:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 18.08.2010, 20:47
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Gute Beschreibung bis auf die Tatsache, dass Benutzer und Benutzeroberfläche hier identisch sind...

Nein, das ist nicht so, denn die Benutzeroberfläche ist nur das Bewusstsein. Am Verstehen und Entscheiden haben aber unbewusste Prozesse wesentlichen Anteil - das ist durch viele Experimente belegt. Es wird auch genutzt, z. B. durch den Einsatz unterschwelliger Reize in der Werbung.

Wer ist also der Nutzer? Es ist das 'Ich' oder die Person. Eine Person ist mehr als ihr Bewusstsein. Sie ist auch mehr als ihr Gehirn. Sie ist der Mensch als Ganzes.

.


Zuletzt bearbeitet von kalmar am 18.08.2010, 21:07, insgesamt einmal bearbeitet

#485:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 18.08.2010, 21:04
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:

Ich will an einem Beispiel erklären, dass das Problem, um das es hier geht, mit 1.-Person- und 3.-Person-Perspektive allein nicht zu erklären ist:

Das, was auf dem Bildschirm eines Computers zu sehen ist (Schrift, Bilder) ist unmittelbar verständlich. Ebenso sind uns unsere eigenen Gedanken und Gefühle unmittelbar verständlich. Was im Inneren des Computers und des Bildschirms vorgeht, verstehen dagegen nur Experten. Das, was im Inneren des Gehirns vorgeht, verstehen auch nur Experten. Die Informationen, die auf dem Computerbildschirm erscheinen, sind auch im Inneren des Computers vorhanden (auf der Festplatte oder im Arbeitsspeicher), aber sie sind dort in codierter, nicht unmittelbar verständlicher Form vorhanden. Die Informationen, die uns als Gefühle und Gedanken bewusst werden, sind auch in den Gehirnstrukturen (Neuronenverschaltungen) und Gehirnprozessen (elektrische und chemische Vorgänge) in codierter, nicht unmittelbar verständlicher Form enthalten.

Unsere eigenen Gedanken sind uns alles nur nicht unmittelbar verständlich, sonst hätten wir ja nicht diese Diskussion. Dadurch daß du Computer und Display mit Gehirn und Bewußtsein vergleichst, unterstellst du, was erst bewiesen werden müßte.
kalmar hat folgendes geschrieben:

Man kann also das Verhältnis Bildschirm - Computerprozesse recht gut mit dem Verhältnis Bewusstsein - Gehirnprozesse vergleichen. Nun gibt es aber im Fall des Computers keine 1.-Person-Perspektive, denn wir nehmen sowohl den Bildschirm als auch den Rechner und die Vorgänge darin aus der 3.-Person-Perspektive wahr. Es gibt auch keine 'Erklärungslücke', denn ein Fachmann kann lückenlos erklären, wie die Prozesse in Rechner und Bildschirm das sichtbare Bild erzeugen, und, was noch wichtiger ist, alle Zusammenhänge lassen sich lückenlos empirisch nachweisen. Trotzdem werden wir nicht sagen: Das, was auf dem Bildschirm erscheint, ist mit den Vorgängen im Rechner+Bildschirm identisch - denn das ist es ja offensichtlich nicht. Allein durch den Unterschied zwischen !.- und 3.-Person-Perspektive entsteht das Problem also nicht.

Da haben wir es! Man kann das eben nicht vergleichen, also gehen auch alle deine Folgerungen in die Irre. Das Bewußtsein ist eben keine Projektion, keine Darstellung und keine Funktion des Gehirns. Du leitest das aus einem Analogieschluß ab, der keiner ist.
kalmar hat folgendes geschrieben:

Was auf dem Bildschirm erscheint, ist die 'Benutzeroberfläche' des Computers. Analog kann man, denke ich, sagen: Das Bewusstsein ist die 'Benutzeroberfläche des Gehirns'. Und die Benutzeroberfläche ist nicht identisch mit den Prozessen, durch die sie entsteht - sie ist ihr Produkt. Aber während das Bildschirmbild das Endprodukt der Vorgänge im Computer ist, ist das Bewusstsein sowohl Produkt als auch Ausgangspunkt von Gehirnvorgängen: Gedanken erzeugen neue Gedanken oder bewirken Handlungen, Gefühle erzeugen Gedanken... Dazwischen liegen das Verstehen und das selbständige Entscheiden, und dazu sind Computer nicht fähig - dazu sind nur Lebewesen fähig, denn nur sie können verstehen, was Informationen bedeuten.

Es wird durch Widerholung nicht besser. Der Bildschirminhalt ist auch nicht das Endprodukt der Vorgänge im Computer, sondern eine von vielen Funktionen. Deinem Scheinvergleich fehlt es schon an Präzision bei der Beschreibung der Vorgänge in einem Computer. Daraus etwas für das menschliche Bewußtsein abzuleiten, ist schlicht falsch. Menschen und Computer sind in keiner Weise zu vergleichen. Das eine sind Lebewesen, entstanden in der Evolution, das andere Werkzeuge für eben diese Menschen.
kalmar hat folgendes geschrieben:

Das 'Leib-Seele-Problem' besteht also nicht nur darin, zu erklären, wie die 'Benutzeroberfläche Bewusstsein' im Gehirn entsteht, sondern auch darin, zu erkären, wie sie wirkt: wie das Verstehen von Informationen (Gedanken und Gefühlen) neue Gehirnprozesse oder physische Handlungen auslöst - wie also etwas Geistiges, das Verstehen von Bedeutungen, physikalisch wirksam sein kann.

Das Leib-Seele-Problem ist ein Scheinproblem von Theologen und noch einmal, das Bewußtsein ist eben nicht ein Produkt unseres Gehirns. Die Probleme, die sich für dich daraus ergeben, physikalische Wirksamkeit geistiger Vorgänge, entsteht aus deinem Irrtum, daß es soetwas wie nicht-physikalischen geistige Vorgänge gibt. Es ist also ein von dir selbst erzeugtes Problem.

#486:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 18.08.2010, 21:11
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Gute Beschreibung bis auf die Tatsache, dass Benutzer und Benutzeroberfläche hier identisch sind: Das Bewusstssein betrachtet gewissermaßen sich selbst.

Nein, das ist nicht so, denn die Benutzeroberfläche ist nur das Bewusstsein.

Du solltest den Vergeich mit einem Computer solange unterlassen, wie Computer kein Bewußtsein haben.

kalmar hat folgendes geschrieben:

Am Verstehen und Entscheiden haben aber unbewusste Prozesse wesentlichen Anteil - das ist durch viele Experimente belegt. Es wird auch genutzt, z. B. durch den Einsatz unterschwelliger Reize in der Werbung.

Das hast du nun allerdings Recht.
kalmar hat folgendes geschrieben:

Wer ist also der Nutzer? Es ist das 'Ich' oder die Person. Eine Person ist mehr als ihr Bewusstsein. Sie ist auch mehr als ihr Gehirn. Sie ist der Mensch als Ganzes.

Nun ist das 'Ich' genau das Bewußtsein. Mit dem Rest hast du Recht. Ein Person ist 'Ich', 'Es', wenn wir das Unterbewußtsein in Anlehnung an Freud mal so nennen wollen, und das geht letztlich bis in die letzten Zehenspitzen. Was man leicht daran merkt, wie sich eine Persönlichkeit verändert, wenn zB ein Bein amputiert wird.

#487:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 18.08.2010, 21:54
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Gute Beschreibung bis auf die Tatsache, dass Benutzer und Benutzeroberfläche hier identisch sind...

Nein, das ist nicht so, denn die Benutzeroberfläche ist nur das Bewusstsein. Am Verstehen und Entscheiden haben aber unbewusste Prozesse wesentlichen Anteil - das ist durch viele Experimente belegt. Es wird auch genutzt, z. B. durch den Einsatz unterschwelliger Reize in der Werbung.

Wer ist also der Nutzer? Es ist das 'Ich' oder die Person. Eine Person ist mehr als ihr Bewusstsein. Sie ist auch mehr als ihr Gehirn. Sie ist der Mensch als Ganzes.

.

Deine Unterscheidung zwischen Bewusstsein und Ich trifft nicht so ganz. Die unbewussten Prozesse sind auch Bestandteile des Bewusstseins - dafür, dass mir etwas bewusst wird, muss sehr viel im Untergrund ablaufen. Dieses Schichtenmodell funktioniert nur, wenn wir uns gleichzeitig klarmachen, dass e sich hier nicht um eine diskrete Schichtung, sondern um ein Kontinuum handelt, dessen interne Grenzen wenn überhaupt, dynamisch sind.

fwo

#488:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 19.08.2010, 03:19
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:

Das klingt gut - nur ist eben gerade diese Position - die Identitätstheorie - inkonsistent. Die Argumente dagegen hab ich schon im "Transzendenz"-Thread aufgelistet. Hier sind sie nochmal:

Gedanken und Gefühle wären mit Gehirnvorgängen identisch, wenn alle Eigenschaften von Gedanken und Gefühlen auch Eigenschaften der ihnen entsprechenden Gehirnvorgänge wären. Das ist aber nicht so:

Erstens haben Gedanken und Gefühle die Eigenschaft, nur von innen, aus der Erste-Person-Perspektive, erlebbar zu sein. Gehirnvorgänge dagegen haben die Eigenschaft, nur von außen, aus der Dritte-Person-Perspektive, beobachtbar zu sein.


Wenn die Identitätstheorie zutreffend ist, dann sind psychische Phänomene als psychophysische Phänomene sowohl subjektiv erlebbar als auch objektiv beobachtbar (je nach Stand der Technik). Und natürlich kann ein und dasselbe psychophysische Phänomen vom inneren Standpunkt aus anders erscheinen als vom äußeren Standpunkt aus.

kalmar hat folgendes geschrieben:

Zweitens haben Gefühle die Eigenschaft, sich irgendwie anzufühlen: Wenn ich Schmerzen im Fuß habe, dann tut mir der Fuß weh. Einem Hirnforscher, der die meinem Schmerz zugehörigen Gehirnvorgänge (das "Feuern" von C-Fasern) auf dem Computertomografen beobachtet, tut hoffentlich nichts weh.


Dass das Haben von Kopfschmerzen mit einem Schmerzgefühl einhergeht und das äußere Beobachten des Habens von Kopfschmerzen eines anderen nicht, spricht doch in keiner Weise gegen die Identitätstheorie.

kalmar hat folgendes geschrieben:

Drittens haben Gedanken die Eigenschaft, etwas zu bedeuten, in der Regel handelt es sich um Aussagen. Aussagen können wahr oder falsch sein. Ein Gehirnvorgang dagegen kann nicht wahr oder falsch sein - er ist, wie jeder Naturvorgang, einfach die Folge seiner Ursachen.


Ein Gedanke (im psychologischen, nichtfregeschen Sinn) besteht im Denken eines Satzes, insbesondere eines Aussagesatzes. Was die Identitätstheorie gleichsetzt, sind mein Denken des Aussagesatzes A und das körperliche Geschehen G in meinem Gehirn. Und was wahr bzw. falsch ist, ist nicht mein mit dem Gehirngeschehen G identisches Denken des Aussagesatzes A, welches einfach entweder stattfindet oder nicht, sondern der gedachte Aussagesatz.

kalmar hat folgendes geschrieben:

Viertens: Die Aussage "Der Hund bellt." sei ein Gedanke. Wenn dieser Gedanke in einem Gehirnvorgang codiert wäre, der damit der Träger dieser Aussage wäre, dann wäre der Gedanke nicht mit dem Gehirnvorgang identisch, denn der Träger ist nicht identisch mit dem, was er trägt.


Nicht die Aussage, dass der Hund bellt, ist mit einem bestimmten Gehirnvorgang identisch, sondern mein Denken der Aussage, dass der Hund bellt. Und dieses Denken hat einen intentionalen Inhalt, nämlich, dass der Hund bellt.
Dass bestimmte bewusste Gehirnvorgänge oder -zustände, d.i. Gedanken und Vorstellungen, einen subjektiv erscheinenden intentionalen (repräsentationalen) Inhalt haben, spricht in keiner Weise gegen die Identitätstheorie.
Sie kann völlig stimmig behaupten, dass der Sachverhalt (die Tatsache), dass ich gerade denke, dass der Hund bellt, derselbe Sachverhalt (dieselbe Tatsache) ist wie der Sachverhalt (die Tatsache), dass sich mein Gehirn gerade im Zustand Z befindet.

Tja, von deinen Einwänden scheint nicht viel übrig zu bleiben…

#489:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 19.08.2010, 20:49
    —
fwo hat folgendes geschrieben:

Die unbewussten Prozesse sind auch Bestandteile des Bewusstseins - dafür, dass mir etwas bewusst wird, muss sehr viel im Untergrund ablaufen. Dieses Schichtenmodell funktioniert nur, wenn wir uns gleichzeitig klarmachen, dass es sich hier nicht um eine diskrete Schichtung, sondern um ein Kontinuum handelt, dessen interne Grenzen wenn überhaupt, dynamisch sind.

Mit dem Schichtenmodell und den dynamischen Grenzen hast Du schon recht - es macht nur m. E. keinen Sinn, die unbewussten Prozesse 'bewusst' zu nennen, denn das führt zu Sprachverwirrung. Von der Gesamtheit der Gehirnvorgänge sind die meisten unbewusst, nur ein geringer Teil wird bewusst, ist also 'Bewusstsein'.

Zu dem, was ich 'Person' nenne, gehören übrigens nicht nur Gehirnvorgänge, sondern auch die übrigen Körpervorgänge. Hormone, die unseren Bewusstseinszustand mitbestimmen, werden teilweise außerhalb des Gehirns, z. B. in den Nebennieren produziert. Zum 'Person-Sein' gehört aber nicht nur, dass jemand ein menschlicher Körper inclusive Gehirn ist - er muss auch Teil der Kultur sein. Dass jemand Herr Meier ist, liegt nicht in seinem Körper und seinem Gehirn begründet, sondern darin, dass er Kind bestimmter Eltern, Bürger eines bestimmten Staates usw. ist. Die Eigenschaft, Herr Meyer zu sein, ist für sein Ich, für sein Denken und Fühlen aber ziemlich wichtig.

#490:  Autor: Deus ex Machina BeitragVerfasst am: 19.08.2010, 20:50
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
"Warum könnte die Fabrik mit dem übrigen Körper und seiner Umgebung nicht genau so verbunden sein wie jetzt, so daß der kognitive Gehalt der Vorgänge. ihre Bedeutung, genau dieselbe wäre, aber ohne daß ein Erleben stattfände?" Meines Erachtens kommt ein Grossteil der Verwirrung daher, dass wir Vokabeln unserer Beschreibung der Welt aus der 3.-Person-Perspektive für das Erleben verwenden, "das Erleben findet statt". Ich erlebe etwas, in meiner 1.-Person-Perspektive, aber da gibt es nichts zu erklären. Es gibt in unserem Erlebnisstrom ja gerade dann erst etwas zu erklären, wenn wir aus den Erlebnissen beginnen, ein Modell der Welt zu erstellen (was wir im Alltag ständig und unbewusst tun) und somit eine 3.-Person-Perspektive einnehmen. Zu Erklärendes gibt es nur in diesem Weltmodell, nicht in dem unmittelbaren Erleben. In der 1.-Person-Perspektive gibt es nichts zu erklären und in der 3.-Person-Perspektive lässt sich kein "Rätsel des Bewusstseins" formulieren, da dort das „Erleben“ eben nur als Phänomen wie jedes andere auch auftritt (nur im kognitiven Sinne nach Bieri).

Hm, verstehe ich das richtig: Du sagst, es gibt verschiedene 'Betriebsmodi', in denen sich ein Mensch befinden kann. Da ist der 'reine Erlebens-Modus' und dann gibt es noch den 'Erklären-Modus'.


Ich würde es nicht "Betriebsmodi" nennen, es sind einfach zwei verschiedene Sichtweisen auf die Welt. Im Alltag sind wir ständig daran, von unserer unmittelbaren Erfahrung zu abstrahieren und unser Weltmodell zu verbessern und upzudaten. Das ist notwendig, damit wir uns überhaupt in der Welt zurecht finden können. Formalisiert man diese Methodik, so nennt man das Wissenschaft. Die uninterpretierten Sinneseindrücke sind zunächst einfach mal nur das - Impressionen, Erlebnisse. Der Begriff des erklärens macht hier noch keinen Sinn. Etwas zu erklären gibt es erst, wenn wir eine 3.-Person-Perspektive auf die Welt einnehmen. In dieser gibt es dann Menschen, welche über beeindruckende kognitivie Fähigkeiten verfügen und Überzeugungen über Bewusstseinsinhalte haben - alles Sachen, welche es zu erklären gilt - , aber es gibt kein "Bewusstsein im Sinne von Erleben" mehr.

Zitat:
Und wieso ergibt sich nun, dass der 'Erleben-Modus' keiner weiteren Erklärung bedürfte?


Das habe ich nicht gesagt, nur gibt es in der wissenschaftlichen Dritte-Person-Perspektive eben kein direktes Erleben von Schmerz sondern nur Menschen, die Schmerzerlebnisse haben, welche es zu erklären gilt.

Zitat:
Es ist jedenfalls nicht richtig, dass der 'Erleben-Modus' vom 'Erklären-Modus' völlig unabhängig / getrennt sein kann, denn wäre er das, dann wüsste ich gar nicht, dass ich etwas erlebe und könnte das folglich auch nicht kommunizieren, ('dieser Wein schmeckte mir ausgezeichnet'). Und dann kann ich doch problemlos davon ausgehen, dass das phänomenale Erleben 'stattgefunden' hat, ich sehe nicht, was daran nun falsch ausgedrückt sein könnte. Und dann kann ich doch problemlos davon ausgehen, dass das phänomenale Erleben 'stattgefunden' hat, ich sehe nicht, was daran nun falsch ausgedrückt sein könnte.


Es geht nicht um Modi. Die Frage nach "unabhängig" oder "getrennt" lässt sich überhaupt erst aus der 3.PP stellen. Das Geschmackserlebnis hat statt gefunden, ja, aber mit dem Wort "phänomenal" will man ja gerade die Subjektivität (1.PP) ausdrücken, dass es sich also nicht um ein Ereignis in der physikalischen Welt aus der 3.PP handelt. (Unter [...] phänomenalem Bewusstsein versteht man den subjektiven Erlebnisgehalt eines mentalen Zustandes.) Tatsächlich findet das Geschmackserlebnis aus beiden Sichtweisen statt, aber das Wort "stattfinden" hat in beiden eine andere Bedeutung. Etwas verursachen kann das Erlebnis nur im 3.PP Sinne.

Zitat:
Was meinst Du mit 'Bewusstseinsinhalten, von denen die Person, welche sie hat, nicht glaubt, sie zu haben' zum Beispiel konkret?


Wie gesagt, ich halte das für ein sinnloses Konstrukt, eine leere Worthülse (sie könnten - per definitionem - weder von der Person, welche sie hat, noch von einer anderen erkannt werden).

Zitat:
Ich bin überzeugt, phänomenale Erlebnisse zu haben. Wie erklärst Du das nun mit den bekannten wissenschaftlichen Methoden?


Ich bin kein Hirnforscher. Irgendwas mit Repräsentationen, Selbstmodellen, sowas wie Steps "Funktionsgruppe A modelliert Funktionsgruppe B beim funktionieren". Metzinger schreibt:

Zitat:
Eine vollständig transparente Repräsentation zeichnet sich dadurch aus, dass die internen Mechanismen, die zu ihrer Aktivierung geführt haben, und die Tatsache, dass es einen konkreten inneren Zustand gibt, der ihren Gehalt trägt, introspektiv nicht mehr erkannt werden können. Im normalen Wachbewusstsein gilt das für unser phänomenales Modell der Welt als ganzer: Das Mittel der Darstellung kann selbst nicht noch einmal als solches dargestellt werden und darum wird das erlebende System notwendigerweise in einen naiven Realismus verstrickt, weil es sich selbst als in direktem Kontakt mit dem Inhalt seines Bewusstseins erleben muss. Das, was es nicht erleben kann, ist die Tatsache, dass sein Erleben immer in einem Medium stattfindet.


Die Details müssen geklärt, die Modelle verbessert werden. Was ich sagen will ist, dass sich deine Überzeugung grundsätzlich aus deinen Gehirnvorgängen erklären lassen müssen, falls man keinen Dualismus vertritt. Und es gibt meines Erachtens keinen Grund, warum dies nicht klappen sollte, kein unüberwindbares Hindernis. Das es scheinbar ein solches gibt liegt mE daran, dass man die beiden Perspektiven nicht sauber trennt und sich dann etwa fragt, wie aus dem Zusammenspiel von Elementarteilchen subjektives bewusstes Erleben entstehen kann.

#491:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 19.08.2010, 21:00
    —
fwo hat folgendes geschrieben:

Deine Unterscheidung zwischen Bewusstsein und Ich trifft nicht so ganz. Die unbewussten Prozesse sind auch Bestandteile des Bewusstseins - dafür, dass mir etwas bewusst wird, muss sehr viel im Untergrund ablaufen.


Das Unbewusste heißt so, weil es eben nicht Teil des Bewusstseins ist.
Natürlich laufen im "Untergrund" ständig allerlei unbewusste Nervenvorgänge ab, aber diese sind eben keine Bewusstseinsvorgänge.

#492:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 19.08.2010, 21:08
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:

Mit dem Schichtenmodell und den dynamischen Grenzen hast Du schon recht…


Es gibt eine klare Grenze: die Bewusstseinsschwelle.
Wenn die Gehirnaktivität diese nervliche Schwelle überschreitet, wird der Bewusstseinszustand aktiviert, und wenn sie diese Schwelle unterschreitet, wird der Bewusstseinszustand deaktiviert.

#493:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 19.08.2010, 21:33
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
kalmar hat folgendes geschrieben:

Mit dem Schichtenmodell und den dynamischen Grenzen hast Du schon recht…


Es gibt eine klare Grenze: die Bewusstseinsschwelle.
Wenn die Gehirnaktivität diese nervliche Schwelle überschreitet, wird der Bewusstseinszustand aktiviert, und wenn sie diese Schwelle unterschreitet, wird der Bewusstseinszustand deaktiviert.

Das war aber von mir nicht gemeint. Meine Aussage zielt auf den bewussten Menschen, den "bei Bewusstsein". In dem passiert eine ganze Menge: da gibt es "irgendwo" (nicht örtlich gemeint) die Maschinenebene mit Maschinen-Wörtern und -Operationen, die wir nicht kennen, da gibt es Hardwarekomplexe für bestimmte Arbeitsbereiche, mehrstufige Datenabstraktionen vom Gefühl bis zum Begriff und einen Fokus auf nicht-automatische Operationen, den wir Bewusstsein nennen. Alles parallel, was wir z.B. bemerken, wenn wir uns nachträglich an Vorgänge erinnern, die während ihres Ablaufes dem Bewusstsein entgingen, auf die das Bewusstsein aber in der Erinnerung bei Bedarf zugreifen kann, während die Rezeption unbewusst war.

Dass der Körper mit seiner Ernährungs-, Ermüdungs-, der Hormonsituation usw, einschließlich seiner Geschichte, die auch das soziale Umfeld und damit die Kultur enthält, auch zu Person gehört, hielt ich für selbstverständlich, weil sich das alles in der Datenlage der zentralen Verwaltung niederschlägt. Meine Bemerkung sollte mehr verdeutlichen, dass es eben keinen Dualismus gibt, sondern Bewusstsein und damit Person eine Funktion dieser Verwaltung sind.

fwo

#494:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 19.08.2010, 22:06
    —
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Was meinst Du mit 'Bewusstseinsinhalten, von denen die Person, welche sie hat, nicht glaubt, sie zu haben' zum Beispiel konkret?

Wie gesagt, ich halte das für ein sinnloses Konstrukt, eine leere Worthülse (sie könnten - per definitionem - weder von der Person, welche sie hat, noch von einer anderen erkannt werden).

Aber das muss sich doch auf etwas beziehen was jemand anderes gesagt hat. Du wirst doch hoffentlich nicht ein Konstrukt angreifen, das Du Dir selber ausgedacht hast.

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Die Details müssen geklärt, die Modelle verbessert werden. Was ich sagen will ist, dass sich deine Überzeugung grundsätzlich aus deinen Gehirnvorgängen erklären lassen müssen, falls man keinen Dualismus vertritt. Und es gibt meines Erachtens keinen Grund, warum dies nicht klappen sollte, kein unüberwindbares Hindernis. Das es scheinbar ein solches gibt liegt mE daran, dass man die beiden Perspektiven nicht sauber trennt und sich dann etwa fragt, wie aus dem Zusammenspiel von Elementarteilchen subjektives bewusstes Erleben entstehen kann.

Ich glaube aber nicht, dass man die beiden Perspektiven sauber trennen kann. Ich halte es für einen Fehler, wenn jemand meint, das wäre möglich. Man trennt sauber und dann verdrängt man die 1. Person-Perspektive, man sagt einfach: 'die ist nicht wissenschaftlich interessant, wir haben ja die 3. Person-Perspektive und aus der kann man alles erklären'.

Das mag ja auch in Ordnung sein, wenn man naturwissenschaftliche Phänomene betrachtet. Aber wenn man den Menschen selber betrachtet, dann kann man nicht mehr so tun, als ob die irrelevant wäre, als ob man sich komplett außerhalb seiner selbst stellen könnte.

#495:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 19.08.2010, 23:19
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

Wenn die Identitätstheorie zutreffend ist, dann sind psychische Phänomene als psychophysische Phänomene sowohl subjektiv erlebbar als auch objektiv beobachtbar (je nach Stand der Technik). Und natürlich kann ein und dasselbe psychophysische Phänomen vom inneren Standpunkt aus anders erscheinen als vom äußeren Standpunkt aus.

Einverstanden, nur: Die Behauptung "Die Identitätstheorie ist wahr" und die Behauptung "Psychische Phänomene sind Psychophysische Phänomene" sind einunddieselbe Behauptung.

Myron hat folgendes geschrieben:
Dass das Haben von Kopfschmerzen mit einem Schmerzgefühl einhergeht und das äußere Beobachten des Habens von Kopfschmerzen eines anderen nicht, spricht doch in keiner Weise gegen die Identitätstheorie.


Um das 'Haben von Kopfschmerze' zu beobachten (um zu sehen, wie jemand ausieht, der Kopfschmerzen hat), muss man kein Gehirn untersuchen - das muss man nur tun, wenn man den Gehirnvorgang beobachten will, der diesen Schmerzen entspricht. Was man dann beobachtet, ist z. B. das 'Feuern' gewisser Neuronen - während der betroffenen Person der Kopf weh tut. Und das ist eben nicht identisch.

Nun kannst Du sagen: Weil der Kopfschmerz ein psychophysisches Phänomen ist (Voraussetzung), fühlt er sich aus der 1.-Person-Perspektive schmerzhaft an, während dem Beobachter der schmerzauslösenden Gehirnvorgänge nichts weh tut - folglich widerspricht die unterschiedliche Wahrnehung aus der !.- und 3.-Person-Perspektive nicht der Identitätstheorie (Schlussfolgerung). Die Schlussfolgerung ist dann aber gleich der Voraussetzung.

Myron hat folgendes geschrieben:
Ein Gedanke (im psychologischen, nichtfregeschen Sinn) besteht im Denken eines Satzes, insbesondere eines Aussagesatzes. Was die Identitätstheorie gleichsetzt, sind mein Denken des Aussagesatzes A und das körperliche Geschehen G in meinem Gehirn. Und was wahr bzw. falsch ist, ist nicht mein mit dem Gehirngeschehen G identisches Denken des Aussagesatzes A, welches einfach entweder stattfindet oder nicht, sondern der gedachte Aussagesatz. [...] Nicht die Aussage, dass der Hund bellt, ist mit einem bestimmten Gehirnvorgang identisch, sondern mein Denken der Aussage, dass der Hund bellt. Und dieses Denken hat einen intentionalen Inhalt, nämlich, dass der Hund bellt.

Kann man das 'Denken eines Aussagesatzes' vom Inhalt dieses Satzes trennen? Ich glaube nicht. Wenn ich denke, dann denke ich nicht 'einen Satz', sondern ich denke z, B. "Der Hund bellt.". Ich denke also unmittelbar einen Inhalt und benutze die deutschen Wörter, die ich gelernt habe, um diesen Inhalt auszudrücken. Würde ich zwanzig Jahre in England leben und mir angewöhnen, englisch zu denken, würde ich denselben Inhalt mit "The dog is barking." ausdrücken.

Ein Gedanke ist nur dadurch ein Gedanke, dass er einen Inhalt hat, auf den er sich bezieht - ohne Inhalt wäre es kein Gedanke, sondern nur eine sinnlose Folge von Wörtern. Man kann das 'Denken eines Gedankens' so wenig vom Inhalt trennen, wie man das 'Haben eines Schmerzes' davon trennen kann, dass etwas weh tut.

Myron hat folgendes geschrieben:
Dass bestimmte bewusste Gehirnvorgänge oder -zustände, d.i. Gedanken und Vorstellungen, einen subjektiv erscheinenden intentionalen (repräsentationalen) Inhalt haben, spricht in keiner Weise gegen die Identitätstheorie.

Der intentionale Inhalt ist gerade nicht subjektiv: Wenn ich denke. "Der Hund bellt.", dann ist das zwar mein subjektiver Gedanke - er ist in meinem Bewusstsein, und nur ich kann ihn wahrnehmen. Aber wenn ich ihn denke, dann hat er objektiv (intersubjektiv, kulturell) eine ganz bestimmte Bedeutung, und ist eine Aussage, die wahr oder falsch sein kann, je nach dem, ob der Hund tatsächlich bellt oder nicht.

Myron hat folgendes geschrieben:
Sie [die Identitätstheorie] kann völlig stimmig behaupten, dass der Sachverhalt (die Tatsache), dass ich gerade denke, dass der Hund bellt, derselbe Sachverhalt (dieselbe Tatsache) ist wie der Sachverhalt (die Tatsache), dass sich mein Gehirn gerade im Zustand Z befindet.

Wenn ich denke: "Der Hund bellt", dann denke ich nicht, dass ich denke, dass der Hund bellt. Ich stehe nicht neben mir und denke: "Jetzt denke ich, dass der Hund bellt." Ich nehme keine 3.-Person-Perspektive mir selbst gegenüber ein. Mit der Formulierung "der Sachverhalt (die Tatsache), dass ich gerade denke, dass der Hund bellt" konstruierst Du eine 3.-Person-Perspektive zum Bewusstsein. Die gibt es aber nicht.

#496:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 20.08.2010, 02:40
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
Die Behauptung "Die Identitätstheorie ist wahr" und die Behauptung "Psychische Phänomene sind Psychophysische Phänomene" sind einunddieselbe Behauptung.


Streng genommen nicht, denn ein Eigenschaftsdualist kann wie der eigenschaftsmonistische Identitätstheoretiker bejahen, dass alle psychischen Ereignisse und Vorgänge physische Ereignisse und Vorgänge sind, aber im Gegensatz zu diesem verneinen, dass alle psychischen Eigenschaften, die jene psychophysischen Ereignisse und Vorgänge aufweisen, physische Eigenschaften sind.
Ein Eigenschaftsdualist hält psychische Eigenschaften für physikalisch irreduzibel.

kalmar hat folgendes geschrieben:

Um das 'Haben von Kopfschmerze' zu beobachten (um zu sehen, wie jemand ausieht, der Kopfschmerzen hat), muss man kein Gehirn untersuchen - das muss man nur tun, wenn man den Gehirnvorgang beobachten will, der diesen Schmerzen entspricht.


Ich habe Letzteres gemeint und keine äußerliche Verhaltensbeobachtung.

kalmar hat folgendes geschrieben:

Was man dann beobachtet, ist z. B. das 'Feuern' gewisser Neuronen - während der betroffenen Person der Kopf weh tut. Und das ist eben nicht identisch.


Natürlich ist mein Beobachten des Feuerns von Nervenverbänden in einem anderen Gehirn nicht mit diesem identisch, sondern mit einem bestimmten Feuern von Nervenverbänden in meinem Gehirn. Und das Vorkommen eines bestimmten Nervengewitters im Gehirn des anderen ist (numerisch) identisch mit dessen Erleben von Kopfschmerzen.

kalmar hat folgendes geschrieben:

Nun kannst Du sagen: Weil der Kopfschmerz ein psychophysisches Phänomen ist (Voraussetzung), fühlt er sich aus der 1.-Person-Perspektive schmerzhaft an, während dem Beobachter der schmerzauslösenden Gehirnvorgänge nichts weh tut - folglich widerspricht die unterschiedliche Wahrnehung aus der !.- und 3.-Person-Perspektive nicht der Identitätstheorie (Schlussfolgerung). Die Schlussfolgerung ist dann aber gleich der Voraussetzung.


Tja, dann gilt aber Gleiches für deine gegenteilige Behauptung: Du gehst von der Falschheit der Identitätstheorie aus und ich von deren Richtigkeit. zwinkern

kalmar hat folgendes geschrieben:

Kann man das 'Denken eines Aussagesatzes' vom Inhalt dieses Satzes trennen? Ich glaube nicht.


Man kann durchaus das Denken als Vorgang von seinem Inhalt sowie seinem Gegenstand unterscheiden. Wenn ich denke, dass der Mond hell scheint, dann ist der Inhalt dieses Denkvorgangs die Aussage, dass der Mond scheint, und dessen Gegenstand ist der Mond.

kalmar hat folgendes geschrieben:

Wenn ich denke, dann denke ich nicht 'einen Satz', sondern ich denke z, B. "Der Hund bellt.". Ich denke also unmittelbar einen Inhalt und benutze die deutschen Wörter, die ich gelernt habe, um diesen Inhalt auszudrücken. Würde ich zwanzig Jahre in England leben und mir angewöhnen, englisch zu denken, würde ich denselben Inhalt mit "The dog is barking." ausdrücken.


Gut, man kann sagen, dass geistige Inhalte oder Bedeutungen "international", d.h. nicht von einer bestimmten Sprache abhängig sind. Andererseits kann man solche Inhalte oder Bedeutungen nicht unmittelbar, d.h. nicht ohne sprachlichen Ausdruck fassen.

kalmar hat folgendes geschrieben:

Ein Gedanke ist nur dadurch ein Gedanke, dass er einen Inhalt hat, auf den er sich bezieht - ohne Inhalt wäre es kein Gedanke, sondern nur eine sinnlose Folge von Wörtern. Man kann das 'Denken eines Gedankens' so wenig vom Inhalt trennen, wie man das 'Haben eines Schmerzes' davon trennen kann, dass etwas weh tut.


Ja, wer denkt, der denkt etwas; und wer nicht etwas denkt, der denkt nicht.
Was ich denke, ist unabtrennbar Teil meines Denkens, was aber mitnichten bedeutet, dass die Unterscheidung zwischen dem Denkvorgang und dem Denkinhalt unsinnig ist.

Ich habe einen Schmerz natürlich in einem anderen Sinn von "haben", als ich mein Fahrrad habe, dessen Existenz nicht davon abhängig ist, dass ich es habe.
Ein Satz wie "Ich habe Kopfschmerzen" drückt ja eigentlich gar keine echte Beziehung zwischen mir und "Kopfschmerzen" genannten geistigen Dingen aus, sondern er besagt im Grunde nichts weiter, als dass mein Kopf schmerzt.

kalmar hat folgendes geschrieben:

Der intentionale Inhalt ist gerade nicht subjektiv: Wenn ich denke. "Der Hund bellt.", dann ist das zwar mein subjektiver Gedanke - er ist in meinem Bewusstsein, und nur ich kann ihn wahrnehmen. Aber wenn ich ihn denke, dann hat er objektiv (intersubjektiv, kulturell) eine ganz bestimmte Bedeutung, und ist eine Aussage, die wahr oder falsch sein kann, je nach dem, ob der Hund tatsächlich bellt oder nicht.


In der Philosophie des Geistes gibt es eine internalistische und eine externalistische. Auffassung von Geistesinhalten. Die Bedeutung eines gedachten Satzes wird sicherlich durch soziale Sprachcodes bestimmt und ist damit keine rein innere, privat-subjektive Angelegenheit.

kalmar hat folgendes geschrieben:

Wenn ich denke: "Der Hund bellt", dann denke ich nicht, dass ich denke, dass der Hund bellt.


Das habe ich auch nicht behauptet.

kalmar hat folgendes geschrieben:

Ich stehe nicht neben mir und denke: "Jetzt denke ich, dass der Hund bellt." Ich nehme keine 3.-Person-Perspektive mir selbst gegenüber ein. Mit der Formulierung "der Sachverhalt (die Tatsache), dass ich gerade denke, dass der Hund bellt" konstruierst Du eine 3.-Person-Perspektive zum Bewusstsein. Die gibt es aber nicht.


Wenn ich Hunger habe und denke/sage, dass ich Hunger habe, dann besteht der Sachverhalt, dass ich Hunger habe, unabhängig davon, ob ich zusätzlich denke/sage, dass es eine Tatsache ist, dass ich Hunger habe.
Wenn ich Hunger habe und denke/sage "Ich habe Hunger", dann drücke ich eine (epistemisch) objektive Tatsache aus, wenngleich der beschriebene Zustand (ontisch) subjektiv ist:

"Ein großer Teil unserer Weltsicht beruht auf unserem Begriff der Objektivität und dem Kontrast zwischen dem Objektiven und dem Subjektiven. Bekanntlich ist diese Unterscheidung eine Sache des Grades, aber es wird seltener bemerkt, dass sowohl 'objektiv' wie 'subjektiv' verschiedene Bedeutungen haben. Für unsere gegenwärtige Diskussion sind zwei Bedeutungen entscheidend, ein epistemischer und ein ontologischer Sinn der Unterscheidung von objektiv-subjektiv. Epistemisch gesprochen sind "objektiv" und 'subjektiv' primär Prädikate von Urteilen. Wir sprechen oft von Urteilen als 'subjektiv', wenn wir meinen, dass ihre Wahrheit oder Falschheit nicht 'objektiv' entschieden werden kann, weil Wahrheit oder Falschheit nicht einfach eine Tatsachenfrage ist, sondern von bestimmten Einstellungen, Gefühlen und Gesichtspunkten der Urteilenden und der Hörer des Urteils abhängt. Ein Beispiel für ein solches Urteil ist etwa 'Rembrandt ist ein größerer Künstler als Rubens'. In diesem Sinn von 'subjektiv' kontrastieren wir derartige subjektive Urteile mit objektiven Urteilen wie etwa dem Urteil 'Rembrandt lebte während des Jahres 1632 in Amsterdam'. Im Fall solcher Urteile sind die Tatsachen, die sie wahr oder falsch machen, von den Einstellungen oder Gefühlen beliebiger Menschen über sie unabhängig. In diesem epistemischen Sinn können wir nicht nur von objektiven Urteilen, sondern auch von objektiven Tatsachen sprechen. Den objektiv wahren Urteilen korrespondieren objektive Tatsachen. Es sollte aus diesen Beispielen deutlich geworden sein, dass der Kontrast zwischen epistemischer Objektivität und epistemischer Subjektivität eine Sache des Grades ist. Neben dem epistemischen Sinn der Unterscheidung von subjektiv und objektiv gibt es auch einen verwandten ontologischen Sinn. Im ontologischen Sinn sind 'objektiv' und 'subjektiv' Prädikate von Gegenständen und Gegenstandstypen, und zwar Zuschreibungen von Existenzarten. Im ontologischen Sinn sind Schmerzen subjektive Gebilde, weil ihre Existenzart darauf beruht, dass sie von Subjekten gefühlt werden. Aber im Gegensatz zu Schmerzen sind zum Beispiel Berge ontologisch objektiv, weil ihre Existenzart unabhängig von einem Wahrnehmenden oder überhaupt einem geistigen Zustand ist. Wir können den Unterschied zwischen diesen Unterschieden deutlich sehen, wenn wir über die Tatsache nachdenken, dass wir epistemisch subjektive Feststellungen über Gegenstände treffen können, die ontologisch objektiv sind, und ganz ähnlich, dass wir epistemisch objektive Feststellungen über Gegenstände treffen können, die ontologisch subjektiv sind. Zum Beispiel handelt die Aussage 'Der Mt. Everest ist schöner als der Mt. Whitney' von ontologisch objektiven Gegenständen, trifft aber ein subjektives Urteil. Andererseits berichtet die Aussage 'Ich empfinde jetzt einen Schmerz im unteren Teil meines Rückens' eine epistemisch objektive Tatsache in dem Sinn, dass sie durch die Existenz einer wirklichen Tatsache, die nicht von irgendeiner Haltung, Einstellung oder Meinung von Beobachtern abhängig ist, wahr gemacht wird. Das Phänomen selber freilich, der wirkliche Schmerz, hat eine subjektive Existenzart."

(Searle, John R. Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Übers. M. Suhr. Reinbek: Rowohlt, 1997. S. 17-19)

#497:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 20.08.2010, 10:36
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Myron hat folgendes geschrieben:
kalmar hat folgendes geschrieben:
Kann man das 'Denken eines Aussagesatzes' vom Inhalt dieses Satzes trennen? Ich glaube nicht.
Man kann durchaus das Denken als Vorgang von seinem Inhalt sowie seinem Gegenstand unterscheiden. Wenn ich denke, dass der Mond hell scheint, dann ist der Inhalt dieses Denkvorgangs die Aussage, dass der Mond scheint, und dessen Gegenstand ist der Mond.

Dein Gegenbeispiel ist mE nicht gut, denn der Gegenstand des Denkvorgangs ist eigentlich gerade nicht der Mond, sondern das Scheinen des Mondes bzw. der scheinende Mond.

Dennoch tendiere ich zu Deiner Ansicht, daß man das Denken als Vorgang von seinem Bezugsgegenstand trennen kann. Schon allein deswegen, weil der scheinende Mond, der vor unserem inneren Auge erscheint, erwiesenermaßen ein Konstrukt, ein Modell ist, das trivialerweise andere Eigenschaften zeigt als der Bezugsgegenstand, wenn er "objektiv" beschrieben wird.

Wenn man also schon hypothetisch realistisch spricht, dann könnte man sagen: Unsere Augen sehen den Mond (= Teile seines physikalischen Kontextes), unser Bewußtsein sieht ein vom Gehirn erzeugtes Modell des Mondes (inklusive eines Bedeutungskontextes). Meines Erachtens sind die beiden sehr unterschiedlich, auch wenn wir das intuitiv nicht glauben.

#498:  Autor: Deus ex Machina BeitragVerfasst am: 20.08.2010, 11:05
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Was meinst Du mit 'Bewusstseinsinhalten, von denen die Person, welche sie hat, nicht glaubt, sie zu haben' zum Beispiel konkret?

Wie gesagt, ich halte das für ein sinnloses Konstrukt, eine leere Worthülse (sie könnten - per definitionem - weder von der Person, welche sie hat, noch von einer anderen erkannt werden).

Aber das muss sich doch auf etwas beziehen was jemand anderes gesagt hat. Du wirst doch hoffentlich nicht ein Konstrukt angreifen, das Du Dir selber ausgedacht hast.


Nochmal der ursprüngliche Kontext:

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Sobald man alle Überzeugungen über Bewussteinsinhalte erklärt hat, hat man alles erklärt, was es zu erklären gibt (den Gedanken habe ich von Dennett). Bewusstseinsinhalte, von denen die Person, welche sie hat, nicht glaubt, sie zu haben, sind ein sinnloses Konstrukt da grundsätzlich unerkennbar.


Der zweite Satz dient nur der Illustration/Untermauerung des ersten. Um zu erklären, warum eine Person glaubt, Schmerzen zu haben, muss man insbesondere das Schmerzempfinden erklären. Nicht erklärt blieben dann lediglich diejenigen Schmerzen, von welche die Person, welche sie hat, nicht glaubt, sie zu haben.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Die Details müssen geklärt, die Modelle verbessert werden. Was ich sagen will ist, dass sich deine Überzeugung grundsätzlich aus deinen Gehirnvorgängen erklären lassen müssen, falls man keinen Dualismus vertritt. Und es gibt meines Erachtens keinen Grund, warum dies nicht klappen sollte, kein unüberwindbares Hindernis. Das es scheinbar ein solches gibt liegt mE daran, dass man die beiden Perspektiven nicht sauber trennt und sich dann etwa fragt, wie aus dem Zusammenspiel von Elementarteilchen subjektives bewusstes Erleben entstehen kann.

Ich glaube aber nicht, dass man die beiden Perspektiven sauber trennen kann. Ich halte es für einen Fehler, wenn jemand meint, das wäre möglich. Man trennt sauber und dann verdrängt man die 1. Person-Perspektive, man sagt einfach: 'die ist nicht wissenschaftlich interessant, wir haben ja die 3. Person-Perspektive und aus der kann man alles erklären'.

Das mag ja auch in Ordnung sein, wenn man naturwissenschaftliche Phänomene betrachtet. Aber wenn man den Menschen selber betrachtet, dann kann man nicht mehr so tun, als ob die irrelevant wäre, als ob man sich komplett außerhalb seiner selbst stellen könnte.


Es geht mir nicht darum, z.B. Schmerzempfinden zu ignorieren oder wegzuerklären, im Gegenteil. Der Punkt ist, dass es nichts zu erklären gibt, solange wir nur Schmerzen haben, sondern erst, wenn wir einen Menschen (z.B. auch uns selbst) betrachten, welcher Schmerzen hat. Vielleicht ist es eine spezifisch menschliche Fähigkeit, sich selbst als Schmerzen empfindendes Objekt warzunehmen. Für eine Katze oder auch ein Kleinkind gibt es keine Schmerzen zu erklären, da sie einfach nur Schmerzen haben und sich nicht selbst als Wesen, welches Schmerzen hat, wahrnehmen können. Wenn wir einen Menschen (z.B. eben auch uns selbst) betrachten, welcher Schmerzen hat, ist sein Schmerzempfinden ein prinzipiell erklärbares Phänomen, es tritt nicht mehr als unsere unmittelbare Erfahrung auf.

#499:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 20.08.2010, 13:37
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Myron hat folgendes geschrieben:
...ein Eigenschaftsdualist kann wie der eigenschaftsmonistische Identitätstheoretiker bejahen, dass alle psychischen Ereignisse und Vorgänge physische Ereignisse und Vorgänge sind.

Stimmt. Ich bin einfach davon ausgegangen, dass Du die Identitätstheorie vertrittst und nicht den Eigenschaftsdualismus.

Myron hat folgendes geschrieben:
Und das Vorkommen eines bestimmten Nervengewitters im Gehirn des anderen ist (numerisch) identisch mit dessen Erleben von Kopfschmerzen.

Wenn die Identitätstheorie wahr ist.

Myron hat folgendes geschrieben:
kalmar hat folgendes geschrieben:

...Die Schlussfolgerung ist dann aber gleich der Voraussetzung.
Tja, dann gilt aber Gleiches für deine gegenteilige Behauptung: Du gehst von der Falschheit der Identitätstheorie aus und ich von deren Richtigkeit. zwinkern

Das stimmt. Und dass die Behauptung: "Weil psychische Phänomene psychophysische Phänomene sind, sind sie mit Gehirnvorgängen identisch." zirkulär ist, heißt nicht, dass sie falsch sein muss. Aber sie muss auch nicht richtig sein Smilie

Myron hat folgendes geschrieben:
Man kann durchaus das Denken als Vorgang von seinem Inhalt sowie seinem Gegenstand unterscheiden. Wenn ich denke, dass der Mond hell scheint, dann ist der Inhalt dieses Denkvorgangs die Aussage, dass der Mond scheint, und dessen Gegenstand ist der Mond.

Ja - aber das 'Denken als Vorgang' sind die (unbewussten) Gehirnprozesse, und die bewusste Seite des Denkens ist der Inhalt. Es gibt nichts dazwischen. Ich kann zwar, nachdem ich "Der Mond scheint hell." gedacht habe, über diesen Satz (und über das Denken dieses Satzes) nachdenken - aber das ist dann ein neuer Gedanke mit neuem Inhalt.

Du möchtest gern die bewusste Seite des Denkens noch einmal aufteilen in ein 'Denken als solches' (das 'Haben eines Gedankens') und den Inhalt, die Intention. Dann könnte das 'Denken als solches' mit den dazugehörigen Gehirnprozessen identisch sein. Das Problem ist aber folgendes:

Gedanken und Gefühle bewirken etwas, denn sie bestimmen unsere Entscheidungen und steuern unsere Handlungen. Sie tun dies aber durch ihre Inhalte, durch ihre Intention. Dass heißt aber, dass gerade die Inhalte (und nicht nur die Gedanken als solche) mit Gehirnvorgängen identisch sein müssen, damit sie physisch wirksam werden können. Man kann also die Identität von Gedanken mit Gehirnvorgängen gerade nicht damit rechtfertigen, dass man von den Inhalten der Gedanken absieht. Man kommt sonst in eine ähnliche Lage wie der Eigenschaftsdualismus, nur mit dem Unterschied, dass nicht die Gedanken insgesamt, sondern die Inhalte der Gedanken wirkungslose Epiphänomene sind.

Myron hat folgendes geschrieben:
Wenn ich Hunger habe und denke/sage, dass ich Hunger habe, dann besteht der Sachverhalt, dass ich Hunger habe, unabhängig davon, ob ich zusätzlich denke/sage, dass es eine Tatsache ist, dass ich Hunger habe.

Wenn Du denkst/sagst, dass Du Hunger hast, dann denkst/sprichst Du über ein Gefühl - und Gefühle sind in der Tat subjektiv: Niemand außer dir kann kontrollieren, ob Du wirklich Hunger hast, und auch Du selbst kannst dich irren (vielleicht hast Du nur Appetit?) Niemand kann also mit Sicherheit entscheiden, ob dein Gedanke "Ich habe Hunger." objektiv wahr oder falsch ist. Deshalb ist das Folgende korrekt:

Myron hat folgendes geschrieben:
Wenn ich Hunger habe und denke/sage "Ich habe Hunger", dann drücke ich eine (epistemisch) objektive Tatsache aus, wenngleich der beschriebene Zustand (ontisch) subjektiv ist

Wenn ich aber sage: "Der Mond scheint.", dann drücke ich eine (epistemisch) objektive Tatsache aus, und der beschriebene Zustand (ontisch) ist entweder objektiv eine Tatsache (wenn der Mond tatsächlich scheint) oder nicht - in diesem Fall wäre mein Gedanke "Der Mond scheint." objektiv falsch. Wenn ich den Gedanken "Der Mond scheint." anderen mitteile, dann können diese darüber entscheiden, ob dieser Gedanke wahr oder falsch ist. Mit dem Gedanken "Ich habe Hunger." funktioniert das nicht.

Gegen die Identitätstheorie gibt es offenbar zwei Gruppen von Einwänden. Die erste Gruppe bezieht sich auf die Nichtidentität der 1.- und 3.-Person-Perspektive. Diesen Einwänden kann man begegnen, in dem man behauptet: "Es gibt etwas Drittes, das Psychophysische, das aus der 1.- und 3.-Person-Perspektive sehr verschieden aussieht." Das ist formal zwar korrekt, wiederholt aber nur das, was die Identitätstheorie ohnehin behauptet. Es stellt sich allerdings die Frage: Wenn meine Analogie Bildschirmbild / Computerprozesse zu Bewusstsein / Gehirnprozesse nicht völlig daneben ist - was wäre im Computer das dem Psychophysischen Analoge?

Die zweite Gruppe der Einwände gegen die Identitätstheorie bezieht sich auf die Intentionalität. Die Intentionalität lässt sich nicht allein aus der 1.-Person-Perspektive erklären, weil die Bedeutung von Begriffen und Aussagen etwas Objektives ist. Hilary Putnam geht soweit, zu sagen: Die Gedanken sind nicht im Kopf.

#500:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 20.08.2010, 15:03
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step hat folgendes geschrieben:

Dein Gegenbeispiel ist mE nicht gut, denn der Gegenstand des Denkvorgangs ist eigentlich gerade nicht der Mond, sondern das Scheinen des Mondes bzw. der scheinende Mond.


Alexius Meinong unterscheidet zwischen Objekten und Objektiven des Denkens.
Wenn ich denke, dass der Mond hell scheint, dann ist der Mond mein Denkobjekt und das helle Scheinen des Mondes mein Denkobjektiv.
Ein Denkobjekt ist also eine Sache und ein Denkobjektiv ein Sachverhalt (der von einer entsprechenden Aussage als Denkinhalt repräsentiert wird).

step hat folgendes geschrieben:

Dennoch tendiere ich zu Deiner Ansicht, daß man das Denken als Vorgang von seinem Bezugsgegenstand trennen kann. Schon allein deswegen, weil der scheinende Mond, der vor unserem inneren Auge erscheint, erwiesenermaßen ein Konstrukt, ein Modell ist, das trivialerweise andere Eigenschaften zeigt als der Bezugsgegenstand, wenn er "objektiv" beschrieben wird.


Den Mond sehen ist aber etwas anderes als sich den Mond vorstellen, auch wenn das bildliche Vorstellen des Mondes eine quasivisuelle Erfahrung ist.

#501:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 20.08.2010, 16:24
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Myron hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Dennoch tendiere ich zu Deiner Ansicht, daß man das Denken als Vorgang von seinem Bezugsgegenstand trennen kann. Schon allein deswegen, weil der scheinende Mond, der vor unserem inneren Auge erscheint, erwiesenermaßen ein Konstrukt, ein Modell ist, das trivialerweise andere Eigenschaften zeigt als der Bezugsgegenstand, wenn er "objektiv" beschrieben wird.
Den Mond sehen ist aber etwas anderes als sich den Mond vorstellen, auch wenn das bildliche Vorstellen des Mondes eine quasivisuelle Erfahrung ist.

Ja, sicher. Während beim bewußten Sehen des Mondes auch solcher Input eine Rolle spielt, der über Zwischenverarbeitungsstufen mit dem Wahrnehmungsapparat verbunden ist, wird beim bildlichen Vorstellen des Mondes mE v.a. auf abgespeicherte Erfahrungen zurückgegriffen.

Entscheidend für mein Argument ist jedoch, daß in beiden Fällen ein Konstrukt bewußt wird, nicht der Mond selbst.

#502:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 20.08.2010, 16:30
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step hat folgendes geschrieben:
Entscheidend für mein Argument ist jedoch, daß in beiden Fällen ein Konstrukt bewußt wird, nicht der Mond selbst.


Das sehe ich anders: Wenn ich den Mond sehe, dann sehe ich den Mond selbst und nicht ein Bild davon.

#503:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 20.08.2010, 22:59
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fwo hat folgendes geschrieben:
Dass der Körper mit seiner Ernährungs-, Ermüdungs-, der Hormonsituation usw, einschließlich seiner Geschichte, die auch das soziale Umfeld und damit die Kultur enthält, auch zu Person gehört, hielt ich für selbstverständlich, weil sich das alles in der Datenlage der zentralen Verwaltung niederschlägt. Meine Bemerkung sollte mehr verdeutlichen, dass es eben keinen Dualismus gibt, sondern Bewusstsein und damit Person eine Funktion dieser Verwaltung sind.

De Frage war: Wer ist der Nutzer der 'Benutzeroberfläche Bewusstsein'? Wenn ich Dich richtig verstehe, willst Du sagen, dass das Selbstmodell der Person dieser Nutzer ist. Aber das ist nicht der Fall - der Nutzer ist die Person und nicht das Modell, das sie von sich in ihrem Gehirn hat.

#504:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 20.08.2010, 23:25
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Myron hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Entscheidend für mein Argument ist jedoch, daß in beiden Fällen ein Konstrukt bewußt wird, nicht der Mond selbst.


Das sehe ich anders: Wenn ich den Mond sehe, dann sehe ich den Mond selbst und nicht ein Bild davon.

Sehe ich auch so.

Repräsentationaler Realismus ('Ding an sich') vs. Direktem Realismus (kein 'Ding an sich').

kalmar hat folgendes geschrieben:
De Frage war: Wer ist der Nutzer der 'Benutzeroberfläche Bewusstsein'? Wenn ich Dich richtig verstehe, willst Du sagen, dass das Selbstmodell der Person dieser Nutzer ist. Aber das ist nicht der Fall - der Nutzer ist die Person und nicht das Modell, das sie von sich in ihrem Gehirn hat.

Auch das sehe ich ebenso. Es kommt mir völlig absurd vor, die Person mit ihrem Selbstmodell gleich zu setzen. Habe ich noch nie verstanden, wie man das tun kann.

Und noch viel weniger kann ich verstehen, wenn jemand behauptet: 'ich sehe das ja nicht so, ich weiß Bescheid, aber alle anderen sehen das so und die irren sich'. Wie kommt man bloß auf sowas?

*völliges Unverständnis hoch drei*

#505:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 21.08.2010, 00:15
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kalmar hat folgendes geschrieben:
Ich bin einfach davon ausgegangen, dass Du die Identitätstheorie vertrittst und nicht den Eigenschaftsdualismus.


Ich tue Ersteres.

kalmar hat folgendes geschrieben:

Ja - aber das 'Denken als Vorgang' sind die (unbewussten) Gehirnprozesse, und die bewusste Seite des Denkens ist der Inhalt. Es gibt nichts dazwischen.


Aus meiner Sicht ist der Denkvorgang ein bewusster Gehirnvorgang, den ich als Gedankenbewegung oder -entwicklung erlebe, d.h. als eine (zusammenhängende) Abfolge geistiger Sätze.

kalmar hat folgendes geschrieben:

Ich kann zwar, nachdem ich "Der Mond scheint hell." gedacht habe, über diesen Satz (und über das Denken dieses Satzes) nachdenken - aber das ist dann ein neuer Gedanke mit neuem Inhalt.


Ich habe bislang keine kognitive Metaebene ins Spiel gebracht.

kalmar hat folgendes geschrieben:

Du möchtest gern die bewusste Seite des Denkens noch einmal aufteilen in ein 'Denken als solches' (das 'Haben eines Gedankens') und den Inhalt, die Intention.


Denken heißt Gedanken bilden.

kalmar hat folgendes geschrieben:

Dann könnte das 'Denken als solches' mit den dazugehörigen Gehirnprozessen identisch sein. Das Problem ist aber folgendes:
Gedanken und Gefühle bewirken etwas, denn sie bestimmen unsere Entscheidungen und steuern unsere Handlungen. Sie tun dies aber durch ihre Inhalte, durch ihre Intention. Dass heißt aber, dass gerade die Inhalte (und nicht nur die Gedanken als solche) mit Gehirnvorgängen identisch sein müssen, damit sie physisch wirksam werden können. Man kann also die Identität von Gedanken mit Gehirnvorgängen gerade nicht damit rechtfertigen, dass man von den Inhalten der Gedanken absieht. Man kommt sonst in eine ähnliche Lage wie der Eigenschaftsdualismus, nur mit dem Unterschied, dass nicht die Gedanken insgesamt, sondern die Inhalte der Gedanken wirkungslose Epiphänomene sind.


Geistige Sätze stellen den Ausdruck meiner Gedanken als Denkinhalte dar; und meine Gedanken lösen freilich nichts in mir aus, wenn ich jene nicht verstehe, d.h. wenn ich ihre Bedeutung nicht kenne. Aber als kompetenter Verwender einer natürlichen Sprache weiß ich in der Regel, was die von mir gedachten Wörter und Sätze bedeuten.

Das Denken besteht konkret in der Bildung und Entwicklung geistiger Sätze, und dieser Vorgang ist meiner Meinung nach ein Gehirnvorgang. Diesen nehme ich zwar subjektiv als Gedankenbewegung in sprachlicher Gestalt wahr und nicht als elektrochemische Nerventätigkeit, aber daraus folgt nicht, dass es sich um verschiedene Vorgänge handelt.

"Psychologisch, d.h. für mich als Vorstellenden, Denkenden ist an und für sich das Vorstellen, das Denken kein Hirnakt; ich kann denken, ohne nur zu wissen, dass ich ein Hirn habe; in der Psychologie fliegen uns die Tauben gebraten ins Maul; in unser Bewusstsein und Gefühl fallen nur die Schlusssätze, aber nicht die Prämissen, nur die Resultate, aber nicht die Prozesse des Organismus; es ist daher ganz natürlich, dass ich das Denken vom Hirnakt unterscheide und für sich selbst denke. Aber daraus, dass das Denken für mich kein Hirnakt, sondern ein vom Hirn unterschiedener und unabhängiger Akt ist, folgt nicht, dass es an sich auch kein Hirnakt ist. Nein! Im Gegenteil: was für mich oder subjektiv ein rein geistiger, immaterieller, unsinnlicher Akt, ist an sich oder objektiv ein materieller, sinnlicher. Der Hirnakt ist der höchste, der unser Selbst begründende und bedingende Akt—ein Akt, der daher nicht mehr als ein von uns unterschiedener wahrgenommen werden kann."

(Feuerbach, Ludwig. "Wider den Dualismus von Leib und Seele, Fleisch und Geist." 1846)

kalmar hat folgendes geschrieben:

Wenn Du denkst/sagst, dass Du Hunger hast, dann denkst/sprichst Du über ein Gefühl - und Gefühle sind in der Tat subjektiv: Niemand außer dir kann kontrollieren, ob Du wirklich Hunger hast, und auch Du selbst kannst dich irren (vielleicht hast Du nur Appetit?) Niemand kann also mit Sicherheit entscheiden, ob dein Gedanke "Ich habe Hunger." objektiv wahr oder falsch ist.


Das Bestehen von Tatsachen ist eines und das Feststellen von Tatsachen etwas anderes.
Ob meine Urteile bezüglich meiner eigenen Empfindungen falsch sein können, sei hier dahingestellt; aber allgemein ist es so, dass Tatsachen auch dann bestehen können, wenn niemand in der Lage ist festzustellen, ob sie bestehen.

kalmar hat folgendes geschrieben:

Wenn ich den Gedanken "Der Mond scheint." anderen mitteile, dann können diese darüber entscheiden, ob dieser Gedanke wahr oder falsch ist. Mit dem Gedanken "Ich habe Hunger." funktioniert das nicht.


Wie gesagt, wer welche Tatsachen wie feststellen kann, ist eine Sache und welche Tatsachen bestehen eine andere. Wenn du tatsächlich Hunger hast, dann besteht diese natürliche Tatsache unabhängig davon, ob du oder irgendjemand anderer glaubt oder meint, dass sie besteht. Das Hungergefühl lässt sich nicht einfach wegdenken – es leistet sozusagen Widerstand.

kalmar hat folgendes geschrieben:

Gegen die Identitätstheorie gibt es offenbar zwei Gruppen von Einwänden. Die erste Gruppe bezieht sich auf die Nichtidentität der 1.- und 3.-Person-Perspektive. Diesen Einwänden kann man begegnen, in dem man behauptet: "Es gibt etwas Drittes, das Psychophysische, das aus der 1.- und 3.-Person-Perspektive sehr verschieden aussieht." Das ist formal zwar korrekt, wiederholt aber nur das, was die Identitätstheorie ohnehin behauptet.


Durch ihre Erklärung gelingt es der Identitätstheorie aber, diese Einwände zu entkräften.

kalmar hat folgendes geschrieben:

Es stellt sich allerdings die Frage: Wenn meine Analogie Bildschirmbild / Computerprozesse zu Bewusstsein / Gehirnprozesse nicht völlig daneben ist - was wäre im Computer das dem Psychophysischen Analoge?


Wenn ein Computer seine eigenen Bildschirmbilder subjektiv wahrnähme, dann entspräche dieses bewusste Erleben bestimmten elektrischen Vorgängen in seinen Schaltkreisen.

kalmar hat folgendes geschrieben:

Die zweite Gruppe der Einwände gegen die Identitätstheorie bezieht sich auf die Intentionalität. Die Intentionalität lässt sich nicht allein aus der 1.-Person-Perspektive erklären, weil die Bedeutung von Begriffen und Aussagen etwas Objektives ist. Hilary Putnam geht soweit, zu sagen: Die Gedanken sind nicht im Kopf.


Sprachen sind soziale Institutionen, aber der konkrete Sprachgebrauch bei meinem Denken vollzieht sich in meinem Kopf. Und wie die Wörter richtig zu gebrauchen sind, habe ich als Kind gelernt. Meiner Meinung nach hängt die Intentionalität von Geisteszuständen mit dem Sprach- oder allgemeiner Zeichengebrauch zusammen.

#506:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 21.08.2010, 00:17
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Repräsentationaler Realismus ('Ding an sich') vs. Direktem Realismus (kein 'Ding an sich').


Letzterer ist gar nicht so "naiv", wie die Anhänger des ersteren immer behaupten.

#507:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 21.08.2010, 00:38
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Repräsentationaler Realismus ('Ding an sich') vs. Direktem Realismus (kein 'Ding an sich').

Letzterer ist gar nicht so "naiv", wie die Anhänger des ersteren immer behaupten.

Ja. Sehr glücklich

Aber da ich selber früher ein Anhänger des Repräsentationalen Realismus war und erst vor kurzem zum Direkten Realismus gewechselt bin, weiß ich sehr wohl, wie schwierig es ist, die jeweils andere Perspektive einzunehmen. Man ist eine bestimmte Sicht einfach irgendwie gewohnt, hat die lieb gewonnen. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie es anders sein kann, man hält seine Sicht für selbstevident.

Ich habe ja schon Probleme dabei, mir meine frühere Sicht zu vergegenwärtigen.

#508:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 21.08.2010, 11:57
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Entscheidend für mein Argument ist jedoch, daß in beiden Fällen ein Konstrukt bewußt wird, nicht der Mond selbst.
Das sehe ich anders: Wenn ich den Mond sehe, dann sehe ich den Mond selbst und nicht ein Bild davon.
Sehe ich auch so.

Tja, ich eben nicht.

Wenn Du "bewußt den Mond siehst", haben wir es doch mit einer schrittweisen Prozeß zu tun:

1. Der Mond selbst (hypothetisch-realistisch) wechselwirkt physikalisch, z.B. gravitativ, ist massiv, reflektiert Strahlung usw.
2. Ein kleiner Teil dieser Mondsignale wird von Deinem visuellen Wahrnehmungssystem eingefangen, in Form von Photonen bestimmter Intensität, Richtung und Wellenlänge.
3. Irgendwelche funktionalen Einheiten Deines Gehirns verarbeiten diesen Input, filtern das meiste aus und vergleichen den Rest mit gespeicherten Mustern (ohne Anspruch auf Genauigkeit meinerseits).
4. Einiges davon wird u.U. bewußt und Du erkennst "den Mond".

Die Behauptung des direkten Realisten, er sehe den Mond selbst, ist mE nur dadurch begründet, daß es die oben genannte Wirkungskette gibt und deren hypothetischer Ursprung intersubjektiv überprüfbar ist. Meiner Ansicht ist es zwar berechtigt, sich auf diesen Standpunkt zu stellen (also vereinfachend zu sagen, der Mond existiere wirklich), jedoch folgt daraus nicht, daß das, was uns zu Bewußtsein kommt, der Mond selbst wäre, sondern nur, daß es ein Modell des Mondes selbst ist. Andere Wesen, Babies usw. haben trotz derselben Inputsignale ein anderes bewußtes Mondsehen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Repräsentationaler Realismus ('Ding an sich') vs. Direktem Realismus (kein 'Ding an sich').

Hmm ... also die Frage, ob der Mond ein Ding an sich sei, halte ich für unabhängig vom oben genannten.

#509:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 21.08.2010, 13:51
    —
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Entscheidend für mein Argument ist jedoch, daß in beiden Fällen ein Konstrukt bewußt wird, nicht der Mond selbst.
Das sehe ich anders: Wenn ich den Mond sehe, dann sehe ich den Mond selbst und nicht ein Bild davon.
Sehe ich auch so.

Tja, ich eben nicht.

Wenn Du "bewußt den Mond siehst", haben wir es doch mit einer schrittweisen Prozeß zu tun:

1. Der Mond selbst (hypothetisch-realistisch) wechselwirkt physikalisch, z.B. gravitativ, ist massiv, reflektiert Strahlung usw.
2. Ein kleiner Teil dieser Mondsignale wird von Deinem visuellen Wahrnehmungssystem eingefangen, in Form von Photonen bestimmter Intensität, Richtung und Wellenlänge.
3. Irgendwelche funktionalen Einheiten Deines Gehirns verarbeiten diesen Input, filtern das meiste aus und vergleichen den Rest mit gespeicherten Mustern (ohne Anspruch auf Genauigkeit meinerseits).
4. Einiges davon wird u.U. bewußt und Du erkennst "den Mond".

Die Behauptung des direkten Realisten, er sehe den Mond selbst, ist mE nur dadurch begründet, daß es die oben genannte Wirkungskette gibt und deren hypothetischer Ursprung intersubjektiv überprüfbar ist. Meiner Ansicht ist es zwar berechtigt, sich auf diesen Standpunkt zu stellen (also vereinfachend zu sagen, der Mond existiere wirklich), jedoch folgt daraus nicht, daß das, was uns zu Bewußtsein kommt, der Mond selbst wäre, sondern nur, daß es ein Modell des Mondes selbst ist. Andere Wesen, Babies usw. haben trotz derselben Inputsignale ein anderes bewußtes Mondsehen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Repräsentationaler Realismus ('Ding an sich') vs. Direktem Realismus (kein 'Ding an sich').

Hmm ... also die Frage, ob der Mond ein Ding an sich sei, halte ich für unabhängig vom oben genannten.

Manchmal ist es gut, nachts nicht mehr zu antworten - am nächsten Tag war step da und hat es besser gemacht.

Ich halte dieses "Problem" auch für belanglos für die Fragestellung dieses Threads.

kalmar hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Dass der Körper mit seiner Ernährungs-, Ermüdungs-, der Hormonsituation usw, einschließlich seiner Geschichte, die auch das soziale Umfeld und damit die Kultur enthält, auch zu Person gehört, hielt ich für selbstverständlich, weil sich das alles in der Datenlage der zentralen Verwaltung niederschlägt. Meine Bemerkung sollte mehr verdeutlichen, dass es eben keinen Dualismus gibt, sondern Bewusstsein und damit Person eine Funktion dieser Verwaltung sind.

De Frage war: Wer ist der Nutzer der 'Benutzeroberfläche Bewusstsein'? Wenn ich Dich richtig verstehe, willst Du sagen, dass das Selbstmodell der Person dieser Nutzer ist. Aber das ist nicht der Fall - der Nutzer ist die Person und nicht das Modell, das sie von sich in ihrem Gehirn hat.

Um zu verdeutliche, was ich meine:
Ich kann mein Bewusstsein teilweise replizieren und maschinisieren: Programme auf einem Rechner sind Automatisierungen von Bewusstseinsprozessen im Kopf oder den Köpfen eines odere mehrerer Entwickler.

Wenn ich nun eine Maschine baue, die in irgendeinem Gebiet Entscheidungen zu treffen hat, dann kann ich das heute so machen, dass meine Programmierung nur den Weg zum Suchen einer Entscheidungsstrategie, eines Regelwerkes und einen zum finden der Lösungsmenge enthält, so dass ich auch als Programmierer nicht vorhersagen kann, wie sich "die Maschine verhält", ohne wieder ihre Geschichte zu betrachten. Unabhängig davon , ob der Output dieser Entscheidung jetzt in Daten oder in Aktioenen stattfindet: Wer "verhält" sich in diesen Entscheidungen? Bin ich es mit meiner ganzen Person und der Rechner ist als Teil von mir zu betrachten, weil ich es war, der die Vorgaben gemacht hat, ist es der Rechner einschließlich in seiner In- und Outputhardware in seiner jetzigen Programm- und Datensituation oder sind es nur Programm und Daten in ihrer momentanen Situation und alles andere ist nur die auf dieses innere Verhalten folgende äußer Aktion.

Ich halte hier die letzte Antwort am treffendste und habe dementsprehend leichte Schwierigkeiten damit, meinen Magen, meine Hände und meine Füße als Benutzer meines Bewusstseins zu verstehen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
....
kalmar hat folgendes geschrieben:
De Frage war: Wer ist der Nutzer der 'Benutzeroberfläche Bewusstsein'? Wenn ich Dich richtig verstehe, willst Du sagen, dass das Selbstmodell der Person dieser Nutzer ist. Aber das ist nicht der Fall - der Nutzer ist die Person und nicht das Modell, das sie von sich in ihrem Gehirn hat.

Auch das sehe ich ebenso. Es kommt mir völlig absurd vor, die Person mit ihrem Selbstmodell gleich zu setzen. Habe ich noch nie verstanden, wie man das tun kann.

Und noch viel weniger kann ich verstehen, wenn jemand behauptet: 'ich sehe das ja nicht so, ich weiß Bescheid, aber alle anderen sehen das so und die irren sich'. Wie kommt man bloß auf sowas?

*völliges Unverständnis hoch drei*


zwinkern So bin ich halt: Allerdings unterscheide ich hier auch Person als soziologischen oder auch juristischen Begriff und Person als "Nutzer der Oberfläche Bewusstsein".

fwo

#510:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 21.08.2010, 14:00
    —
step hat folgendes geschrieben:

Wenn Du "bewußt den Mond siehst", haben wir es doch mit einer schrittweisen Prozeß zu tun:

Die Behauptung des direkten Realisten, er sehe den Mond selbst, ist mE nur dadurch begründet, daß es die oben genannte Wirkungskette gibt und deren hypothetischer Ursprung intersubjektiv überprüfbar ist.


1. Wahrnehmungen sind kausal indirekt in dem Sinne, dass zwischen dem Wahrnehmungsgegenstand und dem Gehirn des Wahrnehmers ein komplexer physischer Vorgang abläuft.

2. Wahrnehmungen sind kognitiv indirekt in dem Sinne, dass der unmittelbare Wahrnehmungsgegenstand nicht der außenweltliche Gegenstand selbst ist, sondern ein geistiges Bild, eine geistige Vorstellung oder ein geistiges 'Modell' desselben.

Da (2) aus (1) nicht logisch folgt, kann der Direkt-Realist (1) bejahen und (2) verneinen.

#511:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 21.08.2010, 14:11
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wenn Du "bewußt den Mond siehst", haben wir es doch mit einer schrittweisen Prozeß zu tun:

Die Behauptung des direkten Realisten, er sehe den Mond selbst, ist mE nur dadurch begründet, daß es die oben genannte Wirkungskette gibt und deren hypothetischer Ursprung intersubjektiv überprüfbar ist.
1. Wahrnehmungen sind kausal indirekt in dem Sinne, dass zwischen dem Wahrnehmungsgegenstand und dem Gehirn des Wahrnehmers ein komplexer physischer Vorgang abläuft.

2. Wahrnehmungen sind kognitiv indirekt in dem Sinne, dass der unmittelbare Wahrnehmungsgegenstand nicht der außenweltliche Gegenstand selbst ist, sondern ein geistiges Bild, eine geistige Vorstellung oder ein geistiges 'Modell' desselben.

Da (2) aus (1) nicht logisch folgt, kann der Direkt-Realist (1) bejahen und (2) verneinen.

Hältst Du die Position, (2) zu verneinen, also die Position, der unmittelbare Wahrnehmungsgegenstand sei der außenweltliche Gegenstand selbst, für falsifizierbar?

#512:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 21.08.2010, 15:37
    —
step hat folgendes geschrieben:

Hältst Du die Position, (2) zu verneinen, also die Position, der unmittelbare Wahrnehmungsgegenstand sei der außenweltliche Gegenstand selbst, für falsifizierbar?


Ein entsprechendes Experiment fällt mir spontan nicht ein.

#513:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 21.08.2010, 16:38
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Hältst Du die Position, (2) zu verneinen, also die Position, der unmittelbare Wahrnehmungsgegenstand sei der außenweltliche Gegenstand selbst, für falsifizierbar?
Ein entsprechendes Experiment fällt mir spontan nicht ein.

Das habe ich mir gedacht zwinkern

Mir ist noch ein Argument eingefallen:

Nehmen wir an, eine zweite Person sieht einen (realistischen) Film über den Mond. Wir können (etwas idealisiert) annehmen, daß das bewußte Sehen des Mondes sich in beiden Fällen nicht unterscheidet, weder subjektiv noch objektiv-neuronal, zumindest solange die Person nicht über den Film nachdenkt, die Umgebung mit einbezieht usw.

Der Unterschied zwischen beiden Situationen liegt also komplett außerhalb des Gehirns, und zwar nur in der direkten äußeren Quelle der Photonen (einmal reflektierender echter Mond und einmal reflektierende Leinwand).

Meiner Ansicht nach folgt daraus, daß Deine Einführung des Konzeptes der kongnitiven Indirektheit für dieses Problem irrelevant ist, und zwar ohne daß ich dafür Wesentliches über den Ablauf der Kongnition im Gehirn voraussetzen muß. Denn in beiden Fällen haben wir es mit (verschieden stark) indirekt kausalen, aber gleich stark kognitiv (in)direkter Wahrnehmung zu tun.

#514:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 21.08.2010, 18:45
    —
step hat folgendes geschrieben:

Das habe ich mir gedacht zwinkern


Ist denn der indirekte Realismus experimentell widerlegbar?

step hat folgendes geschrieben:

Mir ist noch ein Argument eingefallen:
Nehmen wir an, eine zweite Person sieht einen (realistischen) Film über den Mond. Wir können (etwas idealisiert) annehmen, daß das bewußte Sehen des Mondes sich in beiden Fällen nicht unterscheidet, weder subjektiv noch objektiv-neuronal, zumindest solange die Person nicht über den Film nachdenkt, die Umgebung mit einbezieht usw.
Der Unterschied zwischen beiden Situationen liegt also komplett außerhalb des Gehirns, und zwar nur in der direkten äußeren Quelle der Photonen (einmal reflektierender echter Mond und einmal reflektierende Leinwand).
Meiner Ansicht nach folgt daraus, daß Deine Einführung des Konzeptes der kongnitiven Indirektheit für dieses Problem irrelevant ist, und zwar ohne daß ich dafür Wesentliches über den Ablauf der Kongnition im Gehirn voraussetzen muß. Denn in beiden Fällen haben wir es mit (verschieden stark) indirekt kausalen, aber gleich stark kognitiv (in)direkter Wahrnehmung zu tun.


Mir ist nicht klar, was hier gegen den direkten Realismus (DR) spricht.
Ihm nach kann man sowohl äußere Gegenstände als auch (bewegte und unbewegte) äußere Bilder äußerer Gegenstände kognitiv direkt wahrnehmen; und es ist auch denkbar, dass sich eine Wahrnehmung des Mondes und eine Wahrnehmung eines Mondbildes subjektiv nicht unterscheiden.
Was der DR natürlich bestreitet, ist, dass Wahrnehmung immer und grundsätzlich Bildwahrnehmung ist, insbesondere Wahrnehmung innerer, geistiger Bilder.

#515:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 21.08.2010, 19:34
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Wenn ich nun eine Maschine baue, die in irgendeinem Gebiet Entscheidungen zu treffen hat, dann kann ich das heute so machen, dass meine Programmierung nur den Weg zum Suchen einer Entscheidungsstrategie, eines Regelwerkes und einen zum finden der Lösungsmenge enthält, so dass ich auch als Programmierer nicht vorhersagen kann, wie sich "die Maschine verhält", ohne wieder ihre Geschichte zu betrachten. Unabhängig davon , ob der Output dieser Entscheidung jetzt in Daten oder in Aktioenen stattfindet: Wer "verhält" sich in diesen Entscheidungen? Bin ich es mit meiner ganzen Person und der Rechner ist als Teil von mir zu betrachten, weil ich es war, der die Vorgaben gemacht hat, ist es der Rechner einschließlich in seiner In- und Outputhardware in seiner jetzigen Programm- und Datensituation oder sind es nur Programm und Daten in ihrer momentanen Situation und alles andere ist nur die auf dieses innere Verhalten folgende äußere Aktion.

Zunächst einmal ist es die Maschine, die sich irgendwie verhält. Zwar wird das Verhalten durch das Programm gesteuert, aber diese Steuerung ist nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für das Verhalten der Maschine - es müssen noch andere Bedingungen erfüllt sein. Angenommen, die Maschine kann fahren - dann muss sie über Räder, einen Motor und ein Getriebe verfügen, und die Beschaffenheit dieser Bauteile wird das Fahrverhalten der Maschine mitbestimmen. Das Verhalten der Maschine wird also nicht allein durch das Programm bestimmt, sondern durch die Konstruktion der Maschine insgesamt. Das betrifft schon die Menge der Verhaltensmöglichkeiten: Kann die Maschine fliegen, schwimmen, tauchen...?

Deshalb ist es die Maschine, die sich verhält. Natürlich verhält sich auch das Steuerungsprogramm auf eine bestimmte Weise, aber dieses Verhalten determiniert, wie gesagt, das Maschinenverhalten nur zum Teil. Und was den Programmierer/Konstrukteur angeht - nun ja - auch wir sind letztlich durch die Evolution konstruiert und durch diese und die Kultur programmiert. Trotzdem ist es so, dass diese Maschine keinen eigenen Willen hat, sondern sich in ihr der Wille ihres Konstrukteurs verwirklicht, wogegen ein Mensch eben einen eigenen Willen hat. Dieser Wille besteht letzlich darin, Lust zu suchen und Leid, Schmerz und Tod zu meiden. Einen solchen Willen kann die Maschine nicht haben, denn hätte sie ihn, wäre sie keine Maschine, sondern ein Lebewesen.
fwo hat folgendes geschrieben:
Ich [...] habe dementsprehend leichte Schwierigkeiten damit, meinen Magen, meine Hände und meine Füße als Benutzer meines Bewusstseins zu verstehen.

Der Nutzer ist die Person als Ganzes. Aber der Zustand des Magens, der Hände und der Füße haben erheblichen Einfluss auf den Gesamtzustand der Person und auf deren Verhaltensmöglichkeiten. Und ich würde soweit gehen, zu sagen: Auch Magen, Hände und Füße sind Nutzer des Gehirns, denn das Gehirn dient der Steuerung dieser Organe bzw. Körperteile - im Fall der Hände und Füße eben auch der bewussten Steuerung.

#516:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 21.08.2010, 20:11
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
....Situation und alles andere ist nur die auf dieses innere Verhalten folgende äußere Aktion.

Zunächst einmal ist es die Maschine, die sich irgendwie verhält. Zwar wird das Verhalten durch das Programm gesteuert, aber diese Steuerung ist nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für das Verhalten der Maschine - es müssen noch andere Bedingungen erfüllt sein. Angenommen, die Maschine kann fahren - dann muss sie über Räder, einen Motor und ein Getriebe verfügen, und die Beschaffenheit dieser Bauteile wird das Fahrverhalten der Maschine mitbestimmen. Das Verhalten der Maschine wird also nicht allein durch das Programm bestimmt, sondern durch die Konstruktion der Maschine insgesamt. Das betrifft schon die Menge der Verhaltensmöglichkeiten: Kann die Maschine fliegen, schwimmen, tauchen...?

Deshalb ist es die Maschine, die sich verhält. Natürlich verhält sich auch das Steuerungsprogramm auf eine bestimmte Weise, aber dieses Verhalten determiniert, wie gesagt, das Maschinenverhalten nur zum Teil. .....

Besser lesen:
fwo hat folgendes geschrieben:
....Wer "verhält" sich in diesen Entscheidungen? ....

.... Allerdings unterscheide ich hier auch Person als soziologischen oder auch juristischen Begriff und Person als "Nutzer der Oberfläche Bewusstsein".

fwo

Das Wort Nutzer impliziert eine aktive steuernde Rolle, nicht nur einen Nutznießer. Der Nutzer der Oberfläche Bewusstsein greift auch denkend als Ich mit Entscheidungen in dieses Bewusstsein ein, ist da der Magen und der kleine Zeh beteiligt?

Entweder das Bild von Oberfläche und Nutzer ist Kappes oder das von der sozialen Person mit Körper und Pipapo als Nutzer.

EDIT: P.s. Die Rolle eines Users setzt Bewusstsein voraus - und hier geht es um den User der Oberfläche Bewusstsein. Wenn das die ganze Person sein soll, kommen wir in einen unendlichen Regress oder einen bewusstlosen User. Auch Magen und Zehen haben kein Bewusstsein - ihr Einfluss auf dieses entsteht durch einen Input auf der untersten Ebene und spielt sich damit letzendlich auf der Datenebene ab.

Nun nochmal meine ursprüngliche Formulierung:

Zitat:
Deine Unterscheidung zwischen Bewusstsein und Ich trifft nicht so ganz. Die unbewussten Prozesse sind auch Bestandteile des Bewusstseins - dafür, dass mir etwas bewusst wird, muss sehr viel im Untergrund ablaufen. Dieses Schichtenmodell funktioniert nur, wenn wir uns gleichzeitig klarmachen, dass e sich hier nicht um eine diskrete Schichtung, sondern um ein Kontinuum handelt, dessen interne Grenzen wenn überhaupt, dynamisch sind.

Zitat:
Dass der Körper mit seiner Ernährungs-, Ermüdungs-, der Hormonsituation usw, einschließlich seiner Geschichte, die auch das soziale Umfeld und damit die Kultur enthält, auch zu Person gehört, hielt ich für selbstverständlich, weil sich das alles in der Datenlage der zentralen Verwaltung niederschlägt. Meine Bemerkung sollte mehr verdeutlichen, dass es eben keinen Dualismus gibt, sondern Bewusstsein und damit Person eine Funktion dieser Verwaltung sind.

Ich finde immer noch, dass es passt, solange man die Formulierung das Bewusstsein sei die Oberfläche und die Person der Benutzer nicht gleich als Unsinn abtun will. Und diese Formulierung kam nicht von mir.

fwo

#517:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 22.08.2010, 11:27
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Ist denn der indirekte Realismus experimentell widerlegbar?

Ich denke, beide Realismen sollten prinzipiell falsifizierbar sein, sonst sind sie wissenschaftlich bedeutungslose Metaphysik. In diesem Fall wollte ich durch meine Nachfrage speziell verhindern, daß Deine Unterschiedung (1) und (2) oben möglicherweise nur durch eine selbsterfüllende Definition etwa von "unmittelbarer Wahrnehmungsgegenstand" gerechtfertigt wird.

Myron hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Nehmen wir an, eine zweite Person sieht einen (realistischen) Film über den Mond. Wir können (etwas idealisiert) annehmen, daß das bewußte Sehen des Mondes sich in beiden Fällen nicht unterscheidet, weder subjektiv noch objektiv-neuronal, zumindest solange die Person nicht über den Film nachdenkt, die Umgebung mit einbezieht usw.

Der Unterschied zwischen beiden Situationen liegt also komplett außerhalb des Gehirns, und zwar nur in der direkten äußeren Quelle der Photonen (einmal reflektierender echter Mond und einmal reflektierende Leinwand).

Meiner Ansicht nach folgt daraus, daß Deine Einführung des Konzeptes der kongnitiven Indirektheit für dieses Problem irrelevant ist, und zwar ohne daß ich dafür Wesentliches über den Ablauf der Kongnition im Gehirn voraussetzen muß. Denn in beiden Fällen haben wir es mit (verschieden stark) indirekt kausalen, aber gleich stark kognitiv (in)direkter Wahrnehmung zu tun.

Mir ist nicht klar, was hier gegen den direkten Realismus (DR) spricht. Ihm nach kann man sowohl äußere Gegenstände als auch (bewegte und unbewegte) äußere Bilder äußerer Gegenstände kognitiv direkt wahrnehmen; und es ist auch denkbar, dass sich eine Wahrnehmung des Mondes und eine Wahrnehmung eines Mondbildes subjektiv nicht unterscheiden.

(... und objektiv auch nicht!)

Mir ging es erstmal noch gar nicht so sehr um die Widerlegung des DR, obwohl ich glaube, daß man ihn widerlegen kann. Mein Beispiel, zusammen mit der Falsifizierbarkeitsfrage, diente dazu zu zeigen, daß die Hypothese kognitiver Direktheit (DR) etwas anderes sein muß, als was wir üblicherweise meinen, wenn wir sagen "A sieht den Mond selbst".

Denn die Aussage eines DR ("A sieht den Mond selbst") wäre nach meinem Beispiel nur eine sinnvolle Aussage über die Herkunft der Photonen, also über das Maß kausaler Direktheit, um Deine Terminologie zu verwenden. Die Aussage sagt hingegen nichts über das Maß kognitiver Direktheit aus.

Myron hat folgendes geschrieben:
Was der DR natürlich bestreitet, ist, dass Wahrnehmung immer und grundsätzlich Bildwahrnehmung ist, insbesondere Wahrnehmung innerer, geistiger Bilder.

Genauer: "bewußte Wahrnehmung".

Vielleicht wäre es eine gute Idee, wenn Du genauer definierst, was Du in (2) mit "unmittelbarer Wahrnehmungsgegenstand" meinst, damit ich mir eine Falsifikation überlegen kann.

#518:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 22.08.2010, 12:03
    —
fwo hat folgendes geschrieben:

Besser lesen:
fwo hat folgendes geschrieben:
....Wer "verhält" sich in diesen Entscheidungen? ....

Nein, ich habe Dich in diesem Punkt nicht missverstanden. Ich bin einfach der Ansicht, dass Gehirne und Computer sich überhaupt nicht 'verhalten', sondern nur Informationen verarbeiten und ein Informations-Output generieren. 'Verhalten' ist aber Handeln.

fwo hat folgendes geschrieben:
.... Allerdings unterscheide ich hier auch Person als soziologischen oder auch juristischen Begriff und Person als "Nutzer der Oberfläche Bewusstsein"

Und gerade das kann man meiner Ansicht nach nicht unterscheiden. Wer soll denn die 'Person als Nutzer der Oberfläche Bewusstsein' sein, wenn nicht die wirkliche, natürliche Person, die zugleich soziale und juristische Person ist - eben 'Herr Meier'?

fwo hat folgendes geschrieben:
Das Wort Nutzer impliziert eine aktive steuernde Rolle, nicht nur einen Nutznießer.

Das tut das Wort 'Nutzer' nicht - es bedeutet normalerweise dasselbe wie 'Nutznießer'. Und Nervensysteme und Gehirne sind evolutionär entstanden, weil sie dem Überleben der Tiere dienlich waren - nicht weil sie die Funktion hatten, irgendwas zu steuern. Wenn ein Konstrukteur eine Maschine konzipiert, dann hat er Funktionen im Kopf, die diese Maschine erfüllen soll. Die biologische Evolution ist aber kein Konstrukteur. Sie verfolgt keine Ziele. Jede neue Eigenschaft von Lebewesen ist zufällig entstanden, durch Mutationen oder andere Störfälle, und hat sich erhalten, weil sie für das Überleben des Gesamtorganismus von Nutzen war. Das gilt auch für das Bewusstsein.

Das Nutzen im Sinn von 'Nutznießen' ist also der Ursprung und der Grund der Existenz von Gehirnen und auch von bewusstem Erleben. Wir Menschen haben uns nur daran gewöhnt, als "Herren der Schöpfung" andersherum zu denken, als Herrscher und Lenker. Aber letztlich dient alle Steuerung doch dazu, das Überleben zu sichern - jedenfalls sollte sie dazu dienen.

#519:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 22.08.2010, 12:15
    —
@kalmar: Du möchtest unter "Verhalten" nur "Handeln" verstehen, p.d. aber nicht das Handeln oder gar Verhalten von Computern, und unter Nutzer (= Benutzer? = user?) nur einen Nutznießer? Das riecht nach Bedarfslogik.

In bezug auf die Evolution stimme ich Dir zu (und finde deshalb sogar den Begriff "dienen" noch grenzwertig), aber das wird fwo vermutlich ebenfalls tun.

#520:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 22.08.2010, 14:45
    —
Ergänzung:
fwo hat folgendes geschrieben:

Entweder das Bild von Oberfläche und Nutzer ist Kappes oder das von der sozialen Person mit Körper und Pipapo als Nutzer.

Ich hatte die Analogie Monitorbild / Computerprozesse zu Bewusstsein / Gehirnprozesse als Ausgangspunkt genommen, um zu zeigen, dass die symbolischen Repräsentationen (Symbole = Zeichen, die wir verstehen können, also Sprache/Schrift, Bilder) nicht identisch sind mit der subsymbolischen Informationsverarbeitung im Rechner bzw. Gehirn. Mehr wollte ich damit nicht. Mein Vergleich ist kein Vergleich Gehirn - Computer, ich habe lediglich das Verhältnis Monitorbild - Computerprozesse mit dem Verhältnis Bewusstsein - Gehirnprozesse verglichen.

Es kann also sein, dass die Diskussion über den 'Nutzer' über das hinausgeht, was dieser Verhältnis-Vergleich hergibt.

step hat folgendes geschrieben:
@kalmar: Du möchtest unter "Verhalten" nur "Handeln" verstehen, p.d. aber nicht das Handeln oder gar Verhalten von Computern, und unter Nutzer (= Benutzer? = user?) nur einen Nutznießer? Das riecht nach Bedarfslogik.

Es geht mir um die klare Unterscheidung zwischen Denken/Rechnen und Handeln/Verhalten, sozusagen von virtuell und real. Was den Nutzer/Benutzer betrifft, ist der Nutzer eines Computers allerdings derjenige, der die Macht über die Maschine hat (oder haben sollte - auch das kann ja umgekehrt sein). Aber, wie oben gesagt, möglicherweise ist diese ganze Diskussion über den 'Benutzer der Benutzeroberfläche' etwas schräg.

#521:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 22.08.2010, 16:45
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
.....
Es geht mir um die klare Unterscheidung zwischen Denken/Rechnen und Handeln/Verhalten, sozusagen von virtuell und real. Was den Nutzer/Benutzer betrifft, ist der Nutzer eines Computers allerdings derjenige, der die Macht über die Maschine hat (oder haben sollte - auch das kann ja umgekehrt sein). Aber, wie oben gesagt, möglicherweise ist diese ganze Diskussion über den 'Benutzer der Benutzeroberfläche' etwas schräg.

Dann einigen wir uns einfach darauf, dass das Bild vom Bewusstsein als Monitor und der Person als Benutzer Kappes ist. Zur Evolution hat mein Bruder im Geiste step mich bereits würdig vertreten aber die
Zitat:
die klare Unterscheidung zwischen Denken/Rechnen und Handeln/Verhalten
halte ich auch für Kappes:

Wenn Denken kein Probehandeln wäre, in dem man bereits ohne die echte Handlung auf ihr Ergebnis hingewiesen wird, hätte es keinen Nutzen für die Art gehabt, geschweige denn hätten wir dieses mit der Sprache soweit getrieben, wie wir es heute tun. Sogar unsere Wirtschaft widerspricht dir da, indem sie Spezialisten für ihr Denken bezahlt.

Wer dem Denken und Entscheiden den Handlungs- und damit Verhaltenscharakter abspricht, versucht den Menschen mit der Methode Skinners zu beobachten. Das kann man machen, aber wissenschaftlich ist das schon lange überholt und dummes Zeug, vor allem, weil wir bei unserer eigenen Art auch noch über eine kommunizierbare Innenansicht verfügen. Dass Denken und Entscheiden nicht nur innere Aktivitäten wie die Verdauung darstellen, siehst Du da direkt, wo wir die Ergebnisse dieser Geistigen Arbeit als Handlungsaufträge - Anweisungen an andere weitergeben.

Also: Du kannst diese Unterscheidung zwar machen, aber bisher fehlt noch der Überzeugungserfolg, dass das sinnvoll ist.

fwo

#522:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 22.08.2010, 18:09
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Wer dem Denken und Entscheiden den Handlungs- und damit Verhaltenscharakter abspricht, versucht den Menschen mit der Methode Skinners zu beobachten. Das kann man machen, aber wissenschaftlich ist das schon lange überholt und dummes Zeug, vor allem, weil wir bei unserer eigenen Art auch noch über eine kommunizierbare Innenansicht verfügen. Dass Denken und Entscheiden nicht nur innere Aktivitäten wie die Verdauung darstellen, siehst Du da direkt, wo wir die Ergebnisse dieser Geistigen Arbeit als Handlungsaufträge - Anweisungen an andere weitergeben

Es ist ein Unterschied, ob Du dir innerlich einen Raubüberfall vorstellst, die Handlung planst, in deinem Bewusstsein durchspielst und dir vornimmst, die Tat zu begehen - oder ob Du es wirklich tust. Der Unterschied ist nicht nur ein juristischer. Zwischen dem bewussten Vorsatz und dem Handeln ist eine Schwelle. Denn es ist nicht das Bewusstsein, das entscheidet, was wir tun. Das Bewusstsein bereitet Entscheidungen vor, wägt das Für und Wider ab und hat eine ganze Menge Macht - aber der eigentliche Entscheidungsakt, der den Muskeln befiehlt, sich in Bewegung zu setzen, ist unbewusst - das ist meine Überzeugung. Deshalb habe ich geschrieben: Nicht das Bewusstsein ist der 'Nutzer' des Bewusstseins, sondern die Person als Ganzes.

#523:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 22.08.2010, 22:03
    —
step hat folgendes geschrieben:

Ich denke, beide Realismen sollten prinzipiell falsifizierbar sein, sonst sind sie wissenschaftlich bedeutungslose Metaphysik.


In erster Linie handelt es sich um philosophische Standpunkte; aber ich würde es natürlich begrüßen, wenn sich wissenschaftliche, d.i. empirische Belege dafür oder dagegen finden ließen.

step hat folgendes geschrieben:

Mein Beispiel, zusammen mit der Falsifizierbarkeitsfrage, diente dazu zu zeigen, daß die Hypothese kognitiver Direktheit (DR) etwas anderes sein muß, als was wir üblicherweise meinen, wenn wir sagen "A sieht den Mond selbst".
Denn die Aussage eines DR ("A sieht den Mond selbst") wäre nach meinem Beispiel nur eine sinnvolle Aussage über die Herkunft der Photonen, also über das Maß kausaler Direktheit, um Deine Terminologie zu verwenden. Die Aussage sagt hingegen nichts über das Maß kognitiver Direktheit aus.


Das zusätzliche Wörtchen "selbst" dient eigentlich nur der Betonung, sodass man es genauso gut weglassen kann. Denn es geht ja um die Frage, ob unsere bewusstseinsmäßig unmittelbaren Wahrnehmungsgegenstände äußere, ungeistige Dinge sind oder nicht.

step hat folgendes geschrieben:

Genauer: "bewußte Wahrnehmung".


Ja, die meine ich.

step hat folgendes geschrieben:

Vielleicht wäre es eine gute Idee, wenn Du genauer definierst, was Du in (2) mit "unmittelbarer Wahrnehmungsgegenstand" meinst, damit ich mir eine Falsifikation überlegen kann.


Mit "unmittelbar" ist einfach gemeint, dass z.B. mein Sehen des Mondes nicht darin besteht, dass in diesem Vorgang irgendeine Mondvorstellung (ein "Mondmodell") zwischengeschaltet ist, mittels deren sich mir der Mond bewusstseinsmäßig erschließt.

#524:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 23.08.2010, 02:35
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
.....
Es ist ein Unterschied, ob Du dir innerlich einen Raubüberfall vorstellst, die Handlung planst, in deinem Bewusstsein durchspielst und dir vornimmst, die Tat zu begehen - oder ob Du es wirklich tust. Der Unterschied ist nicht nur ein juristischer. Zwischen dem bewussten Vorsatz und dem Handeln ist eine Schwelle. Denn es ist nicht das Bewusstsein, das entscheidet, was wir tun.

Bis hier hin kann ich dir ja noch folgen. Unsere Entscheidungen basieren sehr oft auf Unbewusstem, kindlichen Prägungen, Vermeidungen alter Ängste usw.. Das Bewusstsein macht ganz oft nur eine Rationalisierung längst getroffener Entscheidungen.
kalmar hat folgendes geschrieben:
Das Bewusstsein bereitet Entscheidungen vor, wägt das Für und Wider ab und hat eine ganze Menge Macht - aber der eigentliche Entscheidungsakt, der den Muskeln befiehlt, sich in Bewegung zu setzen, ist unbewusst - das ist meine Überzeugung. Deshalb habe ich geschrieben: Nicht das Bewusstsein ist der 'Nutzer' des Bewusstseins, sondern die Person als Ganzes.
fett von mir
Aber was dann kommt, wird unverständlich: Da wird das Bewusstsein dann plötzlich doch zum Entscheidungsträger, aber kann nichts tun, weil die eigentliche Arbeit, die muskuläre Aktion unbewusst entschieden wird?

Wenn ich dir sage "Heb mal den linken Tentakel.", eine sprachliche Aufforderung, die an den bewussten kalmar gerichtet ist - das geht auch, Kalmare verstehen ihre Pfleger ganz gut - dann wird im Bewusstsein dieses Geräusch dekodiert, inhaltlich erfasst, und Du stimmst zu, und ein Unbewusstes führt dann diese Entscheidung zum Ende und gibt den Befehl zum Tentakelheben?

Wie bei allen Verbrechen solten wir aber auch hier das "cui bono" nicht vergessen. Wem nützt dieser Umweg, welchen evolutionären Vorteil hat er, wozu ist dann noch das Bewusstsein da?

Eine kleine Denkhilfe:
Wenn ich dir Bewegungsfolgen beibringe, indem ich sie dir erkläre und dann vormache, und du hast ein bisschen Bewegungstalent, dann kannst Du auch relativ komplexe Bewegungsabläufe, die bis dahin nur dein Bewusstsein erreicht haben, reproduzieren. Aber mit einem Nachteil: Bewusst gesteuerte Bewegungen sind langsam. Wenn ich dir also die Boxregeln erkläre und die üblichen Schlagkombinationen und die Deckung dazu und ich stelle ich dann in den Ring, bekommst Du nur Prügel, weil dein Bewusstsein nicht schnell genug ist.

Aber - jetzt kommts: Du brauchst als Mensch eine Menge ganz spezifisches Training, um dein Bewusstsein auf die taktische Situation zu konzentrieren und die Bewegung reflexartig laufen zu lassen. Automatisierung der Bewegung bedeutet eine Entlastung des Bewusstseins und funktioniert nur durch übern, üben, üben.

Wenn die Handlung nicht aus dem Bewusstsein kommt, dem Ort, den du durch sprachlich fixierte Regelwerke erreichen kannst, wie kannst Du dann verantwortlich sein? Ich schreibe dir gerade - wenn Du dann antwortest, was soll das sein zwischen deinem Bewusstsein und deinem Drücken der Tasten? Da Du von Überzeugung schreibst und nicht von Glauben, sollte etwas Unbewusstes dir jetzt Gründe in die Tastatur diktieren.

fwo

#525:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 23.08.2010, 02:51
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
....
Mit "unmittelbar" ist einfach gemeint, dass z.B. mein Sehen des Mondes nicht darin besteht, dass in diesem Vorgang irgendeine Mondvorstellung (ein "Mondmodell") zwischengeschaltet ist, mittels deren sich mir der Mond bewusstseinsmäßig erschließt.

Aber das ist doch ein Selbstgänger. Step hat doch den direkten Weg von der Strahlung aus der dreidimensionalen Welt, der Projektion dieses Bildes auf die sensorische Oberfläche und die Weiterleitung des dadurch erzeugten Erregungsmusters an die zentrale Datenverarbeitung selbst schon beschrieben. Schon, dass wir uns in der evolutionären Nachfolge von Fischen befinden - die haben keine Kapazität für große Modellierungen und funktionieren, und erfolgreichen Modelle werden nicht so leicht verworfen - lässt uns vermuten, dass diese Wahrnehmung unmittelbar ist. Auch die Frage, wie wir "Mond" denn lernen sollen, wenn wir zuerst ein Modell bräuchten, um ihn überhaupt wahrzunehmen, und wie würden uns die ersten Modelle, überhaupt etwas wahrzunehmen, erreichen? lässt nicht wirklich eine andere Wahrnehmung als eine unmittelbare zu. Und da ist mir jetzt ziemlich egal, ob hier jetzt jemand eine Möglichkeit findet, das zu falsifiziern oder nicht - solange er es nicht falsifiziert zwinkern Wo ist da das Problem?

fwo

#526:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 23.08.2010, 06:57
    —
fwo hat folgendes geschrieben:

…Auch die Frage, wie wir "Mond" denn lernen sollen, wenn wir zuerst ein Modell bräuchten, um ihn überhaupt wahrzunehmen, und wie würden uns die ersten Modelle, überhaupt etwas wahrzunehmen, erreichen? lässt nicht wirklich eine andere Wahrnehmung als eine unmittelbare zu.


Die entscheidende Frage in dieser Diskussion ist, ob unsere unmittelbaren Wahrnehmungsgegenstände eine Art innerer Spiegelbilder der äußeren Dinge sind oder nicht.

#527:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 23.08.2010, 09:04
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:

…Auch die Frage, wie wir "Mond" denn lernen sollen, wenn wir zuerst ein Modell bräuchten, um ihn überhaupt wahrzunehmen, und wie würden uns die ersten Modelle, überhaupt etwas wahrzunehmen, erreichen? lässt nicht wirklich eine andere Wahrnehmung als eine unmittelbare zu.


Die entscheidende Frage in dieser Diskussion ist, ob unsere unmittelbaren Wahrnehmungsgegenstände eine Art innerer Spiegelbilder der äußeren Dinge sind oder nicht.

Was soll damit gemeint sein? Dass Wahrnehmungen irgendwie repräsentiert sein müssen, wenn sie als Erregungsmuster in der Zentrale ankommen, ist trivial, auch wenn wir keine Vorstellung von diesem Datenformat haben, sonst wären Verarbeitung und auch Erinnerungen unmöglich.
Was soll ich mir unter einer darüber hinausgehenden "Art Spiegelbild" vorstellen und wofür sollten wir so etwas für die Wahrnehmung brauchen - was nutzt das?

Wird hier Wahrnehmung und ein Denken in Sprache verwechselt? Ich verstehe weder Sinn noch Herkunft dieses Konzeptes.

fwo

#528:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 23.08.2010, 10:31
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fwo hat folgendes geschrieben:

Aber was dann kommt, wird unverständlich: Da wird das Bewusstsein dann plötzlich doch zum Entscheidungsträger, aber kann nichts tun, weil die eigentliche Arbeit, die muskuläre Aktion unbewusst entschieden wird?

Das Bewusstsein stellt einen Teil der Inputs bereit, die in den Entscheidungsprozess eingehen - eben die Inputs, die uns bewusst sind, z. B. Gründe, voraussichtliche Folgen. Außer diesen bewussten Inputs gehen aber noch weitere, unbewusste Inputs in den Entscheidungsprozess ein. Das Output des Entscheidungsprozesses hängt von der Gesamtheit der Inputs ab. Die bewussten Inputs sind also durchaus wichtig, aber sie bestimmen die Entscheidung nicht allein - es kann passieren, dass die unbewussten Inputs schwerer wiegen. Das merken wir dann daran, dass wir uns fest vornehmen, etwas zu tun/zu lassen (der bewusste Teil des Entscheidungsvorgangs ist also abgeschlossen), und dann tun/lassen wir es doch nicht - weil uns 'der Mut fehlt', weil 'der Wille zu schwach ist', weil irgend etwas in uns stärker ist als der bewusste Entschluss.

fwo hat folgendes geschrieben:
Wenn ich dir sage "Heb mal den linken Tentakel.", eine sprachliche Aufforderung, die an den bewussten kalmar gerichtet ist - das geht auch, Kalmare verstehen ihre Pfleger ganz gut - dann wird im Bewusstsein dieses Geräusch dekodiert, inhaltlich erfasst, und Du stimmst zu, und ein Unbewusstes führt dann diese Entscheidung zum Ende und gibt den Befehl zum Tentakelheben?

Es kann auch sein, dass das Unbewusste den Befehl nicht gibt - wenn etwa der Kalmar sich vor dem Tentakelheben fürchtet.

fwo hat folgendes geschrieben:
Wie bei allen Verbrechen solten wir aber auch hier das "cui bono" nicht vergessen. Wem nützt dieser Umweg, welchen evolutionären Vorteil hat er, wozu ist dann noch das Bewusstsein da?

Andersherum: Der unbewusste Entscheidungsprozess ist älter, er läuft auch in Lebewesen ab, die über kein Bewusstsein verfügen. Das Bewusstsein ist der Umweg, und der Vorteil dieses Umwegs ist klar: Wir können nachdenken, bevor wir handeln.

fwo hat folgendes geschrieben:
Eine kleine Denkhilfe:
Wenn ich dir Bewegungsfolgen beibringe, indem ich sie dir erkläre und dann vormache, und du hast ein bisschen Bewegungstalent, dann kannst Du auch relativ komplexe Bewegungsabläufe, die bis dahin nur dein Bewusstsein erreicht haben, reproduzieren. Aber mit einem Nachteil: Bewusst gesteuerte Bewegungen sind langsam. Wenn ich dir also die Boxregeln erkläre und die üblichen Schlagkombinationen und die Deckung dazu und ich stelle ich dann in den Ring, bekommst Du nur Prügel, weil dein Bewusstsein nicht schnell genug ist.

Genau, der Bewusstseins-Umweg verlangsamt den Entscheidungsprozess wesentlich. Deshalb treffen wir, obwohl wir Bewusstsein haben, die meisten Entscheidungen unbewusst - das ist praktischer und geht schneller. Aber manchmal ist es eben besser, sich die Zeit zu einer bewussten Entscheidung (besser: Entscheidungs-Vorbereitung) zu nehmen.

fwo hat folgendes geschrieben:
Wenn die Handlung nicht aus dem Bewusstsein kommt, dem Ort, den du durch sprachlich fixierte Regelwerke erreichen kannst, wie kannst Du dann verantwortlich sein? Ich schreibe dir gerade - wenn Du dann antwortest, was soll das sein zwischen deinem Bewusstsein und deinem Drücken der Tasten? Da Du von Überzeugung schreibst und nicht von Glauben, sollte etwas Unbewusstes dir jetzt Gründe in die Tastatur diktieren.

Die Frage nach der Verantwortung ist die Frage nach der Freiheit unserer Entscheidungen, also der sogenannten Willensfreiheit. Dazu gibt es in diesem Forum schon einen endlos langen Thread... Smilie

#529:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 23.08.2010, 10:43
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Mit "unmittelbar" ist einfach gemeint, dass z.B. mein Sehen des Mondes nicht darin besteht, dass in diesem Vorgang irgendeine Mondvorstellung (ein "Mondmodell") zwischengeschaltet ist, mittels deren sich mir der Mond bewusstseinsmäßig erschließt.


fwo hat folgendes geschrieben:
Schon, dass wir uns in der evolutionären Nachfolge von Fischen befinden - die haben keine Kapazität für große Modellierungen und funktionieren, und erfolgreichen Modelle werden nicht so leicht verworfen - lässt uns vermuten, dass diese Wahrnehmung unmittelbar ist.

Dagegen könnte man einwenden, daß Fische ja gerade kein Bewußtsein haben, und Bewußtsein nach heutigem Wissens ebenfalls eine hohe Kapazität erfordert.

fwo hat folgendes geschrieben:
Auch die Frage, wie wir "Mond" denn lernen sollen, wenn wir zuerst ein Modell bräuchten, um ihn überhaupt wahrzunehmen, und wie würden uns die ersten Modelle, überhaupt etwas wahrzunehmen, erreichen? lässt nicht wirklich eine andere Wahrnehmung als eine unmittelbare zu.

Auch das überzeugt micht erstmal nicht: Es geht ja nicht um die Unmittelbarkeit von Wahrnehmung als solcher, sondern von bewußter Wahrnehmung. Ein Baby nimmt das Leuchten des Mondes unmittelbar wahr, nicht aber bewußt den Mond. Zur bewußten Wahrnehmung des Mondes gehört mindestens ein (meist unbewußter) Vergleich des unmittelbar Wahrgenommenen mit bekannten Modellen, in diesem Fall mit dem als Mond bekannten wechselförmigen Scheibe.-

Dieser Modellabgleich ist übrigens zumindest teilweise auch ohne sprachliche Begriffe möglich.

Solche Modelle entstehen mE im Gehirn von selbst, mittels seiner Plastizität und indem es auf das Wiedererkennen von Mustern optimiert ist.

Nach dieser sehr vorsichtigen Minimalforderung (die wohl auch für viele Tiere erfüllt ist) sollte ich noch erwähnen, daß einige Bewußtseinsforscher meinen, daß zusätzlich auch noch die Modellierung des Wahrnehmungs- und Erkenntnisvorgangs selbst für Bewußtsein erforderlich sei, also eine Art rudimentäres Selbstmodell. Das ist aber ein anderes Thema.

#530:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 23.08.2010, 11:19
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step hat folgendes geschrieben:
....
Auch das überzeugt micht erstmal nicht: Es geht ja nicht um die Unmittelbarkeit von Wahrnehmung als solcher, sondern von bewußter Wahrnehmung. Ein Baby nimmt das Leuchten des Mondes unmittelbar wahr, nicht aber bewußt den Mond. Zur bewußten Wahrnehmung des Mondes gehört mindestens ein (meist unbewußter) Vergleich des unmittelbar Wahrgenommenen mit bekannten Modellen, in diesem Fall mit dem als Mond bekannten wechselförmigen Scheibe.- ....

Einen derartigen assoziativen Zugriff auf eine bereits gespeicherte Erfahrungen hätte ich allerdings nicht als Modellierung bezeichnet. Wenn es das sein soll, hätte diese "Modellierung" auch einen Sinn.

fwo

#531:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 23.08.2010, 11:32
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Menschliche Wahrnehmung, nehmen wir als Beispiel das Sehen, ist nicht einfach nur Licht, daß in den Kopf fällt. Es sind optische Informationen, die von unserem Sehzentrum verarbeitet, aufbereitet werden. Das bedeutet einerseits Reduzierung von Komplexität, zum anderen Anreicherung mit strukturierenden Informationen, zB Farbe, und schließlich mit Korrekturen, wie zB der Korrektur von Linien. So erscheinen uns zB die Säulen griechischer Tempel nur deshalb gerade, weil sie leicht gewölbt sind. (Die Griechen kannten diese Form optischer Täuschung und haben unser Sehzentrum ausgetrickst. Gerade die scheinbar perfekten griechischen Tempel haben keine einzige gerade Linie) Das alles funktioniert ohne Eingriff des Bewußtseins.

Sehen ist also ein Prozeß aktiver Verarbeitung optischer Informationen. Assoziationen sind da noch gar nicht dabei. Die sind dann der nächste Schritt, der die so aufbereiteten Bilder mit Bedeutungen versieht und mit bisher gemachten Erfahrungen verknüpft. Auch das ist kein bewußter Prozeß, kann aber bewußt beeinflußt werden, wie jeder leicht bei optischen Täuschungen ausprobieren kann, bei denen man sich gewissermaßen zwingen kann, ein Bild anders zu sehen, als es auf den ersten Blick erscheint, wenn man den Trick kennt.

#532:  Autor: Roter BallonWohnort: München BeitragVerfasst am: 23.08.2010, 11:45
    —
http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/news/450/in-welcher-richtung-dreht-sich-das-kreuz



Zitat:
denn die Wahrnehmung der Rotation läßt sich auch durch das Wissen darum, dass es sich um zwei nacheinander dargebotene Bilder handelt, nicht korrigieren.



und weil Google tatsächlich auch mal klasse Vorschläge anbietet, meine Fundstücke zum allgemeinen durcharbeiten mal angeboten:
wollt ja nur nochmal nach emotionalen Markern nachgooglen und bin da jetzt zufällig draufgestossen worden.

http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/GEHIRN/GehirnEmotion.shtml
Zitat:
Damasio (1997) stellt dem cartesischen Dualismus drei Thesen entgegen:
Die Vernunft hängt von unserer Fähigkeit ab, Gefühle zu empfinden,
Empfindungen sind Wahrnehmungen der Körperlandschaft, und
der Körper ist das Bezugssystem aller neuronalen Prozesse.



edit:
ohh, nett bei der Suche nach ARAS findet sich ja was viel kürzeres und übersichtlicheres:
http://de.wikibooks.org/wiki/Gehirn_und_Sprache
Zitat:
"Durch die gegenseitige Abhängigkeit der Gedanken und des Wortes voneinander leuchtet es klar ein, dass die Sprachen nicht eigentlich Mittel sind, die schon erkannte Wahrheit darzustellen, sondern weit mehr, die vorher unbekannte zu entdecken." Wilhelm von Humboldt

#533:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 23.08.2010, 15:36
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Myron hat folgendes geschrieben:

Aus meiner Sicht ist der Denkvorgang ein bewusster Gehirnvorgang, den ich als Gedankenbewegung oder -entwicklung erlebe, d.h. als eine (zusammenhängende) Abfolge geistiger Sätze.

Wenn ich denke, ist meine Aufmerksamkeit ganz beim Inhalt meiner Gedanken. Die Wortwahl und die Einhaltung der Grammatik erfolgen normalerweise automatisch und unbewusst, sind also nur Gehirnvorgänge und werden nicht bewusst erlebt. Das Erleben einer 'Gedankenbewegung oder -entwicklung, einer zusammenhängenden Abfolge geistiger Sätze' ist meiner Ansicht nach eine Metaebene.

Es kommt vor, dass ich mich im Satzbau verhaspele oder dass mir das passende Wort für das, was ich ausdrücken will, nicht sofort einfällt - dann folgt ein bewusstes Korrigieren bzw Suchen nach den passenden Wort. Das zeigt aber gerade, dass die Inhalte der Gedanken das Primäre sind und die sprachliche Form jeweils gefunden wird. Wenn also Gedanken mit Gehirnvorgängen identisch sind, dann müssen zu allererst die Inhalte dieser Gedanken mit Gehirnvorgängen identisch sein. Oder anders gesagt: Das Psychophysisch kann nicht nur aus der 1.-Person-Perspektive so aussehen, als hätte es Bedeutungsinhalte - es muss sie tatsächlich haben.

Myron hat folgendes geschrieben:
Geistige Sätze stellen den Ausdruck meiner Gedanken als Denkinhalte dar; und meine Gedanken lösen freilich nichts in mir aus, wenn ich jene nicht verstehe, d.h. wenn ich ihre Bedeutung nicht kenne.

Genau - die Gedanken können nur dadurch etwas bewirken, dass ihr Inhalt, ihre Bedeutung verstanden wird. Das Psychophysische muss also fähig sein, die Inhalte der Gedanken zu verstehen, damit diese Inhalte etwas bewirken können.

Myron hat folgendes geschrieben:
Aber als kompetenter Verwender einer natürlichen Sprache weiß ich in der Regel, was die von mir gedachten Wörter und Sätze bedeuten.

Das ist die Perspektive des Bewusstseins. Dieses 'Wissen, was die gedachten Wörter und Sätze bedeuten', wäre dann etwas, das das Psychophysische nicht nur scheinbar, aus der Bewusstseinsperspektive, haben müsste, sondern das Psychophysische müsste dieses Wissen tatsächlich haben - also nicht nur psychisch, sondern auch physisch, damit das Wissen physisch wirksam werden kann.

Myron hat folgendes geschrieben:
Das Denken besteht konkret in der Bildung und Entwicklung geistiger Sätze, und dieser Vorgang ist meiner Meinung nach ein Gehirnvorgang. Diesen nehme ich zwar subjektiv als Gedankenbewegung in sprachlicher Gestalt wahr und nicht als elektrochemische Nerventätigkeit, aber daraus folgt nicht, dass es sich um verschiedene Vorgänge handelt.

Das ist richtig, es folgt nicht daraus. Aber betrachten wir den Vorgang konkret und nehmen wir an, in meinem Bewusstsein passiert folgendes: Ich höre den Hund bellen und denke: "Der Hund bellt. Vielleicht ist jemand am Tor. Ich werde gehen und nachsehen." Dann gehe ich zum Tor.

Der erste Gedanke ist die Folge einer akustischen Wahrnehmung, die beiden nachfolgenden Gedanken werden durch den jeweils vorhergehenden ausgelöst, indem dessen Bedeutung verstanden wird. Auf den letzten Gedanken folgt eine Handlung. Soweit die Perspektive des Bewusstseins. Jetzt die damit identischen Gehirnvorgänge:

Nach dem ersten Gehirnvorgang mit dem Inhalt "Der Hund bellt." und nach dem zweiten mit dem Inhalt "Vielleicht ist jemand am Tor." gibt es je einen Gehirnvorgang des Verstehens, der zugleich die physische Ursache des jeweils nachfolgenden Gehirnvorganges ist. Der Gehirnvorgang, der auf den Gehirnvorgang "Ich werde gehen und nachsehen." folgt und die Handlung unmittelbar auslöst, also meine Beine in Bewegung setzt, ist unbewusst. Dieser Gehirnvorgang vermag aber offensichtlich den Inhalt "Ich werde gehen und nachsehen." zu verstehen und das Aktionspotential für die Bewegung aufzubauen. Damit das Ganze funktioniert, müssen also sowohl die Inhalte der Gedanken als auch das Verstehen dieser Inhalte nicht nur psychisch, sondern auch physich sein, also auch elektrochemische Nerventätigkeit, denn davon gehen die Wirkungen aus.

Wenn nun die elektrochemische Nerventätigkeit die Inhalte von Gedanken verstehen kann (und sie muss dies ja nicht nur der physischen Wirksamkeit wegen können, sondern auch deshalb, weil das Bewusstsein es kann und die elektrochemische Nerventätigkeit mit dem Bewusstsein identisch ist) dann stellt sich die Frage: Wozu muss die elektrochemische Nerventätigkeit bewusst werden? Wenn das Physische alles Nötige leisten kann - wozu muss es psychophysisch sein? Die Annahme eines Psychophysischen führt offenbar in folgendes Dilemma:

(1) Wenn die Inhalte der Gedanken nur psychisch sind (nur eine 1.-Person-Perspektive sind) und das Verstehen dieser Inhalte nur im Bewusstsein stattfindet (denn die Inhalte sind nur dort), dann können die Inhalte nicht physisch wirksam werden und sind also gleichgültig.
(2) Wenn dagegen die Inhalte der Gedanken identisch auch in den Gehirnvorgängen sind und das Verstehen dieser Inhalte ebenfalls ein mit dem Bewusstseinsvorgang identischer Gehirnvorgang ist, können die Inhalte der Gedanken zwar physisch wirksam werden, aber das Bewusstwerden der Gedankeninhalte ist dann überflüssig.

Im Fall (1) ist es gleichgültig, was wir denken, und im Fall (2) ist das Bewusstsein überflüssig.

Myron hat folgendes geschrieben:
kalmar hat folgendes geschrieben:

Gegen die Identitätstheorie gibt es offenbar zwei Gruppen von Einwänden. Die erste Gruppe bezieht sich auf die Nichtidentität der 1.- und 3.-Person-Perspektive. Diesen Einwänden kann man begegnen, in dem man behauptet: "Es gibt etwas Drittes, das Psychophysische, das aus der 1.- und 3.-Person-Perspektive sehr verschieden aussieht." Das ist formal zwar korrekt, wiederholt aber nur das, was die Identitätstheorie ohnehin behauptet.

Durch ihre Erklärung gelingt es der Identitätstheorie aber, diese Einwände zu entkräften.

Das stimmt wohl, aber dadurch, dass man 'psychisch' und 'physisch' zu 'psychophysisch' zusammensetzt, erklärt man nicht, wieso es denn eines ist. Der Begriff 'Psychophysisch' hat etwas Zwitterhaftes.

Die symbolische Repräsentation im Bewusstsein (Symbole = Zeichen, die wir unmittelbar verstehen können, z. B. Wörter, Bilder) erscheint uns ganz anders als die subsymbolischen Informationsverarbeitungsprozesse im Gehirn. Analog dazu erscheinen uns die symbolischen Repräsentationen auf einem Computerbildschirm (z. B. Wörter, Bilder) ebenfalls ganz anders als die subsymbolischen Informationsverarbeitungsprozesse im Computer - obgleich es hier keine 1.-Person-Perspektive gibt. Das lässt zumindest vermuten, dass das verschiedene Aussehen von symbolischen Repräsentationen und den damit zusammenhängenden subsymbolischen Informationsverarbeitungsprozessen im Gehirn/Bewusstsein ebenfalls nicht durch den Unterschied zwischen !.- und 3.-Person-Perspektive zu erklären ist. Es liegt einfach näher, anzunehmen, dass es sich um etwas Verschiedenes handelt.

#534:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 24.08.2010, 01:22
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kalmar hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:

Aber was dann kommt, wird unverständlich: Da wird das Bewusstsein dann plötzlich doch zum Entscheidungsträger, aber kann nichts tun, weil die eigentliche Arbeit, die muskuläre Aktion unbewusst entschieden wird?

Das Bewusstsein stellt einen Teil der Inputs bereit, die in den Entscheidungsprozess eingehen - eben die Inputs, die uns bewusst sind, z. B. Gründe, voraussichtliche Folgen. Außer diesen bewussten Inputs gehen aber noch weitere, unbewusste Inputs in den Entscheidungsprozess ein. Das Output des Entscheidungsprozesses hängt von der Gesamtheit der Inputs ab. Die bewussten Inputs sind also durchaus wichtig, aber sie bestimmen die Entscheidung nicht allein - es kann passieren, dass die unbewussten Inputs schwerer wiegen. Das merken wir dann daran, dass wir uns fest vornehmen, etwas zu tun/zu lassen (der bewusste Teil des Entscheidungsvorgangs ist also abgeschlossen), und dann tun/lassen wir es doch nicht - weil uns 'der Mut fehlt', weil 'der Wille zu schwach ist', weil irgend etwas in uns stärker ist als der bewusste Entschluss.....

@kalmar:
was Du hier erzählst, deckt sich mit dem Teil des vorherigen Posts, dem ich bereits zugestimmt habe:
fwo hat folgendes geschrieben:
....Unsere Entscheidungen basieren sehr oft auf Unbewusstem, kindlichen Prägungen, Vermeidungen alter Ängste usw.. Das Bewusstsein macht ganz oft nur eine Rationalisierung längst getroffener Entscheidungen.......

Auch unsere Angst spielt und wirkt im Bewusstsein. Das Handeln ohne Bewusstsein ist zwar älter, und ich selbst habe hier oder in einem anderen Thread gerade gesagt, dass die Evolution nichts erfolgreiches wegwirft, doch in diesem Fall hatte sie einen Grund: die erfolgreichere Konstruktion des Bewusstseins. Sieh dir den Menschen an - was kann der Mensch ohne die Aufzucht durch seine Eltern? Nichts. Der Mensch ist das Tier, mit den wenigsten angeborenen Fähigkeiten und dem am weitesten ausgebildeten Bewusstsein, der bewusstlose Mensch handelt nicht mehr, zumindest nichtmehr koodiniert.

Das Unbewusste kann das Bewusstsein bremsen, in extremen Lagen sogar ausschalten, aber nur unter Inkaufnahme der Handlungsunfähigkeit.
kalmar hat folgendes geschrieben:
....Das Bewusstsein bereitet Entscheidungen vor, wägt das Für und Wider ab und hat eine ganze Menge Macht - aber der eigentliche Entscheidungsakt, der den Muskeln befiehlt, sich in Bewegung zu setzen, ist unbewusst - das ist meine Überzeugung. .....

Hierfür habe ich noch keinen einzigen Beleg gesehen. Und bereits die Tatsache, dass und wie ich momentan meine Tastatur bearbeite spricht für mich dagegen.

fwo

#535:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 24.08.2010, 01:47
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fwo hat folgendes geschrieben:
kalmar hat folgendes geschrieben:
....Das Bewusstsein bereitet Entscheidungen vor, wägt das Für und Wider ab und hat eine ganze Menge Macht - aber der eigentliche Entscheidungsakt, der den Muskeln befiehlt, sich in Bewegung zu setzen, ist unbewusst - das ist meine Überzeugung. .....

Hierfür habe ich noch keinen einzigen Beleg gesehen. Und bereits die Tatsache, dass und wie ich momentan meine Tastatur bearbeite spricht für mich dagegen.

Kommt mE schlicht darauf an, was man eigentlich unter 'Bewusstsein' versteht. Es gibt wohl eine sehr 'enge' Auffassung von Bewusstsein, die nur das als Bewusstsein ansieht, was ich 'Aktuell-Bewusstsein' oder auch 'Aufmerksamkeits-Fokus' nennen würde.

Finde ich zwar etwas merkwürdig, denn meiner Ansicht nach umfasst Bewusstsein sehr viel mehr, ist aber letztlich nur eine Definitionsfrage.

Das 'Aktuell-Bewusstsein' kann natürlich gar nichts steuern, denn es 'existiert' ja immer nur für 3 Sekunden oder so.

Sieht man alles außerhalb des 'Aktuell-Bewusstseins' als unbewusst an, dann ist es zwingend, dass alles durch das so definierte Unbewusste gesteuert wird.

#536:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 24.08.2010, 09:27
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fwo hat folgendes geschrieben:
Das Unbewusste kann das Bewusstsein bremsen, in extremen Lagen sogar ausschalten, aber nur unter Inkaufnahme der Handlungsunfähigkeit.

Ja, aber nicht nur das. Es kann uns auch zu Handlungen zwingen, die wir eigentlich, unserem bewussten Entschluss nach, nicht tun wollen, etwa beim Suchtverhalten. Und ich würde nicht sagen, dass 'das Unbewusste' das Bewusstsein bremst. Die unbewussten Gehirnvorgänge bremsen das Bewusstsein nicht, sie ermöglichen es überhaupt erst. Aber eben deshalb haben sie auch ziemlich viel Macht und verhindern manchmal, dass wir unsere bewussten Entschlüsse in die Tat umsetzen.
fwo hat folgendes geschrieben:
kalmar hat folgendes geschrieben:
....Das Bewusstsein bereitet Entscheidungen vor, wägt das Für und Wider ab und hat eine ganze Menge Macht - aber der eigentliche Entscheidungsakt, der den Muskeln befiehlt, sich in Bewegung zu setzen, ist unbewusst - das ist meine Überzeugung. .....

Hierfür habe ich noch keinen einzigen Beleg gesehen. Und bereits die Tatsache, dass und wie ich momentan meine Tastatur bearbeite spricht für mich dagegen.

Ich habe nicht behauptet, dass 'das Unbewusste' uns dauernd an allem hindert. Meistens können wir unsere bewussten Entschlüsse ausführen - dann merken wir von der unbewussten Steuerung nichts. Sie ist aber immer dazwischengeschaltet: Du entscheidest dich, die Taste 'a' anzuschlagen - die unbewusste Steuerung in deinem Gehirn muss aber alle dazu nötigen Muskeln in Bewegung setzen. Das tust Du nicht bewusst. Und die Steuerung, die darüber entscheidet, wie Muskeln sich bewegen, entscheidet auch in letzter Instanz darüber, ob sie sich bewegen.

#537:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 24.08.2010, 09:47
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kalmar hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Das Unbewusste kann das Bewusstsein bremsen, in extremen Lagen sogar ausschalten, aber nur unter Inkaufnahme der Handlungsunfähigkeit.

Ja, aber nicht nur das. Es kann uns auch zu Handlungen zwingen, die wir eigentlich, unserem bewussten Entschluss nach, nicht tun wollen, etwa beim Suchtverhalten. Und ich würde nicht sagen, dass 'das Unbewusste' das Bewusstsein bremst. Die unbewussten Gehirnvorgänge bremsen das Bewusstsein nicht, sie ermöglichen es überhaupt erst. Aber eben deshalb haben sie auch ziemlich viel Macht und verhindern manchmal, dass wir unsere bewussten Entschlüsse in die Tat umsetzen.
....

Das ist Quatsch, bei Entzugserscheinungen von Unbewusstem zu reden. Es handelt sich um höchst bewusste Leiden, die vom Entzug meist auf relativ einfacher, chemisch nachvollziehbarer Ebene ausgelöst werden, und von denen der Süchtige sich durch Nachgeben kurzfristig erlöst. Was da in ihm tobt, tobt im Bewusstsein.

Ich glaube, Du solltest wirklich mal definieren, was Du unter Bewusstsein verstehst und was für dich zu den unbewussten geistigen Vorgängen gehört.

Auch ein "Umentscheiden" wie bei einer Prokrastination spielt sich letztendlich im Bewusstsein ab, indem andere Tätigkeiten einen höhern Dringlichkeitslevel erhalten. Wir können vielleicht gedankenverloren handeln, aber nicht bewusstlos.

fwo

#538:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 24.08.2010, 11:02
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Das ist Quatsch, bei Entzugserscheinungen von Unbewusstem zu reden.

Ich habe nicht über Entzugserscheinungen geschrieben, sondern über normales Suchtverhalten.

fwo hat folgendes geschrieben:
Ich glaube, Du solltest wirklich mal definieren, was Du unter Bewusstsein verstehst und was für dich zu den unbewussten geistigen Vorgängen gehört.

Bewusst ist, was im Arbeitsgedächnis präsent ist. Erinnerungen beispielsweise sind normalerweise unbewusst, außer wenn sie 'aufgerufen' werden, dann sind sie präsent und bewusst. Trotzdem sind Erinnerungen immer etwas Geistiges, denn sie haben einen Inhalt, sie bedeuten etwas - und es wäre Unfug, zu sagen, eine Erinnerung sei nur dann etwas Geistiges, wenn sie präsent ist und sonst nicht. Andererseits ist bekannt, dass Erinnerungen auch dann das Verhalten (Handeln) beeinflussen können, wenn sie nicht im Bewusstsein präsent sind. Sie können also unbewusst wirken - hemmend oder antreibend.

fwo hat folgendes geschrieben:
Auch ein "Umentscheiden" wie bei einer Prokrastination spielt sich letztendlich im Bewusstsein ab, indem andere Tätigkeiten einen höhern Dringlichkeitslevel erhalten.

Wenn es ein spontanes, plötzliches Umentscheiden ist, dann wird es bewusst, nach dem es unbewusst schon passiert ist - es dauert ca. eine Viertelsekunde vom Aufbau des Aktionspotentials bis zum Bewusstwerden eines spontanen Entschlusses zu einer Bewegung (Libet-Experiment). Und natürlich merkst Du, wenn Du plötzlich nicht mehr dieses, sondern jenes tust, und meistens nimmst Du auch sofort den Grund wahr, warum es so ist - rationalisierst die Umentscheidung also sofort.

EDIT: Prokrastination dürfte ebenfalls durch unbewusste Handlungshemmungen bedingt sein. Da man aber ein schlechtes Gewissen bekommt. wenn man seine Aufgaben nicht erledigt, findet man vernünftige Gründe...

#539:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 24.08.2010, 16:24
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
Bewusst ist, was im Arbeitsgedächnis präsent ist. Erinnerungen beispielsweise sind normalerweise unbewusst, außer wenn sie 'aufgerufen' werden, dann sind sie präsent und bewusst.

Ach ja, dachte ich es mir doch. Ich halte aber eine Gleichsetzung von Bewusstsein und Arbeitsgedächtnis für ungewöhnlich und auch für wenig nutzbringend. All dasjenige Wissen, meine Erfahrungen, meine Einstellungen, Vorlieben etc. die ich mir ins Arbeitsgedächnis, bzw. den 'Fokus der Aufmerksamkeit' rufen kann, gehören mE zum Bewusstsein.

kalmar hat folgendes geschrieben:
Ich habe nicht behauptet, dass 'das Unbewusste' uns dauernd an allem hindert. Meistens können wir unsere bewussten Entschlüsse ausführen - dann merken wir von der unbewussten Steuerung nichts. Sie ist aber immer dazwischengeschaltet: Du entscheidest dich, die Taste 'a' anzuschlagen - die unbewusste Steuerung in deinem Gehirn muss aber alle dazu nötigen Muskeln in Bewegung setzen. Das tust Du nicht bewusst. Und die Steuerung, die darüber entscheidet, wie Muskeln sich bewegen, entscheidet auch in letzter Instanz darüber, ob sie sich bewegen.

Wenn ich hier einen Beitrag schreibe, dann entscheide ich mich nicht, die Taste 'b' anzuschlagen, dann die Taste 'e' und so weiter. Ich entscheide mich, zu einem Thema Stellung zu nehmen, überdenke die Argumente, überlege mir Gegenargumente und formuliere und schreibe dann den Beitrag. Dabei läuft vieles automatisiert ab, normalerweise das ganze Tippen, das betrifft aber auch das Denken, die Zusammenstellung von Argumenten und so. Was automatisiert abläuft, (weil ich es irgendwann mal gelernt und geübt habe), würde ich aber nicht deswegen 'unbewusst' nennen wollen. Ich schreibe die Beiträge hier bewusst.

Unbewusst ist mE nur das, was ich mir nicht ins Arbeitsgedächtnis holen kann, z.B. versteckte Motive, die ich selber nicht erkennen kann.

Es kommt mir nun merkwürdig vor, zu sagen, das Unbewusste sei die eigentliche Steuerzentrale von Handlungen. Es kommt mir auch schon merkwürdig vor, überhaupt zu sagen, das Unbewusste könne entscheiden. Unter 'Entscheidung' und auch 'Handlung' verstehe ich per definitionem immer etwas Bewusstes. (Man kann zwar sagen, 'der Schachcomputer hat sich entschieden, zu rochieren', aber mE nur dann, wenn man das als Analogie versteht und nicht eine echte Entscheidung damit verbindet.)

Meiner Ansicht nach kann man nur sagen: im Unbewussten gibt es Abläufe, Gespeichertes, Triebe, Motive, die per definitionem nicht ins Bewusstsein gerufen werden können. Diese unbewussten Abläufe können nun zwar Entscheidungen beeinflussen, ohne das man das bewusst mitbekommt. Aber dass die eigentlichen Entscheidungen unbewusst seien: diese Aussage ist mE schlicht sinnlos. Wäre alles (ausschließlich) unbewusst gesteuert, dann gäbe es keine Entscheidungen und keine Handlungen, dann gäbe es statt dessen lediglich Berechnungen und Verhalten. Zumindest ist das nach meinem Sprachgebrauch so.

#540:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 24.08.2010, 17:01
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Das ist Quatsch, bei Entzugserscheinungen von Unbewusstem zu reden.

Ich habe nicht über Entzugserscheinungen geschrieben, sondern über normales Suchtverhalten.
.....

Nein, Du hast über Suchtverhaltengeschrieben. Nur - Suchtverhalten ist normalerweise das Einstellen eines Pegels, bei dem man den Entzug noch nicht / nicht mehr spürt.

Ansonsten schließe ich mich ganz gegen meine Gewohnheit den Ausführungen meines Vorposters AP ohne weiteren Kommentar an.

fwo

#541:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 24.08.2010, 19:28
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich halte aber eine Gleichsetzung von Bewusstsein und Arbeitsgedächtnis für ungewöhnlich und auch für wenig nutzbringend. All dasjenige Wissen, meine Erfahrungen, meine Einstellungen, Vorlieben etc. die ich mir ins Arbeitsgedächnis, bzw. den 'Fokus der Aufmerksamkeit' rufen kann, gehören mE zum Bewusstsein.

Wenngleich auch ich eine Gleichsetzung von Bewußtsein und Arbeitsgedächtnis evtl. ein bißchen zu eng finde, so widerspreche ich doch noch mehr Deiner sehr weiten Definition. Bewußtsein bezieht sich i.a. darauf, daß etwas auf eine bestimmte Weise (eben "bewußt") erlebt wird. Deine Definition enthält aus meiner Sicht eine Art Kategorienfehler, da Bewußtsein prozeßartig und aktuell ist, während z.B. Vorlieben datenartig und (semi-)persistent sind.

#542:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 24.08.2010, 19:34
    —
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich halte aber eine Gleichsetzung von Bewusstsein und Arbeitsgedächtnis für ungewöhnlich und auch für wenig nutzbringend. All dasjenige Wissen, meine Erfahrungen, meine Einstellungen, Vorlieben etc. die ich mir ins Arbeitsgedächnis, bzw. den 'Fokus der Aufmerksamkeit' rufen kann, gehören mE zum Bewusstsein.

Wenngleich auch ich eine Gleichsetzung von Bewußtsein und Arbeitsgedächtnis evtl. ein bißchen zu eng finde, so widerspreche ich doch noch mehr Deiner sehr weiten Definition. Bewußtsein bezieht sich i.a. darauf, daß etwas auf eine bestimmte Weise (eben "bewußt") erlebt wird. Deine Definition enthält aus meiner Sicht eine Art Kategorienfehler, da Bewußtsein prozeßartig und aktuell ist, während z.B. Vorlieben datenartig und (semi-)persistent sind.

Auf der anderen Seite wird zumindest unser Bewusstsein wesentlich in Sprache prozessiert, sodass es irgendwie etwas unlogisch erscheint, das Bewusstsein ohne die prozessierten Daten (hier die Sprache) sehen zu wollen. Das hat für mich etwas von einem LISP-System, bei dem die Übergänge zwischen Prozess und Objekt auch fließend sind.

fwo

#543:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 24.08.2010, 19:39
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich halte aber eine Gleichsetzung von Bewusstsein und Arbeitsgedächtnis für ungewöhnlich und auch für wenig nutzbringend. All dasjenige Wissen, meine Erfahrungen, meine Einstellungen, Vorlieben etc. die ich mir ins Arbeitsgedächnis, bzw. den 'Fokus der Aufmerksamkeit' rufen kann, gehören mE zum Bewusstsein.
Wenngleich auch ich eine Gleichsetzung von Bewußtsein und Arbeitsgedächtnis evtl. ein bißchen zu eng finde, so widerspreche ich doch noch mehr Deiner sehr weiten Definition. Bewußtsein bezieht sich i.a. darauf, daß etwas auf eine bestimmte Weise (eben "bewußt") erlebt wird. Deine Definition enthält aus meiner Sicht eine Art Kategorienfehler, da Bewußtsein prozeßartig und aktuell ist, während z.B. Vorlieben datenartig und (semi-)persistent sind.
Auf der anderen Seite wird zumindest unser Bewusstsein wesentlich in Sprache prozessiert, sodass es irgendwie etwas unlogisch erscheint, das Bewusstsein ohne die prozessierten Daten (hier die Sprache) sehen zu wollen. Das hat für mich etwas von einem LISP-System, bei dem die Übergänge zwischen Prozess und Objekt auch fließend sind.

Ich würde das auch nicht für völlig getrennt halten. Ebenso wie unser Bewußtsein ja offensichtlich nur auf der Schwabbelware funktioniert, ohne daß wir auch die noch zum Bewußtsein zählen.

Aus AP's Definition würde mE folgen, daß Vorlieben oder Erinnnerungen nicht weiterexistieren, wenn jemand nicht bei Bewußtsein ist.

#544:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 24.08.2010, 19:42
    —
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich halte aber eine Gleichsetzung von Bewusstsein und Arbeitsgedächtnis für ungewöhnlich und auch für wenig nutzbringend. All dasjenige Wissen, meine Erfahrungen, meine Einstellungen, Vorlieben etc. die ich mir ins Arbeitsgedächnis, bzw. den 'Fokus der Aufmerksamkeit' rufen kann, gehören mE zum Bewusstsein.

Wenngleich auch ich eine Gleichsetzung von Bewußtsein und Arbeitsgedächtnis evtl. ein bißchen zu eng finde, so widerspreche ich doch noch mehr Deiner sehr weiten Definition. Bewußtsein bezieht sich i.a. darauf, daß etwas auf eine bestimmte Weise (eben "bewußt") erlebt wird. Deine Definition enthält aus meiner Sicht eine Art Kategorienfehler, da Bewußtsein prozeßartig und aktuell ist, während z.B. Vorlieben datenartig und (semi-)persistent sind.

Okay.

Man könnte nun noch unterscheiden zwischen dem Bewusstsein an sich, (wenn man darunter Erleben / etwas Prozessartiges verstehen will), und demjenigen, was man als 'bewusst' bezeichnen möchte und was als 'unbewusst'. Ich würde da gerne unterscheiden wollen zwischen solchem Wissen, Erfahrungen, Motiven etc., die ins Arbeitsgedächtnis gerufen werden können und solchem, bei dem das nicht möglich ist. Nur Letzteres würde ich als 'unbewusst' bezeichnen.

#545:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 24.08.2010, 20:28
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Man könnte nun noch unterscheiden zwischen dem Bewusstsein an sich, (wenn man darunter Erleben / etwas Prozessartiges verstehen will), und demjenigen, was man als 'bewusst' bezeichnen möchte und was als 'unbewusst'. Ich würde da gerne unterscheiden wollen zwischen solchem Wissen, Erfahrungen, Motiven etc., die ins Arbeitsgedächtnis gerufen werden können und solchem, bei dem das nicht möglich ist. Nur Letzteres würde ich als 'unbewusst' bezeichnen.
Ach so. Das würde ich eher "Objekte des Bewußtseins" nennen.

Allerdings stellt sich mir die Frage, ob dann nicht nahezu alles potenziell bewußt ist, was man weiß. Z.B. "Die Motive des Täters sind mit bewußt" (= bekannt + aktuell gegenwärtig). Oder ist hier eine Grenze zwischen Personen?

Da Du an anderer Stelle die von Dir genannten Beispiele als "eine Person ausmachend" definiert hattest, könnte man Deine Definition nmV so fassen:

bewußt = mir über mich bekannt + aktuell gegenwärtig

#546:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 24.08.2010, 20:29
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Du hast über Suchtverhalten geschrieben. Nur - Suchtverhalten ist normalerweise das Einstellen eines Pegels, bei dem man den Entzug noch nicht / nicht mehr spürt.

Das stimmt, der Körper gewöhnt sich, und das bedingt die Sucht. Ich meinte mehr den Verhaltensaspekt: "Ich weiß ja, dass ich nicht soviel rauchen, saufen, Süßigkeiten essen, am Computer spielen sollte, und eigentlich will ich es ganz lassen - aber..."


Zuletzt bearbeitet von kalmar am 24.08.2010, 22:39, insgesamt einmal bearbeitet

#547:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 24.08.2010, 21:41
    —
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Man könnte nun noch unterscheiden zwischen dem Bewusstsein an sich, (wenn man darunter Erleben / etwas Prozessartiges verstehen will), und demjenigen, was man als 'bewusst' bezeichnen möchte und was als 'unbewusst'. Ich würde da gerne unterscheiden wollen zwischen solchem Wissen, Erfahrungen, Motiven etc., die ins Arbeitsgedächtnis gerufen werden können und solchem, bei dem das nicht möglich ist. Nur Letzteres würde ich als 'unbewusst' bezeichnen.

Ach so. Das würde ich eher "Objekte des Bewußtseins" nennen.

Ist mir recht.

Mir geht es hier nur darum, zwischen dem 'Bewussten' und dem 'Unbewussten' zu unterscheiden. Das Unbewusste ist mAn keineswegs all das, was nicht unter Bewusstsein in der engen Definition fällt.

Deine Definition: "bewußt = mir über mich bekannt + aktuell gegenwärtig " finde ich erst mal ganz okay.

Und klar ist alles potentiell bewusst, d.h. man kann mE theoretisch alle unbewussten Motive, Prägungen etc. bewusst machen, evtl. mit der Hilfe Dritter.

Das, was bei mir heute unbewusst abläuft, kann mir morgen bewusst sein. Ich sehe jedenfalls gerade keinen Grund, wieso das nicht so sein könnte.

Nun gut, es ging mir ja um die Behauptung von kalmar, dass das Unbewusste die eigentliche Steuerung von Entscheidungen und Handlungen übernimmt.

Ich halte das aber für falsch, aber wohl ganz einfach deswegen, weil ich etwas anderes unter dem 'Unbewussten' verstehe als er.

Und seine Auffassung des 'Unbewussten' kann ich nicht nachvollziehen. Ich sehe den Sinn und den Nutzen dessen einfach nicht.

#548:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 24.08.2010, 22:01
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich halte aber eine Gleichsetzung von Bewusstsein und Arbeitsgedächtnis für ungewöhnlich und auch für wenig nutzbringend. All dasjenige Wissen, meine Erfahrungen, meine Einstellungen, Vorlieben etc. die ich mir ins Arbeitsgedächnis, bzw. den 'Fokus der Aufmerksamkeit' rufen kann, gehören mE zum Bewusstsein.

Ich finde es einfach sprachlich nicht sinnvoll, etwas zum Bewusstsein zu rechnen, was aktuell nicht bewusst ist. Für das, was Du meinst - was dem Bewusstsein zugänglich ist - würde ich lieber einen anderen Begriff wählen. Ich würde dann lieber von 'Psyche' oder 'Seele' sprechen, vom 'Inneren' oder von der 'Persönlichkeit' - je nach dem. Aber letztlich ist das wohl Geschmackssache, hängt vom persönlichen Sprachgefühl ab und davon, was man mit einem Begriff innerhalb eines Kontextes, einer Theorie will.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wenn ich hier einen Beitrag schreibe, dann entscheide ich mich nicht, die Taste 'b' anzuschlagen, dann die Taste 'e' und so weiter. Ich entscheide mich, zu einem Thema Stellung zu nehmen, überdenke die Argumente, überlege mir Gegenargumente und formuliere und schreibe dann den Beitrag. Dabei läuft vieles automatisiert ab, normalerweise das ganze Tippen, das betrifft aber auch das Denken, die Zusammenstellung von Argumenten und so. Was automatisiert abläuft, (weil ich es irgendwann mal gelernt und geübt habe), würde ich aber nicht deswegen 'unbewusst' nennen wollen. Ich schreibe die Beiträge hier bewusst.

Ja, natürlich. Ich behaupte ja nicht das Gegenteil. Und bei einem automatischen Handlungsablauf ist es nicht ganz eindeutig - in der Regel ist man sich dessen bewusst, dass man die Handlung als solche ausführt (dass man z.B. die Treppe zu seiner Wohnung hochgeht), die Aufmerksamkeit ist aber woanders. Damasio spricht von 'Hintergrundbewusstsein'

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Unbewusst ist mE nur das, was ich mir nicht ins Arbeitsgedächtnis holen kann, z.B. versteckte Motive, die ich selber nicht erkennen kann.

Das klingt nach dem 'Freudschen Unbewussten'. Das meine ich nicht, jedenfalls nicht vorrangig. Was ich meine, sind alle Gehirnvorgänge, die nicht bewusst ablaufen - das sind die allermeisten. Das Gehirn ist zunächst einmal dazu da, die Körpervorgänge zu steuern. Das ist seine Hauptaufgabe, und das Bewusstsein ist da nur draufgesetzt. Die bewussten Prozesse, auch das Denken und das Entscheiden, werden von unbewussten (subkortikalen) Prozessen getragen und natürlich auch beeinflusst.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Es kommt mir nun merkwürdig vor, zu sagen, das Unbewusste sei die eigentliche Steuerzentrale von Handlungen. Es kommt mir auch schon merkwürdig vor, überhaupt zu sagen, das Unbewusste könne entscheiden. Unter 'Entscheidung' und auch 'Handlung' verstehe ich per definitionem immer etwas Bewusstes. (Man kann zwar sagen, 'der Schachcomputer hat sich entschieden, zu rochieren', aber mE nur dann, wenn man das als Analogie versteht und nicht eine echte Entscheidung damit verbindet.)

Ein bewusstes Steuerzentrum im Gehirn wäre ein 'Geist', ein Homunculus, und es entstünde sofort die Frage: Wenn dieser Geist uns steuert - wer steuert den Geist? Unsere Steuerung kann nur ein Wechselwirkungssystem, eine Art Regelkreis aus mehreren Komponenten sein, und das Bewusstsein ist eine davon.. .

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Meiner Ansicht nach kann man nur sagen: im Unbewussten gibt es Abläufe, Gespeichertes, Triebe, Motive, die per definitionem nicht ins Bewusstsein gerufen werden können. Diese unbewussten Abläufe können nun zwar Entscheidungen beeinflussen, ohne das man das bewusst mitbekommt. Aber dass die eigentlichen Entscheidungen unbewusst seien: diese Aussage ist mE schlicht sinnlos. Wäre alles (ausschließlich) unbewusst gesteuert, dann gäbe es keine Entscheidungen und keine Handlungen, dann gäbe es statt dessen lediglich Berechnungen und Verhalten. Zumindest ist das nach meinem Sprachgebrauch so.

Ich behaupte nicht, dass "alles (ausschließlich) unbewusst gesteuert" ist. Wie das Zusammenspiel von Bewusstsein und unbewusster Steuerung m.E. funktionieren könnte, habe ich hier beschrieben: "Denken und Entscheiden - ein Modell"

#549:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 24.08.2010, 23:26
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich halte aber eine Gleichsetzung von Bewusstsein und Arbeitsgedächtnis für ungewöhnlich und auch für wenig nutzbringend. All dasjenige Wissen, meine Erfahrungen, meine Einstellungen, Vorlieben etc. die ich mir ins Arbeitsgedächnis, bzw. den 'Fokus der Aufmerksamkeit' rufen kann, gehören mE zum Bewusstsein.

Ich finde es einfach sprachlich nicht sinnvoll, etwas zum Bewusstsein zu rechnen, was aktuell nicht bewusst ist. Für das, was Du meinst - was dem Bewusstsein zugänglich ist - würde ich lieber einen anderen Begriff wählen. Ich würde dann lieber von 'Psyche' oder 'Seele' sprechen, vom 'Inneren' oder von der 'Persönlichkeit' - je nach dem. Aber letztlich ist das wohl Geschmackssache, hängt vom persönlichen Sprachgefühl ab und davon, was man mit einem Begriff innerhalb eines Kontextes, einer Theorie will.

Ja, so ist es wohl. Und deswegen sehe ich das auch anders als Du. Ich würde das Arbeitsgedächtnis 'Arbeitsgedächtnis' nennen und unter 'Bewusstsein' verstehe ich alles, was mir bewusst werden kann.

kalmar hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Unbewusst ist mE nur das, was ich mir nicht ins Arbeitsgedächtnis holen kann, z.B. versteckte Motive, die ich selber nicht erkennen kann.

Das klingt nach dem 'Freudschen Unbewussten'. Das meine ich nicht, jedenfalls nicht vorrangig. Was ich meine, sind alle Gehirnvorgänge, die nicht bewusst ablaufen - das sind die allermeisten. Das Gehirn ist zunächst einmal dazu da, die Körpervorgänge zu steuern. Das ist seine Hauptaufgabe, und das Bewusstsein ist da nur draufgesetzt. Die bewussten Prozesse, auch das Denken und das Entscheiden, werden von unbewussten (subkortikalen) Prozessen getragen und natürlich auch beeinflusst.

Ich halte es für Unsinn, beliebige Vorgänge im Gehirn 'unbewusst' zu nennen. Wieso dann nicht auch Vorgänge im zentralen Nervensystem? Wieso nicht die Tätigkeit des Herzmuskels? Wieso ist das Bewusstsein 'aufgesetzt', was soll das eigentlich genau bedeuten, wie unterscheidet man etwas 'Aufgesetztes' von etwas 'nicht Aufgesetztem'? Und auf was eigentlich 'draufgesetzt'? Was heißt 'Entscheidungen werden getragen'?

kalmar hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Es kommt mir nun merkwürdig vor, zu sagen, das Unbewusste sei die eigentliche Steuerzentrale von Handlungen. Es kommt mir auch schon merkwürdig vor, überhaupt zu sagen, das Unbewusste könne entscheiden. Unter 'Entscheidung' und auch 'Handlung' verstehe ich per definitionem immer etwas Bewusstes. (Man kann zwar sagen, 'der Schachcomputer hat sich entschieden, zu rochieren', aber mE nur dann, wenn man das als Analogie versteht und nicht eine echte Entscheidung damit verbindet.)

Ein bewusstes Steuerzentrum im Gehirn wäre ein 'Geist', ein Homunculus, und es entstünde sofort die Frage: Wenn dieser Geist uns steuert - wer steuert den Geist? Unsere Steuerung kann nur ein Wechselwirkungssystem, eine Art Regelkreis aus mehreren Komponenten sein, und das Bewusstsein ist eine davon.. .

Huch, ich habe doch gar nichts von einem 'Steuerzentrum' gesagt. Aber Du redest in Deinem Link die ganze Zeit von einem 'unbewussten Steuerzentrum'.

Ich kann schlicht der strikten Trennung zwischen Bewusstsein und Unbewusstem nicht folgen, so, als ob das voneinander unabhängige Entitäten wären, wobei das eine auf das andere 'aufgesetzt' sei.

Alles, was ich sagte, war, dass ein 'unbewusstes Steuerzentrum' nichts entscheiden und nicht handeln kann. Um solches zu tun, wird mAn ein Bewusstsein benötigt, das aber meiner Ansicht nach mitnichten irgendwie 'aufgesetzt' ist oder dergleichen. Natürlich ist das Bewusstsein lediglich ein Teil des Ganzen, der Person nämlich. Ich bin ja nicht mein Bewusstsein, erst recht nicht, wenn man so wie Du lediglich darunter das Arbeitsgedächtnis versteht oder wie andere das Selbstmodell.

Scheint mir eher so, als ob Du derjenige bist, der einen Homuculus in Form des 'unbewussten Steuerzentrums' im Gehirn postulierst.

Mir erschließt sich der Sinn des Gedankens eines Steuerzentrums nicht. Ich nehme sowas nicht an. Ich bin einfach die Gesamtheit aller meiner Körpervorgänge, nimmst Du einen weg, änderst Du mich.

Allerdings finde ich die Frage, welche unbewussten (nicht erkennbaren, hintergründigen) Motive und Regungen vorhanden sind, eine interessante. Das hat aber schlicht nichts mit dem Arbeitsgedächtnis zu tun und auch nicht mit der für mich seltsamen Frage, was 'eigentlich' steuert.

Oder mal anders gesagt: wenn jemand kommt und mir sagt: 'beim Verfassen dieses Deines Beitrages liefen sehr, sehr, sehr viel mehr unbewusste als bewusste Vorgänge in Dir ab!' und meinte nun, er habe damit was Wesentliches gesagt, dann verstünde ich nicht, was er eigentlich will. Da könnte ich nur antworten: 'so what?'

#550:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 25.08.2010, 00:14
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
.....
Was ich meine, sind alle Gehirnvorgänge, die nicht bewusst ablaufen - das sind die allermeisten.

Das ist jetzt rein spekulativ, weil wir nicht wissen, wieviele Prozesshierarchien aktiv sind, wenn wir denken. Genausogut kann ich sagen, dass alle Vorgänge auf der Ebene der neuronalen Prozesse nicht im Bewusstsein ablaufen, also unser Bewusstsein in Wirklichkeit völlig unbewusst ist. noc
kalmar hat folgendes geschrieben:
Das Gehirn ist zunächst einmal dazu da, die Körpervorgänge zu steuern. Das ist seine Hauptaufgabe, und das Bewusstsein ist da nur draufgesetzt. Die bewussten Prozesse, auch das Denken und das Entscheiden, werden von unbewussten (subkortikalen) Prozessen getragen und natürlich auch beeinflusst.

Ein Hund oder ein Schwein hat mit Sicherhaeit auch schon eine Art Bewusstsein - und eine nicht nur relativ sondern auch absolut erheblich kleiner Gehirnmasse. Wenn ich das Bewusstsein noch weiter reduziere und (wegen der vergleichbaren Größe) einen Waran nehme oder einen Zackenbarsch, dann kann ich feststellen, dass da immer noch erfolgreich agierende Organismen sind, die offensichtlich mit immer weniger Gehirn auskommen, je weiter sie auf den Luxus eines Bewusstseins verzichten. Mir scheint - mit Verlaub - der Verdacht, es seien die allermeisten Gehirnvorgänge, die nicht direkt für das Bewusstsein zuständig sein, auf sehr dünnem Eis zu stehen.
kalmar hat folgendes geschrieben:

........
Ein bewusstes Steuerzentrum im Gehirn wäre ein 'Geist', ein Homunculus, und es entstünde sofort die Frage: Wenn dieser Geist uns steuert - wer steuert den Geist? Unsere Steuerung kann nur ein Wechselwirkungssystem, eine Art Regelkreis aus mehreren Komponenten sein, und das Bewusstsein ist eine davon.. .

Dieses Wechselwirkungssystem ist die identische, ob ich nun dieses unbewusste Steuerungssystem dazwischen schalte oder sage, dass es sich bei dessen Funktionen um untergeordnete aus einem Subroutinenpool des Bewusstseins handelt. Das Problem des Homunculus und seiner Steuerung stellt sich nicht wirklich.
kalmar hat folgendes geschrieben:

.........
Ich behaupte nicht, dass "alles (ausschließlich) unbewusst gesteuert" ist. Wie das Zusammenspiel von Bewusstsein und unbewusster Steuerung m.E. funktionieren könnte, habe ich hier beschrieben: "Denken und Entscheiden - ein Modell"

Ja. Aber Du siehst hier, dass es mich nicht vom Hocker haut.

fwo

#551:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 25.08.2010, 06:52
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
Das Erleben einer 'Gedankenbewegung oder -entwicklung, einer zusammenhängenden Abfolge geistiger Sätze' ist meiner Ansicht nach eine Metaebene.


Nein, denn das einfache Denken als geistige Erfahrung besteht nicht im Nachdenken über das Denken.

kalmar hat folgendes geschrieben:

Es kommt vor, dass ich mich im Satzbau verhaspele oder dass mir das passende Wort für das, was ich ausdrücken will, nicht sofort einfällt - dann folgt ein bewusstes Korrigieren bzw Suchen nach den passenden Wort. Das zeigt aber gerade, dass die Inhalte der Gedanken das Primäre sind und die sprachliche Form jeweils gefunden wird.


Ich arbeite beim Denken immer nur mit sprachlichen Gestalten. Sie scheinen der eigentliche Arbeitsstoff meines Denkens zu sein. Ein reiner, nichtsprachlicher Denkinhalt ist noch nie in meinem Geist aufgetaucht. (Zum Denken zähle ich hier bildliche Vorstellungen nicht.)

kalmar hat folgendes geschrieben:

Wenn also Gedanken mit Gehirnvorgängen identisch sind, dann müssen zu allererst die Inhalte dieser Gedanken mit Gehirnvorgängen identisch sein. Oder anders gesagt: Das Psychophysisch kann nicht nur aus der 1.-Person-Perspektive so aussehen, als hätte es Bedeutungsinhalte - es muss sie tatsächlich haben.


Was nach meiner Ansicht mit Gehirnvorgängen identisch ist, ist das Denken als Bilden geistiger Wörter und Sätze, welches in dem Fall, dass es sich um Sprachgebilde einer von mir erlernten Sprache handelt, mit Verstehen einhergeht. Wir haben es also mit einem einheitlichen Geistes- bzw. Gehirnvorgang zu tun: dem Denken und gleichzeitigen Verstehen des Gedachten. Dabei ist dieses erste intuitive Verständnis oft oberflächlich, sodass es weiteren, eingehenderen Nachdenkens über das Gedachte bedarf, was aber oft unterlassen wird, da nicht jeder dazu veranlagt ist.

kalmar hat folgendes geschrieben:

Das Psychophysische muss also fähig sein, die Inhalte der Gedanken zu verstehen, damit diese Inhalte etwas bewirken können.


Das Gehirn muss fähig sein, Semiose zu betreiben, d.h. kognitive Vorgänge in Gang zu setzen und zu steuern, die die Erkennung, Erzeugung, Verwendung und Auslegung spachlicher und nichtsprachlicher Zeichen betreffen.

kalmar hat folgendes geschrieben:

Dieses 'Wissen, was die gedachten Wörter und Sätze bedeuten', wäre dann etwas, das das Psychophysische nicht nur scheinbar, aus der Bewusstseinsperspektive, haben müsste, sondern das Psychophysische müsste dieses Wissen tatsächlich haben - also nicht nur psychisch, sondern auch physisch, damit das Wissen physisch wirksam werden kann.


Wenn Wissenszustände dispositionelle Gehirnzustände sind, wo ist das Problem?

kalmar hat folgendes geschrieben:

Nach dem ersten Gehirnvorgang mit dem Inhalt "Der Hund bellt." und nach dem zweiten mit dem Inhalt "Vielleicht ist jemand am Tor." gibt es je einen Gehirnvorgang des Verstehens, der zugleich die physische Ursache des jeweils nachfolgenden Gehirnvorganges ist.


Wie gesagt, das Denken und das Verstehen scheinen Teil eines einheitlichen und gleichzeitigen Vorgangs zu sein.

kalmar hat folgendes geschrieben:

Der Gehirnvorgang, der auf den Gehirnvorgang "Ich werde gehen und nachsehen." folgt und die Handlung unmittelbar auslöst, also meine Beine in Bewegung setzt, ist unbewusst. Dieser Gehirnvorgang vermag aber offensichtlich den Inhalt "Ich werde gehen und nachsehen." zu verstehen und das Aktionspotential für die Bewegung aufzubauen.


Das Verständnis zeigt sich ja gerade darin, dass ein Gedanke im Gehirn nachfolgende Denk-, Vorstellungs- oder Verhaltensvorgänge auslöst.

kalmar hat folgendes geschrieben:

Wenn nun die elektrochemische Nerventätigkeit die Inhalte von Gedanken verstehen kann (und sie muss dies ja nicht nur der physischen Wirksamkeit wegen können, sondern auch deshalb, weil das Bewusstsein es kann und die elektrochemische Nerventätigkeit mit dem Bewusstsein identisch ist) dann stellt sich die Frage: Wozu muss die elektrochemische Nerventätigkeit bewusst werden? Wenn das Physische alles Nötige leisten kann - wozu muss es psychophysisch sein?


Anscheinend können bestimmte physische Vorgänge mehr leisten, wenn sie denjenigen Organismen, worin sie ablaufen, in Gestalt von Empfindungen, Gefühlen, Gedanken und Vorstellungen subjektiv erscheinen. Dadurch wird der gesamte Organismus leistungsfähiger.

kalmar hat folgendes geschrieben:

(1) Wenn die Inhalte der Gedanken nur psychisch sind (nur eine 1.-Person-Perspektive sind) und das Verstehen dieser Inhalte nur im Bewusstsein stattfindet (denn die Inhalte sind nur dort), dann können die Inhalte nicht physisch wirksam werden und sind also gleichgültig.
(2) Wenn dagegen die Inhalte der Gedanken identisch auch in den Gehirnvorgängen sind und das Verstehen dieser Inhalte ebenfalls ein mit dem Bewusstseinsvorgang identischer Gehirnvorgang ist, können die Inhalte der Gedanken zwar physisch wirksam werden, aber das Bewusstwerden der Gedankeninhalte ist dann überflüssig.

Im Fall (1) ist es gleichgültig, was wir denken, und im Fall (2) ist das Bewusstsein überflüssig.


Unter Inhalten des Denkens verstehe ich eigentlich Gedanken als gedachte Wörter und Sätze, weil mir der Begriff eines reinen, unausgedrückten Denkinhalts allzu mysteriös erscheint. Davon unterscheide ich die Bedeutungen der Gedanken, d.i. der gedachten Wörter und Sätze.
Das Denken besteht also im bewussten geistigen Erzeugen und Erleben sprachlicher Gebilde, und das Verstehen, d.i. das Erfassen der Bedeutung, derselben ist eine erlernte, nervlich verankerte Fähigkeit.

Was in meinem Bewusstsein oder Geist auftaucht und stattfindet, das taucht in meinem Gehirn auf und findet darin statt. Bewusste Denkvorgänge sind Gehirnvorgänge, und zwei Denkvorgänge mit unterschiedlichem Inhalt bzw. unterschiedlicher Inhaltsbedeutung sind unterschiedliche Gehirnvorgänge, die entsprechenderweise unterschiedliche Wirkungen zeitigen können. Was die Folgen angeht, ist es also keineswegs gleichgültig, was wir denken. Und die Bewusstheit, d.h. die subjektive Dimension, lässt sich natürlich nicht von den psychophysischen Gehirnvorgängen abziehen, ohne dass sie insgesamt verschwinden. Denn sie sind damit wesensmäßig, "auf Gedeih und Verderb" verbunden.

kalmar hat folgendes geschrieben:

Der Begriff 'Psychophysisch' hat etwas Zwitterhaftes.


Zugegeben, dieser Begriff allein beinhaltet streng genommen noch keine numerische Identität zwischen den psychischen und physischen Vorgängen.

kalmar hat folgendes geschrieben:

Die symbolische Repräsentation im Bewusstsein (Symbole = Zeichen, die wir unmittelbar verstehen können, z. B. Wörter, Bilder) erscheint uns ganz anders als die subsymbolischen Informationsverarbeitungsprozesse im Gehirn.


Das was du "subsymbolische Informationsverarbeitungsprozesse" nennst, sind in meinem Augen keine Geistesvorgänge im eigentlichen Sinn, sondern neurophysiologische Vorgänge, die uns gar nicht erscheinen, d.h. gar nicht in unser Bewusstsein fallen.
Und dass das Denken von innen anders erscheint als das Beobachten des Denkens von außen, sollte einen nicht verwundern.

Eine berühmte Veranschaulichung von Theodor Fechner:



Wenn du innerhalb des Kreises stehst, erscheint dir die Kreislinie konvex, und wenn du außerhalb des Kreises stehst, erscheint sie dir konkav; und doch handelt es sich um ein und dieselbe Kreislinie.

#552:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 25.08.2010, 21:21
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:

Ich finde es einfach sprachlich nicht sinnvoll, etwas zum Bewusstsein zu rechnen, was aktuell nicht bewusst ist. Für das, was Du meinst - was dem Bewusstsein zugänglich ist - würde ich lieber einen anderen Begriff wählen.


Im Englischen wird zwischen conscious mental states und unconscious mental states sowie zwischen occurrent mental states und dispositional mental states unterschieden. Diese Unterscheidungen lassen sich kombinieren:

1. occurrent conscious mental states

2. dispositional conscious mental states

3. occurrent unconscious mental states

4. dispositional unconscious mental states

Ich würde dies wie folgt ins Deutsche übertragen:
(Ich verwende "Geisteszustand" und "Seelenzustand" ohne Bedeutungsunterschied.)

1. gegenwärtige bewusste Geisteszustände

2. vorrätige (verfügbare + abrufbare) bewusste Geisteszustände

3. gegenwärtige unbewusste Geisteszustände

4. vorrätige unbewusste Geisteszustände

(2) kann von vornherein ausgeschlossen werden, weil alle bewussten Geisteszustände gegenwärtig sind. Es bleibt also:

1. gegenwärtige bewusste Geisteszustände (Empfindungen, Gefühle, Stimmungen, Gedanken, Vorstellungen)

2. gegenwärtige unbewusste Geisteszustände (kognitive Informationsverarbeitung)

3. vorrätige unbewusste Geisteszustände (Erinnerungen, Überzeugungen, Meinungen, Wissen, Neigungen, Vorlieben)

Nun gibt es Philosophen, die 1-3 zu den echten, eigentlichen Geisteszuständen zählen, und andere, die nur 1+2 dazu zählen, und wiederum andere, die nur 1 dazu zählen.
Ich zähle 2 nicht zu den echten, eigentlichen Geisteszuständen, da es sich dabei in meinen Augen um reine Nervenzustände oder -vorgänge ohne geistigen Inhalt handelt. Und in Bezug auf 3 bin ich zumindest sehr skeptisch. Wenn ich traumlos schlafe, dann kann man mir zwar wahrheitsgemäß z.B. Glauben und Wissen zuschreiben, aber die eigentlichen Wahrmacher solcher Aussagen scheinen wiederum rein nervliche Speicherzustände ohne geistigen Inhalt zu sein. Man kann die Situation mit einer Musik-CD vergleichen. Sätze wie "Auf dieser CD ist Musik von Beethoven" können wahr sein, obgleich eine Musik-CD an sich keinerlei musikalischen Klang enthält. Dieser entsteht erst dadurch, dass die auf der CD gespeicherte Information mithilfe eines CD-Spielers in gegenwärtigen Klang umgewandelt wird.
Ich neige also dazu, nur die gegenwärtigen bewussten Zustände oder Vorgänge als echte, eigentliche Geisteszustände oder -vorgänge anzusehen, und damit auch nur Erinnerungen, Überzeugungen, Meinungen, Wissen, Neigungen und Vorlieben, deren ich mir gegenwärtig bewusst bin.
Das führt zu einer Gleichsetzung von Geisteszuständen mit Bewusstseinszuständen und damit zur Verneinung des Vorhandenseins unbewusster Geisteszustände.
Mit anderen Worten, die eigentlich geistig-seelische, psychische Wirklichkeit erschöpft sich im bewussten Erleben.

#553:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 25.08.2010, 22:20
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich halte es für Unsinn, beliebige Vorgänge im Gehirn 'unbewusst' zu nennen. Wieso dann nicht auch Vorgänge im zentralen Nervensystem?

Natürlich alle unbewussten nervlichen Vorgänge - einschließlich der im Körper. Die nervlichen Rückmeldungen von Muskeln und inneren Organen beeinflussen unmittelbar das Bewusstsein. Es gibt eine recht klar definierbare Grenze (Myron hat schon darauf hingewiesen): Die Bewusstseinsschwelle. Informationen müssen eine gewisse Intensität (Relevanz) und Dauer aufweisen, um über diese Schwelle zu kommen. Unterhalb dieser Schwelle gibt es keine klaren Grenzen zwischen Sachen, die dem Bewusstsein leicht zugänglich sind, solchen, die schwer zugänglich sind (z.B. längst vergessene Ereignisse, die Dir nur dadurch wieder präsent werden, dass Du ein uraltes Fotoalbum auf dem Dachboden findest), solchen, die indirekt zugänglich sind (die Signale des Gehirns an den Körper sind unzugänglich, die dadurch bewirkten Veränderungen des Körperzustands können bewusst werden) und prinzipiell unzugänglichen Prozessen.
Mir scheint, was Du unterscheiden willst, sind Gedanken, Gefühle, Wahrnehmungen, Erinnerungen, Vorstellungen einerseits und 'Körpervorgänge' andererseits. Aber das ist doch klassischer 'Geist'-'Fleisch'-Dualismus.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wieso ist das Bewusstsein 'aufgesetzt', was soll das eigentlich genau bedeuten, wie unterscheidet man etwas 'Aufgesetztes' von etwas 'nicht Aufgesetztem'? Und auf was eigentlich 'draufgesetzt'? Was heißt 'Entscheidungen werden getragen'?

Es bedeutet, dass die bewussten Vorgäge nur die 'Spitze eines Eisberges' sind. Das menschliche Gehirn unterscheidet sich nicht wesentlich von dem anderer Tiere und funktioniert auch sehr ähnlich, was Körpersteuerung, Instinkte und Primärgefühle (Furcht, Wut, Abscheu,) betrifft. Das Besonder des Menschengehirns ist der wesentlich vergrößerte vordere Teil der Großhirnrinde. In diesem Bereich werden die Funktionen lokalisiert, die das Bewusstsein hervorbringen.

Mit 'Entscheidungen werden getragen' meine ich, dass unbewusste Gehirnprozesse überhaupt erst ermöglichen, dass wir bewusste Entscheidungen treffen können. Und es nicht so, dass ein Konstrukteur einen Apparat gebaut hat, in dem die unbewussten Vorgänge dazu da sind, bewusste Entschedungen zu ermöglichen - nein, die unbewussten Prozesse sind die evolutionär älteren. Sie bilden die Basis für das später Hinzugekommene
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Alles, was ich sagte, war, dass ein 'unbewusstes Steuerzentrum' nichts entscheiden und nicht handeln kann. Um solches zu tun, wird mAn ein Bewusstsein benötigt.

Ich behaupte eine Wechselbeziehung zwischen Bewusstsein (das zumindest subjektiv eine Einheit darstellt, wenn man nicht schizophren ist) und unbewusster Steuerung. Letztere dürfte aus vielen verschiedenen Teilen bestehen, aber es wird eine Instanz geben, die die Bewegungen koordiniert.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Oder mal anders gesagt: wenn jemand kommt und mir sagt: 'beim Verfassen dieses Deines Beitrages liefen sehr, sehr, sehr viel mehr unbewusste als bewusste Vorgänge in Dir ab!' und meinte nun, er habe damit was Wesentliches gesagt, dann verstünde ich nicht, was er eigentlich will. Da könnte ich nur antworten: 'so what?'

Du verstehst nicht, worum es mir geht. Es geht mir um die Frage, wie das Geistige entsteht, wie es kommt, dass Moleküle oder elektrische Ströme etwas verstehen und entscheiden können.

#554:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 26.08.2010, 00:16
    —
@kalmar:
Das kann ich fast alles unterschreiben - bis auf deine dem Bewusstsein übergeordnete unbewusste Steuereinheit: Die ist komplett verzichtbar und die Funktionen, die Du ihr zuschreibst, laufen auf einer Ebene unter dem Bewusstsein und nicht darüber. Wenn etwas ins Bewusstsein kommt, sind all die alten Klamotten, die Du richtig einordnest
Zitat:
Instinkte und Primärgefühle (Furcht, Wut, Abscheu,)...die unbewussten Prozesse sind die evolutionär älteren. Sie bilden die Basis für das später Hinzugekommene,

bereits abgearbeitet. Was dann passiert, passiert bewusst - auch wenn es im Gegensatz zu einem vielleicht vorher formulierten Entschluss steht. Im Normalfall sind wir übrigens trotzdem in der Lage, das was wir dann tun / getan haben, im Moment des Tuns oder nachträglich zu rationalisieren.

fwo

#555:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 26.08.2010, 00:54
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Alles, was ich sagte, war, dass ein 'unbewusstes Steuerzentrum' nichts entscheiden und nicht handeln kann. Um solches zu tun, wird mAn ein Bewusstsein benötigt.

Ich behaupte eine Wechselbeziehung zwischen Bewusstsein (das zumindest subjektiv eine Einheit darstellt, wenn man nicht schizophren ist) und unbewusster Steuerung. Letztere dürfte aus vielen verschiedenen Teilen bestehen, aber es wird eine Instanz geben, die die Bewegungen koordiniert.

Den Gedanken eines unbewussten Steuerzentrums halte ich wie gesagt für schlichten Quatsch. Klar hat sich das Gehirn evolutionär entwickelt, klar kann man einige Bereiche des Gehirnes mit denen von Tieren vergleichen, klar ist es plausibel, dass bewusstes Bewusstsein erst später in der Evolution entstanden ist, klar benötigt jede geistige Tätigkeit eine materielle Grundlage, die kann mE nicht 'einfach so' im luftleeren Raum schweben.

Nur folgt daraus noch lange nicht, dass das bewusste Bewusstsein etwas Aufgepfropftes auf dem unbewussten Bewusstsein wäre, es also eigentlich letztlich irgendwie eine untergeordnete Bedeutung gegenüber dem 'eigentlichen Steuerzentrum' habe.

Mir erscheint es plausibler, anzunehmen, dass durch die evolutionäre Entstehung des bewussten Bewusstseins etwas Neues mit neuer Qualität entstanden ist. Es gibt mAn keine 'Wechselbeziehung' - das gesamte System (der Körper) ist als ein Ganzes anzusehen.

Ich bin übrigens nicht schizophren. (Doch bist Du. Nee, bin ich nicht. Doch. Nee. Wohl. Gar nicht. Halt's Maul. Selber.)

Öhm, 'tschuldigung.

Ich verstehe nu' nicht, wieso man das Bewusstsein als eigene, irgendwie getrennte Entität ansehen muss.

kalmar hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Oder mal anders gesagt: wenn jemand kommt und mir sagt: 'beim Verfassen dieses Deines Beitrages liefen sehr, sehr, sehr viel mehr unbewusste als bewusste Vorgänge in Dir ab!' und meinte nun, er habe damit was Wesentliches gesagt, dann verstünde ich nicht, was er eigentlich will. Da könnte ich nur antworten: 'so what?'

Du verstehst nicht, worum es mir geht. Es geht mir um die Frage, wie das Geistige entsteht, wie es kommt, dass Moleküle oder elektrische Ströme etwas verstehen und entscheiden können.

Tja, das weiß ich aber leider auch nicht, tut mir leid.

#556:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 26.08.2010, 12:40
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
...bis auf deine dem Bewusstsein übergeordnete unbewusste Steuereinheit

Sie ist nicht übergeordnet, sondern dem Bewusstsein untergeordnet in dem Sinn, dass sie zwischen Bewusstsein und Körper (Handlungen) liegt. Aber weil sie dort liegt, ist sie die letzte und deshalb auch letztentscheidende Instanz vor einer Handlung.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Nur folgt daraus noch lange nicht, dass das bewusste Bewusstsein etwas Aufgepfropftes auf dem unbewussten Bewusstsein wäre...

"Bewusstes Bewusstsein - unbewusstes Bewusstsein". Findest Du das nicht selbst komisch?


Zuletzt bearbeitet von kalmar am 26.08.2010, 20:47, insgesamt einmal bearbeitet

#557:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 26.08.2010, 12:55
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
...bis auf deine dem Bewusstsein übergeordnete unbewusste Steuereinheit

Sie ist nicht übergeordnet, sondern dem Bewusstsein untergeordnet in dem Sinn, dass sie zwischen Bewusstsein und Körper (Handlungen) liegt. Aber weil sie dort liegt, ist sie die letzte und deshalb auch letztentscheidende Instanz vor einer Handlung.....

letztentscheidende Instanzen nennt man i.A. übergeordnet.
Das was in meiner Hand ankommt, wenn ci den Finger heben will, kommt aus dem Bewusstsein. das einzige, was da noch dazwischenkommen kann, ist ein direkter (=Rückennmarksr-) Reflex. Für eigenständig entscheidende Instanzen zwischen Bewusstsein und Muskel existiert m.W: nicht der Hauch eines Beleges. Dass ich das auch informatisch nicht für sinnvoll halte, war meinen Ausführungen evtl. bereits zu entnehmen.

fwo

#558:  Autor: WoiciWohnort: Em Schwobaländle BeitragVerfasst am: 26.08.2010, 13:15
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
letztentscheidende Instanzen nennt man i.A. übergeordnet.
Das was in meiner Hand ankommt, wenn ci den Finger heben will, kommt aus dem Bewusstsein. das einzige, was da noch dazwischenkommen kann, ist ein direkter (=Rückennmarksr-) Reflex. Für eigenständig entscheidende Instanzen zwischen Bewusstsein und Muskel existiert m.W: nicht der Hauch eines Beleges. Dass ich das auch informatisch nicht für sinnvoll halte, war meinen Ausführungen evtl. bereits zu entnehmen.

fwo


ich muss zugeben, dass ich diesem thread stellenweise schlicht und ergreifend nicht mehr folgen kann, aber hier möchte ich einhaken.
Worin besteht denn jetzt der unterschied zwischen:

"ich hebe jetzt meinen finger"

und

"mein finger hat sich automatisch gehoben, als ich gerade diesen text geschrieben habe"

es ist ja nicht so, dass ich meinen finger heben will, sondern ich will eine taste auf der tippselatur betätigen... ein (antrainierter) automatismus sorgt dafür, dass sich mein finger hebt und sich mit einer (antrainierten) kraft wieder auf die taste legt...

#559:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 26.08.2010, 15:34
    —
Woici hat folgendes geschrieben:
.....
Worin besteht denn jetzt der unterschied zwischen:

"ich hebe jetzt meinen finger"

und

"mein finger hat sich automatisch gehoben, als ich gerade diesen text geschrieben habe"

es ist ja nicht so, dass ich meinen finger heben will, sondern ich will eine taste auf der tippselatur betätigen... ein (antrainierter) automatismus sorgt dafür, dass sich mein finger hebt und sich mit einer (antrainierten) kraft wieder auf die taste legt...

Das erste ist ein Hauptsatz im Präsens, das zweite ein Hauptsatz mit Nebensatz im Perfekt.... scnr.

Zur Sache: Das erste ist eine einzelne Handlung, die direkt aus dem Bewusstsein kommt, und nur als solche gemacht wird, z.B. auf die Bitte eines Neurologen.

Das zweite ist Teilhandlung einer umfassenderen, nämlich eine Antwort zu schreiben. Diese Fingerbewegung ist nach hinreichendem Trainig auch unter einem geringeren Fokus möglich, so dass es dir möglich ist, dich weniger auf den Finger als auf den Inhalt und die Syntax des Satzes zu konzentrieren.

In beiden Fällen ist aber klar, dass der Finger vom Bewusstsein gesteuert wird.

Falls Du einen Programmiererhintergrund hast:
im ersten Fall ist "Fingerheben" ein direktes Statement im Programm,
im zweiten Fall Teil eines Makros. Trainig ist soetwas Ähnliches wie eine Makrodefinition.

fwo

#560:  Autor: WoiciWohnort: Em Schwobaländle BeitragVerfasst am: 26.08.2010, 15:45
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Woici hat folgendes geschrieben:
.....
Worin besteht denn jetzt der unterschied zwischen:

"ich hebe jetzt meinen finger"

und

"mein finger hat sich automatisch gehoben, als ich gerade diesen text geschrieben habe"

es ist ja nicht so, dass ich meinen finger heben will, sondern ich will eine taste auf der tippselatur betätigen... ein (antrainierter) automatismus sorgt dafür, dass sich mein finger hebt und sich mit einer (antrainierten) kraft wieder auf die taste legt...

Das erste ist ein Hauptsatz im Präsens, das zweite ein Hauptsatz mit Nebensatz im Perfekt.... scnr.

Zur Sache: Das erste ist eine einzelne Handlung, die direkt aus dem Bewusstsein kommt, und nur als solche gemacht wird, z.B. auf die Bitte eines Neurologen.

Das zweite ist Teilhandlung einer umfassenderen, nämlich eine Antwort zu schreiben. Diese Fingerbewegung ist nach hinreichendem Trainig auch unter einem geringeren Fokus möglich, so dass es dir möglich ist, dich weniger auf den Finger als auf den Inhalt und die Syntax des Satzes zu konzentrieren.

In beiden Fällen ist aber klar, dass der Finger vom Bewusstsein gesteuert wird.

Falls Du einen Programmiererhintergrund hast:
im ersten Fall ist "Fingerheben" ein direktes Statement im Programm,
im zweiten Fall Teil eines Makros. Trainig ist soetwas Ähnliches wie eine Makrodefinition.

fwo


der vergleich mit einem programm passt da doch aber nicht wirklich.
auch im macro hat es den direkten befehl "hebe deinen finger"
zwar eingebunden in mehrere andere befehle, aber eben doch eindeutig

vielleicht ein anderes beispiel:

etwas fliegt auf dich zu und du schliesst die augen.
sind wir uns einig, dass das kein bewusst gesteuerter prozess ist?

aber was ist, wenn du im auto sitzt, etwas überraschend auf dich zu kommt und du eine vollbremsung hinlegst?
auch da findet ja wohl kein bewusster denkvorgang statt, oder?

#561:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 26.08.2010, 16:19
    —
Woici hat folgendes geschrieben:
.....
der vergleich mit einem programm passt da doch aber nicht wirklich.
auch im macro hat es den direkten befehl "hebe deinen finger"
zwar eingebunden in mehrere andere befehle, aber eben doch eindeutig

Tschuldigung - hier habe ich nicht an unterschiedliche Systeme gedacht:
Meine normale Umgebung ist ein Interpreter, der Makros gesondert übersetzt und dann tatsächlich anders und schneller abarbeitet....
Stell dir von mir aus eien Colon-definition in Forth statt eines Makros vor.

Woici hat folgendes geschrieben:

vielleicht ein anderes beispiel:

etwas fliegt auf dich zu und du schliesst die augen.
sind wir uns einig, dass das kein bewusst gesteuerter prozess ist?

Ja - das dürfte ein angeborener Reflex sein, die gibt es auch bei uns, sie sind allerdings sehr selten und beschränken sich im späteren Alter auf den Bereich körperlicher Reaktionen. Z.B. das Gähnen und Niesen gehört auch dazu.
Woici hat folgendes geschrieben:

aber was ist, wenn du im auto sitzt, etwas überraschend auf dich zu kommt und du eine vollbremsung hinlegst?
auch da findet ja wohl kein bewusster denkvorgang statt, oder?

Das müsste man sich im Einzelnen ansehen, was hier vorliegt - z.B. zu welchen Änderung für meinen Gesichtswinkel führt das Aufmichzukommen dieses Gegenstandes - es ist auch nicht ausgeschlossen, dass Angeborenes und Antrainiertes verknüpft vorliegen.

Aber da das Handlungsmittel in diesem Fall das antrainierte Organ Auto ist, gehe ich davon aus dass eis sich hier wesentlich um Antrainiertes handelt, um Vorgänge, die durch Automatisierung nicht mehr den unmittelbaren Fokus des Bewusstsein haben.

Was hier auch noch eine Rolle spielen könnte, ist ein instinktives Stoppen aus Angst, wobei diese Angst als eine angeborene Reaktion auf etwas sein könnte, was überraschend auf mich zu kommt.

Angst spielt aber auch im Bewusstsein. (Das ist auch der Grund, aus dem ich davon ausgehe, dass die Angst und auch der Schmerz einer Ameise oder einer Kuh nicht wirklich mit unseren Gefühlen vergelichbar ist - nur so als Seitenblick auf die Veggiediskussion.)

fwo

#562:  Autor: WoiciWohnort: Em Schwobaländle BeitragVerfasst am: 26.08.2010, 16:29
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Das müsste man sich im Einzelnen ansehen, was hier vorliegt - z.B. zu welchen Änderung für meinen Gesichtswinkel führt das Aufmichzukommen dieses Gegenstandes - es ist auch nicht ausgeschlossen, dass Angeborenes und Antrainiertes verknüpft vorliegen.

Aber da das Handlungsmittel in diesem Fall das antrainierte Organ Auto ist, gehe ich davon aus dass eis sich hier wesentlich um Antrainiertes handelt, um Vorgänge, die durch Automatisierung nicht mehr den unmittelbaren Fokus des Bewusstsein haben.


und wo ist die grenze?
bis wann ist es bewusst, ab wann ist es unterbewusst?
ist ein reflex bewusst oder unbewusst?
kann ein reflex sich auch körperfremder gegenstände bedienen oder ist es dann kein reflex mehr, sondern ein antrainierter bewegungsablauf?
und worin unterscheiden sich dann reflexe und antrainierte bewegunsabläufe, wenn sie reaktionstechnisch in etwa gleich schnell ablaufen?

oder sind das alles dumme fragen und ich bin nur weit weg davon zu verstehen um was es hier eigentlich geht? (<- das ist nicht ironisch gemeint)

#563:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 26.08.2010, 16:41
    —
Woici hat folgendes geschrieben:
....
oder sind das alles dumme fragen und ich bin nur weit weg davon zu verstehen um was es hier eigentlich geht? (<- das ist nicht ironisch gemeint)

sind sie mit Sicherheit nicht - auch wenn ich einiges davon aus meiner Sicht bereits beantwortet habe.

Aber wir wissen beide, dass meine Sicht nicht für alle gilt, z.B weil hier verschiedene Defintionen von Bewusstsein im Spiel sind (s.o.) zwinkern

fwo

#564:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 26.08.2010, 21:42
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Das was in meiner Hand ankommt, wenn ich den Finger heben will, kommt aus dem Bewusstsein. das einzige, was da noch dazwischenkommen kann, ist ein direkter (=Rückennmarksr-) Reflex.

Entschuldigung, aber das ist Blödsinn. Die willkürlichen Bewegungen werden vom motorischen Kortex, also einem Bereich der Großhirnrinde, gesteuert.

Das Verhältnis Bewusstsein - Steuerung stell dir ungefähr so vor: Es gibt einen Boss, der hat das letzte Wort. Aber er ist nicht besonders schlau. Er weiß bloß: Es geht um Überleben, Sattwerden, Fortpflanzung, um das Streben nach Lust und die Vermeidung von Frust und Schmerzen. Ansonsten beschränkt sich sein Wissen auf ein paar angeborene Instinkte. Der Boss sieht und hört zwar, was um ihn herum passiert, aber da er nie Sprechen gelernt hat, ist sein Verständnis der Welt nicht besonders groß.

Der Boss ist also ziemlich dumm. Aber er hat schlaue Mitarbeiter. Ein besonders schlauer heißt 'Bewusstsein'. Der liefert dem Boss Informationen darüber, was alle die Bilder, die der Boss sieht, und all die Gräusche, die er hört, zu bedeuten haben - insbesondere, was sie mit Überleben, Sattwerden, Fortpflanzung, mit dem Streben nach Lust und mit der Vermeidung von Frust und Schmerzen zu tun haben.

Der Boss ist zwar der Boss und hat zu entscheiden, aber meistens bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich nach den Vorschlägen des Mitarbeiters 'Bewusstsein' zu richten, weil der einfach mehr Ahnung hat. Nur manchmal folgt der Boss den Ratschlägen anderer Mitarbeiter oder entscheidet selber - denn er ist und bleibt der Boss.

#565:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 26.08.2010, 22:30
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Den Gedanken eines unbewussten Steuerzentrums halte ich wie gesagt für schlichten Quatsch.


Ich nicht. Stichwort: autonomes/vegetatives Nervensystem

#566:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 26.08.2010, 22:45
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Ich neige also dazu, nur die gegenwärtigen bewussten Zustände oder Vorgänge als echte, eigentliche Geisteszustände oder -vorgänge anzusehen, und damit auch nur Erinnerungen, Überzeugungen, Meinungen, Wissen, Neigungen und Vorlieben, deren ich mir gegenwärtig bewusst bin.

Ich auch.

Myron hat folgendes geschrieben:
Das führt zu einer Gleichsetzung von Geisteszuständen mit Bewusstseinszuständen

Nur dann, wenn man das Geistige als etwas ansieht, das sich im Gehirn befindet und bewusst ist. Aber Du schreibst ja selbst:

Myron hat folgendes geschrieben:
...Man kann die Situation mit einer Musik-CD vergleichen. Sätze wie "Auf dieser CD ist Musik von Beethoven" können wahr sein, obgleich eine Musik-CD an sich keinerlei musikalischen Klang enthält.

Eben. Und wir bezweifeln doch nicht, dass Musik von Beethoven etwas Geistiges ist - auch dann, wenn sie nicht in einem Gehirn, sondern auf einer CD gespeichert ist, und auch dann, wenn sie nicht im Bewusstsein präsent ist, weil die CD gerade nicht angehört wird.

Myron hat folgendes geschrieben:
... und damit zur Verneinung des Vorhandenseins unbewusster Geisteszustände. Mit anderen Worten, die eigentlich geistig-seelische, psychische Wirklichkeit erschöpft sich im bewussten Erleben.

Und diese Gleichsetzung von 'Geist' mit etwas, dass im Gehirn ist und bewusst ist, halte ich für den Grundirrtum, der die Lösung des Leib-Seele-Prolems unmöglich macht. Ich argumetiere nicht gegen die Identitätstheorie, weil ich Dualist bin. Ich stimme sofort folgender These zu:

Bewusstseinsvorgänge sind diejenigen Gehirnvorgänge, die im Bewusstsein präsent sind. Daraus folgt: Bewusstseinsvorgänge sind Gehirnvorgänge.

Damit habe ich kein Problem, weil hier die Frage, was das Geistige ist und wie es mit der Materie zusammenhängt , unberücksichtigt bleibt. Das ist eine ganz andere Frage, die mit der Frage nach dem Bewusstsein nichts zu tun hat. Denn Geistiges existiert auch außerhalb des Bewusstseins und außerhalb von Gehirnen.

Bewusstsein ist eine Eigenschaft von Lebewesen, die darauf gründet, dass Lebewesen ein lebendiges Inneres besitzen, in dem sich die Außenwelt 'spiegelt'. Geist dagegen beruht auf der Eigenschaft der Materie, Informationen zu tragen, die für ein verstehendes Wesen etwas bedeuten können.

#567:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 26.08.2010, 22:58
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Den Gedanken eines unbewussten Steuerzentrums halte ich wie gesagt für schlichten Quatsch.

Ich nicht. Stichwort: autonomes/vegetatives Nervensystem

Das meine ich aber nicht, jedenfalls nicht vorrangig. Die unbewussten Steuerungsprozesse, die das Handeln beeinflussen, sind im Gehirn lokalisiert, allerdings teilweise subkortikal, also unterhalb der Großhirnrinde. Siehe z.B. das sogenannte limbische System.

#568:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 26.08.2010, 23:03
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Den Gedanken eines unbewussten Steuerzentrums halte ich wie gesagt für schlichten Quatsch.

Ich nicht. Stichwort: autonomes/vegetatives Nervensystem

Öhm, das ist jetzt so ein bisschen aus dem Zusammenhang gerissen. Ich meinte das übergeordnete umfassende Steuerzentrum, das kalmar postuliert.

#569:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 26.08.2010, 23:19
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Stichwort: autonomes/vegetatives Nervensystem

Das meine ich aber nicht, jedenfalls nicht vorrangig.


Du meinst also das zentrale Nervensystem?

#570:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 26.08.2010, 23:29
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
kalmar hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Stichwort: autonomes/vegetatives Nervensystem

Das meine ich aber nicht, jedenfalls nicht vorrangig.


Du meinst also das zentrale Nervensystem?

Ja.

#571:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 27.08.2010, 00:05
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:

Myron hat folgendes geschrieben:
Das führt zu einer Gleichsetzung von Geisteszuständen mit Bewusstseinszuständen

Nur dann, wenn man das Geistige als etwas ansieht, das sich im Gehirn befindet und bewusst ist.


Wo soll sich das Geistige denn befinden, wenn nicht in den Gehirnen oder Körpern von Lebewesen?

kalmar hat folgendes geschrieben:

Aber Du schreibst ja selbst:
Myron hat folgendes geschrieben:
...Man kann die Situation mit einer Musik-CD vergleichen. Sätze wie "Auf dieser CD ist Musik von Beethoven" können wahr sein, obgleich eine Musik-CD an sich keinerlei musikalischen Klang enthält.

Eben. Und wir bezweifeln doch nicht, dass Musik von Beethoven etwas Geistiges ist - auch dann, wenn sie nicht in einem Gehirn, sondern auf einer CD gespeichert ist, und auch dann, wenn sie nicht im Bewusstsein präsent ist, weil die CD gerade nicht angehört wird.


Eine Beethoven-CD als informationstragende Plastikscheibe hat keinerlei immanenten geistigen Gehalt. Und es ist schon fraglich, inwiefern z.B. Beethovens 9. Symphonie etwas Geistiges ist.
Denn ein konkretes psychisches Phänomen ist sie nicht, wenngleich sie als Kunstwerk ein Erzeugnis psychischer Tätigkeiten ist. Das Abspielen/Aufführen und Anhören ist ein komplexer psychophysischer Vorgang, aber die Symphonie an sich scheint mir eher ein abstrakter Gegenstand zu sein, der als solcher kein geistiger Gegenstand ist.

Myron hat folgendes geschrieben:

Denn Geistiges existiert auch außerhalb des Bewusstseins und außerhalb von Gehirnen.


Mir ist nicht klar, was du mit "Geistiges" meinst.
(Ich verwende die Begriffe "Geist", "Seele", "Gemüt", "Psyche" unterschiedslos.)

kalmar hat folgendes geschrieben:

Bewusstsein ist eine Eigenschaft von Lebewesen, die darauf gründet, dass Lebewesen ein lebendiges Inneres besitzen, in dem sich die Außenwelt 'spiegelt'. Geist dagegen beruht auf der Eigenschaft der Materie, Informationen zu tragen, die für ein verstehendes Wesen etwas bedeuten können.


Informationsträger wie Bücher kann man als "veräußerte Gedanken" bezeichnen, doch ihnen selbst wohnt an sich nichts Geistiges inne. Sie enthalten lediglich physische Formen, die von Lebewesen mit psychischen Zuständen als bedeutungsvolle Zeichen aufgefasst werden können.
Externe physische Informationsträger sind an sich völlig ungeistig und geistlos.

#572:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 27.08.2010, 00:34
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Das was in meiner Hand ankommt, wenn ich den Finger heben will, kommt aus dem Bewusstsein. das einzige, was da noch dazwischenkommen kann, ist ein direkter (=Rückennmarksr-) Reflex.

Entschuldigung, aber das ist Blödsinn. Die willkürlichen Bewegungen werden vom motorischen Kortex, also einem Bereich der Großhirnrinde, gesteuert.
....

Das beweist natürlich eindeutig, dass es nicht mein Bewusstsein ist, das mich meinen Finger heben lässt. Autsch

Aber wenigstens entschuldigst Du dich für sowas. Sehr glücklich

Außerdem ich finde es gut, dass wir beide vom zentralen Nervensystem reden.

fwo

#573:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 27.08.2010, 22:50
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Wo soll sich das Geistige denn befinden, wenn nicht in den Gehirnen oder Körpern von Lebewesen?

Nirgends, weil das Geistige kein Ding ist, sondern eine Eigenschaft - die Eigenschaft von Strukturen/Formen von Materie, Information zu sein.

Zwei Beispiele: Wenn ein Geologe einen Stein anschaut – einen beliebigen Feldstein – kann er an der Farbe und der Struktur des Steines erkennen, woraus dieser besteht, wie alt er ungefähr ist, ob er vulkanisch oder durch Sedimentation entstanden ist und, in Norddeutschland, aus welchem Teil Skandinaviens der Stein während der Eiszeit an diesen Ort gelangt ist. Für den Geologen enthält der Stein also eine Fülle von Informationen. Der Stein „spricht“ zu ihm, und der Geologe kann die Sprache des Steins verstehen. Dagegen kann ich mir, wenn ich einen solchen Stein in der Hand halte, mir zwar denken, dass er etwas mitzuteilen hat, aber ich bin kein Geologe und verstehe seine Sprache nicht. Ebenso geht es mir aber auch mit einem Japaner, der in seiner Sprache zu mir spricht. Ich nehme ebenfalls an, dass er mir etwas mitteilen will, dass also seine Rede Informationen enthält – aber weil ich nicht japanisch kann, verstehe ich nichts.

Die Beispiele zeigen: Der Stein und die Worte des Japaners haben etwas Wesentliches gemeinsam: Sie enthalten Informationen. Informationen sind (für den, der sie versteht) Zeichen, die etwas bedeuten, und zwar etwas anderes, als sie selbst sind. Das Zeichen ist immer Zeichen für etwas, weist also über sich hinaus. Es ist transzendent, über-sinnlich, denn es deutet auf etwas nicht Vorhandenes, nicht unmittelbar sinnlich Wahrnehmbares hin. Eine Fußspur etwa weist darauf hin, dass hier jemand gegangen ist - also auf ein Ereignis in der Vergangenheit. Und nicht nur der Mensch hinterlässt Spuren, sondern auch die Naturkräfte – unablässig entstehen Informationen, wird etwas umgeformt, eigeprägt.

Eine Information wird also nicht erst dadurch zur Information, dass sie verstanden wird. Sie ist Information aus sich selbst. Das Verstehen allerdings, und damit die Verwandlung von Materiestrukturen (= Daten) in Zeichen, die etwas bedeuten, ist eine Fähigkeit von Lebewesen. Und 'etwas bedeuten können' ist m.E. das, was das Wesen des Geistigen ausmacht.

Myron hat folgendes geschrieben:
(Ich verwende die Begriffe "Geist", "Seele", "Gemüt", "Psyche" unterschiedslos.)

Ich unterscheide, wie gesagt, zwischen dem Geistigen, das eine Eigenschaft der Materie ist, und Phänomenen wie Innerlichkeit, Subjektivität, Verstehen, die Eigenschaften von Lebewesen sind. Die Begriffe "Seele", "Gemüt", "Psyche" würde ich nur für das geistige Innere von Menschen, allenfalls noch von Tieren verwenden.

Myron hat folgendes geschrieben:
Informationsträger wie Bücher kann man als "veräußerte Gedanken" bezeichnen, doch ihnen selbst wohnt an sich nichts Geistiges inne. Sie enthalten lediglich physische Formen, die von Lebewesen mit psychischen Zuständen als bedeutungsvolle Zeichen aufgefasst werden können.

Ein Gedicht verändert sich nicht dadurch, dass es einmal in meinem Bewusstsein präsent ist, ein andermal nur in meinem Gedächtnis gespeichert ist oder in einem Buch. Zwar verändert sich die Art des Speichermediums, aber der Gehalt von Informationen ist vom Informationsträger unabhängig. Der Inhalt des Gedichts verändert sich nicht. Und dieser Inhalt ist das Geistige.

Der Unterschied zwischen einem Gedicht in einem Buch, das keiner liest, und demselben Gedicht in meinem Bewusstsein ist der, dass mein Bewusstsein das Gedicht sozusagen zum Leben erweckt, es von etwas Totem in etwas Lebendiges verwandelt. Aber das liegt nicht am Gedicht, sondern daran, dass mein Gehirn etwas Lebendiges ist.

Myron hat folgendes geschrieben:
Externe physische Informationsträger sind an sich völlig ungeistig und geistlos.

Das finde ich nicht. Denn die Information ist in der Form/Struktur des Informationsträgers enthalten. Und die Information ist das, was die Bedeutung enthält - also das Geistige. Der Informationsträger selbst, seine pure Materialität, ist nicht geistig - aber seine Form/Struktur ist es.

#574:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 28.08.2010, 01:16
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
.....
Die Beispiele zeigen: Der Stein und die Worte des Japaners haben etwas Wesentliches gemeinsam: Sie enthalten Informationen.
......
Zwar verändert sich die Art des Speichermediums, aber der Gehalt von Informationen ist vom Informationsträger unabhängig. Der Inhalt des Gedichts verändert sich nicht. Und dieser Inhalt ist das Geistige.
........
Der Informationsträger selbst, seine pure Materialität, ist nicht geistig - aber seine Form/Struktur ist es.

Nur mal so ein Vorschlag, um uns in die Lage zu versetzen, die Steine von den Büchern und die Bücher von den Japaner zu trennen. Es geht weniger um Geist oder Information als um die Weltbewältigung (=Werden, Behaupten, Fortpflanzen) von Lebewesen, und im Dienste dieser Tätigkeit um die Ansammlung von Wissen und um Kommunikation zwischen Lebewesen.

Ein geringfüger Unterschied zwischen dem Japaner und dem Stein besteht z.B. im Besitz von Intention. Das Buch ist das Ergebnis einer derartigen Intention.

Na gut, wir wollen nicht so sein:
fräulein rottenmeier hat folgendes geschrieben:
.....
je nach Zusammenhang meinen Geist, Seele und Bewusstsein nicht dasselbe, aber ich stimme dem zu, dass schon in einem Stein eine Ahnung von dem vorhanden ist, was in Pflanzen, Tieren, Menschen (und unsern evolutiven Nachfolgern) möglich ist.

grüsse, das fräulein

fwo

#575:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 28.08.2010, 11:14
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
Eine Information wird also nicht erst dadurch zur Information, dass sie verstanden wird. Sie ist Information aus sich selbst.

Der Begriff "Information" wird ja unterschiedlich gebraucht, meistens versteht man darunter (wikipedia) "im engeren Sinne eine geordnete Abfolge von Symbolen, deren Bedeutung der Empfänger entschlüsselt". Der Begriff impliziert also einen Kontext (wenn nicht gar den Prozeß) des Entschlüsselns, Verstehens.

Wenn Du "Information aus sich selbst", also explizit ohne Intentions- und Entschlüsselungskontext, definieren willst, scheint mir das problematisch, da nur noch die Zeichenfolge übrigbleibt und diese beliebig mehrdeutig ist. Ich denke sogar, dieser Ansatz ist nur haltbar, wenn Du unter "Information" etwas sehr allgemeines verstehst, also z.B. jegliches Muster, das nicht völlig zufällig ist.

kalmar hat folgendes geschrieben:
Ich unterscheide, wie gesagt, zwischen dem Geistigen, das eine Eigenschaft der Materie ist, und Phänomenen wie Innerlichkeit, Subjektivität, Verstehen, die Eigenschaften von Lebewesen sind. Die Begriffe "Seele", "Gemüt", "Psyche" würde ich nur für das geistige Innere von Menschen, allenfalls noch von Tieren verwenden.

Letzteres basiert aber doch eher auf der bei Lebewesen sehr starken Substratbindung von Bewußtsein. Ein nichtorganisches Wesen mit einer vergleichbar starken, jedoch völlig andersgearteten Substratbindung würde mE ebenfalls etwas ausbilden, das man "Gemüt" usw. nennen könnte.

kalmar hat folgendes geschrieben:
Der Unterschied zwischen einem Gedicht in einem Buch, das keiner liest, und demselben Gedicht in meinem Bewusstsein ist der, dass mein Bewusstsein das Gedicht sozusagen zum Leben erweckt, es von etwas Totem in etwas Lebendiges verwandelt. Aber das liegt nicht am Gedicht, sondern daran, dass mein Gehirn etwas Lebendiges ist.

Es liegt eher daran, daß Dein Gehirn einen Bedeutungskontext aufzustellen in der Lage ist. Lebendigkeit ist mE dazu keine notwendige Bedingung.

#576:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 28.08.2010, 18:14
    —
step hat folgendes geschrieben:
Wenn Du "Information aus sich selbst", also explizit ohne Intentions- und Entschlüsselungskontext, definieren willst, scheint mir das problematisch, da nur noch die Zeichenfolge übrigbleibt und diese beliebig mehrdeutig ist. Ich denke sogar, dieser Ansatz ist nur haltbar, wenn Du unter "Information" etwas sehr allgemeines verstehst, also z.B. jegliches Muster, das nicht völlig zufällig ist.

Genau dieses allgemeine Verständnis von Information ist gemeint.

step hat folgendes geschrieben:
kalmar hat folgendes geschrieben:
Ich unterscheide, wie gesagt, zwischen dem Geistigen, das eine Eigenschaft der Materie ist, und Phänomenen wie Innerlichkeit, Subjektivität, Verstehen, die Eigenschaften von Lebewesen sind...

Letzteres basiert aber doch eher auf der bei Lebewesen sehr starken Substratbindung von Bewußtsein.

Nein, es basiert darauf, dass Lebewesen etwas 'Inneres' sind, das sich durch eine Membran/Haut vom Äußeren abgrenzt, mit diesem Äußeren aber zugleich in Wechselwirkung steht. Diese lebendige Innerlichkeit ist die Basis für Subjektivität. Es geht also um eine Struktur, nicht um ein Substrat.

EDIT: Du meinst mit 'Substrat' wohl das Gehirn. Zum Verstehen sind aber alle Lebewesen fähig, auch solche ohne Gehirn. Dass ein Lebewesen seine Welt versteht, sieht man daran, dass es sich darin sinnvoll verhält, dass es Nahrung und Sexualpartner findet, Gefahren meidet usw.

step hat folgendes geschrieben:
kalmar hat folgendes geschrieben:
Der Unterschied zwischen einem Gedicht in einem Buch, das keiner liest, und demselben Gedicht in meinem Bewusstsein ist der, dass mein Bewusstsein das Gedicht sozusagen zum Leben erweckt, es von etwas Totem in etwas Lebendiges verwandelt. Aber das liegt nicht am Gedicht, sondern daran, dass mein Gehirn etwas Lebendiges ist.

Es liegt eher daran, daß Dein Gehirn einen Bedeutungskontext aufzustellen in der Lage ist. Lebendigkeit ist mE dazu keine notwendige Bedingung.

Doch. Was ist denn der Bedeutungskontext, der es mir ermöglicht, ein Gedicht zu verstehen? Es ist meine eigene Lebenserfahrung. Das, was ich selber erlebt habe und die Erinnerung daran, was ich dabei gedacht und gefühlt habe ermöglicht es mir, die Gedanken und Gefühle des Dichters nachzuvollziehen und zu verstehen, was er, auch zwischen den Worten und Zeilen, sagen will. Und um Lebenserfahrung zu haben, muss man leben.

#577:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 28.08.2010, 18:49
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Ein geringfüger Unterschied zwischen dem Japaner und dem Stein besteht z.B. im Besitz von Intention. Das Buch ist das Ergebnis einer derartigen Intention.

Ich habe nicht Steine, Bücher und Japaner miteinander verglichen, sondern Informationen mit Informationen.

#578:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 28.08.2010, 20:11
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
kalmar hat folgendes geschrieben:
Ich unterscheide, wie gesagt, zwischen dem Geistigen, das eine Eigenschaft der Materie ist, und Phänomenen wie Innerlichkeit, Subjektivität, Verstehen, die Eigenschaften von Lebewesen sind...
Letzteres basiert aber doch eher auf der bei Lebewesen sehr starken Substratbindung von Bewußtsein.
Nein, es basiert darauf, dass Lebewesen etwas 'Inneres' sind, das sich durch eine Membran/Haut vom Äußeren abgrenzt, mit diesem Äußeren aber zugleich in Wechselwirkung steht. Diese lebendige Innerlichkeit ist die Basis für Subjektivität. Es geht also um eine Struktur, nicht um ein Substrat.

Hmm ... also ich gebe Dir insofern recht, als die hinreichende organische Einheit und Individualität eine notwendige Voraussetzung für die Ausbildung eines Innerlichkeitsgefühls ist. Mit der Substratbindung (Gehirn, aber auch Stoffwechsel, Hormone usw.) hatte ich dagegen eine aus meiner Sicht notwendige Bedingung für Gefühle gemeint.

kalmar hat folgendes geschrieben:
Zum Verstehen sind aber alle Lebewesen fähig, auch solche ohne Gehirn. Dass ein Lebewesen seine Welt versteht, sieht man daran, dass es sich darin sinnvoll verhält, dass es Nahrung und Sexualpartner findet, Gefahren meidet usw.

Das kann ich nur nachvollziehen, wenn Du auch "Verstehen" wieder extrem allgemein definierst, etwa als jedwede abbildende Reaktion auf ein Reizmuster. Auch ein Pendel oder ein Planet würden so die Gravitation "verstehen".

kalmar hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
kalmar hat folgendes geschrieben:
Der Unterschied zwischen einem Gedicht in einem Buch, das keiner liest, und demselben Gedicht in meinem Bewusstsein ist der, dass mein Bewusstsein das Gedicht sozusagen zum Leben erweckt, es von etwas Totem in etwas Lebendiges verwandelt. Aber das liegt nicht am Gedicht, sondern daran, dass mein Gehirn etwas Lebendiges ist.
Es liegt eher daran, daß Dein Gehirn einen Bedeutungskontext aufzustellen in der Lage ist. Lebendigkeit ist mE dazu keine notwendige Bedingung.
Doch. Was ist denn der Bedeutungskontext, der es mir ermöglicht, ein Gedicht zu verstehen? Es ist meine eigene Lebenserfahrung. Das, was ich selber erlebt habe und die Erinnerung daran, was ich dabei gedacht und gefühlt habe ermöglicht es mir, die Gedanken und Gefühle des Dichters nachzuvollziehen und zu verstehen, was er, auch zwischen den Worten und Zeilen, sagen will. Und um Lebenserfahrung zu haben, muss man leben.

Naja, also auch das kann ich wieder nur nachvollziehen, wenn Du unter "Leben" etwas völlig anderes, viel allgemeineres verstehst als üblich. Üblicherweise ist "Lebendigkeit" an biologische Organismen mit intaktem Stoffwechsel gebunden. Einen Bedeutungskontext könnte jedoch jedes hinreichend intelligente und lernfähige System aufstellen, etwa ein entsprechender Computer.

#579:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 28.08.2010, 21:17
    —
Also, ich sehe das so wie step. 'Information' einfach als beliebiges Muster zu definieren kommt mir nicht richtig vor. Meiner Ansicht nach ist etwas nur dann eine Information, wenn es ein System gibt, das das Muster auf irgend eine Weise auswertet. Hierzu ist kein Bewusstsein notwendig, das System kann irgendwas sein, z.B. ein Heizkreislauf mit Thermostat. Aber ohne ein solches System mE keine Information im eigentlichen Sinne. Das bedeutet nun: eine Information kann nie einfach nur in einem Muster stecken. Das kann nicht sein, wer was anderes behauptet, nimmt mE unweigerlich implizit doch ein interpretierendes System an.

Auch beim 'Verstehen' kann ich nicht zustimmen. Da würde ich mich einfach der Wikipedia-Definition anschließen: "Verstehen ist das inhaltliche Begreifen eines Sachverhalts, das nicht in der bloßen Kenntnisnahme besteht, sondern in der intellektuellen Erfassung des Zusammenhangs, in dem der Sachverhalt steht." Ein Planet kann also nichts verstehen, das kommt mir falsch ausgedrückt vor. Auch würde ich nicht sagen wollen, dass eine Ameise etwas versteht.

#580:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 28.08.2010, 21:49
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
[...]Auch würde ich nicht sagen wollen, dass eine Ameise etwas versteht.

Mir fällt dabei ein Interview mit Raghavendra Gadagkar, einem Wespenforscher ein, das man sogar online nachlesen kann. Das fand ich erstaunlich.

Zitat:
Klein: Sie sind davon überzeugt, dass man Ihren Wespen Intelligenz und womöglich sogar eine bestimmte Form von Bewusstsein zusprechen muss?

Gadagkar: Sicherlich lassen sich Intelligenz und Bewusstsein so definieren, dass Insekten automatisch außen vor bleiben. Aber solche Sprachregelungen interessieren mich nicht. Denn es ist klar, dass Wespen nicht einfach Roboter sind. Sie lernen, und ihr Verhalten ist nicht leicht vorhersagbar.

Klein: Was lernen sie denn?

Gadagkar: Wo ihre eigenen Stärken und Schwächen liegen – zum Beispiel, wie erfolgreich sie beim Futtersammeln sind. Man könnte sagen, sie kennen ihre eigene Persönlichkeit.

Klein: Aber bedeutet dies schon Intelligenz, gar Bewusstsein?

Gadagkar: In Ansätzen, ja. Sie können nicht eine scharfe Linie ziehen zwischen vernunftbegabten Geschöpfen hier und rein instinktgesteuerten dort. Die Übergänge sind fließend.

Klein: Einen der Vorfälle, die Sie aus Ihren Wespennestern berichten, finde ich besonders merkwürdig. Es war eine Art Rebellion: Eine Gruppe von Arbeiterinnen stellt die Zusammenarbeit mit der Königin ein, bestimmt eine Anführerin aus ihrer Mitte und gründet ein paar Tage später eine neue Kolonie – als hätten sie sich untereinander abgesprochen.

Gadagkar: So war es. Wir wissen nicht, wie diese Entscheidung entstand. Offenbar haben die Wespen Mittel der Kommunikation, die uns noch ganz unbekannt sind. Eine Vermutung ist, dass sie über ihren Speichel Informationen austauschen. Die Arbeiterinnen berühren, umsorgen und füttern einander nämlich unablässig.

Klein: Dass ihre Sprache die Zusammensetzung des Speichels sein könnte, finde ich erstaunlich genug. Doch die Abspaltung, die Sie beschreiben, bedeutet, dass die Tiere ihr Verhalten Tage im Voraus geplant haben müssen. Das erscheint mir unglaublich.

Gadagkar: Gewiss, diesen Schluss muss man ziehen. Tiere sind zu deutlich mehr in der Lage, als wir heute verstehen. Dass wir sie fortwährend unterschätzen, hängt damit zusammen, dass wir uns von ihnen isoliert haben. In der modernen Gesellschaft sind Tiere uns so fremd geworden, dass wir vergessen haben, wie viele Arten uns Menschen auf einzelnen Gebieten überlegen sind. Wir haben den Respekt vor der Natur verloren.

http://www.zeit.de/2009/08/Klein-Wespen-08

#581:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 28.08.2010, 22:40
    —
Hm, die Grenze zwischen vernunftbegabten Lebewesen hier und rein instinktgesteuerten dort ist sicher fließend. (Wobei es rein vernunftgesteuerte Lebewesen nicht gibt.)

Aber Wespen als vernunftbegabt und intelligent anzusehen? Ich weiß ja nicht so recht.

Du kennst doch sicher das:

Daniel C. Dennett hat folgendes geschrieben:
"Wenn die Zeit der Eiablage kommt, gräbt Sphex (= Grabwespe) eine Höhle und sucht dann eine Grille, die sie mit ihrem Stich lähmt. Sie zieht die Grille in die Höhle, legt ihre Eier daneben, schließt die Höhle von außen und fliegt davon. Einige Zeit später schlüpfen die Wespenlarven, und ernähren sich von der gelähmten Grille, die ihre Mutter ihnen zurückgelassen hat. Dies alles erweckt den Eindruck, als handle die Sphex vernünftig und zielgerichtet. Doch folgendes Experiment lässt Zweifel daran aufkommen. Normalerweise geht die Sphex so vor: Nachdem sie die Grille gelähmt hat, bringt sie sie vor die Höhle, lässt sie dort liegen, kriecht in die Höhle und überprüft, ob alles in Ordnung ist, und zieht die Grille erst dann in die Höhle hinein. Wenn man nun, während die Sphex in der Höhle ist, die Grille nimmt und einige Zentimeter entfernt hinlegt, wiederholt sich das Spiel: Die Sphex bringt die Grille vor die Höhle, lässt sie dort liegen, kriecht in die Höhle, und so weiter. Dies kann man beliebig oft wiederholen: das Verhalten der Sphex bleibt immer dasselbe."


Man sollte schon immer ein bisschen aufpassen, dass man nicht Eigenschaften von Menschen auf Tiere überträgt und ihnen so Eigenschaften zuschreibt, die sie nicht haben. Das ist auch so eine Art Anthropozentrismus.

Nun zu sagen: 'man könnte sagen, sie [Wespen] kennen ihre eigene Persönlichkeit' kommt mir ziemlich merkwürdig vor.

#582:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 28.08.2010, 23:07
    —
step hat folgendes geschrieben:
Hmm ... also ich gebe Dir insofern recht, als die hinreichende organische Einheit und Individualität eine notwendige Voraussetzung für die Ausbildung eines Innerlichkeitsgefühls ist.

Ich meine mit Innerlichkeit kein Innerlichkeitsgefühl, sondern, wie gesagt, die Tatsache, dass Lebewesen, auch primitive Einzeller, ein Inneres besitzen, in dem Lebensvorgänge ablaufen und das Sensibilität besitzt. Sensibilität bedeutet einfach: Das Innere reagiert auf gewisse Veränderungen der Umgebung, indem es sich selbst in gewisser Weise verändert. Dadurch 'spiegeln' sich im Inneren eines Lebewesens gewisse Aspekte des Äußeren.

step hat folgendes geschrieben:
kalmar hat folgendes geschrieben:
Zum Verstehen sind aber alle Lebewesen fähig, auch solche ohne Gehirn. Dass ein Lebewesen seine Welt versteht, sieht man daran, dass es sich darin sinnvoll verhält, dass es Nahrung und Sexualpartner findet, Gefahren meidet usw.

Das kann ich nur nachvollziehen, wenn Du auch "Verstehen" wieder extrem allgemein definierst, etwa als jedwede abbildende Reaktion auf ein Reizmuster. Auch ein Pendel oder ein Planet würden so die Gravitation "verstehen"

Ich habe 'Verstehen' mit sinnvollem, also richtigem Verhalten definiert. Ein Pendel oder ein Planet verhalten sich jedoch weder richtig noch falsch, sie bewegen sich ihren Ursachen entsprechend. Lebewesen können sich dagegen auch falsch verhalten, dann finden sie keine Nahrung, keinen Sexualpartner oder werden gefressen. 'Verstehen' bedeutet, dass ein Lebewesen über Erfahrungen darüber verfügt, was für sein Überleben und seine Fortpflanzung gut und was schlecht ist. Diese Erfahrungen sind überwiegend keine Erfahrungen des Individuums, sondern der Gattung, also Ergebnis der Evolution. Trotzdem sind die Erfahrungen für das einzelne Lebewesen nutzbar und ermöglichen ihm das Verstehen seiner Welt.

step hat folgendes geschrieben:
Üblicherweise ist "Lebendigkeit" an biologische Organismen mit intaktem Stoffwechsel gebunden. Einen Bedeutungskontext könnte jedoch jedes hinreichend intelligente und lernfähige System aufstellen, etwa ein entsprechender Computer.

Ein Computer ist eine syntaktisch arbeitende Maschine und versteht überhaupt nichts - weder die Bedeutung von Wörtern und erst recht nicht Bedeutungen, die zwischen den Wörtern liegen und die man verstehen muss, wenn man ein Gedicht oder auch nur einen simplen Witz verstehen will.

#583:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 28.08.2010, 23:19
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Man sollte schon immer ein bisschen aufpassen, dass man nicht Eigenschaften von Menschen auf Tiere überträgt und ihnen so Eigenschaften zuschreibt, die sie nicht haben. Das ist auch so eine Art Anthropozentrismus.

Das denke ich auch. Das allermeiste vernünftige Verhalten von Tieren beruht darauf, dass sie Programme abspulen, die durch bestimmte äußere oder innere Reize in Gang gesetzt werden. Das ändert aber nichts daran, dass das Verhalten vernünftig ist - nur ist es nicht die Vernunft des einzelnen Tieres, sondern sozusagen die Vernunft der Evolution oder der Natur.

EDIT: Aber auch wenn sie oft Programme abspulen, sind Tiere keine Roboter, denn sie leben in einer Welt, die für sie gut oder schlecht sein kann. Wir wissen nicht, ob Insekten Schmerz empfinden oder sonst irgendwie leiden können (vermutlich nicht), aber sie können sterben.


Zuletzt bearbeitet von kalmar am 28.08.2010, 23:45, insgesamt einmal bearbeitet

#584:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 28.08.2010, 23:34
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
Ich meine mit Innerlichkeit kein Innerlichkeitsgefühl, sondern, wie gesagt, die Tatsache, dass Lebewesen, auch primitive Einzeller, ein Inneres besitzen, in dem Lebensvorgänge ablaufen und das Sensibilität besitzt. Sensibilität bedeutet einfach: Das Innere reagiert auf gewisse Veränderungen der Umgebung, indem es sich selbst in gewisser Weise verändert. Dadurch 'spiegeln' sich im Inneren eines Lebewesens gewisse Aspekte des Äußeren.

Das gilt ganz genauso für ein Thermostat in einem Regelkreis.

kalmar hat folgendes geschrieben:
Ich habe 'Verstehen' mit sinnvollem, also richtigem Verhalten definiert. Ein Pendel oder ein Planet verhalten sich jedoch weder richtig noch falsch, sie bewegen sich ihren Ursachen entsprechend. Lebewesen können sich dagegen auch falsch verhalten, dann finden sie keine Nahrung, keinen Sexualpartner oder werden gefressen. 'Verstehen' bedeutet, dass ein Lebewesen über Erfahrungen darüber verfügt, was für sein Überleben und seine Fortpflanzung gut und was schlecht ist. Diese Erfahrungen sind überwiegend keine Erfahrungen des Individuums, sondern der Gattung, also Ergebnis der Evolution. Trotzdem sind die Erfahrungen für das einzelne Lebewesen nutzbar und ermöglichen ihm das Verstehen seiner Welt.

Das was 'richtig' und 'falsch' ist, hast aber Du hier vollkommen willkürlich definiert. Du könntest ebensogut sagen, es sei 'richtig', dass sich Planeten um Sterne drehen. Ein Planet / Himmelskörper, der sich nicht um einen Stern dreht, sondern auf diesen stürzt, beendet damit seine Existenz. Es ist also 'nutzbar' für einen Himmelskörper, das nicht zu tun. Das dient nämlich seinem 'Überleben'.

kalmar hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Üblicherweise ist "Lebendigkeit" an biologische Organismen mit intaktem Stoffwechsel gebunden. Einen Bedeutungskontext könnte jedoch jedes hinreichend intelligente und lernfähige System aufstellen, etwa ein entsprechender Computer.

Ein Computer ist eine syntaktisch arbeitende Maschine und versteht überhaupt nichts - weder die Bedeutung von Wörtern und erst recht nicht Bedeutungen, die zwischen den Wörtern liegen und die man verstehen muss, wenn man ein Gedicht oder auch nur einen simplen Witz verstehen will.

Das hängt jetzt aber nur davon, was Du hier als richtig und falsch definierst. Ein Taschenrechner, der 'richtig' rechnet, versteht nach Deiner Definition auch.

#585:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 29.08.2010, 02:59
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
[...]Auch würde ich nicht sagen wollen, dass eine Ameise etwas versteht.

Mir fällt dabei ein Interview mit Raghavendra Gadagkar, einem Wespenforscher ein, das man sogar online nachlesen kann. Das fand ich erstaunlich.

Zitat:
......

Klein: Dass ihre Sprache die Zusammensetzung des Speichels sein könnte, finde ich erstaunlich genug. Doch die Abspaltung, die Sie beschreiben, bedeutet, dass die Tiere ihr Verhalten Tage im Voraus geplant haben müssen. Das erscheint mir unglaublich.

Gadagkar: Gewiss, diesen Schluss muss man ziehen. Tiere sind zu deutlich mehr in der Lage, als wir heute verstehen.....

http://www.zeit.de/2009/08/Klein-Wespen-08

Da wäre ich erheblich vorsichtiger in der Interpretation. Speichel als "Sprache" ist für mich überhaupt nichts erstaunliches, weil im Speichel auch Hormone enthalten sind und synchrones Verhalten z.T. auch bei uns Säugern noch über Hormone gesteuert wird.

Zur Erklärung dieser Geschichte reicht es, von einer hormonellen Steuerung des Staates durch die Königin auszugehen, was z.T auch bereits belegt ist. Wenn die alte Königin diese Hormone nicht mehr absondert, wird die nächste Quelle Königin - die wird normaler weise regelmäßig angelegt, muss nur bei noch funktionierender Königin den Bau verlassen oder wird umgebracht.

Was ich da sehe, sind relativ harte Programme - die in der Summe zum Staunen anregen können, aber nicht in der hier beschriebenen Art. Zumindest nicht bei mir. Da lass ich doch gerne mal jemand den Vorrang, mit dessen weitergehenden Ansichten ich nicht viel anfangen kann:
kalmar hat folgendes geschrieben:
.... Das ändert aber nichts daran, dass das Verhalten vernünftig ist - nur ist es nicht die Vernunft des einzelnen Tieres, sondern sozusagen die Vernunft der Evolution oder der Natur.....


fwo

#586:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 29.08.2010, 10:15
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
kalmar hat folgendes geschrieben:
[...]
[...]

Da habe ich nichts hinzuzufügen.

#587:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 29.08.2010, 17:44
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Was nach meiner Ansicht mit Gehirnvorgängen identisch ist, ist das Denken als Bilden geistiger Wörter und Sätze, welches in dem Fall, dass es sich um Sprachgebilde einer von mir erlernten Sprache handelt, mit Verstehen einhergeht.

Wenn wir sprechen lernen, lernen wir die korrekte Verwendung der Zeichen. Das ist aber noch kein Verstehen, denn ein ordentlich programmierter Computer verwendet die Zeichen auch korrekt und versteht nix. Siehe auch John Searles Chinesisches Zimmer

Myron hat folgendes geschrieben:
Unter Inhalten des Denkens verstehe ich eigentlich Gedanken als gedachte Wörter und Sätze, weil mir der Begriff eines reinen, unausgedrückten Denkinhalts allzu mysteriös erscheint. Davon unterscheide ich die Bedeutungen der Gedanken, d.i. der gedachten Wörter und Sätze.

Ja eben, und die Bedeutungen, das sind die Inhalte - daran ist nichts Mystisches. Wenn eine Mutter ihrem Kleinkind das Wort 'Hund' beibringen will, wird sie auf einen Hund zeigen und dazu: "Hund" sagen. Sie zeigt später noch auf andere Hunde und sagt: "Hund". Das Kind lernt, die an und für sich willkürliche Lautfolge H - U - N - D mit Erfahrungen in Beziehung zu setzen. Diese Erfahrung bzw. die Erinnerung daran - das ist die Bedeutung. Die Bedeutng selbst ist also nichtsprachlich. Allerdings trifft das nicht für Wörter wie 'Bundestagspräsident' zu, die sprachlich definiert werden müssen.

Myron hat folgendes geschrieben:
Das Denken besteht also im bewussten geistigen Erzeugen und Erleben sprachlicher Gebilde, und das Verstehen, d.i. das Erfassen der Bedeutung, derselben ist eine erlernte, nervlich verankerte Fähigkeit.

Verstehen ist eben nicht nur die korrekte Zuordnung definierter Bedeutungen, sondern die Fähigkeit, aktuelle Wahrnehmungen (u.a. von Zeichen) mit Erfahrungen in Beziehung zu setzen. Das Verstehen von Sprache besteht nicht nur darin, die Bedeutungen der Wörter zu kennen, sondern darin, denn Sinn einer Aussage zu verstehen, z.B, bei einem Witz.

Myron hat folgendes geschrieben:
kalmar hat folgendes geschrieben:
Wenn nun die elektrochemische Nerventätigkeit die Inhalte von Gedanken verstehen kann (und sie muss dies ja nicht nur der physischen Wirksamkeit wegen können, sondern auch deshalb, weil das Bewusstsein es kann und die elektrochemische Nerventätigkeit mit dem Bewusstsein identisch ist) dann stellt sich die Frage: Wozu muss die elektrochemische Nerventätigkeit bewusst werden? Wenn das Physische alles Nötige leisten kann - wozu muss es psychophysisch sein?

Anscheinend können bestimmte physische Vorgänge mehr leisten, wenn sie denjenigen Organismen, worin sie ablaufen, in Gestalt von Empfindungen, Gefühlen, Gedanken und Vorstellungen subjektiv erscheinen. Dadurch wird der gesamte Organismus leistungsfähiger.

Das könnte ein Vertreter des Eigenschaftsdalismus aber auch sagen.

Myron hat folgendes geschrieben:
Was in meinem Bewusstsein oder Geist auftaucht und stattfindet, das taucht in meinem Gehirn auf und findet darin statt. Bewusste Denkvorgänge sind Gehirnvorgänge, und zwei Denkvorgänge mit unterschiedlichem Inhalt bzw. unterschiedlicher Inhaltsbedeutung sind unterschiedliche Gehirnvorgänge, die entsprechenderweise unterschiedliche Wirkungen zeitigen können.

Die Frage ist aber hier, wie die verschiedenen geistigen Inhalte der Denkvorgänge verschiedene physische Wirkungen haben können. Das Konzept des 'Psychophysischen' wäre plausibel, wenn auch psychophysische Wirkungen definiert wären. Aber da es letztlich das Physische ist, das wirkt, bleibt die Funktion des Psychischen fraglich.

#588:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 29.08.2010, 18:16
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
Die Frage ist aber hier, wie die verschiedenen geistigen Inhalte der Denkvorgänge verschiedene physische Wirkungen haben können. Das Konzept des 'Psychophysischen' wäre plausibel, wenn auch psychophysische Wirkungen definiert wären. Aber da es letztlich das Physische ist, das wirkt, bleibt die Funktion des Psychischen fraglich.

Guckst du hier.

Damit sollte eigentlich klar sein, daß es in beide Richtungen gehen kann.

Gehirnchemie beeinflußt Psyche. Psyche beeinflußt Hirnchemie.

#589:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 29.08.2010, 19:54
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
kalmar hat folgendes geschrieben:
Ich habe 'Verstehen' mit sinnvollem, also richtigem Verhalten definiert. Ein Pendel oder ein Planet verhalten sich jedoch weder richtig noch falsch, sie bewegen sich ihren Ursachen entsprechend. Lebewesen können sich dagegen auch falsch verhalten, dann finden sie keine Nahrung, keinen Sexualpartner oder werden gefressen. ...

Das was 'richtig' und 'falsch' ist, hast aber Du hier vollkommen willkürlich definiert. Du könntest ebensogut sagen, es sei 'richtig', dass sich Planeten um Sterne drehen. Ein Planet / Himmelskörper, der sich nicht um einen Stern dreht, sondern auf diesen stürzt, beendet damit seine Existenz. Es ist also 'nutzbar' für einen Himmelskörper, das nicht zu tun. Das dient nämlich seinem 'Überleben'.

Verhalten kann sich nur etwas, dass sich aktiv aus innerer Kraft bewegen kann. Himmelskörper können das nicht, sie werden durch äußere Ursachen in Bewegung gesetzt. Außerdem können tote Objekte nicht 'überleben'. Ich definiere 'Verstehen' in seiner einfachsten und ursprünglichen Form als das zweckmäßige Verhalten eines Lebewesens in seiner Umwelt.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
kalmar hat folgendes geschrieben:
...Sensibilität bedeutet einfach: Das Innere reagiert auf gewisse Veränderungen der Umgebung, indem es sich selbst in gewisser Weise verändert. Dadurch 'spiegeln' sich im Inneren eines Lebewesens gewisse Aspekte des Äußeren.

Das gilt ganz genauso für ein Thermostat in einem Regelkreis.

Stimmt. Und es erscheint widersprüchlich, wenn ich an das 'Verstehen' einerseits sehr hohe Anforderungen stelle (verstehen des Sinns von Gedichten und Witzen) und andererseits sehr geringe Anforderungen (sinnvolles Verhalten). Aber wenn man einen Fluss bis an seine Quelle zurückverfolgt, steht man an einem schmalen Rinnsal und nicht mehr an einem Fluss. Ähnlich ergeht es einem, wenn man das Phänomen 'Verstehen' an seinen Ursprung zurückverfolgt: Man steht vor einfachen Regelkreisen.

Das ist auch nicht verwunderlich - ich hab ja weiter oben schon geschrieben, dass ich mir auch unsere menschliche Steuerung als einen Regelkreis denke, von dem das Bewusstsein, also auch das bewusste Verstehen, mur ein Teil ist. Aber zurück zum Ursprung: Was unterscheidet einen Regelkreis in einem Lebewesen vom Regelkreis einer Heizung?

Regelkreise in Lebewesen sind bipolar. Das hat nichts mit der gleichnamigen psychischen Störung zu tun, sondern bedeutet, dass für die Messung und Korrektur der positiven und der negativen Abweichung vom Sollwert je ein eigener Regelkreis vorhanden ist. Die Überschreitung eines Sollbereiches setzt also andere Regelmechanismen in Gang als die Unterschreitung. Das ist bei Lebewesen fast immer der Fall (man spricht in der Biologie auch von antagonistischer Steuerung) - bei technischen Systemen dagegen ist es fast nie der Fall. Bei der Heizung wird bei Über- und Unterschreitung des Temperatursolls der Warmwasserzufluss über dasselbe Ventil verändert.

Dieser Unterschied zwischen Lebewesen und Maschinen ist äußerst wichtig, denn auf dem Antagonismus in der Reaktion auf die Umwelt gründet sich die Fähigkeit von Lebewesen, quantitative Umweltdaten in qualitative Wahrnehmungsgegensätze zu verwandeln. Darüber habe ich in diesem Thread schon ausführlich geschrieben:

kalmar hat folgendes geschrieben:
Man kann ganz allgemein sagen: Lebewesen haben die Fähigkeit, quantitative Unterschiede von Zustandsdaten aus ihrer Umwelt in qualitative Gegensätze umzuwandeln. Diese Umwandlung stellt zugleich eine Bewertung dieser Daten dar: Was bedeuten sie für mich, für mein Leben? Hieraus erwächst alles Verstehen, Denken und Entscheiden...

#590:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 29.08.2010, 22:01
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fwo hat folgendes geschrieben:
Na gut, wir wollen nicht so sein:
fräulein rottenmeier hat folgendes geschrieben:
...je nach Zusammenhang meinen Geist, Seele und Bewusstsein nicht dasselbe, aber ich stimme dem zu, dass schon in einem Stein eine Ahnung von dem vorhanden ist, was in Pflanzen, Tieren, Menschen (und unsern evolutiven Nachfolgern) möglich ist.

Das 'geistig' und 'bewusst' nicht dasselbe meinen, merkt man auch am jeweiligen Gegenteil: Das Gegenteil von 'bewusst' ist 'unbewusst', das Gegenteil von 'geistig' ist, je nach Kontext, 'körperlich' oder 'materiell'. Warum ist die Unterscheidung zwischen Geist und Bewusstsein wichtig?

Die Vorstellung vom Geist als einer (wie auch immer gearteten) 'Substanz', die im Gehirn befindlich und mit dem Bewusstsein identisch ist, geht auf Descartes zurück und hat seine Wurzeln im religiösen Geist-Fleisch- oder Seele-Leib-Dualismus. Diese traditionelle Ineinssetzung von Geist und Bewusstsein ist aber genau die Denkbarriere, die uns daran hindert zu verstehen, auf welche Weise das Geistige Teil der physikalischen Welt ist – die uns also daran hindert, das 'Leib-Seele-Problem' aufzulösen.

Wenn man zeigen will, wie das Geistige Teil der physikalischen Welt ist, muss man zeigen, was die physikalische Grundlage des Geistigen ist. Es steht aber nirgendwo geschrieben, dass Denken, Fühlen, Wollen, Wahrnehmen, Vorstellen und Erinnern - also das, was wir traditionell 'geistig' nennen – auf nur einer einzigen physikalischen Grundlage beruht. Ich behaupte, dass dafür es zwei physikalische Grundlagen gibt:

(1) Die Eigenschaft der Materie, Informationen zu tragen, ist die Basis für das Geistige als solches, dessen Wesensmerkmal die Intentionalität ist, die Fähigkeit, etwas zu bedeuten,

(2) Die Eigenschaft von Lebewesen, ein lebendiges Inneres zu sein, in dem sich Eigenschaften der Außenwelt widerspiegeln, ist die Basis für Subjektivität, Verstehen und Bewusstsein.

Wieso kann man nun durch die Unterscheidung zwischen Geist und Bewusstsein das Leib-Seele-Problem auflösen? Erstens kann man sagen:

Bewusstseinsprozesse sind diejenigen Gehirnprozesse, die im Bewusstsein präsent sind – also sind Bewusstseinsprozesse Gehirnprozesse.

Das Qualia-Argument sticht hier nicht, weil z.B. das Erleben von Schmerz einfach die Art und Weise ist, wie ein bestimmter Gehirnvorgang bewusst wird. Auch das Intentionalitäts-Argument sticht nicht, weil sowohl bewusste als auch unbewusste Gehirnprozesse geistige Prozesse sind.

Zweitens kann man durch die Definition des Geistigen als Information das 'Bieri-Trilemma' in folgender Weise auflösen:

(1) Das Geistige ist nicht mit dem Materiellen identisch, denn das Geistige als Information ist eine Eigenschaft der Materie. Eine Information ist nicht an einen bestimmten materiellen Träger gebunden, sondern von einem Träger auf einen anderen übertragbar. (Ich muss hier Peter Bieris Formulierung: „nicht Teil der physikalischen Welt“ abändern, denn wäre das Geistige nicht Teil der physikalischen Welt, dann wäre seine Existenz ein Wunder.)

(2) Das Geistige ist physikalisch wirksam, denn es ist Information und als solche eine Struktur von Materie (von Stoff oder Energie). Materie ist physikalisch wirksam, und die Art und Weise ihrer Wirkung wird bestimmt von ihrer Struktur, die zugleich Information ist. Somit ist die physikalische Wirkung zugleich eine geistige und umgekehrt.

(3) Die physikalische Welt ist kausal geschlossen.

Das Geistige als Information und mithin als Struktur von Materie zu definieren vereint in sich die drei wesentlichen Ansätze zur Lösung des Leib-Seele-Problems, denn sie ist

1. Eigenschaftsdualismus, da die Eigenschaft, Information zu sein und die Eigenschaft, physikalisch wirksam zu sein, verschiedene Eigenschaften von Materiestrukturen sind (aus diesem Eigenschaftsdualismus folgt aber kein Epiphänomenalismus),

2. Identitätstheorie, da die Struktur, die die Information enthält, identisch ist mit der Struktur, die physikalisch wirkt (denn es ist einunddieselbe Struktur), und weil die Informationswirkung identisch ist mit der physikalischen Wirkung dieser Struktur,

3. Panpsychismus, da aller strukturierten Materie die Eigensigenschaft zugesprochen wird, geistig zu sein, nämlich Informationen zu tragen, die potentiell (für ein verstehendes Subjekt) etwas bedeuten können. Damit erübrigen sich alle Erklärungen des Geistigen aus dem Gehirn.

#591:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 30.08.2010, 04:26
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
.... Siehe auch John Searles Chinesisches Zimmer.....

Ich kann mich noch gut erinnern, wie Searle seine chinesisches Zimmer im Spektrum der Wissenschaften vorgestellt hat. Die Churchlands sind damals sehr liebevoll mit ihm umgegangen. Ich hatte da wenig Verständnis für. Zum Einen, weil er mit seinem 3. Axiom "Syntax an sich ist weder konstitutiv noch hinreichend für Semantik." behauptet, den Forschungsgegenstand KI bereits entschieden zu haben, zum Anderen, weil er, wenn er bemängelt, dass der Mann im Zimmer am Ende des Versuches immer noch kein Chinesich versteht, Verständnis an einer Stelle sucht, an der es sich nicht befinden kann - beim Prozessor. Ich habe jetzt allerdings keine Lust mehr, das weiter auszuführen - nur - mit dieser ollen Kamelle solltest Du nicht mehr kommen. Wikipedia beschreibt das ganz trocken so:
Zitat:
Das Chinesische Zimmer ist der Name für ein Gedankenexperiment des Philosophen John Searle, mittels dessen er 1980 zu widerlegen versuchte, dass die menschliche Intelligenz durch Computerprogramme nachgeahmt oder gar übertroffen werden könne.
fett von mir.

kalmar hat folgendes geschrieben:
....
Das Geistige als Information und mithin als Struktur von Materie zu definieren vereint in sich die drei wesentlichen Ansätze zur Lösung des Leib-Seele-Problems, denn .....

Was wir jedoch normal als das Geistige verstehen, ist nicht Information, sondern das Verarbeiten der selben. Und deshalb habe ich keine Lust, dir hier zu folgen, zumal sich meine Leib-Seele-Probleme in Grenzen halten.

fwo

#592:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 30.08.2010, 13:27
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Das Chinesische Zimmer ist der Name für ein Gedankenexperiment des Philosophen John Searle, mittels dessen er 1980 zu widerlegen versuchte, dass die menschliche Intelligenz durch Computerprogramme nachgeahmt oder gar übertroffen werden könne.
fett von mir.

Ich stimme hier mit Dir überein: Das Chinesischzimmer ist kein Argument gegen die KI. Die menschliche Intelligenz, sofern sie mit einer klar definierten Sprache und logischen Denkschritten operiert, lässt sich auf Computern simulieren. Ich meine aber, das menschliches Verstehen sich nicht auf Intelligenz reduzieren lässt, sondern dass dazu auch Lebenserfahrung und Emotionalität gehören - z.B. um ein Gedicht, Musik von Beethoven oder einen anderen Menschen zu verstehen. Was ich mit Verstehen meine, ist das Erfassen der Bedeutung, die etwas für ein Lebewesen hat. Wenn jemand zu mir sagt: "Dein Haus brennt!", dann habe ich den Sinn dieser Aussage dann verstanden, wenn mich der Schreck durchfährt.

fwo hat folgendes geschrieben:
Was wir jedoch normal als das Geistige verstehen, ist nicht Information, sondern das Verarbeiten der selben.

Und dieses normale Verständnis ist falsch. Es war auch lange Zeit normal zu glauben, dass sich die Sonne um die Erde dreht...

#593:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 30.08.2010, 13:49
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
....Wenn jemand zu mir sagt: "Dein Haus brennt!", dann habe ich den Siin dieser Aussage dann verstanden, wenn mich der Schreck durchfährt.

Nein. Den Sinn hast Du auch dann verstanden, wenn Du einfach die richtigen Maßnahmen einleitest. Der Schreck ist nur die hormonelle Reaktion aus der Stamesgeschichte, die dich in deiner Reaktion anspornen soll.

Allerdings gebe ich dir Recht, dass der Schreck eine so normale Reaktion ist, dass es von Mitmenschen als pathologisch empfunden wird, wenn sie ihn nicht wahrnehmen:

fwo hat folgendes geschrieben:
....
Übrigens sind sich auch Gefühle nicht immer einig: Ich stand mal auf der Mitte einer Weide, als ich erkennen musste, dass da nicht nur Kühe drauf waren, sonder auch ein Bulle, dem ich offenbar nicht gefiel - er kam nämlich im Galopp und mit gesenktem Breitschädel auf mich zu wie eine Lokomotive. Was ich in dem Moment empfunden habe, war Angst und gleichzeitig die Sicherheit, dass Weglaufen tödlich sein würde. Mein Schwager, der die ganze Sache vom Zaun aus beobachtete, sagte nachher, er sei nur panisch gewesen (er musste noch über den Zaun um aus der Weide rauszukommen - er hatte den Bullen bis dahin auch nicht gesehen), und er hätte überhaupt nicht verstanden, was ich da machte. Ich hatte nämlich bereits mit meinem Leben abgeschlossen und wollte nur noch wissen, ob der Bulle vielleicht mehr Angst hätte als ich: Ich hatte meine Holzlatschen in den Händen und lief laut schreiend und mit den Latschen fuchtelnd auf den Bullen zu. Er hatte am Ende mehr Angst als Aggression ... - und keinen Intellekt sich über dieses Gefühl hinwegzusetzen, sonst würde ich wahrscheinlich nicht hier schreiben. (Die Statistik sagte zu dieser Zeit, dass in Schleswig-Holstein pro Jahr ein bis zwei Bauern ihr Leben durch unvorsichtigen Umgang mit Bullen verlieren.)


Das Fehlen von sichbarer Angst wird dann gern als Selbsmordabsicht missverstanden.

fwo

#594:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 30.08.2010, 15:29
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
(1) Die Eigenschaft der Materie, Informationen zu tragen, ist die Basis für das Geistige als solches, dessen Wesensmerkmal die Intentionalität ist, die Fähigkeit, etwas zu bedeuten, [...] 3. Panpsychismus, da aller strukturierten Materie die Eigensigenschaft zugesprochen wird, geistig zu sein, nämlich Informationen zu tragen, die potentiell (für ein verstehendes Subjekt) etwas bedeuten können. Damit erübrigen sich alle Erklärungen des Geistigen aus dem Gehirn.

Aber Du setzt hier Struktur und Information einfach gleich. Das bedeutet ein und dasselbe für Dich. Aber so ist es nach landläufiger Auffassung nun mal nicht.

Und wenn wir bei Deinen Aussagen nun einfach mal immer 'Information' mit 'Struktur' ersetzen, dann wird mE klar, wie wenig aussagekräftig die sind. Ich kann mir noch nicht einmal eine Welt vorstellen, die keine Strukturen enthält. Und dass alle strukturierte Materie strukturiert ist, ist selbstverständlich. Dadurch wird sie aber nicht 'geistig'.

Struktur ist eine Eigenschaft von Materie, Information ist es nicht, denn das ist nun mal nicht dasselbe. Eine Struktur, die nichts bedeutet, ist keine Information.

kalmar hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Was wir jedoch normal als das Geistige verstehen, ist nicht Information, sondern das Verarbeiten der selben.

Und dieses normale Verständnis ist falsch. Es war auch lange Zeit normal zu glauben, dass sich die Sonne um die Erde dreht...

Nein, meiner Ansicht nach ist Dein Verständnis falsch. Du verwechselst Daten mit Information. Daten an sich sind aber noch keine Information. Um aus Daten Information zu gewinnen, müssen sie in einem Bedeutungskontext interpretiert werden.

#595:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 30.08.2010, 17:15
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Ich stand mal auf der Mitte einer Weide, als ich erkennen musste, dass da nicht nur Kühe drauf waren, sonder auch ein Bulle [...]Ich hatte meine Holzlatschen in den Händen und lief laut schreiend und mit den Latschen fuchtelnd auf den Bullen zu...

Alle Achtung!
Die normale Reaktion bei Tieren, die sich plötzlich einem überlegenen Feind gegenübersehen, ist Erstarren. Auch Menschen erstarren vor Schreck - ich weiß nicht, ob es Dir bei diesem Erlebnis für einen kurzen Moment so gegangen ist. Das Erstarren wird von der Amygdala ausgelöst und ist ursprünglich ein Sich-tot-Stellen, für höher entwickelte Tiere aber auch eine kurze 'Bedenkzeit', sich zwischen Flucht und Angriff zu entscheiden - so, wie Du es auch getan hast.

#596:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 30.08.2010, 18:43
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Du setzt hier Struktur und Information einfach gleich. Das bedeutet ein und dasselbe für Dich. Aber so ist es nach landläufiger Auffassung nun mal nicht.

Wenn man zwischen Struktur und Information unterscheiden will, kann man sagen: Struktur ist potentielle Information - ähnlich, wie man zwischen potentieller und kinetischer Energie unterscheidet. Eine Information ist also eine Wirkung, und die Struktur ist das, was genau diese Wirkung ermöglicht. Ich schließe mich hier Hans Sachsse an, der eine 'Nachricht' definiert als "alles, was überhaupt in der Lage ist, eine [physikalische] Wirkung zu erzielen" und 'Information' als "naturwissenschaftlich definierte Nachricht" (H. Sachsse: Einführung in die Naturphilosophie, Teil 2, Braunschweig 1968, Seite 21). Nach Sachsse ist Information Ordnung, Struktur, negative Entropie.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und wenn wir bei Deinen Aussagen nun einfach mal immer 'Information' mit 'Struktur' ersetzen, dann wird mE klar, wie wenig aussagekräftig die sind. Ich kann mir noch nicht einmal eine Welt vorstellen, die keine Strukturen enthält. Und dass alle strukturierte Materie strukturiert ist, ist selbstverständlich. Dadurch wird sie aber nicht 'geistig'.

Warum nicht? Es ist genau das, was ich meine: Alle Materie ist (auch) geistig. Nicht in dem Sinn, dass sie in irgendeiner Form Bewusstsein besäße (wie frühere panpsychistische Theorien postuliert haben), sondern nur in dem Sinn, dass sie Informationen enthält. Die Alternative fpr mich wäre, auf den Begriff 'geistig' ganz zu verzichten und nur von Information und Informationsverarbeitung zu sprechen (denn ein spezifischer Geist, der nur in Gehirnen zu finden ist, existiert nicht) - aber das will ich nicht

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Struktur ist eine Eigenschaft von Materie, Information ist es nicht, denn das ist nun mal nicht dasselbe. Eine Struktur, die nichts bedeutet, ist keine Information.

Eine Information kann nur für jemanden etwas bedeuten - für ein verstehendes Subjekt. Ob eine Information etwas bedeutet oder nicht, ist also gar nicht von der Information selbst abhängig. Eine Beethoven-Sonate ist etwas Geistiges, auch wenn sie auf einer CD gespeichert ist. Wenn diese konkrete CD aber von niemandem angehört wird, bedeuten die Informationen auf dieser CD für niemanden etwas. Trotzdem ist und bleibt Beethovens Sonate auch auf dieser CD etwas Geistiges.

Die Rede eines Japaners, von der ich kein Wort verstehe, ist für mich eine Klangstruktur ohne Bedeutungen. Trotzdem ist sie etwas Geistiges - es sind seine Gedanken.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
...meiner Ansicht nach ist Dein Verständnis falsch. Du verwechselst Daten mit Information. Daten an sich sind aber noch keine Information. Um aus Daten Information zu gewinnen, müssen sie in einem Bedeutungskontext interpretiert werden.

Nach Hans Sachsse lässt sich der Informationsgehalt von Nachrichten (siehe Definition oben) durch die Anzahl der notwendigen Binärentscheidungen (bit) angeben - er setzt also offenbar 'Information' und 'Datenmenge' gleich. Um Informationen zu verstehen, müssen sie in einem Bedeutungskontext interpretiert werden.

#597:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 30.08.2010, 19:16
    —
Nur so nebenbei, weil mir das öfter auffällt:

kalmar hat folgendes geschrieben:
(H. Sachsse: Einführung in die Naturphilosophie, Teil 2, Braunschweig 1968, Seite 21). Nach Sachsse ist Information Ordnung, Struktur, negative Entropie.
[...]
Nach Hans Sachsse lässt sich der Informationsgehalt von Nachrichten (siehe Definition oben) durch die Anzahl der notwendigen Binärentscheidungen (bit) angeben - er setzt also offenbar 'Information' und 'Datenmenge' gleich.

Nach Sachsse. ROFL.

Immer wieder amüsant, zu sehen, wie Leute - hier offensichtlich Herr Sachsse - Begriffe klauen, ohne dazuzuschreiben, von wem sie stammen. Mit den Augen rollen

Die gegenwärtigen, technischen Festlegungen von Information stammen von Shannon und von Kolmogorov. Herr Sachse wiederholt nur die Definition von Shannon. Im Sinne von Kolmogorov besitzt eine zufällige Zeichenfolge die höchstmögliche Informationsmenge, weil sie nicht weiter komprimierbar ist.

[/rant]

#598:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 30.08.2010, 19:20
    —
Ist ja letztlich nur eine Definitionsfrage und über Definitionen sollte man nicht streiten, aber ich verstehe wirklich nicht, wie man Struktur und Information gleich setzen kann. Wieso sagt man nicht einfach 'Struktur' wenn man über Struktur redet? Sagt man dazu 'Information', dann wird man einfach schnell falsch verstanden, weil eben normalerweise darunter etwas anderes verstanden wird.

Mit 'Struktur = potentielle Information' kann ich jedoch leben.

Und dann meine ich auch nicht, dass Information für jemanden etwas bedeuten muss. Für den Regelkreis mit Thermometer ist eine hinreichend große Veränderung der Temperatur nach meinem Verständnis eine Information. Nun würde ich aber eine Änderung der Temperatur nicht 'geistig' nennen wollen.

Hm, und der Japaner. Wenn Du kein japanisch verstehst, weißt Du auch gar nicht, ob er was Sinnvolles sagt oder nicht. Vielleicht redet er auch einfach nur eine Unsinnsprache, die nichts bedeutet, um Dich zu foppen. Und ob man eine willkürliche Unsinnsprache seine Gedanken nennen kann? Ich denke nicht.

kalmar hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
...meiner Ansicht nach ist Dein Verständnis falsch. Du verwechselst Daten mit Information. Daten an sich sind aber noch keine Information. Um aus Daten Information zu gewinnen, müssen sie in einem Bedeutungskontext interpretiert werden.

Nach Hans Sachsse lässt sich der Informationsgehalt von Nachrichten (siehe Definition oben) durch die Anzahl der notwendigen Binärentscheidungen (bit) angeben - er setzt also offenbar 'Information' und 'Datenmenge' gleich. Um Informationen zu verstehen, müssen sie in einem Bedeutungskontext interpretiert werden.

Nein, also wie gesagt, eine Struktur, die nicht in einem Bedeutungskontext interpretiert wird, ist mE keine Information und enthält auch keine solche, (auch wenn man sie 'potentielle Information' nennen kann).

Die Struktur '12345678' enthält für sich (ohne Bedeutungskontext) keine Information.

#599:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 30.08.2010, 21:10
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Immer wieder amüsant, zu sehen, wie Leute - hier offensichtlich Herr Sachsse - Begriffe klauen, ohne dazuzuschreiben, von wem sie stammen. [...] Herr Sachse wiederholt nur die Definition von Shannon.

Kann sein. Das Buch von Sachsse ist eine Einführung in die Naturphilosophie, also ein Lehrbuch, und natürlich hat er nicht alles, was er da schreibt, selber herausgefunden. Das Buch hat ausführliche Quellenangaben - aber die hab ich mir nicht alle mit aufgeschrieben - ist also meine Schuld..

#600:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 30.08.2010, 21:58
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und dann meine ich auch nicht, dass Information für jemanden etwas bedeuten muss. Für den Regelkreis mit Thermometer ist eine hinreichend große Veränderung der Temperatur nach meinem Verständnis eine Information.

Auch Maschinen können Informationen (Daten) verarbeiten. aber sie können es, ohne zu verstehen. Denn was die Maschine mit den Daten macht, wie sie auf die Informationen reagiert, bestimmt der Konstrukteur oder Programmierer. Er ist es, der versteht, was die Informationen bedeuten, und programmiert das Verhalten der Maschine dem entsprechend.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Nun würde ich aber eine Änderung der Temperatur nicht 'geistig' nennen wollen.

Die Änderung an und für sich ist etwas Physikalisches, das ist klar. Aber darin steckt eben auch eine Information - und die ist das Geistige daran.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Hm, und der Japaner. Wenn Du kein japanisch verstehst, weißt Du auch gar nicht, ob er was Sinnvolles sagt oder nicht. Vielleicht redet er auch einfach nur eine Unsinnsprache, die nichts bedeutet, um Dich zu foppen.

Kann natürlich sein - ist aber nicht sehr wahrscheinlich, das musst Du zugeben. Smilie


AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Nein, also wie gesagt, eine Struktur, die nicht in einem Bedeutungskontext interpretiert wird, ist mE keine Information und enthält auch keine solche, (auch wenn man sie 'potentielle Information' nennen kann)

Dann enthält ein Buch, das niemand liest, Deiner Ansicht nach keine Informationen? Der darin enthaltene Text ist jedenfalls eine Struktur, die nicht in einem Bedeutungskontext interpretiert wird.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Die Struktur '12345678' enthält für sich (ohne Bedeutungskontext) keine Information.

Die Zahlenfolge '12345678' enthält für mich die Information, dass Du die Zahlenfolge '12345678' eingetippt hast, um mir damit etwas zu beweisen. Mehr Bedeutungskontext dazu habe ich nicht - aber daran ist nicht die Zahlenfolge schuld. Denn den Bedeutungskontext muss ich, das verstehende Subjekt, mitbringen, ich muss ihn kennen. Die Struktur liefert den Bedeutungskontext nicht mit, sie enthält ihn nicht. Und da die Struktur den Bedeutungskontext nicht enthält, kann es nicht vom Bedeutungskontext abhängen, ob eine Struktur eine Information ist oder nicht.

Eine Struktur enthält einfach eine gewisse Menge an Informationen - was davon verstanden wird, hängt von dem Bedeutungskontext ab, mit dem ein Subjekt dieser Struktur gegenübersteht. Wenn ich den Bedeutungskontext 'Japanisch' nicht mitbringe, bin ich gegenüber der Rede eines Japaners kein verstehendes Subjekt, sondern ein nichtsverstehendes.

#601:  Autor: AgentProvocateurWohnort: Berlin BeitragVerfasst am: 31.08.2010, 01:06
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und dann meine ich auch nicht, dass Information für jemanden etwas bedeuten muss. Für den Regelkreis mit Thermometer ist eine hinreichend große Veränderung der Temperatur nach meinem Verständnis eine Information.

Auch Maschinen können Informationen (Daten) verarbeiten. aber sie können es, ohne zu verstehen. Denn was die Maschine mit den Daten macht, wie sie auf die Informationen reagiert, bestimmt der Konstrukteur oder Programmierer. Er ist es, der versteht, was die Informationen bedeuten, und programmiert das Verhalten der Maschine dem entsprechend.

Nun gut, in diesem Falle ist das zwar richtig, aber auch DNS enthält in Kombination mit dem System Organismus meiner Ansicht nach Informationen. Es muss also keinen Programmierer (allgemeiner gesagt ein verstehendes Subjekt) geben, das Informationen versteht, damit eine Struktur eine Information ist, (nach meinem Verständnis).

kalmar hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Nun würde ich aber eine Änderung der Temperatur nicht 'geistig' nennen wollen.

Die Änderung an und für sich ist etwas Physikalisches, das ist klar. Aber darin steckt eben auch eine Information - und die ist das Geistige daran.

Nein, also wie gesagt sträube ich mich gegen diese Auffassung von 'Information'. Struktur ist erst mal lediglich Struktur und noch keine Information. Nirgends steckt ohne ein informationsverarbeitendes System Information drin.

kalmar hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Hm, und der Japaner. Wenn Du kein japanisch verstehst, weißt Du auch gar nicht, ob er was Sinnvolles sagt oder nicht. Vielleicht redet er auch einfach nur eine Unsinnsprache, die nichts bedeutet, um Dich zu foppen.

Kann natürlich sein - ist aber nicht sehr wahrscheinlich, das musst Du zugeben. Smilie

Ja, aber es ist doch egal, wie wahrscheinlich das ist. Möglich ist es. Und der Unterschied zwischen einer Unsinnsprache und einer bedeutsamen Sprache ist ein wichtiger. Der Unterschied zwischer bloßer beliebiger Struktur und Information.

kalmar hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Nein, also wie gesagt, eine Struktur, die nicht in einem Bedeutungskontext interpretiert wird, ist mE keine Information und enthält auch keine solche, (auch wenn man sie 'potentielle Information' nennen kann)

Dann enthält ein Buch, das niemand liest, Deiner Ansicht nach keine Informationen? Der darin enthaltene Text ist jedenfalls eine Struktur, die nicht in einem Bedeutungskontext interpretiert wird.

Ja, so ist es. Eine Struktur wird mE erst dann zu einer Information wenn sie in einen Bedeutungskontext gesetzt wird. Du kannst natürlich einen Bedeutungskontext implizit annehmen, aber annehmen musst Du ihn nun mal. Ohne Bedeutungskontext keine Information.

kalmar hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Die Struktur '12345678' enthält für sich (ohne Bedeutungskontext) keine Information.

Die Zahlenfolge '12345678' enthält für mich die Information, dass Du die Zahlenfolge '12345678' eingetippt hast, um mir damit etwas zu beweisen. Mehr Bedeutungskontext dazu habe ich nicht - aber daran ist nicht die Zahlenfolge schuld. Denn den Bedeutungskontext muss ich, das verstehende Subjekt, mitbringen, ich muss ihn kennen. Die Struktur liefert den Bedeutungskontext nicht mit, sie enthält ihn nicht. Und da die Struktur den Bedeutungskontext nicht enthält, kann es nicht vom Bedeutungskontext abhängen, ob eine Struktur eine Information ist oder nicht.

Hm, aber Letzteres würde ich nun im Gegensatz zu Dir als Argument dafür ansehen, dass eben ein Bedeutungskontext unabdingbar für die Unterscheidung einer bloßen Struktur und einer Struktur, die Information enthält, ist.

kalmar hat folgendes geschrieben:
Eine Struktur enthält einfach eine gewisse Menge an Informationen - was davon verstanden wird, hängt von dem Bedeutungskontext ab, mit dem ein Subjekt dieser Struktur gegenübersteht. Wenn ich den Bedeutungskontext 'Japanisch' nicht mitbringe, bin ich gegenüber der Rede eines Japaners kein verstehendes Subjekt, sondern ein nichtsverstehendes.

Nein, eine Struktur enthält eben mE nicht per se 'eine gewisse Menge an Informationen'. Wir müssen auch nicht die Symbolfolge '12345678' oder überhaupt Symbolfolgen nehmen, wir können auch eine natürlich entstandene Struktur betrachten:



Welche Informationen enthält diese Struktur und wie hoch ist die Informationsmenge?

Oder nimm eine Rauhfasertapete. Struktur, aber keine Information, mE.

#602:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 31.08.2010, 01:46
    —
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.....
Oder nimm eine Rauhfasertapete. Struktur, aber keine Information, mE.

Doch - aber das ist trivial: Jedes Ding trägt die Information seiner eigenen Existenz, und das kann für den, der diese Existenz untersucht, ziemlich viel sein.

Aber da wir hier von Bewusstsein und Evolution reden, speziell vom Bewusstsein und den geistigen Fähigkeiten des Menschen, die ohne Sprache nicht möglich sind, sollten wir uns in diesem Zusammenhang besser auf die Information im wechselseitigen Fluss zwischen informationsverarbeitenden Individuen beschränken.

Zwar erfährt jemand, der Einblick in die Arbeit eines Papiermachers hat, manches über den Produzenten und die Produktion, wenn er sich eine Tapete ansieht, aber es handelt sich heir nicht um Kommunikation im eigentlichen Sinn, hier fehlt die Intention des Senders.

fwo

#603:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 31.08.2010, 09:49
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... Oder nimm eine Rauhfasertapete. Struktur, aber keine Information, mE.
Doch - aber das ist trivial: Jedes Ding trägt die Information seiner eigenen Existenz, und das kann für den, der diese Existenz untersucht, ziemlich viel sein.

Könnte man nicht sogar sagen, eine solche lokale Struktur enthält lokale Information in Form einer nichtzufälligen lokalen Verteilung (etwa sichtbar in einer Foriertransformation)? Ähnlich: auch wenn man die Bedeutung von "12345678" nicht kennt, so enthält das Muster doch lokale Information? Andererseits muß man dann natürlich zugeben, daß solche "Information" auch zu8fällig entstehen kann.

fwo hat folgendes geschrieben:
Aber da wir hier von Bewusstsein und Evolution reden, speziell vom Bewusstsein und den geistigen Fähigkeiten des Menschen, die ohne Sprache nicht möglich sind, sollten wir uns in diesem Zusammenhang besser auf die Information im wechselseitigen Fluss zwischen informationsverarbeitenden Individuen beschränken.

Sehe ich ebenso, wobei ich die Einschränkung auf Menschen für unzulässig halte.

#604:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 31.08.2010, 11:20
    —
step hat folgendes geschrieben:
...
Könnte man nicht sogar sagen, eine solche lokale Struktur enthält lokale Information in Form einer nichtzufälligen lokalen Verteilung (etwa sichtbar in einer Foriertransformation)? Ähnlich: auch wenn man die Bedeutung von "12345678" nicht kennt, so enthält das Muster doch lokale Information? Andererseits muß man dann natürlich zugeben, daß solche "Information" auch zu8fällig entstehen kann......

Jupp. Wer nicht von dieser Zufälligkeit intentionsloser Muster ausgeht, soll ruhig Lesungen aus den Werken eines Buchdruckers veranstalten.

step hat folgendes geschrieben:
....
Sehe ich ebenso, wobei ich die Einschränkung auf Menschen für unzulässig halte.

Grundsätzlich sofort - ich bezog mich mit dieser Einschränkung nur auf eine sinnvolle Einschränkung in Bezug auf das Thema dieses Threads: Bewusstsein und Evolution.

Dabei habe ich hier auch evolutiv auf den Menschen eingeschränkt, weil das ein Tier ist, dessen Innenansicht wir kennen. Die Innenansichten anderer Tiere erschließen sich nur unter erheblicher Einschränkung durch Beobachtungen / Experimente. Ich habe mal in einem anderen Thread auf dieses Problem hingewiesen:
fwo hat folgendes geschrieben:
Gergon hat folgendes geschrieben:
Es wird Tiere nicht sehr trösten, dass sie ja für einen angeblich, vernünftigen Zweck ihr Leben ließen.
"Mama, Du gehts morgen ins Schlachthaus?"--- "Ja mein Sohn, graeme Dich deshalb aber nicht, ich tu dies ja für einen vernünftigen Zweck. " Frage
Es stört eben Tiere wenn sie eingesperrt, gequaelt oder getötet werden. All diese Versuche es damit rechtfertigen zu wollen, dass diese Tiere eben minderwertig, wir aber hochwertig seien, können die schreckliche Gewalt gegen sie niemals rechtfertigen. ........

Wenn das so wäre, könnte ich dich ja verstehen. Aber Tiere unterhalten sich nicht, schon gar nicht über die Zukunft, sie kommunizieren Gestimmtheiten.

Ein bisschen was von dem, was in den Viechern passiert, ahnt man, wenn man sich das Verhalten derer ansieht, bei denen wegen ihrer eigenen Kraft Flucht keine Standardantwort auf Unbekanntes ist: Die weißen Siedler Nordamerikas hatten es deshalb so leicht, den Prairieindianern ihre Lebensgrundlage zu zerstören, weil sie es gelernt hatten, zuerst immer das Alfa-Tier zu erschießen. Dessen Tod fürhrte zu einer kleinen Unruhe, danach beruhigten die Tiere sich wieder und ein neues Alfa-Tier war zu erkennen..... Wichtig war es, nicht zu schnell zu schießen. Die amerikanischen Bisons sind nicht mit Repetiergewehren (fast) ausgerottet worden, sondern mit einem einläufigen Hinterlader, der Sharp. ***

Wenn ich das in die von dir gebrachte Gesprächssituation übersetze lautet die Zwiesprache zwischen Mutter und Kalb dann etwa so: "Du - Mama - der Papa ist eben erschossen worden." "Mach dir nichts draus Kind, das einzige was uns gefährlich werden kann ist ein Grizzly - und - siehst Du einen?"....


fwo

#605:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 01.09.2010, 12:09
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... aber auch DNS enthält in Kombination mit dem System Organismus meiner Ansicht nach Informationen.

Die DNS ist eine Information, das wirst Du nicht bestreiten. Und sie bewirkt etwas, nämlich die Aneinanderreihung ganz bestimmter Aminosäuren zu einer Eiweißkette - obgleich es hier kein verstehendes Subjekt gibt. Die DNS ist das beste Beispiel darür, dass Strukturen als Informationen wirken - und also auch Informationen sind - ohne verstanden zu werden.

Man muss unterscheiden zwischen dem Wirken einer Information und dem Verstehen einer Information. Die Wirkung geht von der Information selbst aus (Information = Wirkung, die auf einer Form/Struktur beruht) - das Verstehen dagegen geht vom verstehenden Subjekt aus, das den Bedeutungskontext mitbringt.

Das (physikalische) Wirken einer Information ist die Voraussetzung dafür, dass sie verstanden werden kann. Z.B. bewirken die Schriftzeichen auf dem Monitor, dass dieselben Schriftzeichen in Deinen Augen und schließlich im Deinem Bewusstsein erscheinen. Erst dadurch kannst Du sie verstehen, indem Du sie mit einem Bedeutungskontext in Beziehung setzt.

Das Verstehen geht vom verstehenden Subjekt aus und ist ein aktiver Vorgang - egal, ob es sich um das Verstehen von Sprache handejt oder darum, dass ein Tier die Bedeutung eines Reizes 'versteht', indem es sinnvoll darauf reagiert. Wenn man nun bis an den Anfang der Evolution zurück geht - also auch an den Anfang des Verstehens - steht man vor primitiven Einzellern, deren Aktivität sich auf Stoffwechsel, Wachstum und Teilung beschränkt und deren einzige Reaktion auf Umweltveränderungen (=Informationen) die ist, dass ihre Lebensprozesse beschleunigt oder verlangsamt werden oder ganz zum Erliegen kommen. Am Anfang der biologischen Evolution ist sind die Wirkung und das Verstehen einer Information also praktisch dasselbe. wei die ersten Lebewesen zu aktiven Reaktionen kaum fähig waren.

Wenn man die Entstehung von etwas erklären will, muss man erklären, wie es aus etwas entstanden ist, das vor ihm da war. Das Verstehen von Informationen ist entstanden aus dem Wirken von Informationen auf Lebewesen. Auch deshalb ist eine Information, unabhänglg davon, ob sie verstanden wird, eine Information: Weil Informationen und ihr Wirken die Voraussetzung für das Verstehen sind und vorher da waren.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Es muss also keinen Programmierer (allgemeiner gesagt ein verstehendes Subjekt) geben, das Informationen versteht, damit eine Struktur eine Information ist.

Nein, natürlich nicht. Es muss kein verstehendes Subjekt geben, damit eine Struktur eine Information ist und als solche wirkt.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
...der Unterschied zwischen einer Unsinnsprache und einer bedeutsamen Sprache ist ein wichtiger. Der Unterschied zwischer bloßer beliebiger Struktur und Information.

Das stimmt nicht. Der Informationsgehalt (in bit) einer Zufallsstruktur ist außerordentlich hoch, auch wenn (gerade weil) sie sinnlos ist. Das ist nicht leicht zu erklären - vielleicht so: Der Informationsgehalt ist der Grad der Neuheit. Durch das Verstehen wird Neues aber in Bekanntes integriert, und dadurch sinkt die Datenmenge, die zu seiner Beschreibung notwendig ist. Um beispielsweise eine Zufallsfolge aus tausend Zahlen aufzuschreiben, muss man die tausend Zahlen aufschreiben. Hat die Zahlenfolge aber einen Sinn, wie etwa die Folge der geraden Zahlen, genügt es , zu schreiben: f(x)=2x, x=1 bis 1000. Die notwendige Datenmenge für die Beschreibung dieser Zahlenfolge ist wesentlich kleiner.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
.Nein, also wie gesagt sträube ich mich gegen diese Auffassung von 'Information'. Struktur ist erst mal lediglich Struktur und noch keine Information. Nirgends steckt ohne ein informationsverarbeitendes System Information drin.[...] Nein, eine Struktur enthält eben mE nicht per se 'eine gewisse Menge an Informationen'. Wir ... können auch eine natürlich entstandene Struktur betrachten ... Oder nimm eine Rauhfasertapete. Struktur, aber keine Information, mE.

Besser als fwo kann ich es nicht sagen:
fwo hat folgendes geschrieben:

Doch - aber das ist trivial: Jedes Ding trägt die Information seiner eigenen Existenz, und das kann für den, der diese Existenz untersucht, ziemlich viel sein.

Trivial finde ich es aber nicht. Es ist etwas für das Verständnis der Welt Grundlegendes - zumal die meisten Dinge noch ein paar Informationen mehr enthalten.

fwo hat folgendes geschrieben:
Aber da wir hier von Bewusstsein und Evolution reden, speziell vom Bewusstsein und den geistigen Fähigkeiten des Menschen, die ohne Sprache nicht möglich sind, sollten wir uns in diesem Zusammenhang besser auf die Information im wechselseitigen Fluss zwischen informationsverarbeitenden Individuen beschränken.

Aber der 'menschliche Geist' lässt sich nicht aus dem Gehirn erklären - er ist darin nicht irgendwann auf geheimnisvolle Weise durch 'Emergenz' entstanden. Wenn man verstehen will, auf welchen physikalischen Grundlagen die 'geistigen Fähigkeiten des Menschen' beruhen, dann muss man an den Anfang der biologischen Evolution zurückgehen, und man braucht einen physikalischen und keinen semantischen Informationsbegriff (der semantische Begriff kann ohnehin nur ein Spezialfall des physikalischen Begriffs sein).

Natürlich sind die 'geistigen Fähigkeiten des Menschen' durch Bewusstsein und Sprache gekennzeichnet. Doch das Bewusstsein, das bewusste Erleben ist eine späte Errungenschaft der biologischen Evolution, notwendig nur für Tiere, die Ziele verfolgen oder Entscheidungen treffen. Und die Begriffssprache ist eine noch spätere Errungenschaft. Ihre Entwicklung ist Teil der kulturellen Evolution.

#606:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 01.09.2010, 13:45
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
.....
Man muss unterscheiden zwischen dem Wirken einer Information und dem Verstehen einer Information. Die Wirkung geht von der Information selbst aus (Information = Wirkung, die auf einer Form/Struktur beruht) - das Verstehen dagegen geht vom verstehenden Subjekt aus, das den Bedeutungskontext mitbringt.

Was da wirkt, ist nicht die Information, sondern die phsyikalische Existenz. Information kann nur in einem informationsverarbeitenden System wirken.
kalmar hat folgendes geschrieben:
Das (physikalische) Wirken einer Information ist die Voraussetzung dafür, dass sie verstanden werden kann. Z.B. bewirken die Schriftzeichen auf dem Monitor, dass dieselben Schriftzeichen in Deinen Augen und schließlich im Deinem Bewusstsein erscheinen. Erst dadurch kannst Du sie verstehen, indem Du sie mit einem Bedeutungskontext in Beziehung setzt.

Es ist Unsinn, von der physikalischen Wirkung des Schriftzeichens auszugehen, es selbst hat evtl. überhaupt keine: Nimm schwarze Schriftzeichen, von denen also kein Licht ausgeht. Das Schriftzeichen entsteht durch eine aktive Untersuchung des Datenstroms nach Mustern. Zur Information wird genau die Welt, die in einen Datenstrom umgesetzt wird.
kalmar hat folgendes geschrieben:
Das Verstehen geht vom verstehenden Subjekt aus und ist ein aktiver Vorgang - egal, ob es sich um das Verstehen von Sprache handejt oder darum, dass ein Tier die Bedeutung eines Reizes 'versteht', indem es sinnvoll darauf reagiert. Wenn man nun bis an den Anfang der Evolution zurück geht - also auch an den Anfang des Verstehens - steht man vor primitiven Einzellern, deren Aktivität sich auf Stoffwechsel, Wachstum und Teilung beschränkt und deren einzige Reaktion auf Umweltveränderungen (=Informationen) die ist, dass ihre Lebensprozesse beschleunigt oder verlangsamt werden oder ganz zum Erliegen kommen. Am Anfang der biologischen Evolution ist sind die Wirkung und das Verstehen einer Information also praktisch dasselbe. wei die ersten Lebewesen zu aktiven Reaktionen kaum fähig waren.

S.o. Was wirkt, ist nicht die Information, sondern die physikalische Existenz selbst. Bei einem Einzeller oder einer Pflanze in ihren Reaktionen von Information und Verarbeitung zu sprechen, entsteht aus der informatischen Betrachtung dieser Situation, aber eigentlich habe wir es da nur mit physikalischen Wechselwirkungen zu tun.
kalmar hat folgendes geschrieben:
Wenn man die Entstehung von etwas erklären will, muss man erklären, wie es aus etwas entstanden ist, das vor ihm da war. Das Verstehen von Informationen ist entstanden aus dem Wirken von Informationen auf Lebewesen. Auch deshalb ist eine Information, unabhänglg davon, ob sie verstanden wird, eine Information: Weil Informationen und ihr Wirken die Voraussetzung für das Verstehen sind und vorher da waren.

s.o.
kalmar hat folgendes geschrieben:
Der Informationsgehalt (in bit) einer Zufallsstruktur ist außerordentlich hoch, auch wenn (gerade weil) sie sinnlos ist. Das ist nicht leicht zu erklären - vielleicht so: Der Informationsgehalt ist der Grad der Neuheit. Durch das Verstehen wird Neues aber in Bekanntes integriert, und dadurch sinkt die Datenmenge, die zu seiner Beschreibung notwendig ist. Um beispielsweise eine Zufallsfolge aus tausend Zahlen aufzuschreiben, muss man die tausend Zahlen aufschreiben. Hat die Zahlenfolge aber einen Sinn, wie etwa die Folge der geraden Zahlen, genügt es , zu schreiben: f(x)=2x, x=1 bis 1000. Die notwendige Datenmenge für die Beschreibung dieser Zahlenfolge ist wesentlich kleiner.

Der Informationsgehalt einer Zufallsstruktur entsteht genau dann, wenn ich die Zufallsstruktur in einen Datenstrom übersetze und mir den Datenstrom betrachte. Und je nachdem, welchen Inhalt ein Datenstrom transportieren soll (hier ist ein Verarbeitungsziel vorhanden) sind unterschiedliche Komprimierungsmethoden möglich.
kalmar hat folgendes geschrieben:
Aber der 'menschliche Geist' lässt sich nicht aus dem Gehirn erklären - er ist darin nicht irgendwann auf geheimnisvolle Weise durch 'Emergenz' entstanden. Wenn man verstehen will, auf welchen physikalischen Grundlagen die 'geistigen Fähigkeiten des Menschen' beruhen, dann muss man an den Anfang der biologischen Evolution zurückgehen, und man braucht einen physikalischen und keinen semantischen Informationsbegriff (der semantische Begriff kann ohnehin nur ein Spezialfall des physikalischen Begriffs sein).

Nein. Information entsteht durch Abbildungen, durch die Umsetzung physikalischer Realität in Datenströme, die als solche verarbeitet werden. Dass diese Datenströme selbst wieder eine physikalische Realität darstellen und auch die Umsetzung der physikalischen Wechselbeziehung bedarf, bedeutet nicht, dass in der ersten Stufe der Existenz auch von Information geredet werden kann.

Um das in einem Beispiel zu bringen: Ein Band der ersten Ausgabe von "Oliver Twist", den Du in der Hand hältst, hat für dich eine völlig andere Information, für dich sogar Informationen auf unterschiedlichen Ebenen, als für einen Silberfisch, dem Du diesen Band in seinen Lebensraum legst. Dementsprechend reagiert ihr auch (hoffentlich) völlig anders auf diese Existenz.
Du hast wahrscheinlich bei dem Satz, den Du von mir zitiert hast, den zweiten Teil unterschätzt:
fwo hat folgendes geschrieben:

Doch - aber das ist trivial: Jedes Ding trägt die Information seiner eigenen Existenz, und das kann für den, der diese Existenz untersucht, ziemlich viel sein.

kalmar hat folgendes geschrieben:
Natürlich sind die 'geistigen Fähigkeiten des Menschen' durch Bewusstsein und Sprache gekennzeichnet. Doch das Bewusstsein, das bewusste Erleben ist eine späte Errungenschaft der biologischen Evolution, notwendig nur für Tiere, die Ziele verfolgen oder Entscheidungen treffen. Und die Begriffssprache ist eine noch spätere Errungenschaft. Ihre Entwicklung ist Teil der kulturellen Evolution.

Jein. An dieser Stelle verkomplizieren wir das durch eine kleine Rekursion zwinkern : Die Entwicklung der abstrakten Sprache ist zugleich Grundlage und Teil der kulturellen Evolution.

fwo

#607:  Autor: Roter BallonWohnort: München BeitragVerfasst am: 01.09.2010, 16:26
    —
Information vermittelt einen Unterschied. Die Information verliert, sobald sie informiert hat, ihre Qualität als Information: „News is what's different.


Informationsträger hat folgendes geschrieben:
Ein zentrales Dogma der Informationstheorie lautet: Information ohne Informationsträger gibt es nicht. Dieses Dogma wird von den meisten Wissenschaftlern als gültig angesehen, ist aber bisher weder bewiesen noch widerlegt.

Der Soziologe Niklas Luhmann hat die Unterscheidung Medium/Form als Ersatz für die Unterscheidung Informationsträger/Information vorgeschlagen. Dann kann man die Informationsträger ihrerseits in formalisierte (d. h. selbst zur Form gemachte) und nicht-formalisierte Medien unterscheiden.

Ein nicht-formalisiertes Medium wäre Erde, aus der man etwas formt. Ein formalisiertes Medium wäre dagegen ein Computer-Betriebssystem. Der Computer, auf dem es läuft, ist als Medium nur insoweit formalisiert, als er den Erwartungen entspricht. Jede Fehlfunktion würde enthüllen, dass er ein in Wirklichkeit ein nicht-formalisiertes Medium ist (vgl. Störfall).

Der äußerste Informationsträger ist also immer ein nicht-formalisiertes Medium mit ungewisser Funktion, das formalisierte Medien enthalten kann, die wiederum Formen enthalten: Ein Informationsträger für ein Bit muss die technische Anforderung erfüllen, einen klar erkennbaren Unterschied erhalten zu können. Dann wird er als Dimension mit zwei möglichen Werten brauchbar.

Eine Dimension als Informationsträger ist also ein formalisiertes Medium, und ihr Wert ist seine Form. Um eine Dimension zu verkörpern, braucht es allerdings konkrete Dinge oder Vorgänge, die nicht-formalisierte Medien sind, solange ihr Verhalten nicht vollumfänglich berechenbar ist. Die Konstanz oder Stabilität formalisierter Medien (wie Energie und Materie als Verallgemeinerungen konkreter Erscheinungen) muss stets vorausgesetzt werden. Dadurch werden die nicht-formalisierten Medien scheinbar zu formalisierten (vgl. Nominalismus, Induktionsproblem).

#608:  Autor: VanHanegem BeitragVerfasst am: 01.09.2010, 20:15
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Der Informationsgehalt einer Zufallsstruktur entsteht genau dann, wenn ich die Zufallsstruktur in einen Datenstrom übersetze und mir den Datenstrom betrachte. Und je nachdem, welchen Inhalt ein Datenstrom transportieren soll (hier ist ein Verarbeitungsziel vorhanden) sind unterschiedliche Komprimierungsmethoden möglich.

Der Kalmar hat da wohl eher bereits einen per Zufallgenerator erzeugten Datenstrom gemeint. Da hat er dann schon recht, daß Du formal auf einen (fast) maximalen Wert der Shannon Entropie kommen dürftest, was einen hohen Informationsgehalt vortäuscht und was Du sofort dadurch nachprüfen kannst, daß Du das mit einem Tool der Entropiekompression (winrar etc.) nicht weiter runterkomprimiert kriegst.
Verlustbehaftete Kompressionsmethoden setzen allerdings schon wieder eine Interpretation der Daten als Farbwerte (Bild) oder Samples (Audio) voraus.

#609:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 01.09.2010, 20:47
    —
VanHanegem hat folgendes geschrieben:
.....
Verlustbehaftete Kompressionsmethoden setzen allerdings schon wieder eine Interpretation der Daten als Farbwerte (Bild) oder Samples (Audio) voraus.

Alle Daten setzen eine Interpretation voraus, unabhängig davon, ob sie verlustbehaftet oder verlustfrei oder überhaupt komprimiert sind.

Was mir bei meiner Formulierung vor Augen schwebte, waren zweidimensionale Bilder, deren Information ich je nach Inhalt als Bild (mit Form, Tonwert, Farbe und Transparenz : z.B. TIFF, mit Verlust: z.B. JPEG) Zeichnung (Vektor- und Farbinformationen) oder vielleicht als puren Text oder Druckausgabe (z.B. PDF) komprimieren kann.

Ansonsten ist mir Shannons Entropie durchaus ein Begriff: In der Biologie wird sie zur Ermittlung der Species Diversity (=Shannon-Index) benutzt.

fwo

#610:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 02.09.2010, 21:31
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Was da wirkt, ist nicht die Information, sondern die phsyikalische Existenz. Information kann nur in einem informationsverarbeitenden System wirken.

Wie siehst Du dann die Wirkung der DNS? Es gibt hier weder ein verstehendes Subjekt noch sonst ein informationsverarbeitendes System. Natürlich ist die Wirkung der DNS eine physikalische und chemische - aber zugleich werden Informationen übertragen (bei der Replikation) und Informationen steuern etwas - die Eiweißsynthese. Eine Information ist immer eine physikalische Wirkung, das ist klar. Die Information ist der Struktur- oder Formaspekt dieser Wirkung..

fwo hat folgendes geschrieben:
Um das in einem Beispiel zu bringen: Ein Band der ersten Ausgabe von "Oliver Twist", den Du in der Hand hältst, hat für dich eine völlig andere Information, für dich sogar Informationen auf unterschiedlichen Ebenen, als für einen Silberfisch, dem Du diesen Band in seinen Lebensraum legst. Dementsprechend reagiert ihr auch (hoffentlich) völlig anders auf diese Existenz.

Ja, natürlich, denn ich verstehe die Informationen in dem Buch - der Silberfisch nicht. Das liegt aber an mir und nicht an den Informationen im Buch. Wäre ich Analphabet, ginge es mir nicht besser als dem Silberfisch - aber das würde doch an dem geistigen Gehalt/Informationsgehalt des Buches nichts ändern.

#611:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 03.09.2010, 01:36
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Was da wirkt, ist nicht die Information, sondern die phsyikalische Existenz. Information kann nur in einem informationsverarbeitenden System wirken.

Wie siehst Du dann die Wirkung der DNS? Es gibt hier weder ein verstehendes Subjekt noch sonst ein informationsverarbeitendes System. Natürlich ist die Wirkung der DNS eine physikalische und chemische - aber zugleich werden Informationen übertragen (bei der Replikation) und Informationen steuern etwas - die Eiweißsynthese. Eine Information ist immer eine physikalische Wirkung, das ist klar. Die Information ist der Struktur- oder Formaspekt dieser Wirkung..

Ich sehe die Wirkung der DNS als eine gigantische physikalische Wikungskette, die sich informatisch beschreiben lässt.
kalmar hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Um das in einem Beispiel zu bringen: Ein Band der ersten Ausgabe von "Oliver Twist", den Du in der Hand hältst, hat für dich eine völlig andere Information, für dich sogar Informationen auf unterschiedlichen Ebenen, als für einen Silberfisch, dem Du diesen Band in seinen Lebensraum legst. Dementsprechend reagiert ihr auch (hoffentlich) völlig anders auf diese Existenz.

Ja, natürlich, denn ich verstehe die Informationen in dem Buch - der Silberfisch nicht. Das liegt aber an mir und nicht an den Informationen im Buch. Wäre ich Analphabet, ginge es mir nicht besser als dem Silberfisch - aber das würde doch an dem geistigen Gehalt/Informationsgehalt des Buches nichts ändern.

Stell dir vor, es gäbe gar keine Menschen. Und irgendein Wespenvolk spielte beim Nestbau verrückt, die machen da ja Papier, und produzierte da einen schmutzigen Papierblock mit einem Muster auf den Seiten, das genau unserer ersten Ausgabe von "Oliver Twist" entspräche (wir machen uns jetzt keine Gedanken um die Wahrscheinlichkeit). Meinst Du, dieses Papierblock enthielte dann auch irgendeine andere Information als die seiner Existenz? Unter der Bedingung sollten wir uns schleunigst Übersetzer für die Werke der Borkenkäfer suchen.

Nein. Damit "Oliver Twist" seine Information besitzt, bedarf es sowohl der existierenden Standards der Sprache und der Schrift als auch einer gewissen Kenntnis der Geschichte Englands oder Europas. Und nur für einen Adessaten mit diesen Kenntnissen vom Regelwerk der Verarbeitung dieser Muster und den Zusatzinformationen über dern Inhalt hat der "Oliver Twist" diesen Inhalt.

Es ist müßig, sich ohne Kenntnis der zugrundeliegenden Regelwerke und zusätzlicher Information über den Inhalt über die Informationsgehalt von Mustern zu unterhalten.

fwo

#612:  Autor: Dissonanz BeitragVerfasst am: 03.09.2010, 04:15
    —
Ich bin der Überzeugung, dass "Information" nichts ist, was real existiert, sondern nur ein Hilfskonstrukt, mit dem wir Menschen besser mit Mustern umgehen können. Information ist eine Art von Reifikation, denke ich. Deswegen fällt es mir, glaube ich, auch schwerer, Leute die von "Informationszunahme" oder sowas reden ernst zu nehmen. Oder noch besser: Information, also Gott.

#613:  Autor: kalmarWohnort: Salzwedel BeitragVerfasst am: 03.09.2010, 21:07
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Ich sehe die Wirkung der DNS als eine gigantische physikalische Wikungskette, die sich informatisch beschreiben lässt. [...] Stell dir vor, es gäbe gar keine Menschen. Und irgendein Wespenvolk spielte beim Nestbau verrückt, die machen da ja Papier, und produzierte da einen schmutzigen Papierblock mit einem Muster auf den Seiten, das genau unserer ersten Ausgabe von "Oliver Twist" entspräche (wir machen uns jetzt keine Gedanken um die Wahrscheinlichkeit).

Also die Erbinformation in der DNS ist in Wahrheit keine Information, sie lässt sich nur "informatisch beschreiben". Und die Wespen müssen "Oliver Twist" verfassen, damit es keine Information enthält. Da hast Du dich aber auf dünnes Eis begeben... Lachen

#614:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 03.09.2010, 21:58
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Ich sehe die Wirkung der DNS als eine gigantische physikalische Wikungskette, die sich informatisch beschreiben lässt. [...] Stell dir vor, es gäbe gar keine Menschen. Und irgendein Wespenvolk spielte beim Nestbau verrückt, die machen da ja Papier, und produzierte da einen schmutzigen Papierblock mit einem Muster auf den Seiten, das genau unserer ersten Ausgabe von "Oliver Twist" entspräche (wir machen uns jetzt keine Gedanken um die Wahrscheinlichkeit).

Also die Erbinformation in der DNS ist in Wahrheit keine Information, sie lässt sich nur "informatisch beschreiben". Und die Wespen müssen "Oliver Twist" verfassen, damit es keine Information enthält. Da hast Du dich aber auf dünnes Eis begeben... Lachen

Schön, dass es dich amüsiert.

Aber Du hast richtig gelesen: Man kann die DNS als Träger von Information sehen - man muss es aber nicht, sondern kann das auch als physikalische Wirkungketten beschreiben. Die informatische oder besser kybernetische Beschreibung ist natürlich eleganter. Allerdings gibt es Information in der DNS, die jedoch im Effekt anders aussehen, als pure Peptidsquenzen, deren Kodierung wir noch nicht kennen. Sie enthält das, was ich hier schon gelegentlich als "genetisches Wissen von dieser Welt" beschrieben habe.

Die Frage ist auch, auf welcher Ebene man die Wirkung betrachtet......

Ich muss den "Oliver Twist" nicht von Wespen verfassen lassen, damit er keine Information enthält, sondern ich muss dieses tun, damit Du siehst, wie abhängig die Information dieses Musters von Vereinbarungen vor der Kodierung und einem weiteren Paralleltransport von Informationen ist. Eine "Information" ist solange keine, bis sie ihren Adressaten gefunden hat, der etwas mit ihr anfangen kann. Für die Silberfische ist "Oliver Twist" keine Information, sondern Lebensmittel. Information enthüllt ihren Charakter erst in der Verarbeitung.

Ich habe auch nicht gesagt, sie sei nicht da.
fwo hat folgendes geschrieben:
....
Es ist müßig, sich ohne Kenntnis der zugrundeliegenden Regelwerke und zusätzlicher Information über den Inhalt über die Informationsgehalt von Mustern zu unterhalten. ...


Und ich werde keine Energie in die Entzifferung der Werke des Borkenkäfers stecken.

fwo

#615:  Autor: Er_Win BeitragVerfasst am: 05.09.2010, 09:45
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
kalmar hat folgendes geschrieben:
.....
Man muss unterscheiden zwischen dem Wirken einer Information und dem Verstehen einer Information. Die Wirkung geht von der Information selbst aus (Information = Wirkung, die auf einer Form/Struktur beruht) - das Verstehen dagegen geht vom verstehenden Subjekt aus, das den Bedeutungskontext mitbringt.

Was da wirkt, ist nicht die Information, sondern die phsyikalische Existenz. Information kann nur in einem informationsverarbeitenden System wirken.


ersteres sehe ich nicht wirk_lich so - also zumindest bei (selbst-)bewußten informationsverarbeitenden Systemen zwinkern

Die Wirkung beruht auf dem "richtigen" Verstehen (also der Zuschreibung von Bedeutung beim Empfänger) und bedarf irgendeiner physischen Repräsentanz, welche jedoch völlig beliebig ist, aber vom Sender so interpretiert/gewählt wird, dass der Empfänger sie verstehen können müßte. Erst die Bedeutungsinterpretation löst im "bewußt informationsverarbeitenden System" eine Wirkung aus. Das unterscheidet auch "normale" Computer von Menschen oder anderen höheren Lebewesen.

Als vereinfachtes Beispiel, 2 solche Systeme Meier & Müller, wobei Meier eine für seine weitere Handlungsweise essentielle Frage an Müller stellt, deren Antwort in einer Zahl bestehen soll.

Die physikalische (kausale ?) Wirkkette ausgehend davon, wie Müller nun diese Zahl (physikalisch) zur Repräsentanz bringt ist völlig beliebig und es gibt eine *imho* unendliche Varianz, das zu bewerkstelligen, wobei jede - auf höherer Ebene betrachtet - gewählte Darstellungsart noch in ihrer physikalischen Grundstruktur beliebige Unschärfen aufweisen darf, ohne irgendetwas an der zu übermittelnden Information (und deren Wirkung) zu ändern:

Egal ob Müller nun "acht" sagt, eine "8" mit einem Stift schreibt, 8 Finger hochhält, 8 Streichhölzer auf den Tisch legt, etc.etc...

#616:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 03.05.2011, 11:53
    —
Angeregt durch diesen Beitrag:
http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?p=1633816#1633816

möchte ich auf folgende spannende Schrift von Alexander Braidt aufmerksam machen (Kurzversion):

http://braidt.de/index-Dateien/PDF/resuemee.pdf
Zitat:
BEWUßTSEIN - DER ABGRUND ZWISCHEN MENSCH UND TIER; Zur unverstandenen Sonderstellung des menschlichen Gehirns

#617:  Autor: angeloaracaju BeitragVerfasst am: 05.05.2011, 20:25
    —
kalmar hat folgendes geschrieben:

Also die Erbinformation in der DNS ist in Wahrheit keine Information, sie lässt sich nur "informatisch beschreiben". Und die Wespen müssen "Oliver Twist" verfassen, damit es keine Information enthält. Da hast Du dich aber auf dünnes Eis begeben... Lachen


http://elshaddai.thinksubject.com/t43-dna-der-winzige-code-der-die-evolution-zu-fall-bringt

DNA beinhaltet eine genetische Sprache

Zuerst wollen wir uns einige Charakteristiken dieser „genetischen“ Sprache ansehen. Damit sie korrekt als Sprache bezeichnet werden kann, muß sie folgende Elemente enthalten: ein Alphabet oder Kodierungssystem, eine korrekte Rechtschreibung, Grammatik (eine ordnungsgemäße Anordnung der Worte), eine Bedeutung (Semantik), und eine dahinterstehende Absicht. Wissenschaftler haben herausgefunden, daß der genetische Code all diese Schlüsselelemente enthält. „Die Verschlüsselungsregionen der DNA“, erklärt Dr. Stephen Meyer, „haben genau die gleichen relevanten Eigenschaften wie ein Computercode oder eine Sprache“ (zitiert von Strobel, Seite 237, Hervorhebung wie im Original).

Die einzigen anderen Codes, die sich als wahre Sprachen erwiesen haben, sind ausnahmslos alle menschlichen Ursprungs. Obwohl Hunde bellen, wenn sie etwa Gefahr wittern, Bienen tanzen, um andere Bienen auf eine Nahrungsquelle hinzuweisen, oder Wale Töne von sich geben, um nur einige Beispiele von Kommunikation anderer Art zu nennen, hat keine dieser Kommunikationsformen einen Aufbau, der dem einer Sprache gleichkommt. Sie werden als Kommunikationssignale niedriger Stufe angesehen.

Die einzigen Kommunikationsformen, die als auf hoher Ebene angesiedelt gelten, sind menschliche Sprachen, künstliche Sprachen wie Computerprogramme oder Morsesignale und der genetische Code. Bisher wurde kein anderes Kommunikationssystem entdeckt, das die grundlegenden Charakteristiken einer Sprache enthält.

Bill Gates, der Gründer von Microsoft, merkte an, daß DNA „wie ein Softwareprogramm ist, nur ist sie weitaus komplexer als alles, was wir je entwickelt haben“.

Können Sie sich vorstellen, daß etwas Komplizierteres als die komplexesten Programme, die auf einem Supercomputer laufen, durch die Evolution per Zufall entwickelt wurde – egal wieviel Zeit, wie viele Mutationen und wieviel natürliche Selektion dafür angesetzt werden?

#618: zusätzlicher Aspekt Autor: Konsul_48Wohnort: STMK BeitragVerfasst am: 06.05.2011, 09:51
    —
Ich lese zur Zeit gerade von Schrott/Jacobs "Gehirn und Gedicht"!!
Meines Erachtens ein interessanter Beitrag zur Gestaltwerdung unserer Denkstrukturen, wobei ich gern eingestehe, dass mich das Phänomen SPRACHE ein lebenlang fasziniert hat...

#619:  Autor: ShadaikWohnort: MG BeitragVerfasst am: 06.05.2011, 11:08
    —
angeloaracaju hat folgendes geschrieben:
kalmar hat folgendes geschrieben:

Also die Erbinformation in der DNS ist in Wahrheit keine Information, sie lässt sich nur "informatisch beschreiben". Und die Wespen müssen "Oliver Twist" verfassen, damit es keine Information enthält. Da hast Du dich aber auf dünnes Eis begeben... Lachen


http://elshaddai.thinksubject.com/t43-dna-der-winzige-code-der-die-evolution-zu-fall-bringt

DNA beinhaltet eine genetische Sprache

Zuerst wollen wir uns einige Charakteristiken dieser „genetischen“ Sprache ansehen. Damit sie korrekt als Sprache bezeichnet werden kann, muß sie folgende Elemente enthalten: ein Alphabet oder Kodierungssystem, eine korrekte Rechtschreibung, Grammatik (eine ordnungsgemäße Anordnung der Worte), eine Bedeutung (Semantik), und eine dahinterstehende Absicht. Wissenschaftler haben herausgefunden, daß der genetische Code all diese Schlüsselelemente enthält. „Die Verschlüsselungsregionen der DNA“, erklärt Dr. Stephen Meyer, „haben genau die gleichen relevanten Eigenschaften wie ein Computercode oder eine Sprache“ (zitiert von Strobel, Seite 237, Hervorhebung wie im Original).

Die einzigen anderen Codes, die sich als wahre Sprachen erwiesen haben, sind ausnahmslos alle menschlichen Ursprungs. Obwohl Hunde bellen, wenn sie etwa Gefahr wittern, Bienen tanzen, um andere Bienen auf eine Nahrungsquelle hinzuweisen, oder Wale Töne von sich geben, um nur einige Beispiele von Kommunikation anderer Art zu nennen, hat keine dieser Kommunikationsformen einen Aufbau, der dem einer Sprache gleichkommt. Sie werden als Kommunikationssignale niedriger Stufe angesehen.

Die einzigen Kommunikationsformen, die als auf hoher Ebene angesiedelt gelten, sind menschliche Sprachen, künstliche Sprachen wie Computerprogramme oder Morsesignale und der genetische Code. Bisher wurde kein anderes Kommunikationssystem entdeckt, das die grundlegenden Charakteristiken einer Sprache enthält.

Bill Gates, der Gründer von Microsoft, merkte an, daß DNA „wie ein Softwareprogramm ist, nur ist sie weitaus komplexer als alles, was wir je entwickelt haben“.

Können Sie sich vorstellen, daß etwas Komplizierteres als die komplexesten Programme, die auf einem Supercomputer laufen, durch die Evolution per Zufall entwickelt wurde – egal wieviel Zeit, wie viele Mutationen und wieviel natürliche Selektion dafür angesetzt werden?
Geh udn lern was über a) Genetik, b) Sprachen und c) Programmiersprachen.
In diesem text ist praktisch jeder einzelne satz Murks und ich habe keine Lust, das alles einzeln aufzudröseln.

Nur soviel: Das grundprinzip der DNS-Codieurng ist nicht komplexer als Bienentanz. Und Computercodes sind keine Sprachen, auch wenn das Wort dort verwendet wird.

#620:  Autor: Darwin UpheavalWohnort: Tief im Süden BeitragVerfasst am: 08.05.2011, 01:32
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Angeregt durch diesen Beitrag:
http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?p=1633816#1633816

möchte ich auf folgende spannende Schrift von Alexander Braidt aufmerksam machen (Kurzversion):

http://braidt.de/index-Dateien/PDF/resuemee.pdf
Zitat:
BEWUßTSEIN - DER ABGRUND ZWISCHEN MENSCH UND TIER; Zur unverstandenen Sonderstellung des menschlichen Gehirns


Ich wage zu bezweifeln, dass Bewusstsein eine Autapomorphie des Menschen ist. Auch bei Schimpansen, Bonobos und Gorillas, beim Delfin, ja selbst beim Elefanten und beim Schwein wird Bewusstsein diskutiert. (Stichwort: Spiegeltest).

#621:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 08.05.2011, 13:02
    —
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Angeregt durch diesen Beitrag:
http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?p=1633816#1633816

möchte ich auf folgende spannende Schrift von Alexander Braidt aufmerksam machen (Kurzversion):

http://braidt.de/index-Dateien/PDF/resuemee.pdf
Zitat:
BEWUßTSEIN - DER ABGRUND ZWISCHEN MENSCH UND TIER; Zur unverstandenen Sonderstellung des menschlichen Gehirns


Ich wage zu bezweifeln, dass Bewusstsein eine Autapomorphie des Menschen ist. Auch bei Schimpansen, Bonobos und Gorillas, beim Delfin, ja selbst beim Elefanten und beim Schwein wird Bewusstsein diskutiert. (Stichwort: Spiegeltest).


Jetzt musste ich erstmal nachschauen, was eine Autapomorphie überhaupt ist.

Braidts Ansatz ist, daß der Begriff Bewusstsein überhaupt nicht geklärt sei, vollkommen unterschiedlich, und teils mit beträchtlicher Naivität verwendet wird. Ich finde seine Analyse zutreffend. Allerdings werde ich skeptisch, wenn jemand in einem Werk mit wissenschaftlichem Anspruch phasenweise völlig themenfremde Polemiken einbaut. Braidt nimmt in Kauf (vielleicht ist es ihm auch nicht wirklich klar), daß man aufgrunddessen das gesamte Werk mit Vorsicht genießen sollte.

Die Differenz zwischen Deinem und meinem Standpunkt könnte man wahrscheinlich an der Frage festmachen, ob der Mensch über Alleinstellungsmerkmale verfügt, die ihn prinzipiell vom Tier unterscheiden. Ich bin wie Du auch geneigt, bei Tieren sowas wie Bewusstsein zu erkennen, gradell unterschiedlich. Aber mein Standpunkt ist, daß unser Bewusstsein sich prinzipiell von dem der Tiere unterscheidet. Braidt argumentiert nach meinem Verständnis damit, daß erst das, was uns unterscheidet, als Bewusstsein zu bezeichnen sei.

#622:  Autor: RohrspatzWohnort: NRW BeitragVerfasst am: 09.05.2011, 15:51
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Angeregt durch diesen Beitrag:
http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?p=1633816#1633816

möchte ich auf folgende spannende Schrift von Alexander Braidt aufmerksam machen (Kurzversion):

http://braidt.de/index-Dateien/PDF/resuemee.pdf
Zitat:
BEWUßTSEIN - DER ABGRUND ZWISCHEN MENSCH UND TIER; Zur unverstandenen Sonderstellung des menschlichen Gehirns


Ich wage zu bezweifeln, dass Bewusstsein eine Autapomorphie des Menschen ist. Auch bei Schimpansen, Bonobos und Gorillas, beim Delfin, ja selbst beim Elefanten und beim Schwein wird Bewusstsein diskutiert. (Stichwort: Spiegeltest).


Jetzt musste ich erstmal nachschauen, was eine Autapomorphie überhaupt ist.

Braidts Ansatz ist, daß der Begriff Bewusstsein überhaupt nicht geklärt sei, vollkommen unterschiedlich, und teils mit beträchtlicher Naivität verwendet wird. Ich finde seine Analyse zutreffend. Allerdings werde ich skeptisch, wenn jemand in einem Werk mit wissenschaftlichem Anspruch phasenweise völlig themenfremde Polemiken einbaut. Braidt nimmt in Kauf (vielleicht ist es ihm auch nicht wirklich klar), daß man aufgrunddessen das gesamte Werk mit Vorsicht genießen sollte.

Die Differenz zwischen Deinem und meinem Standpunkt könnte man wahrscheinlich an der Frage festmachen, ob der Mensch über Alleinstellungsmerkmale verfügt, die ihn prinzipiell vom Tier unterscheiden. Ich bin wie Du auch geneigt, bei Tieren sowas wie Bewusstsein zu erkennen, gradell unterschiedlich. Aber mein Standpunkt ist, daß unser Bewusstsein sich prinzipiell von dem der Tiere unterscheidet. Braidt argumentiert nach meinem Verständnis damit, daß erst das, was uns unterscheidet, als Bewusstsein zu bezeichnen sei.


Ich hab es zwar noch nicht zu Ende gelesen, aber gerade diesen Punkt fand ich auch erst einmal seltsam. Im Folgenden wird dann aber klar, dass sein sein Punkt doch nicht so absolut ist, wie er erst einmal klingt: Er räumt ja durchaus ein, dass einige wenige Tiere Ansätze von Bewusstsein haben könnten, d.h. laut Braidt, dass Modelle von Gegenständen der realen Welt im Geist manipuliert werden können, so dass man eine Handlung im Geist ausführen und dessen Konsequenzen prüfen kann.
Der Spiegeltest zeigt diese Fähigkeit vielleicht bezogen auf sich selbst an (man kann sich von außen "betrachten"), andere Tests scheinen "Einsicht" belegen zu können, wenn Tiere spontan und ohne Übung eine richtige, aber um Ecken gedachte Lösung für ein Problem anwenden.
Braidt meint aber, dass diese Autonomie geistiger Zustände von der physikalischen Welt die Funktion des Bewusstseins ist und setzt daher das Aufkommen von Bewusstsein sehr spät an. Also beispielsweise eine graduelle Evolution von Gefühlen über Aufmerksamkeit zu Denken und letztendlich zu Reflexion und Ich-Bewusstsein lehnt er ab.

#623:  Autor: Eklatant BeitragVerfasst am: 09.05.2011, 17:27
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Angeregt durch diesen Beitrag:
http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?p=1633816#1633816

möchte ich auf folgende spannende Schrift von Alexander Braidt aufmerksam machen (Kurzversion):

http://braidt.de/index-Dateien/PDF/resuemee.pdf
Zitat:
BEWUßTSEIN - DER ABGRUND ZWISCHEN MENSCH UND TIER; Zur unverstandenen Sonderstellung des menschlichen Gehirns


Ich wage zu bezweifeln, dass Bewusstsein eine Autapomorphie des Menschen ist. Auch bei Schimpansen, Bonobos und Gorillas, beim Delfin, ja selbst beim Elefanten und beim Schwein wird Bewusstsein diskutiert. (Stichwort: Spiegeltest).


Jetzt musste ich erstmal nachschauen, was eine Autapomorphie überhaupt ist.

Braidts Ansatz ist, daß der Begriff Bewusstsein überhaupt nicht geklärt sei, vollkommen unterschiedlich, und teils mit beträchtlicher Naivität verwendet wird. Ich finde seine Analyse zutreffend. Allerdings werde ich skeptisch, wenn jemand in einem Werk mit wissenschaftlichem Anspruch phasenweise völlig themenfremde Polemiken einbaut. Braidt nimmt in Kauf (vielleicht ist es ihm auch nicht wirklich klar), daß man aufgrunddessen das gesamte Werk mit Vorsicht genießen sollte.

Die Differenz zwischen Deinem und meinem Standpunkt könnte man wahrscheinlich an der Frage festmachen, ob der Mensch über Alleinstellungsmerkmale verfügt, die ihn prinzipiell vom Tier unterscheiden. Ich bin wie Du auch geneigt, bei Tieren sowas wie Bewusstsein zu erkennen, gradell unterschiedlich. Aber mein Standpunkt ist, daß unser Bewusstsein sich prinzipiell von dem der Tiere unterscheidet. Braidt argumentiert nach meinem Verständnis damit, daß erst das, was uns unterscheidet, als Bewusstsein zu bezeichnen sei.



Der Hauptunterschied liegt wohl einzig und allein in der Tatsache, dass ein geistig gesunder Mensch (ohne geistige Behinderungen) prinzipiell ab einem bestimmten Alter (kein Säugling, Kleinkind) den Satz sagen könnte:
"Schach-Matt in sieben (acht, neun (...)) Zügen."

Braidt argumentiert einzig in seinem Buch, dass die Philosophie eher ein Patentrecht auf den Begriff "Bewusstsein" besitze und er zu missverständlich sei, würden ihn die Hirnforscher nutzen.
Von daher sollen sie gefälligst neue Begriffe erfinden bzw. sprachlich klar definieren was sie denn eigentlich meinen und sich nicht so "dilettantisch" dabei aufführen, sonst führen Missverständnisse nur zu flachem Biologismus wie etwa dem Sozialdarwinismus.
Das man damit ein ganzes Buch zu füllen vermag geht nur bei einem Philosophen. Lachen

Was interessant bei dem ganzen Diskurs ist, dass menschliche Präzedenzfälle von äußerst eingeschränktem Verständnis kaum diskuttiert und die Ursachen analysiert werden.

Ein Beispiel ist diese Person:
http://www.heise.de/tp/artikel/34/34149/1.html
(Dabei ist nicht die Gerichtsentscheidung gemeint, sondern schlicht das Fehlen Fähigkeit der Person Zusammenhänge z.Bsp. zwischen Geschlechtsakt und Fortpflanzung zu begreifen.)

Es führt daher auch der Vergleich zu Menschen mit stark eingeschränkten geistige Fähigkeiten und die Analyse der Ursachen zu einem besseren Verständnis.

#624:  Autor: Eklatant BeitragVerfasst am: 09.05.2011, 17:35
    —
Eleonor hat folgendes geschrieben:


Ich hab es zwar noch nicht zu Ende gelesen, aber gerade diesen Punkt fand ich auch erst einmal seltsam. Im Folgenden wird dann aber klar, dass sein sein Punkt doch nicht so absolut ist, wie er erst einmal klingt: Er räumt ja durchaus ein, dass einige wenige Tiere Ansätze von Bewusstsein haben könnten, d.h. laut Braidt, dass Modelle von Gegenständen der realen Welt im Geist manipuliert werden können, so dass man eine Handlung im Geist ausführen und dessen Konsequenzen prüfen kann.
Der Spiegeltest zeigt diese Fähigkeit vielleicht bezogen auf sich selbst an (man kann sich von außen "betrachten"), andere Tests scheinen "Einsicht" belegen zu können, wenn Tiere spontan und ohne Übung eine richtige, aber um Ecken gedachte Lösung für ein Problem anwenden.
Braidt meint aber, dass diese Autonomie geistiger Zustände von der physikalischen Welt die Funktion des Bewusstseins ist und setzt daher das Aufkommen von Bewusstsein sehr spät an. Also beispielsweise eine graduelle Evolution von Gefühlen über Aufmerksamkeit zu Denken und letztendlich zu Reflexion und Ich-Bewusstsein lehnt er ab.


Das Denken über das Denken muss aber in der Empirie erden.
Da hilft kein sophistischer Hokuspokus der nur dazu dient einen Schimpansen zu deklassieren, der wenigstens in der Lage ist nach ein wenig Terrain Sondierung ein paar Kisten zu stapeln um an eine Bananenstaude zu kommen bzw. sich geeignete Hilfe suchen kann, während z.Bsp. ein Schwer Demenzkranker in den Zustand eines plärrenden Säuglings zurückfallen kann oder beginnt die Tischdecke zu verspeisen oder die Zähne an dem Porzellan zu zerbeißen (selbst schon erlebt!).

Inkl. diverser anderen geistiger Einschränkungen.

Anstelle sich also mal mit der Wirklichkeit zu befassen, ist dies eher als sophistisches Raunen gegen die Bedeutungslosigkeit der Philosophie im Allgemeinen aufzufassen.

#625:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 09.05.2011, 18:25
    —
Eklatant hat folgendes geschrieben:

Anstelle sich also mal mit der Wirklichkeit zu befassen, ist dies eher als sophistisches Raunen gegen die Bedeutungslosigkeit der Philosophie im Allgemeinen aufzufassen.

Der Satz hat was, wenn er sich erst einmal gesetzt hat! Lachen

#626:  Autor: ShadaikWohnort: MG BeitragVerfasst am: 10.05.2011, 09:00
    —
Eklatant hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Angeregt durch diesen Beitrag:
http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?p=1633816#1633816

möchte ich auf folgende spannende Schrift von Alexander Braidt aufmerksam machen (Kurzversion):

http://braidt.de/index-Dateien/PDF/resuemee.pdf
Zitat:
BEWUßTSEIN - DER ABGRUND ZWISCHEN MENSCH UND TIER; Zur unverstandenen Sonderstellung des menschlichen Gehirns


Ich wage zu bezweifeln, dass Bewusstsein eine Autapomorphie des Menschen ist. Auch bei Schimpansen, Bonobos und Gorillas, beim Delfin, ja selbst beim Elefanten und beim Schwein wird Bewusstsein diskutiert. (Stichwort: Spiegeltest).


Jetzt musste ich erstmal nachschauen, was eine Autapomorphie überhaupt ist.

Braidts Ansatz ist, daß der Begriff Bewusstsein überhaupt nicht geklärt sei, vollkommen unterschiedlich, und teils mit beträchtlicher Naivität verwendet wird. Ich finde seine Analyse zutreffend. Allerdings werde ich skeptisch, wenn jemand in einem Werk mit wissenschaftlichem Anspruch phasenweise völlig themenfremde Polemiken einbaut. Braidt nimmt in Kauf (vielleicht ist es ihm auch nicht wirklich klar), daß man aufgrunddessen das gesamte Werk mit Vorsicht genießen sollte.

Die Differenz zwischen Deinem und meinem Standpunkt könnte man wahrscheinlich an der Frage festmachen, ob der Mensch über Alleinstellungsmerkmale verfügt, die ihn prinzipiell vom Tier unterscheiden. Ich bin wie Du auch geneigt, bei Tieren sowas wie Bewusstsein zu erkennen, gradell unterschiedlich. Aber mein Standpunkt ist, daß unser Bewusstsein sich prinzipiell von dem der Tiere unterscheidet. Braidt argumentiert nach meinem Verständnis damit, daß erst das, was uns unterscheidet, als Bewusstsein zu bezeichnen sei.



Der Hauptunterschied liegt wohl einzig und allein in der Tatsache, dass ein geistig gesunder Mensch (ohne geistige Behinderungen) prinzipiell ab einem bestimmten Alter (kein Säugling, Kleinkind) den Satz sagen könnte:
"Schach-Matt in sieben (acht, neun (...)) Zügen."
?
ich bin nicht normal! skeptisch

Im Ernst: was soll das heissen? ist das eine Anspielung auf den Homo ludens?

#627:  Autor: RohrspatzWohnort: NRW BeitragVerfasst am: 10.05.2011, 12:49
    —
Eklatant hat folgendes geschrieben:
Eleonor hat folgendes geschrieben:


Ich hab es zwar noch nicht zu Ende gelesen, aber gerade diesen Punkt fand ich auch erst einmal seltsam. Im Folgenden wird dann aber klar, dass sein sein Punkt doch nicht so absolut ist, wie er erst einmal klingt: Er räumt ja durchaus ein, dass einige wenige Tiere Ansätze von Bewusstsein haben könnten, d.h. laut Braidt, dass Modelle von Gegenständen der realen Welt im Geist manipuliert werden können, so dass man eine Handlung im Geist ausführen und dessen Konsequenzen prüfen kann.
Der Spiegeltest zeigt diese Fähigkeit vielleicht bezogen auf sich selbst an (man kann sich von außen "betrachten"), andere Tests scheinen "Einsicht" belegen zu können, wenn Tiere spontan und ohne Übung eine richtige, aber um Ecken gedachte Lösung für ein Problem anwenden.
Braidt meint aber, dass diese Autonomie geistiger Zustände von der physikalischen Welt die Funktion des Bewusstseins ist und setzt daher das Aufkommen von Bewusstsein sehr spät an. Also beispielsweise eine graduelle Evolution von Gefühlen über Aufmerksamkeit zu Denken und letztendlich zu Reflexion und Ich-Bewusstsein lehnt er ab.


Das Denken über das Denken muss aber in der Empirie erden.
Da hilft kein sophistischer Hokuspokus der nur dazu dient einen Schimpansen zu deklassieren, der wenigstens in der Lage ist nach ein wenig Terrain Sondierung ein paar Kisten zu stapeln um an eine Bananenstaude zu kommen bzw. sich geeignete Hilfe suchen kann, während z.Bsp. ein Schwer Demenzkranker in den Zustand eines plärrenden Säuglings zurückfallen kann oder beginnt die Tischdecke zu verspeisen oder die Zähne an dem Porzellan zu zerbeißen (selbst schon erlebt!).

Inkl. diverser anderen geistiger Einschränkungen.


Man kann aber schon den prinzipiellen Unterschied zwischen menschlichem und tierischem Geist thematisieren ohne gleich die Frage zu stellen, wie groß die Unterschiede zwischen Menschen selbst diesbezüglich sind. Insbesondere, da Braidt ja in der munteren Projektion des Bewusstseins auf alles, was Nervensystem hat, ein Symptom der Verwässerung der Definition von Bewusstsein sieht.

Eklatant hat folgendes geschrieben:

Anstelle sich also mal mit der Wirklichkeit zu befassen, ist dies eher als sophistisches Raunen gegen die Bedeutungslosigkeit der Philosophie im Allgemeinen aufzufassen.


Nunja, dafür bringt Braidt aber zu viele Thesen ins Spiel, die durchaus eine Konkretisierung des Begriffs "Bewusstsein" zum Inhalt haben, meinst du nicht?

Shadaik hat folgendes geschrieben:
Eklatant hat folgendes geschrieben:
Der Hauptunterschied liegt wohl einzig und allein in der Tatsache, dass ein geistig gesunder Mensch (ohne geistige Behinderungen) prinzipiell ab einem bestimmten Alter (kein Säugling, Kleinkind) den Satz sagen könnte:
"Schach-Matt in sieben (acht, neun (...)) Zügen."
?
ich bin nicht normal! skeptisch

Im Ernst: was soll das heissen? ist das eine Anspielung auf den Homo ludens?


Pff, als könnte der "normale" Mensch sieben und mehr Züge beim Schach voraus denken! zwinkern
Was übrigens vermutlich auch das gemeinte Stichwort ist: Voraus denken.

#628:  Autor: WoiciWohnort: Em Schwobaländle BeitragVerfasst am: 10.05.2011, 13:13
    —
Shadaik hat folgendes geschrieben:
Eklatant hat folgendes geschrieben:

Der Hauptunterschied liegt wohl einzig und allein in der Tatsache, dass ein geistig gesunder Mensch (ohne geistige Behinderungen) prinzipiell ab einem bestimmten Alter (kein Säugling, Kleinkind) den Satz sagen könnte:
"Schach-Matt in sieben (acht, neun (...)) Zügen."
?
ich bin nicht normal! skeptisch

Im Ernst: was soll das heissen? ist das eine Anspielung auf den Homo ludens?


ich verstehe den satz als satz... unabhängig vom inhalt... er hätte auch schreiben können: "die sonne ist gelb und steht am himmel"

#629:  Autor: Eklatant BeitragVerfasst am: 10.05.2011, 22:36
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Eklatant hat folgendes geschrieben:

Anstelle sich also mal mit der Wirklichkeit zu befassen, ist dies eher als sophistisches Raunen gegen die Bedeutungslosigkeit der Philosophie im Allgemeinen aufzufassen.

Der Satz hat was, wenn er sich erst einmal gesetzt hat! Lachen


Nun ich habe bislang immer die Erfahrung gemacht, dass viele Berufsphilosophen die banalsten Aussagen in hoch verschachtelten Sätzen zum Besten geben und/oder abgehobene Analysen des Zeitgeistes im Nachhinein konstruieren/nachschieben.

Dabei wurden die "Argumente" nie besser oder "empirisch" belegbarer.
Allenfalls wurde z.Bsp. der Solipsismus bzw. das "Wirklichkeitsproblem" mit Beispielen aus der Popkultur ala Matrix und "Gehirn im Tank" angereichert/neu verpackt.

Shadaik hat folgendes geschrieben:

ich bin nicht normal! skeptisch

Im Ernst: was soll das heissen? ist das eine Anspielung auf den Homo ludens?


Es ging um das Abstraktionsniveau.
Wenn man sich andere Tiere anschaut als Vergleich zum Homo sapiens, so funktioniert bequem folgendes:

So kann man einem großen Tümmler z.Bsp. Begriffe wie "Ball" und "Ring" beibringen und Tätigkeiten wie "Bringen/Tragen" und "Hinschwimmen".
Zeigt man dann den Ball, nennt die Tätigkeit "Bringen" und daraufhin den Ring, so wird der Delphin den Ball zu den Ringen bringen.
Macht man es umgekehrt, selbst wenn der Tümmler dies noch nie gemacht hat, zuerst den "Ring" dann die Tätigkeit "Bringen" und dann den "Ball". So wird er die Ringe zu den Bällen transportieren.

Bei Affen gibt es viele andere Versuche, selbst bewusstes Täuschen gehört dazu.
Das heißt das Unterstellen von "Absichten" eines "Gegenübers." und Tätigkeiten, die das Gegenüber auszuführen in der Lage ist.

Dies ist auch bei Rabenvögeln bekannt, wenn sie Futter verstecken, so täuschen sie das Verstecken nur vor wenn sie beobachtet werden von vermeidlichen Dieben oder warten, bis sich dieser vermeidliche Dieb in Sicherheit wiegt und verstecken das Fressen schnell ganz woanders.

Der Mensch kann durchaus kompliziertere Szenarien im Kopf durchgehen. Er ist auch in der Lage die Begründung eines komplexen Satzes zu verstehen wie:
"Nachts, sollte man helle Kleidung tragen, sonst steigt die Gefahr, dass man überfahren wird."
Damit ist eine Zeit angegeben, eine Tätigkeit, eine Gefahr und eine Wahrscheinlichkeit des Eintreffens inklusive einer Bezugnahme auf eine Person die man selbst sein kann usw. usf.

Geistig eingeschränkte Personen wie ich oben als Beispiel verlinkt hatte, die z.Bsp. nicht den kausalen Zusammenhang zwischen Geschlechtsverkehr und Kinderkriegen begreifen, bzw. zwischen Abneigung einer Person und den eigenen Tätigkeiten (Kopulationshandlungen) dienen als gute Beispiele um auch die Ursachen der Fähigkeiten bzw. der Einschränkung im Gehirn zu verorten.

#630:  Autor: Eklatant BeitragVerfasst am: 10.05.2011, 22:52
    —
Eleonor hat folgendes geschrieben:


Man kann aber schon den prinzipiellen Unterschied zwischen menschlichem und tierischem Geist thematisieren ohne gleich die Frage zu stellen, wie groß die Unterschiede zwischen Menschen selbst diesbezüglich sind. Insbesondere, da Braidt ja in der munteren Projektion des Bewusstseins auf alles, was Nervensystem hat, ein Symptom der Verwässerung der Definition von Bewusstsein sieht.


Natürlich kann man das. Nur ob man mit ungeerdeter Sophisterei mehr Erkenntnisgewinn hat bezweifel ich.

Fakt ist nur, dass es leider auch Menschen gibt, die nicht einmal bis 3 Zählen können oder gar kein Selbstbild haben, während z.Bsp. Schimpansen trauern:
http://www.wissenschaft-online.de/artikel/1030194
oder die Gorilladame Koko merkwürdige Wünsche formulieren kann:
http://en.wikipedia.org/wiki/Koko_%28gorilla%29#Sexual_harassment

Eleonor hat folgendes geschrieben:

Nunja, dafür bringt Braidt aber zu viele Thesen ins Spiel, die durchaus eine Konkretisierung des Begriffs "Bewusstsein" zum Inhalt haben, meinst du nicht?


Sprachkritik ist die Hauptaufgabe eines Philosophen.

#631:  Autor: LamarckWohnort: Frankfurt am Main BeitragVerfasst am: 11.05.2011, 01:21
    —
Hi Eklatant!


Eklatant hat folgendes geschrieben:

Es ging um das Abstraktionsniveau.
Wenn man sich andere Tiere anschaut als Vergleich zum Homo sapiens, so funktioniert bequem folgendes:

So kann man einem großen Tümmler z.Bsp. Begriffe wie "Ball" und "Ring" beibringen und Tätigkeiten wie "Bringen/Tragen" und "Hinschwimmen".
Zeigt man dann den Ball, nennt die Tätigkeit "Bringen" und daraufhin den Ring, so wird der Delphin den Ball zu den Ringen bringen.
Macht man es umgekehrt, selbst wenn der Tümmler dies noch nie gemacht hat, zuerst den "Ring" dann die Tätigkeit "Bringen" und dann den "Ball". So wird er die Ringe zu den Bällen transportieren.

Bei Affen gibt es viele andere Versuche, selbst bewusstes Täuschen gehört dazu.
Das heißt das Unterstellen von "Absichten" eines "Gegenübers." und Tätigkeiten, die das Gegenüber auszuführen in der Lage ist.

Dies ist auch bei Rabenvögeln bekannt, wenn sie Futter verstecken, so täuschen sie das Verstecken nur vor wenn sie beobachtet werden von vermeidlichen Dieben oder warten, bis sich dieser vermeidliche Dieb in Sicherheit wiegt und verstecken das Fressen schnell ganz woanders.

Der Mensch kann durchaus kompliziertere Szenarien im Kopf durchgehen. Er ist auch in der Lage die Begründung eines komplexen Satzes zu verstehen wie:
"Nachts, sollte man helle Kleidung tragen, sonst steigt die Gefahr, dass man überfahren wird."
Damit ist eine Zeit angegeben, eine Tätigkeit, eine Gefahr und eine Wahrscheinlichkeit des Eintreffens inklusive einer Bezugnahme auf eine Person die man selbst sein kann usw. usf.


'Täuschung' kann gegebenenfalls auch nur eine Instinkthandlung sein. Dazu gehört etwa der Bodenbrüter, der einen Beutegreifer unter 'Vortäuschung' eines gebrochenen Flügels vom Gelege weg lockt (Vgl. Handicap-Prinzip). Bewusstsein ist eigentlich Ich-Bewusstsein - nur wer sich selbst erkennt, ist auch in der Lage, andere Subjekte zu erkennen bzw. fähig, Individuen von Objekten unterscheiden zu können (Vgl. Infantile Amnesie).




Cheers,

Lamarck

#632:  Autor: RohrspatzWohnort: NRW BeitragVerfasst am: 11.05.2011, 11:46
    —
Eklatant hat folgendes geschrieben:
Eleonor hat folgendes geschrieben:


Man kann aber schon den prinzipiellen Unterschied zwischen menschlichem und tierischem Geist thematisieren ohne gleich die Frage zu stellen, wie groß die Unterschiede zwischen Menschen selbst diesbezüglich sind. Insbesondere, da Braidt ja in der munteren Projektion des Bewusstseins auf alles, was Nervensystem hat, ein Symptom der Verwässerung der Definition von Bewusstsein sieht.


Natürlich kann man das. Nur ob man mit ungeerdeter Sophisterei mehr Erkenntnisgewinn hat bezweifel ich.

Fakt ist nur, dass es leider auch Menschen gibt, die nicht einmal bis 3 Zählen können oder gar kein Selbstbild haben, während z.Bsp. Schimpansen trauern:
http://www.wissenschaft-online.de/artikel/1030194
oder die Gorilladame Koko merkwürdige Wünsche formulieren kann:
http://en.wikipedia.org/wiki/Koko_%28gorilla%29#Sexual_harassment


Und welchen Erkenntnisgewinn hat man, wenn man Emotionen mit Gefühlen verwechselt? Tierische Gefühle (sofern überhaupt vorhanden) sind der Empirie nämlich eben nicht zugänglich!

Erklär doch mal, wie man sich dem Thema Bewusstsein deiner Meinung nach sinnvoll nähern soll. Bisher kann ich aus deinen Posts nur folgenden zweifelhaften Schluss heraus lesen:
-Es gibt Menschen mit kognitiven Fähigkeiten unter denen anderer höherer Tiere
-Dass Menschen kein Bewusstsein haben könnten, darf nicht sein
-> also haben auch alle anderen höheren Tiere Bewusstsein.

#633:  Autor: Eklatant BeitragVerfasst am: 11.05.2011, 15:58
    —
Lamarck hat folgendes geschrieben:

'Täuschung' kann gegebenenfalls auch nur eine Instinkthandlung sein. Dazu gehört etwa der Bodenbrüter, der einen Beutegreifer unter 'Vortäuschung' eines gebrochenen Flügels vom Gelege weg lockt (Vgl. Handicap-Prinzip). Bewusstsein ist eigentlich Ich-Bewusstsein - nur wer sich selbst erkennt, ist auch in der Lage, andere Subjekte zu erkennen bzw. fähig, Individuen von Objekten unterscheiden zu können (Vgl. Infantile Amnesie).

Cheers,

Lamarck


Das ist mir natürlich bewusst. So erkennen sich aber Menschenaffen, Delphine, Rabenvögel wie die Elstern auch selbst im Spiegel.

Bei Schweinen gibt es ja auch schon Experimente dazu:
http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,660191,00.html


Zuletzt bearbeitet von Eklatant am 12.05.2011, 21:51, insgesamt einmal bearbeitet

#634:  Autor: Eklatant BeitragVerfasst am: 11.05.2011, 16:00
    —
Eleonor hat folgendes geschrieben:

Und welchen Erkenntnisgewinn hat man, wenn man Emotionen mit Gefühlen verwechselt? Tierische Gefühle (sofern überhaupt vorhanden) sind der Empirie nämlich eben nicht zugänglich!


Ach bitte, ihre eigene "Intrinsischkeit" ist der Empirie auch nicht zugänglich.
Sie, Ich, Hinz und Kunz können einem viel darüber erzählen, dass sie keine "Zombies" darstellen, die drauf programmiert sind so zu tun als ob sie sich ihrer Selbst bewusst wären. Mit den Augen rollen

Mit solch einem solipsistischen Unsinn brauchen sie bei mir gar nicht erst zu kommen.

Das Denken ist nicht vom Himmel gefallen "Poof", sondern muss sich wie alles "graduell" im Verlaufe einer langsamen Entwicklung angesammelt haben.
Tut es ja heute noch ständig im kleineren Maßstab in der Entwicklung vom Säugling zum Kleinkind und dann zum Jugendlichen.

Dabei ist es interessant auch mal Menschen zu beobachten, die fernab der Zivilisation unter wilden Tieren aufgewachsen sind. Die sogenannten "wilden Kinder".
Der Mensch ist primär in der Lage Verhaltensweisen sehr gut zu adaptieren. D.h. der Mensch kann besser "nachäffen" als andere Affen.
So verhielten sich Kinder die von wilden Hunden oder Wölfen aufgezogen wurden sehr "wölfisch". Sie adaptierten die typische Gestik und Mimik.
Es gibt auch ein nicht ganz koscheres Experiment, eines Primatologen das bewiesen hat, dass ein Baby auch im Umgang mit einem Schimpansenkind, eher das Verhalten des Affen adaptierte als umgekehrt.

Eleonor hat folgendes geschrieben:

Erklär doch mal, wie man sich dem Thema Bewusstsein deiner Meinung nach sinnvoll nähern soll. Bisher kann ich aus deinen Posts nur folgenden zweifelhaften Schluss heraus lesen:
-Es gibt Menschen mit kognitiven Fähigkeiten unter denen anderer höherer Tiere
-Dass Menschen kein Bewusstsein haben könnten, darf nicht sein
-> also haben auch alle anderen höheren Tiere Bewusstsein.


Da halte ich es schon wie der Autor. "Bewusstsein" ist hier nicht klar definiert. Eigentlich weil der Begriff antiquiert ist (als Einheit gedacht wird/wurde).

Ich würde intrinsische Verständnis- und Abstraktionsebenen, sowie Planungvermögen und Begreifen in diverser Graustufen anführen und Beispiele geben, die eine Einschränkung darstellen (Hirnschädigungen, fehlende Verschaltungen, fehlende Arreale bei anderen Tieren und oder geistig Behinderten), die eine volle Entfaltung nicht erlauben.

So wirds ja auch gemacht. Mit den Augen rollen

Tatsächlich nähern, bzw. besser nähern könnte man sich und da muss man sich garnix vormachen eher durch Menschenexperimente (die ja verboten sind da man sonst gleich bei den Nazis landen würde), d.h. konkret Rückzüchtung oder alternativ Kreuzungen aus Affen, d.h. Affenhybride http://en.wikipedia.org/wiki/Humanzee oder Nachbau verschiedener neruonaler Strukturen bei anderen Tieren nach dem Vorbild des Menschen als eine Art Prototyporganismus. D.h. hat man erst den Hirnaufbau verstanden, könnte man ja mal schauen, was passiert wenn man dieses Wissen auf andere Lebewesen anwendet und oder nur teilweise anwendet, was dann aber wiederum zur möglichen Verantwortung führen würde eine neue Art von abstrakt denkenden Wesen zu erschaffen. usw. usf. zwinkern

#635:  Autor: Darwin UpheavalWohnort: Tief im Süden BeitragVerfasst am: 15.05.2011, 20:15
    —
Lamarck hat folgendes geschrieben:
(Infantile Amnesie).


OT: Wikipedia scheint da einen Bock geschossen zu haben. Z.B. kann ich mich an Ereignisse erinnern, die deutlich vor dem 3. Lebensjahr stattfanden. Meine erste Erinnerung stammt aus einer Zeit, da war ich knapp ein Jahr alt. Es war Weihnachten, mein Bruder nahm mich auf dem Arm und ich spielte am Lametta des Weihnachtsbaums herum, während meine Mutter irgendwas aus einem Buch erklärte. Das Ereignis wurde photografisch festgehalten, und ich kann mich daran genau erinnern. Ab dem 2. Lebensjahr nimmt die Zahl der (photografisch belegten) Ereignisse, an die ich mich erinnere, stetig zu.

#636:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 15.05.2011, 20:20
    —
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Ab dem 2. Lebensjahr nehmen die (photografisch belegten) Ereignisse, an die ich mich erinnere, immer mehr zu.

Vielleicht wurden Dir später die Fotos gezeigt, und das hast Du vergessen?

Aber ich will nicht ausschließen, daß man sich an die Zeit erinnern kann.

#637:  Autor: Darwin UpheavalWohnort: Tief im Süden BeitragVerfasst am: 15.05.2011, 20:30
    —
step hat folgendes geschrieben:
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Ab dem 2. Lebensjahr nehmen die (photografisch belegten) Ereignisse, an die ich mich erinnere, immer mehr zu.

Vielleicht wurden Dir später die Fotos gezeigt, und das hast Du vergessen?

Aber ich will nicht ausschließen, daß man sich an die Zeit erinnern kann.


Sicher wurden mir die Fotos später gezeigt. Aber ich bilde mir rückblickend ein, mich genau an die Episoden zu erinnern. Kann natürlich auch auf Konfabulation beruhen, ich will das nicht ausschließen...

#638:  Autor: ShadaikWohnort: MG BeitragVerfasst am: 16.05.2011, 11:33
    —
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
(Infantile Amnesie).


OT: Wikipedia scheint da einen Bock geschossen zu haben. Z.B. kann ich mich an Ereignisse erinnern, die deutlich vor dem 3. Lebensjahr stattfanden. Meine erste Erinnerung stammt aus einer Zeit, da war ich knapp ein Jahr alt. Es war Weihnachten, mein Bruder nahm mich auf dem Arm und ich spielte am Lametta des Weihnachtsbaums herum, während meine Mutter irgendwas aus einem Buch erklärte. Das Ereignis wurde photografisch festgehalten, und ich kann mich daran genau erinnern. Ab dem 2. Lebensjahr nimmt die Zahl der (photografisch belegten) Ereignisse, an die ich mich erinnere, stetig zu.

Nicht an ihre Kindheit erinnern können sich laut Wikipedia
Wikipedia hat folgendes geschrieben:
die meisten Erwachsenen


und das dürfte schon stimmen.

#639:  Autor: TelliamedWohnort: Wanderer zwischen den Welten BeitragVerfasst am: 16.05.2011, 12:15
    —
Der "Wikipedia"-Artikel erinnert mich wieder daran, dass ich mich vor kurzem aus heiterem Himmel auf einen "Kriegspfad" begab, den M. Onfrays gegen Sigmund Freud.
http://de.wikipedia.org/wiki/Infantile_Amnesie

Wie soll bloß die "Verdrängung" von Eindrücken aus der Zeit vor dem 3. Lebensjahr funktionieren, die hier als erste Erklärung für die Amnesie erwähnt wird?

OT
In unserer Jugendzeit durften die Werke von Freud in der DDR nicht verlegt werden, und als ich sie 1983 erstmals fand, dachte ich: Was ist das alles für ein krauses Zeug, wo nimmt der bloß diese Vermutungen her, vor allem über die angeblich so beherrschende kindliche Sexualität? Aus Gesprächen mit Erwachsenen auf der Couch, begüterten WienerInnen?
Da ich mich aber bisher nicht näher mit diesen Dingen beschäftigt habe, wurde Freud eher bis zum April 2011 "verdrängt", nachdem schon andere Legenden restlos zerschmettert wurden: Heroische Illusion der Franz. Revolution 1789 durch K. Harpprecht, Stalin durch Montefiore, Lenin durch Biographie von Wolfgang Ruge 2010.

Jetzt zu eigenen Erinnerungen: Als früheste gilt für mich, dass mich meine Mutter liebevoll und ohne Vorwürfe wickelte, mit damals üblichen Stoffwindeln. Zum einen wurde man für gewöhnlich mit drei Jahren nicht mehr so gewickelt bzw. mit Vorwürfen bedacht, wenn dennoch später etwas passierte. Heute, im Zeitalter der Pampers, sieht man das lockerer. Zum anderen wuchs ich in der Woche in einer proletarischen Pflegefamilie auf (dünner Vater schleppte Ziegelsteine in einer Stiege zum Mauern, stämmige Pflegemutter erzog sieben Kinder), wo man mir die Windeln mit drei Jahren garantiert schon entzogen hat. Andere Erinnerungen beziehen sich auf Ereignisse deutlich jenseits des dritten Lebensjahres
Diesen eigenen Erinnerungen kommt in einem Forum über Naturwissenschaften natürlich nicht gerade sonderliche Relevanz zu, aber zumindest sind Windeln ja auch ein kulturgeschichtliches Thema Cool , außer für die, die den Geisteswissenschaften eher den Wissenschaftsrang absprechen würden.

#640:  Autor: RohrspatzWohnort: NRW BeitragVerfasst am: 03.07.2011, 15:28
    —
Ich möchte an dieser Stelle mal ein Gegenkonzept zur Entstehung des Bewusstseins vorstellen. Ich sehe die Frage nach der Entstehung des Bewusstseins für mich nicht als geklärt an und habe daher auch keine endgültige Meinung dazu, welche Wesen über Bewusstsein verfügen oder nicht. Das Gegenkonzept zur biologischen Evolution soll einmal meinen Gedankenwust etwas ordnen und diesen dann argumentativer Kritik aussetzen. Außerdem soll es einige Punkte verdeutlichen.

Das Bewusstsein macht uns intellektuell einige Probleme. Da wäre zum einen, dass Bewusstsein überhaupt eine Einheit verschiedenster Sinnesmodalitäten darstellt. Wo kommen all diese Informationen zusammen? Und macht die Frage nach dem "Wo" überhaupt Sinn?
Des weiteren hat Bewusstsein die Eigenschaft, sich auf Sachverhalte zu beziehen. Auf neurologischer Ebene haben wir natürlich Ursache-Wirkungs-Ketten, die durch Sinnesrezeptoren in Gang gesetzt werden und im Gehirn netzartige Verarbeitungsmuster mit sich ziehen. Aber wir nehmen keine neurologische Aktivität war, sondern stets einen Bezug zu irgend etwas.
Ein weiteres Problem ist die "Verdoppelung" der Zustände durch das Bewusstsein. Das Zombie-Gedankenmodell bringt es auf den Punkt, aber es ließe sich natürlich anzweifeln, dass dieses Gedankenmodell überhaupt einen Realitätsbezug hat. Bewusstsein wird eine kausale Ursache im Gehirn haben, also wird es irgend eine Form von neuraler Aktivität geben, die nicht ohne Bewusstsein auskommt. Die Frage ist, welche Aktivität dies sein könnte.

Ich selbst werde nun eine Position vorstellen, die eine kulturelle Entstehung impliziert.

Thesen:

1. Bewusstsein basiert auf Sprache
2. Bewusstsein kommt nicht ohne Selbstbewusstsein aus

Folgende Punkte könnten These #1 stützen:

Alles, was uns bewusst wird, ist auch unserem Sprachzentrum zugänglich

Die Natur unseres Bewusstseins ist eher konzeptueller Art: Wir bekommen keine „Rohdaten“ ins Bewusstsein geschoben, sondern vorbereitete Konzepte über die Welt. Ich sehe beispielsweise einen „Tisch“ mit einer „Holzmaserung“ (Konzepte, nicht Wörter!). Würde ich bewusst jedes Detail wahrnehmen (wie die genaue Erscheinung der Maserung) wäre ich von den Details völlig überfordert. Dies kommt dem metaphorischen Charakter von Sprache bereits recht nahe.

Kontext dieser Konzepte ist immer der Besitzer des Bewusstseins. Wenn man sich Bewusstsein als nonverbale Erzählung des Organismus über sich selbst vorstellt, wird beispielsweise klar, warum wir uns in Erinnerungen oftmals von außen sehen.

Sprache besitzt die Flexibilität, fiktive Dinge zu „erzählen“. Dies ist eine hervorragende Basis für vorausschauende Planung und für das Hineinversetzen in andere Personen. Beides ließe sich auch als nonverbale Erzählungen vorstellen.

Die Menge der Dinge, derer wir bewusst sein können, liegt in etwa bei 7. Das ist wenig in der Relation zu den riesigen Datenmengen, die unbewusst verarbeitet werden, es ist aber angemessen für sprachliche Relationen (z.B.für einen einzelnen Satz).

Betont wird auch oft die serielle Natur im Vergleich zur parallelen Verarbeitung im Unterbewusstsein. Auch hier eine Parallele zur Sprache.


Zu These #2: Wie bereits oben angedeutet, brauchen Erzählungen (auch nonverbale) immer Kontext. Kontext ist das Ich. Tor Norretranders bezeichnete das Bewusstsein auch als „User Illusion“ - ist eine User Illusion ohne „User“ denkbar? „Wem“ wird Bewusstsein „vorgespielt“, wenn kein „jemand“ vorhanden ist?


Bewusstsein könnte beispielsweise an einem Punkt entstanden sein, an dem sprachliche Metaphern für geistige Zustände erfunden wurden und somit eine Vorstellung der Psyche entstanden ist. Dadurch hat man auch ein Ich definieren können, welches fortan „Protagonist“ der eigenen Lebensgeschichte war. (Vergleich: Julian Jaynes)
Bewusstsein würde demnach in jeder Generation neu erworben. Vermutlich, in dem Eltern ihre Kinder sprachlich dazu erziehen, ein Selbst zu entwickeln, welches verantwortlich für seine eigenen Handlungen ist. Auch die Unterscheidung zwischen Du und Ich würde von den Eltern an das Kind weiter gegeben werden.


Ließen sich die oben stehenden Probleme so beantworten?

Die Frage nach der Einheit des Bewusstseins wäre geklärt: Die Einheitlichkeit kommt durch den Kontext der Metaphern zustande, welche durch den „Protagonisten“, also das Ich gebildet wird.
Anzusiedeln wäre das Bewusstsein demnach in bzw. eng assoziiert mit den Sprachzentren.

Die Verdoppelung der Zustände wäre dem Umstand geschuldet, dass Metaphern gebildet werden.

Die Frage nach den Zombies wäre insofern geklärt, als dass Zombies möglich wären, diese jedoch nicht oder nur begrenzt zu abstrakten Handlungsplanungen fähig wären und sich nicht oder nur begrenzt in andere hinein versetzen könnten.


Problem wäre jedoch die genaue Abgrenzung von Dingen, die nur bewusst möglich wären von solchen, die auch unbewusst verarbeitet werden könnten.
Ist die sprachliche Basis des Bewusstseins beispielsweise dadurch widerlegt, dass sich Menschenaffen zu einem gewissen Grad in Artgenossen hinein versetzen können? Oder gibt es eine kritische Komplexität, ab der solche Leistungen nur durch ein geistig gedachtes Szenario (also eine erfundene Geschichte) vollbracht werden können?
Fakt ist, dass Menschen offensichtlich zu Handlungen in der Lage sind, die einzigartig im Tierreich sind. Man findet zwar Werkzeuggebrauch, nicht aber die Erschaffung völlig neuer Gegenstände kraft des Geistes unter nichtmenschlichen Tieren. Die Ordnung von geistigen Gegenständen anhand einer Erzählung ist vielleicht die Stärke, die diese menschlichen Stärken begründet, obwohl es auch eine große Schwäche beinhaltet: Wenn man keinen „linear erzählbaren“ Weg zur Lösung findet, ist die parallele Verarbeitung des übrigen Gehirns oftmals überlegen.


Ich hoffe, ich habe ein paar denkenswerte Ansatzpunkte geliefert. Ich würde mich sowohl freuen, wenn jemand die Richtung weiter denken würde, als auch, wenn sie produktiv angegriffen werden würde.
Ich selbst denke derzeit viel in diese Richtung und überlege, ob dieser Ansatz fruchtbar sein könnte.

Prinzipiell mag ich aber natürlich gerne glauben, dass andere Tiere ebenfalls Bewusstsein haben.

Also?

#641:  Autor: RohrspatzWohnort: NRW BeitragVerfasst am: 03.07.2011, 16:01
    —
Ich nehme mal einen Beitrag von Skeptiker hier hin mit:

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Ich habe ja bereits darauf hingewiesen, dass ein Großteil des Denkens unbewusst abläuft. Nur ein kleiner Teil wird dem Menschen und höher entwickelten Tier bewusst. In der Evolution gehen trotzdem diese beiden Eigenschaften: Denkfähigkeit und Bewusstsein Hand in Hand. Beides entwickelte sich parallel. Und man kann annehmen, dass teilweise bewusstes Denken & Planen gegenüber einem ausschließlich unbewussten Denken & Planen evolutive Vorteile bietet.


Es ist für sich selbst schon nur eine These und keine Theorie, dass Bewusstsein durch eine biologische Evolution entstanden ist, wenn auch eine nahe liegende. Es gibt aber auch andere Thesen und da diese nicht als widerlegt gelten, gilt die evolutive offensichtlich auch nicht als bestätigt.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:

Welche, könnte man als eigenes Thema diskutieren. Aber von der Empirie her ist es eindeutig.


Na, dann überzeug mich mal, denn hier sind wir im richtigen Thread! Cool

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Gehe mal davon aus, dass Du Bewusstsein hast und damit bestimmte messbare Gehirnaktivitäten und Bereitschaftspotenziale verbunden sind. Beobachtet man beides auch bei Tieren, so ist der Analogieschluss meiner Ansicht nach genau so zulässig wie zwischen verschiedenen Menschen.


Eben nicht genau so! Siehe meinen obigen Beitrag. Was z.B. nur Menschen in diesem Umfang haben, ist ein Sprachzentrum.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Was ist überhaupt Deine Meinung? Du stellst immer nur Fragen.


Ich stelle Fragen, weil ich nach Antworten suche.
Der Punkt ist: Vor wenigen Monaten hatte ich noch eine mit deiner vergleichbare Meinung. Danach las ich Tor Norretranders und Julian Jaynes hintereinander weg. Tor Norretranders geht auf die Entstehung nicht wirklich ein, legt aber mit seinen informationstheoretischen Ansätzen ein gutes Fundament, um Julian Jaynes Gedanken zulassen zu können. Während für mich vorher die biologische Evolution die einzig mögliche Erklärung bot, habe ich so erkannt: Es gibt sehr interessante Schlussfolgerungen aus anderen Erklärungsansätzen und manche Probleme stellen so u.U. kleinere Probleme dar als im Lichte einer (rein) biologischen Evolution.
Die Fragen, die ich dir gestellt habe, zielen genau auf diese Probleme ab, die durch den Kontrast zwischen evolutiven und kulturellen Thesen erst so richtig deutlich werden.

#642:  Autor: Eklatant BeitragVerfasst am: 03.07.2011, 17:14
    —
Zum Thema Bewusstsein sind die siamesischen Zwillinge Krista und Tatiana Hogan sehr interessant. Beide teilen sich einen Thalamus wodurch die eine auch durch die Augen der jeweils anderen sehen kann.
In einem Interview gab die Mutter zu Protokoll, das die beiden nicht miteinander verbal kommunizieren müssen um zu verstehen was die jeweils andere will.

Hier der Artikel der New York Times:

http://www.nytimes.com/2011/05/29/magazine/could-conjoined-twins-share-a-mind.html



Es gibt auch eine Doku des Discovery Channels, die allerdings schon wieder etwas älter ist (ca. 1 Jahr).

#643: Neu hier Autor: Steffen RehmWohnort: bei Berlin BeitragVerfasst am: 11.07.2011, 21:59
    —
Hallo,
ich grüße alle „Kognitionsforscher“. Freigeist bin ich schon lange, aber hier ganz neu, das ist mein erster Beitrag.
Dieses doppelte menschliche Lebewesen ist sensationell, danke für den link.
Begeistert hat mich ein Satz in der Doku:
„The thalamus is a kind of switchboard, a two-lobed organ that filters most sensory input and has long been thought to be essential in the neural loops that create consciousness.“
Genau diese Meinung hege ich schon lange, habe sie gründlich überdacht und bei Wikipedia ausführlich beschrieben, ich kann sie also auch gleich mal verlinken, weil sie hier ins Thema passt, sie enthält meine subjektive Perspektive sehr ausführlich.
http://de.wikibooks.org/wiki/Gehirn_und_Sprache:_Der_Hirnschrittmacher

Eine zweite, verbesserte Version habe ich für Linguisten in „Glottopedia“ zusammengefasst:
http://www.glottopedia.de/index.php?title=Special%3ASearch&search=Neurolinguistik
Man landet hiermit bei “Suchergebnisse“ und muß dort „Neurolinguistik- (Überblick)“ anklicken.

Rohrspatz schrieb: „Ich würde mich sowohl freuen, wenn jemand die Richtung weiter denken würde, als auch, wenn sie produktiv angegriffen werden würde.“

Das habe ich in diesen Texten getan und bin gespannt, wie Freigeister darauf antworten.
Meine Frage: Wäre es wünschenswert, wenn ich mit diesem Hintergrund ein neues Thema über Sprache beginne?

Steffen

#644:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 11.07.2011, 22:01
    —
Willkommen, Steffen Rehm!
Interessante neue Themen sind immer wünschenswert.

#645:  Autor: Steffen RehmWohnort: bei Berlin BeitragVerfasst am: 16.08.2011, 11:30
    —
Für den Wettbewerb „der neue Buchpreis“ habe ich ein Ebook „Neurolinguistik“ veröffentlicht. Es behandelt den Zusammenhang von Sprache und Gehirnprozessen in lesbarer Form.
Facebook- und twitter-user können darüber abstimmen, indem sie den link aufrufen und bei „gefällt mir“ anklicken. Bitte tut das.
http://www.epubli.de/shop/buch/Neurolinguistik-Steffen-Rehm/9273

#646:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 16.08.2011, 21:49
    —
Aber Werbung nicht!

#647:  Autor: ShadaikWohnort: MG BeitragVerfasst am: 17.08.2011, 08:53
    —
Mal davon ab: Fast 30 Euro für ein eBook? Vergiss es.

#648:  Autor: Evilbert BeitragVerfasst am: 17.08.2011, 12:36
    —
Shadaik hat folgendes geschrieben:
Mal davon ab: Fast 30 Euro für ein eBook? Vergiss es.


Beeindruckend ist aber die Abiturnote des Autors. 4,0 angeblich. Zu meinen Zeiten (anno Ahriman) musste man für diese Note in wirklich (fast) allen Kursen exakt 5 Punkte haben; nicht mehr und nicht weniger. Das zu planen und durchzuführen ist mE wirklich großartig - wenns denn stimmt.

#649:  Autor: Steffen RehmWohnort: bei Berlin BeitragVerfasst am: 17.08.2011, 21:04
    —
Damals gabs noch keine Kurse und Punkte, nur Klassen und Zensuren.
Ich hatte in allen Fächern eine 4 bis auf die 1 in Musik, die zählte nicht auf den Schnitt.
Warum ich damit einen Studienplatz in Medizin bekam, weiss ich nicht, Tatsache ist das Physikum mit 1. Ich fand das Studium nämlich interessant, im Gegensatz zur Schule.
Was die geistige Arbeit eines Autors wert ist, kann man erst beurteilen, wenn man seine Texte verstanden hat. Hier kann man umsonst in der Vorschau blättern . Für Sparsame ist auch eine pdf-datei im Angebot, aber das soll keine Werbung sein. zwinkern
Daß ich über das Thema auch gern mit “Freigeistern” diskutiere, habe ich schon geäußert.

#650:  Autor: ShadaikWohnort: MG BeitragVerfasst am: 19.08.2011, 17:05
    —
Dann tu das, geht auch ohne Buchwerbung. Mal so als Tipp von Linguist zu Linguist.

Und sorry, ich gebe ganz einfach nicht soviel Geld für ein eBook aus. 30 € sind für mich schon bei einem gedruckten Buch grenzwertig.
Ja, ich weiss, was Fachliteratur kostet und ich finde auch das unverschämt. Kein Grund, den Quatsch mitzumachen. Aber das ist keine Diskussion für diesen Thread.

#651:  Autor: Steffen RehmWohnort: bei Berlin BeitragVerfasst am: 19.08.2011, 22:40
    —
Gut, anknüpfen kann ich bei Rohrspatz, der oben These 1 so formulierte: "Bewußtsein basiert auf Sprache". Mir gefällt, daß er den untrennbaren Zusammenhang betont, aber ich würde eher meinen: Sprache basiert auf Bewußtsein.
Wenn Bewußtsein auf Sprache basieren würde, dann hätte der durch Schlaganfall sprachlose Mensch keine Bewußtseinsbasis.
Bewußtlos, in Narkose und Schlaf kann man nicht sprechen. Im Traum ist Sprechen aber möglich,
weil das Bewußtsein darin auch aktiviert ist.

These 1 scheint mir aber geeignet, wenn es um die Qualität unseres Bewußtseins im Unterschied zu anderen Säugetieren geht, die basiert bei Menschen auf Sprache. Bewußtsein ist für mich ein Seien mit Wissen, und der größte Teil menschlichen Wissens ist in sprachlicher Form verwendbar.

#652:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 20.08.2011, 13:29
    —
Steffen Rehm hat folgendes geschrieben:
...der größte Teil menschlichen Wissens ist in sprachlicher Form verwendbar.

Der größte Teil menschlichen Wissens ist überhaupt durch Sprache erst möglich. die Entwicklung von Sprache und menschlichem Bewusstsein sollte man sich wohl als rekursiven Prozess vorstellen.

fwo

#653:  Autor: Steffen RehmWohnort: bei Berlin BeitragVerfasst am: 20.08.2011, 20:48
    —
Ein rekursiver Prozess sind Sprache und Bewußtsein, da sind wir uns einig, aber das ist sehr allgemein, gilt für alle Lebensvorgänge von der ersten Teilung einer Eizelle an, alles rückbezüglich, ausgehend von den Genen.
Die Selbstbezüglichkeit der Sprache und des Bewußtseins hat wohl auch eine genetische Grundlage, die z.B. für die Größe des „Frontalhirns“ sorgt, aber in der sprachlichen Ebene findet ein rekursiver Prozess statt, der sich nicht auf die Gene bezieht. Das, worauf er sich bezieht, ist m.E. unter dem Begriff „Sinn“ die Quintessenz des Bewußtseins.

#654:  Autor: Babyface BeitragVerfasst am: 15.12.2018, 16:38
    —
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Entscheidend für mein Argument ist jedoch, daß in beiden Fällen ein Konstrukt bewußt wird, nicht der Mond selbst.
Das sehe ich anders: Wenn ich den Mond sehe, dann sehe ich den Mond selbst und nicht ein Bild davon.
Sehe ich auch so.

Tja, ich eben nicht.

Wenn Du "bewußt den Mond siehst", haben wir es doch mit einer schrittweisen Prozeß zu tun:

1. Der Mond selbst (hypothetisch-realistisch) wechselwirkt physikalisch, z.B. gravitativ, ist massiv, reflektiert Strahlung usw.
2. Ein kleiner Teil dieser Mondsignale wird von Deinem visuellen Wahrnehmungssystem eingefangen, in Form von Photonen bestimmter Intensität, Richtung und Wellenlänge.
3. Irgendwelche funktionalen Einheiten Deines Gehirns verarbeiten diesen Input, filtern das meiste aus und vergleichen den Rest mit gespeicherten Mustern (ohne Anspruch auf Genauigkeit meinerseits).
4. Einiges davon wird u.U. bewußt und Du erkennst "den Mond".

Die Behauptung des direkten Realisten, er sehe den Mond selbst, ist mE nur dadurch begründet, daß es die oben genannte Wirkungskette gibt und deren hypothetischer Ursprung intersubjektiv überprüfbar ist. Meiner Ansicht ist es zwar berechtigt, sich auf diesen Standpunkt zu stellen (also vereinfachend zu sagen, der Mond existiere wirklich), jedoch folgt daraus nicht, daß das, was uns zu Bewußtsein kommt, der Mond selbst wäre, sondern nur, daß es ein Modell des Mondes selbst ist. Andere Wesen, Babies usw. haben trotz derselben Inputsignale ein anderes bewußtes Mondsehen.

Sind wir nicht zu sehr auf den Sehsinn fixiert und unterliegen dadurch womöglich einem Bias wenn wir uns vorstellen wie unser gehirn funktioniert? Ich kann zb Deine Vorstellung das da ein Abbild entsteht in Bezug auf das Sehen noch irgendwie nachvollziehen. Aber was ist mit dem Hören, zb ein bellender Hund? Höre ich dann auch nicht das Bellen des Hundes selbst, sondern nur das Bellen eines Abbildes eines Hundes? Schwer vorstellbar, zumal ich das Bellen ja hören könnte ohne den Hund überhaupt zu sehen.

Ich habe den Eindruck, dass wir die "Dinge selbst" bevorzugt mit ihrer optischen Gestalt als mit anderen Sinneseindrücken identifizieren. Der Hund, das _ist_ die Gestalt die ich sehe, aber er ist nicht der Geruch den ich riechen oder die Geräusche die ich hören kann. Der Hund _macht_ nur Geräusche und der Hund sondert einen Geruch ab, aber er ist nicht identisch damit. Deshalb habe ich vielleicht intuitiv weniger kognitive Dissonazen mit der Vorstellung, dass es der Hund selbst ist, den ich bellen höre als mit der Vorstellung dass das was ich sehe, der Hund selbst ist und nicht nur ein visuelles Konstrukt. Denn das Bellen das ich höre ist ja nicht der Hund selbst, es geht nur von ihm aus. Genau diese Trennung zwischen dem Hund selbst und dem Bellen das er macht, erleichtert mir die Aussage, dass ich den Hund selbst Bellen höre und nicht sein Abbild. Das akustische Erleben ist dann womöglich vom Gehirn vermittelt, aber die transformierten Signale kommen vom Hund selbst und damit höre ich den Hund selbst. Und da es sich mit dem Sehen nicht grundsätzlich anders verhält, könnte ich eigentlich auch sagen, dass es der Hund selbst ist, den ich sehe.

#655:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 15.12.2018, 17:09
    —
Babyface hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Entscheidend für mein Argument ist jedoch, daß in beiden Fällen ein Konstrukt bewußt wird, nicht der Mond selbst.
Das sehe ich anders: Wenn ich den Mond sehe, dann sehe ich den Mond selbst und nicht ein Bild davon.
Sehe ich auch so.

Tja, ich eben nicht.

Wenn Du "bewußt den Mond siehst", haben wir es doch mit einer schrittweisen Prozeß zu tun:

1. Der Mond selbst (hypothetisch-realistisch) wechselwirkt physikalisch, z.B. gravitativ, ist massiv, reflektiert Strahlung usw.
2. Ein kleiner Teil dieser Mondsignale wird von Deinem visuellen Wahrnehmungssystem eingefangen, in Form von Photonen bestimmter Intensität, Richtung und Wellenlänge.
3. Irgendwelche funktionalen Einheiten Deines Gehirns verarbeiten diesen Input, filtern das meiste aus und vergleichen den Rest mit gespeicherten Mustern (ohne Anspruch auf Genauigkeit meinerseits).
4. Einiges davon wird u.U. bewußt und Du erkennst "den Mond".

Die Behauptung des direkten Realisten, er sehe den Mond selbst, ist mE nur dadurch begründet, daß es die oben genannte Wirkungskette gibt und deren hypothetischer Ursprung intersubjektiv überprüfbar ist. Meiner Ansicht ist es zwar berechtigt, sich auf diesen Standpunkt zu stellen (also vereinfachend zu sagen, der Mond existiere wirklich), jedoch folgt daraus nicht, daß das, was uns zu Bewußtsein kommt, der Mond selbst wäre, sondern nur, daß es ein Modell des Mondes selbst ist. Andere Wesen, Babies usw. haben trotz derselben Inputsignale ein anderes bewußtes Mondsehen.

Sind wir nicht zu sehr auf den Sehsinn fixiert und unterliegen dadurch womöglich einem Bias wenn wir uns vorstellen wie unser gehirn funktioniert? Ich kann zb Deine Vorstellung das da ein Abbild entsteht in Bezug auf das Sehen noch irgendwie nachvollziehen. Aber was ist mit dem Hören, zb ein bellender Hund? Höre ich dann auch nicht das Bellen des Hundes selbst, sondern nur das Bellen eines Abbildes eines Hundes? Schwer vorstellbar, zumal ich das Bellen ja hören könnte ohne den Hund überhaupt zu sehen.

Ich habe den Eindruck, dass wir die "Dinge selbst" bevorzugt mit ihrer optischen Gestalt als mit anderen Sinneseindrücken identifizieren. Der Hund, das _ist_ die Gestalt die ich sehe, aber er ist nicht der Geruch den ich riechen oder die Geräusche die ich hören kann. Der Hund _macht_ nur Geräusche und der Hund sondert einen Geruch ab, aber er ist nicht identisch damit. Deshalb habe ich vielleicht intuitiv weniger kognitive Dissonazen mit der Vorstellung, dass es der Hund selbst ist, den ich bellen höre als mit der Vorstellung dass das was ich sehe, der Hund selbst ist und nicht nur ein visuelles Konstrukt. Denn das Bellen das ich höre ist ja nicht der Hund selbst, es geht nur von ihm aus. Genau diese Trennung zwischen dem Hund selbst und dem Bellen das er macht, erleichtert mir die Aussage, dass ich den Hund selbst Bellen höre und nicht sein Abbild. Das akustische Erleben ist dann womöglich vom Gehirn vermittelt, aber die transformierten Signale kommen vom Hund selbst und damit höre ich den Hund selbst. Und da es sich mit dem Sehen nicht grundsätzlich anders verhält, könnte ich eigentlich auch sagen, dass es der Hund selbst ist, den ich sehe.


Im Gehirn sind nur Erregungsmuster. Hunde Monde und all so ein Zeug passen gar nicht in unsere Schädelkalotte.

Das Erregungsmuster, das wir als Mond empfinden, wenn wir Mond wahrnehmen, kommt zwar in einer direkten Kette von Signaltransformationen in unsere Wahrnehmung, wird aber erst durch den Abgleich mit früheren Wahrnehmungen und Kommunikationsprozessen zum Mond - es könnte sein, dass wir diesen Gegenstand bis dahin auch nur aus Erzählungen oder aus einem Buch kennen. Das ist es übrigens, was uns von den anderen Tieren unterscheidet: unser bewusste Wahrnehmung wie unser bewusstes Denken benötigt die vorhergehende Kommunikation, die in uns die Grundlagen dieses Denkens herstellt.

Was sehen wir, wenn wir statt des Mondes selbst nur ein Bild vom Mond sehen? Wenn wir den Mond einmal mit bloßem Auge sehen, einmal mit einem Fernglas, einmal im Sucher einer Digitalkamera? Wann ist es der Mond, wann "nur" ein Bild?

Ein Hund denkt den Mond nicht, wenn er ihn sieht - er reagiert auf einen Reiz, dessen Qualitäten für den Hund wir nicht nachvollziehen können - wir können allenfalls darüber spekulieren.

#656:  Autor: Babyface BeitragVerfasst am: 15.12.2018, 17:53
    —
fwo hat folgendes geschrieben:

Im Gehirn sind nur Erregungsmuster. Hunde Monde und all so ein Zeug passen gar nicht in unsere Schädelkalotte.

Der Baum da draußen passt auch nicht in mein Zimmer. Trotzdem kann ich ihn durch mein Fenster wahrnehmen. zwinkern

Zitat:
Das Erregungsmuster, das wir als Mond empfinden, wenn wir Mond wahrnehmen, kommt zwar in einer direkten Kette von Signaltransformationen in unsere Wahrnehmung, wird aber erst durch den Abgleich mit früheren Wahrnehmungen und Kommunikationsprozessen zum Mond - es könnte sein, dass wir diesen Gegenstand bis dahin auch nur aus Erzählungen oder aus einem Buch kennen. Das ist es übrigens, was uns von den anderen Tieren unterscheidet: unser bewusste Wahrnehmung wie unser bewusstes Denken benötigt die vorhergehende Kommunikation, die in uns die Grundlagen dieses Denkens herstellt.

Was sehen wir, wenn wir statt des Mondes selbst nur ein Bild vom Mond sehen? Wenn wir den Mond einmal mit bloßem Auge sehen, einmal mit einem Fernglas, einmal im Sucher einer Digitalkamera? Wann ist es der Mond, wann "nur" ein Bild?

Ein Hund denkt den Mond nicht, wenn er ihn sieht - er reagiert auf einen Reiz, dessen Qualitäten für den Hund wir nicht nachvollziehen können - wir können allenfalls darüber spekulieren.

Wahrnehmen und Erkennen sind nicht dasselbe. Wenn ich Dir zufällig auf der Straße begegne, dann erkenne ich Dich zwar nicht als fwo, aber ich habe trotzdem fwo gesehen, und zwar bewusst.

#657:  Autor: VanHanegem BeitragVerfasst am: 23.12.2018, 11:35
    —
fwo hat folgendes geschrieben:

Ein Hund denkt den Mond nicht, wenn er ihn sieht - er reagiert auf einen Reiz, dessen Qualitäten für den Hund wir nicht nachvollziehen können - wir können allenfalls darüber spekulieren.

Wir können auch nur spekulieren, ob die Reaktion des Hundes irgendwas mit unserer Vorstellung von "Denken" zu tun hat oder nicht

#658:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 23.12.2018, 15:16
    —
Babyface hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Im Gehirn sind nur Erregungsmuster. Hunde Monde und all so ein Zeug passen gar nicht in unsere Schädelkalotte.
Der Baum da draußen passt auch nicht in mein Zimmer. Trotzdem kann ich ihn durch mein Fenster wahrnehmen. zwinkern

Du nimmst nicht den Baum wahr, sondern dein Gehirn assoziiert empfangene Form-, Farb- usw. -Signale mit einem gespeicherten Muster "Baum". Wenn wir sagen "wir nehmen den realen Baum wahr", ist das eigentlich eine Kurzform für "nach unserer Erfahrung können wir unserer Wahrnehmung vertrauen, nach draußen gehen und dort - etwa durch Berühren - weitere, mit unserer Interpretation konsistente Signale empfangen" oder so ähnlich. "Realität" ist so etwas wie eine Kurzform für die Situation, in der uns ein solcher Schluß gerechtfertigt scheint - was zum Glück relativ häufig der Fall ist.

Babyface hat folgendes geschrieben:
Wahrnehmen und Erkennen sind nicht dasselbe. Wenn ich Dir zufällig auf der Straße begegne, dann erkenne ich Dich zwar nicht als fwo, aber ich habe trotzdem fwo gesehen, und zwar bewusst.

Nein, Du hast nicht bewußt fwo gesehen. Der Schluß, daß es trotzdem fwo "war", ist nur möglich, weil Du implizit u.a. annimmst, daß ein anderer Beobachter eine mit Deiner konsistente Wahrnehmung mit seinem Muster von fwo assziieren kann - bzw. Du selbst im Nachhinein. Ich gebe Dir natürlich trotzdem recht, daß Wahrnehmen und Erkennen nicht dasselbe sind.

#659:  Autor: Babyface BeitragVerfasst am: 25.12.2018, 10:15
    —
step hat folgendes geschrieben:
Babyface hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Im Gehirn sind nur Erregungsmuster. Hunde Monde und all so ein Zeug passen gar nicht in unsere Schädelkalotte.
Der Baum da draußen passt auch nicht in mein Zimmer. Trotzdem kann ich ihn durch mein Fenster wahrnehmen. zwinkern

Du nimmst nicht den Baum wahr, sondern dein Gehirn assoziiert empfangene Form-, Farb- usw. -Signale mit einem gespeicherten Muster "Baum".

Ich verstehe das "sondern" nicht bzw. erkenne keinen Widerspruch. Könnte man nicht sagen, dass ich den Baum wahrnehme, indem (u.a.) mein Gehirn diese Dinge tut?
Zitat:
Wenn wir sagen "wir nehmen den realen Baum wahr", ist das eigentlich eine Kurzform für "nach unserer Erfahrung können wir unserer Wahrnehmung vertrauen, nach draußen gehen und dort - etwa durch Berühren - weitere, mit unserer Interpretation konsistente Signale empfangen" oder so ähnlich. "Realität" ist so etwas wie eine Kurzform für die Situation, in der uns ein solcher Schluß gerechtfertigt scheint - was zum Glück relativ häufig der Fall ist.

Entscheidendes Kriterium für Realität scheint mir Intersubjektivität zu sein. Der Baum wird nicht real, weil ich ihn außerdem berühren kann, sondern weil andere das auch können.

#660:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 25.12.2018, 12:00
    —
Babyface hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:

Wenn wir sagen "wir nehmen den realen Baum wahr", ist das eigentlich eine Kurzform für "nach unserer Erfahrung können wir unserer Wahrnehmung vertrauen, nach draußen gehen und dort - etwa durch Berühren - weitere, mit unserer Interpretation konsistente Signale empfangen" oder so ähnlich. "Realität" ist so etwas wie eine Kurzform für die Situation, in der uns ein solcher Schluß gerechtfertigt scheint - was zum Glück relativ häufig der Fall ist.

Entscheidendes Kriterium für Realität scheint mir Intersubjektivität zu sein. Der Baum wird nicht real, weil ich ihn außerdem berühren kann, sondern weil andere das auch können.


Ich frage mich, ob Intersubjektivität wirklich Voraussetzung eines Realitätskonzeptes ist oder nicht viel mehr eines seiner wesentliche Bestandteile. Der letzte Mensch auf Erden, hätte der kein Konzept mehr von Realität, weil ihm die Möglichkeit intersubjektiver Bestätigung fehlt? Realität bedeutet ja eigentlich mehr als einen Anspruch auf Intersubjektivität, nämlich den auf Objektivität. Und das Objektive ist eben seinem Wesen nach allen Subjekten mit vergleichbaren Erkenntnisfähigkeiten zugänglich, weswegen für fehlbare Wesen Intersubjektivität eine gute Methode der Realitätsprüfung ist, ohne dass der Realitätsbegriff jedoch dadurch in ihr aufginge. Fragt sich also, was "Objektivität" ausmacht. Sie müsste so etwas sein wie "fehlerfreie Erkenntnis im Rahmen der Erkenntnismöglichkeit". "Fehlerfrei" kann dabei eigentlich nur so etwas wie "Kohärenz unterschiedlicher Erkenntnisse/Wahrnehmungen" meinen. Die Realität wäre demnach der vorgestellte kohärente Gesamtzusammenhang aller möglichen Erkenntnisse.

#661:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 25.12.2018, 13:02
    —
Babyface hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Du nimmst nicht den Baum wahr, sondern dein Gehirn assoziiert empfangene Form-, Farb- usw. -Signale mit einem gespeicherten Muster "Baum".
Ich verstehe das "sondern" nicht bzw. erkenne keinen Widerspruch. Könnte man nicht sagen, dass ich den Baum wahrnehme, indem (u.a.) mein Gehirn diese Dinge tut?

Naja, abkürzend/pragmatisch tut man ja genau das. Ist auch OK, solange wir nicht über das tiefere Wesen von Realität diskutieren oder uns in Bereichen befinden, wo diese Gleichsetzung nicht mehr trivial ist (z.B. Quantenphysik). Aber selbst in alltäglichen Situationen kann man sehen, daß das naive Realitätskonzept schwierig ist: Zum Beispiel wenn in der bereits mehrschichtigen Signalkette zwischen mir und dem Baum weitere Ebenen hinzukommen: Ein Spiegel etwa. Oder eine Livekamera. Oder eine Fotografie. Oder eine Zeichnung, eine Erzählung undosweiter. An welcher Stelle sollten wir sagen: "Hier nehhen wir nicht mehr den realen Baum wahr"?

Zumsel hat folgendes geschrieben:
... Die Realität wäre demnach der vorgestellte kohärente Gesamtzusammenhang aller möglichen Erkenntnisse.

Hast Du damit nicht wieder ein ähnliches Problem wie Babyface mit der Intersubjektivität? Was sind "mögliche Erkenntnisse", wenn es etwa keine erkenntnisfähigen Wesen gibt? Dennoch denke ich in eine ähnliche Richtung. Es gab ja hier auch schon mehrere Threads zu diesem Thema, ich würde eine prägnante und etwas provokante Formulierung wählen, die meines Erachtens auch in der Quantenphysik noch hält: Etwas ist wirklich, wenn es nicht einfacher simuliert werden kann.

#662:  Autor: Babyface BeitragVerfasst am: 25.12.2018, 13:10
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Der letzte Mensch auf Erden, hätte der kein Konzept mehr von Realität, weil ihm die Möglichkeit intersubjektiver Bestätigung fehlt?

Er hätte immer noch eines weil er es gelernt hat. Ich kann mir aber nicht vorstellen wie ein Subjekt ohne andere Subjekte ein Realitätskonzept erwerben könnte. Er könnte zwar lernen zwischen einer optischen Halluzination und einem für uns realen Feuer zu unterscheiden. Ein Realitätskonzept hat er damit aber noch nicht. Er hätte dann lediglich gelernt, dass es Feuer gibt an denen er sich die Finger verbrennen kann und solche wo das nicht passiert.

#663:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 25.12.2018, 13:45
    —
Babyface hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Der letzte Mensch auf Erden, hätte der kein Konzept mehr von Realität, weil ihm die Möglichkeit intersubjektiver Bestätigung fehlt?

Er hätte immer noch eines weil er es gelernt hat. Ich kann mir aber nicht vorstellen wie ein Subjekt ohne andere Subjekte ein Realitätskonzept erwerben könnte. Er könnte zwar lernen zwischen einer optischen Halluzination und einem für uns realen Feuer zu unterscheiden. Ein Realitätskonzept hat er damit aber noch nicht. Er hätte dann lediglich gelernt, dass es Feuer gibt an denen er sich die Finger verbrennen kann und solche wo das nicht passiert.

Ein einzelner Mensch ist eine (philosophische) Fiktion. Selbst vereinzeln können wir uns nur im Plural.

#664:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 25.12.2018, 14:33
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Der letzte Mensch auf Erden, hätte der kein Konzept mehr von Realität, weil ihm die Möglichkeit intersubjektiver Bestätigung fehlt?

Am Anfang seiner Einsamkeit hätte er wohl noch eins. Dieses würde allerdings mit der Zeit zunehmend verfallen. Es ist bekannt, dass schon eine Woche in strikter Isolationshaft vergleichbare Folgen hat.

#665:  Autor: Babyface BeitragVerfasst am: 25.12.2018, 14:38
    —
step hat folgendes geschrieben:
Babyface hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Du nimmst nicht den Baum wahr, sondern dein Gehirn assoziiert empfangene Form-, Farb- usw. -Signale mit einem gespeicherten Muster "Baum".
Ich verstehe das "sondern" nicht bzw. erkenne keinen Widerspruch. Könnte man nicht sagen, dass ich den Baum wahrnehme, indem (u.a.) mein Gehirn diese Dinge tut?

Naja, abkürzend/pragmatisch tut man ja genau das. Ist auch OK, solange wir nicht über das tiefere Wesen von Realität diskutieren oder uns in Bereichen befinden, wo diese Gleichsetzung nicht mehr trivial ist (z.B. Quantenphysik). Aber selbst in alltäglichen Situationen kann man sehen, daß das naive Realitätskonzept schwierig ist: Zum Beispiel wenn in der bereits mehrschichtigen Signalkette zwischen mir und dem Baum weitere Ebenen hinzukommen: Ein Spiegel etwa. Oder eine Livekamera. Oder eine Fotografie. Oder eine Zeichnung, eine Erzählung undosweiter. An welcher Stelle sollten wir sagen: "Hier nehhen wir nicht mehr den realen Baum wahr"?

Das hängt wohl davon ab wie "transparent" die Ebenen sind welche die Signale durchlaufen. Ein menschliches Gehirn ist sicher weit weniger transparent als ein Spiegel. Dennoch: je länger ich darüber nachdenke, desto weniger abstrus finde ich die Idee, dass wir auch durch eine Erzählung "hindurch" den realen Baum wahrnehmen können auf den sich das Subjekt bezieht.

#666:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 25.12.2018, 15:26
    —
Babyface hat folgendes geschrieben:
je länger ich darüber nachdenke, desto weniger abstrus finde ich die Idee, dass wir auch durch eine Erzählung "hindurch" den realen Baum wahrnehmen können auf den sich das Subjekt bezieht.

Ja, so müßte an es wohl konsequenterweise als Realist ausdrücken.

An einer solchen "Wahrnehmung" wäre allerdings fast nichts mehr, das mit der "Realität" des Baumes zusammenhängt.

Jetzt treibe ich es aber noch etwas weiter: Jemand erzählt etwas über einen Baum, der erst in der Zukunft "real" werden wird, beispielsweise den er gestern gesät hat. Er beschreibt dessen zukünftige Äste, Blätter und Früchte. Nimmt der Zuhörer durch diese Beschreibung "den realen Baum wahr"?

#667:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 25.12.2018, 18:50
    —
step hat folgendes geschrieben:
Babyface hat folgendes geschrieben:
je länger ich darüber nachdenke, desto weniger abstrus finde ich die Idee, dass wir auch durch eine Erzählung "hindurch" den realen Baum wahrnehmen können auf den sich das Subjekt bezieht.

Ja, so müßte an es wohl konsequenterweise als Realist ausdrücken.

An einer solchen "Wahrnehmung" wäre allerdings fast nichts mehr, das mit der "Realität" des Baumes zusammenhängt.

Jetzt treibe ich es aber noch etwas weiter: Jemand erzählt etwas über einen Baum, der erst in der Zukunft "real" werden wird, beispielsweise den er gestern gesät hat. Er beschreibt dessen zukünftige Äste, Blätter und Früchte. Nimmt der Zuhörer durch diese Beschreibung "den realen Baum wahr"?

Wie weit wollt ihr euch eigentlich noch versteigen? Natürlich gibt es die Realitiät, aber wir waren nich nie da, nicht einmal auf Besuch. zwinkern Wir orientieren uns in dieser Welt mit Bildern, Modellen, die wir in unserer Kindheit mit unserer Sprache lernen und miteinander abgleichen. Das ist kein bewußter Prozeß, sondern etwas, was uns in Fleisch und Blut übergegangen ist, wie es so schön heißt. Daniel Kahneman nennt das Schnelles Denken. Es ist soweit realistisch, wie es unserer Gesellschaft und den Menschen die sie bilden, das Überleben ermöglicht.

Es ist das Ergebnis generationenübergreifender Lern- und Erfahrungsprozesse, die jeder einzelnen von uns in seiner Kindheit im Schnelldurchlauf nachholt, wenn wir lernen, diese Welt zu „begreifen“. Wer einem Kleinkind dabei zugesehen hat, weiß was ich meine.

Ihr dagegen tut so, als wenn das bewußte Denkprozesse wäre, bei Kahneman heißen sie langsames Denken, in denen sich die Individuen voraussetzungslos und ganz allein für sich ein Bild von dieser Welt zu machen versuchen. Außerhalb von philosophischen Zirkeln glaubt das allerdings niemand. Insofern ist die Orientierung in dieser Welt ein kollektiver, kein individueller Prozeß.

Jeder Einzelne verwendet diese Orientierugsmittel gewissermaßen instinktiv. Entstanden sind sie im weitgehend unbewußten Austausch aller über Generationen hinweg. In jedem Einzelnen individualisieren sie sich in jeder Generation neu, und verändern sich in dem Maße, ob und wie die einzelnen damit neue Erfahrungen machen. Mit bewußtem, also langsamem Denken hat das allerdings kaum etwas zu tun.

#668:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 25.12.2018, 21:30
    —
step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
... Die Realität wäre demnach der vorgestellte kohärente Gesamtzusammenhang aller möglichen Erkenntnisse.

Hast Du damit nicht wieder ein ähnliches Problem wie Babyface mit der Intersubjektivität?


Ja, das ist halt der Selbstwiderspruch des Realitätskonzeptes, dass es einerseits auf etwas Übersubjektives nicht bloß verweist, sondern als übersubjektiv allein sinnvoll gedacht werden kann, andererseits der Bezug zur Realität aber immer subjektiv bleiben muss. Das zusätzliche Problem an der Idee, Realität an Intersubjektivität zu koppeln, ist aber, dass intersubjektive Übereinkünfte letztlich niemals anders als beliebig gedacht werden können. Und da scheint doch irgendwie etwas entscheidendes zu fehlen. Es kann für den Realitätsbegriff eben nicht egal sein, "worauf" sich Subjekte da intersubjektiv einigen, weil das den Begriff geradezu ad absurdum führt. Wenn es aber nicht egal ist, muss man auch Kriterien angeben können, die über bloße Intersubjektivität hinausweisen.

step hat folgendes geschrieben:
Was sind "mögliche Erkenntnisse", wenn es etwa keine erkenntnisfähigen Wesen gibt?


Na ja, sich die Erkenntnissubjekte nach den Prinzipien von Erkenntniszusammenhänge aus der Welt wegzudenken, stellt ja nun kein großes Problem dar.

step hat folgendes geschrieben:
Etwas ist wirklich, wenn es nicht einfacher simuliert werden kann.


Ja, da ist die Widersprüchlichkeit zumindest gleich offensichtlich in der Aussage selbst erkennbar: das gerade nicht als Simulation gedachte ist eine bestimmte Form der Simulation.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Wie weit wollt ihr euch eigentlich noch versteigen? Natürlich gibt es die Realitiät, aber wir waren nich nie da, nicht einmal auf Besuch. zwinkern


Das ist doch eine Nullaussage, aus der schlicht gar nichts folgt. Klingt im Grunde nach einer oberflächlichen Interpretationen des Kantischen "Ding an sich": Irgendwie da, aber nicht erkennbar. Was soll man damit anfangen?

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Wir orientieren uns in dieser Welt mit Bildern, Modellen, die wir in unserer Kindheit mit unserer Sprache lernen und miteinander abgleichen. Das ist kein bewußter Prozeß, sondern etwas, was uns in Fleisch und Blut übergegangen ist, wie es so schön heißt. Daniel Kahneman nennt das Schnelles Denken. Es ist soweit realistisch, wie es unserer Gesellschaft und den Menschen die sie bilden, das Überleben ermöglicht.


Mit dieser Definition fängst du den Gehalt des Begriffes "Realität" aber nicht mal im Ansatz ein. "Überleben" kann man auch in dem Bewusstsein, von Engeln umgeben zu sein. So platt waren die soziologischen Klassiker der Theorie der "gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit" nicht. Denn dort ging es vor allem um die Begrenzung der Aussagefähigkeit soziologischer Theorien, die man dann doch noch mal etwas anders verstehen muss als die Begrenzung der Aussagefähigkeit naturwissenschaftlicher Theorien.

#669:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 25.12.2018, 21:53
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Wie weit wollt ihr euch eigentlich noch versteigen? Natürlich gibt es die Realitiät, aber wir waren nich nie da, nicht einmal auf Besuch. zwinkern


Das ist doch eine Nullaussage, aus der schlicht gar nichts folgt. Klingt im Grunde nach einer oberflächlichen Interpretationen des Kantischen "Ding an sich": Irgendwie da, aber nicht erkennbar. Was soll man damit anfangen?

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Wir orientieren uns in dieser Welt mit Bildern, Modellen, die wir in unserer Kindheit mit unserer Sprache lernen und miteinander abgleichen. Das ist kein bewußter Prozeß, sondern etwas, was uns in Fleisch und Blut übergegangen ist, wie es so schön heißt. Daniel Kahneman nennt das Schnelles Denken. Es ist soweit realistisch, wie es unserer Gesellschaft und den Menschen die sie bilden, das Überleben ermöglicht.


Mit dieser Definition fängst du den Gehalt des Begriffes "Realität" aber nicht mal im Ansatz ein. "Überleben" kann man auch in dem Bewusstsein, von Engeln umgeben zu sein. So platt waren die soziologischen Klassiker der Theorie der "gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit" nicht. Denn dort ging es vor allem um die Begrenzung der Aussagefähigkeit soziologischer Theorien, die man dann doch noch mal etwas anders verstehen muss als die Begrenzung der Aussagefähigkeit naturwissenschaftlicher Theorien.


Ich hätte es auch anders schreiben können: Daß ich mich einfach nicht genügend langweile für solche Art von Debatten.

#670:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 26.12.2018, 14:33
    —
step hat folgendes geschrieben:
Babyface hat folgendes geschrieben:
je länger ich darüber nachdenke, desto weniger abstrus finde ich die Idee, dass wir auch durch eine Erzählung "hindurch" den realen Baum wahrnehmen können auf den sich das Subjekt bezieht.

Ja, so müßte an es wohl konsequenterweise als Realist ausdrücken.

An einer solchen "Wahrnehmung" wäre allerdings fast nichts mehr, das mit der "Realität" des Baumes zusammenhängt.

Jetzt treibe ich es aber noch etwas weiter: Jemand erzählt etwas über einen Baum, der erst in der Zukunft "real" werden wird, beispielsweise den er gestern gesät hat. Er beschreibt dessen zukünftige Äste, Blätter und Früchte. Nimmt der Zuhörer durch diese Beschreibung "den realen Baum wahr"?


Wahrnehmung setzt eine sinnliche Verarbeitung voraus. Daher kann ein zukünftiger Zustand nicht wahrgenommen werden. Es sei denn, man akzeptiert, daß Regungen, wie eine Ahnung zu haben, auch als Wahrnehmung der Realität eingestuft wird.
Die Schilderung eines Baums kann einen realistischen Eindruck vermitteln, aber man nimmt ihn trotzdem nicht wahr. Zeige ich ein Foto von einem Baum, dann wird letztlich das Foto wahrgenommen, nicht der Baum. Das Foto kann trotzdem einen qualitativ hochwertigen Eindruck vermitteln. Genau wie die Beschreibung des Baums auch. Aber es sind vermittelte Eindrücke, keine wahrgenommenen.

#671:  Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 26.12.2018, 15:02
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
... Die Realität wäre demnach der vorgestellte kohärente Gesamtzusammenhang aller möglichen Erkenntnisse.

Hast Du damit nicht wieder ein ähnliches Problem wie Babyface mit der Intersubjektivität?


Ja, das ist halt der Selbstwiderspruch des Realitätskonzeptes, dass es einerseits auf etwas Übersubjektives nicht bloß verweist, sondern als übersubjektiv allein sinnvoll gedacht werden kann, andererseits der Bezug zur Realität aber immer subjektiv bleiben muss. Das zusätzliche Problem an der Idee, Realität an Intersubjektivität zu koppeln, ist aber, dass intersubjektive Übereinkünfte letztlich niemals anders als beliebig gedacht werden können. Und da scheint doch irgendwie etwas entscheidendes zu fehlen. Es kann für den Realitätsbegriff eben nicht egal sein, "worauf" sich Subjekte da intersubjektiv einigen, weil das den Begriff geradezu ad absurdum führt. Wenn es aber nicht egal ist, muss man auch Kriterien angeben können, die über bloße Intersubjektivität hinausweisen.


Ich wollte auch schon etwas zu Van Hanegems unwissenschaftlicher These über die "Intersubjektivität" schreiben.

Aber besser als du hätte ich es nicht formulieren können.

Intersubjektivtät <> Objektivität.

Daran ändert auch die Quantenmechanik nichts.

#672:  Autor: Babyface BeitragVerfasst am: 26.12.2018, 15:47
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Babyface hat folgendes geschrieben:
je länger ich darüber nachdenke, desto weniger abstrus finde ich die Idee, dass wir auch durch eine Erzählung "hindurch" den realen Baum wahrnehmen können auf den sich das Subjekt bezieht.

Ja, so müßte an es wohl konsequenterweise als Realist ausdrücken.

An einer solchen "Wahrnehmung" wäre allerdings fast nichts mehr, das mit der "Realität" des Baumes zusammenhängt.

Jetzt treibe ich es aber noch etwas weiter: Jemand erzählt etwas über einen Baum, der erst in der Zukunft "real" werden wird, beispielsweise den er gestern gesät hat. Er beschreibt dessen zukünftige Äste, Blätter und Früchte. Nimmt der Zuhörer durch diese Beschreibung "den realen Baum wahr"?


Wahrnehmung setzt eine sinnliche Verarbeitung voraus. Daher kann ein zukünftiger Zustand nicht wahrgenommen werden. Es sei denn, man akzeptiert, daß Regungen, wie eine Ahnung zu haben, auch als Wahrnehmung der Realität eingestuft wird.
Die Schilderung eines Baums kann einen realistischen Eindruck vermitteln, aber man nimmt ihn trotzdem nicht wahr. Zeige ich ein Foto von einem Baum, dann wird letztlich das Foto wahrgenommen, nicht der Baum. Das Foto kann trotzdem einen qualitativ hochwertigen Eindruck vermitteln. Genau wie die Beschreibung des Baums auch. Aber es sind vermittelte Eindrücke, keine wahrgenommenen.

Jede Wahrnehmung ist vermittelt. Das Gehirn ist nur die letzte Vermittlungsinstanz und vermittelt zwischen physikalischer Welt und Subjekt. Wahrnehmen bedeutet eine Beziehung zur Umwelt und den Objekten/anderen Subjekten herstellen. Dies geschieht mehr oder weniger direkt. Bsp) Nimm einen Bleistift und schreibe etwas auf Papier. Du wirst feststellen, dass Du die Oberfläche das Papiers an der Bleistiftspitze spürst, obwohl Du da eigentlich keine Sinnesrezeptoren hast.

#673:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 26.12.2018, 16:47
    —
Babyface hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Babyface hat folgendes geschrieben:
je länger ich darüber nachdenke, desto weniger abstrus finde ich die Idee, dass wir auch durch eine Erzählung "hindurch" den realen Baum wahrnehmen können auf den sich das Subjekt bezieht.

Ja, so müßte an es wohl konsequenterweise als Realist ausdrücken.

An einer solchen "Wahrnehmung" wäre allerdings fast nichts mehr, das mit der "Realität" des Baumes zusammenhängt.

Jetzt treibe ich es aber noch etwas weiter: Jemand erzählt etwas über einen Baum, der erst in der Zukunft "real" werden wird, beispielsweise den er gestern gesät hat. Er beschreibt dessen zukünftige Äste, Blätter und Früchte. Nimmt der Zuhörer durch diese Beschreibung "den realen Baum wahr"?


Wahrnehmung setzt eine sinnliche Verarbeitung voraus. Daher kann ein zukünftiger Zustand nicht wahrgenommen werden. Es sei denn, man akzeptiert, daß Regungen, wie eine Ahnung zu haben, auch als Wahrnehmung der Realität eingestuft wird.
Die Schilderung eines Baums kann einen realistischen Eindruck vermitteln, aber man nimmt ihn trotzdem nicht wahr. Zeige ich ein Foto von einem Baum, dann wird letztlich das Foto wahrgenommen, nicht der Baum. Das Foto kann trotzdem einen qualitativ hochwertigen Eindruck vermitteln. Genau wie die Beschreibung des Baums auch. Aber es sind vermittelte Eindrücke, keine wahrgenommenen.

Jede Wahrnehmung ist vermittelt. Das Gehirn ist nur die letzte Vermittlungsinstanz und vermittelt zwischen physikalischer Welt und Subjekt. Wahrnehmen bedeutet eine Beziehung zur Umwelt und den Objekten/anderen Subjekten herstellen. Dies geschieht mehr oder weniger direkt. Bsp) Nimm einen Bleistift und schreibe etwas auf Papier. Du wirst feststellen, dass Du die Oberfläche das Papiers an der Bleistiftspitze spürst, obwohl Du da eigentlich keine Sinnesrezeptoren hast.


Sagen wir, Du hast einen Bündel von Attributen, die Du einem Baum zuordnest. Stamm, grüne Blätter, Wurzel, Rinde, Blütengeruch. Wird mir der Baum anhand dieser Attribute beschrieben, kann ich mir aufgrund meiner bereits erfahrenen Sinne eine Vorstellung von dem Baum bilden. Aber ich nehme ihn nach meinem Verständnis nicht wahr. Das verdeutlicht die Vermittlung an, oder auch die Wahrnehmung eines von Geburt an Blinden. Er kann den Baum über alle vorhandene Sinne wahrnehmen. Nur nicht die Farbe der Blätter. In diesem Sinn halte ich Wahrnehmung für etwas, das an die Sinne gebunden ist.

#674:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 26.12.2018, 19:26
    —
Wie lange wollt ihr euch hier noch im Kreise drehen, bis ihr einseht, daß das Problem des Verhältnisses zwischen Realität und individueller Wahrnehmung philosophisch nicht zu lösen ist?

Wir sehen Bäume (nur als Beispiel), wo keine sind und wir übersehen das, was für andere offenkundig ist. Unsere Wahrnehmung ist voll von Fehlern, und viele von ihnen sind sogar so systematisch, daß sie wissenschaftlich überprüfbar sind.

Wir verwenden Kategorien, die weder angeboren sind, noch von uns bewußt entwickelt wurden, und doch verwenden wir sie imstinktiv und selbstverständlich. Manche Menschen verbinden Farben mit Tönen, und manche Blinde können sich Farben überhaupt nicht vorstellen. Von der Wahrnehmung eines Einzelnen auf eine Realität zunschließen, geht ganz offensichtlich in die Irre.

Unsere Wahnehmung dient unserem Überleben, nicht der Erkenntnis. Die Frage, wie realistisch unsere Wahrnehmung und damit unsere Vorstellungen insgesamt sind, ist also nicht die Frage ob und inwieweit wir „die Welt an sich“ wahrnehmen (die Antwort ist klar: gar nicht!), sondern wie realistisch unser Bild von dieser Welt ist, will heißen: wieweit unsere Vorstellungen dieser Welt angemessen sind, wieweit sie uns das Überleben ermöglichen, das Leben schwerer oder leichter macht. Das ist eigentlich, worum es beim „Realismus“ geht: Vorstellungen von dieser Welt zu entwickeln, die so viele realistische Gehalte besitzen, daß sie nachprüfbar besser zu unserem Problem oder unserer Fragestellung passen.

Es ist also nicht die philosophische Frage, wie das Verhältnis zwischen den Bildern „drinnen“ in einem einzelnen Menschen und der Welt „da draußen“ ist, das was ich gern den Descartes‘schen Irrtum nenne, schon deshalb, weil es diese Abgrenzung zwischen „drinnen“ und „draußen“ gar nicht gibt. Für jeden Menschen sind die vielen anderen „draußen“. Und es sind schon gar nicht endgültige Antworten auf die Frage nach dem „Wesen von allem“. Die Gewißheit, nach der manche Philosophen suchen, gern auch „die Wahrheit“ genannt, ist eine Illusion.

Was wir dagegen wissen können, ist, wie unsere Vorstellungen entstanden sind, auf welchen Irrtümern sie beruhten, und inwieweit unsere heutigen Vorstellungen realistischer sind als vorhergegangene. Wir wissen, oder könnten zumindest wissen, daß unsere Vorstellungen von dieser Welt über Generationen entstanden sind, und zwar die Begriffe, mit denen wir sie beschreiben, die Kategorien, in die wir sie einteilen und die Haltungen, die wir zu ihnen einnehmen.

Wir wissen (oder besser: wir lernen zu wissen), was ein Baum ist, bevor wir noch je viele gesehen haben. Insofern ist ein Baum, dessen Foto wir sehen, erst einmal nicht weniger „real“ als einer, der in unserem Vorgarten steht.

Das Subjekt des Wissens, oder wenn man so will: der Erkenntnis, ist nicht ein einzelner Mensch, schon gar nicht „der Mensch“, sondern die Gesellschaft von Menschen. Niemand sieht diese Welt, „wie sie ist“, aber Gesellschaften von Menschen, und damit auch die einzelnen Menschen können ein mehr oder weniger realistisches Modell von dieser Welt haben, wobei sich dieser Realismus zwangsläufig nur auf die Punkte beziehen kann, von denen wir eine nachprüfbare Vorstellung haben können.

Der Rest ist Überbau, Metaphysik. Dieser Rest mag soziale Funktionen haben (Thomas Metzinger pflegt das „adaptive Mahnsystem“ zu nennen), insofern mag es Teil der sozialen Wirklichkeit sein, Teil der Realität ist das, was es beschreibt, nicht.

Dss macht diese philosopischen Debatten so fruchtlos. Sie gehen von einer Fiktion „des einzelnen Menschen“ aus, der alters- und voraussetzungslos, dafür aber mit einer „ewigen Vernunft“ ausgestattet, in der sich der Philosoph nur allzugern selbst wiedererkennt, einer erst einmal fremden, außerhalb von ihm liegenden Welt gegenübertritt, die er nun allein mit der Kraft seiner Gedanken zu ergründen sucht. Es sollte nicht schwer fallen, zu erkennen, daß dieser Versuch gescheitert ist, ja, scheitern mußte, einfach, weil die Voraussetzungen falsch waren und sind.

Diesen einzelnen Menschen gibt es nicht, Menschen kommen nur im Plural vor. Ihre Vorstellungen sind weder alters- noch voraussetzungslos, sondern wir haben die wichtigsten von Kindheit an gelernt, und damit sind unsere Vorausseztzungen die Ergebnisse des Denkens derjenigen, die vor uns kamen. Das, was uns als „Vernunft“ erscheint, ist nichts anderes als unsere heutige Art zu denken, die mit dem Wissen unserer Vorfahren entstanden ist, und damit ebenso ein Produkt der historischen Entwicklung wie unser Wissen selbst.

#675:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 27.12.2018, 12:09
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Wie lange wollt ihr euch hier noch im Kreise drehen, bis ihr einseht, daß das Problem des Verhältnisses zwischen Realität und individueller Wahrnehmung philosophisch nicht zu lösen ist?


Die Aussage entbehrt nicht einer gewissen Komik, da das Problem selbst und seine Formulierung ja nun offensichtlich ein durch und durch philosophisches ist. Halbwegs plausibel (wenn auch nicht unbedingt glaubwürdig) wäre ja noch, das Realitätsproblem einfach für uninteressant zu erklären. Nur sollte man es dann besser unterlassen, an diese Feststellung ein halbes philosophisches Essay anzuschließen.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Unsere Wahnehmung dient unserem Überleben, nicht der Erkenntnis.


Na, dann verwende deine Zeit und Energie doch konsequent aufs "Überleben", anstatt hier erkenntnistheoretisch rumzuphilosophieren. Dass dir Selbstbezüglichkeit deiner Aussagen nicht ins Gesicht springen, ist wirklich bemerkenswert.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Dss macht diese philosopischen Debatten so fruchtlos. Sie gehen von einer Fiktion „des einzelnen Menschen“ aus, der alters- und voraussetzungslos, dafür aber mit einer „ewigen Vernunft“ ausgestattet, in der sich der Philosoph nur allzugern selbst wiedererkennt, einer erst einmal fremden, außerhalb von ihm liegenden Welt gegenübertritt, die er nun allein mit der Kraft seiner Gedanken zu ergründen sucht. Es sollte nicht schwer fallen, zu erkennen, daß dieser Versuch gescheitert ist, ja, scheitern mußte, einfach, weil die Voraussetzungen falsch waren und sind.



Also das, worum es hier geht, nämlich den Begriff von der "Realität der Welt" ist keine philosophische Voraussetzung, sondern zunächst mal eine alltäglich, die Realität der Welt ist schlichte Alltagserfahrung und deren Infragestellung kommt erst durch die philosophische Reflektion, d.h. über die denkende Bezugnahme auf die Voraussetzungen von dem, was man da eigentlich zu erkennen glaubt, in die Welt. Was bei derartigen Reflektionen immer bleibt, ist die analytische Frage nach dem Wesensgehalt von Begriffen. Und ich kann beim besten Willen nicht erkennen, wo diese Diskussion hier großartig über derartige Versuche hinausgegangen wäre und es darum notwendig wäre, hier von der Unhaltbarkeit irgendwelcher metaphysischen Überbauten oder der Illusion einer vom Menschen unabhängigen Weltvernunft oder dgl. zu schwadronieren.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Das, was uns als „Vernunft“ erscheint, ist nichts anderes als unsere heutige Art zu denken, die mit dem Wissen unserer Vorfahren entstanden ist, und damit ebenso ein Produkt der historischen Entwicklung wie unser Wissen selbst.


Und das gilt für alle Resultate des Denkens außer den von dir hier formulierten? Oder weswegen sollen die jetzt irgendeinen vom bloßen Überlebensnutzen unabhängigen Wert haben? Dein ganzer Beitrag ist durchzogen von Widersprüchlichkeiten, Phrasen und halbgaren Gedanken. Schärfe erst mal deine Begriffe und ordne deine Gedanken, bevor du anfängst, andere zu belehren.

#676:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 27.12.2018, 12:59
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Zumsel hat folgendes geschrieben:
Ja, das ist halt der Selbstwiderspruch des Realitätskonzeptes, dass es einerseits auf etwas Übersubjektives nicht bloß verweist, sondern als übersubjektiv allein sinnvoll gedacht werden kann, andererseits der Bezug zur Realität aber immer subjektiv bleiben muss. ...

Deshalb muß das metaphysische Realitätskonzept mE "reduziert" werden, also auf etwas zurückgeführt werden, das sich nicht prinzipiell von anderen Eigenschaften (wie z.B. Masse) unterscheidet.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Was sind "mögliche Erkenntnisse", wenn es etwa keine erkenntnisfähigen Wesen gibt?
Na ja, sich die Erkenntnissubjekte nach den Prinzipien von Erkenntniszusammenhänge aus der Welt wegzudenken, stellt ja nun kein großes Problem dar.

Doch, wenn man wie Du die "möglichen Erkenntnisse" in der Definition der Realität verwendet. Du hast den Widerspruch oben selbst benannt.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Etwas ist wirklich, wenn es nicht einfacher simuliert werden kann.
Ja, da ist die Widersprüchlichkeit zumindest gleich offensichtlich in der Aussage selbst erkennbar: das gerade nicht als Simulation gedachte ist eine bestimmte Form der Simulation.

Ja, wenn man "Simulation" als Gegenteil von "Realität" ansieht - hier ist jedoch etwas ganz Anderes gemeint: Man versteht unter Simulation so etwas wie eine "Herstellungsvorschrift" eines Phänomens - durchaus eines "realen" Phänomens. Die Idee kommt aus Bereichen, wo man zur Beschreibung eines Phänomens erwiesenermaßen virtuelle Entitäten benötigt und sich dann fragt, ob diese real sind. Antwort: Ja, wenn man sie benötigt. Auf diese Weise vermeidet man sowohl das weiter unten diskutierte Problem der Wahrnehmungskaskaden, als auch den Objektivitätswiderspruch. Gleichzeitig entmystifiziert man "Wirklichkeit" bzw. reiht sie in ein in die Liste intuitiver Fehlkonzepte.

#677:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 27.12.2018, 12:59
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zelig hat folgendes geschrieben:
Sagen wir, Du hast einen Bündel von Attributen, die Du einem Baum zuordnest. Stamm, grüne Blätter, Wurzel, Rinde, Blütengeruch. Wird mir der Baum anhand dieser Attribute beschrieben, kann ich mir aufgrund meiner bereits erfahrenen Sinne eine Vorstellung von dem Baum bilden. Aber ich nehme ihn nach meinem Verständnis nicht wahr. Das verdeutlicht die Vermittlung an, oder auch die Wahrnehmung eines von Geburt an Blinden. Er kann den Baum über alle vorhandene Sinne wahrnehmen. Nur nicht die Farbe der Blätter. In diesem Sinn halte ich Wahrnehmung für etwas, das an die Sinne gebunden ist.

Das Problem liegt aber gar nicht im Konzept der Wahrnehmung, sondern in dem der Realität. Deswegen hatte ich ja auch Beispiele genannt, die unter "Wahrnehmung" fallen würden, etwa das Betrachten eines Fotos "dieses" Baumes. Dort nimmst Du einerseits "eingefangene" Signale des Ursprungsobjekts wahr, andererseits ist diese Wahrnehmung offensichtlich indirekt und unvollständig. Wenn Du hier zustimmst, können wir als nächstes den Fall betrachten, daß Du den Baum "selbst" betrachtest - auch hier nimmst Du einerseits eingefangene Signale des Ursprungsobjekts wahr, andererseits ist auch diese Wahrnehmung offensichtlich indirekt und unvollständig. Es ist also nur ein gradueller Unterschied, und - was entscheidender ist - es eignet sich nicht, um Realität zu entscheiden.

#678:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 27.12.2018, 15:10
    —
step hat folgendes geschrieben:
es eignet sich nicht, um Realität zu entscheiden.


Behauptest Du etwa, ich hätte das Thema verfehlt? : )

Immerhin hat der Blinde nicht nur eine graduell abweichende Wahrnehmung. Die Realität eines grünen Blattes wird man nicht vermitteln können.

#679:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 27.12.2018, 15:30
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Immerhin hat der Blinde nicht nur eine graduell abweichende Wahrnehmung. Die Realität eines grünen Blattes wird man nicht vermitteln können.

Ich verstehe den Zusammenhang mit der Frage nach der Realität des Baumes (oder Blattes) nicht. Ein blinder Naiver Realist wird doch trotzdem behaupten, der Baum sei real, auch wenn er dessen Grünheit nicht wahrnehmen kann. Und hört er den realen Baum, wenn er dessen aufgenommenes Blätterrauschen hört?

#680:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 27.12.2018, 16:54
    —
step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Immerhin hat der Blinde nicht nur eine graduell abweichende Wahrnehmung. Die Realität eines grünen Blattes wird man nicht vermitteln können.

Ich verstehe den Zusammenhang mit der Frage nach der Realität des Baumes (oder Blattes) nicht. Ein blinder Naiver Realist wird doch trotzdem behaupten, der Baum sei real, auch wenn er dessen Grünheit nicht wahrnehmen kann. Und hört er den realen Baum, wenn er dessen aufgenommenes Blätterrauschen hört?


Ich sag ja nur, daß man nicht von der Wahrnehmung des Baums sprechen kann, wenn man das Foto des Baums betrachtet. Vielleicht ist das auch zu trivial und führt in eine Richtigung, die für die Diskussion, die ihr führt, nichts bringt. Dann lese ich lieber still, bis ich verstanden habe, worauf es in der Diskussion ankommt.

#681:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 27.12.2018, 20:42
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:

Also das, worum es hier geht, nämlich den Begriff von der "Realität der Welt" ist keine philosophische Voraussetzung, sondern zunächst mal eine alltäglich, die Realität der Welt ist schlichte Alltagserfahrung und deren Infragestellung kommt erst durch die philosophische Reflektion, d.h. über die denkende Bezugnahme auf die Voraussetzungen von dem, was man da eigentlich zu erkennen glaubt, in die Welt. Was bei derartigen Reflektionen immer bleibt, ist die analytische Frage nach dem Wesensgehalt von Begriffen. […]

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Das, was uns als „Vernunft“ erscheint, ist nichts anderes als unsere heutige Art zu denken, die mit dem Wissen unserer Vorfahren entstanden ist, und damit ebenso ein Produkt der historischen Entwicklung wie unser Wissen selbst.


Und das gilt für alle Resultate des Denkens außer den von dir hier formulierten? Oder weswegen sollen die jetzt irgendeinen vom bloßen Überlebensnutzen unabhängigen Wert haben?


Könnte es sein, daß wir unterschiedliche Sprachen sprechen? Ja, ich bin der Ansicht, daß alle unsere Vorstellungen Produkt der historischen Entwicklung unseres Wissens sind, meine eigenen eingeschlossen, daß sie keinen von allem anderen unabhängigen Wert haben, sondern höchstens einen in Relation zu anderem. Die „analytische Frage nach dem Wesensgehalt von Begriffen“ kann nur zu der einen Erkenntnis führen, daß Begriffe keinen absoluten Wesensgehalt haben, sondern immer nur das bedeuten, was jeweils darunter verstanden wird, und das ist, wie man auch in diesem Forum an allen Ecken und Enden beobachten kann, durchaus unterschiedlich.

Kurzum, ich bin der Ansicht, daß „philosophische Reflektion, d.h. […] die denkende Bezugnahme auf die Voraussetzungen von dem, was man da eigentlich zu erkennen glaubt“ nicht anderes vermag als die Kritik anderer philosophischer oder religiöser Vorstellungen. Wissen über das hinaus, was sie schon mitbringt, schafft sie nicht.

Das können nur theoretisch-empirische Wissenschaften mit ihrer Abfolge von Tatsachenbeobachtungen und Theoriebildung. Ihre Grundlagen sind die Irrtümer der Vergangenheit, vorwissenschaftliche wie wissenschaftliche, oder wie Popper zu Recht sagte: "Wir sind mit der Wirklichkeit immer genau in den Momenten in Kontakt, in denen unsere Theorien an ihr scheitern“, und der Wert wissenschaftlicher Erkenntnisse besteht in ihrem Verhältnis zu anderem Wissen und darin, inwieweit es uns ermöglicht, uns besser in dieser Welt zu orientieren, wobei dieses „besser“ letztlich abhängt von den Wünschen und Interessen der Menschen.

#682:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 28.12.2018, 11:49
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step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Immerhin hat der Blinde nicht nur eine graduell abweichende Wahrnehmung. Die Realität eines grünen Blattes wird man nicht vermitteln können.

Ich verstehe den Zusammenhang mit der Frage nach der Realität des Baumes (oder Blattes) nicht. Ein blinder Naiver Realist wird doch trotzdem behaupten, der Baum sei real, auch wenn er dessen Grünheit nicht wahrnehmen kann. Und hört er den realen Baum, wenn er dessen aufgenommenes Blätterrauschen hört?

Ein Blinder hört noch viel mehr, die Existenz eines Baumes in der Geräuschkulisse der Umgebung. Und ein grünes, frisches Blatt von einem welken, braunen am Gefühl zu unterscheiden, kannst sogar du als Sehender lernen, wenn du dich darauf konzentrierst.

Aber das sind doch alles Irrwege. Die Frage nach der Beobachtbarkeit der Wirklichkeit kommt man nur näher, wenn man sich klar macht, daß das beobachtende Subjekt die Gesellschaft der Menschen ist, nicht ein einzelnes, als isoliert gedachtes Individuum.

#683:  Autor: Babyface BeitragVerfasst am: 28.12.2018, 11:55
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zelig hat folgendes geschrieben:
Babyface hat folgendes geschrieben:

Jede Wahrnehmung ist vermittelt. Das Gehirn ist nur die letzte Vermittlungsinstanz und vermittelt zwischen physikalischer Welt und Subjekt. Wahrnehmen bedeutet eine Beziehung zur Umwelt und den Objekten/anderen Subjekten herstellen. Dies geschieht mehr oder weniger direkt. Bsp) Nimm einen Bleistift und schreibe etwas auf Papier. Du wirst feststellen, dass Du die Oberfläche das Papiers an der Bleistiftspitze spürst, obwohl Du da eigentlich keine Sinnesrezeptoren hast.


Sagen wir, Du hast einen Bündel von Attributen, die Du einem Baum zuordnest. Stamm, grüne Blätter, Wurzel, Rinde, Blütengeruch. Wird mir der Baum anhand dieser Attribute beschrieben, kann ich mir aufgrund meiner bereits erfahrenen Sinne eine Vorstellung von dem Baum bilden. Aber ich nehme ihn nach meinem Verständnis nicht wahr. Das verdeutlicht die Vermittlung an, oder auch die Wahrnehmung eines von Geburt an Blinden. Er kann den Baum über alle vorhandene Sinne wahrnehmen. Nur nicht die Farbe der Blätter. In diesem Sinn halte ich Wahrnehmung für etwas, das an die Sinne gebunden ist.

Mit Wahrnehmung meine ich in dem Fall nicht die bildhafte Vorstellung des Baumes. Diese ist nur eine durch die Wahrnehmung hervorgerufene Erinnerung. Was wir wahrnehmen sind akustische Laute, Wörter und Sätze, die sich zu einer Beschreibung zusammenfügen. Mein Gedanke ist nun, dass wir in der Beschreibung selbst den Baum wahrnehmen oder anders ausgedrückt: Der Baum zeigt sich uns in der akustischen Gestalt seiner Beschreibung vermittelt durch ein menschliches Gehirn (so ähnlich wie wir das Blatt Papier vermittelt durch den Körper des Bleistifts wahrnehmen). Dahinter steht die Idee, dass wir Dinge in Form von Gestalten wahrnehmen und dass sich die Dinge uns in unterschiedlicher Gestalt zeigen können. Was wir wahrnehmen sind jedoch keine Gestalten sondern reale Dinge, so wie sie uns in diesem Moment eben erscheinen: als akustische, visuelle, olfaktorische und/oder taktile vermittelte Gestalten. Das wird vielleicht klarer wenn man Wahrnehmung als ein aktives In-Beziehung-Treten zu den Dingen (oder anderen Subjekten) begreift, also den intentionalen Aspekt von Wahrnehmung einbezieht: Wenn ich mit Dir Telefoniere, nehme ich nicht das Telefon wahr, sondern Dich. zwinkern

Dass die Vorstellung schwerfällt, man nehme in der Beschreibung des Baumes den Baum selbst wahr, liegt meines Erachtens darin begründet, dass wir zumindest im Alltag intuitiv dann doch naive Realisten sind. D.h. wir unterstellen implizit, dass unmittelbare Wahrnehmung möglich sei, und damit theoretisch 1:1 Abbilder der Realität von denen sich einzelne Wahrnehmungsgestalten mehr oder weniger deutlich unterscheiden. Die Beschreibung eines Baumes wäre dann eine Gestalt, die zu stark von unserer Vorstellung des "Baumes an sich" abweicht. Oder wie step es ausgedrückt hat. Eine solche Wahrnehmung hätte fast nichts mehr von der "Realität" des Baumes.

#684:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 28.12.2018, 13:58
    —
Babyface hat folgendes geschrieben:
Was wir wahrnehmen sind jedoch keine Gestalten sondern reale Dinge, so wie sie uns in diesem Moment eben erscheinen: als akustische, visuelle, olfaktorische und/oder taktile vermittelte Gestalten. Das wird vielleicht klarer wenn man Wahrnehmung als ein aktives In-Beziehung-Treten zu den Dingen (oder anderen Subjekten) begreift, also den intentionalen Aspekt von Wahrnehmung einbezieht: Wenn ich mit Dir Telefoniere, nehme ich nicht das Telefon wahr, sondern Dich.

Natürlich nimmst Du in diesem Fall nicht primär das Telefon wahr, sondern das, was und wie zelig gesagt, geatmet usw. hat. Der Grund dafür ist einfach, daß Du die Information recht gut von ihrem Transportmechanismus trennen kannst. Das bedeutet jedoch nicht ohne weiteres, daß Du den "realen zelig" wahrnimmst, sondern das Gehörte wird in Deinem Kopf in (gut begründbaren) Zusammenhang gebracht mit Deiner Vorstellung von zelig.

Babyface hat folgendes geschrieben:
Dass die Vorstellung schwerfällt, man nehme in der Beschreibung des Baumes den Baum selbst wahr, liegt meines Erachtens darin begründet, dass wir zumindest im Alltag intuitiv dann doch naive Realisten sind. D.h. wir unterstellen implizit, dass unmittelbare Wahrnehmung möglich sei, und damit theoretisch 1:1 Abbilder der Realität von denen sich einzelne Wahrnehmungsgestalten mehr oder weniger deutlich unterscheiden. ...

Als Ton-, Bild- und Filmaufnahmen noch ungewohnt waren, gab es regelmäßig Schreckeffekte im Konflikt mit dem naiven Realismus. Heute dagegen fließt unser komplexes Wissen (oder Annahmen) über Zeitverschiebung, Liveaufnahmen usw. ein.

Allerdings trifft der naivrealistische Fehlschluss, den Du beschreibst, ja viel schlimmer auf den Fall der direkteren Wahrnehmung zu. Man könnte argumentieren, daß, je "unmittelbarer" die Wahrnehmung ist, desto eher erliegen wir dem naiven Realismus.

#685:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 29.12.2018, 00:59
    —
Babyface hat folgendes geschrieben:
Was wir wahrnehmen sind akustische Laute, Wörter und Sätze, die sich zu einer Beschreibung zusammenfügen. Mein Gedanke ist nun, dass wir in der Beschreibung selbst den Baum wahrnehmen oder anders ausgedrückt: Der Baum zeigt sich uns in der akustischen Gestalt seiner Beschreibung vermittelt durch ein menschliches Gehirn (so ähnlich wie wir das Blatt Papier vermittelt durch den Körper des Bleistifts wahrnehmen). Dahinter steht die Idee, dass wir Dinge in Form von Gestalten wahrnehmen und dass sich die Dinge uns in unterschiedlicher Gestalt zeigen können. Was wir wahrnehmen sind jedoch keine Gestalten sondern reale Dinge, so wie sie uns in diesem Moment eben erscheinen: als akustische, visuelle, olfaktorische und/oder taktile vermittelte Gestalten. Das wird vielleicht klarer wenn man Wahrnehmung als ein aktives In-Beziehung-Treten zu den Dingen (oder anderen Subjekten) begreift, also den intentionalen Aspekt von Wahrnehmung einbezieht: Wenn ich mit Dir Telefoniere, nehme ich nicht das Telefon wahr, sondern Dich. :wink:

Dass die Vorstellung schwerfällt, man nehme in der Beschreibung des Baumes den Baum selbst wahr, liegt meines Erachtens darin begründet, dass wir zumindest im Alltag intuitiv dann doch naive Realisten sind. D.h. wir unterstellen implizit, dass unmittelbare Wahrnehmung möglich sei, und damit theoretisch 1:1 Abbilder der Realität von denen sich einzelne Wahrnehmungsgestalten mehr oder weniger deutlich unterscheiden. Die Beschreibung eines Baumes wäre dann eine Gestalt, die zu stark von unserer Vorstellung des "Baumes an sich" abweicht. Oder wie step es ausgedrückt hat. Eine solche Wahrnehmung hätte fast nichts mehr von der "Realität" des Baumes.



Mir fällt es schwer den Hebel in dieser Diskussion anzusetzen. Und mir ist noch nicht mal klar, warum das so ist. Vielleicht weil alle genannten Beispiele räumlich und zeitlich abgegrenzte Objekte voraussetzen, die wieder die Frage aufwerfen, ob sie aufgrund dieser Eigenschaft nicht sowieso schon immer eine Art Naiven Realismus voraussetzen.

Ich fürchte, ich bleibe bei meiner Auffassung, daß ich (vor dem Hintergrund dieser Diskussion) tatsächlich mit einem Gerät spreche, wenn Du mich anrufst. Und mir kommt es so vor, daß das eben genau nicht einen naiven Realismus voraussetzt, sondern das Wissen darüber, daß im Telefonapparat kein Babyface hockt. Das erzwingt zusätzlich eine Theorie, wieso man mit jemanden reden kann, obwohl er weit weg ist. Genau das, meine ich, ist der Grund dafür, warum wahrscheinlich niemand bewußter Naiver Realist ist: Neben der Wahrnehmung pflegen wir immer eine Theorie, die uns davon absehen lässt, daß zelig nicht die Stimme von Babyface wahrnimmt, sondern eine technische Simulation. Diese Theorie brauche ich nicht, wenn wir direkt über unsere Sinne kommunizieren.

#686:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 29.12.2018, 13:01
    —
step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Ja, das ist halt der Selbstwiderspruch des Realitätskonzeptes, dass es einerseits auf etwas Übersubjektives nicht bloß verweist, sondern als übersubjektiv allein sinnvoll gedacht werden kann, andererseits der Bezug zur Realität aber immer subjektiv bleiben muss. ...

Deshalb muß das metaphysische Realitätskonzept mE "reduziert" werden, also auf etwas zurückgeführt werden, das sich nicht prinzipiell von anderen Eigenschaften (wie z.B. Masse) unterscheidet.


Vielleicht zeugt es ja schon von einem falschen Verständnis, das Realitätskonzept als "metaphysisch" aufzufassen. Klar ist, dass man mit "Realität" etwas von Willen und Wahrnehmung des Subjekts irgendwie Unabhängiges meint. Die Frage scheint mir aber zunächst mal, wie diese Unabhängigkeit überhaupt zu verstehen ist und überhaupt verstanden werden kann.


Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Aber das sind doch alles Irrwege. Die Frage nach der Beobachtbarkeit der Wirklichkeit kommt man nur näher, wenn man sich klar macht, daß das beobachtende Subjekt die Gesellschaft der Menschen ist, nicht ein einzelnes, als isoliert gedachtes Individuum.


Kannst du einen anerkannten Soziologen nennen, der tatsächlich einen derartigen epistemologischen Holismus vertritt? Klassiker wie Schütz tun das jedenfalls ganz klar nicht, dort wird viel mehr die wechselseitige Abhängigkeit von Individuen und Gesellschaft betont, bei Schütz sogar mit einer stärkeren Bedeutungszuschreibung des Individuums, dessen Betrachtung immer am Anfang stehen müsse. Und das scheint mir dem Gegenstand auch völlig angemessen, aber egal, wie stark man da nun im Einzelnen was wie gewichtet: ohne den "subjektiven Sinn" und der Klärung seines Verhältnisses zur "sozialen Umwelt" bleibt alles Gerede über "Prozessen" und "Strukturen", die die Gesellschaft, die Wirklichkeit insgesamt gar, "konstruieren", völlig hohl und phrasenhaft. Deine Beiträge gelangen (zumindest bisher) über dieses phrasenhafte Stadium nicht hinaus.

#687:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 29.12.2018, 20:58
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Ja, das ist halt der Selbstwiderspruch des Realitätskonzeptes, dass es einerseits auf etwas Übersubjektives nicht bloß verweist, sondern als übersubjektiv allein sinnvoll gedacht werden kann, andererseits der Bezug zur Realität aber immer subjektiv bleiben muss. ...
Deshalb muß das metaphysische Realitätskonzept mE "reduziert" werden, also auf etwas zurückgeführt werden, das sich nicht prinzipiell von anderen Eigenschaften (wie z.B. Masse) unterscheidet.
Vielleicht zeugt es ja schon von einem falschen Verständnis, das Realitätskonzept als "metaphysisch" aufzufassen.

Mein Realitätskonzept ist ja gerade nicht metaphysisch, sondern physisch - und es führt auch nicht zu dem von Dir o.g. Selbstwiderspruch, da es ohne den subjektiven Bezug auskommt. Aber bei dem, was ich hier regelmäßig aufgetischt bekomme, frage ich mich, was dieses "objektiv" denn sein soll, wie man einen Baum "unmittelbar" wahrnimmt usw.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Klar ist, dass man mit "Realität" etwas von Willen und Wahrnehmung des Subjekts irgendwie Unabhängiges meint. Die Frage scheint mir aber zunächst mal, wie diese Unabhängigkeit überhaupt zu verstehen ist und überhaupt verstanden werden kann.

Ich habe ja früher schon mal David Deutsch zitiert - der fordert als Wirklichkeitskriterium neben der "Komplexität" (das was ich oben mit der Simulierbarkeit geschrieben habe) noch "Autonomie", das geht in die von Dir genannte Richtung.

#688:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 29.12.2018, 22:51
    —
Was Babyface schreibt, kann ich im Großen und Ganzen nachvollziehen. Ich schlage "pragmatischer Realismus" als Etikett vor.

Einige unserer naiveren Vorstellungen sind großartig gescheitert, damit ist der naive Realismus erledigt. Der hypothetische Realismus kann zur Wahrheitsfindung nur das Prinzip beitragen, sich nicht auf bestimmte Vorstellungen zu versteifen.


Babyface hat folgendes geschrieben:
Dahinter steht die Idee, dass wir Dinge in Form von Gestalten wahrnehmen und dass sich die Dinge uns in unterschiedlicher Gestalt zeigen können. Was wir wahrnehmen sind jedoch keine Gestalten sondern reale Dinge, so wie sie uns in diesem Moment eben erscheinen: als akustische, visuelle, olfaktorische und/oder taktile vermittelte Gestalten.

Und sogar wenn eine Gestalt wegfällt oder eine dazukommt - Infrarot- oder Röntgenstrahlung - bleibt es das gleiche Ding.



Babyface hat folgendes geschrieben:
Das wird vielleicht klarer wenn man Wahrnehmung als ein aktives In-Beziehung-Treten zu den Dingen (oder anderen Subjekten) begreift, also den intentionalen Aspekt von Wahrnehmung einbezieht: ...

Der intentionale Aspekt von Wahrnehmung - sehr schön.

Um den Baum scharf zu sehen, muß ihn das Auge fokussieren. Um den Wind in den Blättern (besser) zu hören, muß man den Kopf drehen - Tiere würden die Ohren spitzen. Um ihn zu riechen, sollte man schnüffeln, wie ein Hund.





Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Natürlich gibt es die Realitiät, aber wir waren nich nie da, nicht einmal auf Besuch. zwinkern

Sehe ich ganz anders: Einmal auf die Schnauze gefallen, Autsch!, schon war man in Kontakt mit der Realität.

(Dem Rest schließe ich mich an.)




Zumsel hat folgendes geschrieben:
So platt waren die soziologischen Klassiker der Theorie der "gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit" nicht. Denn dort ging es vor allem um die Begrenzung der Aussagefähigkeit soziologischer Theorien, die man dann doch noch mal etwas anders verstehen muss als die Begrenzung der Aussagefähigkeit naturwissenschaftlicher Theorien.

Das scheint mir ein wichtiger Punkt zu sein. Physik oder Biologie haben jeweils mehrere theoretische Rahmen, die Einzelbeobachtungen sinnvoll verbinden. Thermodynamik, allgemeine Relativität, Quantenmechanik. Gibt es das auch in der klassischen Soziologie?

Bereits etablierte Messungen, Fakten und Objekte bleiben, auch wenn sich die Theorie dahinter ändert. zelig hat das erkannt.




zelig hat folgendes geschrieben:
Mir fällt es schwer den Hebel in dieser Diskussion anzusetzen. Und mir ist noch nicht mal klar, warum das so ist. Vielleicht weil alle genannten Beispiele räumlich und zeitlich abgegrenzte Objekte voraussetzen, die wieder die Frage aufwerfen, ob sie aufgrund dieser Eigenschaft nicht sowieso schon immer eine Art Naiven Realismus voraussetzen.

Unberührt von allen Diskussionen um ihr Wesen ist die Realität doch sehr hartnäckig.

Wie hartnäckig, zeigt sich gerade am CERN. Man hat mehrere Milliarden EUR ausgegeben und trotzdem nichts gefunden, das dem gegenwärtigen, naiven Bild der räumlich und zeitlich abgegrenzten Objekte widerspräche. Pfeifen



zelig hat folgendes geschrieben:
Ich fürchte, ich bleibe bei meiner Auffassung, daß ich (vor dem Hintergrund dieser Diskussion) tatsächlich mit einem Gerät spreche, wenn Du mich anrufst. Und mir kommt es so vor, daß das eben genau nicht einen naiven Realismus voraussetzt, sondern das Wissen darüber, daß im Telefonapparat kein Babyface hockt.

Babyface sitzt so wenig im Telefonapparat wie ich gerade in diesem Beitrag sitze.



zelig hat folgendes geschrieben:
Neben der Wahrnehmung pflegen wir immer eine Theorie, die uns davon absehen lässt, daß zelig nicht die Stimme von Babyface wahrnimmt, sondern eine technische Simulation. Diese Theorie brauche ich nicht, wenn wir direkt über unsere Sinne kommunizieren.

Du übersiehst den aufwendigen Apparat, der hinter der direkten Kommunikation steht. Es braucht:


    Ein Gehirn, das denkt und sprachfähig ist. Zwerchfell, Luftröhre, Stimmbänder, Rachen, Zunge und Lippen. Beim Empfänger: Ohren, Trommelfell, Cochlea und noch ein Gehirn, das der selben Sprache fähig ist.

Dieser Aufwand lohnt sich nur, wenn es auch etwas zu hören, zu sehen, zu riechen gibt. Von daher würde ich auch wie Babyface im Eingangsbeitrag vom Bellen auf den Hund schließen.

#689:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 30.12.2018, 00:01
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Aber das sind doch alles Irrwege. Die Frage nach der Beobachtbarkeit der Wirklichkeit kommt man nur näher, wenn man sich klar macht, daß das beobachtende Subjekt die Gesellschaft der Menschen ist, nicht ein einzelnes, als isoliert gedachtes Individuum.


Kannst du einen anerkannten Soziologen nennen, der tatsächlich einen derartigen epistemologischen Holismus vertritt? Klassiker wie Schütz tun das jedenfalls ganz klar nicht, dort wird viel mehr die wechselseitige Abhängigkeit von Individuen und Gesellschaft betont, bei Schütz sogar mit einer stärkeren Bedeutungszuschreibung des Individuums, dessen Betrachtung immer am Anfang stehen müsse. ...

Marcellinus Formulierung "Gesellschaft als beobachtendes Subjekt" halte ich für unglücklich, deine Kritik daran ist berechtigt. Inhaltlich schließe ich mich Marcellinus an.

Dahinter steht der Gedanke, daß soziales Lernen zu einem guten Teil Nachahmen ist, siehe das Darwin-Zitat im anderen Thread. Marcellinus dürfte sich auf Daniel Kahneman beziehen, Psychologe und Ökonomie-Nobelpreisträger.

Auch Kahneman-Kritiker sehen das so. Tabelle 2 auf Seite 24 gibt einen Überblick.

smallie hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Homo Heuristicus: Why Biased Minds Make Better Inferences
Gerd Gigerenzer, Henry Brighton - 2009

http://library.mpib-berlin.mpg.de/ft/gg/GG_Homo_2009.pdf



Zumsel hat folgendes geschrieben:
... ohne den "subjektiven Sinn" und der Klärung seines Verhältnisses zur "sozialen Umwelt" bleibt alles Gerede über "Prozessen" und "Strukturen", die die Gesellschaft, die Wirklichkeit insgesamt gar, "konstruieren", völlig hohl und phrasenhaft. Deine Beiträge gelangen (zumindest bisher) über dieses phrasenhafte Stadium nicht hinaus.

Es erscheint nur als Phrase, weil sich diese neuen Ansätze in der klassischen Soziologie noch nicht herumgesprochen haben.

#690:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 30.12.2018, 09:13
    —
Die Frage, was "wirklich" ist oder wie ein System Information über ein anderes System erhält, primär soziologisch zu betrachten, führt in die Irre, und zwar egal ob auf Individuum oder Gesellschaft bezogen. Ein Wirklichkeitskonzept muß auch anwendbar sein auf eine Situation ohne Personenbeteiligung.

#691:  Autor: Babyface BeitragVerfasst am: 30.12.2018, 11:11
    —
step hat folgendes geschrieben:
[...]Das bedeutet jedoch nicht ohne weiteres, daß Du den "realen zelig" wahrnimmst, sondern das Gehörte wird in Deinem Kopf in (gut begründbaren) Zusammenhang gebracht mit Deiner Vorstellung von zelig.

Hm, der einzige Umstand der es für mich nachvollziehbar machen würde zu sagen, dass ich auf diese Weise nicht den realen zelig wahrnehme, wäre aber der, dass es gar keinen realen zelig gibt.


Zitat:
Babyface hat folgendes geschrieben:
Dass die Vorstellung schwerfällt, man nehme in der Beschreibung des Baumes den Baum selbst wahr, liegt meines Erachtens darin begründet, dass wir zumindest im Alltag intuitiv dann doch naive Realisten sind. D.h. wir unterstellen implizit, dass unmittelbare Wahrnehmung möglich sei, und damit theoretisch 1:1 Abbilder der Realität von denen sich einzelne Wahrnehmungsgestalten mehr oder weniger deutlich unterscheiden. ...

Als Ton-, Bild- und Filmaufnahmen noch ungewohnt waren, gab es regelmäßig Schreckeffekte im Konflikt mit dem naiven Realismus. Heute dagegen fließt unser komplexes Wissen (oder Annahmen) über Zeitverschiebung, Liveaufnahmen usw. ein.

Und was schlussfolgerst Du daraus?

Zitat:
Allerdings trifft der naivrealistische Fehlschluss, den Du beschreibst, ja viel schlimmer auf den Fall der direkteren Wahrnehmung zu. Man könnte argumentieren, daß, je "unmittelbarer" die Wahrnehmung ist, desto eher erliegen wir dem naiven Realismus.

Ich vermute wir unterliegen dem naiven Realismus desto eher, je vertrauter uns bestimmte Formen von Wahrnehmungsgestalten sind. Am vertrautesten dürften taktile Gestalten sein, da diese sowohl phylogenetisch als auch ontogenetisch im Mutterleib die primären Wahrnehmungserfahrungen darstellen. Ich denke es ist kein Zufall, dass Menschen in letzter Instanz dazu neigen Dinge anzufassen wenn sie sich ihrer Existenz vergewissern wollen. Darin zeigt sich übrigens schön sowohl der intentionale als auch der Beziehungsaspekt von Wahrnehmung in seiner ursprünglichsten Form: Dinge berühren und von Dingen berührt werden und sich dadurch ihrer gewahr werden. Diese Wahrnehmung mag man "unmittelbarer" erleben und so benennen, aber "vertrauter" trifft den Sachverhalt mE besser.

#692:  Autor: Babyface BeitragVerfasst am: 30.12.2018, 11:27
    —
zelig hat folgendes geschrieben:

Ich fürchte, ich bleibe bei meiner Auffassung, daß ich (vor dem Hintergrund dieser Diskussion) tatsächlich mit einem Gerät spreche, wenn Du mich anrufst. Und mir kommt es so vor, daß das eben genau nicht einen naiven Realismus voraussetzt, sondern das Wissen darüber, daß im Telefonapparat kein Babyface hockt. Das erzwingt zusätzlich eine Theorie, wieso man mit jemanden reden kann, obwohl er weit weg ist. Genau das, meine ich, ist der Grund dafür, warum wahrscheinlich niemand bewußter Naiver Realist ist: Neben der Wahrnehmung pflegen wir immer eine Theorie, die uns davon absehen lässt, daß zelig nicht die Stimme von Babyface wahrnimmt, sondern eine technische Simulation. Diese Theorie brauche ich nicht, wenn wir direkt über unsere Sinne kommunizieren.

Aber bist Du tatsächlich der Ansicht das Du in Wirklichkeit mit einem Gerät sprichst und nicht vielmehr durch ein Gerät? Dass in diesem Moment ein Gerät Dir zuhört, Deine Sorgen und Freunden teilt, sich damit beschäftigt und Dir antwortet? Dass Du also in Wahrheit nur mit dem Telefon in Beziehung gehst und nicht mit mir? Wenn Du das alles verneinst und doch eher der Auffassung bist, dass hier zwei Subjekte kommunizieren und damit in Beziehung zueinander treten, dann frage ich: Wie ist es möglich, dass Du mit mir in Beziehung trittst wenn Du mich gar nicht wahrnehmen könntest?

#693:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 30.12.2018, 11:47
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
So platt waren die soziologischen Klassiker der Theorie der "gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit" nicht. Denn dort ging es vor allem um die Begrenzung der Aussagefähigkeit soziologischer Theorien, die man dann doch noch mal etwas anders verstehen muss als die Begrenzung der Aussagefähigkeit naturwissenschaftlicher Theorien.

Das scheint mir ein wichtiger Punkt zu sein. Physik oder Biologie haben jeweils mehrere theoretische Rahmen, die Einzelbeobachtungen sinnvoll verbinden. Thermodynamik, allgemeine Relativität, Quantenmechanik. Gibt es das auch in der klassischen Soziologie?


Der Punkt scheint mir, etwas vereinfacht formuliert, zu sein, dass der Gegenstand der Naturwissenschaft, im Gegensatz zu dem der Soziologie, nicht seinerseits noch mal eine Interpretation von der Welt vornimmt, deren Verständnis zum Verständnis seines Verhaltens erforderlich wäre. Das Verhalten von Menschen in Gemeinschaft lässt sich nur vor dem Hintergrund von deren Gesellschaftsverständnis sowie Selbst- und Weltbild sinnvoll modellieren. Das gilt für das Verhalten von Molekülen natürlich nicht. Die soziale Wirklichkeit wird daher in diesem Sinne tatsächlich von der Gesellschaft und ihren Mitgliedern "konstruiert", das kann man aber eben nicht in gleicher Weise von Molekülen behaupten.

smallie hat folgendes geschrieben:
Marcellinus Formulierung "Gesellschaft als beobachtendes Subjekt" halte ich für unglücklich, deine Kritik daran ist berechtigt. Inhaltlich schließe ich mich Marcellinus an.

Dahinter steht der Gedanke, daß soziales Lernen zu einem guten Teil Nachahmen ist, siehe das Darwin-Zitat im anderen Thread....


Bei dem Begriff der "Wirklichkeit" geht es aber nicht um soziales Verhalten. Wenn eine Gemeinschaft intersubjektiv der Meinung ist, die Fixsterne seien Löcher in der Himmelsscheibe, durch die das göttliche Licht dringt, kann diese Vorstellung natürlich ein interessanter Gegenstand soziologischer Forschung sein - nur hat diese Vorstellung eben keinen Einfluss auf die naturwissenschaftliche "Wirklichkeit" des Himmels.

smallie hat folgendes geschrieben:
Es erscheint nur als Phrase, weil sich diese neuen Ansätze in der klassischen Soziologie noch nicht herumgesprochen haben.


Konstruktivismus und Holismus als neuester heißer Scheiß in der Wissenschaft und Erkenntnistheorie, von dem die Klassiker noch keinen Schimmer hatten? In welcher konstruierten Realität denn das? zwinkern

#694:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 30.12.2018, 16:13
    —
Babyface hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
[...]Das bedeutet jedoch nicht ohne weiteres, daß Du den "realen zelig" wahrnimmst, sondern das Gehörte wird in Deinem Kopf in (gut begründbaren) Zusammenhang gebracht mit Deiner Vorstellung von zelig.
Hm, der einzige Umstand der es für mich nachvollziehbar machen würde zu sagen, dass ich auf diese Weise nicht den realen zelig wahrnehme, wäre aber der, dass es gar keinen realen zelig gibt.

Ich würde erstmal nur soweit gehen zu behaupten, daß diese Wahrnehmung kein haltbares Kriterium für die Relaität von zelig ist.

Babyface hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Als Ton-, Bild- und Filmaufnahmen noch ungewohnt waren, gab es regelmäßig Schreckeffekte im Konflikt mit dem naiven Realismus. Heute dagegen fließt unser komplexes Wissen (oder Annahmen) über Zeitverschiebung, Liveaufnahmen usw. ein.
Und was schlussfolgerst Du daraus?

Daß der genaue Weg der Wahrnehmung nicht das wesentliche Kriterium dafür ist, ob wir dem naiven Realismus verfallen.

Babyface hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Allerdings trifft der naivrealistische Fehlschluss, den Du beschreibst, ja viel schlimmer auf den Fall der direkteren Wahrnehmung zu. Man könnte argumentieren, daß, je "unmittelbarer" die Wahrnehmung ist, desto eher erliegen wir dem naiven Realismus.
Ich vermute wir unterliegen dem naiven Realismus desto eher, je vertrauter uns bestimmte Formen von Wahrnehmungsgestalten sind. Am vertrautesten dürften taktile Gestalten sein, da diese sowohl phylogenetisch als auch ontogenetisch im Mutterleib die primären Wahrnehmungserfahrungen darstellen. ... Diese Wahrnehmung mag man "unmittelbarer" erleben und so benennen, aber "vertrauter" trifft den Sachverhalt mE besser.

Oder der taktile Reiz ist schwieriger zu täuschen und daher verläßlicher, da er mit Masse, Ort, Trägheit usw. zu tun hat.

#695:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 31.12.2018, 12:05
    —
Babyface hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:

Ich fürchte, ich bleibe bei meiner Auffassung, daß ich (vor dem Hintergrund dieser Diskussion) tatsächlich mit einem Gerät spreche, wenn Du mich anrufst. Und mir kommt es so vor, daß das eben genau nicht einen naiven Realismus voraussetzt, sondern das Wissen darüber, daß im Telefonapparat kein Babyface hockt. Das erzwingt zusätzlich eine Theorie, wieso man mit jemanden reden kann, obwohl er weit weg ist. Genau das, meine ich, ist der Grund dafür, warum wahrscheinlich niemand bewußter Naiver Realist ist: Neben der Wahrnehmung pflegen wir immer eine Theorie, die uns davon absehen lässt, daß zelig nicht die Stimme von Babyface wahrnimmt, sondern eine technische Simulation. Diese Theorie brauche ich nicht, wenn wir direkt über unsere Sinne kommunizieren.

Aber bist Du tatsächlich der Ansicht das Du in Wirklichkeit mit einem Gerät sprichst und nicht vielmehr durch ein Gerät?

Genaugenommen spreche ich zu einem Gerät.

Babyface hat folgendes geschrieben:
Dass in diesem Moment ein Gerät Dir zuhört, Deine Sorgen und Freunden teilt, sich damit beschäftigt und Dir antwortet? Dass Du also in Wahrheit nur mit dem Telefon in Beziehung gehst und nicht mit mir?

Nein, das denke ich nicht. Wenn ich über die Situation reflektiere, wird mir bewußt, daß ich die Person Babyface am anderen Ende der Leitung aus Erfahrungswissen konstruiere. Ich nehme sie aber nicht wahr, selbst wenn ich die übertragene Stimme nicht von der direkt wahrgenommenen unterscheiden könnte.

Babyface hat folgendes geschrieben:
Wenn Du das alles verneinst und doch eher der Auffassung bist, dass hier zwei Subjekte kommunizieren und damit in Beziehung zueinander treten, dann frage ich: Wie ist es möglich, dass Du mit mir in Beziehung trittst wenn Du mich gar nicht wahrnehmen könntest?

Ich sehe darin keinen Widerspruch. Kommunikation kann durchaus auf unterschiedliche Arten stattfinden. Beziehungen können unterschiedlicher Natur sein. Ich lese Deinen Text. Er veranlasst mich, mich mit dir zu beschäftigen. Wir kommunizieren miteinander, aber, um auf den strittigen Punkt zu kommen, ich nehme dich nicht wahr.

Nur um nicht falsch verstanden zu werden. Das ist nicht die Alltagsintuition. Und ich bin mir keineswegs sicher, ob mein Verständnis von sinnlicher Wahrnehmung wirklich so stimmt. Und außerdem bin ich mir auch nicht sicher, ob das für die geführte Diskussion irgendwie von Belang ist. Was ich aber trotzdem interessant finde, ist, wie sich die unterschiedlichen Arten von Realitätskonzepten zeigen. Um den großen Eco zu zitieren: Wie man den Kuchen der Wirklichkeit in Stücke schneidet.

#696:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 31.12.2018, 20:36
    —
step hat folgendes geschrieben:
Die Frage, was "wirklich" ist oder wie ein System Information über ein anderes System erhält, primär soziologisch zu betrachten, führt in die Irre, und zwar egal ob auf Individuum oder Gesellschaft bezogen. Ein Wirklichkeitskonzept muß auch anwendbar sein auf eine Situation ohne Personenbeteiligung.

Das stimmt. Diesen Absatz hatte ich gestrichen.

    Re: Intersubjektivität

    Ich gehe davon aus, daß sich vernunftebegabte Subjekte über Fakten einig werden. Schnee ist weiß, manchmal auch gelb. Oder: Im Teleskop sind entfernte Sterne rotverschoben. Leider hilft Intersubjektivität nicht wirklich weiter. Jahrtausende lang waren sich Menschen einig, daß die Sonne um die Erde kreist und schwere Gegenstände schneller fallen, als leichte.


Die Wirklichkeit kommt sehr gut ohne uns zurecht. Sie diskutiert nicht über Wirklichkeitskonzepte, das ist vernunftbegabten Wesen vorbehalten. Mit anderen Worten: ohne Personenbeteiligung keine Diskussion.

Die Menschheit hat es trotz ihrer naiven Weltsicht bis ins Jahr 2018 geschafft. Der "naive Realismus" ist gar nicht das Problem. Das Modell des Ptolemäus zum Beispiel ist alles andere als naiv, sondern ziemlich ausgefuchst. Das Problem ist ein "ignoranter Realismus", der auf Anschauungen beharrt, die vom Himmel gefallen sind oder die bereits widerlegt wurden.

#697:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 31.12.2018, 21:05
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
So platt waren die soziologischen Klassiker der Theorie der "gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit" nicht. Denn dort ging es vor allem um die Begrenzung der Aussagefähigkeit soziologischer Theorien, die man dann doch noch mal etwas anders verstehen muss als die Begrenzung der Aussagefähigkeit naturwissenschaftlicher Theorien.

Das scheint mir ein wichtiger Punkt zu sein. Physik oder Biologie haben jeweils mehrere theoretische Rahmen, die Einzelbeobachtungen sinnvoll verbinden. Thermodynamik, allgemeine Relativität, Quantenmechanik. Gibt es das auch in der klassischen Soziologie?

Der Punkt scheint mir, etwas vereinfacht formuliert, zu sein, dass der Gegenstand der Naturwissenschaft, im Gegensatz zu dem der Soziologie, nicht seinerseits noch mal eine Interpretation von der Welt vornimmt, deren Verständnis zum Verständnis seines Verhaltens erforderlich wäre. Das Verhalten von Menschen in Gemeinschaft lässt sich nur vor dem Hintergrund von deren Gesellschaftsverständnis sowie Selbst- und Weltbild sinnvoll modellieren. Das gilt für das Verhalten von Molekülen natürlich nicht. Die soziale Wirklichkeit wird daher in diesem Sinne tatsächlich von der Gesellschaft und ihren Mitgliedern "konstruiert", das kann man aber eben nicht in gleicher Weise von Molekülen behaupten.

Du hast natürlich recht, daß es zwischen Mensch und Gesellschaft Rückkopplungen gibt, die bei Ansammlungen von Molekülen fehlen. Auf der Ebene von Einzellern stimmt das schon nicht mehr, die senden Botenstoffe aus, um ihr Verhalten zu koordinieren. Die Interpretation passiert hier auf chemischem Weg anhand evolutiv erworbener Kriterien.

Wieviel verstandesmäßige Interpretation nimmt ein Mensch vor? Eher wenig, denke ich. Als Beispiel: Im Allgemeinen übernehmen Menschen die Religion ihrer Eltern oder ihrer Umgebung. Womit wir wieder bei Kahneman sind und seinem "schnellen Denken".


Was bedeutet "konstruiert" denn eigentlich?

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Die soziale Wirklichkeit wird daher in diesem Sinne tatsächlich von der Gesellschaft und ihren Mitgliedern "konstruiert", ...

Welche dieser beiden Möglichkeiten ist konstruiert und welche nicht:

    a) Ich bewerte alle mir verfügbaren Informationen und entscheide mich dann für ein bestimmtes Bekenntnis oder für Atheismus.
    b) Ich übernehme das Bekenntnis oder den Atheismus meiner Umgebung.



Zumsel hat folgendes geschrieben:
Bei dem Begriff der "Wirklichkeit" geht es aber nicht um soziales Verhalten. Wenn eine Gemeinschaft intersubjektiv der Meinung ist, die Fixsterne seien Löcher in der Himmelsscheibe, durch die das göttliche Licht dringt, kann diese Vorstellung natürlich ein interessanter Gegenstand soziologischer Forschung sein - nur hat diese Vorstellung eben keinen Einfluss auf die naturwissenschaftliche "Wirklichkeit" des Himmels.

Richtig, siehe die Antwort an step.



Zumsel hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Es erscheint nur als Phrase, weil sich diese neuen Ansätze in der klassischen Soziologie noch nicht herumgesprochen haben.

Konstruktivismus und Holismus als neuester heißer Scheiß in der Wissenschaft und Erkenntnistheorie, von dem die Klassiker noch keinen Schimmer hatten? In welcher konstruierten Realität denn das? zwinkern

"Konstruktivismus und Holismus" - solche Begriffe liegen mir fern.

Zum Stand der Soziologie kann ich wenig sagen. Mein oberflächlicher Eindruck ist, die Soziologie kümmert sich nicht um Erkenntnisse aus angrenzenden Fachgebieten.

    - Wie hat die Soziologie Kahnemans Thesen aufgenommen - wohlwollend, kritisch, feindlich, gar nicht?
    - Hat sich die Soziologie jemals damit beschäftigt, was die Biologen seit den 1970er über das Soziale sagen?

#698:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 31.12.2018, 22:18
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Babyface hat folgendes geschrieben:
Aber bist Du tatsächlich der Ansicht das Du in Wirklichkeit mit einem Gerät sprichst und nicht vielmehr durch ein Gerät?

Genaugenommen spreche ich zu einem Gerät.

Soweit sind die Geräte noch nicht, daß sie dann in originalem Babyface-Stil antworten. zwinkern


zelig hat folgendes geschrieben:
Babyface hat folgendes geschrieben:
Dass in diesem Moment ein Gerät Dir zuhört, Deine Sorgen und Freunden teilt, sich damit beschäftigt und Dir antwortet? Dass Du also in Wahrheit nur mit dem Telefon in Beziehung gehst und nicht mit mir?

Nein, das denke ich nicht. Wenn ich über die Situation reflektiere, wird mir bewußt, daß ich die Person Babyface am anderen Ende der Leitung aus Erfahrungswissen konstruiere. Ich nehme sie aber nicht wahr, selbst wenn ich die übertragene Stimme nicht von der direkt wahrgenommenen unterscheiden könnte.

Du beachtest gerade nur die Physis beziehungsweise die Akustik.

Hmm. Vorschlag: machen wir alle eine Telefonkonferenz, anonym natürlich. Wie lange würde es dauern, bis wir heraussortiert hätten, wer wer ist?



zelig hat folgendes geschrieben:
Babyface hat folgendes geschrieben:
Wenn Du das alles verneinst und doch eher der Auffassung bist, dass hier zwei Subjekte kommunizieren und damit in Beziehung zueinander treten, dann frage ich: Wie ist es möglich, dass Du mit mir in Beziehung trittst wenn Du mich gar nicht wahrnehmen könntest?

Ich sehe darin keinen Widerspruch. Kommunikation kann durchaus auf unterschiedliche Arten stattfinden. Beziehungen können unterschiedlicher Natur sein. Ich lese Deinen Text. Er veranlasst mich, mich mit dir zu beschäftigen. Wir kommunizieren miteinander, aber, um auf den strittigen Punkt zu kommen, ich nehme dich nicht wahr.

Na meinetwegen, dann nimmst du Babyface halt nicht wahr.

Ändert nicht ein Jota an deiner Reaktion, falls Babyface schreiben würde: "Heute ging ich auf die Straße und wurde von einem Mob zusammengeschlagen."



zelig hat folgendes geschrieben:
Nur um nicht falsch verstanden zu werden. Das ist nicht die Alltagsintuition.

Ich sag's mal so:

    - eine naive Weltsicht legt sich auf Alltagsintuitionen fest und liegt damit manchmal falsch.
    - eine konsequent betriebene hypothetisch-realistische Weltsicht kann sich auf gar nichts festlegen. Damit liegt sie zwar nie falsch, aber auch nie richtig.

#699:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 31.12.2018, 23:52
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Du beachtest gerade nur die Physis beziehungsweise die Akustik.

Ja, das stimmt. Was über die Sinne wahrgenommen werden kann.

#700:  Autor: Babyface BeitragVerfasst am: 01.01.2019, 15:18
    —
step hat folgendes geschrieben:

Oder der taktile Reiz ist schwieriger zu täuschen und daher verläßlicher, da er mit Masse, Ort, Trägheit usw. zu tun hat.

Oder umgekehrt: Vielleicht ist der taktile Reiz schwieriger zu täuschen (genauer: wir ziehen seltener den Schluss, dass wir taktil getäuscht wurden) weil wir stärker geneigt sind taktile Reize/Wahrnehmungsgestalten mit der Realität zu identifizieren?

#701:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 01.01.2019, 15:21
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Wieviel verstandesmäßige Interpretation nimmt ein Mensch vor? Eher wenig, denke ich. Als Beispiel: Im Allgemeinen übernehmen Menschen die Religion ihrer Eltern oder ihrer Umgebung. Womit wir wieder bei Kahneman sind und seinem "schnellen Denken".


"Schnelles Denken"... Hmm, besagt dieser Begriff denn irgendetwas soziologisch Relevantes, was durch soziologische Begriff wie den der "Typisierung" nicht schon erfasst wäre?

smallie hat folgendes geschrieben:
Was bedeutet "konstruiert" denn eigentlich?

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Die soziale Wirklichkeit wird daher in diesem Sinne tatsächlich von der Gesellschaft und ihren Mitgliedern "konstruiert", ...

Welche dieser beiden Möglichkeiten ist konstruiert und welche nicht:

    a) Ich bewerte alle mir verfügbaren Informationen und entscheide mich dann für ein bestimmtes Bekenntnis oder für Atheismus.
    b) Ich übernehme das Bekenntnis oder den Atheismus meiner Umgebung.


Na, ich denke mal, da muss man noch tiefer ansetzen. Die "Konstruktion" beginnt ja schon bei der interpretativen Einordnung des ganz persönlichen Lebenslaufes: Wie bewertet ein Arbeitsloser seine Situation? Wie seine Angehörigen? Wie steht das im Verhältnis zu gesellschaftlichen Typisierungen von Arbeitslosigkeit? Welcher Diskurs liegt diesen Typisierungen zu Grunde? Welche Akteure bestimmen wie diesen Diskurs? Welche Rolle spielen Betroffene dabei? Etc.

Ist jetzt aber mehr aus dem Bauch heraus gesagt, ich bin kein Soziologe und habe nur einige Klassiker quergelesen.

#702:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 02.01.2019, 21:33
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Du beachtest gerade nur die Physis beziehungsweise die Akustik.

Ja, das stimmt. Was über die Sinne wahrgenommen werden kann.

Ganz großartig. Deinetwegen kriege ich jetzt drei Tage lang das Zitat aus dem Kleinen Prinzen nicht mehr aus dem Kopf. zwinkern

    Man sieht nur mit dem Herzen gut.


Im Ernst und soweit es praktische Dinge betrifft gesagt:

Um handlungsfähig zu bleiben, braucht es manchmal einen leap of face, sonst landet man bei sowas wie analysis paralysis. Am Ende des Tages muß man Farbe bekennen. Solange man sich bewußt ist, wo man Lücken gestopft hat, und das im Auge behält, sehe ich dabei kein Problem.

Übrigens reißt die Annahme, es sei nicht Babyface am anderen Ende der Telefonleitung, eine riesige Wahrscheinlichkeitslücke in jede Ursachenkette. Du müßtest beispielsweise Identitätsdiebstahl unterstellen und ein passendes Motiv für den Dieb finden, ausgerechnet dich anzurufen. Das wäre nur gerechtfertigt, wenn der Anrufer aus der Rolle fällt: "Ich bin dein verschollener Stiefbruder. Kannst du mir EUR 500 überweisen?"


EDIT: leap of face, hmmpff, richtig wäre leap of faith


Zuletzt bearbeitet von smallie am 02.01.2019, 23:22, insgesamt einmal bearbeitet

#703:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 02.01.2019, 21:48
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Du beachtest gerade nur die Physis beziehungsweise die Akustik.

Ja, das stimmt. Was über die Sinne wahrgenommen werden kann.

Ganz großartig. Deinetwegen kriege ich jetzt drei Tage lang das Zitat aus dem Kleinen Prinzen nicht mehr aus dem Kopf. ;)

    Man sieht nur mit dem Herzen gut.


Örks : )

smallie hat folgendes geschrieben:

Im Ernst und soweit es praktische Dinge betrifft gesagt:

Um handlungsfähig zu bleiben, braucht es manchmal einen leap of face, sonst landet man bei sowas wie analysis paralysis.


Du kennst echt schlimme Wörter. Die muss ich erstmal googlen.

smallie hat folgendes geschrieben:
Am Ende des Tages muß man Farbe bekennen. Solange man sich bewußt ist, wo man Lücken gestopft hat, und das im Auge behält, sehe ich dabei kein Problem.

Übrigens reißt die Annahme, es sei nicht Babyface am anderen Ende der Telefonleitung, eine riesige Wahrscheinlichkeitslücke in jede Ursachenkette. Du müßtest beispielsweise Identitätsdiebstahl unterstellen und ein passendes Motiv für den Dieb finden, ausgerechnet dich anzurufen. Das wäre nur gerechtfertigt, wenn der Anrufer aus der Rolle fällt: "Ich bin dein verschollener Stiefbruder. Kannst du mir EUR 500 überweisen?"


Das ist nicht meine Auffassung. Ich glaube ja, daß am anderen Ende Babyface spricht. Ich nehme ihn im strengen Sinn nur nicht [direkt] wahr. Ist ja auch gar nicht wichtig im Alltag.

#704:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 02.01.2019, 21:55
    —
Babyface hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:

Oder der taktile Reiz ist schwieriger zu täuschen und daher verläßlicher, da er mit Masse, Ort, Trägheit usw. zu tun hat.

Oder umgekehrt: Vielleicht ist der taktile Reiz schwieriger zu täuschen (genauer: wir ziehen seltener den Schluss, dass wir taktil getäuscht wurden) weil wir stärker geneigt sind taktile Reize/Wahrnehmungsgestalten mit der Realität zu identifizieren?

Die Gummihandillusion - rubber hand illusion - sagt euch was?

Eine Handattrappe ist im Sichtfeld einer Testperson, die echte Hand ist versteckt. Nun wird die echte Hand stimuliert, die Attrappe zum Schein ebenso. Nähert man sich der Attrappe mit einem spitzen Gegenstand als ob gleich zugestochen werde, zieht die Testperson die eigene Hand zurück.

Wird behauptet.

#705:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 02.01.2019, 22:08
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Wieviel verstandesmäßige Interpretation nimmt ein Mensch vor? Eher wenig, denke ich. Als Beispiel: Im Allgemeinen übernehmen Menschen die Religion ihrer Eltern oder ihrer Umgebung. Womit wir wieder bei Kahneman sind und seinem "schnellen Denken".


"Schnelles Denken"... Hmm, besagt dieser Begriff denn irgendetwas soziologisch Relevantes, was durch soziologische Begriff wie den der "Typisierung" nicht schon erfasst wäre?

Jetzt hast du mich verblüfft. Das trifft den Kern der Sache ziemlich gut.


Wikipedia hat folgendes geschrieben:
Deutungsmuster

Soziale Deutungsmuster bilden handlungsanleitende Alltagstheorien, die es den Gesellschaftsmitgliedern erlauben, ihre sozialen Erfahrungen in einen übergreifenden Sinnzusammenhang zu bringen. Sie besitzen eine identitätsstiftende Funktion, die den Einzelnen in der sozialen Gruppe, der er sich zugehörig fühlt, verorten. Sie synthetisieren ferner seine individuelle Biographie mit den gesellschaftlichen Handlungsanforderungen.


Ursachen für Veränderungen von Deutungsmustern

Da im Alltag gerade die typischen und typisch wiederholbaren Aspekte des Handelns von Interesse sind, und die Bewältigung von Routinesituationen ein „Rezeptwissen“ verlangt, reichen in vielen Situationen die vorhandenen Typisierungen aus, um erfolgreiche Deutungen und Handlungen zu vollziehen. ...


Deutungsmuster als Ursache für Resistenz gegenüber Widersprüchen

Auch Inkonsistenzen zwischen den Elementen des Wissensvorrates, zwischen den verschiedenen Deutungsmustern, werden so immer erst in der Konfrontation mit einem Handlungsproblem sichtbar, das sich nicht umstandslos in vorhandene Schemata fügt. In der „natürlichen Einstellung“ (Edmund Husserl) besteht im Allgemeinen sonst keine Motivation, alle Wissenselemente theoretisch in Übereinstimmung zu bringen. Hieraus erklärt sich die Resistenz des Alltagsbewusstseins/-wissens gegenüber neuen Ideen und Theorien, sowie auch auf der anderen Seite krisenhaftes Erleben von Identitätsveränderungen in biografischen Übergängen oder durch das Einwirken großer Mengen an neuen, nicht unter die bisherigen Deutungsmuster subsumierbarer Informationen und Erfahrungen. (siehe auch Betriebsblindheit, Paradigmenwechsel und Blinder Fleck)


https://de.wikipedia.org/wiki/Deutungsmuster


"Rezeptwissen", das ist 1:1 der Homo heuristicus, wie ihn Gigerenzer/Brighton behaupten. Es ist auch die loss aversion - Abneigung gegen Verluste - bei Kahneman/Tversky. Und vieles andere mehr.




Zumsel hat folgendes geschrieben:
Na, ich denke mal, da muss man noch tiefer ansetzen. Die "Konstruktion" beginnt ja schon bei der interpretativen Einordnung des ganz persönlichen Lebenslaufes: Wie bewertet ein Arbeitsloser seine Situation? Wie seine Angehörigen? Wie steht das im Verhältnis zu gesellschaftlichen Typisierungen von Arbeitslosigkeit? Welcher Diskurs liegt diesen Typisierungen zu Grunde? Welche Akteure bestimmen wie diesen Diskurs? Welche Rolle spielen Betroffene dabei? Etc.

So gesehen ist dann alles konstruiert, oder? Das würde dem Begriff seine Unterscheidungskraft nehmen - um sie wieder herzustellen, man müßte aufdröseln, wie etwas konstruiert ist.

    - Auf der biologischen Ebene, in Form von Reflexen und Instinkten. Gummihandillusion.
    - Auf der gesellschaftlichen Ebene, in Form (ungeschriebener) Verhaltensregeln.
    - Auf der persönlichen Ebene, in der das Ich die biologischen und gesellschaftlichen Regeln integrieren muß, annehmend oder ablehnend.


Ups. Jetzt habe ich Freud repliziert. Pfeifen



Zumsel hat folgendes geschrieben:
Ist jetzt aber mehr aus dem Bauch heraus gesagt, ich bin kein Soziologe und habe nur einige Klassiker quergelesen.

Dieser Alfred Schütz scheint ganz interessant zu sein. Harold Garfinkel, der sich auf ihn beruft, ebenso. Danke für den Tipp.

#706:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 02.01.2019, 23:18
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:

Im Ernst und soweit es praktische Dinge betrifft gesagt:

Um handlungsfähig zu bleiben, braucht es manchmal einen leap of face, sonst landet man bei sowas wie analysis paralysis.


Du kennst echt schlimme Wörter. Die muss ich erstmal googlen.

Und schreibe eins auch noch falsch. *seufz* Muß natürlich leap of faith heißen. Ein Fall von Homonym-Interferenz.

Ich befürchte, beim Verein zum Schutz der deutschen Sprache brauche ich mich heuer nicht mehr zu bewerben ...



zelig hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Am Ende des Tages muß man Farbe bekennen. Solange man sich bewußt ist, wo man Lücken gestopft hat, und das im Auge behält, sehe ich dabei kein Problem.

Übrigens reißt die Annahme, es sei nicht Babyface am anderen Ende der Telefonleitung, eine riesige Wahrscheinlichkeitslücke in jede Ursachenkette. Du müßtest beispielsweise Identitätsdiebstahl unterstellen und ein passendes Motiv für den Dieb finden, ausgerechnet dich anzurufen. Das wäre nur gerechtfertigt, wenn der Anrufer aus der Rolle fällt: "Ich bin dein verschollener Stiefbruder. Kannst du mir EUR 500 überweisen?"


Das ist nicht meine Auffassung. Ich glaube ja, daß am anderen Ende Babyface spricht. Ich nehme ihn im strengen Sinn nur nicht [direkt] wahr.

Noch mehr schlimme Wörter: das Signal in der Telefonleitung ist ein proximate cause, Babyface ist der ultimate cause.



zelig hat folgendes geschrieben:
Ist ja auch gar nicht wichtig im Alltag.

Fast.

Die Frage nach den physikalischen Grundlagen der Welt ist im Alltag nicht so bedeutend. Die Frage nach den gesellschaftlichen Typisierungen allerdings sehr.

#707:  Autor: CriticWohnort: Arena of Air BeitragVerfasst am: 03.01.2019, 02:39
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Babyface hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:

Oder der taktile Reiz ist schwieriger zu täuschen und daher verläßlicher, da er mit Masse, Ort, Trägheit usw. zu tun hat.

Oder umgekehrt: Vielleicht ist der taktile Reiz schwieriger zu täuschen (genauer: wir ziehen seltener den Schluss, dass wir taktil getäuscht wurden) weil wir stärker geneigt sind taktile Reize/Wahrnehmungsgestalten mit der Realität zu identifizieren?

Die Gummihandillusion - rubber hand illusion - sagt euch was?

Eine Handattrappe ist im Sichtfeld einer Testperson, die echte Hand ist versteckt. Nun wird die echte Hand stimuliert, die Attrappe zum Schein ebenso. Nähert man sich der Attrappe mit einem spitzen Gegenstand als ob gleich zugestochen werde, zieht die Testperson die eigene Hand zurück.

Wird behauptet.
Ist es vielleicht generell so, daß unser Gehirn erst einmal rein instinktiv Eindrücke so verarbeitet, als würden sie uns persönlich passieren, auch wenn es sich eigentlich um "by-proxy"-Erfahrungen handelt, die uns also nicht gefährlich werden können? (Beispiel: Ich sehe im Fernsehen einen Beitrag über Fassadenkletterer, die auf 500 Meter hohe Wolkenkratzer klettern und oben auf der Spitze Selfies von sich knipsen - und mich befällt in dem Moment eine leichte Höhenangst, obwohl ich mich nicht selbst in Gefahr befinde.) Das schon qua unserer biologischen Evolution, denn die Phase der kulturellen Evolution, in der wir "virtuelle Bilder" haben, ist ja im Vergleich recht kurz.

(Es wird dann natürlich von einigen Zitierkreisen als "Abstumpfung" kritisiert, aber das Gehirn kann vielleicht ja auch erlernen, etwas besser damit umzugehen und zu realisieren, daß durch die Eindrücke keine Gefahr droht Am Kopf kratzen?!)


Zuletzt bearbeitet von Critic am 04.01.2019, 21:00, insgesamt einmal bearbeitet

#708:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 03.01.2019, 11:27
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Na, ich denke mal, da muss man noch tiefer ansetzen. Die "Konstruktion" beginnt ja schon bei der interpretativen Einordnung des ganz persönlichen Lebenslaufes: Wie bewertet ein Arbeitsloser seine Situation? Wie seine Angehörigen? Wie steht das im Verhältnis zu gesellschaftlichen Typisierungen von Arbeitslosigkeit? Welcher Diskurs liegt diesen Typisierungen zu Grunde? Welche Akteure bestimmen wie diesen Diskurs? Welche Rolle spielen Betroffene dabei? Etc.

So gesehen ist dann alles konstruiert, oder? Das würde dem Begriff seine Unterscheidungskraft nehmen - um sie wieder herzustellen, man müßte aufdröseln, wie etwas konstruiert ist.

    - Auf der biologischen Ebene, in Form von Reflexen und Instinkten. Gummihandillusion.
    - Auf der gesellschaftlichen Ebene, in Form (ungeschriebener) Verhaltensregeln.
    - Auf der persönlichen Ebene, in der das Ich die biologischen und gesellschaftlichen Regeln integrieren muß, annehmend oder ablehnend.


Ja, die Methodenfrage ist durchaus knifflig. Diese ganzen Grundsatzüberlegungen sind ja eigentlich mehr Sozialphilosophie als Soziologie: Zum Verständnis von Grundaspekten des menschlichen Miteinander zwar interessant, aber wenig ergiebig, wenn es um die empirische Überprüfung konkreter Phänomene geht. Da stellt sich dann nämlich in der Tat die Frage des "aufdröselns". Linguistische Diskursanalysen sind da ja noch relativ simpel: man vergleicht Arten und Änderungen im Sprachgebrauch zu einem bestimmten Themaund innerhalb eines bestimmten Zeitraumes oder um bestimmte, als einschneidend angenommenen Ereignisse herum. Wobei auch hier schon die Frage des Samplings Probleme aufwerfen dürfte. Was wird eigentlich alles als diskursrelevant untersucht? Zeitungsartikel? Wahlprogramme? Filme und Serien?

Richtig schwierig wird es aber v.a. auf der individuellen Ebene: Natürlich kann man bspw. Arbeitslose über ihre Situation befragen, doch hat man da am Ende ja zunächst mal nicht mehr als eine Anekdote. Wie standardisiert man hier Daten um sie mit anderen Interviews vergleichbar zu machen? Wer soll derartige Datenmengen überhaupt auswerten können? Kann man hier noch von Repräsentativität sprechen oder muss Objektivität auf andere Weise hergestellt werden. Die "Härte" rein quantitativer Ergebnisse wird man kaum erreichen können. Umgekehrt werden rein quantitaive Herangehensweisen aber eben den Phänomenen in ihrer Komplexität oft nicht gerecht.

#709:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 03.01.2019, 14:11
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
das Signal in der Telefonleitung ist ein proximate cause, Babyface ist der ultimate cause.

"ultimate causes" gibt es eigentlich nicht - es ist eine alltagsvereinfachende Konvention, handelnden Personen diese Eigenschaft zuzusprechen.

zelig hat folgendes geschrieben:
Ist ja auch gar nicht wichtig im Alltag.

Ja, im Alltag können wir meistens naive Realisten sein, ohne einen relevanten Fehler zu machen. Aber es ist keineswegs so, daß solche Fragen nur in der Quantenphysik wichtig werden. Hier ein paar Beispiele aus dem "Alltagsleben", wo die Frage nach Realitätskriterien mglw. relevant ist:
- was genau ist eine Person, Identität
- "Autonomie bzw. "Freier Wille"
- Selbstbewußtsein bzw- Ego-Illusion

#710:  Autor: uwebus BeitragVerfasst am: 04.01.2019, 20:14
    —
step hat folgendes geschrieben:

- was genau ist eine Person, Identität
- "Autonomie bzw. "Freier Wille"
- Selbstbewußtsein bzw- Ego-Illusion


Ich versuchs mal:

1) Eine Person/Identität ist eine Entität, die sich als von ihrem Umfeld getrennte Einheit wahrnimmt und in der Lage ist, mit dieser Umwelt in Kontakt zu treten und zu kommunizieren. Person= Ich. Auch Tiere sind Personen, denn sie zeichnen sich durch einen Überlebenswillen aus (und manche Schwäne durch ihre Freßsucht, wenn sie mir beim Frühstücken an der Mosel mit dem Schnabel kräftig an die Beine hacken und mit essen wollen).

2a) Autonomie ist die Fähigkeit für sich selbst sorgen zu können, aber immer unter Verwendung von Zubringerleistungen. Erst Autarkie benötigt keine Zubringerleistungen.

2b) Freier Wille ist inexistent. Jede gewollte Handlung ist zielgerichtet zum eigenen Vorteil. Sowohl Gutmenschen wie Mutter Theresa als auch Suizid-Kandidaten suchen den persönlichen Vorteil, die letzteren im Diesseits, erstere im "más allá".

3) Selbstbewußtsein ist die Fähigkeit der Daseinsform Leben, sich als "Ich" wahrnehmen zu können, im Falle des Zweibeiners also als "Person". Ohne (Schmerz)empfindung (körperlich oder geistig) gäbe es aus meiner Sicht kein Selbstbewußtsein, denn das "Ich" braucht ja einen Auslöser, um sich vom Nicht-Ich/Ungleichgewicht unterscheiden zu können. Ohne Rezeptoren kein Selbstbewußtsein.

Ein PC kann erst Selbsbewußtsein entwickeln, wenn es ihm entweder weh tut oder ihn kitzelt, wenn ich auf die Tasten haue. Er hat Rezeptoren, aber noch kein Empfinden. Deshalb kann er nur reagieren, aber nicht agieren. Könnte er letzteres, hätte er sich schon manchesmal abgeschaltet. Einfach so, um mich zu ärgern. Das schafft bisher nur Herr B. Gates mit seinem Windows 10.

#711:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 04.01.2019, 20:25
    —
uwebus hat folgendes geschrieben:
Ein PC kann ... nur reagieren, aber nicht agieren.

Was ist denn "agieren"? geplant handeln?

#712:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 05.01.2019, 11:31
    —
step hat folgendes geschrieben:

- was genau ist eine Person, Identität
- "Autonomie bzw. "Freier Wille"
- Selbstbewußtsein bzw- Ego-Illusion


Diese drei Punkte dürften wohl sehr eng miteinander zusammenhängen: Sich seiner selbst bewusst zu sein setzt voraus, sich selbst von der Umwelt abtrennen zu können, etwas zu haben, das von allen anderen Dingen verschieden ist. Und dieses andere ist eben die Autonomie des Willens. Während alle äußeren Dinge durch Ursachen bestimmt werden, wird das eigene Handeln durch den Willen bestimmt; Handeln heißt nichts anderes, als sich selbst und seinen Willen als Ursache zu setzen. Seinen Willen als Ursache zu setzen kann aber nicht als dasselbe empfunden werden die Beabachtung der Ursachen äußerer Phänomene, denn wenn der Wille nur als eine Ursache unter anderen empfunden werden würde, wäre ich ja weiterhin nur ein determinierter Teil der übrigen Welt und hätte dieser gegenüber kein identitätsstiftendes Abgrenzungskriterium.

#713:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 05.01.2019, 16:06
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Sich seiner selbst ... Autonomie des Willens ... sich selbst und seinen Willen als Ursache zu setzen ... empfunden ...

Dieser Abschnitt wimmelt von Begriffen, deren Realitätsstatus völlig unklar ist. Eben darum ging es mir ja. Aber wo wir schon mal dabei sind:

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Während alle äußeren Dinge durch Ursachen bestimmt werden, wird das eigene Handeln durch den Willen bestimmt;

Ist es nicht eher so, daß das Handeln durch ein komplexes Geflecht aus äußeren und inneren Ursachen bestimmt ist (wobei nicht mal ganz klar ist, was außen und innen ist) und dabei zuweilen auch Präferenzen oder sogar Planungen auftreten?

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Handeln heißt nichts anderes, als sich selbst und seinen Willen als Ursache zu setzen. Seinen Willen als Ursache zu setzen kann aber nicht als dasselbe empfunden werden die Beabachtung der Ursachen äußerer Phänomene, denn wenn der Wille nur als eine Ursache unter anderen empfunden werden würde, wäre ich ja weiterhin nur ein determinierter Teil der übrigen Welt und hätte dieser gegenüber kein identitätsstiftendes Abgrenzungskriterium.

Hmm ... sich selbst "als Ursache zu setzen" ist demnach aber gerade eine Setzung, eine Illusion einer Letztverursachung (oder wenigstens einer Autonomie), mit einem, vorsichtig ausgedrückt, unklaren Realitätsstatus.

#714:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 05.01.2019, 16:33
    —
Ist eigentlich "Realität" identisch mit "Alles was Existiert"? Wird auf dieser Grundlage diskutiert?

#715:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 05.01.2019, 17:05
    —
step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Sich seiner selbst ... Autonomie des Willens ... sich selbst und seinen Willen als Ursache zu setzen ... empfunden ...

Dieser Abschnitt wimmelt von Begriffen, deren Realitätsstatus völlig unklar ist.


Ja sicher, ich wollte nur sagen, dass hinter alldem vermutlich dasselbe Phänomen steckt, weil es gar nicht voneinander zu trennen ist, also: Freier Wille, Selbstkonzept, Identität.

step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Während alle äußeren Dinge durch Ursachen bestimmt werden, wird das eigene Handeln durch den Willen bestimmt;

Ist es nicht eher so, daß das Handeln durch ein komplexes Geflecht aus äußeren und inneren Ursachen bestimmt ist (wobei nicht mal ganz klar ist, was außen und innen ist) und dabei zuweilen auch Präferenzen oder sogar Planungen auftreten?


Aber was unterscheidet denn "Handeln" von irgendeinem beliebigen anderen Vorgang in der Welt? Mit Begriffen wie "innen" und "außen" allein kommt man da doch nicht weiter, auch für das Verhalten eines Steines, der den Berg runterrollt, gibt es "innere" und "äußere" Ursachen. Trotzdem würde ja niemand sagen, dass ein Stein "handelt". Und auch beim Menschen ist nicht jede Äußerung einer innere Determination ein "Handeln". Äußere kommen dafür aber von vorneherein nicht in Betracht. Marionetten "handeln", zumindest nach meinem Sprachgefühl, so wenig wie Steine.

step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Handeln heißt nichts anderes, als sich selbst und seinen Willen als Ursache zu setzen. Seinen Willen als Ursache zu setzen kann aber nicht als dasselbe empfunden werden die Beabachtung der Ursachen äußerer Phänomene, denn wenn der Wille nur als eine Ursache unter anderen empfunden werden würde, wäre ich ja weiterhin nur ein determinierter Teil der übrigen Welt und hätte dieser gegenüber kein identitätsstiftendes Abgrenzungskriterium.

Hmm ... sich selbst "als Ursache zu setzen" ist demnach aber gerade eine Setzung, eine Illusion einer Letztverursachung (oder wenigstens einer Autonomie), mit einem, vorsichtig ausgedrückt, unklaren Realitätsstatus.


Na, "Illusion" ist ja schon eine recht klare Statuszuschreibung.

#716:  Autor: Zumsel BeitragVerfasst am: 05.01.2019, 17:06
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Ist eigentlich "Realität" identisch mit "Alles was Existiert"? Wird auf dieser Grundlage diskutiert?


Na ja, was real ist, existiert, klar. Auch eine Illusion "existiert" natürlich in gewisser Weise, aber halt, und das dürfte der Punkt sein, in anderer Weise, als es für den Imaginierende den Eindruck macht.

#717:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 05.01.2019, 17:28
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Ist eigentlich "Realität" identisch mit "Alles was Existiert"? Wird auf dieser Grundlage diskutiert?


Na ja, was real ist, existiert, klar.


Ich finde selbst das erklärungsbedürftig. zB habe ich Sympathien für die Idee, daß die grundlegende Ebene der Realität Relationen sind.


Zumsel hat folgendes geschrieben:
Auch eine Illusion "existiert" natürlich in gewisser Weise, aber halt, und das dürfte der Punkt sein, in anderer Weise, als es für den Imaginierende den Eindruck macht.


Genau. Und da sympathisiere ich mit Rorty (bin mir aber nicht sicher, ob ich das bei ihm aufgeschnappt habe), daß prinzipiell alles mit "existiert" geflagged werden könnte (sollte?). Es müssten nur ausreichend genaue Beschreibungen erstellt werden, von dem Ding, das gemeint sei. (Lila Einhorn: Nicht physisch; Existiert als Vorstellung; Existenz wird bei jungen Menschen als gegeben betrachtet; etc; etc)

#718:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 05.01.2019, 17:58
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Ist eigentlich "Realität" identisch mit "Alles was Existiert"? Wird auf dieser Grundlage diskutiert?

Ich würde sagen, ja. Also nach welchem Kriterium kann man unterscheiden, ob etwas existiert oder nicht. Und zwar speziell in Fällen, in denen der naive Realismus als pragmatische Vereinfachung nicht weiterhilft.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Auch eine Illusion "existiert" natürlich in gewisser Weise, aber halt, und das dürfte der Punkt sein, in anderer Weise, als es für den Imaginierende den Eindruck macht.

Aber was genau existiert da und warum? Am Beispiel einer Luftspiegelung ("Fata Morgana"): Auch diese Kombination aus der wikipedia scheint mir sehr fragwürdig, wenn man mal drüber nachdenkt:

wikipedia hat folgendes geschrieben:
Eine Fata Morgana oder Luftspiegelung ist ein durch Ablenkung des Lichtes an unterschiedlich warmen Luftschichten ... optischer Effekt. Es handelt sich hierbei um ein physikalisches Phänomen und nicht um eine visuelle Wahrnehmungstäuschung ...
wikipedia hat folgendes geschrieben:
Eine Wahrnehmungs- oder Sinnestäuschung liegt vor, wenn die subjektive Wahrnehmung ... von einer physikalisch erklärbaren und reproduzierbaren Messung abweicht. Ein Beispiel ist die Mondtäuschung, die den Mond nahe dem Horizont größer erscheinen lässt als im Zenit.

1. Ich nehme Mondlicht wahr - mein Gehirn berechnet unbewußt eine falsche Größe.
2. Ich nehme eine Spiegelung wahr - mein Gehirn berechnet unbewußt eine falsche Position.

Was die wohl meinen: bei der Mondillusion kommt das Licht "unverfälscht" an, während es bei der Spiegelung schon aus der "falschen" Richtung ankommt. Aber ich kann auch bei der Spiegelung eine reproduzierbare (Orts-)messung machen, von der die subjektive Wahrnehmung abweicht.

Und ist jetzt deshalb der "zu große Mond" nicht real, während die "Oase an der falschen Stelle" real ist? Sehr merkwürdig. Oder sind in beiden Fällen nur die meßbar ankommenden Photonen real?

Das ist nur ein Beispiel - letztlich läuft es aber darauf hinaus, daß wir uns schwertun, belastbare Kriterien für "reale Objekte" anzugeben.

#719:  Autor: Babyface BeitragVerfasst am: 05.01.2019, 20:58
    —
Die Täuschung liegt grundsätzlich nicht in der Wahrnehmung, sondern in den Schlussfolgerungen. Wahrnehmungsgestalten verändert sich fortwährend. Entferne ich mich von einem Gegenstand, wird seine Gesatlt kleiner, komme ich näher wird sie größer. Wenn die Wahrnehmungsgestalt des Mondes am Horizont größer wird, sind zwei falsche Schlussfolgerungen möglich, oder anders ausgedrückt - Vorhersagen, die sich empirisch, d.h. wahrnehmend nicht bestätigen lassen: Entweder, dass der Mond gewachsen ist oder dass er näher gekommen ist. Ziehen wir auf Basis einer guten Theorie keine dieser Schlussfolgerungen, unterliegen wir bei der Betrachtung des Mondes am Horizont auch keiner Täuschung. Heisst das nun, dass derjenige mit einer guten Theorie den realen Mond sieht und der mit einer schlechten Theorie nicht? Nun, beide sehen genau dasselbe, oder?

#720:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 05.01.2019, 21:04
    —
Babyface hat folgendes geschrieben:
... Heisst das nun, dass derjenige mit einer guten Theorie den realen Mond sieht und der mit einer schlechten Theorie nicht? Nun, beide sehen genau dasselbe, oder?

Kommt drauf an, was genau man unter "sehen" versteht zwinkern

Aber sonst weitgehende Zustimmung.

#721:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 06.01.2019, 07:19
    —
Babyface hat folgendes geschrieben:
Die Täuschung liegt grundsätzlich nicht in der Wahrnehmung, sondern in den Schlussfolgerungen. Wahrnehmungsgestalten verändert sich fortwährend. Entferne ich mich von einem Gegenstand, wird seine Gesatlt kleiner, komme ich näher wird sie größer.


Die objektive Gestalt des Wahrnehmungsgegenstandes verändert sich dadurch nicht, sondern nur dessen subjektive Erscheinungsgestalt. Dein Auto oder Fahrrad schrumpft nicht, wenn du dich davon entfernst; es sieht nur kleiner aus.

#722:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 06.01.2019, 07:23
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Die Wirklichkeit kommt sehr gut ohne uns zurecht.


Die gesellschaftliche Wirklichkeit jedenfalls nicht – die außergesellschaftliche natürliche Wirklichkeit allerdings schon.

#723:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 06.01.2019, 07:38
    —
step hat folgendes geschrieben:
Kommt drauf an, was genau man unter "sehen" versteht zwinkern


Bewusstes, erlebtes Sehen ist das Haben von Gesichtseindrücken/-erscheinungen von etwas Wirklichem, eines wirklichen Dinges oder Ereignisses.

* Im Fall einer visuellen Illusion erscheint der Sehgegenstand zwar nicht so, wie er wirklich ist, aber er ist wirklich vorhanden.

* Im Fall einer visuellen Halluzination ist überhaupt kein wirklicher Sehgegenstand vorhanden, sodass die vermeintliche Gesichtserscheinung nur ein falscher Schein ist.
(Als falscher Schein ist sie jedoch immer noch eine wirkliche Empfindung. Wer halluziniert, hat eine bestimmte Empfindung, z.B. einen bestimmten Gesichts- oder Gehöreindruck; er/sie nimmt nur nichts durch die Empfindung wahr, weil sie eine Erscheinung von nichts ist, also eine "Scheinerscheinung" und damit eine Nichterscheinung.)

Illusion ist Falschwahrnehmung, wohingegen Halluzination Scheinwahrnehmung ist.

#724:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 06.01.2019, 08:02
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Wahrnehmung setzt eine sinnliche Verarbeitung voraus.


Ja, sinnliche Wahrnehmung zumindest, die ohne Empfindungen nicht stattfinden kann. Es könnte aber auch nichtsinnliche Arten von Wahrnehmung geben. Ein sehr plausibler Kandidat ist die Introspektion als innere Wahrnehmung von Geistes- oder Bewusstseinsinhalten; und ein weiterer, aber weniger plausibler ist die rationale, apriorische Intuition als rein intellektuelle Wahrnehmung nichtpsychischer Tatsachen. Am wenigsten plausibel sind angebliche außer-/übersinnliche Wahrnehmungen im Bereich der Parapsychologie oder Mystik.

zelig hat folgendes geschrieben:
Daher kann ein zukünftiger Zustand nicht wahrgenommen werden.


Die Zunft der Hellseher wird dir widersprechen. zwinkern

zelig hat folgendes geschrieben:
d. Die Schilderung eines Baums kann einen realistischen Eindruck vermitteln, aber man nimmt ihn trotzdem nicht wahr. Zeige ich ein Foto von einem Baum, dann wird letztlich das Foto wahrgenommen, nicht der Baum. Das Foto kann trotzdem einen qualitativ hochwertigen Eindruck vermitteln. Genau wie die Beschreibung des Baums auch. Aber es sind vermittelte Eindrücke, keine wahrgenommenen.


Das Lesen einer Baumbeschreibung oder das Sehen eines Baumbildes ist natürlich nicht dasselbe wie das Wahrnehmen (Sehen) eines Baumes. Wenn ich aber einen Baum sehe, dann sehe ich weder eine Beschreibung noch ein Bild davon, sondern den Baum selbst.

#725:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 06.01.2019, 08:19
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Unsere Wahnehmung dient unserem Überleben, nicht der Erkenntnis.


Die (sinnliche) Wahrnehmung, insbesondere in Gestalt wissenschaftlicher Beobachtung, ist unsere wichtigste Erkenntnisquelle; und dank ihrer besitzen wir einen reichen Schatz an Wissen.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Es ist also nicht die philosophische Frage, wie das Verhältnis zwischen den Bildern „drinnen“ in einem einzelnen Menschen und der Welt „da draußen“ ist…


Wenn ich mir einen Baum vorstelle, dann erfahre ich ein geistiges Baumbild, was aber nicht der Fall ist, wenn ich einen Baum wahrnehme; denn das Sehen eines Baumes ist kein Sehen eines Bildes davon.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Das Subjekt des Wissens, oder wenn man so will: der Erkenntnis, ist nicht ein einzelner Mensch, schon gar nicht „der Mensch“, sondern die Gesellschaft von Menschen. Niemand sieht diese Welt, „wie sie ist“, aber Gesellschaften von Menschen, und damit auch die einzelnen Menschen können ein mehr oder weniger realistisches Modell von dieser Welt haben, wobei sich dieser Realismus zwangsläufig nur auf die Punkte beziehen kann, von denen wir eine nachprüfbare Vorstellung haben können.


Wen's interessiert: Es gibt eine sogenannte Sozialepistemologie.
Ein guter englischsprachiger Text dazu: https://plato.stanford.edu/entries/epistemology-social/

#726:  Autor: Babyface BeitragVerfasst am: 06.01.2019, 09:24
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Babyface hat folgendes geschrieben:
Die Täuschung liegt grundsätzlich nicht in der Wahrnehmung, sondern in den Schlussfolgerungen. Wahrnehmungsgestalten verändert sich fortwährend. Entferne ich mich von einem Gegenstand, wird seine Gesatlt kleiner, komme ich näher wird sie größer.


Die objektive Gestalt des Wahrnehmungsgegenstandes verändert sich dadurch nicht, sondern nur dessen subjektive Erscheinungsgestalt. Dein Auto oder Fahrrad schrumpft nicht, wenn du dich davon entfernst; es sieht nur kleiner aus.

Ich sprach zwar von Wahrnehmungsgestalten ("subjektive Erscheinungsgestalt"). Aber wenn wir schonmal dabei sind: Bist Du wirklich sicher, dass der Gegenstand nicht kleiner oder größer wird, wenn Du Dich bewegst? Ich bin mir nicht sicher ob nicht eine gute Welt-Theorie möglich ist, nach welcher sich die Größe des Gegenstands tatsächlich ändert und die Fortbewegung eine Illusion ist.

#727:  Autor: schtonk BeitragVerfasst am: 06.01.2019, 10:26
    —
Babyface hat folgendes geschrieben:
[...]
...Ich bin mir nicht sicher ob nicht eine gute Welt-Theorie möglich ist, nach welcher sich die Größe des Gegenstands tatsächlich ändert und die Fortbewegung eine Illusion ist.

Das widerspräche den gängigen naturwiss. Erkenntnissen.
Kannst du nachvollziehbare Anhaltspunkte für deine Spekulation anbieten?

#728:  Autor: uwebus BeitragVerfasst am: 06.01.2019, 16:04
    —
step hat folgendes geschrieben:
uwebus hat folgendes geschrieben:
Ein PC kann ... nur reagieren, aber nicht agieren.

Was ist denn "agieren"? geplant handeln?


Na ja, ich sehe das so: Jede Handlung ist der Versuch, ein Ungleichgewicht auszugleichen. 100%tige Zufriedenheit äußert sich im Nichtstun.

Ein lebender Organismus unterliegt aufgrund ständigen Energieverbrauchs einer ständigen Veränderung, die sich ganz profan betrachtet z.B. als Hunger oder Entleerungsbedürfnis manifestiert. Diese Veränderung sucht der Organismus auszugleichen, entweder durch Nahrungsaufnahme oder durch Ballastabwurf.

In diesem Falle nenne ich das Handeln agieren, weil es aus dem Organismus selbst entsteht.

Reagieren wäre z.B., wenn ich etwas heißes berühre und der Organismus einen Rückzieher macht.

Nun hat ja der Mensch eine Menge an inneren und äußeren Sensoren, die sowohl körperliches als auch geistiges Ungleichgewicht erzeugen/melden. Die inneren Sensoren dienen der Selbsterhaltung, die äußeren der Kontaktaufnahme zum Nicht-Ich.

Und jetzt ist das Ganze ja ein recht komplexes System, so daß eine optische Stimulation eine biologische Reaktion auslösen kann, wie jeder Leser eine Sexblättchens an sich selbst feststellen kann.

Aber letztendlich ist JEDE Handlung der Versuch, aus einem Ungleichgewicht wieder ein Gleichgewicht herzustellen. Das universale Grundprinzip actio = reactio ist immer wirksam. Nur hat ein PC im Gegensatz zum lebenden Organismus z.B. keinen Energiemangelmelder + Werkzeug, die ihn befähigen, sich eine Steckdose zu suchen so wie wir einen Kühlschrank.


Zuletzt bearbeitet von uwebus am 06.01.2019, 16:30, insgesamt 2-mal bearbeitet

#729:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 06.01.2019, 16:29
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Das Lesen einer Baumbeschreibung oder das Sehen eines Baumbildes ist natürlich nicht dasselbe wie das Wahrnehmen (Sehen) eines Baumes.

Da sind sich wohl alle einig.

Myron hat folgendes geschrieben:
Wenn ich aber einen Baum sehe, dann sehe ich weder eine Beschreibung noch ein Bild davon, sondern den Baum selbst.

Aber die Frage ist doch, woran genau Du festmachst, daß Du etwas "selbst" siehst.

Myron hat folgendes geschrieben:
Im Fall einer visuellen Illusion erscheint der Sehgegenstand zwar nicht so, wie er wirklich ist, aber er ist wirklich vorhanden.

Wenn ich einen Baum sehe, erscheint der mir doch auch nicht so, wie er wirklich ist. Zum Beispiel sehe ich nur die Vorderseite, nur die Oberfläche, keine Details usw. - oder definierst Du "wirklich" wiederum zirkelartig über das Erscheinen?

#730:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 06.01.2019, 16:37
    —
uwebus hat folgendes geschrieben:
In diesem Falle nenne ich das Handeln agieren, weil es aus dem Organismus selbst entsteht. Reagieren wäre z.B., wenn ich etwas heißes berühre und der Organismus einen Rückzieher macht.

Demnach würde das eigentlich Biologische am Organismus aber gar keine Rolle für die Handlungsfähigkeit spielen. Auch ein Roboter könnte ja innere Zustände besitzen, die ihn handeln lassen, es würde auch "aus ihm selbst" entstehen.

uwebus hat folgendes geschrieben:
Nur hat ein PC im Gegensatz zum lebenden Organismus z.B. keinen Energiemangelmelder + Werkzeug, die ihn befähigen, sich eine Steckdose zu suchen so wir einen Kühlschrank.

Also Energiemangelmelder haben Roboter ja, und es gibt definitiv auch Mowbots usw., die sich bei Akkuniedrigstand einen Weg zur Steckdose suchen.

#731:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 06.01.2019, 16:51
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Myron hat folgendes geschrieben:

Wen's interessiert: Es gibt eine sogenannte Sozialepistemologie.
Ein guter englischsprachiger Text dazu: https://plato.stanford.edu/entries/epistemology-social/

Keine besonders neue Erkenntnis. Der Soziologe Norbert Elias schrieb 1986:
„Das Problem der »Wahrheit«, der Sachgerechtheit von Erkenntnissen, der Wirklichkeitskongruenz
von Symbolen ist stets das gleiche, ob es sich um das Wissen einfacher Stämme von den Heil- und Giftpflanzen, von den Fährten der Hasen und Hirsche handelt oder um das Wissen der Wissenschaftler von der Struktur der Galaxien, von den kleinsten Teilchen der Atome. Descartes, Kant und ihre Nachfolger haben das Problem des menschlichen Wissens auf eine falsche Bahn gelenkt. Sie haben, mit anderen Worten, eine Fehltheorie aufgestellt. Man muss sie erst als solche erkennen, ehe man sie als Entwicklungsschritt wieder zu schätzen vermag. Es geht nicht darum, ob das Wissen im Inneren eines einzelnen Subjekts Objekten in der Außenwelt entspricht, sondern darum, ob soziale Symbole, die der einzelne in seiner Gesellschaft erlernt, Symbole wie »Mutter«, »Pflanze«, »Natur« oder »Ursache«, wirklichkeitsgerecht sind und so den Menschen der Gesellschaft, die diese Symbole gebraucht, eine sichere Orientierung in ihrer Welt ermöglichen.“
(N. Elias 1986, Über die Natur)
http://www.feliz.de/html/elias_natur.htm

#732:  Autor: uwebus BeitragVerfasst am: 06.01.2019, 16:54
    —
step hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Das Lesen einer Baumbeschreibung oder das Sehen eines Baumbildes ist natürlich nicht dasselbe wie das Wahrnehmen (Sehen) eines Baumes.

Da sind sich wohl alle einig.

Myron hat folgendes geschrieben:
Wenn ich aber einen Baum sehe, dann sehe ich weder eine Beschreibung noch ein Bild davon, sondern den Baum selbst.

Aber die Frage ist doch, woran genau Du festmachst, daß Du etwas "selbst" siehst.

Myron hat folgendes geschrieben:
Im Fall einer visuellen Illusion erscheint der Sehgegenstand zwar nicht so, wie er wirklich ist, aber er ist wirklich vorhanden.

Wenn ich einen Baum sehe, erscheint der mir doch auch nicht so, wie er wirklich ist. Zum Beispiel sehe ich nur die Vorderseite, nur die Oberfläche, keine Details usw. - oder definierst Du "wirklich" wiederum zirkelartig über das Erscheinen?



Also nur kurz hierzu:

Der Mensch kann nur in Begriffen denken, Begriffe sind immer das Integral über eine Menge, deren Hauptmerkmale unter einem Begriff, hier z.B. Baum, zusammengefaßt werden.

Auch Sehen beruht letztendlich auf einem Abstraktionsverfahren, der optische Eindruck wird verglichen mit vorhandenen abgespeicherten Abstrakta, erst das ermöglicht eine Zuordnung. Gibt es noch kein gespeichertes Abstraktum, kann das Gesehene nicht zugeordnet werden.

Ohne Begriffe kein Erkennen. Und Begriffe muß man lernen, ohne Speicher unmöglich. Ich nehme mal an, daß ohne ein zentrales Nervensystem Erkennen nicht möglich ist. Ein Regenwurm erkennt nicht, er frißt sich durch die Erde und lebt von dem, was da zufällig drin enthalten ist. Ist es nur Sand, verendet er. Gleiches gilt für Pflanzen, die haben zwar schon Sensoren in den Wurzeln, sind aber ortsfest, so daß ihr Suchradius auf eine kurze Distanz begrenzt ist. Vermutlich haben sich deshalb Sporen ausgebildet, die vom Wind weggetragen werden, so daß die Spezies erhalten bleiben kann.

#733:  Autor: uwebus BeitragVerfasst am: 06.01.2019, 17:04
    —
step hat folgendes geschrieben:
uwebus hat folgendes geschrieben:
In diesem Falle nenne ich das Handeln agieren, weil es aus dem Organismus selbst entsteht. Reagieren wäre z.B., wenn ich etwas heißes berühre und der Organismus einen Rückzieher macht.

Demnach würde das eigentlich Biologische am Organismus aber gar keine Rolle für die Handlungsfähigkeit spielen. Auch ein Roboter könnte ja innere Zustände besitzen, die ihn handeln lassen, es würde auch "aus ihm selbst" entstehen.

uwebus hat folgendes geschrieben:
Nur hat ein PC im Gegensatz zum lebenden Organismus z.B. keinen Energiemangelmelder + Werkzeug, die ihn befähigen, sich eine Steckdose zu suchen so wir einen Kühlschrank.

Also Energiemangelmelder haben Roboter ja, und es gibt definitiv auch Mowbots usw., die sich bei Akkuniedrigstand einen Weg zur Steckdose suchen.



Ich bin sicher, daß es bei zukünftigen Maschinen auch zu Eigenverantwortung kommen wird, was Energieversorung und Funktionserhalt betrifft. Wann genau der Übergang von Bewußtsein zu Selbsbewußtsein erreicht wird sei dahingestellt, aber ich sicher, daß es bei fortlaufender Forschung gelingt Androiden zu erzeugen, also Maschinen mit Selbstempfindung und damit einem Selbstbehauptungswillen.

Das könnte dann allerdings das Ende des Zweibeiners bedeuten.

#734:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 06.01.2019, 17:05
    —
Critic hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Die Gummihandillusion - rubber hand illusion - sagt euch was?
Ist es vielleicht generell so, daß unser Gehirn erst einmal rein instinktiv Eindrücke so verarbeitet, als würden sie uns persönlich passieren, auch wenn es sich eigentlich um "by-proxy"-Erfahrungen handelt, die uns also nicht gefährlich werden können? (Beispiel: Ich sehe im Fernsehen einen Beitrag über Fassadenkletterer, die auf 500 Meter hohe Wolkenkratzer klettern und oben auf der Spitze Selfies von sich knipsen - und mich befällt in dem Moment eine leichte Höhenangst, obwohl ich mich nicht selbst in Gefahr befinde.)

Das kenn' ich auch.


Critic hat folgendes geschrieben:
Das schon qua unserer biologischen Evolution, denn die Phase der kulturellen Evolution, in der wir "virtuelle Bilder" haben, ist ja im Vergleich recht kurz.

(Es wird dann natürlich von einigen Zitierkreisen als "Abstumpfung" kritisiert, aber das Gehirn kann vielleicht ja auch erlernen, etwas besser damit umzugehen und zu realisieren, daß durch die Eindrücke keine Gefahr droht Am Kopf kratzen?!)

Als Nachfahre von Baumbewohnern sollte der Mensch kaum von Höhenangst geplagt sein. Ich vermute, daß Höhenangst eine erzieherisch vermittelte Blockade ist, die entsteht, wenn man als Kind "pass auf, daß du nicht runterfällst" ein paar mal zu oft gehört hat.

#735:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 06.01.2019, 17:21
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
... Der Soziologe Norbert Elias schrieb 1986: „Das Problem der »Wahrheit«, der Sachgerechtheit von Erkenntnissen ... ob soziale Symbole ... wie »Mutter«, »Pflanze«, »Natur« oder »Ursache« ... den Menschen der Gesellschaft, die diese Symbole gebraucht, eine sichere Orientierung in ihrer Welt ermöglichen.“

Ich würde niemals die Relevanz praxistauglicher Begriffe für die Gesellschaft infragestellen. Nur ob und das weiterbringt in der Frage, was genau "wirklich" nun ist? Es ginge ja ziemlich in die Richtung "intersubjektive Überprüfbarkeit", die Babyface oben ansprach.

Zudem möchte ich der Vollständigkeit halber darauf hinweisen, daß das "Ermöglichen einer sicheren Orientierung in der Welt" nicht an die Soziologie oder den Menschen gebunden ist, sondern z.B. für die (auch nichtsprachliche) Bildung von Begriffen, Klassen usw. etwa bei KI oder Tieren ebenso relevant und anwendbar ist.

Übrigens entsteht diese "sichere Orientierung" weniger durch solche Begriffe an sich, sondern vor allem durch mit diesen Begriffen assoziiertes Eigenschaftswissen und dadurch simulierbare Zukünfte.

#736:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 06.01.2019, 17:23
    —
Zumsel hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Na, ich denke mal, da muss man noch tiefer ansetzen. Die "Konstruktion" beginnt ja schon bei der interpretativen Einordnung des ganz persönlichen Lebenslaufes: Wie bewertet ein Arbeitsloser seine Situation? Wie seine Angehörigen? Wie steht das im Verhältnis zu gesellschaftlichen Typisierungen von Arbeitslosigkeit? Welcher Diskurs liegt diesen Typisierungen zu Grunde? Welche Akteure bestimmen wie diesen Diskurs? Welche Rolle spielen Betroffene dabei? Etc.

So gesehen ist dann alles konstruiert, oder? Das würde dem Begriff seine Unterscheidungskraft nehmen - um sie wieder herzustellen, man müßte aufdröseln, wie etwas konstruiert ist.

    - Auf der biologischen Ebene, in Form von Reflexen und Instinkten. Gummihandillusion.
    - Auf der gesellschaftlichen Ebene, in Form (ungeschriebener) Verhaltensregeln.
    - Auf der persönlichen Ebene, in der das Ich die biologischen und gesellschaftlichen Regeln integrieren muß, annehmend oder ablehnend.


Ja, die Methodenfrage ist durchaus knifflig. Diese ganzen Grundsatzüberlegungen sind ja eigentlich mehr Sozialphilosophie als Soziologie: Zum Verständnis von Grundaspekten des menschlichen Miteinander zwar interessant, aber wenig ergiebig, wenn es um die empirische Überprüfung konkreter Phänomene geht. Da stellt sich dann nämlich in der Tat die Frage des "aufdröselns".

Irgendwo muß man anfangen. Bei einem guten Ansatz ergeben sich weitergehende Fragestellungen quasi von selbst.

Die Aussage "In allen Gesellschaften gibt es Typisierungen und Denkmuster" differenziert nicht. Gibt es systematische Unterschiede zwischen den Typisierungen, die an verschiedenen Orten, zu verschiedenen Zeiten oder in verschiedenen gesellschaftlichen Schichten vorherrschen? Schon ist man im Konkreten.


Zumsel hat folgendes geschrieben:
Linguistische Diskursanalysen sind da ja noch relativ simpel: man vergleicht Arten und Änderungen im Sprachgebrauch zu einem bestimmten Themaund innerhalb eines bestimmten Zeitraumes oder um bestimmte, als einschneidend angenommenen Ereignisse herum. Wobei auch hier schon die Frage des Samplings Probleme aufwerfen dürfte. Was wird eigentlich alles als diskursrelevant untersucht? Zeitungsartikel? Wahlprogramme? Filme und Serien?

Alles ist potentiell relevant. zwinkern

Wenn du Zeitungsartikel untersuchst, dann stellt sich schnell heraus, daß die WELT andere Typisierungen verbreitet, als die Frankfurter Rundschau, beide wiederum andere als BILD oder THE SUN.

Es gibt das Sprichwort: "Sag mir, was du liest, und ich sag' dir, was für ein Mensch du bist." Genaugenommen müßte man es umdrehen. "Beantworte mir ein paar Fragen, dann sag ich voraus, welche Zeitung du liest."



Zumsel hat folgendes geschrieben:
Richtig schwierig wird es aber v.a. auf der individuellen Ebene: Natürlich kann man bspw. Arbeitslose über ihre Situation befragen, doch hat man da am Ende ja zunächst mal nicht mehr als eine Anekdote. Wie standardisiert man hier Daten um sie mit anderen Interviews vergleichbar zu machen? Wer soll derartige Datenmengen überhaupt auswerten können? Kann man hier noch von Repräsentativität sprechen oder muss Objektivität auf andere Weise hergestellt werden. Die "Härte" rein quantitativer Ergebnisse wird man kaum erreichen können. Umgekehrt werden rein quantitaive Herangehensweisen aber eben den Phänomenen in ihrer Komplexität oft nicht gerecht.

Das ist ein grundsätzliches Problem. Wenn ich vom Wald spreche, werde ich der Komplexität eines einzelnen Baumes an seinem Standort nicht gerecht. Gleichzeitig traue ich mir aber zu, sinnvoll vom Wald zu sprechen, obwohl ich gerade mal einen Laub- von einem Nadelbaum unterscheiden kann.

Wie läuft das in anderen Wissenschaften?

In der Physik ist es unmöglich, den individuellen Pfad eines Gas-Moleküls zu verfolgen. Man müßte größenordnungsmäßig den Pfad von 10^23 Molekülen verfolgen (Avogadro-Zahl). Trotzdem läßt sich eine Makro-Beschreibung von Gasen finden mittels Temperatur, Druck und Dichte.

Vergleichbares ist in den Sozialwissenschaften gesucht.

Als Beispiel: die merkantile Ausrichtung einer Gesellschaft, sehr schlicht und theoriefrei bestimmt als der Anteil der Nahrungsmittel und Waren, die jemand selbst herstellt im Verhältnis zu eingetauschten oder gekauften Waren. Diese Variable scheint eine wichtige Rolle dabei zu spielen, wie sich Menschen in spieltheoretischen Versuchen wie dem Ultimatum Game verhalten.

#737:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 06.01.2019, 17:26
    —
@smallie: "Wald", "Gas" oder "Wahlvolk" macht Sinn, wenn ich auf solch emergenter Ebene einfache und doch nützliche Voraussagen machen kann.

#738:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 06.01.2019, 17:51
    —
step hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
... Der Soziologe Norbert Elias schrieb 1986: „Das Problem der »Wahrheit«, der Sachgerechtheit von Erkenntnissen ... ob soziale Symbole ... wie »Mutter«, »Pflanze«, »Natur« oder »Ursache« ... den Menschen der Gesellschaft, die diese Symbole gebraucht, eine sichere Orientierung in ihrer Welt ermöglichen.“

Ich würde niemals die Relevanz praxistauglicher Begriffe für die Gesellschaft infragestellen. Nur ob und das weiterbringt in der Frage, was genau "wirklich" nun ist? Es ginge ja ziemlich in die Richtung "intersubjektive Überprüfbarkeit", die Babyface oben ansprach.

Zudem möchte ich der Vollständigkeit halber darauf hinweisen, daß das "Ermöglichen einer sicheren Orientierung in der Welt" nicht an die Soziologie oder den Menschen gebunden ist, sondern z.B. für die (auch nichtsprachliche) Bildung von Begriffen, Klassen usw. etwa bei KI oder Tieren ebenso relevant und anwendbar ist.

Übrigens entsteht diese "sichere Orientierung" weniger durch solche Begriffe an sich, sondern vor allem durch mit diesen Begriffen assoziiertes Eigenschaftswissen und dadurch simulierbare Zukünfte.

Die eigentliche Frage ist, ob man das philosophisch oder theoretisch-empirisch diskutieren will. Wissenschaftlich ist die Frage von Wirklichkeitskongruenz gesellschaftlicher Symbole relativ leicht zu beantworten, und philosophisch gar nicht. Liegt einfach an der unterschiedlichen Denkweise. Theoretisch-empirische Wissenschaften suchen nach Modellen, die sich durch Tatsachenbeobachtungen belegen lassen, Philosophie dagegen sucht nach der „Wahrheit“. Ersteres ist nachweislich möglich, letzteres nachweislich nicht. Wenn chinesische Techniker aufgrund ihrer Modelle unseres Sonnensystems erst einen Satelliten zwischen Erde und Mond platzieren können, sodaß über den dann ein Raumfahrzeug auf der erdabgewandten Seite des Mondes sicher gelandet werden konnte, scheint es mit der Wirklichkeitskongruenz dieser Modell nicht schlecht bestellt zu sein. Philosophisch läßt sich sicherlich belegen, daß man damit „wirklich“ nichts wisse.Aber wer fragt in praktischen Dingen schon Philosophen? Sehr glücklich

#739:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 06.01.2019, 19:29
    —
step hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Wenn ich aber einen Baum sehe, dann sehe ich weder eine Beschreibung noch ein Bild davon, sondern den Baum selbst.

Aber die Frage ist doch, woran genau Du festmachst, daß Du etwas "selbst" siehst.


An dem Wesen der Wahrnehmung, die im Gegensatz zur Vorstellung keine geistigen Bilder von Gegenständen beinhaltet und damit keine Bildwahrnehmung ist. Wahrnehmen ist nicht Fernsehen!

step hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Im Fall einer visuellen Illusion erscheint der Sehgegenstand zwar nicht so, wie er wirklich ist, aber er ist wirklich vorhanden.

Wenn ich einen Baum sehe, erscheint der mir doch auch nicht so, wie er wirklich ist. Zum Beispiel sehe ich nur die Vorderseite, nur die Oberfläche, keine Details usw. - oder definierst Du "wirklich" wiederum zirkelartig über das Erscheinen?


Das wirkliche Sein von etwas ist sein An-sich-sein, sein Sein unabhängig von seinem Erscheinen und Wahrgenommenwerden.

Was richtig ist, ist, dass auch die normale Wahrnehmung ("wahrhafte Wahrnehmung"/"veridical perception"), die in den Lehrbüchern von Illusionen und Halluzinationen abgegrenzt wird, selbst nicht illusionsfrei und damit nicht so wahrhaft und wirklichkeitsgetreu ist, wie wir glauben. Das wird klar, wenn man das Erscheinen makroskopischer Dinge mit ihrem mikroskopischen physikalischen Sein vergleicht. Und was die Farbeindrücke betrifft, so ist die visuelle Wahrnehmung insofern immer illusionär, als Farben objektive Eigenschaften der Sehgegenstände zu sein scheinen, was sie aber nicht sind.

Fußnote:
Es gibt Arthur Eddingtons berühmtes Tischbeispiel (in The Nature of the Physical World, 1929). Er sagt, dass, wenn er an seinem Schreibtisch sitze und Briefe schreibe, eigentlich zwei Tische vorhanden seien: Tisch#1, der "vertraute Tisch" ("familiar table"), der sich der naiven Wahrnehmung darbietet, und Tisch#2, der "wissenschaftliche Tisch" ("scientific table"), der sich nur der physikalischen Beobachtung mithilfe technischer Geräte offenbart.

Der Grundfehler besteht nun darin zu glauben, dass wir es wirklich mit zwei verschiedenen Tischen zu haben anstatt nur mit einem; denn Tisch#1 ist gar kein Tisch, weil es sich dabei nur um die Erscheinung des einzigen Tisches handelt, der vorhanden ist. Und "Tisch#1" als Tischerscheinung ist selbst überhaupt kein Wahrnehmungsgegenstand. Wir sehen Tische durch das Erfahren/Erleben von Tischerscheinungen, aber die Tischerscheinungen selbst sind nicht der gesehene Gegenstand, weil sie überhaupt nicht gesehen, sondern nur erfahren/erlebt werden können.
Es gibt also nur einen einzigen wirklichen Tisch, der sowohl der naiven Wahrnehmung als auch der wissenschaftlichen Beobachtung zugänglich ist.

#740:  Autor: Babyface BeitragVerfasst am: 06.01.2019, 19:56
    —
schtonk hat folgendes geschrieben:
Babyface hat folgendes geschrieben:
[...]
...Ich bin mir nicht sicher ob nicht eine gute Welt-Theorie möglich ist, nach welcher sich die Größe des Gegenstands tatsächlich ändert und die Fortbewegung eine Illusion ist.

Das widerspräche den gängigen naturwiss. Erkenntnissen.

Ich dachte eigentlich, das wäre offensichtlich.
Zitat:
Kannst du nachvollziehbare Anhaltspunkte für deine Spekulation anbieten?

Das ist nicht meine Absicht. Es war ein Gedankenspiel. Es soll zeigen, dass unser Verständnis von Täuschung bzw. von dem was real ist, theorieabhängig ist und sich nicht direkt aus der Wahrnehmung selbst ableiten lässt.

#741:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 06.01.2019, 20:08
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Aber die Frage ist doch, woran genau Du festmachst, daß Du etwas "selbst" siehst.
An dem Wesen der Wahrnehmung ...

Hmm ... Du sagst, real sei das, was wahrgenommen wird? Und unter Wahrnehmung verstehe man den Eindruck von etwas Wirklichem? Real sei also das, was real ist?

Myron hat folgendes geschrieben:
Wir sehen Tische durch das Erfahren/Erleben von Tischerscheinungen, aber die Tischerscheinungen selbst sind nicht der gesehene Gegenstand, weil sie überhaupt nicht gesehen, sondern nur erfahren/erlebt werden können. Es gibt also nur einen einzigen wirklichen Tisch, der sowohl der naiven Wahrnehmung als auch der wissenschaftlichen Beobachtung zugänglich ist.

Ich denke, in bezug auf die Natur der Wahrnehmung und Begriffsbildung liegen wir gar nicht weit auseinander - hier geht es aber um die Frage, unter welchen Kriterien man sagen kann "es gibt einen wirklichen Tisch" und ob diese Kriterien auch exotische Fälle aushalten.

#742:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 07.01.2019, 08:02
    —
step hat folgendes geschrieben:
Hmm ... Du sagst, real sei das, was wahrgenommen wird? Und unter Wahrnehmung verstehe man den Eindruck von etwas Wirklichem? Real sei also das, was real ist?


Logisch, das Real ist real; aber ich habe weder gesagt noch gemeint, dass die Realität/Wirklichkeit wahrnehmungsabhängig ist. Was ich sage und meine, ist, dass (sinnliches) Wahrnehmen im Erfahren/Erleben von (sinnlichen) Eindrücken oder Erscheinungen wirklicher Dinge besteht. Das heißt, in der Wahrnehmung erfahre/erlebe ich bestimmte Empfindungen (= der Inhalt der Wahrnehmung), und durch sie als Eindrücken/Erscheinungen nehme ich Dinge wahr (= der Gegenstand der Wahrnehmung).

#743:  Autor: uwebus BeitragVerfasst am: 07.01.2019, 13:43
    —
step hat folgendes geschrieben:
... hier geht es aber um die Frage, unter welchen Kriterien man sagen kann "es gibt einen wirklichen Tisch" und ob diese Kriterien auch exotische Fälle aushalten.


Einen wirklichen Tisch gibt es nur dann, wenn es Entitäten gibt, für die ein Tisch ein Tisch ist und nicht irgendein Ding, das da rumsteht.

Tisch ist ein DING, dem eine Funktion zugewiesen wird von jemandem, der das Ding als Tisch benutzt.

In der Natur gibt es nur Dinge oder Erscheinungen/Wahrnehmungen. Es liegt immer am Beobachter, wie und was er daraus macht. Nimm ein weißes Tuch, der eine benutzt es als Toga, ein zweiter als Kapitulationsflagge, ein dritter als Bettlaken, ein Ding wird erst zu einem Etwas durch Definition und die ist vom Beobachter/Verwender abhängig. Ohne Definition ist ein Ding einfach nur m·c², Energie, die Urform des Universums. Und selbst die erfordert einen Beobachter, der sie wahrnimmt.

Konklusion: man muß das Universum als teleologisch wirkend auffassen, weil es ohne Beobachter noch nicht einmal das Universum gäbe. Also muß das Sein sich so organisieren, daß es sich wahrnimmt, und zwar notwendigerweise aus der Innenbetrachtung heraus, woraus folgt, daß sich das Sein quantisieren muß in Beobachter und Beobachtetes, also technisch in actio und reactio.

Und damit wären wir wieder bei uwebus und dessen Modell, das auf wenig Gegenliebe stößt.

#744:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 07.01.2019, 15:09
    —
step hat folgendes geschrieben:
... hier geht es aber um die Frage, unter welchen Kriterien man sagen kann "es gibt einen wirklichen Tisch" und ob diese Kriterien auch exotische Fälle aushalten.


uwebus hat folgendes geschrieben:
Ohne Definition ist ein Ding einfach nur m·c², Energie ... Und selbst die erfordert einen Beobachter, der sie wahrnimmt.

Du meinst also, es habe nichts Wirkliches gegeben, bevor es Beobachter gab? Unsere besten Modelle legen ja nahe, daß es zumindest etwas Wirkendes gab.

Myron hat folgendes geschrieben:
ich habe weder gesagt noch gemeint, dass die Realität/Wirklichkeit wahrnehmungsabhängig ist. Was ich sage und meine, ist, dass (sinnliches) Wahrnehmen im Erfahren/Erleben von (sinnlichen) Eindrücken oder Erscheinungen wirklicher Dinge besteht. ...

Dann sagst Du aber bisher nichts darüber, was Dinge zu wirklichen Dingen macht.

#745:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 07.01.2019, 16:42
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Unsere Wahnehmung dient unserem Überleben, nicht der Erkenntnis.


Die (sinnliche) Wahrnehmung, insbesondere in Gestalt wissenschaftlicher Beobachtung, ist unsere wichtigste Erkenntnisquelle; und dank ihrer besitzen wir einen reichen Schatz an Wissen.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Es ist also nicht die philosophische Frage, wie das Verhältnis zwischen den Bildern „drinnen“ in einem einzelnen Menschen und der Welt „da draußen“ ist…


Wenn ich mir einen Baum vorstelle, dann erfahre ich ein geistiges Baumbild, was aber nicht der Fall ist, wenn ich einen Baum wahrnehme; denn das Sehen eines Baumes ist kein Sehen eines Bildes davon.
....

Ich frage mich, wie Du das trennen willst.
Myron hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Hmm ... Du sagst, real sei das, was wahrgenommen wird? Und unter Wahrnehmung verstehe man den Eindruck von etwas Wirklichem? Real sei also das, was real ist?


Logisch, das Real ist real; aber ich habe weder gesagt noch gemeint, dass die Realität/Wirklichkeit wahrnehmungsabhängig ist. Was ich sage und meine, ist, dass (sinnliches) Wahrnehmen im Erfahren/Erleben von (sinnlichen) Eindrücken oder Erscheinungen wirklicher Dinge besteht. Das heißt, in der Wahrnehmung erfahre/erlebe ich bestimmte Empfindungen (= der Inhalt der Wahrnehmung), und durch sie als Eindrücken/Erscheinungen nehme ich Dinge wahr (= der Gegenstand der Wahrnehmung).

Wenn ich soetwas lese, werde ich das Gefühl nicht los, dass Du meinst, wir wären in der Lage, auch ohne die Akkumulation der Sprache, die in den letzten 100 000 Jahren der Geschichte der Menschheit stattgefunden hat, viel zu erkennen.

Mal ganz dumm: Woher weißt Du überhaupt, was ein Baum ist, bevor Deine Eltern es dir gesagt haben. Und die haben Dir ja erheblich mehr von diesem Ding verraten, als nur den Namen, um uns über ihn zu unterhalten, meist ohne es explizit zu tun und es dabei selbst zu merken. Wenn Du Baum sagst, verbindest Du sowohl und zuerst ganz viele Erwähnungen Dir gegenüber damit als auch eigene Eindrücke, die von Anfang an mit diesen Erwähnungen verbunden wurden. Wenn Du Baum sagst, hast Du ganz selbstverständlich auch immer ganz viele Geschichten "im Hinterkopf", in denen der Baum vorkommt, sowohl als Einzelstück unterschiedlichster Ausprägung als auch als Bestandteil des Mythos Wald.

Wenn wir uns darüber einig sind, dass die Wahrnehmung nicht im Sinnesorgan wie Zunge, Fingerbeere oder Auge, sondern im Gehirn stattfindet (vergessen wir in dem Zusammenhang mal kurz, dass die Netzhaut des Vertebratenauges eigentlich eine Ausstülpung des Gehirnes ist): Die Wahrnehmung des Baumes findet nicht auf der Netzhaut statt, sondern im Gehirn. Und wenn der Schiffszimmerer im Baum vielleicht einen potentiellen Mast wahrnimmt, der Tischler das potentielle Furnier, der Förster vielleicht das Opfer des Borkenkäfers, so sind das nur i-Tüpfelchen auf dem kulturellen Unterbau, der existiert und auf den diese berufsspezifischen Wahrnehmungen nur obendrauf gesetzt wurden.

Wir Menschen nehmen anders wahr als alle anderen Tiere - das gilt auch für die Selbstwahrnehmung.

#746:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 07.01.2019, 16:51
    —
@fwo
So isses! Sehr glücklich

Schön sieht man das immer am sprachlichen Symbol „Wolf“, was da alles an Bedeutung seit Generationen angesammelt worden ist, die sich keiner der heute Lebenden selbst ausgedacht hat, und die trotzdem sofort präsent sind. Nicht ohne Grund haben wir Menschen eine so lange Kindheit.

#747:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 07.01.2019, 17:22
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Wir Menschen nehmen anders wahr als alle anderen Tiere - das gilt auch für die Selbstwahrnehmung.


Man kann sich eben nicht vorstellen, wie es ist eine Fledermaus zu sein. : )

#748:  Autor: uwebus BeitragVerfasst am: 07.01.2019, 19:29
    —
step hat folgendes geschrieben:


uwebus hat folgendes geschrieben:
Ohne Definition ist ein Ding einfach nur m·c², Energie ... Und selbst die erfordert einen Beobachter, der sie wahrnimmt.

Du meinst also, es habe nichts Wirkliches gegeben, bevor es Beobachter gab? Unsere besten Modelle legen ja nahe, daß es zumindest etwas Wirkendes gab.


Also nochmals zurück zu Herrn Parmenides (etwa 515 v.Chr.):

"Zum Sein gibt es keine denkbare Alternative, Nicht-Sein ist nicht denkbar."

Das Sein ist Wirkendes, also technisch Energie (Impuls·Weg/Zeit). Diese Energie muß sich aber manifestieren, um existent zu werden, also benötigt sie einen Spiegel, in dem sie sich manifestiert. Und dieser Spiegel ist das Bewußtsein, das Sein muß also einen Prozeß der Bewußtwerdung durchlaufen, und der dürfte bei der Entstehung der Materie in Sonnen beginnen und sich dann fortsetzen bis zur Entstehung von Leben auf geeigneten Planeten.

Da ich Anhänger der Erhaltungssätze bin (mein einziges Glaubensbekenntnis), ist Energie als ewig zu betrachten, was einmal Götter ausschließt und zum anderen einen Energiekreislauf bedingt, weil es ja Zeit als solche nicht gibt, sondern Zeit lediglich ein Meßverfahren für Veränderungsabschnitte in der Ewigkeit ist.

Und in einem ewigen Kreislaufsystem sind alle Zustände enthalten, aber halt örtlich beschränkt ("gequantelt"), so daß Bewußtsein immer dort entsteht, wo die äußeren Bedingungen dazu erfüllt sind.

Es gibt also keinen vorbewußten Zustand des Universums (z.B. Urknall), es ist immer Bewußtsein vorhanden, allerdings wie beim Lotto ziemlich über das Ganze verteilt. Mal hocken wir hier und betrachten uns von innen, und wenn uns unsre Sonne schluckt, dann entsteht irgendwo anderes Leben, hier mal ein Sechser, dort ein Fünfer, meist aber Trostpreise in Form rudimentärer Lebensformen oder halt Nieten. Aber die Niete von heute kann morgen zum Sechser werden.

Man kann Körper und Geist nicht voneinander trennen, der philosophische Idealismus ist ein falsches Denkmodell, das Universum ist materialistisch. Und bezieht man Bewußtsein in das Modell ein, dann ist man philosophisch gesehen Pantheist, also notwendigerweise Atheist.

Mir ging es letztendlich darum, mir diese Position technisch zu bestätigen, daher mein Modell.

#749:  Autor: Babyface BeitragVerfasst am: 12.01.2019, 18:00
    —
fwo hat folgendes geschrieben:


Wenn wir uns darüber einig sind, dass die Wahrnehmung nicht im Sinnesorgan wie Zunge, Fingerbeere oder Auge, sondern im Gehirn stattfindet (vergessen wir in dem Zusammenhang mal kurz, dass die Netzhaut des Vertebratenauges eigentlich eine Ausstülpung des Gehirnes ist): Die Wahrnehmung des Baumes findet nicht auf der Netzhaut statt, sondern im Gehirn. Und wenn der Schiffszimmerer im Baum vielleicht einen potentiellen Mast wahrnimmt, der Tischler das potentielle Furnier, der Förster vielleicht das Opfer des Borkenkäfers, so sind das nur i-Tüpfelchen auf dem kulturellen Unterbau, der existiert und auf den diese berufsspezifischen Wahrnehmungen nur obendrauf gesetzt wurden.

Wir Menschen nehmen anders wahr als alle anderen Tiere - das gilt auch für die Selbstwahrnehmung.

Abgesehen davon, dass ich keinen Widerpruch zu Myrons Aussage erkennen kann, halte ich die Vorstellung, Wahrnehmung finde "im Gehirn statt", für eine grundfalsche Idee. Wahrnehmung ist weder auf der Netzhaut, noch in umschriebenen Gehirnarealen zu lokalisieren. Wahrnehmen ist eine Tätigkeit von Lebewesen und als solche ebenso wenig im Gehirn lokalisierbar wie Essen, Schreiben, Tanzen oder Klavierspielen. Aus der Tatsache dass das Gehirn eine notwendige biologische Struktur von herausragender Bedeutung für die Realisierung von Wahrnehmungstätigkeiten ist, folgt nicht, dass Wahrnehmung dort zu finden. Wahrnehmung ist nur in dem Maße im Gehirn lokalisierbar wie der Zugverkehr im Hauptbahnhof. Wahrnehmung ist aber kein Ding, das man lokalisieren kann. Wahrnehmung ist vielmehr eine Eigenschaft, welche die Beziehung zwischen einem Organismus und seiner Umwelt kennzeichnet. Und selbstverständlich ist die Art wie diese Beziehung subjektiv erlebt wird (und damit die Wahrnehmung) abhängig von vorausgehenden Beziehungserfahrungen. Beziehungserfahrungen machen Lebenwesen aber nicht mit von Gehirnen "konstruierten" und dort in einem virtuellen Raum aufbewahrten "Abbildern", sondern mit realen Dingen.

#750:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 12.01.2019, 18:40
    —
Babyface hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:


Wenn wir uns darüber einig sind, dass die Wahrnehmung nicht im Sinnesorgan wie Zunge, Fingerbeere oder Auge, sondern im Gehirn stattfindet (vergessen wir in dem Zusammenhang mal kurz, dass die Netzhaut des Vertebratenauges eigentlich eine Ausstülpung des Gehirnes ist): Die Wahrnehmung des Baumes findet nicht auf der Netzhaut statt, sondern im Gehirn. Und wenn der Schiffszimmerer im Baum vielleicht einen potentiellen Mast wahrnimmt, der Tischler das potentielle Furnier, der Förster vielleicht das Opfer des Borkenkäfers, so sind das nur i-Tüpfelchen auf dem kulturellen Unterbau, der existiert und auf den diese berufsspezifischen Wahrnehmungen nur obendrauf gesetzt wurden.

Wir Menschen nehmen anders wahr als alle anderen Tiere - das gilt auch für die Selbstwahrnehmung.

Abgesehen davon, dass ich keinen Widerpruch zu Myrons Aussage erkennen kann, halte ich die Vorstellung, Wahrnehmung finde "im Gehirn statt", für eine grundfalsche Idee. Wahrnehmung ist weder auf der Netzhaut, noch in umschriebenen Gehirnarealen zu lokalisieren. Wahrnehmen ist eine Tätigkeit von Lebewesen und als solche ebenso wenig im Gehirn lokalisierbar wie Essen, Schreiben, Tanzen oder Klavierspielen. Aus der Tatsache dass das Gehirn eine notwendige biologische Struktur von herausragender Bedeutung für die Realisierung von Wahrnehmungstätigkeiten ist, folgt nicht, dass Wahrnehmung dort zu finden. Wahrnehmung ist nur in dem Maße im Gehirn lokalisierbar wie der Zugverkehr im Hauptbahnhof. Wahrnehmung ist aber kein Ding, das man lokalisieren kann. Wahrnehmung ist vielmehr eine Eigenschaft, welche die Beziehung zwischen einem Organismus und seiner Umwelt kennzeichnet. Und selbstverständlich ist die Art wie diese Beziehung subjektiv erlebt wird (und damit die Wahrnehmung) abhängig von vorausgehenden Beziehungserfahrungen. Beziehungserfahrungen machen Lebenwesen aber nicht mit von Gehirnen "konstruierten" und dort in einem virtuellen Raum aufbewahrten "Abbildern", sondern mit realen Dingen.

Myrons Aussage sah für mich pseudobiologisch aus, weshalb mein einleitender Satz hier villeicht Klarheit schafft, warum ich geantwortet habe:
Wenn ich soetwas lese, werde ich das Gefühl nicht los, dass Du meinst, wir wären in der Lage, auch ohne die Akkumulation der Sprache, die in den letzten 100 000 Jahren der Geschichte der Menschheit stattgefunden hat, viel zu erkennen.

Die "Lokalisierung" Gehirn ist insofern wichtig, als wir es hier nicht nur mit einer Datenweiterleitung, sondern mit einer sehr komplexen Prozessierung zu tun haben, die die ankommen Daten - etwas anderes kann da rein technisch nicht ankommen - anhand des Rezeptors vorinterpretiert und dann evtl. mit Erinnerungen abgleicht, um dann zu entscheiden, wie mit dieser Information umzugehen ist.

Mit zunehmendem Zerebalisationsgrad nimmt die Menge der Daten zu, die hier abgeglichen werden (müssen). Das besondere beim Menschen ist die Menge der kulturell erworbenen Daten.

Dein Widerspruch ergibt sich aus den unterschiedlichen Betrachtungsebenen:

Du siehst vom selbstbewussten, denkenden Subjekt aus, das als Zentrum sein Selbst hat, dessen Lokalisierung insofern Wurst ist, als wir nie eine zerebrale Entsprechung für seine subjektiven Bestandteile werden finden können.

Meine Blickrichtung geht auf das Daten erfassende und bearbeitende System, bei dem ich schon Subsystem für Sensorik, Motorik, Verarbeitung usw. sinnvoll lokalisieren kann. Was ich betreibe, ist keine Introspektion.

#751:  Autor: schtonk BeitragVerfasst am: 12.01.2019, 23:29
    —
Babyface hat folgendes geschrieben:
schtonk hat folgendes geschrieben:
Babyface hat folgendes geschrieben:
[...]
...Ich bin mir nicht sicher ob nicht eine gute Welt-Theorie möglich ist, nach welcher sich die Größe des Gegenstands tatsächlich ändert und die Fortbewegung eine Illusion ist.

Das widerspräche den gängigen naturwiss. Erkenntnissen.

Ich dachte eigentlich, das wäre offensichtlich.

Äh, ja klar Am Kopf kratzen


Babyface hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Kannst du nachvollziehbare Anhaltspunkte für deine Spekulation anbieten?

Das ist nicht meine Absicht. Es war ein Gedankenspiel. Es soll zeigen, dass unser Verständnis von Täuschung bzw. von dem was real ist, theorieabhängig ist und sich nicht direkt aus der Wahrnehmung selbst ableiten lässt.

Das lasse ich mir bei Gelegenheit mal einrahmen Smilie

#752:  Autor: schtonk BeitragVerfasst am: 13.01.2019, 00:11
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Ist eigentlich "Realität" identisch mit "Alles was Existiert"? Wird auf dieser Grundlage diskutiert?

Ich lese hier weitgehend still mit und denke drüber nach.
Aber deine erste Frage verneine ich.

Ein Psychosekranker (im Akutstadium) zB "hat" seine eigene Realität. Der ist seitens eines Nicht-Psychotikers nicht beizukommen, es gibt dagegen keine Argumente.
Seine Wahrnehmungen und die für ihn daraus folgenden Schlüsse haben für ihn hohe Relevanz.
Für ihn existiert das, was der Außenstehende als Wahn (also nichtexistent i.S. der konsensorientierten Wahrnehmung der "Gesunden" ) bezeichnet.


Edith: Hinzufügung

#753: Jeder glaubt an seine Psychosen-Realität Autor: neurosemantik BeitragVerfasst am: 01.02.2019, 14:24
    —
schtonk hat folgendes geschrieben:
Ein Psychosekranker (im Akutstadium) zB "hat" seine eigene Realität.
Jeder Mensch hat seine eigene Realität (Mini-Psychose, zumal das Hirn ihm, dem Zellhaufen, so etwas wie ein "Ich" vorgaukelt). So wie es bei 3000 Philisophieprofessuren in der westlichen Welt auch 3000 verschiedene Philisophierichtungen und Auffassungen von der Welt gibt, haben die knapp 8000000000 Menschen auch 8000000000 verschiednene Weltanschauungen und Weltbilder und damit Realitäten.

Viele Wissenschaftler machen Bewusstsein daran fest, ob ein Säugetier oder Vogel einen Fleck an sich als solchen im Spiegel erkennt (eine Vorstellung von sich d.h. "Selbst-Bewusstsein") hat.
Ohne Sprache ist eine komplexere Vorstellung der gesamten Realität (einschließlich nichtwahrnehmbarer aber messbarer oder berechenbarer physikalischer Phänomene) und ein Reflektieren darüber aber nicht möglich (auch wenn es Schimpansen gibt die durch Zeigen auf Wortsymbole aus einem Ordner etwas "komplexere" Sätze bilden können).

Um trotz Sprache und Bildung aber auf eine psychotisch-falsche Realitätseinschätzung zu kommen bedarf es keiner Psychose sondern es reicht die ganz normale Angst vor dem Tod um die Mehrheit der Menschen an intellektuell unredliche Wahrnehmungs-Halluzinationen wie Götter oder ein Leben nach dem Tod glauben zu lassen (und auch das soll evolutionäre Vorteile gehabt haben).

#754: Re: Jeder glaubt an seine Psychosen-Realität Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 01.02.2019, 16:49
    —
neurosemantik hat folgendes geschrieben:
....sondern es reicht die ganz normale Angst vor dem Tod um die Mehrheit der Menschen an intellektuell unredliche Wahrnehmungs-Halluzinationen wie Götter oder ein Leben nach dem Tod glauben zu lassen (und auch das soll evolutionäre Vorteile gehabt haben).

Ich spare mir jetzt eine Theorie über die Entstehung von Religionen, aber der normale Mensch übernimmt sie als Kind von den Eltern, wird sie dann ganz schwer wieder los und braucht dafür nicht zu halluzinieren. Bei der unsterblichen Seele oder dem Leben nach dem Tod vermute ich eine ganz schlichte Erfahrung: Mach mal die Augen zu und stelle Dir Deine Umgebung ohne Dich vor. Geht ganz leicht, aber gleichzeitig erlebst Du Dich selbst als Zuschauer der Welt ohne Dich. Das heißt, dass es unmöglich ist, sich das Ende der eigenen Existenz wirklich vorzustellen.

Der Glaube an einen Gott bzw die Religion (der Buddhismus hat keinen Gott) muss keinen direkten Vorteil für das Individuum besitzen. Der evolutionäre Vorteil der Religion liegt nicht bei Individuum, sondern darin, dass die Religion die Infrastruktur für eine besonders wirksame, weil verlustarme Weitergabe der elterlichen Kultur

#755: Re: Jeder glaubt an seine Psychosen-Realität Autor: AhrimanWohnort: 89250 Senden BeitragVerfasst am: 01.02.2019, 19:26
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Das heißt, dass es unmöglich ist, sich das Ende der eigenen Existenz wirklich vorzustellen.

Geht auch. Jeder von uns war schon mal tot, viele Milliarden Jahre lang, bis er endlich gezeugt wurde. Und? Wie war das? Ich kann mich nicht beklagen....

#756: Re: Jeder glaubt an seine Psychosen-Realität Autor: MadMagic BeitragVerfasst am: 02.02.2019, 03:06
    —
Ahriman hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Das heißt, dass es unmöglich ist, sich das Ende der eigenen Existenz wirklich vorzustellen.

Geht auch. Jeder von uns war schon mal tot, viele Milliarden Jahre lang, bis er endlich gezeugt wurde. Und? Wie war das? Ich kann mich nicht beklagen....

Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern einmal tot gewesen zu sein Mr. Green

Sich vorzustellen für IMMER tot zu sein, ist schon einigermaßen deprimierend, jedenfalls wenn man über "FÜR IMMER nicht mehr da" meditiert zwinkern

N I E M A L S wieder geht mein Licht an, ist eine sehr bedrückende Realität, die die eine oder andere Religion zur Alltagsbewältigung erfordert Mr. Green

#757: Re: Jeder glaubt an seine Psychosen-Realität Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 02.02.2019, 12:30
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
neurosemantik hat folgendes geschrieben:
....sondern es reicht die ganz normale Angst vor dem Tod um die Mehrheit der Menschen an intellektuell unredliche Wahrnehmungs-Halluzinationen wie Götter oder ein Leben nach dem Tod glauben zu lassen (und auch das soll evolutionäre Vorteile gehabt haben).
Ich spare mir jetzt eine Theorie über die Entstehung von Religionen, aber der normale Mensch übernimmt sie als Kind von den Eltern, wird sie dann ganz schwer wieder los und braucht dafür nicht zu halluzinieren.

Muß man hier nicht differenzieren? Von den Eltern werden vor allem die konkreten Inhalte der Religion übernommen, also z.B. Christkind, Teufel und Erlöser, Gebete, Gebote, Kirchen und sonstige religiöse Gebräuche und Sitten. Die grundlegende Fähigkeit bzw. Präferenz zu Alleinheitsgefühlen, meditativen Zuständen, der Wunsch nach spiritueller Geborgenheitsillusion usw. wird mE nicht einfach von den Eltern übernommen, sondern ist eher eine angeborene Eigenschaft des Gehirns.

fwo hat folgendes geschrieben:
Bei der unsterblichen Seele oder dem Leben nach dem Tod vermute ich eine ganz schlichte Erfahrung: Mach mal die Augen zu und stelle Dir Deine Umgebung ohne Dich vor. Geht ganz leicht, aber gleichzeitig erlebst Du Dich selbst als Zuschauer der Welt ohne Dich. Das heißt, dass es unmöglich ist, sich das Ende der eigenen Existenz wirklich vorzustellen.

Ja, jedenfalls nicht intuitiv. Insofern hat neurosemantik aber durchaus recht - diese intuitive Persistenz der personalen Illusion ist eben besonders anfällig für theologische Ausschmückung.

fwo hat folgendes geschrieben:
Der Glaube an einen Gott bzw die Religion (der Buddhismus hat keinen Gott) muss keinen direkten Vorteil für das Individuum besitzen. Der evolutionäre Vorteil der Religion liegt nicht bei Individuum, sondern darin, dass die Religion die Infrastruktur für eine besonders wirksame, weil verlustarme Weitergabe der elterlichen Kultur

Ja, es reicht ein eingebildeter Vorteil für das Individuum, der z.B. über Zugehörigkeitsgefühle u.ä. erreicht wird. Ich nehme an, Du meinst hier "evolutionär" nicht im biologischen Sinne? Falls doch, würde ich das zumindest bezweifeln.

#758: Re: Jeder glaubt an seine Psychosen-Realität Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 02.02.2019, 12:44
    —
step hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
neurosemantik hat folgendes geschrieben:
....sondern es reicht die ganz normale Angst vor dem Tod um die Mehrheit der Menschen an intellektuell unredliche Wahrnehmungs-Halluzinationen wie Götter oder ein Leben nach dem Tod glauben zu lassen (und auch das soll evolutionäre Vorteile gehabt haben).
Ich spare mir jetzt eine Theorie über die Entstehung von Religionen, aber der normale Mensch übernimmt sie als Kind von den Eltern, wird sie dann ganz schwer wieder los und braucht dafür nicht zu halluzinieren.

Muß man hier nicht differenzieren? Von den Eltern werden vor allem die konkreten Inhalte der Religion übernommen, also z.B. Christkind, Teufel und Erlöser, Gebete, Gebote, Kirchen und sonstige religiöse Gebräuche und Sitten. Die grundlegende Fähigkeit bzw. Präferenz zu Alleinheitsgefühlen, meditativen Zuständen, der Wunsch nach spiritueller Geborgenheitsillusion usw. wird mE nicht einfach von den Eltern übernommen, sondern ist eher eine angeborene Eigenschaft des Gehirns.

Kleiner Einwand: Menschen übernehmen von ihren Eltern nicht nur Vorstellungen und Gewohnheiten, sondern auch Einstellungen, Zu- bzw. Abneigungen, den ganzen emotionalen Habitus. Angeboren sind daran höchstens ganz grundsätzliche Fähigkeiten und insgesamt weniger, als man gemeinhin denkt. Man hält es nur dafür, weil es für die meisten Menschen eines Kulturkreises so selbstverständlich ist.

Wie wenig es das ist, fällt immer erst dann auf, wenn die Kette der Weitergabe abbricht. Wie bei uns am Beispiel von Religion, Glaube und Spiritualität sehr gut zu sehen ist.

#759: Re: Jeder glaubt an seine Psychosen-Realität Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 02.02.2019, 13:46
    —
step hat folgendes geschrieben:
....

fwo hat folgendes geschrieben:
Der Glaube an einen Gott bzw die Religion (der Buddhismus hat keinen Gott) muss keinen direkten Vorteil für das Individuum besitzen. Der evolutionäre Vorteil der Religion liegt nicht bei Individuum, sondern darin, dass die Religion die Infrastruktur für eine besonders wirksame, weil verlustarme Weitergabe der elterlichen Kultur

Ja, es reicht ein eingebildeter Vorteil für das Individuum, der z.B. über Zugehörigkeitsgefühle u.ä. erreicht wird. Ich nehme an, Du meinst hier "evolutionär" nicht im biologischen Sinne? Falls doch, würde ich das zumindest bezweifeln.

Ich meine hier keine genetische Evolution, sondern die kulturelle. Das wird eigentlich auch deutlich, wenn man den Satz zu Ende liest. Das macht biologisch letztlich ja das Experiment Mensch und seinen Erfolg aus, dass Teile der Evolution aus der Genetik in die Kultur verlegt werden konnten.

Die Voraussetzung dafür ist aber wie bei der Genetik eine hohe Kopiergenauigkeit der Kultur von einer Generation zur nächsten. Das haben wir ca 2500000 Jahre "geübt", bis das Tempo der Akkumulation durch die Entwicklung der Sprache durch die Decke geschossen ist.

Ab da sind zusätzliche, kulturelle Garanten der Kopiertreue wichtig - wir machen das heute über die Institution Schule.

#760: Re: Jeder glaubt an seine Psychosen-Realität Autor: AhrimanWohnort: 89250 Senden BeitragVerfasst am: 02.02.2019, 14:06
    —
MadMagic hat folgendes geschrieben:
Ahriman hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Das heißt, dass es unmöglich ist, sich das Ende der eigenen Existenz wirklich vorzustellen.

Geht auch. Jeder von uns war schon mal tot, viele Milliarden Jahre lang, bis er endlich gezeugt wurde. Und? Wie war das? Ich kann mich nicht beklagen....

Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern einmal tot gewesen zu sein Mr. Green

Sich vorzustellen für IMMER tot zu sein, ist schon einigermaßen deprimierend, jedenfalls wenn man über "FÜR IMMER nicht mehr da" meditiert zwinkern

N I E M A L S wieder geht mein Licht an, ist eine sehr bedrückende Realität, die die eine oder andere Religion zur Alltagsbewältigung erfordert Mr. Green

Die Vorstellung eines ewigen Lebens ist noch viel deprimierender, ja geradezu entsetzlich, wenn man sich nur mal traut, sich das richtig auszudenken, wie das wäre.
Die Evolution hat uns mit gutem Grund den Selbsterhaltungstrieb eingebaut, und auch noch als den stärksten aller Triebe. Natürlich ist es bedeutunglos für diesen Mechanismus, wie der Mensch damit zurechtkommt, wenn er seinen Zweck sich fortzupflanzen erfüllt hat.
Man ist wie eine Bierdose, die im Müll liegt: "Das war's schon? War das alles?" Ich versuche seit etlichen Jahren mich umzudressieren auf: "Gut, daß dieser Wahnsinn endlich vorbei ist." Und auch: "Mit mir macht das keiner mehr, ich bin raus!"

#761: Re: Jeder glaubt an seine Psychosen-Realität Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 02.02.2019, 16:16
    —
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
neurosemantik hat folgendes geschrieben:
....sondern es reicht die ganz normale Angst vor dem Tod um die Mehrheit der Menschen an intellektuell unredliche Wahrnehmungs-Halluzinationen wie Götter oder ein Leben nach dem Tod glauben zu lassen (und auch das soll evolutionäre Vorteile gehabt haben).
Ich spare mir jetzt eine Theorie über die Entstehung von Religionen, aber der normale Mensch übernimmt sie als Kind von den Eltern, wird sie dann ganz schwer wieder los und braucht dafür nicht zu halluzinieren.

Muß man hier nicht differenzieren? Von den Eltern werden vor allem die konkreten Inhalte der Religion übernommen, also z.B. Christkind, Teufel und Erlöser, Gebete, Gebote, Kirchen und sonstige religiöse Gebräuche und Sitten. Die grundlegende Fähigkeit bzw. Präferenz zu Alleinheitsgefühlen, meditativen Zuständen, der Wunsch nach spiritueller Geborgenheitsillusion usw. wird mE nicht einfach von den Eltern übernommen, sondern ist eher eine angeborene Eigenschaft des Gehirns.

Kleiner Einwand: Menschen übernehmen von ihren Eltern nicht nur Vorstellungen und Gewohnheiten, sondern auch Einstellungen, Zu- bzw. Abneigungen, den ganzen emotionalen Habitus. Angeboren sind daran höchstens ganz grundsätzliche Fähigkeiten und insgesamt weniger, als man gemeinhin denkt. Man hält es nur dafür, weil es für die meisten Menschen eines Kulturkreises so selbstverständlich ist.

Wie wenig das ist, fällt immer erst dann auf, wenn die Kette der Weitergabe abbricht. Wie bei uns am Beispiel von Religion, Glaube und Spiritualität sehr gut zu sehen ist.

Wieviel mehr wir unbewusst übernehmen, kannst Du auch feststellen, wenn Du nach Gefühlen fragst, die mit den Wörtern transportiert werden. Die Gottesfurcht, die bei uns noch als "Erziehungsziel" in einigen Länderverfassungen steht und bei der wir uns fragen, was das soll, brauchte früher nicht extra anerzogen zu werden - die gab es schon in der Sprache mit dazu.

Zur Religiosität: Wir reden öfter davon, dass unsere Kirche die Aufklärung mitgemacht hätte. Viel wichtiger dabei ist aber die Bevölkerung, die die Aufklärung mitgemacht hat, die gelernt hat, dass man den Glauben in Frage stellen und aus der Kirche austreten kann und das überlebt. Das noch nicht gelernt zu haben, mit lernen meine ich jetzt besonders die Gefühlsebene, ist das, was das Verhältnis der Araber zur Religion ausmacht, es erklärt auch die Angst und die Aggression, in der sie kompensiert wird, wenn Du die Religion in Frage stellst. Genau das ist auch der Hintergrund, vor dem Tilman Nagel in seinem Aufsatz "Kann es einen säkularisierten Islam geben?" folgende Einleitung gibt:
"Der Leser möge bei der notwendigerweise gedrängten Darstellung im Auge behalten, dass alles, was vorzutragen ist, für den gläubigen Muslimen kein intellektuelles Spiel ist, sondern seine Existenz unmittelbar und tief berührt. Sich dies vorzustellen, ist für jemanden, der an den postmodernen Synkretismus aus unüberschaubar vielen Religions- und Weltanschauungssplittern gewöhnt ist, kein geringes Ansinnen; aber es ist ihm zuzumuten, sofern er die Herausforderung begreifen will, vor der er steht."

Ich finde es im Netz immer nur in Nebensätzen, aber ich gehe davon aus, dass Kulturen auch in allgemeinerer Form in der Psyche ihren Niederschlag finden. (Ihr braucht jetzt nicht nach Ethnopsychologie zu suchen, das meint etwas anderes. Nach der Aussage einer befreundeten Psychiaterin wird es aber während des Studiums auch gelehrt.)

#762:  Autor: Marcellinus BeitragVerfasst am: 02.02.2019, 18:11
    —
@fwo
Ein Paradebeispiel für die Gefühlsebenen eines sprachlichen Symbols, die über Generationen weitergegeben werden, ist für mich der Begriff "Wolf". Den allermeisten Menschen, die dieses Wort hören, steht sofort unmittelbar nicht nur das Bild eines solchen Tieres vor Augen, sondern auch eine ganze Gefühlswelt von Angst oder Ablehnung oder Sympathie und Mitgefühl, je nachdem, ob man in einer traditionellen, oft ländlich geprägten Umgebung aufgewachsen ist, oder nicht. Alles das wird schon Kindern von Anfang an mit dem Gefühlsgehalt der Sprache vermittelt, meistens ohne daß es den Älteren bewußt ist, und unabhängig davon, ob sich das Kind später noch an Geschichten vom "bösen Wolf" erinnert.

Wir alle sind in einen kulturellen Habitus hineingewachsen, der mehr mit Gefühlen und Unterbewußtem als mit bewußten Wissensgehalten zu tun hat, und er ist in der Regel auch nicht bewußt vermittelt worden, sondern durch Gesten und Gefühlsausdrücke, die sowohl bei dem, der sie vermittelt, als auch bei denen, die sei aufnehmen, am Bewußtsein vorbeilaufen.

Es bedaft in der Regel eine ziemlichen Anstrengung, sie ins Bewußtsein zu heben, und noch mehr Anstrengung, sich davon zu lösen, wenn es überhaupt gelingt.

#763: Jeder glaubt an seine Psychosen-Realität Autor: neurosemantik BeitragVerfasst am: 05.02.2019, 15:26
    —
Also ich empfinde Wölfe als niedliche, menschenscheue Hündchen und obwohl ich jeden Sonntag in die Kirche geprügelt wurde habe ich als Atheist schon als Kleinkind am Weihnachtsmann gezweifelt und bin frühestmöglich aus dem Religionsunterricht ausgetreten, bin also nicht von den vermittelten Religionsgefühlen geprägt und kann meine Wissensgehalte auch nicht durch meine (mitunter durchaus starken) Gefühle unterdrücken, aber vielleicht habe ich auch gerade dadurch erheblicher Schwierigkeiten im Leben und in der sozialen Interaktion mit anderen und bin daher ganz und gar nicht ein repräsentativer Mensch.

Fakt bleibt aber, dass das Bewusstsein einen evolutionären Vorteil bedeutet hat, der dazu geführt hat, dass der Mensch sich die Erde Untertan gemacht hat und die anderen Arten ausrottet und die Ressource auf der und von der er lebt dennoch wenn auch nicht ganz bewusstlos, so doch nur bis zu den nächsten Quartalszahlen oder maximal bis zum eigenen Lebensende denkend, nachhaltig zerstört.

Auf die kulturellen Überlieferungen angewendet halte ich das Wort "Evolution" aber für irreführend und so nicht anwendbar (kulturell gibt es keine "Evolution" sondern im Moment sogar eine rückläufige "Entwicklung" wie beim Islamismus im Osten oder der neu aufkommenden "Nationalismus"-Staatlichkeit im Westen).

#764: Re: Jeder glaubt an seine Psychosen-Realität Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 05.02.2019, 22:51
    —
neurosemantik hat folgendes geschrieben:
....
Auf die kulturellen Überlieferungen angewendet halte ich das Wort "Evolution" aber für irreführend und so nicht anwendbar (kulturell gibt es keine "Evolution" sondern im Moment sogar eine rückläufige "Entwicklung" wie beim Islamismus im Osten oder der neu aufkommenden "Nationalismus"-Staatlichkeit im Westen).

Es gibt in der Evolution außerhalb der Zeit kein vorwärts oder rückwärts, derartige Richtungszuweisungen ergeben sich grundsätzlich nur im Rückblick auf einen nachfolgenden Status.

Zum grundsätzlichen Verständnis dieser Formulierung muss
klar sein, dass ich hier
1.) von der biologischen Bedeutung der Kultur und
2. von einer nicht auf die biologische Genetik fixierten Bedeutung von Evolution, sondern von der systemtheoretischen Bedeutung rede.
Evolution ist ein Prozess, der sich automatisch ergibt, wenn Systeme sich fortlaufend und teilweise mit Abweichungen selbst kopieren und die unterschiedlichen entstehenden Kopierlienien sich in einem Wettbewerb um die Ressourcen befinden.

Die ältesten Kulturen, die wir kennen, sind die der Steinwerkzeuge - das fängt mit der Pebblestone-Kultur an, bevor man unsere Vorfahren wirklich Menschen nennen konnte. Irgendwann setzt dann eine Kultur der Signalgebung für Gegenstände gemeinsamen Interesses ein, die nach Dunbar vor ca 100 000 Jahren in etwas mündete, was man zwar schon als Sprache im heutigen Sinn bezeichnen konnte, was aber in Wortschatz und damit auch Denkmöglichkeiten noch lange nicht die Macht heutiger Sprachen hatte. Um die Evolution von Kultur an diesem mächtigsten Teil unserer Kultur zu zeigen: Aus der evolutionären Sicht ist die Weitergabe der Sprache von einer Generation an die nächste eine Kopie. Sie ist nicht ganz exakt, aber die Genauigkeit reicht, dass wir heute noch, nach ca 20 Genrationen die Luthersche Bibelübersetzung verstehen, und das, obwohl die Tradition durch gewaltige politische Verwerfungen wie den dreißigjährigen Krieg mit seinen Menschenvernichtungen und -verdriftungen erheblich gestört wurde.

Dass in der Sprache eine Evolution stattfindet, ist, auch wenn man es noch nicht so lange so bezeichnet, eigentlich die intuitive Voraussetzung aller Linguisten, die die Entstehung der unterschiedlichen Sprachen der Menschheit in Stammbäumen veranschaulichen.

Dass diese Vorgänge mit zunehmender Mobilisierung der Menschheit und der Information schwieriger zu beschreiben sind ist eine anderes Sache, dass man in die Versuchung kommt, diese Vorgänge nur aus einer Richtung zu bewerten ("rücklaufige Entwicklung"), noch eine andere.

Ansonsten gibt es hier noch einen Thread, ziemlich genau zu Deiner Kritik:
Zur Anwendbarkeit eines systemtheoretischen Evolutionsbegriffes
Da wird auf einen weiteren Thread zum Thema MEM Bezug genommen, bei dem es zwangsläufig auch um die Evolution von Kulturen geht. Ich verlinke mal die Stelle, ab der ich meinen Senf dazugebe.

#765: Re: Jeder glaubt an seine Psychosen-Realität Autor: neurosemantik BeitragVerfasst am: 08.02.2019, 13:52
    —
Wikipedia hat folgendes geschrieben:
Unter Evolution (von lateinisch evolvere „herausrollen“, „auswickeln“, „entwickeln“) versteht man im deutschen Sprachraum heute in erster Linie die biologische Evolution.

So kannte ich das bisher (bin eben kein Soziologe/Philosoph).
fwo hat folgendes geschrieben:
Es gibt in der Evolution außerhalb der Zeit kein vorwärts oder rückwärts

Man kann aus der physikalisch natürlich nur in eine Richtung wirkenden Zeit nicht schließen, dass es evolutionsbiologisch keine Rückentwicklung (Verkümmerung) sowohl genetischer Art, als auch epigenetischer (kulturelles, gelebtes / vergessenes / nicht beachtetes / kognitiv nicht mehr begreifbares Wissen) angeht gibt (zumal in der Vergangenheit wohl mehr Arten ausgestorben sind, als es aktuell gibt).

Da der Mensch ja mehrheitlich positiv denkt (Die Mehrheit der Menschen hält sich mit 7,0 für glücklicher als den Durchschnitt oder z.B. 75% der Frauen halten sich für hübscher als der Durchschnitt ), sehe ich auch in meinem Bekanntenkreis viele Menschen, die absolut sicher sind, dass sich die menschliche Evolution ganz sicher immer nur zum Positiven, Besseren hin verändert.

Aber wer sagt denn, dass der Mensch nicht sogar dümmer und dann zu dumm für die Komplexität der heutigen globalisierten Welt wird?
Zum Beispiel nimmt die Intelligenz der Menschen konstant (beim drücken eines Knopfes bei Lichtaufleuchten) von 175ms um 1900 auf 225 Millisekunden Reaktionsgeschwindigkeit im Jahr 2015 ab.

Mit abnehmenden kognitiven Fähigkeiten steigt aber der Hang zu instinktiven, populistischen Lagebeurteilungen (Autokratien) mit Fremdenangst und nationalistischem Gruppendenken, so dass die gesellschaftliche Entwicklung eher darauf hindeutet, dass nach dem Niedergang des Kommunismus und Nationalsozialismus jetzt auch der kapitalistische Liberalismus mit seinem ewig gewünschten Wachstum bei immer absurderer Umverteilung am Ende ist und es zudem mehr zu menschheitsbedrohenden Szenarien (nicht nur ressourcenbedingt oder atomar sondern auch z.B. durch biologischen “Terrorismus“) kommen wird und der “Dinosaurier“ Mensch sich bald evolutionär selber ausrotten könnte.

#766: Re: Jeder glaubt an seine Psychosen-Realität Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 08.02.2019, 15:04
    —
neurosemantik hat folgendes geschrieben:
Wikipedia hat folgendes geschrieben:
Unter Evolution (von lateinisch evolvere „herausrollen“, „auswickeln“, „entwickeln“) versteht man im deutschen Sprachraum heute in erster Linie die biologische Evolution.

So kannte ich das bisher (bin eben kein Soziologe/Philosoph).
fwo hat folgendes geschrieben:
Es gibt in der Evolution außerhalb der Zeit kein vorwärts oder rückwärts

Man kann aus der physikalisch natürlich nur in eine Richtung wirkenden Zeit nicht schließen, dass es evolutionsbiologisch keine Rückentwicklung (Verkümmerung) sowohl genetischer Art, als auch epigenetischer (kulturelles, gelebtes / vergessenes / nicht beachtetes / kognitiv nicht mehr begreifbares Wissen) angeht gibt (zumal in der Vergangenheit wohl mehr Arten ausgestorben sind, als es aktuell gibt).

Da der Mensch ja mehrheitlich positiv denkt (Die Mehrheit der Menschen hält sich mit 7,0 für glücklicher als den Durchschnitt oder z.B. 75% der Frauen halten sich für hübscher als der Durchschnitt ), sehe ich auch in meinem Bekanntenkreis viele Menschen, die absolut sicher sind, dass sich die menschliche Evolution ganz sicher immer nur zum Positiven, Besseren hin verändert.

Aber wer sagt denn, dass der Mensch nicht sogar dümmer und dann zu dumm für die Komplexität der heutigen globalisierten Welt wird?
Zum Beispiel nimmt die Intelligenz der Menschen konstant (beim drücken eines Knopfes bei Lichtaufleuchten) von 175ms um 1900 auf 225 Millisekunden Reaktionsgeschwindigkeit im Jahr 2015 ab.

Mit abnehmenden kognitiven Fähigkeiten steigt aber der Hang zu instinktiven, populistischen Lagebeurteilungen (Autokratien) mit Fremdenangst und nationalistischem Gruppendenken, so dass die gesellschaftliche Entwicklung eher darauf hindeutet, dass nach dem Niedergang des Kommunismus und Nationalsozialismus jetzt auch der kapitalistische Liberalismus mit seinem ewig gewünschten Wachstum bei immer absurderer Umverteilung am Ende ist und es zudem mehr zu menschheitsbedrohenden Szenarien (nicht nur ressourcenbedingt oder atomar sondern auch z.B. durch biologischen “Terrorismus“) kommen wird und der “Dinosaurier“ Mensch sich bald evolutionär selber ausrotten könnte.


Die künstliche, sozusagen *zweite* Natur in Form gesellschaftlicher Verhältnisse hat sich beim Menschen schon seit längerem über seine *erste* Natur gelegt und bestimmt die Zukunft von Mensch und Natur ebenfalls im bedeutenden Maße.

Der Mensch kann sich in der Tat sofort ausrotten, er kann aber auch für Zustände sorgen, unter denen ihm ganz langsam die Luft zum Atmen ausgeht bzw. die Menschheit der Zukunft nur so dahin siecht.

All das ist möglich nicht wegen zu geringer sondern trotz großer Intelligenz der menschlichen Spezies.

#767: Re: Jeder glaubt an seine Psychosen-Realität Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 08.02.2019, 15:22
    —
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
.

All das ist möglich nicht wegen zu geringer sondern trotz großer Intelligenz der menschlichen Spezies.

Zu allererst wegen dieser großen Intelligenz. Denn ohne die wäre er erst gar nicht in dieser Position.

#768: Re: Jeder glaubt an seine Psychosen-Realität Autor: SkeptikerWohnort: 129 Goosebumpsville BeitragVerfasst am: 08.02.2019, 15:37
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
.

All das ist möglich nicht wegen zu geringer sondern trotz großer Intelligenz der menschlichen Spezies.

Zu allererst wegen dieser großen Intelligenz. Denn ohne die wäre er erst gar nicht in dieser Position.


Die Wissenschaft und die Organisation des Ganzen sind nicht die Technik.

Die menschliche Intelligenz bloß auf die technische Intelligenz beschränken zu wollen, zeigt ein unvollständiges Verständnis von Intelligenz.

#769:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 08.02.2019, 23:27
    —
schtonk hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Ist eigentlich "Realität" identisch mit "Alles was Existiert"? Wird auf dieser Grundlage diskutiert?

Ich lese hier weitgehend still mit und denke drüber nach.
Aber deine erste Frage verneine ich.

Ein Psychosekranker (im Akutstadium) zB "hat" seine eigene Realität. Der ist seitens eines Nicht-Psychotikers nicht beizukommen, es gibt dagegen keine Argumente.
Seine Wahrnehmungen und die für ihn daraus folgenden Schlüsse haben für ihn hohe Relevanz.
Für ihn existiert das, was der Außenstehende als Wahn (also nichtexistent i.S. der konsensorientierten Wahrnehmung der "Gesunden" ) bezeichnet.


"x existiert für y" bedeutet "x glaubt, dass y existiert", und Existenzglaube ist nicht dasselbe wie Existenz.

Jede Person hat ihren eigenen Glauben und ihr eigenes inneres Erleben, egal ob sie geistig gesund oder krank ist. Die Sinnestäuschungen und die davon verursachten wahnhaften Überzeugungen eines Psychotikers existieren/sind real (als psychische Inhalte), aber deren vermeintlicher Gegenstand existiert nicht/ist nicht real.

Es spricht hier nichts dagegen, Existenz und Realität gleichzusetzen.

#770:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 09.02.2019, 05:20
    —
schtonk hat folgendes geschrieben:
Babyface hat folgendes geschrieben:
schtonk hat folgendes geschrieben:
Babyface hat folgendes geschrieben:
[...]
...Ich bin mir nicht sicher ob nicht eine gute Welt-Theorie möglich ist, nach welcher sich die Größe des Gegenstands tatsächlich ändert und die Fortbewegung eine Illusion ist.

Das widerspräche den gängigen naturwiss. Erkenntnissen.

Ich dachte eigentlich, das wäre offensichtlich.

Äh, ja klar Am Kopf kratzen


Die Annahme, dass Bewegung (von Dingen im Raum) eine Illusion ist (wie die scheinbare Bewegung von Dingen auf einem Fernsehbildschirm), widerspricht keinen wissenschaftlichen Tatsachen!

"It would seem distinctly possible that there is but a single substance: space-time or some all-encompassing quantum field. Suppose we had reason to think this. In that case, ordinary objects—substances in the familiar sense—would be regions of space-time or the quantum field. These regions would themselves possess properties. Change would involve a given region's losing certain properties and acquiring others. The model here is a television screen. Jesse Helms appearing on your television screen is not a piece of the screen. Jesse is constituted by a pattern of illuminated pixels. When Jesse blushes, pixels in a certain region of the screen take on a reddish hue. When Jesse waves his arm, no piece of the screen moves. Instead, patterns of illumination are redistributed over stationary collections of pixels."

(Heil, John. From an Ontological Point of View. Oxford: Oxford University Press, 2003. pp. 41-2)

"Es scheint klar möglich zu sein, dass nur eine einzige Substanz gibt: die Raumzeit oder ein allumfassendes Quantenfeld. Nehmen wir an, es gäbe Gründe für diese Sichtweise. In jenem Fall wären gewöhnliche Objekte—Substanzen im vertrauten Sinn—Regionen der Raumzeit oder des Quantenfeldes. Diese Regionen würden selbst Eigenschaften besitzen. Veränderung bestünde darin, dass eine gegebene Region bestimmte Eigenschaften verliert und andere erwirbt. Hier ist der TV-Bildschirm das Modell. Jesse Helms Erscheinen auf deinem TV-Bildschirm ist kein Stück des Bildschirms. Jesse wird durch ein Muster erleuchteter Pixel gebildet. Wenn Jesse errötet, nehmen Pixel in einem bestimmten Bereich eine rötliche Farbe an. Wenn Jesse mit dem Arm winkt, dann bewegt sich kein Stück des Bildschirms. Stattdessen werden Erleuchtungsmuster über ruhende Ansammlungen von Pixeln verteilt."
(@ meine Übers.)

#771: Re: Jeder glaubt an seine Psychosen-Realität Autor: Myron BeitragVerfasst am: 09.02.2019, 05:38
    —
neurosemantik hat folgendes geschrieben:
Wikipedia hat folgendes geschrieben:
Unter Evolution (von lateinisch evolvere „herausrollen“, „auswickeln“, „entwickeln“) versteht man im deutschen Sprachraum heute in erster Linie die biologische Evolution.

So kannte ich das bisher (bin eben kein Soziologe/Philosoph).
fwo hat folgendes geschrieben:
Es gibt in der Evolution außerhalb der Zeit kein vorwärts oder rückwärts

Man kann aus der physikalisch natürlich nur in eine Richtung wirkenden Zeit nicht schließen, dass es evolutionsbiologisch keine Rückentwicklung (Verkümmerung) sowohl genetischer Art, als auch epigenetischer (kulturelles, gelebtes / vergessenes / nicht beachtetes / kognitiv nicht mehr begreifbares Wissen) angeht gibt (zumal in der Vergangenheit wohl mehr Arten ausgestorben sind, als es aktuell gibt).


"Ist Evolution mit Fortschritt verbunden?

Stehen stammesgeschichtlich später entstandene Lebewesen 'höher' als ihre Vorfahren? Ja, im phylogenetischen Stammbaum stehen sie höher. Aber stimmt es auch, dass sie 'besser' sind als ihre Vorfahren? Die Vertreter dieser Behauptung zählen eine Reihe von Merkmalen 'höherer' Lebewesen auf, die angeblich einen Fortschritt darstellen, wie die Arbeitsteilung zwischen den Organen, Differenzierung, größere Komplexität, bessere Nutzung der Ressourcen aus der Umwelt und eine allgemein bessere Anpassung. Aber bieten diese so genannten Maßstäbe für ein 'Fortschreiten' tatsächlich stichhaltige Belege für einen Fortschritt?

Wer in der Reihe von den Bakterien bis zu den höheren Lebewesen jedes Anzeichen von Evolutionsfortschritt leugnet, legt dem Fortschrittsbegriff offensichtlich einen teleologischen oder deterministischen Aspekt bei. Betrachtet man die Abfolge von den Bakterien über einzellige Protisten zu höheren Pflanzen und Tieren, Primaten und Menschen, so scheint Evolution tatsächlich stark von Fortschritt geprägt zu sein. Andererseits sind aber die ältesten dieser Lebewesen, die Bakterien, gleichzeitig auch die erfolgreichsten: Ihre Biomasse dürfte insgesamt erheblich höher liegen als die aller anderen Lebewesen zusammen. Außerdem gibt es auch unter den höheren Lebewesen bestimmte Abstammungslinien wie Parasiten, Höhlenbewohner, unter der Erde lebende Tiere und andere Spezialisten, die zahlreiche Trends zu Rückschritt und Vereinfachung erkennen lassen. Sie mögen im phylogenetischen Stammbaum höher stehen, aber ihnen fehlen die Merkmale, die immer als Anzeichen für Evolutionsfortschritt angeführt werden. Eines aber ist nicht zu leugnen: In jeder Generation des Evolutionsprozesses ist ein überlebendes Individuum im Durchschnitt besser angepasst als der Durchschnitt der Nichtüberlebenden. So betrachtet, ist die Evolution also eindeutig mit Fortschritt verbunden. Außerdem traten in der Evolutionsgeschichle immer wieder Neuerungen auf, durch die bestimmte Abläufe effizienter wurden."


(Mayr, Ernst. Das ist Evolution. Übers. S. Vogel. München: Goldmann, 2005. S. 339-40)

#772:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 09.02.2019, 13:27
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Die Annahme, dass Bewegung (von Dingen im Raum) eine Illusion ist (wie die scheinbare Bewegung von Dingen auf einem Fernsehbildschirm), widerspricht keinen wissenschaftlichen Tatsachen! ... "... Veränderung bestünde darin, dass eine gegebene Region bestimmte Eigenschaften verliert und andere erwirbt...."

Hätte nicht gedacht, daß Du das anführst - wie paßt das zu dem sonst von Dir geäußerten Substanzrealismus? Wäre die (parametrisierte) Raumzeit dann die einzig verbleibende Substanz? Und dieses "Erwerben" ...

Übrigens gibt es einen solchen Ansatz nicht nur in Einsteins ART, sondern - eigentlich noch interessanter - in der Stringtheorie. Deren Idee basiert letztlich auf der Kaluza-Klein-Theorie (zu Einsteins Lebzeiten), die erstmalig vorschlug, daß auch z.B. elektromagnetische Wechselwirkung eine Eigenschaft der Raumzeit ist - in Kaluzas Fall eine kompaktifizierte 4. Raumdimension, um die er den Einsteinnschen Riemanntensor erweiterte und so die Maxwell-Gleichungen hervorbrachte.

Ob das den wissenschaftlichen Tatsachen nicht widerspricht - da wäre ich zumindest vorsichtig. Um das endgültig zu beurteilen, benötigt man vermutlich eine Raumzeitquantisierung. Dort müßte man dann die "Strings" oder was auch immer als Eigenschaft der Raumzeit formulieren. Sollte es sich tatsächlich erweisen, daß die Gesamtheit von Raumzeit und Strings etwa als Calabi-Yau-Mannigfaltigkeit am besten beschreibbar ist, hättest Du recht - allerdings wäre man damit auch schon sehr nah an einer reinen Mathematik - es gäbe außer eine mathematischen Gruppe nichts mehr, was man mit Recht als "real" abgrenzen könnte.

#773:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 09.02.2019, 18:55
    —
step hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Die Annahme, dass Bewegung (von Dingen im Raum) eine Illusion ist (wie die scheinbare Bewegung von Dingen auf einem Fernsehbildschirm), widerspricht keinen wissenschaftlichen Tatsachen! ... "... Veränderung bestünde darin, dass eine gegebene Region bestimmte Eigenschaften verliert und andere erwirbt...."

Hätte nicht gedacht, daß Du das anführst - wie paßt das zu dem sonst von Dir geäußerten Substanzrealismus? Wäre die (parametrisierte) Raumzeit dann die einzig verbleibende Substanz? Und dieses "Erwerben" ...


Was im Englischen als "supersubstantivalism" bezeichnet wird, ist die Auffassung, dass die Raumzeit die einzige physische Substanz ist, und dass alle anderen (scheinbaren) Körper Komplexe von Attributen der Raumzeit bzw. von Bereichen derselben sind. Diese Sichtweise entspricht dem kosmologischen Substanzmonismus Spinozas. (Anstelle der Raumzeit kann auch ein raumzeitlich ausgedehnter Urstoff – ein "Äther" – als einzige Substanz angenommen werden.)

Bewegung ist in einer solchen Welt eine Illusion, weil sich weder die eine Substanz oder einzelne Teile davon (Regionen) noch deren Attribute bewegen. Eine physikalische Qualität/Quantität Q "wandert" nicht von einer Region R1 zur nächsten, benachbarten Region R2, sondern R1 verliert Q1 und R2 erwirbt ein qualitativ/quantitativ identisches Attribut Q2, das von Q1 numerisch verschieden ist.
(Dies setzt allerdings voraus, dass von einer bestimmten Region besessene Attribute nicht als ein und dieselben auf andere Regionen übertragbar sind. Wenn man diese Voraussetzung verwirft, dann kann zumindest von einer Bewegung von Attributen innerhalb der ruhenden Substanz gesprochen werden.)

step hat folgendes geschrieben:
Übrigens gibt es einen solchen Ansatz nicht nur in Einsteins ART, sondern - eigentlich noch interessanter - in der Stringtheorie. Deren Idee basiert letztlich auf der Kaluza-Klein-Theorie (zu Einsteins Lebzeiten), die erstmalig vorschlug, daß auch z.B. elektromagnetische Wechselwirkung eine Eigenschaft der Raumzeit ist - in Kaluzas Fall eine kompaktifizierte 4. Raumdimension, um die er den Einsteinnschen Riemanntensor erweiterte und so die Maxwell-Gleichungen hervorbrachte.


"Man kann heute seine (= Lorentz') Erkenntnis so aussprechen: physikalischer Raum und Äther sind nur verschiedene Ausdrücke für ein und dieselbe Sache; Felder sind physikalische Zustände des Raumes."

(Albert Einstein, "Das Raum-, Äther- und Feld-Problem der Physik", S. 143)

Wenn Elementarteilchen örtliche "Felderregungen" sind, dann lassen sich alle Körper und Organismen auf komplexe Feldeigenschaften reduzieren, deren Träger der Raum/die Raumzeit ist.

[quote="step" postid=2166355]Ob das den wissenschaftlichen Tatsachen nicht widerspricht – da wäre ich zumindest vorsichtig.[/quote]

Der kosmologische Substanzmonismus oder "Supersubstanzialismus" widerspricht keiner einzigen physikalischen Tatsache. Der australische Philosoph Charles Martin ist ein Vertreter dieser Sichtweise:

"I have insisted that space-time has properties, yet it is not itself had as a property or even a set of properties, and it could not exist without properties. A propertied space-time is a one-object universe and space-time satisfies the correct definitions of 'substratum'."
(p. 47)

"Objects are not to be taken to be fundamental or basic. They are replaced by spatiotemporal trajectories of successive lightings-up of properties of spatiotemporal regions. You cannot have both this and objects. Propertied spatiotemporal regions and their warps and woofs are what there really are, as Einstein told us. Objects, whether large (observers) or small (electrons), are gone from any fundamental basic picture of the world. They are gone from the ultimate and basic physics. …
There is a huge ontological shift here: from having objects with their properties and relations as basic and explaining spatiotemporal regions in terms of relations among objects to having regions explaining and replacing relations of objects by field properties and relations of spatiotemporal regions. Their warps and woofs are basic and explain and replace objects.
The account I am endorsing makes no mention of objects but only of spatiotemporal segments instead.
Saying that the replacement of objects moving by sequential lightings-up of field properties of the warps and woofs of space-time regions is 'just what objects moving comes down to' is like saying that Einstein's relativity is just what the all-pervasive ether comes down to. This flattens the ontological novelty of scientific discovery. Einstein declared that he wanted to know the mind of God. Someone asked, 'What kind of God?' Einstein replied, 'Spinoza's God.' This expresses Einstein's ontology."

(pp. 197-98 )

(Martin, C. B. The Mind in Nature. Oxford: Oxford University Press, 2007.)

Ein anderes Beispiel ist Franz Brentano, der in seinen letzten Lebensjahren mit dieser Idee spielte:

"Und so könnte einer so weit gehen zu vermuten, dass die Gesamtheit des Körperlichen als eine einzige ruhende Körpersubstanz zu fassen sei, welche, wie nach Lord Kelvin die einheitliche Flüssigkeit da und dort Wirbel enthalten sollte, da und dort mit gewissen besonderen Akzidentien behaftet wäre, und dass unsere mechanischen Gesetze, sowie auch alles Weitere, was Physik, Chemie und Physiologie festgestellt haben, sich auf diese Akzidentien, ihre Veränderungen und wechselseitigen Einwirkungen bezöge. An die Stelle des Äthers träte die ruhende, einheitliche Substanz. An die Stelle von dem, was man früher als Substanz der körperlichen Materie betrachtete, träten Akzidentien, welche an der Substanz haftend, von einem Teil auf den anderen sich übertrügen. Auf ihren Stellenwechsel und auf ihr ruhiges Beharren bezögen sich die Gesetze der Mechanik. Es stände nichts im Wege, zwischen ihnen an der Substanz Stellen anzunehmen, wo sie von jedem Akzidens frei wäre. Auch Undurchdringlichkeit käme ihnen zu. Sie wäre Inkompatibilität verschiedener Qualitäten an der gleichen Stelle der Substanz."
(S. 298)

"…Verschiebungen von Qualitäten, die in sehr kleine Parzellen geteilt gedacht werden mögen."
(S. 299)

(Brentano, Franz. "Die Natur der Körperwelt im Lichte der Kategorienlehre." [aus einem Diktat vom 30.01.1915: "Zur Lorenz-Einstein-Frage"] In Kategorienlehre, hrsg. v. Alfred Kastil, 296-301. Hamburg: Meiner, 1985 [O1933].)

Ein Kommentar des Herausgebers dazu:

"Genauer gesprochen, es würden einander benachbarte Teile des Raumes sukzessive spezifisch gleiche akzidentelle Erweiterungen erfahren. Es entspricht dies der oben (S. 157, 247, 264 u.a.) vorgetragenen Lehre, dass das sinnlich Qualitative Akzidens sei und das darin eingeschlossene Raumkontinuum dessen Subjekt, d.h. Substanz." (S. 392)

Denn wenn Brentano sagt "…träten Akzidentien, welche an der Substanz haftend, von einem Teil auf den anderen sich übertrügen", dann bedeutet dies, dass Eigenschaften als ein und dieselben, d.h. unter Wahrung ihrer numerischen Identität, von einem Teil der Substanz auf einen anderen übertragen werden können. Das steht im Gegensatz zu Kastils Aussage, dass "einander benachbarte Teile des Raumes sukzessive spezifisch gleiche akzidentelle Erweiterungen erfahren [würden]", denn "Gleichheit" bedeutet nicht "Selbigkeit".

#774:  Autor: schtonk BeitragVerfasst am: 09.02.2019, 23:12
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
schtonk hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Ist eigentlich "Realität" identisch mit "Alles was Existiert"? Wird auf dieser Grundlage diskutiert?

Ich lese hier weitgehend still mit und denke drüber nach.
Aber deine erste Frage verneine ich.

Ein Psychosekranker (im Akutstadium) zB "hat" seine eigene Realität. Der ist seitens eines Nicht-Psychotikers nicht beizukommen, es gibt dagegen keine Argumente.
Seine Wahrnehmungen und die für ihn daraus folgenden Schlüsse haben für ihn hohe Relevanz.
Für ihn existiert das, was der Außenstehende als Wahn (also nichtexistent i.S. der konsensorientierten Wahrnehmung der "Gesunden" ) bezeichnet.


"x existiert für y" bedeutet "x glaubt, dass y existiert", und Existenzglaube ist nicht dasselbe wie Existenz.

Jede Person hat ihren eigenen Glauben und ihr eigenes inneres Erleben, egal ob sie geistig gesund oder krank ist. Die Sinnestäuschungen und die davon verursachten wahnhaften Überzeugungen eines Psychotikers existieren/sind real (als psychische Inhalte), aber deren vermeintlicher Gegenstand existiert nicht/ist nicht real.

Es spricht hier nichts dagegen, Existenz und Realität gleichzusetzen.

Bla. Du hast keine Ahnung von der Materie.

#775: Re: Jeder glaubt an seine Psychosen-Realität Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 11.02.2019, 12:50
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neurosemantik hat folgendes geschrieben:
Wikipedia hat folgendes geschrieben:
Unter Evolution (von lateinisch evolvere „herausrollen“, „auswickeln“, „entwickeln“) versteht man im deutschen Sprachraum heute in erster Linie die biologische Evolution.

So kannte ich das bisher (bin eben kein Soziologe/Philosoph).
fwo hat folgendes geschrieben:
Es gibt in der Evolution außerhalb der Zeit kein vorwärts oder rückwärts

Man kann aus der physikalisch natürlich nur in eine Richtung wirkenden Zeit nicht schließen, dass es evolutionsbiologisch keine Rückentwicklung (Verkümmerung) sowohl genetischer Art, als auch epigenetischer (kulturelles, gelebtes / vergessenes / nicht beachtetes / kognitiv nicht mehr begreifbares Wissen) angeht gibt (zumal in der Vergangenheit wohl mehr Arten ausgestorben sind, als es aktuell gibt).

Da der Mensch ja mehrheitlich positiv denkt (Die Mehrheit der Menschen hält sich mit 7,0 für glücklicher als den Durchschnitt oder z.B. 75% der Frauen halten sich für hübscher als der Durchschnitt ), sehe ich auch in meinem Bekanntenkreis viele Menschen, die absolut sicher sind, dass sich die menschliche Evolution ganz sicher immer nur zum Positiven, Besseren hin verändert.

Aber wer sagt denn, dass der Mensch nicht sogar dümmer und dann zu dumm für die Komplexität der heutigen globalisierten Welt wird?
Zum Beispiel nimmt die Intelligenz der Menschen konstant (beim drücken eines Knopfes bei Lichtaufleuchten) von 175ms um 1900 auf 225 Millisekunden Reaktionsgeschwindigkeit im Jahr 2015 ab.

Mit abnehmenden kognitiven Fähigkeiten steigt aber der Hang zu instinktiven, populistischen Lagebeurteilungen (Autokratien) mit Fremdenangst und nationalistischem Gruppendenken, so dass die gesellschaftliche Entwicklung eher darauf hindeutet, dass nach dem Niedergang des Kommunismus und Nationalsozialismus jetzt auch der kapitalistische Liberalismus mit seinem ewig gewünschten Wachstum bei immer absurderer Umverteilung am Ende ist und es zudem mehr zu menschheitsbedrohenden Szenarien (nicht nur ressourcenbedingt oder atomar sondern auch z.B. durch biologischen “Terrorismus“) kommen wird und der “Dinosaurier“ Mensch sich bald evolutionär selber ausrotten könnte.

Diese Messungen, mit denen man die Abnahme der Intelligenz belegen möchte, sind sind sehr schwer zu interpretieren, deshalb antworte ich lieber allgemein:

Was den Menschen gegenüber der restlichen Tierwelt auszeichnet, ist nicht die besondere Intelligenz (auch, wenn er sie hat). Das aus evolutionärer Sicht Neue ist, dass der Mensch das Wissen der Art, das beinhaltet zwar auch Faktenwissen, aber viel wesentlicher und ursprünglicher auch Verhaltensregeln wie die Regeln für das Sozialverhalten, aus der Genetik (Instinkt) in die Kultur verlagert hat. Wir können zwar instinktive Verhaltenstendenzen auch bei uns noch feststellen, aber der Einfluss der Kultur auf unser Verhalten ist erheblich stärker. Deshalb halte ich das implizit vertretene Bild von dem Wesen Mensch, unter dessen dünner Schicht von Kultur noch das wilde Tier haust, für falsch. Was aber ohne Schwierigkeiten passieren kann, ist, dass unsere Kultur sich in eine andere Richtung bewegt, als wir sie heute für gut halten.

So befinden wir uns im Moment z.B. in einem "Wettstreit" mit den Chinesen, die unsre auf das Individuum und seine Würde (was immer das ist) zentrierte Kultur für einen Irrweg halten. Es liegt in der Natur der Sache, dass dieser Zwist nicht als geistiger Wettkampf in Form einer Diskussion ausgetragen wird, sondern als Wirtschaftskampf, vielleicht sogar als militärischer. Ob danach immer noch dasselbe wie heute als Fortschritt bezeichnet wird, kann ich nicht sagen.

Dazu noch ein Kommentar zu dem Mayr-Zitat von Myron:
Zitat:
"....Eines aber ist nicht zu leugnen: In jeder Generation des Evolutionsprozesses ist ein überlebendes Individuum im Durchschnitt besser angepasst als der Durchschnitt der Nichtüberlebenden. So betrachtet, ist die Evolution also eindeutig mit Fortschritt verbunden. Außerdem traten in der Evolutionsgeschichte immer wieder Neuerungen auf, durch die bestimmte Abläufe effizienter wurden."

Dem werde ich nicht widersprechen, ich habe hier selbst gerade die aus evolutionärer Sicht revolutionäre Neuerung der Art Mensch beschrieben.

Ich möchte es nur ergänzen: Die Entstehung der ersten Lebewesen hat, wie die Entstehung der darauffolgenden auch, die Bedingungen verändert und damit neue Nischen geschaffen, die eine neue Selektion schufen. Vom Ansatz her handelte es sich bei den neuen "Errungenschaften" also weniger um eine bessere Anpassung an die alten Bedingungen als um eine Anpassung an die neuen Bedingungen, die nun immer mehr lebendige Anteile mit einer zunehmenden Diversität enthalten und deshalb auch einen gewissen Zwang zu einer höheren Komplexität in der Anpassung verlangen.

Genau das ist dann das, war wir als Fortschritt beschreiben. Das führt aber eben nur unter der Bedingung zu einer ethisch handelnden Natur, dass ich von einem Gott ausgehe, der den Menschen als den logischen Endpunkt dieser Entwicklung schafft, der nach einer Ethik handelt, die von diesem Gott vorgegeben ist.

Aber die Natur ist da anders. Sie misst den Erfolg nicht in Komplexität oder gar nach ethischen Gesichtspunkten. Sie misst ihn nur am Überleben. Ob unsere Art überlebt, weiß der Henker, im Moment spricht viel dagegen, und damit meine ich keine astronomischen Entwicklungen.

#776: Re: Jeder glaubt an seine Psychosen-Realität Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 11.02.2019, 13:09
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Skeptiker hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
.

All das ist möglich nicht wegen zu geringer sondern trotz großer Intelligenz der menschlichen Spezies.

Zu allererst wegen dieser großen Intelligenz. Denn ohne die wäre er erst gar nicht in dieser Position.


Die Wissenschaft und die Organisation des Ganzen sind nicht die Technik.

Die menschliche Intelligenz bloß auf die technische Intelligenz beschränken zu wollen, zeigt ein unvollständiges Verständnis von Intelligenz.

Da steht auch nichts davon, dass ich die menschliche Intelligenz nur auf eine angeblich technische beschränke. Es ist andersherum: Auch unsere technische Macht ist eine Folge unserer Intelligenz.

Was viel wichtiger ist: Ich rede in diesem Zusammenhang nicht von Individuen, sondern von Populationen und dem was sie tragen, wie sie die Populationen trägt, der Kultur. Die Intelligenz des Einzelnen ist, wie man regelmäßig sehen kann, einer viel zu großen Streuung unterworfen, als dass sie groß ins Gewicht fiele.

#777:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 12.02.2019, 17:25
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schtonk hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Ist eigentlich "Realität" identisch mit "Alles was Existiert"? Wird auf dieser Grundlage diskutiert?

Ich lese hier weitgehend still mit und denke drüber nach.
Aber deine erste Frage verneine ich.

Ein Psychosekranker (im Akutstadium) zB "hat" seine eigene Realität. Der ist seitens eines Nicht-Psychotikers nicht beizukommen, es gibt dagegen keine Argumente.
Seine Wahrnehmungen und die für ihn daraus folgenden Schlüsse haben für ihn hohe Relevanz.
Für ihn existiert das, was der Außenstehende als Wahn (also nichtexistent i.S. der konsensorientierten Wahrnehmung der "Gesunden" ) bezeichnet.


Edith: Hinzufügung


Ja. Ich würde sagen, daß die persönliche Realität auf eine bestimmte Weise nicht (mit)teilbar ist. Auf der anderen Seite muss man aber anerkennen, daß die "Theory Of Mind" einen geteilten gedanklichen Raum entstehen lässt, der so völlig von naturwissenschaftlichen Erklärungsmodellen abgekoppelt zu sein scheint. Wir können uns mitteilen, unsere persönliche Sicht auf die Welt erklären, aber es gibt Menschen, deren Realität man schwer verstehen kann. Savants zB.
Meine Frage zielte auf die natürliche Intuition ab, daß Existenz an Ausdehnung und Gewicht gekoppelt ist. Der Auffassung bin ich nicht.

#778:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 12.02.2019, 19:47
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
....
Meine Frage zielte auf die natürliche Intuition ab, daß Existenz an Ausdehnung und Gewicht gekoppelt ist. Der Auffassung bin ich nicht.

Der Auffassung kann man aus evolutionärer Sicht auch nicht sein. Mit der Art Mensch ist unsere Umwelt um die komplexen Gebilde der Kulturen bereichert worden, die natürlich Teile der existierenden Welt und gleichzeitig Filter, durch die wir diese wahrnehmen, geworden sind. Und weil Du gerade die Theory of Mind angesprochen hast: Auch Absichten sind existent, genauso wie die kausalen Zusammenhänge von Ursache und Wirkung. Das Erkennen des Anderen als intentionales Wesen ist nach der Ansicht Tomasellos eine der wenn nicht die wesentliche menschliche Errungenschaft, auf deren Basis wir auch beginnen, die Welt in Ursache und Wirkung zu analysieren.

#779:  Autor: uwebus BeitragVerfasst am: 19.02.2019, 20:36
    —
zelig hat folgendes geschrieben:

Meine Frage zielte auf die natürliche Intuition ab, daß Existenz an Ausdehnung und Gewicht gekoppelt ist. Der Auffassung bin ich nicht.


Lassen wir das Gewicht mal weg und beschränken uns auf den Begriff Ausdehnung. Technisch ist Ausdehnung darstellbar als Volumen, Volumen ist ein mathematisches Abstraktum einer physischen Entität. Also hat das, was über Ausdehnung verfügt, einen physischen Inhalt.

Dieser physische Inhalt kann sich manifestieren als Wirkendes, ob nun gravitierend als Gewicht oder als EM-Strahlung, in jedem Falle kann man dem Inhalt die Eigenschaft Energie zuordnen.

Und damit wären wir am Beginn eines Modells, welches das Universum auf den Begriff "Energie" zurückführen kann.

Und wer dann nicht ganz verbohrt ist muß anerkennen, daß ein gewisser Herr Aristoteles das schon vor mehr als 2300 Jahren so gesehen hat. Nur haben ein paar bekloppte Theologen diese Idee über Jahrhunderte wieder verschüttet, bis ein gewisser Herr Max Planck mit seinem Wirkungsquantum die Idee wiederbelebt hat.

Also Leute, auf geht's! Erklärt das Universum mittels des Wirkungsquantums h. Es funktioniert, auch wenn es mir keiner glaubt.
Lachen

#780:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 09.04.2019, 11:13
    —
Zitat:
Das Fachjournal PLOS Biology hat an diesem Montag eine Entgegnung zu einer Publikation veröffentlicht, mit der das Journal vor zwei Jahren weltweit Aufsehen erregt hatte. In der Studie hieß es seinerzeit, dank einer Spezial-Kappe mit Sensoren sei es gelungen, mit den Gehirnen vollständig gelähmter Menschen zu kommunizieren und Antworten auf Ja-Nein-Fragen zu erhalten. Die von einem Tübinger Informatiker namens Martin Spüler verfasste Kritik an der Studie weist nun auf eklatante Fehler bei der Datenauswertung hin.

https://www.sueddeutsche.de/wissen/als-gehirnkappe-gedankenlesen-locked-in-1.4401270

#781:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 09.04.2019, 11:34
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Das Fachjournal PLOS Biology hat an diesem Montag eine Entgegnung zu einer Publikation veröffentlicht, mit der das Journal vor zwei Jahren weltweit Aufsehen erregt hatte. In der Studie hieß es seinerzeit, dank einer Spezial-Kappe mit Sensoren sei es gelungen, mit den Gehirnen vollständig gelähmter Menschen zu kommunizieren und Antworten auf Ja-Nein-Fragen zu erhalten. Die von einem Tübinger Informatiker namens Martin Spüler verfasste Kritik an der Studie weist nun auf eklatante Fehler bei der Datenauswertung hin.

https://www.sueddeutsche.de/wissen/als-gehirnkappe-gedankenlesen-locked-in-1.4401270

Wundert mich nicht wirklich. Ich schätze die Dunkelziffer nicht haltbarer Ergebnisse in Biologie und Medizin als ziemlich hoch ein.
Das liegt zum einen daran, dass da komplexe und immer noch weitgehend unverstandene Objekte vorliegen und zum anderen, dass sich da nicht unbedingt die Leute mit einem Hang zu mathematischen Abstraktionen treffen.

Ich gehe davon aus, dass das erst besser wird, wenn die Beteiligung z.B. von Mathematikern bei derartigen Projekten zu Pflicht erhoben und außerdem so etwas wie ein Institut zur wissenschaftlichen Qualitätskontrolle gegründet wird. Die Peer-Reviews innerhalb der Zitierzirkel sind weitgehend untauglich, solange keine derartige Drohung existiert, sondern für Einzelfälle sehr umständlich ein besonderes Verfahren organisiert werden muss.

#782:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 02.11.2019, 18:14
    —
Gut lesbarer Aufsatz über Bewusstsein, was man darüber weiß, und wie unterschiedlich die Befunde interpretiert werden können.

Zitat:
Laut der GNW-Theorie entsteht Bewusstsein aus einer bestimmten Art der Informationsverarbeitung...Heutige Computer besitzen eine vergleichbare kognitive Raffinesse noch nicht; das dürfte aber lediglich eine Frage der Zeit sein. GNW-Forscher gehen jedenfalls davon aus, dass Maschinen in Zukunft Bewusstsein erlangen werden.
[...]
Die Theorie der integrierten Information (integrated information theory, IIT), die Tononi und andere, ich eingeschlossen, entwickelten, wählt einen anderen Ausgangspunkt: das Erlebte selbst...Die IIT sagt voraus, dass keine noch so ausgereifte Computersimulation eines menschlichen Gehirns Bewusstsein erlangen kann – selbst, wenn sich ihre Antworten nicht von denen eines Menschen unterscheiden lassen. So wie die Simulation der Gravitation eines Schwarzen Lochs nicht die Raumzeit um den Computer verformt, kann die Programmierung eines Bewusstseins niemals eine bewusste Maschine hervorbringen.
[...]
Zum Zweiten müssen wir die beiden konkurrierenden Theorien des Bewusstseins mit Daten bestätigen oder widerlegen. Vielleicht entsteht auch aus den Trümmern der beiden eine bessere Theorie, die das große Rätsel unserer Existenz befriedigend erklärt: wie aus einem drei Pfund schweren Organ mit der Konsistenz von Tofu ein Gefühl für das Selbst entspringt.


https://www.spektrum.de/news/was-ist-bewusstsein/1681458

#783:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 02.11.2019, 18:42
    —
zelig hat folgendes geschrieben:
Zitat:
... Die IIT sagt voraus, dass keine noch so ausgereifte Computersimulation eines menschlichen Gehirns Bewusstsein erlangen kann – selbst, wenn sich ihre Antworten nicht von denen eines Menschen unterscheiden lassen. So wie die Simulation der Gravitation eines Schwarzen Lochs nicht die Raumzeit um den Computer verformt, kann die Programmierung eines Bewusstseins niemals eine bewusste Maschine hervorbringen. ...

Ist das nicht ein Kategorienfehler? Die Frage ist ja, was es bedeutet, die Ebene zu simulieren, von der man vermutet, daß sie die Effekte hervorruft. Also eher so:

Um die echte Raumzeit durch ein simuliertes SL zu verbiegen, müßte man (laut Theorie) Gravitation erzeugen, nicht nur einen Algorhithmus, der ihre Wirkung berechnet. Zum Beispiel könnte man, anstatt ein existierendes SL zu untersuchen, ein künstliches SL bauen. Die Behauptung wäre dann: Egal was ich reinwerfe und woraus ich es baue, es krümmt die Raumzeit. Falls das stimmt, habe ich den Mechanismus verstanden, es geht einfach um ganz viel Masse/Energie.

Übertragen auf das Bewußtsein: Um ein echtes Bewußtsein durch ein simuliertes Gehirn zu erzeugen, müßte man (laut Theorie X) ein künstliches neuronales Netz einer bestimmten Komplexität mit diesen oder jenen Eigenschaften bauen, nicht nur einen Algorhithmus, der dessen Output berechnet. Die Behauptung wäre dann: Egal woraus ich es baue, es entsteht Bewußtsein. Falls das stimmt, habe ich den Mechanismus verstanden, es geht "einfach" um diese Bedingungen.

#784:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 05.11.2019, 15:37
    —
step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Zitat:
... Die IIT sagt voraus, dass keine noch so ausgereifte Computersimulation eines menschlichen Gehirns Bewusstsein erlangen kann – selbst, wenn sich ihre Antworten nicht von denen eines Menschen unterscheiden lassen. So wie die Simulation der Gravitation eines Schwarzen Lochs nicht die Raumzeit um den Computer verformt, kann die Programmierung eines Bewusstseins niemals eine bewusste Maschine hervorbringen. ...

Ist das nicht ein Kategorienfehler? Die Frage ist ja, was es bedeutet, die Ebene zu simulieren, von der man vermutet, daß sie die Effekte hervorruft. Also eher so:

Um die echte Raumzeit durch ein simuliertes SL zu verbiegen, müßte man (laut Theorie) Gravitation erzeugen, nicht nur einen Algorhithmus, der ihre Wirkung berechnet. Zum Beispiel könnte man, anstatt ein existierendes SL zu untersuchen, ein künstliches SL bauen. Die Behauptung wäre dann: Egal was ich reinwerfe und woraus ich es baue, es krümmt die Raumzeit. Falls das stimmt, habe ich den Mechanismus verstanden, es geht einfach um ganz viel Masse/Energie.


Müsste man nicht sagen, egal was ich reinwerfe, auf der einen Seite erzeugt man eine Krümmung, auf der anderen Seite die Simulation einer Krümmung? So wie die IIT sagt, auf der einen Seite entsteht Bewußtsein, aber in der Simulation nicht?

#785:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 05.11.2019, 16:29
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zelig hat folgendes geschrieben:
Müsste man nicht sagen, egal was ich reinwerfe, auf der einen Seite erzeugt man eine Krümmung, auf der anderen Seite die Simulation einer Krümmung?

Nein - denn auf der Simulationsseite (so wie Dein Vergleich sie versteht) werfe ich gar nichts rein. Und die wesentliche Eigenschaft des SL (Masse) fehlt ja - daher kann ich auch keine echte Krümmung erwarten.

Wenn ich jedoch ein SL simuliere, das diese wesentliche Eigenschaft hat, dann wird es auch Krümmung erzeugen. Wir würden in diesem Fall (zurecht) sagen "es IST ein SL" - eigenartigerweise tun sich viele Leute beim Gehirn aber schwer damit. Hoffentlich liegt das nur daran, daß wir noch nicht verstanden haben, was im Gehirn der "Masse" beim SL entspricht, also welche wesentliche Eigenschaft das Bewußtsein hervorruft. Wenn wir ein Denkorgan simulieren, daß diese Eigenschaft hat, wäre zu erwarten, daß es auch Bewußtsein hervorruft und wir würde (zurecht) sagen "es IST ein Denkorgan".

#786:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 05.11.2019, 16:39
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step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Müsste man nicht sagen, egal was ich reinwerfe, auf der einen Seite erzeugt man eine Krümmung, auf der anderen Seite die Simulation einer Krümmung?

Nein - denn auf der Simulationsseite (so wie Dein Vergleich sie versteht) werfe ich gar nichts rein. Und die wesentliche Eigenschaft des SL (Masse) fehlt ja - daher kann ich auch keine echte Krümmung erwarten.

Wenn ich jedoch ein SL simuliere, das diese wesentliche Eigenschaft hat, dann wird es auch Krümmung erzeugen. Wir würden in diesem Fall (zurecht) sagen "es IST ein SL" - eigenartigerweise tun sich viele Leute beim Gehirn aber schwer damit. Hoffentlich liegt das nur daran, daß wir noch nicht verstanden haben, was im Gehirn der "Masse" beim SL entspricht, also welche wesentliche Eigenschaft das Bewußtsein hervorruft. Wenn wir ein Denkorgan simulieren, daß diese Eigenschaft hat, wäre zu erwarten, daß es auch Bewußtsein hervorruft und wir würde (zurecht) sagen "es IST ein Denkorgan".


Kann es sein, daß der Einwand die Simulation und das Simulierte zusammenfallen lässt?

#787:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 07.11.2019, 18:46
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zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Müsste man nicht sagen, egal was ich reinwerfe, auf der einen Seite erzeugt man eine Krümmung, auf der anderen Seite die Simulation einer Krümmung?

Nein - denn auf der Simulationsseite (so wie Dein Vergleich sie versteht) werfe ich gar nichts rein. Und die wesentliche Eigenschaft des SL (Masse) fehlt ja - daher kann ich auch keine echte Krümmung erwarten.

Wenn ich jedoch ein SL simuliere, das diese wesentliche Eigenschaft hat, dann wird es auch Krümmung erzeugen. Wir würden in diesem Fall (zurecht) sagen "es IST ein SL" - eigenartigerweise tun sich viele Leute beim Gehirn aber schwer damit. Hoffentlich liegt das nur daran, daß wir noch nicht verstanden haben, was im Gehirn der "Masse" beim SL entspricht, also welche wesentliche Eigenschaft das Bewußtsein hervorruft. Wenn wir ein Denkorgan simulieren, daß diese Eigenschaft hat, wäre zu erwarten, daß es auch Bewußtsein hervorruft und wir würde (zurecht) sagen "es IST ein Denkorgan".


Kann es sein, daß der Einwand die Simulation und das Simulierte zusammenfallen lässt?

Kann es sein, dass das bei diesem Gegenstand sehr schwer zu trennen ist?

So kann ich mein Bewusstsein als die Benutzeroberfläche meines Gehirns beschreiben und damit auch feststellen, dass Benutzer und Oberfläche sich weitgehend überschneiden.

Und wenn wir das ganze als informationsverarbeitendes System simulieren, schaffen wir auch mit dieser Simulation wieder ein informationsverarbeitendes System.

Aber die grundsätzliche Frage lautet immer wieder, was das ist, was wir verstehen oder simulieren wollen: Die Evolution erzeugt keine funktionslosen Gimmicks. Wollen wir das Bewusstsein als Funktion verstehen, oder wollen wir die menschliche Subjektivität verstehen, die nur aus ihrer evolutionären Entstehung heraus begriffen werden kann? Das erste halte ich für ein sinnvolles informatisches Projekt, das zweite für ein sinnvolles psychologisches / psychiatrisches.

#788:  Autor: zelig BeitragVerfasst am: 07.11.2019, 19:50
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Soweit ich weiß, gibt es auch funktionslose, üppige Ausstattungen in der Natur.

#789:  Autor: stepWohnort: Germering BeitragVerfasst am: 07.11.2019, 19:53
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zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
... Wenn ich jedoch ein SL simuliere, das diese wesentliche Eigenschaft (Masse) hat, dann wird es auch Krümmung erzeugen. Wir würden in diesem Fall (zurecht) sagen "es IST ein SL" - eigenartigerweise tun sich viele Leute beim Gehirn aber schwer damit. Hoffentlich liegt das nur daran, daß wir noch nicht verstanden haben, was im Gehirn der "Masse" beim SL entspricht, also welche wesentliche Eigenschaft das Bewußtsein hervorruft. Wenn wir ein Denkorgan simulieren, daß diese Eigenschaft hat, wäre zu erwarten, daß es auch Bewußtsein hervorruft und wir würden (zurecht) sagen "es IST ein Denkorgan".
Kann es sein, daß der Einwand die Simulation und das Simulierte zusammenfallen lässt?

Das scheint Dir so, wenn ich auf eine Simulationsebene gehe, auf der eine wesentliche Eigenschaft gleich wird (beim SL: die Masse). Natürlich kann man auch "oberflächlicher" simulieren, allerdings darf man sich dann nicht wundern, wenn es keine echte Krümmung gibt.

Und natürlich kann ich auch immer von irgendeiner Art "zusammenfallen" sprechen, wenn ich auf die Eigenschaften schaue, die gleich sind. Das ist auch bei einer oberflächlichen Simulation so, etwa ein Computerprogramm, daß ein SL "ausrechnet": Wenn ich das wesentliche Vergleichskriterium definiere als die Form der Kurve, die eine Testmasse in einem Koordinatensystem annimmt, so fallen Realität und Simulation auch hier zusammen.

Beim Bewußtsein ist es denke ich so: Wenn wir verstanden hätten, daß die Eigenschaften "X" für das Bewußtsein wesentlich sind, müßte eine Simulation diese Eigenschaften haben, um ebenfalls so etwas wie Bewußtsein erwarten zu lassen.

#790:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 07.11.2019, 20:10
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zelig hat folgendes geschrieben:
Soweit ich weiß, gibt es auch funktionslose, üppige Ausstattungen in der Natur.

Nenn mir mal welche.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich Dir die Funktion ziemlich schnell finde bzw. gut begründet vermuten kann.

Hintergrund: Üppige Ausstattung bedeutet ganz allgemein Kosten. Wie sollte sich in der Evolution etwas kostenintensives entwickeln, das keinen Nutzen abwirft? (Wobei der Nutzen nicht im Individuum zu liegen braucht, sondern sich evolutionär auch in der Verbreitung der Gene zeigen kann.)



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